L 8 SO 12/21

Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Sozialhilfe
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 7 SO 150/17
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
L 8 SO 12/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 27. Januar 2021 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Der Beklagte hat in beiden Rechtszügen keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob das Sozialgericht den Beklagten zu Recht verurteilt hat, einer Schuld der Klägerin für den Zeitraum von Januar bis Juni 2016 in Höhe von kalendertäglich 55,76 € für Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem §§ 53, 54 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (Sozialhilfe - SGB XII) in der bis zum 31. Dezember 2019 geltenden Fassung (a.F.) beizutreten.

Die am ...1987 geborene Klägerin leidet infolge eines frühkindlichen Hirnschadens an einer schweren geistigen Behinderung und an einer Wirbelsäuleninstabilität. Bei ihr sind seit 1991 ein Grad der Behinderung von 100 sowie die Merkzeichen „G“, „B“ und „H“ anerkannt. Zum Betreuer ist ihr Vater und zur Ersatzbetreuerin ist ihre Mutter bestellt (Beschluss des Amtsgerichts W. vom 28. September 2006, Vormundschaftsgericht - ...... 06). Nachdem sie den Anforderungen im Arbeitsbereich der von der Beigeladenen getragenen Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) nicht gewachsen war, erhält die Klägerin seit dem 1. September 2012 vom örtlichen Sozialhilfeträger, dem B., teilstationäre Eingliederungshilfe in der von der Beigeladenen getragenen Fördergruppe in der WfbM in W. (Leistungstyp [LT]11a). Die Klägerin lebte bis zum 31. Dezember 2015 mit ihren Eltern in T. in einem gemeinsamen Haushalt. Sie erhielt seit Juni 1997 für die von ihren Eltern geleistete Pflege von der Pflegekasse bei der AOK Sachsen-Anhalt ambulante Leistungen als Geldleistung nach der Pflegestufe II, seit April 2003 unter Berücksichtigung einer erheblich eingeschränkten Alltagskompetenz (Wiederholungsgutachten nach Aktenlage vom 29. November 2012).

Ausweislich der unter dem 4. Februar 2014 von der Sozialagentur Sachsen-Anhalt und der Beigeladenen abgeschlossenen Vereinbarung gemäß § 75 Abs. 3 SGB XII wurde für den Zeitraum vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 2014 für die Einrichtungen „A...W.“ mit dem LT ABW eine Vergütung von insgesamt 12,48 €/Leistungstag vereinbart.

Mit Schreiben vom 9. April 2015 beantragte die Beigeladene bei der Sozialagentur Sachsen-Anhalt die Errichtung des „Intensiv ambulant betreuten Wohnens für erwachsene Menschen mit wesentlichen geistigen und geistigen und mehrfachen Behinderungen bis zur Erreichung des Rentenalters, [für] die Leistungsempfänger in einer Fördergruppe gemäß LT 11a“ ab dem 1. Mai 2015 am Standort P.... in W., (derzeit) für zwei schwerstmehrfach behinderte Menschen. Dem Antrag waren für die beiden in Betracht kommenden Leistungsempfänger jeweils identische Leistungsbeschreibungen „im Einzelfall“ beigefügt. Nachfolgend wurden Verhandlungen zwischen der Sozialagentur Sachsen-Anhalt und der Beigeladenen zur Ausgestaltung des Leistungsangebots, insbesondere des anzusetzenden Personalschlüssels (von der Beigeladenen wurde ein Personalschlüssel von 1:1,62 zugrunde gelegt), und zur Kostenübernahme im Einzelfall gemäß § 75 Abs. 4 SGB XII a.F. bis zum Abschluss einer entsprechenden Vereinbarung für nunmehr drei - hinzugekommen war die Klägerin - am Modellprojekt teilnehmende Leistungsberechtigte geführt.

Am 23. November 2015 beantragte die Mutter der Klägerin beim B.kreis Leistungen der Eingliederungshilfe in Form von intensiv ambulant betreutem Wohnen. Ihre Tochter solle in eine Wohngemeinschaft in W. einziehen und durch den Dienst der Beigeladenen betreut werden. Am 21. Dezember 2015 übersandte der Vater der Klägerin den Formantrag auf Bewilligung von Eingliederungshilfe für behinderte Menschen für die Zeit ab dem 1. Januar 2016 im intensiv ambulant betreuten Wohnen sowie den von den Eltern der Klägerin unter dem 11. Dezember 2015 unterzeichneten Mietvertrag zwischen der Beigeladenen und der Klägerin über ein Zimmer sowie ein Bad/WC mit einer Gesamtwohnfläche von 28,05 qm und der Nutzungsmöglichkeit von Gemeinschaftsflächen bestehend aus Küche und Flur/Diele (13 qm). Am 3. Februar 2016 übermittelte der Vater der Klägerin den unter dem 1. Januar 2016 von ihm abgeschlossenen „Vertrag über Betreuungsleistungen“ zwischen seiner Tochter, der Klägerin, und der Beigeladenen. Der Vertrag enthält u.a. folgende Regelungen:

§ 1 Vertragsgrundlagen

Grundlage dieses Vertrages ist das Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG).

Der Leistungserbringer hat mit dem zuständigen Träger der Sozialhilfe Vereinbarungen nach §§ 75 ff. SGB XII abgeschlossen. Er ist berechtigt, die Leistungen mit dem örtlich zuständigen Sozialhilfeträger abzurechnen.

Der Rahmenvertrag gemäß § 79 SGB XII für das Land Sachsen-Anhalt, sowie die auf dieser Grundlage abgeschlossenen Vergütungsvereinbarungen finden Anwendung.

§ 2 Leistungsumfang

Der Leistungserbringer erbringt Leistungen gemäß der abgeschlossenen Vereinbarung nach §§ 75 ff. SGB XII.

Grundlage der Leistungen ist die Leistungsbeschreibung im Sinne §§ 75 ff. SGB XII. Selbige ist Bestandteil dieses Vertrages und als Anlage 1 beigefügt.

Der Leistungserbringer erstellt einen individuellen Hilfeplan auf Grundlage der Leistungsbeschreibung. Die Wünsche des Leistungsnehmers werden dabei so weit wie möglich berücksichtigt.

