L 1 KR 21/24 KL ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1.
1. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 21/24 KL ER
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

Der Wegfall des Orphan-Drug-Status für ein neues Arzneimittel führt nicht zwingend dazu, dass ein Verfahren der Forderung anwendungsbegleitender Datenerhebungen nach § 35a Abs. 3b SGB V beendet werden muss. 

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Der Streitwert wird auf 2.500.000,-- € festgesetzt.

 

Gründe

I.

Die Antragstellerin, ein pharmazeutisches Unternehmen, begehrt der Sache nach, die Durchführung von Beschlüssen des Antragsgegners zur Forderung einer Anwendungsbegleitenden Datenerhebung und einer Beschränkung der Versorgungsbefugnis des Gemeinsamen Bundesausschusses nach § 35a Abs. 3b Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) einstweilig zu stoppen.

Die Antragstellerin vertreibt das verschreibungspflichtige Evrysdi® mit dem Wirkstoff Risdiplam in Deutschland. Das Arzneimittel ist von der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) am 26. März 2021 als Arzneimittel zur Behandlung eines seltenen Leidens (sog. Orphan Drug) nach der VO (EG) Nr. 141/2000 zugelassen worden. Das zugelassene Anwendungsgebiet lautete zunächst: „Behandlung der 5q-assoziierten spinalen Muskelatrophie (SMA) bei Patienten ab einem Alter von zwei Monaten, mit einer klinisch diagnostizierten SMA Typ I, Typ II oder Typ III oder mit einer bis vier Kopien des SMN2-Gens.“ Bereits zuvor, am 19. Februar 2019 war die „orphan designation“ unter der Nr. EU/3/19/2145 erteilt worden (vgl. Anl. AST 3, https://www.ema.europa.eu/en/medicines/human/EPAR/evrysdi#ema-inpage-item-assessment-history). Die SMA ist eine seltene, fortschreitende neuromuskuläre Erkrankung, die etwa eines von 10.000 Neugeborenen betrifft. Sie ist die häufigste erbliche Erkrankung mit Todesfolge im Säuglingsalter. Bei SMA werden Nervenzellen, die Muskelbewegungen steuern, geschädigt. Dies führt zum fortschreitenden Verlust dieser Zellen. Dadurch leiden die Betroffenen unter zunehmender Muskelschwäche sowie unter Muskelschwund (Muskelatrophie) und Lähmungserscheinungen. Zur Behandlung der SMA sind neben Evrysdi® die Arzneimittel Spinraza® (Wirkstoff Nusinersen) sowie Zolgensma® zugelassen (Wirkstoff Onasemnogen Abeparvovec, ursprünglich „das teuerste Arzneimittel der Welt“). Der Wirkstoff Nusinersen wird als Dauertherapie stationär intrathekal („in den Liquorraum“) durch Lumbalpunktionen in das Rückenmark verabreicht. Der Wirkstoff Onasemnogen Abeparvovec ist eine Gentherapie, die aufgrund der damit verbundenen Risiken ebenfalls nur stationär angewendet wird. Der Wirkstoff Risdiplam wird als Lösung oral eingenommen und kann ambulant eingesetzt werden.

Die Antragstellerin zeigte von Anfang an dem Antragsgegner gemäß § 35a Abs. 1 Satz 16 SGB V unwiderruflich an, dass eine uneingeschränkte Nutzenbewertung für das neue Arzneimittel durchgeführt werden solle.

Mit Beschluss vom 7. Oktober 2021 leitete der Antragsgegner ein Verfahren zur Forderung einer anwendungsbegleitenden Datenerhebung (AbD) gemäß § 35a Abs. 3b SGB V für Evrysdi® ein.

Im Nutzenbewertungsverfahren stellte er mit Beschluss des vom 21. Oktober 2021 in zwei von sechs Patientenpopulationen je einen Anhaltspunkt für einen nicht quantifizierbaren Zusatznutzen fest. Auf dieser Grundlage vereinbarten die Antragstellerin und der Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) den angemessenen Erstattungsbetrag.

