L 6 AS 459/23 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 38 AS 330/23 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 6 AS 459/23 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 07.03.2023 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

 

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt im einstweiligen Rechtsschutzverfahren die Zusicherung zur Übernahme von Kosten der Unterkunft für eine neue Wohnung.

Die am 00.00.0000 geborene Antragstellerin steht im laufenden Bezug von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II). Sie bewohnt aktuell mit ihrem am 00.00.0000 geborenen Sohn eine Wohnung in der B.-straße in I.. Mit Schreiben vom 22.11.2022 kündigte der Vermieter der Antragstellerin das Mietverhältnis zu dieser Wohnung fristlos zum 07.12.2022, hilfsweise fristgemäß zum 31.12.2022, äußerst hilfsweise zum 28.02.2023.

Mit Schreiben vom 22.02.2023 beantragte die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin die Zusicherung der Übernahme der Kosten der Unterkunft für eine Wohnung in der C.-straße in P.. Dem Antrag waren ein Mietangebot sowie eine Mietbescheinigung für die genannte Wohnung beigefügt. In der Mietbescheinigung wird eine monatliche Brutto-Kaltmiete i. H. v. 584 € ausgewiesen (Grundmiete: 417 €, Betriebskosten: 167 €). Als Mietbeginn wird der 01.03.2023 genannt. Mit Bescheid vom 28.02.2023 lehnte die Antragsgegnerin die Erteilung einer Zusicherung zur Anmietung der Wohnung C.-straße in P. ab. Zur Begründung wies sie darauf hin, dass die Aufwendungen für die neue Unterkunft nicht angemessen seien. Für Leistungsberechtigte nach dem SGB II mit zwei Personen im Haushalt gelte für den oben genannten Wohnort maximal eine Bruttokaltmiete i. H. v. 483,25 € als angemessen. Gemäß den vorliegenden Wohnungsdaten würden die tatsächlichen Kosten den genannten Angemessenheitswert i. H. v. 100,75 € überschreiten.

Am 01.03.2023 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen um sozialgerichtlichen Eilrechtsschutz nachgesucht. Sie hat vorgetragen, ihr Vermieter habe sie darüber informiert, dass er ab dem 01.03.2023 eine Räumungsklage erheben werde. Die Wohnung in der C.-straße in P. werde bis zum 08.03.2023 für sie zurückgehalten. Sie bekomme den Schlüssel zur Wohnung erst, wenn sie die Zustimmung der Antragsgegnerin erhalten habe. Sie befinde sich in einer extremen Notlage. Sie habe Angst, dass sie mit ihrem kleinen Sohn auf der Straße stehe.

Die Antragstellerin hat sinngemäß beantragt,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr eine Zusicherung nach § 22 Abs. 4 SGB II zur Berücksichtigung der Unterkunftskosten für die Wohnung C.-straße in P. ab dem 01.03.2023 zu erteilen.

Die Antragsgegnerin hat beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Sie hat vorgetragen, dass für den Antrag im einstweiligen Rechtsschutzverfahren kein Anordnungsgrund gegeben sei, da die begehrte Zusicherung keine notwendige Voraussetzung für den Abschluss eines Mietvertrages darstelle. Denn der Leistungsberechtigte sei weder rechtlich noch tatsächlich gehindert, eine Wohnung ohne Zusicherung des Leistungsträgers anzumieten.

Die Antragstellerin hat am 02.03.2023 Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid der Antragsgegnerin vom 28.02.2023 eingelegt.

Mit Beschluss vom 08.03.2023 hat das SG den Antrag mit der Begründung abgelehnt, dass die Antragstellerin keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht habe. Zwar bestehe für den Leistungsberechtigten, der eine neue Wohnung anmieten wolle, regelmäßig die Notwendigkeit eine zügige Entscheidung zu treffen, damit die Wohnung nicht anderweitig vermietet werde. Dies allein führe aber nicht zur Eilbedürftigkeit der Entscheidung über die Zusicherung, da deren Erteilung keine Voraussetzung für den Abschluss des Mietvertrages darstelle. Da der Leistungsberechtigte in seiner Handlungsfreiheit vom Verhalten des Antragsgegners unabhängig sei, drohe durch die Versagung der Zusicherung als solcher keine Verletzung in eigenen Rechten, die durch eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden könne.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16.03.2023 hat die Antragsgegnerin den Widerspruch der Antragstellerin als unbegründet zurückgewiesen und dabei ihr Vorbringen aus dem Ausgangsbescheid widerholt und vertieft.

