L 10 KR 701/22

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 9 KR 679/20
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 10 KR 701/22
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 KR 4/24 R
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 03.11.2021 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten auch des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 112,06 Euro festgesetzt.

 

 

Tatbestand:

 

Der Kläger wendet sich gegen Retaxierungen nach Abrechnung nicht verschreibungspflichtiger Rezepturarzneimittel.

 

Der Kläger betreibt als eingetragener Kaufmann die F.Apotheke in Z.. Jeweils aufgrund ärztlicher Verordnung stellte er in den Jahren 2018 und 2019 patientenindividuell für verschiedene Versicherte der beklagten Krankenkasse

– im Einzelnen: Verordnungen vom 26.02.2018, 07.06.2018, 01.10.2018, 26.04.2018, 21.01.2019, 14.03.2019 und 08.08.2019 (Versicherter jeweils W. Q. J., * 00.00.0000); 20.03.2019 (A. U., * 00.00.0000); 29.04.2019 (C. E., * 00.00.0000); 15.04.2019 (N. X., * 00.00.0000); 31.05.2019 (K. T. O., * 00.00.0000); 03.07.2019 (R. Y., * 00.00.0000); wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die aktenkundigen Kopien der Verordnungen nebst den darauf angebrachten Abrechnungsvermerken Bezug genommen; –

sog. Rezepturarzneimittel ("Zubereitungen") her. Diese enthielten neben weiteren Bestandteilen sämtlich das Fertigarzneimittel Mytosil ®, eine Salbe zur Linderung oberflächlicher Hautentzündungen, sowie daneben teilweise den Stoff Neribas ®, eine kosmetische Fettsalbe.

 

Die Salbe Mytosil ® wurde seinerzeit in Mengen von mindestens 65 g vertrieben, die Salbe Neribas ® in Mengen von mindestens 100 ml. Zur Herstellung der Rezepturarzneimittel benötigte der Kläger allerdings jeweils geringere Mengen. Bei der Abrechnung gegenüber der Beklagten setzte er dennoch immer den Preis für 65 g Mytosil ® bzw. 100 ml Neribas ® an.

 

Die Beklagte beanstandete dieses Vorgehen. Die Einkaufspreise für Mytosil ® bzw. Neribas ® seien nur jeweils entsprechend der tatsächlich verarbeiteten Menge anteilig zu berücksichtigen. Des Weiteren beanstandete die Beklagte, dass der Kläger die Rezepturen nicht in der jeweils preisgünstigsten Kruke abgegeben habe (Schreiben vom 10.04.2019, 25.07.2019 und 12.11.2019).

 

Der Kläger legte jeweils Einspruch gegen die Taxbeanstandungen ein. Zur Begründung machte er geltend, er sei nicht verpflichtet, Reste von benötigten Fertigarzneimitteln aufzubewahren. Er habe für jede Rezeptur eine neue Tube Mytosil ® benutzt und jeweils ein paar Tage vorher beim Großhändler bestellt. Darüber hinaus stünden einem abweichenden Vorgehen erhebliche praktische und rechtliche Gründe entgegen. So besitze eine Apotheke keine Kenntnis über ggf. wiederkehrende Verordnungen und könne daher Anbrüche nicht "auf Verdacht" zurückzulegen.

 

Die Beklagte erkannte die Einsprüche nur teilweise an (Schreiben vom 17.06.2019, 06.09.2019, 18.10.2019 und 10.01.2020) und hielt im Übrigen an ihrer Einschätzung fest. Mytosil ® sei nach Herstellerangaben sechs Monate haltbar, sodass spätere Rezepturen ohne Weiteres aus einer angebrochenen Tube hergestellt werden könnten. Den Anbruch nach Entnahme einer Teilmenge zu verwerfen, sei dagegen in keiner Weise wirtschaftlich. Dementsprechend habe nunmehr zum Teil der Einkaufspreis einer vollen Tube teilweise anerkannt werden können, für die jeweils folgenden sechs Monate dann aber nicht mehr.

 

Die Beanstandungsbeträge setzte die Beklagte jeweils von späteren Rechnungen des Klägers im Juli und November 2019 sowie April 2020 ab.

 

Der Kläger hat am 19.08.2020 Klage zum Sozialgericht Münster erhoben.

 

Er hat vorgetragen, für die Berechnung der Apothekenvergütung sei nicht maßgeblich, welche Packungsgröße die Apotheke tatsächlich eingekauft bzw. verwendet habe. Hierzu enthalte die vorliegend einschlägige Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) grundsätzlich keine Vorschriften. Diese regle allein die Preisberechnung. Weder die AMPreisV noch irgendein anderes Regelwerk schrieben dagegen vor, wie eine Apotheke mit einem angebrochenen Fertigarzneimittel umzugehen habe. Eine Preisberechnung, wie sie die Beklagte vornehme, sehe die AMPreisV nicht vor. Auch bestünden keine entsprechenden Vereinbarungen. Der Vertrag über die Preisbildung für Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen (§§ 4 und 5 der Arzneimittelpreisverordnung) vom 10.09.2009 (im Folgenden: Vertrag zur Hilfstaxe) sehe in Anlage 1 – der eigentlichen Hilfstaxe – für die dort genannten Arzneimittel zwar Basispreise vor. Insoweit sei auch anerkannt, dass die Einkaufpreise ausgehend von den Basispreisen „für die verordnete Menge linear zu errechnen“ seien. Diese Vorgaben der Hilfstaxe seien jedoch abschließend und Mytosil ® wie auch Neribas ® dort nicht gelistet. Gleiches gelte für Anlage 3 des Vertrages, deren Ziff. 3.4 ff. ausdrücklich regelten, wann Anbrüche der dort erfassten Arzneimittel abgerechnet werden könnten. Mytosil ® und Neribas ® fielen aber auch nicht in den Anwendungsbereich der Anlage 3. Anderslautende Absprachen der Vertragsparteien über die Vergütung von Rezepturarzneimitteln existierten nicht. Einschlägig sei (i.V.m. § 11 des nordrhein-westfälische Arzneilieferungsvertrages <ALV> vom 28.06.2011) daher § 5 Abs. 2 AMPreisV. Danach bildeten bei der Zubereitung von Rezepturarzneimitteln die rechnerischen Kosten für die Packung eines benötigten Fertigarzneimittels lediglich einen Faktor der Preisbemessung. Zudem verkenne die Beklagte, dass das Apothekenpreisrecht von einer Mischkalkulation aus der für die Apotheken tendenziell nachteiligen Hilfstaxe und der für sie günstigeren AMPreisV ausgehe. Er habe jeweils die kleinste im Handel verfügbare Packungsgröße eingekauft. Aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot folge nichts anderes, ebenso nicht daraus, dass die im Streit stehenden Arzneimittel häufig verordnet würden. Insoweit verkenne die Beklagte, dass das Arzneimittelrecht einen einheitlichen Apothekenabgabepreis gewährleisten wolle. Wenn die Preisberechnung bei Rezepturarzneimitteln aber u.a. von der Häufigkeit entsprechender Verordnungen abhänge, könne dieselbe Rezeptur von Apotheke zu Apotheke unterschiedlich viel kosten. Apotheken hätten in aller Regel auch keine Kenntnis, ob eine Rezeptur häufig oder gar wiederkehrend verordnet werde; dies gelte insbesondere bei der allerersten Verordnung. Sie könnten den Anbruch für die Zubereitung verwendeter Fertigarzneimittel deshalb nicht auf Verdacht zurücklegen; sie seien kein Zwischenlager, erst recht nicht kunden- oder kostenträgerbezogen. Darüber hinaus wende die Beklagte ihren vermeintlichen Rechtsstandpunkt auch nicht konsequent an, sondern erkenne mit ihren Beanstandungen teilweise die Einkaufspreise für Mytosil ® und Neribas ® nur anteilig an, teilweise gestehe sie den Einkaufspreis für eine volle Packungsgröße zu, teilweise gar nichts.