Der Antragsgegner beschloss nach Durchführung des Stellungnahmeverfahrens am 21. Juli 2022 (BAnz AT 12.08.2022 B2) die hier streitbefangene AbD

„in Änderung der Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL), Anlage XII – Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nach § 35a SGB V Risdiplam (spinale Muskelatrophie); Forderung einer anwendungsbegleitenden Datenerhebung und von Auswertungen

I. In Anlage XII werden den Angaben zur Nutzenbewertung von Risdiplam gemäß dem Beschluss vom 21. Oktober 2021 nach Nummer 4 folgende Angaben angefügt:

Forderung einer anwendungsbegleitenden Datenerhebung und von Auswertungen nach § 35a Abs. 3b Satz 1 SGBV für den Wirkstoff Risdiplam:

Das zugelassene Anwendungsgebiet gemäß Fachinformation lautet zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des vorliegenden Beschlusses wie folgt:

Evrysdi wird angewendet (….).

Der pharmazeutische Unternehmer hat einen Antrag auf Anwendungsgebietserweiterung gestellt. Nach Anwendungsgebietserweiterung soll das Anwendungsgebiet von Risdiplam wie folgt lauten:

Evrysdi wird angewendet zur Behandlung der 5q-assoziierten spinalen Muskelatrophie (SMA) bei Patienten mit einer klinisch diagnostizierten Typ-1-, Typ-2- oder Typ-3-SMA oder mit einer bis vier Kopien des SMN2-Gens.

Dem Beschluss wird die Anwendung des Wirkstoffs Risdiplam im Rahmen der Behandlung von Patienten gemäß Anwendungsgebietserweiterung zugrunde gelegt.

1. Anforderungen an die anwendungsbegleitende Datenerhebung und von Auswertungen

Die Begründung zur Erforderlichkeit einer anwendungsbegleitenden Datenerhebung für den Wirkstoff Risdiplam zum Zwecke der Nutzenbewertung ergibt sich aus dem verfahrenseinleitenden Beschluss zur Forderung einer anwendungsbegleitenden Datenerhebung vom 7. Oktober 2021 sowie aus der zu erwartenden Anwendungsgebietserweiterung von Risdiplam. Entsprechend weitet der G-BA den Anwendungsbereich des Beschlusses zur Forderung einer anwendungsbegleitenden Datenerhebung und von Auswertungen auch auf Patientinnen und Patienten im Alter von 0 bis 2 Monaten aus.

(….)

1.1 Fragestellung gemäß PICO-Schema

(…..)

1.2 Art und Methodik der Datenerhebung

Unter Berücksichtigung der Fragestellung der anwendungsbegleitenden Datenerhebung und der methodischen Limitationen bei nicht-randomisierten Vergleichen wird für die vorliegende anwendungsbegleitende Datenerhebung folgende Anforderung an das Studiendesign und an die Datenquelle gestellt.

(….)

1.3 Dauer und Umfang der Datenerhebung

  • Beobachtung der motorischen Entwicklung unter Therapie: bis Monat 36

Als Annäherung an die geeignete Fallzahl für die anwendungsbegleitende Datenerhebung wird im Ergebnis einer orientierenden Fallzahlschätzung auf Basis des kombinierten Endpunkts Mortalität/dauerhafte Beatmung folgende Fallzahl angenommen:

  • ca. 125 Patientinnen und Patienten (orientierende Fallzahlschätzung)

1.4 Auswertungen der Daten zum Zweck der Nutzenbewertung

Der pharmazeutische Unternehmer hat dem G-BA folgende Auswertungen vorzulegen:

  • Zwischenanalysen

Es sollen Auswertungen zu 2 Zwischenanalysen vorgelegt werden. Als maßgebliche Zeitpunkte für die Durchführung der Zwischenanalysen gelten die unter Abschnitt 2.3 festgelegten Zeitpunkte.

(…..)

1.5 Anforderungen an die Erstellung des Studienprotokolls und statistischen

Analyseplans

Der pharmazeutische Unternehmer hat vorab der Durchführung der anwendungsbegleitenden Datenerhebung und von Auswertungen ein Studienprotokoll sowie einen statistischen Analyseplan zu erstellen. Hierbei hat er bezüglich der Auswertung der Daten insbesondere folgende Informationen vorab darzulegen:

(….)

2. Vorgaben zur Überprüfung, ob der pharmazeutische Unternehmer seiner Verpflichtung zur Durchführung einer anwendungsbegleitenden Datenerhebung und von Auswertungen nachgekommen ist.

2.1 Vorlage eines Studienprotokolls sowie des statistischen Analyseplans zur Abstimmung mit dem G-BA.

Die vom pharmazeutischen Unternehmer erstellten finalen Entwürfe für ein Studienprotokoll sowie für einen statistischen Analyseplan sind dem G-BA zur Abstimmung bis spätestens 4 Wochen nach Positive Opinion für die Anwendungsgebietserweiterung von Risdiplam für Patientinnen und Patienten im Alter von 0 bis 2 Monaten, frühestens jedoch 5 Monate ab Inkrafttreten des vorliegenden Beschlusses zu übermitteln.

