inhaltliche Anforderungen an den Widerlegungsbescheid zur Mindestmengenprognose; kein Nachschieben von Gründen mehr
I. Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin vom 26.10.2023 vor dem hier erkennenden Sozialgericht Augsburg (S 3 KR 348/23) gegen den Bescheid der Antragsgegnerinnen vom 26.09.2023 wird angeordnet.
II. Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragsgegnerinnen gesamtschuldnerisch.
III. Der Streitwert für das Verfahren im einstweiligen Rechtschutz wird endgültig auf 88.807,16 EUR festgesetzt.
G r ü n d e:
I.
Die Antragstellerin (Ast) begehrt im Rahmen des einstweiligen Rechtschutzes gegen die Antragsgegnerinnen (Ag) die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen deren Bescheid hinsichtlich der Widerlegung einer Mindestmengenprognose.
Die Beteiligten streiten sich im Rahmen der am 26.10.2023 erhobenen Klage über die Rechtmäßigkeit des Bescheides der Ag vom 26.09.2023, mit welchem die Ag zu 1 namens und im Auftrag aller Ag mitteilte, dass für den Leistungsbereich "komplexe Eingriffe am Organsystem Ösophagus" eine berechtigte mengenmäßige Erwartung nicht gegeben sei.
Die Ast ist Trägerin eines zur Behandlung von Versicherten der gesetzlichen
Krankenkassen zugelassenen Krankenhauses. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass in diesem Krankenhaus bislang die in den vergangenen Jahren geltende Mindestmenge für komplexe Eingriffe am Organsystem Ösophagus bei Erwachsenen von 10 eingehalten wurde.
Ab dem Jahr 2024 wurde die Mindestmenge unstreitig ausnahmslos auf die Zahl 26 erhöht, Übergangsregelungen sind ausgelaufen.
Die Ast stellte mit maschineller Datenmeldung vom 07.08.2023 für den
Leistungsbereich der komplexen Eingriffe am Organsystem Ösophagus für Erwachsene die positive Prognose. Sie gab an, dass im Jahr 2022 insgesamt 11 Leistungen und im Zeitraum vom 01.07.2022 bis 30.06.2023 bereits 18 Leistungen erbracht worden seien.
Da die Ag Zweifel an jener seitens der Ast prognostizierten Mindestmenge hatten, führten sie ein schriftliches Anhörungsverfahren durch, woraufhin die Ast mit Schreiben vom 08.08.2023 ergänzend ausführte. Hierin führte die Ast aus, dass zutreffenderweise bei grds. Betrachtung der Größe des Krankenhauses die nötige Menge an Leistungen nicht zu erfüllen sei. Es seien allerdings konkrete Besonderheiten der hiesigen Klinik zu berücksichtigen, die ein Erreichen der Mindestmengen deutlich wahrscheinlich machen ließen und dass wahrscheinlich sogar in 2023 bereits die Menge von 26 erreicht werde. Die Klinik sei im Allgäu der einzige überregionale Versorger, echte Großkliniken seien über zwei Stunden entfernt. Darüber hinaus biete die Klinik eine besondere Versorgung mittels Robotik an, welche einzigartig sei, da sie die Nachbehandlung deutlich verkürze. Es handle sich hier um ein Alleinstellungsmerkmal, zumal die Kliniken in U-Stadt und R-Stadt diese Art der Operationen aufgrund von Personaländerungen einstellen mussten und daher die hiesige Klinik mehr Zulauf erhalte. Aufgrund der neuen innovativen Methode steige die Nachfrage nach diesen Operationen bei der Ast aktuell deutlich an. Man sei daher überzeugt, die Mindestmengen in naher Zukunft erfüllen zu können. Die Ast sei das erste Haus, das seit 2017 die Operationen mittels Robotik durchführe und es bestehe viel Erfahrung in diesem Bereich.