Leistungen gemäß § 37 SGB V sowie hauswirtschaftliche und/oder pflegerische Leistungen im Sinne des SGB XI sind nicht Bestandteil dieses Vertrages.

§ 3 Vergütung

Das Entgelt für die vereinbarten Leistungen entspricht der abgeschlossenen Vergütungsvereinbarungen gemäß § 1 Abs. 3 dieses Vertrages.

Das Gesamtentgelt beträgt derzeit kalendertäglich: 269,74 €.

[….]

§ 6 Abrechnung und Fälligkeit des Entgeltes

Wird das festgelegte Entgelt nicht durch den örtlich zuständigen Sozialhilfeträger übernommen, so verpflichtet sich der Leistungserbringer, die erbrachten Leistungen bis zum jeweils 15. des Folgemonats gegenüber dem Auftraggeber abzurechnen.

Das Entgelt wird monatlich nach Rechnungslegung bis spätestens zum Ende des Kalendermonats auf das Konto des Unternehmers: […]

gezahlt.

[…]

§ 16 Salvatorische Klausel

Sollten eine oder mehrere Bestimmungen dieses Vertrages ganz oder teilweise unwirksam sein, so wird die Gültigkeit übrigen Bestimmungen nicht berührt. Anstelle der unwirksamen Bestimmungen gelten die gesetzlichen Vorschriften.

Am 4. Februar 2016 übersandte der Vater der Klägerin zudem die - nur von dem Geschäftsführer der Beigeladenen unterzeichnete und mit der zu Beginn der Verhandlungen zum Modellprojekt vorgelegten gleichlautenden - Leistungsbeschreibung „im Einzelfall“ für die Klägerin in der ambulant betreuten Wohngemeinschaft mit Mehrbedarf für erwachsene Menschen mit wesentlichen geistigen und geistigen und mehrfachen Behinderungen, die Leistungsempfänger in einer Fördergruppe gemäß LT 11a seien. Unter 1.1. sind als Zielgruppe genannt:

Erwachsene Menschen mit wesentlichen geistigen und geistigen und mehrfachen Behinderungen im Sinne der §§ 53, 54 SGB XII und der Eingliederungshilfeverordnung (DVO) bis zur Erreichung des Rentenalters,

welche in ambulant betreuten Wohngemeinschaften gemäß § 4 Abs. 2 Wohn- und Teilhabegesetz (WTG LSA) Pflege- und Betreuungsleistungen erhalten,

[…]

die Leistungsempfänger gemäß LT 11a nach Rahmenvertrag § 79 SGBXII sind.

Wegen der Einzelheiten des übersandten Mietvertrages, des Vertrages über Betreuungsleistungen und der Leistungsbeschreibung wird auf Blatt 17 bis 20, 22 bis 24 und Blatt 30 bis 38 der Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.

Ausweislich des von der Mitarbeiterin des B.kreises H. unter dem 1. Februar 2016 gefertigten Aktenvermerks habe am 28. Januar 2016 im häuslichen Bereich der Klägerin - P.  in W. - ein Gespräch stattgefunden, an dem die Klägerin, ihr Betreuer/Vater, eine Betreuungsfachkraft der Beigeladenen sowie zwei weitere Mitarbeiter des B.  teilgenommen hätten. Die Klägerin lebe in einer Wohngemeinschaft mit insgesamt drei Bewohnern der Wohngruppe, die von drei von der Beigeladenen eingestellten Stammkräften tagsüber und in der nächtlichen Zeit von zwei Pflegern vom Pflegedienst  K.-M. W. betreut würden. Aufgrund der Angaben der Klägerin und ihres Betreuers sowie der Beobachtungen und Feststellungen zur Betreuungssituation erfolge die aktuelle Hilfebedarfsfeststellung. Danach sei der LT 2a - Wohnheim für Menschen mit wesentlichen geistigen und geistigen und mehrfachen Behinderungen (Pflegestufe mittlere Pflege) - die notwendige und geeignete Hilfeform, um der Klägerin die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen (Hilfebedarfsfeststellungen vom 1. Februar und 15. März 2016). Der Vater der Klägerin habe um Mitteilung gebeten, wie es mit der Finanzierung der Wohnform weitergehe. Er sei darauf hingewiesen worden, dass er die Klägerin in die Wohnform habe einziehen lassen, ohne dass vorab die entsprechende Finanzierung genehmigt worden sei. Wegen der weiteren Einzelheiten des Aktenvermerks und der Hilfebedarfsfeststellungen wird auf Blatt 42 bis 44 des medizinischen Beiheftes verwiesen.

Mit Bescheid vom 4. April 2016 (Bescheid 1) bewilligte der Burgenlandkreis der Klägerin im Namen des Beklagten Leistungen der Hilfe zur Pflege in Form von Sachleistungen nach § 19 Abs. 3 i.V.m. §§ 61, 65 Abs. 1 S. 2 SGB XII ab dem 11. April 2016 bis zur Bestimmung der Rechtsnatur des Wohnprojekts, längstens bis zum 31. Dezember 2016, und übernahm die Kosten einer besonderen Pflegekraft (hier Pflegefachkraft des Pflegedienstes Mobile Kranken- und Altenpflege Schwester K.-K.- M.). Wegen der Einzelheiten des Bescheides wird auf Blatt 42 f. der Verwaltungsakte Bezug enommen.