(….)

2.2 Vorlage von Angaben zum Verlauf der Datenerhebung (insbesondere Angaben zum Stand der Rekrutierung)

(…..)

2.3 Vorlage von Zwischenanalysen

Zu folgenden Zeitpunkten nach dem mittels Feststellungsbeschlusses zu definierendem Zeitpunkt des Beginns der anwendungsbegleitenden Datenerhebung sind Zwischenanalysen durchzuführen und entsprechende Auswertungen unter Berücksichtigung der unter Abschnitt 1.4 genannten Anforderungen dem G-BA vorzulegen:

  • 18 Monate nach Beginn der anwendungsbegleitenden Datenerhebung
  • 30 Monate nach Beginn der anwendungsbegleitenden Datenerhebung

3. Frist für die Vorlage von Auswertungen der mit der anwendungsbegleitenden Datenerhebung erhobenen Daten

Für die Durchführung einer erneuten Nutzenbewertung sind die Auswertungen der mit der anwendungsbegleitenden Datenerhebung erhobenen Daten spätestens bis zum 1. August 2026 vorzulegen.

Die Vorlage dieser Auswertungen hat in Form eines Dossiers nach Maßgabe der Bestimmungen in Kapitel 5 § 9 Abs. 1 bis 7 VerfO des G-BA unter Berücksichtigung der Vorgaben dieses Beschlusses nach Kapitel 5 § 58 VerfO des G-BA zu erfolgen.

(….)“

Ebenfalls am 21. Juli 2022 beschloss der Antragsgegner (BAnz AT 17.08.2022 B4), die Versorgungsbefugnis auf solche Leistungserbringer zu beschränken die an der geforderten anwendungsbegleitenden Datenerhebung mitwirken (Beschränkung der Versorgungsbefugnis - BdV):

„Für den Wirkstoff Risdiplam in der Behandlung von:

Patientinnen und Patienten mit einer 5q-assoziierten spinalen Muskelatrophie (SMA) ab einem Alter von 2 Monaten, mit einer klinisch diagnostizierten Typ-1-, Typ-2- oder Typ-3-SMA oder mit einer bis vier Kopien des SMN2-Gens“

wird die Versorgungsbefugnis nach § 35a Abs. 3b Satz 2 SGB V auf solche Leistungserbringer beschränkt, die an der geforderten anwendungsbegleitenden Datenerhebung mitwirken.

Leistungserbringer im Sinne dieses Beschlusses sind an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Ärztinnen und Ärzte, medizinische Versorgungszentren und Einrichtungen nach § 95 SGB V sowie zur Versorgung zugelassene Krankenhäuser nach § 108 SGB V.

Leistungserbringer, die nicht zur Versorgung mit dem Arzneimittel befugt sind, können das Arzneimittel ausnahmsweise zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnen, sofern die Verordnung ausschließlich zum Zweck der Weiterverordnung des Arzneimittels und zur Sicherung des Therapieerfolgs nach vorheriger Abstimmung mit dem versorgungsbefugten

Leistungserbringer erfolgt und der versorgungsbefugte Leistungserbringer weiterhin für die Datenerhebung zuständig ist und dadurch der Zweck der Beschränkung der Versorgungsbefugnis, valide Daten aus der Versorgung der Versicherten mit Arzneimittel zu erhalten, nicht gefährdet wird.

Eine Mitwirkung an der geforderten anwendungsbegleitenden Datenerhebung wird durch die ordnungsgemäße (schriftlich nachgewiesene) Teilnahme des (versorgungsbefugten) Leistungserbringers an einem Indikationsregister, welches die Daten für die geforderte anwendungsbegleitende Datenerhebung auf Basis des bestätigten Studienprotokolls despharmazeutischen Unternehmers erhebt, gewährleistet.“

In Umsetzung der Forderung aus Ziffer 1.5 des Beschlusses zur AbD stellte die Antragstellerin dem Antragsgegner am 5. August 2023 ein Studienprotokoll sowie einen statistischen Analyseplan zur Verfügung.