 

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 112,06 € nebst Zinsen i.H.v. neun Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 26,27 € seit dem 11.07.2019, aus 35,56 € seit dem 14.11.2019 und aus 50,23 € seit dem 14.04.2020 zu zahlen.

 

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

 

Sie hat geltend gemacht, die Preisberechnung für Rezepturen sei in der Hilfstaxe geregelt. Der Anbruch etwa einer Packung Mytosil ® könne weiterverwendet werden und werde weiterverwendet. Eine Tube Mytosil ® sei sechs Monate haltbar und enthalte 65 g, die für die hier streitbefangenen Rezepturen aber nicht aufgebraucht würden. Weiter werde die Rezeptur häufig verordnet, im Streitzeitraum allein für Versicherte der AOK sechszehnmal. Die Apotheke dürfe nicht dieselbe Packung mehrfach in Rechnung stellen. Sie könne dementsprechend entweder die erste Packung voll abrechnen, bei weiteren Rezepturen bis zum Verbrauch oder Verderb des Anbruchs dann aber nicht mehr, oder aber bei jeder Rezeptur den tatsächlich verwendeten Anteil errechnen. Letztgenanntes biete sich insbesondere an, wenn sie denselben Anbruch für Versicherte verschiedener Krankenkassen verwende. Ihr Vorgehen sei auch nicht willkürlich, denn nicht sie berechne die Rezepturen, sondern die Apotheke. Bezüglich der Beanstandungen zu Neribas ® lägen überdies keine offenen Einsprüche vor.

 

Das Sozialgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 112,06 € nebst Zinsen in beantragter Höhe verurteilt (Urteil vom 03.11.2021). Die Preisbestimmung für Rezepturarzneimittel richte sich u.a. nach § 5 Abs. 2 AMPreisV. Danach sei bei den Apothekeneinkaufspreisen von den für die Zubereitung erforderlichen Mengen an Stoffen und Fertigarzneimitteln auszugehen. Insbesondere sei bei der Verwendung von Fertigarzneimitteln der Einkaufspreis der erforderlichen Packungsgröße maßgeblich. Die Beklagte könne einen anteiligen Basispreis auch nicht aufgrund der Hilfstaxe berechnen, denn die streitgegenständlichen Stoffe Mytosil ® und Neribas ® fänden sich darin nicht. Der Wunsch der Beklagten, die Preisberechnung nicht losgelöst von der tatsächlichen Verwendung vorzunehmen, fuße auf keiner gesetzlichen oder vertraglichen Grundlage. Realitätsfern argumentiere die Beklagte mit der vollständigen Zahlung der ersten abgerechneten Packungseinheit und sehe alle binnen der Haltbarkeit noch weiter hergestellten Rezepturen der eigenen Versicherten als mit abgegolten an. Dabei lasse sie unberücksichtigt, dass keine Apotheke allein ihre Versicherten als Kunden habe. Darüber hinaus sei bei einem Rezepturarzneimittel, das etwa aus einem zwei Monate alten Anbruch hergestellt werde, dessen Haltbarkeit entsprechend reduziert; hier könne es bei längerfristigem Bedarf aufgrund des Ablaufdatums dann zu verfrühten Neuverordnungen kommen. Die Beklagte sei darüber hinaus jeden Beweis dafür schuldig geblieben, dass der Kläger Anbrüche von Mytosil ® und Neribas ® verwahrt und für ihre Versicherten verwendet hätte. Die gesamte Grundlage ihrer Argumentation entlarve sich daher als unbelegte Unterstellung. So wäre genauso denkbar, dass die Beklagte überhaupt keinen Preis zahlen müsse, wenn eine andere Krankenkasse bereits die komplette Abpackung beglichen habe.

 

Gegen das ihr am 23.02.2022 zugestellte Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer vom Senat auf die Nichtzulassungsbeschwerde vom 18.03.2022 zugelassenen (Beschluss vom 28.09.2022 – L 10 KR 206/22 NZB) Berufung.