Mit Bescheid vom 26.09.2023 erklärten die Ag gegenüber der Ast, dass für das Jahr 2024 keine positive Prognose bestehe, dass die Mindestmenge von 26 komplexen Eingriffen am Organsystem Ösophagus für Erwachsene erreicht werden könne. Die Leistung dürfe daher ab 01.01.2024 nicht mehr bewirkt werden. Den Ausführungen zu weiteren Umständen hinsichtlich der Erreichung der Mindestmengen habe unter Abwägung aller Umstände nicht gefolgt werden können. Es könne der Darstellung, dass echte Großkliniken nur in ein bis zwei Autostunden zu erreichen seien, nicht gefolgt werden, da im engeren Einzugsbereich wenigstens ein weiteres Krankenhaus diesen Leistungsbereich anbiete. Ebenso trage der Verweis auf die Robotikbehandlung nicht zu einer anderen Einschätzung bei. Denn die Robotik sei kein Alleinstellungsmerkmal, aufgrund dessen eine Erreichung der Mindestmenge erwartbar sei.
Am 26.10.2023 hat die Ast bereits Klage zum Sozialgericht Augsburg erhoben und trägt umfassend nochmals ihren Sachvortrag aus dem Verwaltungsverfahren vor. Darüber hinaus legte die Ast auf Aufforderung des Gerichts eine Liste der bereits in 2023 durchgeführten Operationen durch, wonach bis zur Klageerhebung 19 derartige Operationen durchgeführt waren.
Eine Äußerung der Ag steht im Klageverfahren noch aus.
Am 06.11.2023 hat die Ast außerdem Antrag im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes erhoben und begehrt die aufschiebende Wirkung der Klage.
Die Ast beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin vom 26.10.2023 vor dem hier erkennenden Sozialgericht Augsburg (S 3 KR 348/23) gegen den Bescheid der Antragsgegnerinnen vom 26.09.2023 anzuordnen.
Die Ag beantragen,
den Antrag abzulehnen.
Diese tragen einheitlich über die Ag Ziff. 1 vor.
Diese trägt vor, dass die Ast die erforderliche Anzahl an Operationen von 26 seit 2018 stets deutlich unterschritten habe und legt die konkreten Zahlen dar. Außerdem trage die Ast selbst vor, dass sie grds nicht über das Einzugsgebiet verfüge, um die erforderlichen Mengen zu verfügen, da dieses zwei Millionen Einwohner betragen müsse, das Einzugsgebiet aber nur 500.000 habe. Es gebe in räumlicher Nähe außerdem sehr wohl weitere Kliniken, die die Operation anböten. Sowohl das Klinikum M-Stadt als auch das Klinikum A-Stadt seien zur Leistungserbringung berechtigt, ebenso die Uniklinik U-Stadt. Das Einzugsgebiet reiche daher nicht bis nach M-Stadt. Die Anhebung der Mindestmengen sei aus Gründen der Qualitätssicherung geboten gewesen, um die Versorgung auf wenige Krankenhäuser zu zentralisieren. Der Eingriff sei schließlich gut planbar und nicht zwingend eine wohnortnahe Leistung. Da in 2023 weiterhin bislang lediglich 19 Operationen erbracht worden seien, sei nicht davon auszugehen, dass die Zahl von 26 noch erreicht werde. Außerdem seien diese Angaben nachgeschoben und könnten keine Berücksichtigung finden. Grundlage der Bewertung könnten nur bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens bekannte Umstände sein. Im gesamten Regierungsbezirk seien in 2022 von den drei erbringenden Krankenhäusern in einem Jahr 65 Eingriffe dieser Art erbracht worden, was auf einen geringen Versorgungsbedarf hindeute.
Für den weiteren Sach- und Streitstand wird ergänzend auf die Gerichtsakte verwiesen. Diese war Gegenstand der Entscheidungsfindung.
II.
Der nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erhobene Eilantrag ist zulässig.