Ebenfalls unter dem 4. April 2016 gewährte der B.kreis der Klägerin im Namen des Beklagten für den Zeitraum vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 2016 Leistungen der Eingliederungshilfe in Form von ambulant betreutem Wohnen durch den Dienst der Beigeladenen in Höhe von kalendertäglich 12,48 € (Bescheid 2). Zur Begründung ist u.a. ausgeführt, die Voraussetzungen zur Gewährung von Leistungen der Eingliederungshilfe nach den §§ 53, 54 SGB XII a.F. lägen bei der Klägerin unstrittig vor. Dem Wunsch- und Wahlrecht, die Klägerin in ihrer Häuslichkeit weiter betreuen zu lassen, werde entsprochen. Kosten für die Betreuungsleistungen im ambulant betreuten Wohnen würden nur in Höhe der jeweils vereinbarten Vergütung anerkannt. Derzeit betrage die vereinbarte Vergütung für das ambulant betreute Wohnen der Beigeladenen kalendertäglich 12,48 €. Die vereinbarte Vergütung gelte gemäß § 77 Abs. 2 S. 4 SGB XII a.F. bis zum Inkrafttreten neuer Vergütungen. Dem Bescheid ist zudem der Hinweis angefügt, dass bei der Klägerin ein Hilfebedarf an Betreuung und Pflege bestehe, der einer stationären Betreuung des LT 2a (mittlere Pflege) entspräche. Insofern stehe das Begehren, eine ambulante Betreuung zu erhalten, konträr zum Hilfebedarf. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Blatt 46 der Verwaltungsakte verwiesen.

Am 4. Mai 2016 legte die Klägerin mit anwaltlicher Vertretung Widerspruch gegen die Bescheide vom 4. April 2016 ein. Eine Begründung erfolgte zunächst nicht.

Nachdem die Beigeladene unter dem 29. Juli 2016 eine Verpflichtungserklärung für die drei Modellprojektteilnehmer unter Nennung von Bedingungen vorgelegt hatte, wurde diese von der Sozialagentur unter dem 29. August 2016 als Grundlage für eine Kostenübernahme im Einzelfall als ungeeignet beschieden und um Nachbesserung ersucht. Am 8. September 2016 ging sodann die Verpflichtungserklärung vom „01.07.2015“ der Beigeladenen zur Erbringung der in der Leistungsbeschreibung „Modellprojekt Ambulantes Wohnen für Menschen mit intensiverem Unterstützungsbedarf (MPW) - mit Stand vom 27.06.2016, beschriebenen Leistungen“ für die Teilnehmer, u.a. die Klägerin, beim Burgenlandkreis ein.

Am 9. September 2016 teilte die Sozialagentur dem B.kreis mit, dass ab dem 1. Juli 2016 ein Kostenansatz im Rahmen einer Kostenübernahme im Einzelfall gemäß § 75 Abs. 4 SGB XII a.F. i.H.v. 55,76 €/BT (pro Leistungsberechtigter) ermittelt worden sei. Dieser Kostenansatz diene zunächst der Sicherstellung der Leistungen im Rahmen der Eingliederungshilfe für das Modellprojekt Ambulantes Wohnen für Menschen mit intensiveren Unterstützungsbedarfen (MPW) mit einem Personalschlüssel 1:2,5 zzgl. Assistenzleistungen im Rahmen der Nachtbetreuung bis zum Abschluss einer entsprechenden Vereinbarung.

Mit Bescheid vom 20. September 2016 hob der B.kreis im Namen des Beklagten den Bescheid vom 4. April 2016 über die Gewährung von Leistungen der Eingliederungshilfe in Form des ambulant betreuten Wohnens mit Wirkung ab dem 1. Juli 2016 nach § 48 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - SGB X) auf. Er gewährte der Klägerin für den Zeitraum vom 1. Juli 2016 bis zum 30. Juni 2017 Leistungen der Eingliederungshilfe in Form eines „Ambulant betreuten Wohnens für Menschen mit intensiverem Unterstützungsbedarf“ durch den Dienst der Beigeladenen in Höhe von 55,76 € kalendertäglich (ohne Nachtbetreuung). Der überörtliche Träger der Sozialhilfe des Landes Sachsen-Anhalt habe ab dem 1. Juli 2016 einen Kostensatz im Rahmen einer Kostenübernahme im Einzelfall in Höhe von 55,76 €/kalendertäglich festgesetzt. Damit hätten sich die Verhältnisse, die dem Erlass des Bescheides vom 4. April 2016 zugrunde gelegen hätten, wesentlich geändert. Gemäß § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB X solle der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolge. Dabei werde dem Sozialleistungsträger ein sogenanntes gebundenes Ermessen eingeräumt, d.h. nur bei Vorliegen besonderer atypischer Umstände sei ein Abweichen von der angeordneten Regel zulässig. Das Vorliegen besonderer atypischer Umstände, die ein Abweichen von der Regel rechtfertigten, gehe in diesem Fall aus den Akten nicht hervor und sei auch nicht geltend gemacht worden. Aufgrund der Festsetzung des o.a. Kostensatzes sei der Bescheid vom 4. April 2016 mit Wirkung ab dem 1. Juli 2016 vollumfänglich aufzuheben. Kosten für die Betreuungsleistungen würden ab dem 1. Juli 2016 in Höhe des festgesetzten Kostensatzes im Rahmen einer Kostenübernahme im Einzelfall gemäß § 75 Abs. 4 SGB XII a.F. i.H.v. 55,76 €/kalendertäglich anerkannt. In diesem Kostensatz seien die Assistenzleistungen im Rahmen der Nachtbetreuung nicht enthalten. Insoweit ergehe nach Abschluss der durchgeführten Ermittlungen zum dafür anzusetzenden Kostensatz ein gesonderter Bescheid. Dieser Bescheid werde nach § 86 Sozialgerichtsgesetz (SGG) des anhängigen Widerspruchsverfahrens.

Mit den Bescheiden vom 28. November 2016 hob der B.kreis im Namen des Beklagten den Bescheid vom 4. April 2016 über die Bewilligung von Leistungen der Hilfe zur Pflege in Form von Sachleistungen mit Wirkung ab dem 1. Dezember 2016 voll umfänglich auf und bewilligte einerseits für Dezember 2016 Hilfe zur Pflege in Höhe von monatlich 848,55 € als Kostenübernahme im Einzelfall sowie Hilfe zur Pflege für die Nachtbetreuung als Kostenübernahme im Einzelfall, jeweils durch den Dienst der Beigeladenen. Für die Leistungsgewährung ab dem 1. Januar 2017 ergehe jeweils ein gesonderter Bescheid. Der Beigeladenen teilte sie unter dem 28. November 2016 mit, die Klägerin erhalte für den Zeitraum vom „01.01.2016 bis 31.12.2016“ Hilfe zur Pflege in Form von Sachleistungen in Höhe von monatlich 848,55 € sowie für die Nachtbetreuung in Höhe von 29,06 € - für Dezember 2016 in Höhe von 900,86 € - jeweils als Kostenübernahme im Einzelfall.