 

Soweit sie im Klageverfahren noch vertreten hatte, die Apotheken könnten die Einkaufspreise entweder anteilig nach dem Verhältnis der verwendeten zu der in der maßgeblichen Packungsgröße enthaltenen Menge oder aber dergestalt berechnen, dass bei der ersten Zubereitung eine volle Packungsgröße in Ansatz gebracht werden könne, bei allen weiteren Zubereitungen während der Haltbarkeit des Anbruchs dann aber nichts mehr, hat die Beklagte hieran ausdrücklich nicht mehr festgehalten. Maßgeblich sei allein eine anteilige Preisberechnung; insoweit müsse eine einheitliche Handhabung gewährleistet sein. Im Übrigen wiederholt und vertieft die Beklagte ihr Vorbringen aus dem Klageverfahren. § 5 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 AMPreisV stelle auf den Einkaufspreis „der erforderlichen Packungsgröße“ ab, die Verwendung einer neuen Packung könne aber nur erforderlich sein, wenn die Rezeptur nicht aus einem Anbruch hergestellt werden könne. Andernfalls könnten Apotheken entweder Anbrüche ohne weiteres wegwerfen oder weiterverwenden und dieselbe Packung erneut abrechneten. Sie habe dabei nicht behauptet, dass der Kläger Anbrüche verwahrt und weiterverwendet habe; dies sei ihr unbekannt und auch nicht entscheidungserheblich. Der Umstand, dass Mytosil ® und Neribas ® nicht in der Hilfstaxe gelistet seien, habe für die Auslegung des § 5 Abs. 2 AMPreisV keinen Erkenntniswert, denn die AMPreisV sei eine Rechtsverordnung, keine Vereinbarung.

 

In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat die Beklagte ihre Berufung i.H.v. 11,09 € zurückgenommen (betreffend die Beanstandungen zur ersten der streitbefangenen Verordnungen <26.02.2018>), der Kläger die Klage i.H.v. 5,47 € (betreffend die Beanstandungen wegen der Abgabe der Zubereitungen in nicht den preisgünstigsten Kruken).

 

Die Beklagte beantragt danach noch,

das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 03.11.2021 im Übrigen aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

Der Kläger beantragt,

die Berufung im Übrigen zurückzuweisen.

 

Er verteidigt das angegriffene Urteil. Ergänzend trägt er noch vor: Die AMPreisV und die vertraglichen Regelungen hätten den Zweck, eine verlässliche und einheitliche Preisbildung sicherzustellen, damit eine Vielzahl von Fällen routinemäßig abgewickelt werden könne. Vergütungsregelungen seien daher streng nach ihrem Wortlaut und allenfalls ergänzend ihrem systematischen Zusammenhang auszulegen. Auch könne eine Tube Mytosil ® theoretisch viele Male geöffnet und weitere Teile entnommen werden. Ob dies jedoch sinnvoll sei – wenn z.B. wunde und entzündete Hautfalten im Windelbereich behandelt werden sollen –, sei hingegen höchst zweifelhaft. Das Verfallsdatum (im ungeöffneten Zustand) und die Aufbrauchfrist beim Patienten sagten nichts über die Verwendbarkeit bei der Zubereitung von Rezepturen aus. Das Adjektiv „erforderlich“ in § 5 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 AMPreisV beziehe sich auf die Packungsgröße.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Dieser ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

Die kraft Zulassung durch den Senat statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Recht zur Zahlung der aufgrund der streitbefangenen Retaxierungen einbehaltenen Vergütungsforderungen nebst Zinsen verurteilt.

 

1. Dabei steht das angegriffene Urteil des Sozialgerichts nicht mehr zur Beurteilung des Senats, soweit die Beklagte ihre Berufung in Bezug auf die Beanstandung der allerersten der zunächst streitbefangenen Verordnungen (vom 26.02.2018, Versicherter W. Q. J., i.H.v. 11,09 €) wegen vom Senat geäußerter Zweifel an der Wahrung der Zehnmonatsfrist aus § 17 Abs. 1 ALV  zurückgenommen hat, nachdem der Senat in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen hatte, dass zweifelhaft ist, ob die Beklagte diese Beanstandungen innerhalb der gemäß § 17 Abs. 1 ALV maßgeblichen Zehnmonatsfrist angebracht hat. Im Umfang der Berufungsrücknahme ist das Urteil des Sozialgerichts in Rechtskraft erwachsen (vgl. § 156 Abs. 3 S. 1 SGG). Ebenso unterliegt das angegriffene Urteil nicht mehr der Überprüfung durch den Senat, soweit der Kläger seine Klage in Ansehung der Beanstandungen der Beklagten betreffend die Kruken (i.H.v. 5,47 €) zurückgenommen hat. Insoweit ist es gegenstandslos (§ 202 S. 1 SGG i.V.m. § 269 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 ZPO).

 

2. Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage bestehen nicht. Der Kläger verfolgt sein Begehren, die Beklagte zur Zahlung der aufgrund der Retaxierungen vom 10.04.2019, 25.07.2019 und 12.11.2019 von den Rechnungen vom 11.07.2019, 14.11.2019 und 14.04.2020 einbehaltenen Beträge zu verurteilen, zulässigerweise mit der echten Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG), denn zwischen den Beteiligten besteht ein Gleichordnungsverhältnis (st.Rspr.; vgl. BSG, Urteil vom 22.02.2023 – B 3 KR 7/21 R, Rn. 8, 18, jeweils m.w.N.).

 

Die Beanstandungen, auf die die Beklagte ihre Retaxierungen gestützt hat, unterliegen dabei im Ganzen der Nachprüfung durch den Senat. Die Nachprüfung des Senats ist insbesondere nicht auf die Beanstandungen wegen der Abrechnung des Fertigarzneimittels Mytosil ® beschränkt. Dabei kann dahinstehen, ob, wie die Beklagte meint, die Einsprüche des Klägers sich hierauf beschränkten oder sich auch gegen die Beanstandungen wegen der Preise für die Salbe Neribas ® wandten. Selbst wenn ersteres der Fall gewesen wäre, folgte hieraus nicht, dass die Beanstandungen ansonsten in Bestandskraft erwachsen oder der Kläger sonstwie mit seinen Einwendungen ausgeschlossen wäre. Bestandskraft i.S.d. § 77 SGG kann schon deshalb nicht eintreten, weil die von der Beklagten erklärten Beanstandungen keine Verwaltungsakte sind. Es besteht weder eine gesetzliche Ermächtigung der Krankenkassen zum Erlass von Verwaltungsakten gegenüber freiberuflich tätigen Apothekern noch ein Über-/Unterordnungsverhältnis; das Gesetz sieht vielmehr in § 129 SGB V eine vertragliche Regelung der Beziehungen zwischen Krankenkassen und Apothekern vor (vgl. BSG, Urteil vom 03.08.2006 – B 3 KR 7/05 R, juris Rn. 10 m.w.N., dort zu Rezeptkürzungen). Dass der Kläger mit Einwendungen, die er nicht bereits mit seinen Einsprüchen gegen die Retaxierungen geltend gemacht hat, im gerichtlichen Verfahren ausgeschlossen wäre, ergibt sich auch nicht aus dem maßgeblichen Rahmen- oder Landesvertrag. Der Rahmenvertrag enthält insoweit keine Regelung, sondern regelt allein, in welchen Fällen ein bloß unbedeutender Fehler vorliegt und deshalb eine Retaxierung zu unterbleiben hat und welche "Vertragsmaßnahmen" Pflichtverletzungen im Übrigen nach sich ziehen (vgl. § 129 Abs. 4 SGB V i.V.m. §§ 6 Abs. 2, 27 des Rahmenvertrages). Dagegen sieht § 17 ALV zwar Regelungen u.a. zu Einsprüchen gegen eine Retaxierung vor. Diese lauten wie folgt:

 

„(4) Einsprüche gegen Beanstandungen können die Apotheken innerhalb von drei Monaten ab Zugang geltend machen.