Die Klage gegen den Bescheid vom 23.09.2023 hat nicht bereits selbst aufschiebende Wirkung nach § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG. Diese tritt vorliegend nicht ein, da sich die Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt nach § 136b Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) - Widerlegung der Prognose für Mindestmengen - richtet. Gemäß § 136b Abs. 5 S. 11 SGB V haben Klagen gegen die Entscheidungen nach Satz 6 ab der Prognose für das Jahr 2023 keine aufschiebende Wirkung mehr. Ein Vorverfahren war nicht zu führen, vielmehr hat die Ast zulässigerweise unverzüglich und fristgerecht Klage erhoben, § 136b Abs. 5 Sätze 10, 11 SGB V. Die Ast verfolgt ihr Begehren zutreffend mit der Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG). Diese Klage zielt auf die Beseitigung der Widerlegungsentscheidungen der Kassenverbände ab. Denn hierbei handelt es sich um Verwaltungsakte, durch deren Beseitigung die für die Zulässigkeit der Leistungsbewirkung erforderliche Mindestmengenprognose der Krankenhausträgerin wieder auflebt, ohne dass es einer positiven Entscheidung der Kassenverbände oder des Gerichts bedürfte (vgl. BSG, Urteil v. 25.03.2021 - B 1 KR 16/20 R).
In den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen, § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage ist nur möglich, wenn das besondere Interesse des Ast an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung das vom Gesetz vorausgesetzte Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des Verwaltungsaktes überwiegt, wobei bei der Prüfung der Interessen zuerst auf die Erfolgsaussichten in der Hauptsache abzustellen ist. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung muss eine mit gewichtigen Argumenten zu begründende Ausnahme bleiben (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage, § 86b Rn 12c).
Ist der Verwaltungsakt offenbar rechtswidrig und ist der Betroffene dadurch in seinen subjektiven Rechten verletzt, wird ausgesetzt, weil dann ein überwiegendes öffentliches Interesse oder Interesse eines Dritten an der Vollziehung nicht erkennbar ist. Ist die Klage aussichtslos, wird die aufschiebende Wirkung nicht angeordnet. Sind die Erfolgsaussichten nicht in dieser Weise abschätzbar, bleibt eine allgemeine Interessenabwägung, wobei die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens und die Entscheidung des Gesetzgebers in § 39 Nr. 1 SGB II mitberücksichtigt werden (vgl zum Ganzen: Keller aaO Rn 12f; Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 26. Oktober 2017 - L 11 AS 693/17 B ER -, Rn. 15, juris).
Nach § 136b Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB V beschließt der GBA einen Katalog planbarer Leistungen, bei denen die Qualität des Behandlungsergebnisses von der Menge der erbrachten Leistungen abhängig ist, sowie Mindestmengen für die jeweiligen Leistungen und Ausnahmetatbestände. Erreicht ein Krankenhaus die erforderlichen Mindestmengen voraussichtlich nicht, darf es die Leistungen nicht bewirken (Leistungsbewirkungsverbot); für gleichwohl bewirkte Leistungen erhält es keine Vergütung (§ 136b Abs 5 Satz 1 und 2 SGB V). Für die Zulässigkeit der Leistungserbringung muss der Krankenhausträger gegenüber den Kassenverbänden jährlich darlegen, dass die erforderliche Mindestmenge im jeweils nächsten Kalenderjahr auf Grund berechtigter mengenmäßiger Erwartungen voraussichtlich erreicht wird (Prognose, Satz 3). Das Nähere zur Darlegung der Prognose regelt der GBA (Satz 5). Die Kassenverbände können bei begründeten erheblichen Zweifeln an der Richtigkeit die vom Krankenhausträger getroffene Prognose widerlegen (Satz 6).
Die Widerlegung der Prognose nach § 136b Abs 5 Satz 6 SGB V ist eine hoheitliche Regelung mit Außenwirkung iS des § 31 Satz 1 SGB X, mit der verbindlich über den Bestand der Mindestmengenprognose des Krankenhausträgers für das Folgejahr entschieden wird. Der Krankenhausträger und die Kassenverbände stehen sich dabei nicht - wie etwa Krankenhäuser und KKn im Vergütungsverhältnis - gleichgeordnet gegenüber
(BSG, Urteil vom 25. März 2021 - B 1 KR 16/20 R -, BSGE 132, 55-66, SozR 4-2500 § 136b Nr 1, SozR 4-1300 § 24 Nr 9, SozR 4-1500 § 54 Nr 51, Rn. 12).