Mit dem am 10. Februar 2017 eingegangenen Schriftsatz begründete die anwaltlich vertretene Klägerin die gegen die Bescheide vom 28. November 2016 eingelegten Widersprüche sowie den Widerspruch gegen den Bescheid vom 4. April 2016, mit dem Leistungen der Eingliederungshilfe in Form des ambulant betreuten Wohnens bewilligt worden waren. Die Bewilligung sei auf den Zeitraum ab Antragstellung zu erweitern und auf 55,76 € pro Kalendertag bedarfsgerecht zu erhöhen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 27. September 2017 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 4. April 2016 (Bescheid 2) als unbegründet zurück. Die Beigeladene und der überörtliche Sozialhilfeträger in Sachsen-Anhalt hätten am 14. Februar 2014 eine Vereinbarung gemäß § 75 Abs. 3 SGB XII a.F. für das ambulant betreute Wohnen in Höhe von 12,48 € geschlossen. Eine entsprechende Vereinbarung für das von der Klägerin begehrte intensiv ambulant betreute Wohnen existiere nicht. Sei eine der in § 75 Abs. 3 SGB XII a.F. genannten Vereinbarungen nicht geschlossen, dürfe nach Absatz 4 der Sozialhilfeträger Leistungen nur erbringen, wenn dies nach der Besonderheit des Einzelfalls geboten sei. Hierzu habe der Träger der Einrichtung ein Leistungsangebot vorzulegen, das die Voraussetzungen des § 76 SGB XII a.F. erfülle und sich schriftlich zu verpflichten, Leistungen entsprechend diesem Angebot zu erbringen. Die Voraussetzungen für eine Kostenübernahme im Einzelfall gemäß § 75 Abs. 4 SGB XII a.F. hätten zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides am 4. April 2016 nicht vorgelegen, sodass nur die am 14. Februar 2014 vereinbarten Leistungen für das ambulant betreute Wohnen hätten gewährt werden können. Erst zum Zeitpunkt des Eingangs der Verpflichtungserklärung vom 1. Juli 2015 (eingegangen am 8. September 2016) hätten die Voraussetzungen für die Gewährung einer Kostenübernahme im Einzelfall vorgelegen. Im Rahmen der Ermessensausübung habe der Sozialhilfeträger die Leistungen bereits ab dem 1. Juli 2016 gewährt. Für den Zeitraum vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2016 habe weder eine Vereinbarung gemäß § 75 Abs. 3 SGB XII a.F. für ein intensiv ambulant betreutes Wohnen noch die Voraussetzungen für eine Kostenübernahme im Einzelfall gemäß § 75 Abs. 4 SGB XII a.F. vorgelegen.

Mit der am 27. Oktober 2017 beim Sozialgericht Halle erhobenen Klage hat die - weiterhin anwaltlich vertretene - Klägerin zunächst nur den Bescheid vom 4. April 2016 (Bescheid 2) in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. September 2017 angefochten und die Bewilligung von Leistungen der Eingliederungshilfe in Form des ambulant betreuten Wohnens mit intensiverem Unterstützungsbedarf in Höhe von 55,76 € kalendertäglich für den Zeitraum ab dem 1. Januar 2016 weiterverfolgt. Mit der - nach einer Betreibensaufforderung - am 18. Mai 2018 eingegangenen Klagebegründung hat sie vorgetragen, Kosten seien bereits ab dem 1. Januar 2016 entstanden, sie sei insoweit beschwert und die Kosten für die Betreuung und Pflege seien entsprechend zu übernehmen. Entsprechende Kostenrechnungen würden zeitnah nachgereicht. Auf die Aufforderung des Sozialgerichts, vorzutragen in welchen Monaten welche konkrete Leistung bzw. Vergütung für welche Leistung begehrt werde, hat die Klägerin am 3. Juni 2019 „die gestundeten Rechnungen für den streitbefangenen Zeitraum“ übermittelt. Zwei der Rechnungen datieren vom 1. März 2016, jeweils eine Rechnung trägt das Datum vom 7. und 18. April 2016, vom 20. Mai 2016 und vom 22. Juni 2016. Sie sind jeweils überschrieben mit: Wir stellen Ihnen folgende Betreuungsleistungen in Rechnung: Pos.1: Leistungen der Hilfe zur Pflege nach § 65 Absatz 1 und 2 SGB XII im Sinne eines Assistenzmodells. Sie beziehen sich jeweils auf die monatlichen Zeiträume vom ersten bis zum letzten Tag eines Monats und weisen für jeweils 31,00 Betreuungstage für Januar, März und Mai 2016 jeweils einen Gesamtpreis von 8.361,94 €, für 29,00 Betreuungstage für Februar 2016 einen Gesamtpreis von 7.822,46 € und für jeweils 30,00 Betreuungstage für April und Juni 2016 einen Gesamtpreis von 8.361,94 € aus.

Der Beklagte hat darauf hingewiesen, dass die Regelung im Betreuungsvertrag bezüglich des Entgeltes unwirksam sei, da sie mit den Regelungen der §§ 15 Abs. 2, 16 WBVG nicht in Einklang zu bringen sei.

