1. Ordnungsgeld wegen unterbliebener Aktenrücksendung (§ 118 Abs. Satz 1 SGG i.V.m. § 409 Abs. 1 Satz 2 ZPO) dient der Aufrechterhaltung einer funktionierenden Rechtspflege. Es erledigt sich nicht durch eine nach Verhängung erfolgte Aktenherausgabe, sondern hat neben general- und spezialpräventiven Wirkungen auch einen repressiven ( strafähnlichen ) Charakter.
2. Ein Sachverständiger muss sich Verschulden der von ihm zur Erfüllung seiner Pflichten gegenüber dem Gericht eingesetzten Mitarbeiter zurechnen lassen.
3. Der Höchstbetrag für Ordnungsgeld nach § 409 Abs. 1 Satz 2 ZPO ist bei schriftlicher Begutachtung auf 1.000,- Euro begrenzt.
4. Im Rahmen der Ermessensausübung zur Höhe des Ordnungsgeldes können u.a. die Schwere des Pflichtverstoßes, (fehlende) Mitwirkung nach Rücksendungsauffor-derung, (persönliche) Bedeutung und Umfang der Unterlagen, wirtschaftliche Verhältnisse des Sachverständigen und aus dem Pflichtverstoß folgende Nachteile für Beteiligte oder Dritte berücksichtigt werden. Eine Verhängung von Ordnungsgeld in Höhe des oberen Betragsrahmens erfordert regelmäßig eine besondere Begrün-dung.
I. Auf die Beschwerde wird der Ordnungsgeldbeschluss des Sozialgerichts Landshut vom 08.08.2023 dahingehend abgeändert, dass die Höhe des verhängten Ordnungsgeldes 600,- Euro statt 3.000,- Euro beträgt.
II. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen der Beschwerdeführer zu 1/5 und die Staatskasse zu 4/5.
G r ü n d e :
I.
Der Beschwerdeführer (im Folgenden: Bf.) wendet sich mit seiner Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Landshut (SG) vom 08.08.2023, mit dem ihm ein Ordnungs-geld in Höhe von 3.000,- Euro auferlegt wurde, weil die dem Bf. aufgrund eines Gutachtensauftrags übersandten Akten trotz mehrfacher gerichtlicher Aufforderung nicht an das Gericht zurückgesandt worden waren.
Der Bf. ist im Klageverfahren beim SG unter dem Az. S 7 R 533/21 auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) mit Beweisanordnung vom 02.01.2023 zum Sachverständigen bestellt worden. Zusammen mit der Beweisanordnung und den Beweisfragen sind ihm an die Praxisadresse eine Akte des SG, eine Akte der beklagten Deutschen Rentenversicherung Bayern Süd (DRV), ein Band Schwerbehindertenakten der Klägerin und 4 Fotos der Klägerin übersandt worden.
Am 12.01.2023 hat der Bf. dem Vorsitzenden telefonisch mitgeteilt, dass er sich als behandelnder Arzt der Klägerin für befangen halte und Zweifel an der eigenen Kompetenz hinsichtlich der gestellten Beweisfragen habe. Der Vorsitzende hat ihm mitgeteilt, er möge die Unterlagen mit einer entsprechenden schriftlichen Erklärung an das SG zurücksenden.
In der Folgezeit sind weder ein Schreiben des Bf. noch die Akten beim SG eingegangen.
Am 08.03.2023 hat die Klägerin die Klage zurückgenommen.
Das SG hat die übersandten Akten mit Schreiben vom 09.03.2023 vom Bf. zurückgefordert, da sich der Rechtsstreit durch Klagerücknahme erledigt habe, und es hat den Bf. mit Schreiben vom 11.04.2023 an die Erledigung der Aktenrücksendung unter Fristsetzung bis 26.04.2023 erinnert.
Von der Praxis des Bf. ist telefonisch am 25.04.2023 gegenüber der Geschäftsstellenkraft Frau F mitgeteilt worden, die Akten seien bereits am 13.03.2023 an das SG zurückgesandt worden. Unter Hinweis auf den fehlenden Eingang der Akten hat das SG den Bf. mit Schreiben vom 28.04.2023 um einen schriftlichen Beleg für das Einschreiben an das SG gebeten.