Gegen den ihr am 10.03.2023 zugestellten Beschluss des SG hat die Antragstellerin am 21.03.2023 Beschwerde eingelegt. Der Vermieter ihrer gegenwärtigen Wohnung habe ihr zum 28.02.2023 gekündigt. In der Folge habe die Stadt I. – Jobcenter die Bewilligung von Kosten der Unterkunft und Heizung für ihre gegenwärtige Unterkunft eingestellt.

Die Antragstellerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 08.03.2023 aufzuheben und die Antragsgegnerin einstweilig zu verpflichten, die Berücksichtigung der Aufwendungen für die Wohnung in der C.-straße in P. nach § 22 Abs. 4 SGB II zuzusichern.

Die Antragsgegnerin beantragt schriftsätzlich

die Beschwerde zurückzuweisen.

Zur Begründung verweist sie auf die Gründe des Beschlusses des SG.

Die Berichterstatterin hat die Antragstellerin mit Verfügung vom 06.04.2023 aufgefordert, umgehend mitzuteilen, ob die neue Unterkunft noch verfügbar ist. Eine Reaktion darauf erfolgte trotz Erinnerung vom 25.05.2023 nicht.

Gegen den Ablehnungsbescheid vom 28.02.2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.03.2023 hat die Antragstellerin am 17.04.2023 bei dem SG Gelsenkirchen Klage erhoben, die dort unter dem Aktenzeichen S 38 AS 604/23 geführt wird.

Mit Schreiben vom 24.04.2023 hat die Antragstellerin der Stadt I. – Jobcenter mitgeteilt, dass der Mietvertrag zur Wohnung in der C.-straße in P. „gelöscht und weiter vergeben“ worden sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte- und der beigezogenen Verwaltungsakte Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

II.

1. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen ist statthaft und zulässig, aber unbegründet.

Die Beschwerde ist statthaft, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes den Betrag von 750 € übersteigt.

Nach § 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) findet gegen Entscheidungen der Sozialgerichte die Beschwerde an das Landessozialgericht (LSG) nur statt, soweit nicht im SGG etwas anderes bestimmt ist. Nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG ist die Beschwerde in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ausgeschlossen, wenn in der Hauptsache die Berufung der Zulassung bedürfte. Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG ist die Berufung zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 € übersteigt. Der Wert des Beschwerdegegenstandes errechnet sich aus der Differenz der Kosten der Unterkunft der Wohnung, in die die Antragstellerin einzuziehen beabsichtigte, und denjenigen der zuvor bewohnten Wohnung für die Dauer eines Regelbewilligungsabschnitts (vgl. § 41 Abs. 3 Satz 1 SGB Il), mithin für zwölf Monate. Damit beträgt er vorliegend 1.209 € und liegt über der Grenze von 750 €. Insoweit kann hier dahinstehen, ob eine Begrenzung auf einen Zeitraum von höchstens einem Jahr nicht ausreichend widerspiegelt, dass das Interesse der leistungsberechtigten Person an der Zusicherung über diesen Zeitraum hinausgeht und deswegen nicht in Betracht kommt (so LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 01.07.2014, L 14 AS 1360/14 B ER; Sächsisches LSG, Beschluss vom 09.07.2016, L 3 AS 611/16 B PKH; Keller a.a.O., Rn. 10a; a.A.: Sächsisches LSG, Beschluss vom 15.12.2020, L 7 AS 245/20 B ER; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 13.06.2012, L 5 AS 189/12 B ER; LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 28.02.2012, L 6 AS 145/11 B PKH)). Es kann deswegen ferner auch die weiter umstrittene Frage dahinstehen, ob die erstrebte Zusicherung der Übernahme der Aufwendungen für eine neue Unterkunft nach § 22 Abs. 4 SGB II dem Anwendungsbereich des § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG unterfällt, weil sie nicht unmittelbar auf eine Geldleistung gerichtet ist (in diesem Sinne: LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 09.01.2020, L 10 AS 2103/19 NZB; a.A.: LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 13.06.2012. L 5 AS 189/12 B ER; Sächsisches LSG, Beschluss vom 27.12.2012, L 3 AS 943/12 B PKH; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 18.04.2017, L 4 AS 160/17 B; LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 28.02.2012, L 6 AS 145/11 B PKH; Sächsisches LSG, Beschluss vom 15.12.2020, L 7 AS 245/20 B ER; Sächsisches LSG, Beschluss vom 20.05.2021, L 7 AS 439/21 B ER; Keller a.a.O., Rn. 10a).