Am 16. August 2023 erhielt Risdiplam die Zulassung zusätzlich für ein neues Anwendungsgebiet, das als größere Änderung des Typs 2 nach Anhang 2 Nummer 2 Buchstabe a der Verordnung (EG) Nr. 1234/2008 vom 24. November 2008 eingestuft wird. Das neue Anwendungsgebiet lautet:

 „Behandlung der 5q assoziierten spinalen Muskelatrophie (SMA) bei Patienten mit einer klinisch diagnostizierten Typ 1-, Typ 2- oder Typ 3-SMA oder mit einer bis vier Kopien des SMN2-Gens.“

Aufgrund eines Antrages der Antragstellerin vom 18. August 2023 entfernte die EU-Kommission am 4. September 2023 die orphan designation Nr. EU/3/19/2145 aus dem einschlägigen Register (Community Register of designated orphan medicinal products).

Mit E-Mail vom 14. Dezember 2023 teilte der Antragsgegner mit, dass das Verfahren zur AbD (nunmehr) wieder aufgenommen werde. Mit dem nächsten Verfahrensschritt (Feststellungsbeschluss zu dem von der Antragstellerin eingereichten Studienprotokoll und statistischen Analyseplan) sei Anfang Februar 2024 zu rechnen.

Mit Schreiben vom 22. Dezember 2023 forderte diese daraufhin den Antragsgegner auf, den entsprechenden Forderungsbeschluss sowie den Beschluss zur BdV aufzuheben und das Verfahren zur AbD einzustellen. Aufgrund des Wegfalls der Tatbestandsvoraussetzung eines Orphan Drug Status bestehe keine gesetzliche Grundlage mehr für die Fortführung der anwendungsbegleitenden Datenerhebung. Der Antragsgegner habe diesen Umstand aufgrund seiner Normbeobachtungspflicht zwingend zu beachten.

Am 11. Januar 2024 veröffentlichte der Antragsgegner die Tagesordnung für seine Plenumssitzung am 1. Februar 2024 mit dem Tagesordnungspunkt

„6.1.10 Feststellung im Verfahren einer anwendungsbegleitenden Datenerhebung und von Auswertungen nach § 35a Abs. 3b Satz 10 SGB V: Risdiplam (spinale Muskelatrophie)

Der G-BA hat mit Beschluss vom 21. Juli 2022 eine anwendungsbegleitende Datenerhebung für den Wirkstoff Risdiplam nach § 35a Abs. 3b Satz 1 SGB V gefordert. (….) Der pharmazeutische Unternehmer hat fristgerecht die Entwürfe für ein Studienprotokoll und einen SAP übermittelt. Der G-BA hat diese unter Einbindung des IQWiG geprüft. Das Plenum entscheidet, ob die im Beschluss zur Forderung einer anwendungsbegleitenden Datenerhebung und von Auswertungen festgelegten Anforderungen im Studienprotokoll und statistischen Analyseplan umgesetzt werden.“

Die Antragstellerin hat darauf beim hiesigen Gericht am 19. Januar 2024 den hier streitgegenständlichen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung eingereicht.

Mit Beschluss vom 7. März 2024 hat der Antragsgegner den Nutzenbewertungsbeschluss vom 21. Oktober 2021 um eine Bewertung für das neue Anwendungsgebiet ergänzt. Ein Zusatznutzen ist danach jeweils nicht belegt.

Die Antragstellerin führt zur Begründung ihres gerichtlichen Eilantrages aus, ihr stehe ein Anordnungsanspruch zu. Die weitere Fortführung des Verfahrens zur anwendungsbegleitenden Datenerhebung bei Evrysdi® verletze in evidenter Weise das Gesetz. Der gesetzliche Tatbestand gemäß § 35a Abs. 3b Satz 1 Nr. 2 SGB V, auf den sich der Antragsgegner bei diesem Verfahren stütze, der Orphan Drug Status von Evrysdi®, bestehe unstreitig nicht mehr. Damit sei der Rechtsgrund für die mit der anwendungsbegleitenden Datenerhebung verbundenen Eingriffe in die Berufsausübungsfreiheit der Antragstellerin gemäß Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG entfallen: Sie müsse als pharmazeutische Unternehmerin nicht nur umfangreiche Datenerhebungen und Analysen erstellen. Am Ende der anwendungsbegleitenden Datenerhebung fasse der Antragsgegner zudem einen neuen Nutzenbewertungsbeschluss. In der Folge komme es zu einer neuen Festlegung des Erstattungsbetrages. Wenn dabei gemäß § 130b Abs. 3 Satz 9 SGB V der Zusatznutzen nicht quantifiziert werden könne, komme es zu einem „Strafabschlag“ auf den bestehenden Erstattungsbetrag. Dies stelle eine erhebliche Benachteiligung des pharmazeutischen Unternehmers im Verhältnis zu anderen Unternehmern dar, die ebenfalls Arzneimittel in Deutschland vermarkteten, die über einen nicht quantifizierbaren Zusatznutzen verfügten.