Mit Einschreiben vom 30.05.2023, dem Bf. zugestellt am 31.05.2023, hat das SG diesen erneut darauf hingewiesen, dass die Akten bislang nicht beim Gericht eingetroffen seien und dass ein Einlieferungsbeleg für die angegebene Rücksendung bisher trotz Aufforderung nicht übermittelt worden sei. Der Verlust von Gerichtsakten sei ein schwerwiegender Vorgang. Da über den Einlieferungsbeleg ggf. die Möglichkeit bestehe, die Akte wieder aufzufinden, werde nochmals dringend um umgehende Übersendung des Einlieferungsbelegs und um Kooperation bei den weiteren Ermittlungen gebeten. Um umgehende telefonische Kontaktaufnahme mit der Geschäftsstelle zur Abstimmung des weiteren Vorgehens und um Mitteilung einer Telefonnummer für weitere Rückfragen werde gebeten sowie um Rückmeldung bis spätestens 12.06.2023.
Der Bf. hat sich nicht geäußert.
Mit Beschluss vom 21.06.2023 hat der Vorsitzende die Herausgabe aller an den Bf. übersandten Akten in der Streitsache S 7 R 533/21 angeordnet unter Androhung eines Ordnungsgeldes in Höhe von 3.000,- Euro für den Fall, dass die Akten nicht bis spätestens 14.07.2023 bei Gericht eingehen würden. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Beschluss Bezug genommen. Der Beschluss ist dem Bf. ausweislich der Postzustellungsurkunde (PZU) am 22.06.2023 durch Einlegen in den Briefkasten zugestellt worden.
Eine Rückmeldung des Bf. ist ebensowenig erfolgt wie ein Eingang der Akten.
Daraufhin hat das SG mit Beschluss vom 08.08.2023 gegen den Bf. ein Ordnungsgeld in Höhe von 3.000,- Euro verhängt. Auf wiederholte Aufforderungen des Gerichts zur Vorlage von Nachweisen für die behauptete Aktenrücksendung, u.a. mit Einschreiben vom 30.05.2023, habe der Sachverständige nicht reagiert. Auch auf die Ordnungsgeldandrohung vom 21.06.2023 habe der Bf. nicht reagiert. Nachdem keine Rückgabe der Akten innerhalb der Frist erfolgt sei und der Bf. eine Kooperation bei der Ermittlung des Sachverhalts zum Verbleib der Akten verweigert habe, müsse davon ausgegangen werden, dass sich die Akten noch in seinem Besitz befänden. Daher sei das angekündigte Ordnungsgeld zu verhängen. Die Höhe bemesse sich nach dem erheblichen Aufwand für den Freistaat Bayern hinsichtlich der Maßnahmen zur Wiederbeschaffung bzw. Rekonstruktion der Akten. Zudem enthielten die Akten sensible Daten und Beweismittel. Dieser Beschluss ist dem Bf. laut PZU am 11.08.2023 durch Einwurf in den Briefkasten zugestellt worden.
Daraufhin haben sich der Bf. und die Praxismitarbeiterin Frau R am 16.08.2023 telefonisch bei Gericht gemeldet. Laut Gesprächsvermerk der Gerichtsmitarbeiterin E ist mitgeteilt worden, dass die Akten bereits aufgrund des Telefonats im Januar 2023 an das SG zurückgesandt worden seien. Die Ordnungsgeldandrohung hätten sie nicht erhalten.
Frau R hat im Weiteren erklärt, sie habe beim Gespräch im April eine Notfall-Telefonnummer bekanntgegeben; dies hat Frau F auf Nachfrage verneint. Ferner hat Frau R auf Frage nach dem Einlieferungsbeleg angegeben, sie hätte diesen ohne weitere Angaben im einfachen Kuvert im Original an das SG zurückgesandt; so wäre es in einem Gespräch von ihr mit der Vermittlung des SG vereinbart worden. Den Zeitpunkt des Telefonats könne sie nicht näher eingrenzen. Die Telefonnummer des SG habe sie im Internet ermittelt.
Der Bf. hat ausgeführt, er habe sein Praxispersonal im Januar beauftragt, die Akten zurückzuschicken. Dafür habe das Personal extra eine neue Umverpackung kaufen müssen. Er habe auch den Einlieferungsbeleg liegen sehen.