Die Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere fristgemäß (§ 173 SGG) eingelegt worden.

Die Beschwerde ist hingegen unbegründet, da die Voraussetzungen für eine allein nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG statthafte einstweilige Anordnung nicht glaubhaft gemacht sind.

Nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt somit voraus, dass ein materieller Anspruch besteht, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird (sog. Anordnungsanspruch) und dass der Erlass einer gerichtlichen Entscheidung besonders eilbedürftig ist (sog. Anordnungsgrund). Eilbedarf besteht, wenn dem Betroffenen ohne die Eilentscheidung eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten droht, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann (vgl. Bundesverfassungsgericht [BVerfG] Beschluss vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05; BVerfG Beschluss vom 16.05.1995, 1 BvR 1087/91). Der von der Antragstellerin geltend gemachte (Anordnungs-)Anspruch und die Eilbedürftigkeit sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO]). Für die Glaubhaftmachung genügt es, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund überwiegend wahrscheinlich sind (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 08.08.2001, B 9 V 23/01 B).

Hiervon ausgehend sind die Voraussetzungen für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung nicht erfüllt. Die Antragstellerin hat jedenfalls die Eilbedürftigkeit der Erteilung einer Zusicherung und damit einen Anordnungsgrund nicht hinreichend glaubhaft gemacht.

Es kann dahin stehen, ob die hier begehrte Erteilung der Zusicherung schon deswegen nicht eilbedürftig ist, weil die Erteilung der Zusicherung keine Anspruchsvoraussetzung für die Übernahme der höheren Kosten der Unterkunft ist (so Beschlüsse des Senats vom 17.01.2011, L 6 AS 1914/10 B ER und vom 03.08.2010, L 6 AS 1182/10 B ER; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26.11.2014, L 12 AS 1959/14 B ER; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 03.09.2014, L 2 AS 1195/14 B ER m. w. N.; abwägend LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23.03.2015, L 19 AS 2347/14 B ER; a. A. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26.01.2015; L 7 AS 617/14 B; LSG Niedersachsen Bremen vom 26.08.2020, L 13 AS 143/20 B ER; Krauß in Hauck/Noftz SGB II, Stand: Ergänzungslieferung 2023, § 22 Rn. 307). Denn im hier zu beurteilenden Fall ist die Eilbedürftigkeit schon deswegen entfallen, weil die konkrete Wohnung, für die die Zusicherung begehrt wird, nach eigenen Angaben der Antragstellerin in ihrem Schreiben vom 24.04.2023 gegenüber der Stadt I. – Jobcenter zwischenzeitlich anderweitig vergeben worden ist. Denn mit der anderweitigen Vergabe der Wohnung in der C.-straße in P. hat sich der Verwaltungsakt über die Ablehnung der begehrten Zusicherung vom 28.02.2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.03.2023 auf andere Weise i. S. d. § 39 Abs. 2 SGB X erledigt. Nach § 39 Abs. 2 SGB X bleibt ein Verwaltungsakt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist. Von einer Erledigung auf andere Weise ist auszugehen, wenn der Regelungsgegenstand des Bescheides entfallen oder die Ausführung seines Hauptverfügungssatzes rechtlich oder tatsächlich unmöglich geworden ist (BSG, Urteil vom 27.11.2014, B 3 KR 6/13 R; Fichte in Knickrehm u.a., SGB X, 7. Auflage 2021, § 39, Rn. 25 m. w. N.). Mit der anderweitigen Vergabe der hier begehrten Wohnung ist der Abschluss eines Mietvertrages über die konkrete neue Unterkunft (§ 22 Abs. 4 Satz 1 SGB II) – anders als zunächst beabsichtigt (vgl. hier Wohnungsangebot vom 01.03.2023) – nicht mehr möglich und der hiesige Streitgegenstand, die Ablehnung der Zusicherung nach § 22 Abs. 4 SGB II, hat seine Bedeutung verloren (so auch zu einer Zusicherung der Kostenübernahme bei Erledigung eines Kostenvoranschlags: BSG, Beschluss vom 09.03.2020, B 4 AS 63/20 B). Es ist damit nicht länger ersichtlich, dass der Antragstellerin ohne die Eilentscheidung eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in ihren Rechten droht, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann (vgl. auch LSG Sachsen, Beschluss vom 20.05.2021, L 7 AS 439/21 B ER).

2. Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

3. Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).

Rechtskraft
Aus
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