Die Klägerin hat hierzu repliziert, es sei auf die Möglichkeit der Selbstbeschaffung nach § 15 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - SGB IX - in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung [a.F.]) zu verweisen. Der Beklagte habe bereits weit vor dem Einzug vom Bedarf der Klägerin gewusst. Ein Leistungsangebot und eine entsprechende Verpflichtungserklärung seien nicht zwingend für die Hilfegewährung (Hinweis auf das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts [LSG] vom 28. Juni 2018 - L 8 SO 240/15 -). Wegen des Bedarfsdeckungsgrundsatzes müsse der Sozialhilfeträger auch bei Fehlen des Leistungsangebotes die Vergütung übernehmen, wenn eine anderweitige Deckung des Bedarfs ausgeschlossen sei.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 8. Juli 2020 hat die Klägerin ausweislich der Niederschrift beantragt, den Bescheid vom 4. April 2016 [Bescheid 2] in Gestalt des Bescheides vom 20. September 2016 und des Widerspruchsbescheides vom 27. September 2017 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr Leistungen der Eingliederungshilfe in Form des ambulant betreuten Wohnens mit intensiverem Unterstützungsbedarf in Höhe von 55,76 € kalendertäglich für den Zeitraum Januar bis Juni 2016 zu gewähren. Eine Entscheidung der Kammer ist im Hinblick auf die zum damaligen Zeitpunkt noch ausstehende Beiladung des Leistungserbringers nicht getroffen worden. Zudem ist der Beklagte aufgefordert worden, die Übernahme der Vergütung (erst) ab Juli 2016 zu erläutern, da dies nicht plausibel erscheine.

Die von der Klägerin gegen den Bescheid vom 4. April 2016 (Bescheid 1) in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 2. Oktober 2017 sowie gegen die Bescheide vom 28. November 2016 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 9. Oktober bzw. vom 13. Oktober 2017 auf Bewilligung von Leistungen der Hilfe zur Pflege ab dem 1. Januar 2016 erhobenen Klagen, registriert unter den Aktenzeichen S 7 SO 151/17, S 7 SO 155/17 und S 7 SO 158/17 sind im Termin zur mündlichen Verhandlung am 8. Juli 2020 zum Verfahren S 7 SO 151/17 verbunden worden.

Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 11. August 2020 zunächst darauf hingewiesen, dass die Prozessbevollmächtigte der Klägerin seit Jahren die Beigeladene gegenüber ihm - dem Beklagten - vertrete und gleichzeitig für verschiedene Leistungsberechtigte höhere Leistungen fordere, welche die Beigeladene in der Vergangenheit erbracht haben soll, ohne dass dafür die Voraussetzungen vorgelegen hätten. Somit dürfe die Prozessbevollmächtigte „befangen sein“. Ferner hat sie auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis verwiesen, wonach der Sozialhilfeträger zur Vergütung von Leistungen nur verpflichtet sei, wenn mit dem Träger einer Einrichtung eine Vergütungsvereinbarung bestehe (BSG, Urteile vom 25. September und vom 18. November 2014 - B 8 SO 8/13 R und 8 SO 23/13 R -) und ihre Ausführungen aus dem Widerspruchsbescheid wiederholt. Aufgrund der gewährten Sachleistungen für die Klägerin erschließe sich nicht, woraus sich das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin ergebe und welchen Geldleistungen der Eingliederungshilfe diese ausgesetzt sein solle. Die notwendige Betreuung der Klägerin sei sichergestellt worden. Soweit von der Prozessbevollmächtigten der Klägerin „sogenannte“ Rechnungen vorgelegt worden seien, seien darin Leistungen der Hilfe zur Pflege nach § 65 Abs. 1 und 2 SGB XII im Sinne des Assistenzmodells abgerechnet worden, ohne dass ersichtlich sei, welche Grundpflegeverrichtungen entsprechend den Leistungskomplexen zur ambulanten pflegerischen Versorgung, zu welcher Zeit und in welchem Umfang welche konkreten ergänzenden Betreuungsleistungen mit welchem Personal im Monat für die Klägerin neben den vorrangigen des Pflegedienstes K. u. M. erbracht worden seien. Der im Gutachten des MDK festgestellte Pflege- und Betreuungsbedarf sei mit dem Bescheid des B.kreises vom 4. April 2016 vollumfänglich umgesetzt worden.

Nach der bewirkten Beiladung durch das Sozialgericht mit Beschluss vom 24. August 2020 hat die Beigeladene mit Schriftsatz vom 15. Oktober 2020 darauf hingewiesen, dass keine zeitnahe Hilfebedarfsfeststellung nach Antragstellung im Jahr 2015 erfolgt sei und somit zum Zeitpunkt des Einzuges auch keine Entscheidung vorgelegen habe. Sie - die Beigeladene - bitte darum, den Beklagten zur Zahlung der bewilligten Vergütungssätze aus Dezember 2016 auch für die Monate Januar bis November 2016 in folgenden Höhen

Eingliederungshilfe in Höhe von 55,76 € kalendertäglich

Hilfen zur Pflege gemäß §§ 61, 65 SGB XII in Höhe von 848,55 € monatlich und

Leistungen der Hilfe zur Pflege für die Nachtbetreuung in Höhe von 29,06 € kalendertägig

zu verpflichten.