Ermittlungen von Frau E in Poststelle und Registratur haben ergeben, dass kein "herrenloser" Einschreibebeleg vorgelegen hat.
Am 17.08.2023 ist die Beschwerde des Bf. gegen die Verhängung des Ordnungsgeldes beim SG eingegangen. Er hat vorgetragen, dass bereits am Tag des Telefonats mit dem Vorsitzenden im Januar 2023 Frau R auf seine dringende Bitte unter Bezeugung einer weiteren Mitarbeiterin die Akten mittels Einschreibens an das SG zurückgeschickt habe und dass er den postalisch erhaltenen Rückschein gesehen habe. Auf Rückfragen des Gerichts im Laufe der folgenden Wochen habe sich Frau R jeweils mit Gerichtsmitarbeitern telefonisch in Verbindung gesetzt und den Sachverhalt mitgeteilt. Den Rückschein habe Frau R dem SG im Original zugestellt und es sei die Notfallnummer der Praxis ausgehändigt worden. Wenige Tage später sei vom SG der Empfang des Rückscheins telefonisch bestätigt worden. Eine Gerichtsmitarbeiterin habe bekräftigt, dass damit die Angelegenheit für den Bf. erledigt sei. Der Rückversand der Akten habe auf jeden Fall im Januar stattgefunden; warum der Rückschein dem SG nicht vorliege, könne der Bf. nicht nachvollziehen. Das von Frau E erwähnte Schreiben mit Androhung eines Ordnungsgeldes habe der Bf. "selbst nie erhalten".
Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat mit Schreiben vom 14.09.2023 u.a. nochmalige Prüfung der Praxisräume hinsichtlich des Verbleibs der Akten angeregt. Unter Hinweis auf Diskrepanzen in den Angaben (u.a. Datierung der Aktenrücksendung auf den 13.03.2023 oder auf Januar 2023) bzw. zwischen Schilderungen zu den Abläufen und der Aktenlage (u.a. fehlende Gesprächsvermerke trotz Schilderung mehrfacher Anrufe der Praxis bei Gericht) sowie unter Hinweis auf den in der Regel den Umfang eines Einschreibens übersteigenden Umfang von Sozialgerichtsakten hat das Gericht weitere Klarstellungen und Unterlagen des Bf. erbeten. Insbesondere ist der Bf. um Klarstellung gebeten worden, was er konkret mit der Aussage meine, er habe das Schreiben mit Androhung des Ordnungsgeldes, das laut PZU durch Einlegen in den Briefkasten zugestellt worden sei, "selbst nie erhalten". Um Prüfung des internen Verbleibs ist gebeten worden.
Mit Schreiben vom 04.10.2023 hat V von der Überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft Medizinisches Versorgungszentrum V MVZ GmbH mitgeteilt, dass die Akten nach nochmaliger Durchsuchung der Praxis aufgefunden worden seien. Die beiden für die Versendung der Akten verantwortlichen Mitarbeiterinnen hätten auf Befragung zugegeben, die Akte nicht verschickt zu haben. Sie hätten dem Bf. gegenüber mehrfache falsche Angaben gemacht; Fehlverhalten des Bf. sei nicht zu verzeichnen.
Die Akten sind ausweislich des Empfangsbekenntnisses am 04.10.2023 beim SG eingegangen.
Weitere Äußerungen des Bf. sind nicht eingegangen.
II.
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde erweist sich hinsichtlich der Höhe des verhängten Ordnungsgeldes teilweise als begründet, im Übrigen jedoch als unbegründet.
Gemäß § 118 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 407a Abs. 5 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) hat ein Sachverständiger auf Verlangen des Gerichts die Akten und sonstige für die Begutachtung beigezogene Unterlagen sowie Untersuchungsergebnisse unverzüglich herauszugeben oder mitzuteilen. Kommt er dieser Pflicht nicht nach, so ordnet das Gericht die Herausgabe an (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 407a Abs. 5 Satz 2 ZPO).
Wenn ein Sachverständiger Akten oder sonstige Unterlagen zurückbehält, werden ihm die dadurch verursachten Kosten auferlegt (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 409 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Zugleich wird gemäß § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 409 Abs. 1 Satz 2 ZPO gegen den Sachverständigen ein Ordnungsgeld festgesetzt.