Sie können auch über den zuständigen Apothekerverband erfolgen.

 

(5) Die Prüfung von Einsprüchen gegen eine ausgesprochene Beanstandung hat innerhalb einer Frist von vier Monaten ab Zugang des Einspruchs bei der Krankenkasse zu erfolgen.

Wird diese Frist ohne Stellungnahme zur Sache überschritten, gelten die Einsprüche als anerkannt.“

 

Danach hat sich der Einspruch nach § 17 Abs. 4 S. 1 ALV zwar „gegen Beanstandungen“ zu richten. Einen Ausschluss nicht bereits mit dem Einspruch geltend gemachter Einwendungen sieht der ALV damit seinem Wortlaut nach aber ebenfalls nicht vor.

 

Etwas anderes ergibt sich auch nicht im Umkehrschluss aus § 17 Abs. 5 S. 2 ALV. Insoweit ist zunächst zu beachten, dass etwaige Einwendungsausschlüsse in ihrem Ausschließungsgehalt hinreichend genau bestimmt sein müssen. Der Betroffene muss zuvor ausreichend Gelegenheit erhalten, sich zur Sache zu äußern und darf erst dann präkludiert werden, wenn er diese Möglichkeit aus von ihm zu vertretenden Gründen versäumt hat, weil er seinen Obliegenheiten nicht nachgekommen ist. An diesen Grundsätzen haben die Gerichte die Auslegung und Anwendung verfahrensrechtlicher Vorschriften auszurichten (vgl. BSG, Urteil vom – B 1 KR 32/20 R, dort zur materiellen Präklusion in Krankenhausabrechnungsstreitigkeiten; vgl. auch BSG, Urteil vom 03.07.2012 – B 1 KR 16/11 R, juris Rn. 15 m.w.N., wonach Ausschlussregelungen, die sich auf Vergütungen für eine Berufstätigkeit beziehen, als Berufsausübungsregelungen an Art. 12 Abs. 1 GG zu messen sind). Gemessen hieran kann auch § 17 Abs. 5 S. 2 ALV keinen Einwendungsausschluss begründen. Denn geregelt ist dort nicht der hier interessierende, sondern gerade der gegenteilige Fall, dass nämlich die Einsprüche gerade als anerkannt gelten, wenn die Krankenkassen die dreimonatige Frist, zum Einspruch Stellung zu nehmen, überschreiten. Dem lässt sich auch nicht entgegenhalten, dass ein Einspruch, wenn er anerkannt werden können soll, sich auf ein konkretes Ziel richten muss. Denn ein solches konkretes Ziel wird, wenn die Apotheke ihren Einspruch nicht eindeutig beschränkt, in aller Regel darin liegen, die angegriffene Retaxierung vollumfänglich zu beseitigen, d.h. eine Vergütung in der abgerechneten Höhe zu erhalten.

 

3. Die Klage ist auch begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte Anspruch auf weitere Vergütungen. Die entsprechenden, den o.g. Rechnungen vom 11.07.2019, 14.11.2019 und 14.04.2020 zugrundeliegenden Vergütungsansprüche (§ 129 Abs. 2 und 5 S. 1 SGB V i.V.m. dem jeweiligen Rahmen- und Landesverträgen; dazu BSG, Urteil vom 28.09.2010 – B 1 KR 3/10 R, juris Rn. 12 f.; Urteil vom 17.12.2009 – B 3 KR 13/08 R, juris Rn. 12 ff.) hat in der Sache keiner der Beteiligten in Zweifel gezogen. Weiterer Überprüfung durch den Senat bedarf es daher nicht. Die entsprechenden Ansprüche sind in der vorliegend noch streitbefangenen Höhe auch nicht durch Aufrechnung erloschen (§ 69 Abs. 1 S. 3 SGB V i.V.m. §§ 389, 387 BGB). Der Beklagten kommen die insoweit zur Aufrechnung gestellten Gegenansprüche nicht zu. Sie hat die – allein noch streitige – Abrechnung des Fertigarzneimittels Mytosil ® wie auch des Stoffes Neribas ® zu Unrecht beanstandet.

 

Die Beklagte geht zu Unrecht davon aus, dass der Kläger bei der Berechnung des Abgabepreises für die streitbefangenen Rezepturen nicht jeweils den Preis für 65 g Mytosil ® bzw. 100 ml Neribas ® als jeweils kleinster erhältlicher Menge hätte ansetzen dürfen, sondern bloß einen Anteil dieses Preises, der der jeweils tatsächlich verbrauchten Menge entspricht. Die Preisberechnung richtet sich dabei in den Einzelheiten nach § 5 Abs. 2 AMPreisV, jedenfalls in analoger Anwendung (dazu a). Danach ist bei der Berechnung der Festzuschüsse auf Rezepturarzneimittel vom Einkaufspreis der üblichen Abpackung eines verwendeten Stoffes bzw. der erforderlichen Packungsgröße verwendeter Fertigarzneimittel auszugehen, selbst wenn bei der Zubereitung des Rezepturarzneimittels der Inhalt der üblichen Abpackung bzw. Packungsgröße nicht vollständig verbraucht wird (dazu b). Aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot folgt nichts anderes (dazu c).

 

a) Die Preisberechnung richtet sich, soweit vorliegend von Belang, nach § 5 Abs. 2 AMPreisV. Dahinstehen kann dabei, ob diese Vorschrift unmittelbare Geltung beansprucht (dazu aa), denn sie findet in Fällen wie dem vorliegenden jedenfalls analoge Anwendung (dazu bb).