Durch eine BdV würden die Verordnungsmöglichkeiten in erheblicher Weise gezielt eingeschränkt, was zugleich zu einer spürbaren und Behinderung und Erschwerung der Absatzmöglichkeiten des Arzneimittels und vorliegend zu erheblichen und teils irreparablen Nachteilen für die Antragstellerin führe. Der Gesetzgeber habe anhand formaler und leicht überprüfbarer arzneimittelrechtlicher Kriterien in § 35 Abs. 3b Satz 1 SGB V abschließend normiert, bei welchen Arzneimittelgruppen AbD und BdV eingesetzt werden dürften. Aufgrund der erheblich marktsteuernden Wirkung liege ein unmittelbarer und gezielter Eingriff in die von der Berufsausübungsfreiheit in die nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Preisbildungs- und Festsetzungsfreiheit der pharmazeutischen Unternehmer vor. Der Eingriff könne nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes beschränkt werden, das ein legitimes Ziel verfolgen und zur Erreichung dieses Ziels geeignet, erforderlich und angemessen sein müsse. Infolge seiner Normbeobachtungspflicht sei der Antragsgegner gehalten, den entsprechenden Forderungsbeschluss bzw. den Beschluss zur BdV aufzuheben und seine Arzneimittel-Richtlinie anzupassen, weil die Voraussetzungen zwischenzeitlich weggefallen sei. Die hier einzig einschlägige Eingriffsbefugnis des § 35a Abs. 3b Satz 1 Nr. 2, Satz 2 SGB V müsse streng nach dem Wortlaut ausgelegt werden (Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 22. Februar 2023 -B 3 KR 14/21 R – Rdnr. 37). In § 35a Abs. 3b Satz 1 Nr. 2, Satz 2 SGB V sei abschließend kodifiziert, dass die Instrumente auf Arzneimittel zur Behandlung eines seltenen Leidens beschränkt seien. Der ursprünglich vorliegende Orphan Drug Status bei Evrysdi® sei jedoch seit dem 4. September 2023 entfallen.

Auf eine andauernde „Evidenzlücke“ könne sich der Antragsgegner nicht berufen.

Für die Einbeziehung der Orphan Drugs in das Instrument der AbD sei nicht nur die Datenlage, sondern mindestens ebenso relevant, dass diese Arzneimittel von dem gesetzlichen Zusatznutzenprivileg des § 35a Abs. 1 S. 11 SGB V profitierten. Die auf fiktiver Grundlage vereinbarten Preise sollten durch das Instrument der AbD und § 130b Abs. 3 Satz 9 SGB V überprüft und speziell reguliert werden. Vorliegend habe jedoch die Antragstellerin auf dieses Privileg verzichtet. Aufgrund der robusten Studienlage für Risdiplam habe sich die Antragstellerin vielmehr unwiderruflich dazu entschieden, von der in § 35a Abs. 1 Satz 16 SGB V vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch zu machen, auf dieses Privileg zu verzichten und sich einer vollumfänglichen Nutzenbewertung zu unterwerfen. Es handele sich bei diesem Verzicht um eine besondere Fallkonstellation, die erstmals bei Evrysdi® überhaupt vorgekommen sei. Sie habe mit ihren Daten für insgesamt zwei von sechs Patientenpopulationen zeigen können, dass das Arzneimittel Evrysdi® einen Zusatznutzen besitze. AbD und BdV könnten hier nicht den wesentlichen Zweck ermöglichen, den nur gesetzlich fingierten Zusatznutzen zu überprüfen.