Der Bf. als gerichtlich bestellter Sachverständiger hat trotz mehrfacher Rückforderung der Akten und trotz Anordnung der Herausgabe der Akten mit Beschluss des SG vom 21.06.2023 die ihm vom SG übersandten Akten der Klägerin nicht an das SG zurückgesandt.
Dieser Beschluss, der zugleich die Androhung eines Ordnungsgeldes enthielt, ist dem Bf., der zugleich Leiter des MVZ am Standort A war, laut PZU am 22.06.2023 durch Einwurf in den Briefkasten der Praxisadresse wirksam zugestellt worden (§ 63 Abs. 2 SGG i.V.m. § 180 ZPO). Die PZU begründet als öffentliche Urkunde im Sinne von § 418 Abs. 1 ZPO den vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer, Kommentar zum SGG, 14. Auflage, zu § 63 Rn. 19; BSG, Beschluss vom 13.11.2008 - B 13 R 138/07 B; BSG, Beschluss vom 24.11.2009 - B 12 KR 27/09 B; BFH, Beschluss vom 14.02.2007 - XI B 108/05; BGH, Urteil vom 10.11.2005 - III ZR 104/05; alle veröffentlicht in Juris).
Zwar kann nach § 418 Abs. 2 ZPO derjenige, zu dessen Nachteil sich die gesetzliche Beweisregel auswirkt, den Beweis für die Unrichtigkeit der beurkundeten Tatsache antreten. Dieser Gegenbeweis wird aber nicht schon durch die bloße Behauptung erbracht, das betreffende Schriftstück nicht erhalten zu haben, weil es für die Wirksamkeit der Zustellung nicht darauf ankommt, ob und wann der Adressat das Schriftstück seinem Briefkasten entnommen und ob er es tatsächlich zur Kenntnis genommen hat (vgl. BSG, Beschluss vom 27.01.2005 - B 7a/7 AL 194/04 B, Juris.). Der Gegenbeweis der Unrichtigkeit der in der Zustellungsurkunde bezeugten Tatsachen erfordert vielmehr den Beweis eines anderen als des beurkundeten Geschehensablaufs, der damit ein Fehlverhalten des Zustellers und eine Falschbeurkundung in der Zustellungsurkunde belegt (vgl. BSG a.a.O.). Gefordert wird der volle Gegenbeweis in der Weise, dass die Beweiswirkung der Zustellungsurkunde vollständig entkräftet und jede Möglichkeit der Richtigkeit der in ihr bezeugten Tatsachen ausgeschlossen wird. Die Beweiskraft der Urkunde würde weitgehend entwertet, wenn schlichtes Bestreiten Amtsermittlungspflicht auslösen wurde; die Rechtsprechung verlangt deswegen als Voraussetzung für die Pflicht des Gerichts zu Ermittlungen ein qualifiziertes Bestreiten und die Mitteilung näherer Umstände, die den Fehler verständlich machen (vgl. Keller, a.a.O., zu § 118 Rn. 13b).
Der Bf. hat im Beschwerdeschriftsatz lediglich vorgetragen, er habe das Schreiben mit Androhung eines Ordnungsgeldes "selbst nie erhalten". Auf Nachfrage des LSG vom 14.09.2023, was damit gemeint sei, insbesondere ob das Schreiben in der Praxis eingegangen oder ob es nicht eingegangen sei bzw. ob es ihm nicht oder verspätet vorgelegt worden sei, verbunden mit der Bitte um interne Prüfung eines Verbleibs in der Praxis (ggf. liegengebliebene Post), hat sich der Bf. nicht geäußert. Vor diesem Hintergrund hat er weder einen Gegenbeweis angetreten noch Anhaltspunkte genannt, die gegen den beurkundeten Geschehensablauf bzw. für ein Fehlverhalten des Zustellers sprechen könnten. Auch ein qualifiziertes Bestreiten, wie von der Rechtsprechung zur Auslösung von Amtsermittlungspflichten gefordert, liegt nicht vor. Für eine Fehlleitung an ein MVZ mit anderem Standort, also einer anderen Stadt, wie der Bf. im Telefonat mit dem SG angedeutet hatte, gibt es im Übrigen angesichts der eindeutigen Adressierung keine Anhaltspunkte.
Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass der Bf. gegenüber dem SG keine von der Praxisadresse abweichende Korrespondenzadresse angegeben hatte und es in erster Linie seiner persönlichen Verantwortung obliegt, im Falle der Korrespondenz über die Arztpraxis eine ordnungsgemäße Weiterleitung und Bearbeitung gerichtlicher Schreiben an ihn innerhalb der Praxis durch die in die Postbearbeitung eingebundenen Praxismitarbeiter mittels entsprechender Vorkehrungen sicherzustellen, z.B. durch Einzelweisungen oder durch Organisation der Arbeitsabläufe als ärztlicher Leiter des MVZ am Standort A. Daher müsste er sich, sollten ihm Praxismitarbeiter den mittels PZU zugestellten Brief des Gerichts nicht oder verspätet vorgelegt haben, deren Verschulden zurechnen lassen (vgl. auch LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 27.11.2013 - L 11 R 2450/13; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21.06.2017 - L 16 R 476/17 B, beide veröffentlicht in Juris).
Im Beschwerdeverfahren hat sich ferner bestätigt, dass die Akten nicht an das SG zurückgeschickt worden waren, sondern sich entgegen früherer anderslautender Angaben zum Zeitpunkt der Herausgabeanordnung und des Ordnungsgeldbeschlusses noch in der Praxis befunden hatten.
Auch ein Nichtstun bzw. ein Nicht-Übersenden der Akten durch einen Sachverständigen trotz eines gerichtlichen Herausgabeverlangens ist nach Ablauf einer gesetzten Frist bzw. - falls keine Fristsetzung erfolgt war - nach Ablauf einer kurzen Frist ein Zurückhalten von Akten im Sinne des § 409 Satz 1 ZPO (vgl. Zimmermann, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Auflage 2020, zu § 409 Rn. 4).
Die Einführung der Pflicht des Sachverständigen zur unverzüglichen Herausgabe von Akten, Unterlagen und Untersuchungsergebnissen in § 407a ZPO auf Verlangen des Gerichts und die Erweiterung der Kostenauferlegung und Ordnungsgeldverhängung in § 409 ZPO auf den Fall, dass der Sachverständige Akten, beigezogene Unterlagen oder Untersuchungsergebnisse zurückbehält, erfolgte durch das Rechtspflegevereinfachungsgesetz vom 17.12.1990 (BGBl. I. S 2847 ff.). Ausweislich der Gesetzesmaterialien (vgl. BT-Drucks. 11/3621 S. 41 zu Nr. 24) sollte so die Rückgabe mit Ordnungsmitteln erzwungen werden; zugleich wurde die Möglichkeit der zwangsweisen Wegnahme der Akten durch Änderung des Justizbeitreibungsgesetzes (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 b JBeitrO) geschaffen. Die Änderungen sollten insgesamt der Entlastung der Gerichte und der Beschleunigung des Verfahrens dienen (BT-Drucks. 11/3621, S. 22 zu II.); die Herausgabepflicht hatte insbesondere auch den Zweck, ggf. erneute Untersuchungen zu vermeiden und eine Fortführung der Arbeiten durch andere Sachverständige ohne Zeitverlust zu ermöglichen (vgl. BT-Drucks. 11/3621 S. 40 zu Nr. 23). Damit dient das Ordnungsgeld nach § 409 Abs. 1 Satz 2 ZPO letztlich auch der Aufrechterhaltung einer funktionierenden Rechtspflege (vgl. BFH, Urteil vom 18.05.1972 - IV R 122/68 - Juris zu § 411 ZPO).
Vor diesem Hintergrund soll die Auferlegung von Kosten bzw. die Verhängung von Ordnungsgeld nach § 409 ZPO - über den Fall eines vorsätzlichen Vorenthaltens von Akten hinausgehend - den Sachverständigen zur zuverlässigen Rücksendung der Akten, Unterlagen und Untersuchungsergebnisse anhalten, einschließlich der sorgfältigen Prüfung ihres Verbleibs in den von ihm genutzten Räumlichkeiten, der Prüfung ihrer Vollständigkeit und der Sorgetragung für eine ordnungsgemäße Rücksendung. In der Regel weiß der Sachverständige am besten, wo in seinem (privaten oder beruflichen) Bereich sich im Rahmen des Gutachtensauftrags übersandte bzw. von ihm erhobene Unterlagen befinden (können), bzw. er weiß, welche ggf. von ihm in die Bearbeitung eingebundenen Mitarbeiter bzw. Hilfskräfte über entsprechende Informationen verfügen.