 

aa) § 1 Abs. 4 AMPreisV (i.d.F. des GKV-Modernisierungsgesetzes <GMG> vom 14.11.2003, BGBl. I 3190, eingefügt m.W.v. 01.01.2004; dazu auch unten bb) nimmt die Preisspannen und Preise nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel und damit auch die Preise für besondere Leistungen der Apotheken i.S.d. §§ 4 bis 7 AMPreisV (vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 1 AMPreisV) freilich ausdrücklich vom Anwendungsbereich der AMPreisV aus. Solche nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel stehen hier im Streit. Die streitbefangenen Rezepturen enthielten mit der Salbe Mitosyl ® ein zwar apotheken- (§ 43 Abs. 1 AMG), nicht aber verschreibungspflichtiges Arzneimittel (§ 48 AMG). Die Salbe Neribas ® ist schon kein Arzneimittel, sondern bloß ein Stoff (§§ 2, 3 AMG). Die Anwendbarkeit des § 5 Abs. 2 AMPreisV folgt auch nicht bereits aus § 129 Abs. 5a SGB V (ebenfalls i.d.F. des GMG). Danach gilt bei Abgabe eines nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittels bei Abrechnung nach § 300 SGB V ein für die Versicherten maßgeblicher Arzneimittelabgabepreis in Höhe des Abgabepreises des pharmazeutischen Unternehmens zzgl. der Zuschläge nach §§ 2 und 3 AMPreisV in der am 31.12.2003 gültigen Fassung. Erfasst sind damit aber nur die Vorschriften über die Apothekenzuschläge für Fertigarzneimittel und (unveränderte) Stoffe (§ 2 und 3 AMPreisV), nicht aber die hier interessierende Regelung über die Apothekenzuschläge für Rezepturarzneimittel (§ 5 AMPreisV). Ob sich die Anwendbarkeit des § 5 Abs. 2 AMPreisV aus § 9 Abs. 2 S. 1 ALV ergibt, ist ebenfalls zumindest zweifelhaft. Dieser schreibt Folgendes vor:

 

„Für die Preisberechnung der auf Einzel- oder Sprechstundenbedarfsverordnung gelieferten Arzneimittel, die der Apotheker hergestellt bzw. zur Abgabe hergerichtet hat, sind die jeweiligen gesetzlichen Vorschriften anzuwenden.“

 

Dass mit den „jeweiligen gesetzlichen Vorschriften“ auch solche erfasst wären, die – wie vorliegend § 5 Abs. 2 AMPreisV – unmittelbar eben keine Anwendung finden, lässt sich dem aber jedenfalls nicht zweifelsfrei entnehmen.

 

bb) § 5 Abs. 2 AMPreisV ist auf Fälle wie den vorliegenden aber jedenfalls analog anzuwenden. Denn für die Vergütung der Zubereitung von Rezepturarzneimitteln an Kinder von unter zwölf Jahren zu Lasten der GKV besteht ansonsten eine planwidrige Regelungslücke (dazu <1>). Auch entspricht die Interessenlage in derartigen Fällen der unter § 129 Abs. 5a SGB V, § 5 Abs. 2 AMPreisV (dazu <2>).

 

(1) Seit dem 01.01.2004 sind apotheken-, nicht aber verschreibungspflichtige Arzneimittel (sog. Over-the-counter- <OTC-> Arzneimittel) von der arzneimittelrechtlichen Preisbindung ausgenommen (§ 78 Abs. 2 S. 3 AMG, § 1 Abs. 4 AMPreisV, beide eingefügt durch das GMG). Der Gesetzgeber versprach sich davon eine Zunahme des Wettbewerbs und damit tendenziell sinkende Preise (BT-Drs. 15/1525, 166 <dort zu Art. 23 Nr. 5 Buchst. b sowie Art.24 Nr. 1>). Ebenfalls seit dem 01.01.2004 sind solche nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel sozialrechtlich von der Versorgung im Rahmen der GKV grundsätzlich ausgeschlossen (§ 34 Abs. 1 S. 1 SGB V, ebenfalls i.d.F. des GMG). Der Gesetzgeber ging davon aus, es handle sich um Arzneimittel im unteren Preisbereich, so dass die Herausnahme aus der Leistungspflicht der GKV für die einzelnen Versicherten sozial vertretbar sei (BT-Drs. 15/1525, 75, 86; zur Verfassungsmäßigkeit siehe BVerfG, Beschluss vom 12.12.2012 – 1 BvR 69/09, Rn. 12 ff.). Ausnahmsweise sieht das Gesetz die Versorgung mit nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln zu Lasten der GKV jedoch weiterhin vor. Für alle Fälle, in denen diese Arzneimittel ausnahmsweise noch weiterhin in die Leistungspflicht der Krankenkassen fallen, schreibt § 129 Abs. 5a SGB V der Sache nach die entsprechende Geltung der Regeln der AMPreisV vor (Schneider in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl. 2020, § 129 SGB V Rn. 83; vgl. auch BT-Drs. 15/1525, 75: „Die bisher geltende Arzneimittelpreisverordnung gilt für nichtverschreibungspflichtige Arzneimittel, die von den Kassen erstattet werden, fort“, sowie dazu Barth in Spickhoff, MedR, 4. Aufl. 2022, § 129 SGB V Rn. 18: „fiktiv“). Um derartige Ausnahmefälle geht es hier, denn gemäß § 34 Abs. 1 S. 5 Nr. 1 SGB V gilt der Ausschluss nicht für versicherte Kinder bis zum 12. Lebensjahr. Die vorliegend streitbefangenen Rezepturarzneimittel bereitete der Kläger aber jeweils für unter zwölfjährige Kinder zu. Dies ergibt sich aus den zu den Gerichtsakten gereichten ärztlichen Verordnungen, auf denen jeweils das Geburtsdatum der Versicherten vermerkt ist; wegen der Einzelheiten nimmt der Senat auf den Inhalt der Akten Bezug. In derartigen Fällen greift dann flankierend § 129 Abs. 5a SGB V, der einen einheitlichen Arzneimittelabgabepreis weiterhin gewährleisten soll (BT-Drs. 15/1525, 122).