Nachdem sich die Beteiligten übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt haben, hat das Sozialgericht mit Urteil vom 27. Januar 2021 den Bescheid des B.kreises vom 4. April 2016 [Bescheid 2] in Gestalt des Bescheides vom 20. September 2016 und des Widerspruchsbescheides vom 27. September 2017 geändert und den Beklagten verurteilt, der Schuld der Klägerin für den Zeitraum Januar bis Juni 2016 in Höhe von kalendertäglich 55,76 € beizutreten. Als Rechtsgrundlage für die Bewilligung von Leistungen komme nicht § 15 Abs. 1 S. 3 SGB IX a.F. in Betracht, da diese Regelung nicht für Sozialhilfeträger gelte (§ 15 Abs. 1 S. 5 SGB IX a.F.), sondern § 19 Abs. 3 SGB XII in der ab Januar 2011 geltenden Fassung sowie die §§ 53 ff. SGB XII a.F. Die Klägerin gehöre zum Personenkreis der wesentlich behinderten Menschen und könne nicht ohne Unterstützung allein leben. Die betreute Wohnform ermögliche der Klägerin ein selbstbestimmtes Leben in der eigenen Häuslichkeit. Hier gehe es um die Höhe der Kosten für die in Anspruch genommene Sachleistung der Beigeladenen. Im Dreiecksverhältnis zwischen der Klägerin als Leistungsberechtigter, dem Beklagten als Leistungsträger und der Beigeladenen als Leistungserbringer erbringe der Beklagte die Sachleistung nicht selbst, sondern bediene sich dabei der Leistungserbringer, mit denen Verträge nach den §§ 75 ff. SGB XII abgeschlossen würden, um die Einzelheiten zu regeln. Der Leistungserbringer rechne direkt mit dem Leistungsträger ab. Der Leistungsträger übernehme dabei die dem Leistungserbringer geschuldete Vergütung. Da der Leistungsberechtigte selbst auch zivilrechtlich zur Vergütung verpflichtet sei, handele es sich um einen Schuldbeitritt des Leistungsträgers durch den Bewilligungsbescheid. Die Klägerin und die Beigeladene hätten hier einen privatrechtlichen Vertrag über Betreuungsleistungen im Rahmen einer selbstorganisierten ambulant betreuten Wohngemeinschaft abgeschlossen, der sie zur Zahlung einer Vergütung für die in Anspruch genommenen Leistungen verpflichtet habe. Dieser privatrechtlichen Schuld sei der Beklagte durch den angefochtenen Bescheid beigetreten, indem er der Klägerin Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen bereits ab Januar 2016 bewilligt habe. Die Regelungen im Vertrag über Betreuungsleistungen im Rahmen einer selbstorganisierten ambulant betreuten Wohngemeinschaft seien nicht nach § 15 Abs. 2 WBVG unwirksam, da es sich bei der vereinbarten Leistung gerade nicht um eine Leistung des ambulant betreuten Wohnens gehandelt habe. Zum streitigen Zeitraum hätten für diese Wohnform keine Vereinbarungen bestanden, sodass der privatrechtliche Vertrag nicht wegen einer Abweichung davon hätte unwirksam sein könne. Nach § 75 Abs. 4 S. 1 SGB XII a.F. dürfe der Sozialhilfeträger in den Fällen, in denen eine Vereinbarung nach § 75 Abs. 3 SGB XII nicht abgeschlossen worden sei, Leistungen durch diesen Dienst nur erbringen, wenn dies nach der Besonderheit des Einzelfalls geboten sei. Hier lägen die Voraussetzungen des § 75 Abs. 4 S. 1 SGB XII a.F. nicht erst ab Juli 2016, sondern bereits ab Einzug der Klägerin am 1. Januar 2016 vor. Die Erbringung von Leistungen durch die Beigeladene sei nach der Besonderheit des Einzelfalls geboten gewesen. Da im streitigen Zeitraum auch ein individuelles Leistungsangebot mit Verpflichtungserklärung der Beigeladenen vorgelegen habe, sei der Beklagte verpflichtet, für den streitigen Zeitraum Januar bis Juni 2016 höhere Leistungen zu bewilligen bzw. der Schuld der Klägerin in höherem Umfang beizutreten. Der Beklagte könne sich hier nicht erfolgreich darauf berufen, dass der tatsächlich angefallene Eingliederungshilfebedarf der Klägerin durch die Leistung der Beigeladenen bereits gedeckt worden sei. Diese Sichtweise lasse außer Acht, dass Leistungserbringer die dem Beklagten obliegende Aufgabe nur dann wahrnehmen könnten, wenn sie dafür eine Vergütung erhielten. Die Vergütung des Leistungserbringers korrespondiere mit dem Eingliederungshilfebedarf des Leistungsberechtigten. Die Tatsache, dass der Leistungserbringer den unstreitig vorhandenen (höheren) Eingliederungshilfebedarf tatsächlich auch bereits vor einer entsprechenden Bescheiderteilung gedeckt habe, entbinde den Leistungsträger nicht von der Vergütung dieser Leistung für den Zeitraum ab Kenntnis vom Hilfebedarf, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen dafür vorlägen. Hier habe die Beigeladene bereits im August 2015 eine Leistungsbeschreibung und eine Verpflichtungserklärung für die Klägerin bei dem Beklagten eingereicht. Zum Zeitpunkt des Einzugs der Klägerin in diese Wohnform habe dieses Leistungsangebot mit Verpflichtungserklärung vorgelegen. Zwar habe diese Leistungsbeschreibung nicht dem Endstand der Verhandlungen zur Kostenübernahme im Einzelfall entsprochen, da sich die Beteiligten zunächst nicht über den Personalschlüssel für die Leistung hätten einigen können. Insofern gehe der Leistungserbringer ein hohes finanzielles Risiko ein, wenn eine Sachleistung erbracht werde, deren Vergütung noch nicht geklärt sei. Hier habe bereits vor der erst im Juni 2016 erfolgten Einigung eine Leistungsbeschreibung mit Verpflichtungserklärung vorgelegen. Die Tatsache, dass dies nicht der letzte Verhandlungsstand gewesen sei, entbinde den Beklagten nicht davon, wenigstens den Teil der Leistung zu bezahlen, der der später erfolgten Einigung entspreche.

In dem Streitverfahren S 7 SO 151/17 hat das Sozialgericht mit Urteil vom 27. Januar 2021 die Klagen abgewiesen. Diese seien nicht zulässig, da es jeweils an einer Verwaltungsentscheidung über die Bewilligung von weiteren Leistungen der Hilfe zur Pflege für die geltend gemachten Zeiträume vom 1. Januar bis zum 10. April 2016 bzw. vor Dezember 2016 fehle.