Das Ordnungsgeld gemäß § 409 Abs. 1 Satz 2 ZPO ist darauf gerichtet, einen geordneten Verfahrensgang und die Erfüllung der Pflichten durch den Sachverständigen sicherzustellen; ebenso wie die Ordnungsmittel nach § 380 ZPO wirkt es spezial- und generalpräventiv, hat aber auch repressiven ("strafähnlichen") Charakter im Sinne einer Ahndung des Pflichtverstoßes (vgl. BT-Drucks. 7/550 zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zum EGStGB vom 11.05.1973, S. 195 zur Differenzierung von Ordnungs- und Zwangsgeld; OLG Dresden, Beschluss vom 15.02.2002 - 7 W 0084/02 u.a. - Juris).
Hier hat der Bf. die vom SG übersandten Akten trotz Herausgabeanordnung nicht innerhalb der gesetzten Frist an das SG zurückgeschickt und die Akten befanden sich - entgegen früheren Vorbringens - auch noch in den Praxisräumen.
Dass die Akten nach Verhängung des Ordnungsgeldes aufgrund nochmaliger intensiver Suche in den Praxisräumen aufgefunden und mittlerweile an das SG zurückgeschickt worden sind, vermag keinen Anspruch auf Aufhebung des Ordnungsgeldes zu begründen. Denn das Ordnungsgeld erschöpft sich nicht, wie ein Zwangsgeld, in der Durchsetzung der Pflichten durch den Sachverständigen, sondern hat darüber hinaus die Funktion, den Pflichtverstoß der zuvor unterlassenen Rücksendung zu ahnden.
Soweit im Beschwerdeverfahren vorgetragen worden ist, dass Mitarbeiterinnen der Praxis die Anweisungen des Bf. zur Aktenrücksendung nicht ausgeführt hätten und dass sie dem Bf. gegenüber mehrfach falsche Aussagen über eine angeblich erfolgte Rücksendung gemacht hätten, ist darauf hinzuweisen, dass sich der Bf. der ihm als Sachverständigen obliegenden Pflichten gegenüber dem Gericht nicht dadurch entledigen kann, dass er mit der Ausführung dritte Personen beauftragt. Vielmehr wäre dem Bf. ein Verschulden der von ihm zur Erfüllung seiner Pflichten als Sachverständiger eingesetzten Mitarbeiter zuzurechnen (vgl. § 278 BGB; vgl. zur Zurechnung auch LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 27.11.2013 - L 11 R 2450/13; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21.06.2017 - L 16 R 476/17 B, beide veröffentlicht in Juris).
Die Verhängung von Ordnungsgeld ist daher auch unter Berücksichtigung des Vortrags im Beschwerdeverfahren und bei Unterstellung dessen Richtigkeit dem Grunde nach nicht zu beanstanden.
Allerdings erweist sich die Höhe des verhängten Ordnungsgeldes nicht als rechtmäßig.
Denn der Rahmen für das Ordnungsgeld nach § 409 Abs. 1 Satz 2 ZPO bestimmt sich nach Art. 6 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (EGStGB) und liegt zwischen 5,- Euro und 1.000,- Euro (vgl. Zimmermann, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Auflage 2020, zu § 409 Rn. 7). Es handelt sich hier nicht um ein Ordnungsgeld gemäß § 411 Abs. 2 ZPO wegen Versäumung einer für eine schriftliche Begutachtung gesetzten gerichtlichen Frist, wofür der Gesetzgeber gemäß § 411 Abs. 2 Satz 4 ZPO in der seit 15.10.2016 geltenden Fassung einen Höchstbetrag von 3.000,- Euro vorgesehen hat, um im Interesse effektiven Rechtsschutzes eine Beschleunigung der Erstattung schriftlicher Gutachten zu erzielen mit Blick auf den gegenüber mündlichen Gutachten durchschnittlich deutlich höheren Zeitaufwand (vgl. BT-Drucks. 18/6985, S. 10 und S. 15 zu Nr. 3 <Änderung des § 411 ZPO>).
Daher kommt die Verhängung eines Ordnungsgeldes über 1.000,- Euro nicht in Betracht.
