L 17 U 36/21

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 18 U 323/20
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 17 U 36/21
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 17/23 R
Datum
-
Kategorie
Urteil

 

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 04.01.2021 wird zurückgewiesen.

 

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

Tatbestand:

 

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin als Erbin des Versicherten X. Y. (Versicherter) einen Anspruch auf Rente gegen die Beklagte hat. 

 

Die 0000 geborene Klägerin ist die Nichte und Alleinerbin des 0000 geborenen und am 00.00.0000 Versicherten.

 

Im Dezember 2015 teilte die Klägerin der Beklagten mit, der Versicherte sei am 00.00.0000 an den Folgen eines Pleuramesothelioms verstorben. Die Erkrankung sei bisher nicht bei der Berufsgenossenschaft angezeigt worden. Sie sei die Alleinerbin und habe auch die Kosten der Bestattung getragen. 

 

Im Zuge der von der Beklagten daraufhin eingeleiteten Ermittlungen gelangte eine „Ärztliche Anzeige bei Verdacht auf eine Berufskrankheit“ vom 10.12.2015 von L. zu den Akten. Darin heißt es, laut der vorliegenden Todesbescheinigung sei der Versicherte an einem metastasierten Pleuramesotheliom verstorben. Nach Angaben der Klägerin habe der Versicherte von 1951 bis 1961 „am Hochofen“ gearbeitet.

 

Nachdem die Beklagte weitere ärztliche Unterlagen beigezogen hatte, lehnte sie mit Bescheid vom 14.03.2016 die Anerkennung der Berufskrankheit (BK) der Ziffer 4105 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (Durch Asbest verursachtes Mesotheliom des Rippenfells, des Bauchfells oder des Perikards) und die Gewährung von Sterbegeld zunächst ab. Nach weiteren Ermittlungen nahm die Beklagte mit Bescheid vom 06.06.2016 ihren Bescheid vom 14.03.2016 dann zurück und gewährte der Klägerin als Erbin Sterbegeld. Einen Anspruch auf Lebzeitenrente lehnte sie ab. Zur Begründung führte sie aus, dieser Anspruch sei ausgeschlossen, da die Meldung hinsichtlich des Verdachts einer BK erst vier Jahre nach dem Tod des Versicherten erfolgt sei. Nach § 59 Satz 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) würden Ansprüche auf Geldleistungen, wenn sie im Zeitpunkt des Todes des Berechtigten weder festgestellt seien noch ein Verwaltungsverfahren über sie anhängig gewesen sei, erlöschen. Dies sei hier der Fall.

 

Dieser Bescheid wurde nach erfolglos durchgeführtem Widerspruchsverfahren (Widerspruchsbescheid vom 06.10.2016) bestandskräftig.

 

 

Im Oktober 2019 stellte die Klägerin einen Überprüfungsantrag bezüglich der abgelehnten Lebzeitenrente.

 

Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 20.02.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.07.2020 als unbegründet ab.

 

Hiergegen hat die Klägerin am 29.07.2020 vor dem Sozialgericht Köln (SG) Klage erhoben und weiterhin die Auffassung vertreten, ihr stehe als Erbin des Versicherten eine Lebzeitenrente zu. Das Pleuramesotheliom, an dem dieser verstorben sei, sei bereits im April 2010 im Krankenhaus K. festgestellt worden. Die behandelnden Ärzte hätten ihre gesetzlichen Meldepflichten verletzt. Weder dem Versicherten noch ihr seien die notwendigen Informationen erteilt worden. Erst im Dezember 2015, als sie den Versicherten habe einäschern lassen wollen, habe sie durch die Amtsärztin L. Kenntnis erhalten, die dann die „Ärztliche Anzeige bei Verdacht auf eine Berufskrankheit“ erstattet habe.  

 

Die Klägerin hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,

 

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 20.02.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.07.2020 zu verurteilen, den Bescheid vom 06.06.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.10.2016 zurückzunehmen und ihr als Erbin des verstorbenen Versicherten X. Y. eine Lebzeitenrente zu gewähren.

 

Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Sie hat ihre Entscheidung für zutreffend gehalten.

 

Mit Schreiben vom 29.10.2021 sind die Beteiligten zu der Absicht des SG, gemäß § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid zu entscheiden, gehört worden (Zustellung an Klägerin am 31.10.2020).

 

Mit Gerichtsbescheid vom 04.01.2021 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der geltend gemachte Anspruch der Klägerin sei gemäß § 59 Satz 1    SGB I erloschen, da zum Zeitpunkt des Todes des Versicherten eine BK weder festgestellt noch ein Verwaltungsverfahren hierüber anhängig war. Auch ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch bestehe nicht. Sollten die Ärzte ihre Meldepflichten verletzt haben, wäre dies nicht der Beklagten zuzurechnen, da zwischen ihr und den meldepflichtigen Ärzten keine „Funktionseinheit“ bestanden habe. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Gerichtsbescheids Bezug genommen.