 

Damit besteht eine Regelungslücke mit Blick auf die Preisbildung für die vorliegend interessierenden Rezepturarzneimittel. Denn § 129 Abs. 5a SGB V sieht – wie erwähnt (oben aa) – lediglich einen Arzneimittelabgabepreis in Höhe des Abgabepreises des pharmazeutischen Unternehmens zzgl. der Zuschläge für Fertigarzneimittel und (unveränderte) Stoffe nach §§ 2 und 3 AMPreisV vor, enthält aber keinerlei Regelung für Zubereitungen. Dass der Gesetzgeber eine solche Regelung planvoll unterlassen hätte, ist nicht erkennbar. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass, geschweige denn weshalb der Gesetzgeber davon ausgegangen wäre, mit § 129 Abs. 5a SGB V auch die hier interessierenden Fälle abgedeckt zu haben. Wollte man § 129 Abs. 5a SGB V auch auf Fälle wie den vorliegenden unmittelbar anwenden, beschränkte sich der Arzneimittelabgabepreis vielmehr auf den Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmens, das das bei der Zubereitung verarbeitete Fertigarzneimittel hergestellt hat, ohne irgendwelche Zuschläge o.ä.

 

(2) Die Interessenlage in Fällen wie dem vorliegenden entspricht indes der unter § 129 Abs. 5a SGB V wie auch § 5 Abs. 2 AMPreisV. Ein sachlicher Grund, apothekenpflichtige Fertigarzneimittel, die zu Lasten der GKV abgegeben werden, auf der einen und entsprechende Rezepturarzneimittel auf der anderen Seite unterschiedlich zu behandeln, ist nicht ersichtlich. Für die genannten Fertigarzneimittel hat der Gesetzgeber keinen Anlass gesehen, vom bisherigen Preisrecht abzuweichen, was darin zum Ausdruck kommt, dass er für die von § 129 Abs. 5a SGB V erfassten Fälle die insoweit bis zum 31.12.2003 unmittelbar gültige Rechtslage in der Sache weiterhin für anwendbar erklärte. Die Gesetzesbegründung (BT-Drs. 15/1525, 122) lautet hierzu:

 

„Für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel, die zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung abgegeben werden, wird weiterhin ein einheitlicher Arzneimittelabgabepreis gewährleistet. Die Bestimmung des für die Versicherten maßgeblichen Arzneimittelabgabepreises erfolgt entsprechend der Regelung der bisherigen Arzneimittelpreisverordnung auf der Grundlage eines einheitlichen Abgabepreises des pharmazeutischen Unternehmens. Die Apotheken erhalten auf diesen Preis einen Zuschlag auf den Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmens, auch zur Vergütung von Leistungen des Großhandels.“

 

Dass und ggf. aus welchen Gründen das bis zum 31.12.2003 geltende Preisrecht für Rezepturarzneimittel, die ebenfalls zu Lasten der GKV abgegeben werden, dagegen überholt wäre, ist nicht erkennbar. Vielmehr erfüllte diese Regelung gerade das auch mit § 129 Abs. 5a SGB V verfolgte Ziel, weiterhin einen einheitlichen Arzneimittelabgabepreis zu gewährleisten (BSG, Urteil vom 28.07.2008 – B 1 KR 4/08 R, juris Rn. 21; Starzer in Spickhoff, MedR, 4. Aufl. 2022, § 1 AMPreisV Rn. 2; s. auch § 78 Abs. 2 S. 2 AMG). Aus diesem Grund ist auch nicht erkennbar, dass und ggf. weshalb insoweit andere preisrechtliche Regelungen angezeigt wären als für verschreibungspflichtige Rezepturarzneimittel, für die § 5 AMPreisV weiterhin unmittelbar gilt und die ohne Weiteres zu Lasten der GKV abgegeben werden können.

 

b) § 5 Abs. 2 AMPreisV lässt die von der Beklagten vertretene Auslegung nicht zu. Vielmehr sind Apotheken danach auch dann berechtigt, bei der Preisberechnung den jeweiligen Apothekenpreis der üblichen Abpackung eines für eine Zubereitung benötigten Stoffs (Nr. 1) bzw. der erforderlichen Packungsgröße eines Fertigarzneimittels (Nr. 2) anzusetzen. Dass die Apothekeneinkaufspreise auf die tatsächlich benötigte Menge des Stoffs bzw. des Fertigarzneimittels herunterzurechnen wären, ergibt sich nicht aus § 5 Abs. 2 AMPreisV und ist auch in keiner der maßgeblichen Vereinbarungen vorgesehen.

 

Die AMPreisV unterliegt dabei als Rechtsverordnung (§ 78 Abs. 1 S. 1 AMG) der Auslegung anhand der allgemeinen Auslegungsgrundsätze (vgl. Kment in Jarass/Pieroth, GG, 17. Aufl. 2022, Art. 80 Rn. 14 ff. m.w.N.; zu normenvertraglichen Vergütungsregelungen sogleich unten).

 

aa) Die von der Beklagten vertretene Auslegung steht schon mit dem Wortlaut von § 5 Abs. 2 AMPreisV (i.d.F. des Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 17.07.2009, BGBl. I 1990) nicht in Einklang. Vielmehr ist danach „auszugehen“ von den Apothekeneinkaufspreisen der für die Zubereitung erforderlichen Mengen an Stoffen und Fertigarzneimitteln (Satz 1), wobei „[m]aßgebend“ der Einkaufspreis der üblichen Abpackung (Satz 2 Nr. 1) bzw. grundsätzlich der erforderlichen Packungsgröße (Satz 2 Nr. 2) ist. Das Wort „Maßgebend“ konkretisiert dabei die Ermittlung des Apothekeneinkaufspreises der für die Zubereitung erforderlichen Mengen i.S.d. Satzes 1. Dies lässt die Verordnungsbegründung erkennen (BR-Drs. 265/80, S. 15):

 

„In Absatz 2 ist festgelegt, daß bei der Ermittlung des der Berechnung zugrunde zu legenden Stoff-Einkaufspreises von der ʹüblichenʹ Abpackung auszugehen ist.“

 

Eine Regelung dazu, dass, geschweige denn wie, die Einkaufspreise i.S.d. Satzes 2 weiter auf die nach Satz 1 erforderlichen Mengen herunterzurechnen wären, enthält die Verordnung dagegen nicht. Die Beklagte hingegen blendet § 5 Abs. 2 S. 2 AMPreisV im Ergebnis aus, denn dieser bliebe nach ihrer Rechtsauffassung letztlich ohne Funktion.