Auch sei der Topos der „Evidenzlücken“ bereits deshalb wenig geeignet, weil die Arzneimittel der Orphan Drugs nach § 35a Abs. 3b Satz 1 SGB V über eine normale Zulassung hätten und wie alle anderen Arzneimittel ihre Wirksamkeit, Sicherheit und Qualität nachgewiesen hätten. Dem widerspreche nicht, dass die Zulassungsbehörde den Antragstellern wie hier bei Evrysdi® darüber hinaus aufgeben könne, nach erteilter Zulassung insbesondere Langzeitdaten zur Wirksamkeit (post-authorisation efficacy studies – „PAES“) des jeweiligen Arzneimittels zu erheben. Derartige Nachzulassungsverpflichtungen (post-authorisation measures – „PAM“) dienten nicht dazu, vorschnelle bzw. verfrühte Zulassungserteilungen zu ermöglichen, sondern sorgten für eine langfristige zusätzliche Nach- und Weiterbeobachtung der Wirkungen von Arzneimitteln während ihrer Anwendung im Versorgungsalltag. Dass die Zulassung gemäß Art. 14 Abs. 9 VO (EG) Nr. 726/2044 in einer abgekürzten (von 210 Tage auf 150 Tage)  Beurteilungsfrist für den Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) erfolgt sei, habe an den Zulassungsvoraussetzungen nicht geändert. Auch unterlägen alle Arzneimittel mit neuem Wirkstoff einer zusätzlichen Überwachung (additional monitoring), Art. 23 Abs. 1 VO (EG) Nr. 726/2004.

Die Ausnahmen von den regulären Zulassungsstandards der Zulassung unter außergewöhnlichen Umständen (marketing authorization under acceptional circumstances) nach Art. 14 Abs. 8 VO (EG) Nr. 726/2004 und einerbedingten Zulassung („“) gemäß Artikel 14a VO (EG) Nr. 726/2004 lägen nicht vor. Für diese sei § 35a Abs. 3b Satz 1 Nr. 1 SGB V einschlägig. Es sei deshalb nicht nur formal zwingend, sondern auch in der Sache richtig, die AbD einzustellen. Dazu bedürfe es keiner gesonderten Vorschrift. Die Offenkundigkeit des Rechtsverstoßes zeige sich auch durch den krassen Widerspruch zur Praxis im AMNOG-Verfahren. Der Antragsgegner stelle z. B. ein laufendes Nutzenbewertungsverfahren regelmäßig ein, wenn die bei Verfahrenseinleitung vorliegenden Tatbestandskriterien nachträglich entfielen (Bezugnahme auf das Verfahren hinsichtlich des Wirkstoffes Belimumab, Anlage AST 15 und das zum Wirkstoff Diroximelfumarat). Als weiteres Beispiel sei die quartalsweise Überprüfung der Kombinationsbenennungen nach § 35a Abs. 3 Satz 4 SGB V auf die (noch fortbestehende) Wirkstoffneuheit des Kombinations-Arzneimittels durch den Antragsgegner anzuführen. Die vom Antragsgegner bemühte „Evidenzlücke“ könne nur bei der Ausübung des aufgrund § 35a Abs. 3b Satz 1 SGB V eingeräumten Ermessens eine Rolle spielen.

Auch ein Anordnungsgrund liege vor. Hierfür reiche es angesichts der offensichtlichen Gesetzeswidrigkeit der drohenden Fortführung des Verfahrens aus, dass der Antragstellerin erhebliche Nachteile drohten. Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch stünden in einer Wechselbeziehung zueinander. Je offenkundiger der geltend gemachte Anordnungsanspruch vorliege, desto geringer seien die Anforderungen an die abzuwendenden wirtschaftlichen bzw. rechtlichen Nachteile. Sie müsse deshalb nicht aufwändige Datenerhebungen, Analysen und Auswertungen in einem Zeitraum von 36 Monate vornehmen und dem Antragsgegner zur Verfügung stellen. Auch könne das Arzneimittel aufgrund der BdV in diesem Zeitraum nur von den an der Datenerhebung teilnehmenden Vertragsärzten verordnet werden. Dies schmälere den Produktabsatz. Die BdV bewirke zudem, dass erheblich weniger Patienten die Möglichkeit hätten, eine Therapie mit Evrysdi® zu erhalten. Durch komme es zu einer massiven Wettbewerbsverzerrung zu Lasten der Antragstellerin, die nicht nur zu Schäden in dreistelliger Millionenhöhe führe, sondern zu einem endgültigen und nicht reparablen Verlust von Patientinnen/Patienten, die bisher oder zukünftig mit Evrysdi® behandelt würden. Die Antragstellerin sähe sich zudem für ihr Arzneimittel im Unterschied zu anderen AMNOG-Arzneimitteln mit einem nicht quantifizierbaren Zusatznutzen einem „Strafabschlag“ auf den bisher vereinbarten Erstattungsbetrag ausgesetzt, wenn es ihr im Rahmen der anwendungsbegleitenden Datenerhebung nicht gelänge, den bisher gezeigten Zusatznutzen zu quantifizieren. Eine solche massive Benachteiligung und Schlechterstellung gegenüber anderen pharmazeutischen Unternehmern sei ein erheblicher Eingriff in Art. 12 I, 3 GG. Es sei ihr deshalb schlechterdings unzumutbar, sich auf ein langjähriges Hauptsacheverfahren verweisen zu lassen und die beschriebenen Nachteile in Kauf zu nehmen, obwohl dem Vorgang die Rechtswidrigkeit gleichsam „auf die Stirn geschrieben“ sei. In der Rechtsprechung der Landessozialgerichte sei zudem anerkannt, dass Eingriffe in bestehende Marktstrukturen, die zu einer Wettbewerbsverzerrung einzelner Leistungserbringern beim Marktzugang und Verlust von Marktanteilen führten, wesentliche Nachteile i. S. d. § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG darstellten, auch ohne dass eine Existenzgefährdung drohen müsse.