 

Gegen den ihr am 05.01.2021 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 22.01.2022 Berufung eingelegt und Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt. Sie meint weiterhin, ihr stehe der geltend gemachte Anspruch zu. Die Beklagte habe falsch gehandelt. Der ihren Onkel behandelnde Chefarzt habe es unterlassen, die gesetzlich verpflichtende Mitteilung über die Erkrankung ihres Onkels, die ihm bereits am 10.04.2010 bekannt gewesen sei, an die Beklagte weiterzuleiten. Diese Ignoranz sei der Beklagten zuzurechnen.

 

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

 

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 04.01.2021 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 20.02.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.07.2020 zu verurteilen, den Bescheid vom 06.06.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.10.2016 zurückzunehmen und ihr als Erbin des verstorbenen Versicherten X. Y. eine Lebzeitenrente zu gewähren.

 

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

 

Mit Beschluss vom 22.11.2021 hat der Senat den PKH-Antrag der Klägerin wegen mangelnder Erfolgsaussicht abgelehnt. Wegen der Begründung wird auf den Inhalt des PKH-Beschlusses Bezug genommen.

 

In einem Termin zur Erörterung des Sachverhalts am 23.03.2022 hat die Berichterstatterin der Klägerin die Rechtslage ausführlich erläutert und diese darauf hingewiesen, dass die Klage keine Aussicht auf Erfolg habe und die Sache rechtlich so eindeutig sei, dass der Senat die Revision nicht zulassen werde. Die Klägerin hat trotzdem auf einer Entscheidung bestanden.

 

Am 24.03.2022 hat sie dann einen Befangenheitsantrag gegen die Berichterstatterin gestellt, der mit Beschluss der übrigen Mitglieder des Senats am 25.05.2022 zurückgewiesen wurde.

 

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (Schriftsatz der Klägerin vom 09.05.2022, Schriftsatz der Beklagten vom 11.04.2022).

 

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen. Dieser ist Gegenstand der Entscheidungsfindung des Senats gewesen.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid ist nicht zu beanstanden. Die Klägerin ist durch den Bescheid der Beklagten vom 20.02.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.07.2020 nicht beschwert, da dieser nicht rechtswidrig ist (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Rücknahme des Bescheides vom 06.06.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.10.2016 und Gewährung einer Lebzeitenrente als Erbin des verstorbenen Versicherten.

 

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen nicht vor. Unabhängig von der vom Sozialgericht zu Recht verneinten Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 06.06.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.10.2016 – auch nach bisheriger Rechtsprechung des Senats kommt in der vorliegenden Konstellation ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch nicht in Betracht (vgl. etwa LSG NRW, Urteil vom 03.12.2008 – L 17 U 46/08 -, juris) - scheitert der geltend gemachte Anspruch der Klägerin auch an der Regelung des § 44 Abs. 4 SGB X. Danach werden Sozialleistungen längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Antragstellung nach § 44 Abs. 1 SGB X erbracht (Satz 1 und 3), wobei der Zeitpunkt der Antragstellung von Beginn des Jahres angerechnet wird, in dem der Antrag gestellt wurde (Satz 2 und 3). Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) hat die Verwaltung schon eine Rücknahmeentscheidung nach § 44 Abs. 1 SGB X nicht mehr zu treffen, wenn die rechtsverbindliche, grundsätzlich zurückzunehmende Entscheidung ausschließlich Leistungen für Zeiten betrifft, die außerhalb der durch den Rücknahmeantrag bestimmten Verfallsfrist liegen (siehe z.B. Urteil des BSG vom 12.10.2016 - B 4 AS 37/15 R - juris Rn. 16 m.w.N.). Die Unanwendbarkeit der "Vollzugsregelung des § 44 Abs. 4 SGB X" steht dann einer isolierten Rücknahme entgegen (BSG Urteil vom 13.02.2014 - B 4 AS 19/13 R - juris Rn. 16; BSG Urteil vom 06.03.1991 - 9b RAr 7/90 - juris Rn. 13). Die Rücknahme steht unter dem Vorbehalt, dass Sozialleistungen nach § 44 Abs. 4 SGB X noch zu erbringen sind (BSG Urteil vom 28.02.2013 - B 8 SO 4/12 R - juris Rn. 10).

 

Da der Antrag der Klägerin nach § 44 Abs. 1 SGB X vom 10.10.2019 datiert, könnten - auch im Falle der Rechtswidrigkeit des bindend gewordenen Bescheides  - allenfalls rückwirkend ab dem  01.01.2015 Leistungen erbracht werden. Ab diesem Zeitpunkt bestand aber nach § 73 Abs. 6 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) kein Anspruch auf eine Lebzeitenrente mehr, da der Versicherte bereits am 00.00.0000 verstorben war.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Die Revision wird nicht zugelassen, da die gemäß § 160 Abs. 2 SGG erforderlichen Voraussetzungen nicht vorliegen.

 

 

Rechtskraft
Aus
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