Die Zumessung des Ordnungsgeldes innerhalb des Rahmens unterliegt dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts.
Für die Verhängung von Ordnungsgeld in Höhe des oberen Betragsrahmens ist dabei regelmäßig eine besondere Begründung erforderlich (vgl. Bayerisches LSG, Beschluss vom 06.02.2014 - L 2 R 486/12 B - Juris). Die Möglichkeit gemäß § 409 Abs. 1 Satz 3 ZPO, im Falle wiederholten Ungehorsams das Ordnungsgeld noch einmal festzusetzen, legt ferner nahe, bei einem erstmaligen Verstoß in der Regel einen geringeren Betrag als bei einem erneuten Verstoß festzusetzen.
Mögliche Gesichtspunkte im Rahmen der Ermessensausübung können beispielsweise die Schwere des Pflichtverstoßes (u.a. Grad des Verschuldens, erstmaliger/wiederholter Verstoß), das Verhalten des Sachverständigen im Zusammenhang mit der Rücksendungsaufforderung (z.B. Grad der Mitwirkung), der Umfang der Unterlagen, deren Bedeutung (auch über den konkreten Rechtsstreit hinaus) für das Gericht, für die Beteiligten (u.a. persönliche, sensible Daten) und für Dritte (z.B. beigezogene Akten), wirtschaftliche Verhältnisse des Sachverständigen (soweit bekannt) und bei endgültigem Zurückbehalten zu erwartende Nachteile (z.B. Möglichkeit/ Unmöglichkeit der Rekonstruktion, Aufwand für Gericht, Beteiligte oder Dritte) im Falle der Nichtübersendung sein.
Das vorrangige Ziel der Ordnungsgeldverhängung, nämlich den Sachverständigen entgegen seines bisherigen Verhaltens zur umgehenden Rücksendung der Unterlagen zu veranlassen, gebietet eine Höhe des Ordnungsgeldes, die durchaus einen fühlbaren Nachteil bedeutet und auf diese Weise angemessenen Druck auszuüben vermag.
Zutreffend hat das SG im Rahmen der Ermessensausübung berücksichtigt, dass die Akten sensible Daten und Beweismittel der Klägerin (u.a. ärztliche Unterlagen, Fotos) enthalten haben und dass bei Nichtübersendung ein erheblicher Aufwand für Wiederbeschaffung bzw. Rekonstruktion droht, der übrigens nicht nur das Gericht, sondern auch Klägerin, Beklagte, ZBFS (wegen der Schwerbehindertenakte) und ggf. Dritte (Ärzte, Sachverständige) betreffen würde. Gerade ein endgültiger Verlust der beigezogenen Schwerbehindertenakte kann sich über das konkrete Klageverfahren gegen die DRV hinaus nachteilig für die Klägerin auswirken.
Zu Recht hat das SG ferner zu Lasten des Bf. seine fehlende Kooperation gewertet.
Persönlich hat der Bf. auf die wiederholten Anschreiben des SG nicht geantwortet; nach zweimaliger Erinnerung an die Aktenrücksendung ist am 25.04.2023 von einem Praxismitarbeiter bzw. einer Praxismitarbeiterin lediglich eine bereits erfolgte Aktenrücksendung mitgeteilt worden.
Auf weitere Anschreiben des SG mit Hinweis auf den fehlenden Akteneingang bei Gericht und mit der Bitte um Übersendung eines Belegs für die Aktenrücksendung als einzige Möglichkeit zur Ermittlung des Aktenverbleibs ist keinerlei Reaktion mehr erfolgt. Insbesondere hat der Bf. weder das Einschreiben des Gerichts vom 30.05.2023, ihm zugestellt am 31.05.2023, zum Anlass genommen, selbst schriftlich oder telefonisch Kontakt mit dem SG aufzunehmen, noch die Herausgabeanordnung im Beschluss vom 21.06.2023, die ihm am 22.06.2023 zugestellt worden war. Eine persönliche Kontaktaufnahme mit dem Gericht hätte sich dem Bf. aber aufdrängen müssen, denn spätestens mit Erhalt dieser beiden Schreiben wusste er um aufklärungsbedürftige Diskrepanzen zwischen den Schilderungen seiner Mitarbeiterinnen und den Ausführungen des Gerichts. Dieses Unterlassen der Kontaktaufnahme im Interesse weiterer Aufklärung zum Verbleib der Akten und damit deren Wiedererlangung durch das Gericht hat der Bf. selbst zu vertreten im Sinne eigenen Verschuldens.