Derzeit würden die meisten neuen Patienten mit Risdiplam behandelt. Monatlich kämen im Schnitt 21 dazu. Zwar gebe es auch für Zolgensma® eine AbD mit BdV. Die BdV wirke sich jedoch in der Praxis nicht aus, da dieses Präparat als Gentherapie ohnehin nur durch ganz spezielle qualifizierte Zentren angewendet werden dürfe, anders als bei Evrysdi®. Von ca. 860 gegenwärtig mit Risdiplam behandelten Patienten würden ca. 120 Patienten in Zentren behandelt, deren Ärzte keine Daten für das in Deutschland bereits etablierte Register für Spinale Muskelatrophie erhöben und daran nicht angebunden seien (SMArtCARE). Hierbei handele es sich in der Regel um kleinere Zentren oder niedergelassene Neurologen / Neuropädiater, die nur wenige oder einzelne SMA-Patientinnen/Patienten behandelten, die nicht über die Infrastruktur verfügten bzw. für die der Aufwand unverhältnismäßig wäre, sich für die Behandlung dieser Patientinnen/Patienten an SMArtCARE anzubinden. Mit dem Start der AbD dürften diese Ärzte die auf Risdiplam eingestellten Patienten nicht mehr mit diesem Präparat behandeln. Damit würde die bisher erworbene Marktstellung der Antragstellerin auch und gerade im Verhältnis zu ihren Konkurrenten irreparabel geschädigt. Allein bis zum Ablauf des Patent- und Unterlagenschutzes im Jahre 2032 würde dies einen Schaden von ca. 250 Millionen € bedeuten. Gleichzeitig führe dies dazu, dass die nicht an dem Register teilnehmenden Zentren während der anwendungsbegleitenden Datenerhebung keine SMA-Patienten neu auf Evrysdi® ein- oder umstellen dürften. Nach der internen Prognose dürfte es sich hierbei um schätzungsweise weitere 100 Patienten (jährlich) handeln, die dann bis zum Ablauf des Patent- und Unterlagenschutzes 2032 von Evrysdi® nicht mit diesem Präparat behandelt werden könnten. Dies führe zu einem Schaden von weiteren 150 Millionen €, insgesamt also bis 2032 von 400 Millionen €. Umgekehrt seien für den Antragsgegner mit dem Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung nur marginale Nachteile verbunden. Bereits jetzt würden ca. 80% alle Patienten in Zentren mit Evrysdi® behandelt, die die Behandlungsdaten an das Register SMArtCARE übermittelten. Diese Daten würden auch im Falle der Aussetzung weiter erhoben. Hinzu komme, dass durch die laufende PAES bis 2030 eine Vielzahl weiterer Daten erhoben würden.