 

Weshalb die Verordnungsbegründung allein die Regelung für Stoffe (Nr. 1) erwähnt und nicht auch die Regelung für Fertigarzneimittel (Nr. 2), erschließt sich im Übrigen zwar nicht, nachdem diese im Verordnungsentwurf bereits enthalten war. In jedem Fall bestehen nach dem Wortlaut keinerlei Anhaltspunkte, § 5 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 und 2 AMPreisV unterschiedlich auszulegen. Hintergrund der differenzierten Regelung des Satzes 2 ist im Übrigen, dass bei Stoffen im Unterschied zu Fertigarzneimitteln § 3 Abs. 2 AMPreisV nicht gilt, die Apothekeneinkaufspreise für Stoffe und Fertigarzneimittel also nicht nach denselben Maßstäben bestimmt werden können (Starzer, a.a.O., § 5 AMPreisV Rn. 4).

 

bb) Eine systematische Auslegung ergibt nichts anderes, weder mit Blick auf die Binnensystematik der Verordnung selbst (dazu <1>) noch in Ansehung des weiteren Regelungszusammenhangs, in dem diese steht (dazu <2>).

 

(1) Die Beklagte kann ihre Rechtsauffassung insbesondere nicht auf § 5 Abs. 2 S. 1 AMPreisV stützen, soweit dieser auf die für die Zubereitung erforderlichen Mengen abstellt. Vielmehr hat der Bezug auf die "erforderlichen Mengen" auch dann noch eine Funktion, wenn er sich auf die jeweilige Abpackung bzw. Packungsgröße bezieht. Die Klägerseite – namentlich die für den Apothekerverband I. anwesenden Apothekerinnen – hat hierzu in der mündlichen Verhandlung auf Nachfrage des Senats bestätigt, dass es durchaus vorkomme, dass Fertigarzneimittel oder Stoffe in unterschiedlich großen Abpackungen bzw. Packungen vertrieben werden und die Preise für die größeren Gebinde dabei nicht linear ansteigen müssten, sondern umgerechnet auf das Milligramm bzw. den Milliliter günstiger sein könnten als die für die kleineren. Die Beklagte, die ebenfalls (auch) durch einen Apotheker in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vertreten gewesen ist, ist dem nicht entgegengetreten. Die erforderliche Menge bestimmt in diesem Fällen damit nur, welche von mehreren Abpackungen bzw. Packungsgrößen maßgeblich i.S.d. § 5 Abs. 2 Nr. 2 AMPreisV ist. Im Übrigen bietet die Verordnung keine Anhaltspunkte für eine systematische Auslegung im von der Beklagten geltend gemachten Sinne.

 

(2) Inwieweit für eine systematische Auslegung daneben auch die für das Leistungserbringerrecht der Apotheken bestehenden Vereinbarungen herangezogen werden können, kann der Senat im Ergebnis dahinstehen lassen. Der Kläger stellt insoweit auf die Anlagen 1 und 3 zum Vertrag zur Hilfstaxe ab. Die Beklagte hält diese aufgrund des unterschiedlichen Rechtscharakters für die systematische Auslegung von § 5 Abs. 2 AMPreisV dagegen für unmaßgeblich. Selbst wenn der Vertrag zur Hilfstaxe sowie die Anlagen hierzu bei der systematischen Auslegung zu berücksichtigen wären, begründeten sie aber jedenfalls kein anderes Ergebnis. Insoweit weist der Kläger mit Recht darauf hin, dass insbesondere die Spitzenorganisation der Apotheker und der GKV-Spitzenverband Vereinbarungen auch für Fälle wie den vorliegenden schließen könnten (dazu <a>), dies aber nicht getan haben. Die bestehenden Vereinbarungen, namentlich die Anlagen 1 – Hilfstaxe – (dazu <b>) und 3 (dazu <c>) zum Vertrag zur Hilfstaxe sind vorliegend aber nicht einschlägig, obwohl insbesondere die genannte Anlage 3 belegt, dass die Vertragsparteien sich der Problematik, unter welchen Voraussetzungen Anbrüche bei der Preisberechnung für Rezepturarzneimitteln Berücksichtigung finden können, jedenfalls im Ausgangspunkt bewusst waren.

 

(a) § 5 Abs. 4 S. 1, Abs. 5 S. 1 AMPreisV (i.d.F. des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes vom 26.03.2007, BGBl. I 378) setzt die Möglichkeit, dass die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker und der GKV-Spitzenverband Vereinbarungen über Apothekeneinkaufspreise sowie über die Höhe des Fest- oder Rezepturzuschlages schließen können, voraus; die Vorgaben des § 5 Abs. 2 AMPreisV werden insoweit ggf. verdrängt. § 129 Abs. 5c S. 1 SGB V (i.d.F. des Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften, a.a.O.) stellt hierzu klar, dass für Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln die insoweit vereinbarten Preise gelten (vgl. BT-Drs. 16/12256, 65 f.; dazu auch nochmals BSG, Urteil vom 28.07.2008, a.a.O. Rn. 21).

 

(b) Die Hilfstaxe (Anlage 1 zum Vertrag über die Hilfstaxe) trägt die Rechtsauffassung der Beklagten nicht. Zwar haben die Beteiligten hierzu übereinstimmend vorgetragen, dass es ständiger Übung entspreche, dass die Einkaufspreise für die darin genannten Arzneimittel ausgehend von den in der Hilfstaxe niedergelegten Basispreisen „für die verordnete Menge linear zu errechnen“ seien. Die Hilfstaxe erfasst aber weder Mytosil ® noch Neribas ®.

 

(c) Anlage 3 – Preisbildung für parenterale Lösungen – zum Vertrag zur Hilfstaxe enthält zwar für die dort erfassten Fälle ausdrückliche Regelungen zur Definition und Abrechenbarkeit des sog. Verwurfs, also derjenigen Inhalte einer Packungseinheit des benötigten Fertigarzneimittels, die für die Zubereitung nicht benötigt wurden (Anl. 3 Teil 1). Diese lauten:

 

„3. Für die Bildung der abrechnungsfähigen Menge gelten folgende Festlegungen:

 

3.1 Die zur Herstellung der verordneten Zubereitung eingesetzten Fertigarzneimittelpackungen (PZN) können aus einer Packungseinheit oder aus mehreren abgeteilten Packungseinheiten bestehen.