Gegen das ihm am 11. Februar 2021 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 1. März 2021 Berufung eingelegt. Der Urteilsbegründung könne nicht gefolgt werden. Es sei zwar richtig, dass bereits mit Schreiben vom 31. März 2015 ihm - dem Beklagten - eine Leistungsbeschreibung und Verpflichtungserklärung vorgelegt worden seien. Letztlich sei jedoch keine Einigung hierzu erfolgt. § 75 Abs. 5 SGB XII (gemeint ist § 75 Abs. 4 SGB XII a.F.) regele die Übernahme der Vergütung, wenn es an einer Vereinbarung fehle. Diese Ausnahmeregelung gelte nur in besonderen Einzelfällen und sei restriktiv auszulegen (Hinweis auf Lange in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., § 75 SGB XII, RdNr. 98). Während der Verhandlungsphase sei es dem Leistungserbringer untersagt, den Verlauf der Verhandlungen durch den Abschluss präjudizierender individualvertraglicher Regelungen im Erfüllungsverhältnis zu beeinflussen. Die vom Beklagten vorgetragene Argumentation, es sei zu keiner Kostenübernahme im Einzelfall gekommen, weil man sich hinsichtlich der Personalkosten nicht habe einigen können, sei mit dem Urteil nicht entkräftet worden. Es sei auch offengeblieben, ob überhaupt und wenn ja, welche Kosten tatsächlich angefallen seien. Wie hoch die Differenz zwischen den bereits gewährten Kosten und den nun durch das Gericht durch den Schuldbeitritt zugesprochenen Kosten tatsächlich sei, könne nicht ermittelt werden, da nicht bekannt sei, welche Leistungen tatsächlich erbracht worden seien. Lege man die Differenz zwischen dem mit dem Urteil zugesprochenen höchstmöglichen Betrag in Höhe von 55,76 € täglich und dem gewährten Betrag in Höhe von 12,46 € täglich zugrunde, so ergebe sich hieraus ein Betrag in Höhe von etwa 7.800,00 € für den Zeitraum von Januar bis Juni 2016.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 27. Januar 2021 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin, für die sich im Termin zur mündlichen Verhandlung die aus dem Rubrum ersichtliche Prozessbevollmächtigte gemeldet hat, beantragt,

die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 27. Januar 2021 zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für rechtmäßig.

Die Beigeladene hat sich im Berufungsverfahren nicht geäußert.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakten der Beklagten ergänzend verwiesen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung beim Senat gewesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte über die Berufung verhandeln und entscheiden, obwohl die Beigeladene in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten gewesen ist. Hierauf ist sie mit der ihr ausweislich der Postzustellungsurkunde am 11. Oktober 2023 zugestellten Ladung hingewiesen worden (§§ 153 Abs. 1, 126 SGG).

Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet.

Zu Unrecht hat das Sozialgericht den angefochtenen Bescheid geändert und den Beklagten verurteilt, der Schuld der Klägerin für den Zeitraum Januar bis Juni 2016 in Höhe von kalendertäglich 55,76 € beizutreten. Die Klägerin ist durch den angefochtenen Bescheid nicht beschwert i.S. von §§ 153 Abs. 1, 54 Abs. 2 S. 1 SGG. Die Verurteilung zum Schuldbeitritt für den Zeitraum von Januar bis Juni 2016 in Höhe von kalendertäglich 55,76 € ist rechtswidrig und aufzuheben gewesen.

Die anwaltlich vertretene Klägerin hat zuletzt im Termin zur mündlichen Verhandlung beim Sozialgericht am 8. Juli 2020 beantragt, den Bescheid vom 4. April 2016 in Gestalt des Bescheides vom 20. September 2016 und des Widerspruchsbescheides vom 27. September 2017 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr Leistungen der Eingliederungshilfe in Form des ambulant betreuten Wohnens mit intensiverem Unterstützungsbedarf in Höhe von 55,76 € kalendertäglich für den Zeitraum Januar bis Juni 2016 zu gewähren.

Für diesen Klageantrag ist kein Rechtsschutzbedürfnis gegeben, da die Bewilligung von Eingliederungshilfe als weitergehende Sachleistung für einen bereits abgelaufenen Zeitraum nicht mehr umgesetzt werden kann. Der B.kreis hat der Klägerin im Namen des Beklagten für den vorgenannten Zeitraum einerseits teilstationäre Eingliederungshilfe und andererseits Eingliederungshilfe in Form von ambulant betreutem Wohnen - jeweils durch den Dienst der Beigeladenen - bewilligt. Ferner sind ihr Leistungen der Hilfe zur Pflege in Form von Sachleistungen ab dem 11. April 2016 bewilligt worden. Damit sind im streitigen Zeitraum alle Bedarfe der Klägerin, für die der Beklagte im hier streitigen Zeitraum der örtlich und sachlich zuständige Sozialleistungsträger gewesen ist (§ 97 Abs. 2 S. 1 SGB XII i.V.m. §§ 3 Abs. 1 Nrn. 1 und 2, 4 Abs. 1 S. 1 des Gesetzes zur Ausführung des SGB XII [AG SGB XII], § 98 SGB XII [jeweils in der Fassung bis zum 31. Dezember 2019]), von diesem gedeckt worden.

Der Verurteilung des Beklagten durch das Sozialgericht zum Schuldbeitritt liegt kein dementsprechender Antrag der anwaltlich vertretenen Klägerin zugrunde. Der im Verhandlungstermin am 8. Juli 2020 protokollierte Antrag der Klägerin ist eindeutig.

Soweit im Hinblick auf das dem Einwand des Beklagten entgegengehaltene, dem Antrag in der mündlichen Verhandlung vorangegangene Vorbringen der Klägerin, es sei auf die Möglichkeit der Selbstbeschaffung nach § 15 SGB IX a.F. zu verweisen, ein Hilfsantrag auf einen Schuldbeitritt entnommen werden soll - wofür der Senat keine hinreichende prozessuale Grundlage sieht -, besteht dieser Anspruch nicht.

Die Klägerin ist bereits einer durchsetzbaren offenen Forderung der Beigeladenen aufgrund gewährter Leistungen der Eingliederungshilfe in Form von ambulant betreutem Wohnen nicht ausgesetzt. Die von der Klägerin im Klageverfahren vorgelegten Rechnungen beziehen sich auf Leistungen der Hilfe zur Pflege nach § 65 Abs. 1 und 2 SGB XII im Sinne eines Assistenzmodells und nicht auf Leistungen der Eingliederungshilfe. Ein Assistenzmodell ist regelmäßig schon keine Leistungserbringung auf der Grundlage der Vereinbarungen i.S. der §§ 75 ff SGB XII a.F. Die Klägerin hat keine Rechnungen der Beigeladenen aufgrund des mit ihr ab dem 1. Januar 2016 abgeschlossenen Vertrages über Betreuungsleistungen vorgelegt. Sie hat daher schon nicht dargelegt, dass die Beigeladene ihr gegenüber Leistungen aufgrund des ambulant betreuten Wohnens in Rechnung gestellt hat, die nicht bereits von den mit dem Bescheid vom 4. April 2016 in der Gestalt des Bescheides vom 20. September 2016 und des Widerspruchsbescheides vom 27. September 2017 durch den Beklagten bewilligten Leistungen abgedeckt sind.