§ 5 Abs. 5 der Mindestmengenregelung (Mm-R) normiert hierzu konkrete Fristen: "Die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen prüfen die Prognose und teilen dem Krankenhausträger bis zum 7. Oktober des laufenden Kalenderjahres das
Ergebnis der Prüfung mit. Bestehen begründete erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der
übermittelten Prognose, ist die Prognose gemäß § 136b Absatz 5 Satz 6 SGB V durch Bescheid zu widerlegen."
Die notwendige vorherige Anhörung ist vorliegend unstreitig erfolgt.
§ 4 Abs. 2 der Mindestmengenregelung (Mm-R) normiert ergänzend:
"Die voraussichtliche Leistungsentwicklung nach Absatz 1 ist vom Krankenhausträger unter Berücksichtigung
1. der Leistungsmenge gemäß § 3 Absatz 1 des vorausgegangenen Kalenderjahres,
2. der Leistungsmenge gemäß § 3 Absatz 1 in den letzten zwei Quartalen des
vorausgegangenen Kalenderjahres und den ersten zwei Quartalen des laufenden
Kalenderjahres,
3. personeller Veränderungen und
4. struktureller Veränderungen zu begründen.
3Der Krankenhausträger kann weitere Umstände zur Begründung der berechtigten
mengenmäßigen Erwartung heranziehen.
4Ein weiterer Umstand nach Satz 3 ist auch die COVID-19-Pandemie; § 4 Absatz 3 findet insoweit keine Anwendung."
Die Ast hat die konkreten Umstände im Rahmen der Anhörung umfangreich in diesem Zusammenhang wie folgt dargelegt:
- Steigerung der Operationen seit 2022, von Juli 22 bis Juli 23 bereits 18 Operationen
- Zusätzlicher Zulauf an Patienten aufgrund Aufgabe der Operationsmethode in den Krankenhäusern in U-Stadt und R-Stadt
- Einzigartige Robotikmethode als Alleinstellungsmerkmal, vermehrte Anfrage dieser Operation aufgrund von Vorteilen in der Nachbehandlung
- Überregionales Krankenhaus mit großem Einzugsgebiet
- Nachholung von Leistungen aufgrund Covid19
Gemäß § 136b Absatz 5 Satz 6 zweiter Halbsatz SGB V legt der G-BA Regelbeispiele für
begründete erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der vom Krankenhausträger getroffenen
Prognose fest. Begründete erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der vom Krankenhausträger getroffenen Prognose liegen nach § 4 Abs. 4 Satz 2 der Mm-R in der Regel vor, wenn beispielsweise
a) die maßgebliche Mindestmenge im vorausgegangenen Kalenderjahr nach Absatz 2 Satz 2 Nummer 1 nicht erreicht wurde und auch unter Berücksichtigung aller weiteren Kriterien gemäß Absatz 2 Satz 2 bis 4 konkrete, objektive Umstände der Richtigkeit der getroffenen Prognose widersprechen.
b) die maßgebliche Mindestmenge im vorausgegangenen Kalenderjahr nach Absatz 2 Satz 2 Nummer 1 nicht erreicht wurde, sich die vom Krankenhausträger getroffene Prognose ausschließlich auf die erreichte Leistungsmenge im Zeitraum gemäß Absatz 2 Satz 2 Nummer 2 stützt und unter Berücksichtigung aller weiteren Kriterien gemäß Absatz 2 Satz 2 Nummer 3 und 4 und Satz 3 konkrete, objektive Umstände der Richtigkeit der getroffenen Prognose widersprechen.