Im Übrigen muss sich der Bf., wie dargelegt, ein Verschulden von ihm eingesetzter Praxismitarbeiter zurechnen lassen. Aus dem Vortrag im Beschwerdeverfahren, Praxismitarbeiterinnen hätten dem Gericht wie auch dem Bf. gegenüber falsche Angaben gemacht und entgegen den Weisungen des Bf. die Akten nicht zurückgesandt, lässt sich daher selbst bei unterstellter Richtigkeit der Angaben nicht ableiten, dass den Bf. kein Verschulden trifft. Lediglich ergänzend wird darauf hingewiesen, dass falsche Angaben einer erfolgten Aktenrücksendung der Mitarbeiterinnen dem Bf. gegenüber nicht die - rückblickend offensichtlich unzutreffenden - Ausführungen des Bf. im Telefonat vom 16.08.2023 und im Beschwerdeschriftsatz zu erklären vermögen, wonach seine Mitarbeiterinnen extra eine neue Umverpackung für die Rücksendung der Akten gekauft hätten und er selbst den (nicht existierenden) Beleg für die Aktenrücksendung mittels Einschreibens nach Zustellung gesehen habe.
Vor diesem Hintergrund hält der Senat ein Ordnungsgeld in Höhe von 600,- Euro für angemessen.
Das Verhalten des Bf. nach Erlass des Ordnungsgeldbeschlusses rechtfertigt im Übrigen hier schon deswegen keine weitere Absenkung des Betrags, weil vor der letztlich erfolgreichen praxisinternen Suche nach der Akte zunächst telefonisch und schriftlich gegenüber dem SG über die bloße unzutreffende Behauptung der (nicht erfolgten) Aktenrücksendung hinaus eine derart mit (erfundenen) Details angereicherte Schilderung der Einzelheiten der Rücksendung der Akten sowie der Übersendung eines (nicht existenten) Einlieferungsbelegs an das SG erfolgt war, dass sich das SG dadurch zu weiteren überflüssigen internen Nachforschungen in Registratur und Poststelle nach einem "herrenlosen" Einschreibebeleg veranlasst sah, zumal der Bf. dessen Existenz ausdrücklich mündlich und schriftlich bestätigt hatte. Geschildert worden war nämlich u.a.,
- dass für die Aktenrücksendung extra eine neue, in der Praxis nicht vorrätige Umverpackung gekauft worden sei,
- dass die Akten mittels Einschreibens in Anwesenheit einer weiteren Mitarbeiterin als Zeugin übersandt worden seien,
- dass der Bf. selbst den Rückschein des Einschreibens gesehen habe,
- dass die Praxismitarbeiterin R die Telefonnummer des SG im Internet recherchiert, dort angerufen und mit einem Gerichtsmitarbeiter die Übersendung des Einschreibe-Rückscheins ohne weitere Angaben vereinbart habe,
- dass der Beleg an das SG im einfachen Kuvert ohne weitere Angaben übersandt worden sei sowie
- dass eine SG-Mitarbeiterin wenige Tage später telefonisch den Erhalt dieses Belegs bestätigt und die Erledigung der Angelegenheit für den Bf. bekräftigt habe.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf der analogen Anwendung des § 197a SGG i.V.m. §§ 155 Abs. 1 VwGO und trägt dem anteiligem Erfolg der Beschwerde Rechnung. § 197a SGG findet hier Anwendung, weil der Bf. nicht zu dem kostenprivilegierten Personenkreis des § 183 SGG gehört. Danach sind nur Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, behinderte Menschen oder deren Sonderrechtsnachfolger von Gerichtskosten befreit, wenn sie als Kläger oder Beklagte an einem Rechtsstreit vor den Sozialgerichten beteiligt sind. Der Beschwerdeführer ist als Sachverständiger nicht diesem Personenkreis zuzuordnen (Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Auflage, § 176 Rn. 5).
Eine Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren ist nicht erforderlich. Die Gerichtsgebühr richtet sich nach § 3 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) in Verbindung mit Kostenverzeichnis-Nr.: 7504 und beträgt pauschal 66,- €.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).