 

3.2 Eine Teilmenge ist die zur Herstellung der verordneten Menge aus einer Packungseinheit und/oder aus einer oder mehreren abgeteilten Packungseinheiten entnommene Menge.

 

3.3 Als Anbruch gilt die noch nicht weiterverarbeitete Teilmenge.

 

3.4 Verwurf ist die nicht mehr weiterverarbeitungsfähige Teilmenge. Nicht angebrochene abgeteilte Packungseinheiten sind bis zum Erreichen des Verfalldatums weiterverarbeitungsfähig. Nicht mehr weiterverarbeitungsfähig sind Anbrüche, deren Haltbarkeit überschritten ist oder die aus rechtlichen Gründen nicht in einer anderen Rezeptur verarbeitet werden dürfen. Bei der Beurteilung der Haltbarkeit des Anbruchs des weiterverarbeitungsfähigen Fertigarzneimittels sind die Angaben in der Fachinformation zu berücksichtigen.

 

3.5 Ein Verwurf nach Ziffer 3.4 ist abrechnungsfähig.“

 

Auch die Regelungen der Anlage 3 sind vorliegend aber nicht anwendbar, weil es sich bei den streitbefangenen Rezepturarzneimitteln nicht um parenterale Lösungen handelt. Eine analoge Anwendung dieser Regelungen scheidet schon deshalb aus, weil es sich um eine normenvertragliche Abrechnungsvorschrift handelt. Eine Vergütungsregelung, die für die routinemäßige Abwicklung von zahlreichen Behandlungsfällen vorgesehen ist, kann ihren Zweck aber nur erfüllen, wenn sie allgemein streng nach ihrem Wortlaut sowie den dazu vereinbarten Anwendungsregeln gehandhabt wird und keinen Spielraum für weitere Bewertungen sowie Abwägungen belässt. Demgemäß sind Vergütungsregelungen stets eng nach ihrem Wortlaut und allenfalls ergänzend nach ihrem systematischen Zusammenhang auszulegen; Bewertungen und Bewertungsrelationen bleiben außer Betracht (BSG, Urteil vom 22.02.2023, a.a.O. Rn. 15).

 

cc) Sinn und Zweck der AMPreisV gebieten keine andere Beurteilung. Insbesondere das in der Verordnungsbegründung niedergelegte Ziel der Vereinfachung der Regelungen zur Preisgestaltung u.a. bei Zubereitungen (dazu BR-Drs. 265/80, S. 12) spricht allenfalls gegen den Ansatz der Beklagten. Denn danach wären bei der Preisberechnung neben dem jeweiligen Einkaufspreis für den Stoff bzw. das Fertigarzneimittel zusätzlich noch die jeweils verbrauchte Menge festzustellen und der Einkaufspreis auf diese umzurechnen. In diese Richtung deutet die Verordnungsbegründung auch im Übrigen, wenn sie weiter ausführt:

 

„Bei der Festlegung der Höhe der Zuschläge wurde nicht von einer kostenrechnerisch exakten Betrachtung ausgegangen, da die Apotheke in ihrer Gesamtheit zu sehen ist und die im Bereich der Rezepturen anfallenden Kosten weitgehend bereits durch die Zuschläge bei Fertigarzneimitteln abgedeckt werden. […]“ (BR-Drs., a.a.O. S. 16)

 

Anhaltspunkte dafür, dass dieser Ansatz nur gelten soll, wenn er sich zu Lasten der Apotheken auswirkt und nicht auch in den Fällen, in denen er den Apotheken zugutekommt, enthält die Verordnungsbegründung nicht.

 

c) Aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot (§§ 2 Abs. 1 S. 1, Abs. 4, 12 Abs. 1 SGB V) folgt nichts anderes. Zwar gilt das Wirtschaftlichkeitsgebot ausdrücklich auch für die Leistungserbringer, die unwirtschaftliche Leistungen eben nicht bewirken dürfen (BT-Drs. 11/3480, 50; vgl. auch § 70 Abs. 1 S. 2 SGB V). Dass die eigentliche Leistung – die Abgabe der verordneten Rezepturarzneimittel – als solche unwirtschaftlich gewesen wäre, ist indes nicht ersichtlich. Auch die Beklagte macht dies nicht geltend, sondern rügt lediglich die Preisberechnung des Klägers. Hierfür kann die Beklagte aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot aber nichts weiter herleiten. Vielmehr konkretisieren § 129 Abs. 5 SGB V (zur Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelversorgung als Regelungsziel allgemein des § 129 SGB V auch Axer in Becker/Kingreen, SGB V, 8. Aufl. 2022, § 129 Rn. 6) sowie die durch § 5 Abs. 5 AMPreisV ermöglichten Vereinbarungen das Wirtschaftlichkeitsgebot insoweit (vgl. BSG, Urteil vom 22.02.2023, a.a.O. Rn. 17).

 

3. Der Zinsanspruch folgt aus § 69 Abs. 1 S. 3 SGB V i.V.m. § 288 Abs. 2 BGB. Auch bei dem gesetzlichen Vergütungsanspruch des Klägers aus § 129 SGB V i.V.m. den maßgeblichen Vereinbarungen handelt es sich um ein Rechtsgeschäft i.S.d. § 288 Abs. 2 BGB (zur unionsrechtskonformen – weiten – Auslegung vgl. BSG, Urteil vom 02.07.2013 – B 1 KR 18/12 R, Rn. 48, dort zum Erstattungsanspruch nach § 130a Abs. 1 S. 3 SGB V), an dem ein Verbraucher nicht beteiligt ist.

 

4. Kostenentscheidung und Streitwertfestsetzung folgen aus § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 2, 155 Abs. 2 VwGO bzw. §§ 62 Abs. 2 S. 1, 52 Abs. 3 S. 1, 47 Abs. 1 S. 1 GKG. Der Kläger war an den Kosten auch nicht zu beteiligen, soweit er die Klage in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zurückgenommen hat, weil er insoweit nur zu einem geringen Teil unterlegen ist (§ 155 Abs. 1 S. 3 VwGO). Die Kosten umfassen neben denen des Berufungs- auch die des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, 14. Aufl. 2023, § 145 Rn. 10 m.w.N.).

 

5. Die Revision hat der Senat gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.

 

 

 

Rechtskraft
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