Der Widerlegungsbescheid der Ag stützt seine Entscheidung maßgeblich darauf, dass in den vergangenen Jahren die Zahl von 26 nötigen Eingriffen nicht erreicht wurde. Allein der Umstand, dass ein Krankenhausträger die erforderliche Mindestmenge in den beiden Vorjahren nicht erreicht hat bzw. voraussichtlich nicht erreichen wird, reicht als Begründung für erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der Prognose für das maßgebliche Kalenderjahr nicht aus (ergänzend: Schleswig-Holsteinisches LSG v. 26.01.2023 - L 10 KR 125/22 B ER - juris Rn. 29).
Die weitere Begründung beruht alleine auf der kurzen Darstellung, dass es nicht zutreffend sei, dass andere Großkliniken mit diesem Angebot mehr als ein bis zwei Stunden entfernt seien, sondern es wird pauschal - ohne jegliche nähere Darlegung - erklärt, dass es eine weitere Klinik gebe. Weder wird die Klinik benannt, noch deren Größe, noch welche Technik dort angeboten wird. Eine tragfähige Einwendung liegt hier nicht vor, die Einwendung verbleibt bei bloßer Pauschalierung.
Auch pauschal wird abgehandelt, dass die Robotiktechnik kein Alleinstellungsmerkmal sei. Die Ag stellen hier keinen konkreten Bezug dar, wo überhaupt die Behandlung mit Robotiktechnik in näherer Umgebung möglich sei. Hier hat die Ast konkret ausgeführt, dass sie Vorreiter seien und andere Krankenhäuser dies nicht anböten. Die Ag geht hierauf überhaupt nicht ein. Es verbleibt eine pauschale Ablehnung, dass dieser Punkt nicht tragfähig sei.
Auch geht die Ag schon überhaupt nicht auf die Darlegung der Ast ein, dass zwei Krankenhäuser im Einzugsgebiet der Ast diese Operationstechnik aufgegeben hätten und daher bei der Ast ein höherer Zulauf zu erwarten ist und bereits besteht. Es fehlt weiter komplett ein Eingehen auf die Darlegung, dass aufgrund von Covid19-Auswirkungen nunmehr mehr Operationen (wieder) durchgeführt werden könnten.
Wenn die Ag damit innerhalb des Bescheides versuchen, die Prognose der Ast zu widerlegen, so muss festgestellt werden, dass die behauptete Abwägung an deutlichen Mängeln leidet, da es an einem Bezug zum konkret vorgetragenen Sachverhalt schlicht mangelt. Die Ast hatte umfangreich und konkret bezogen die Darlegungen erbracht, warum die Mindestmengen erreicht werden würden. Insbesondere hat die Ast darauf hingewiesen, dass die Mengen in den vergangenen beiden Jahren bereits kontinuierlich und vor allem deutlich gesteigert wurden. Es wäre zu erwarten gewesen, dass die Ag hierauf eine konkrete Einschätzung abgeben und die Widerlegung nicht allein darauf stützen, dass die Mengen bislang nicht erreicht wurden. Die Ag verkennen hierbei, dass bislang die Mengen auch nicht erreicht werden mussten und dass eine Prognose eine Auseinandersetzung mit der Entwicklung der Leistungserbringung voraussetzt.
Erst im gerichtlichen Verfahren wurde eine ausführlichere Begründung nachgeschoben und konkret zu den einzelnen von der Ast vorgetragenen Punkten Stellung bezogen. Für dieses "Nachschieben von Gründen" ist es nach Auffassung der Kammer in Anbetracht der fristgebundenen Entscheidungsobliegenheit nach § 5 Abs. 5 Mm-R (bis zum 7. Oktober des laufenden Jahres) im gerichtlichen Verfahren zu spät. Die grundsätzlich vom BSG vertretene Rechtsprechung, wann ein Nachschieben von Gründen möglich sein soll, kann bei einer solchen Art der Entscheidungsobliegenheit nach Auffassung der Kammer nicht greifen. Die Verbände haben gerade die Verpflichtung bis spätestens 07. Oktober alle Zweifel konkret vorzutragen, welche für die Widerlegung der Prognose gelten sollen, in Anbetracht der gravierenden Auswirkungen des Leistungsverbotes ab dem 01.01. des Folgejahres. Würde man den Verbänden die Möglichkeit einräumen, selbst im gerichtlichen Verfahren noch Gründe für die Widerlegung der Prognose nachzuschieben oder die bisherige Begründung zu substantiieren, so würde der Sinn und Zweck der fristgebundenen Entscheidung konterkariert und die Krankenhäuser in eine noch schwächere Position gerückt, als diese aufgrund der kurzen zeitlichen Fristen zur Erreichung einer gerichtlichen Entscheidung ohnehin schon sind.