Eine Rechtsgrundlage für einen Anspruch der Beigeladenen gegenüber der Klägerin auf Zahlung eines kalendertäglichen Gesamtentgeltes von 55,76 € besteht nicht. Das in dem zum 1. Januar 2016 abgeschlossenen Vertrag zwischen der Klägerin und der Beigeladenen über Betreuungsleistungen vereinbarte kalendertägliche Gesamtentgelt i.H.v. 269,74 € entspricht entgegen § 3 Abs. 1 des Vertrages nicht einer abgeschlossenen Vergütungsvereinbarung gemäß § 1 Abs. 3 des Vertrages. Danach finden der Rahmenvertrag gemäß § 79 SGB XII für das Land Sachsen-Anhalt sowie die auf dieser Grundlage abgeschlossenen Vergütungsvereinbarungen Anwendung. Nach der Anlage B gemäß § 4 Abs. 2 zum Rahmenvertrag nach § 79 SGB XII (in der bis zum 31. Dezember 2019 geltenden Fassung) haben Leistungsberechtigte, die - wie die Klägerin - in den LT 2a eingruppiert sind, einen durchschnittlichen Betreuungsbedarf der Stufe 3 für die Teilbereiche Arbeit und Beschäftigung, besondere psychosoziale Hilfen, pflegerische Hilfen, Bildung und Freizeit sowie der Stufe 4 für den Teilbereich lebenspraktische Anleitung. Bei der Klägerin besteht nach der Hilfebedarfsfeststellung vom 1. Februar 2016 demgegenüber für alle Teilbereiche - mit Ausnahme der pflegerischen Hilfen - ein Hilfebedarf der Gruppe 4. Dementsprechend erfordert ihr Hilfebedarf eine stationäre Betreuung und nicht nur eine ambulante Betreuung, worauf bereits im angefochtenen Bescheid vom 4. April 2016 (Bescheid 2) hingewiesen worden ist. Da seit der Zulassung der Beigeladenen als ambulanter Pflegedienst - nach Angaben der Beigeladenen im Erörterungstermin beim Sozialgericht am 4. Juni 2019 seit 2018 - alle teilstationären und ambulanten Leistungen der Eingliederungshilfe sowie Pflegeleistungen durch die Beigeladene erbracht werden und die Klägerin zudem ihren Wohnraum bei der Beigeladenen angemietet hat, liegt inzwischen allerdings ein wesentlicher Unterschied zu einer stationären Wohnform mit entsprechender Betreuung der Klägerin auch nicht mehr vor.

In § 1 Abs. 2 des Betreuungsvertrages ist geregelt, dass der Leistungserbringer mit dem zuständigen Träger der Sozialhilfe Vereinbarungen nach §§ 75 ff. SGB XII abgeschlossen habe und berechtigt sei, die Leistungen mit dem örtlich zuständigen Sozialhilfeträger abzurechnen. Eine mit dem zuständigen Träger der Sozialhilfe getroffene Vereinbarungen hat im hier umstrittenen Zeitraum nur für den LT ABW und eine Vergütung von insgesamt 12,48 €/Leistungstag bestanden und damit weder für das kalendertägliche Gesamtentgelt von 269,74 € noch für 55,76 €/BT.

Schließlich ist - unabhängig von dem von der Klägerin gestellten Antrag - nicht erkennbar, dass sie einem Zahlungsanspruch der Beigeladenen aufgrund geleisteter Hilfe zur Pflege ausgesetzt sein könnte. Im Erörterungstermin beim Sozialgericht am 4. Juli 2019 hat die Mutter der Klägerin erklärt, Rechnungen vom Pflegedienst K. u. M. nicht bekommen zu haben. In welchem Umfang die in den von ihr vorgelegten Rechnungen der Beigeladenen für Leistungen der Hilfe zur Pflege nach § 65 Abs. 1 und 2 SGB XII im Sinne eines Assistenzmodells vom Pflegedienst und den vom Beklagten bewilligten Leistungen der Hilfe zur Pflege in Form von Sachleistungen durch Übernahme der Kosten einer besonderen Pflegekraft mit Bescheid vom 4. April 2016 (Bescheid 1) nicht abgedeckt worden sind, ist nicht näher dargelegt worden. Eine schriftliche Stundungsvereinbarung zwischen der Klägerin und der Beigeladenen ist ebenfalls nicht vorgelegt worden, sodass noch gegebenenfalls offene Beträge auch verjährt sein dürften. Offen geblieben ist auch die Abgrenzung zu Forderungen gegen die Klägerin, die Gegenstand des Verfahrens S 7 SO 151/17 geworden sein sollen.

Soweit das Sozialgericht darauf abgestellt hat, dass dem Beklagten der Bedarf der Klägerin auf ein intensiv ambulant betreutes Wohnen und die entsprechende Leistungserbringung durch die Beigeladene bereits ab Januar 2016 bekannt gewesen sei und deshalb eine Übernahme der Vergütung i.H.v. 55,76 €/BT zum Schutz des Leistungserbringers ebenfalls bereits ab Januar und nicht erst ab Juli 2016 angezeigt gewesen sei, teilt der Senat diese Einschätzung nicht. Denn der Beigeladenen war bekannt, dass die Vorstellungen über das Leistungsangebot insbesondere in Bezug auf den Personalschlüssel noch weit auseinanderlagen. Sie - die Beigeladene - legte zunächst einen Personalschlüssel von 1:1,62 zugrunde; letztendlich wurde ein Personalschlüssel von 1:2,5 für angemessen erachtet. Gleichwohl hat sie die Eltern der Klägerin zum Abschluss des Mietvertrages und des nicht in Einklang mit den §§ 75 ff., 79 SGB XII stehenden Betreuungsvertrages veranlasst und bei diesen eine erhebliche Verunsicherung über die Finanzierung der Betreuung ihrer Tochter, der Klägerin, verursacht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von einer Entscheidung der in § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht.

Rechtskraft
Aus
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