Die nun von den Ag vorgetragenen Gründe im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens, warum die von der Ast abgegebene Prognose fehlerhaft ist, kann ebensowenig Beachtung finden, wie die tatsächliche Zahl der in diesem Jahr bis zum Tag der gerichtlichen Entscheidung durchgeführten Operationen. In diesem Zusammenhang hatten gerade die Ag sich darauf gestützt, dass diese Angabe aufgrund des späteren Vorbringens keine Beachtung finden könne.
In Anbetracht der gravierenden Auswirkungen des Widerlegungsbescheides war von den Ag eine umfassende und konkrete Befassung mit der sauber dargelegten Prognose der Ast im Rahmen des erlassenen Bescheides zu erwarten gewesen. Hieran mangelt es aus og. Gründen deutlich, die Widerlegung erfolgt in lediglich zwei sehr kurzen Absätzen in pauschaler Weise und nicht einmal unter Betrachtung aller vorgetragenen Argumente.
Vor diesem Hintergrund bestehen ernsthafte Zweifel an der materiellen Rechtmäßigkeit des hier streitbefangenen Widerlegungsbescheids der Krankenkassenverbände.
Bei einer derartigen Konstellation überwiegen regelmäßig die Privatinteressen der Ast an dem Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung und damit im Ergebnis an der vorläufigen Berechtigung zur Erbringung der begehrten Leistung gegenüber dem öffentlichen Interesse der Krankenkassenverbände an der sofortigen Vollziehbarkeit einer Widerlegungsentscheidung nach § 136b Abs 5 Satz 6 SGB V. Anhaltspunkte dafür, dass vorliegend von dieser Regelbetrachtung ausnahmsweise abzuweichen wäre, sind weder ersichtlich noch dargelegt.
Dem Antrag der Ast war hiernach stattzugeben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 1 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2, § 52 Abs 1 sowie § 47 Abs 1 GKG. Dieser errechnet sich nach der geltenden Rechtsprechung des BSG zunächst unter Zugrundelegung des voraussichtlichen Umsatzes mit Erreichen der Mindestmenge, welche sich hier nach Darlegung der Ast 26 Operationen auf 710.457,28 EUR berechnet. Der sich daraus ergebenden wirtschaftlichen Vorteil ist im Einklang mit der Rechtsprechung des BSG auf 25 Prozent des Gesamtumsatzes für das Hauptsacheverfahren zu schätzen (vgl BSG vom 8.8.2013 - B 3 KR 17/12 R - SozR 4-1920 § 52 Nr 11 RdNr 9), mithin auf 177.614,32 Euro. Für das Verfahren im einstweiligen Rechtschutz ist dieser anzunehmende Hauptsachestreitwert entsprechend zu kürzen. Das Gericht sieht hierbei einen Ansatz von 50%, ausgehend von der gängigen Rechtsprechung als angemessen an, woraus sich ein Streitwert für das Eilverfahren in Höhe von 88.807,16 EUR errechnet (vgl. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 8. Januar 2021 - L 26 KR 394/20 B ER -, Rn. 4, juris und ohne nähere Darlegung: Landessozialgericht Hamburg, Beschluss vom 11. August 2020 - L 1 KR 73/20 B ER -, juris). Teils wird sogar ein noch geringer Ansatz gewählt (vgl. Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 26. Januar 2023 - L 10 KR 125/22 B ER -, juris - dort 1/3 vom Hauptsachestreitwert).