Die Antragstellerin beantragt,

bis zur Vorlage einer Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren dem Antragsgegner vorläufig zu untersagen, die mit Beschluss vom 21. Juli 2022 (BAnZ AT 12.08.2022 B2) vorgenommene Änderung der Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL) betreffend die Forderung einer anwendungsbegleitenden Datenerhebung für Risdiplam (Evrysdi®) umzusetzen und das Verfahren zur anwendungsbegleitenden Datenerhebung fortzuführen, insbesondere einen Feststellungsbeschluss zu den von der Antragstellerin vorgelegten Unterlagen (Studienprotokoll, statistische Analyseplan) zu treffen und die eigentliche anwendungsbegleitende Datenerhebung zu starten.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Er trägt vor, es sei bereits problematisch, ob die Antragstellerin die begehrten Unterlassungen von Verfahrensschritten überhaupt angreifen könne. Es handele sich bei diesen ähnlich der Aufforderung zur Dossiereinreichung um Vorbereitungshandlungen, die grundsätzlich nicht mit Rechtsmitteln angreifbar seien. Der Beschluss zur Forderung der AbD sei Teil der Arzneimittel-Richtlinie und nehme an deren normativer Wirkung teil. Hingegen seien die Verpflichtungen zur Erstellung des Studienprotokolls und des statistischen Analyseplans, zur Vorlage von Angaben zum Verlauf der Datenerhebung (Statusbericht) und zur Vorlage von Zwischenanalysen sowie jeweils deren Überprüfung durch den Antragsgegner als Zwischenschritte zwischen der Beschlussfassung über den Forderungsbeschluss und der Beschlussfassung über die erneute Nutzenbewertung, ähnlich der Aufforderung zur Dossiereinreichung, als reine Vorbereitungshandlungen einzuordnen. Sofern der pharmazeutische Unternehmer die für erforderlich gehaltenen Anpassungen an dem von ihm übermittelten Studienprotokoll und dem statistischen Analyseplan umsetze, komme der Antragsgegner erst im Rahmen eines Folgebeschlusses zu dem Ergebnis, dass die AbD durchgeführt werden könne, 5. Kapitel § 62 Abs. 3 Nr. 1 Verfahrensordnung des Gemeinsamen Bundesausschusses in der Fassung vom 18. Dezember 2008 (veröffentlicht im Bundesanzeiger Nr. 84a [Beilage] vom 10. Juni 2009, in Kraft getreten am 1. April 2009), zuletzt geändert durch den Beschluss vom 19. Oktober 2023 (veröffentlicht im Bundesanzeiger BAnz AT 19.02.2024 B6, in Kraft getreten am 20. Februar 2024; VerfO). Erst mit Start der AbD entstehe die Verpflichtung des pharmazeutischen Unternehmers aus dem Forderungsbeschluss, mit der anwendungsbegleitenden Datenerhebung zu beginnen. Die Mitwirkungshandlungen seien Obliegenheiten, die lediglich das Ergebnis einer später zu treffenden Entscheidung beeinflussen könnten. Rechtsfolge mangelnder Mitwirkungen sei nach des 5. Kapitel § 62 Abs. 3 Satz 3 VerfO bzw. 5. Kapitel § 61 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 VerfO gegebenenfalls ein Feststellungsbeschluss, dass die AbD nicht durchgeführt werden könne, was zu einer Entscheidung nach § 130b Abs. 3 Satz 9 SGB V führe.

Jedenfalls bestehe ein Anordnungsanspruch nicht hinreichend wahrscheinlich. Eine zwischenzeitliche Änderung des zulassungsrechtlichen Status durch das Entfallen gesetzlicher Privilegierungen, wie vorliegend des Orphan-status, habe grundsätzlich keine Auswirkungen auf die Fortsetzung der Datenerhebung zur Verbesserung der Evidenzgrundlage, wenn nicht weitere Umstände hinzuträten, die die Datenerhebung obsolet machten. Solche Umstände lägen nicht vor. Vielmehr sei das Arzneimittel Evrysdi® mit dem Wirkstoff Risdiplam weiterhin ein erstmalig als sog. Orphan-Arzneimittel in Verkehr gebrachtes Arzneimittel, das zwischenzeitlich zu keinem Zeitpunkt seine Zulassung verloren, sondern lediglich auf Eigeninitiative der Antragstellerin auf die Orphan Designation verzichtet habe, um eine Verlängerung des Supplementary Protection Certificates (SPC) nach erfolgreichem Abschluss des pädiatrischen Entwicklungsplans (paediatric investigation plan - PIP) zu erhalten. Die zehnjährige Marktexklusivität verlängere sich bei Arzneimitteln für seltene Leiden die auf zwölf Jahre, wenn die Anforderung in Bezug auf Daten über die Verabreichung an die pädiatrische Bevölkerungsgruppe uneingeschränkt erfüllt seien, Art. 26 und 29 VO (EG) Nr. 1901/2006). Sinn und Zweck der Regelung in § 35a Abs. 3b SGB V sei es zudem, eine geringe und/oder unvollständige Evidenzgrundlage für die Bewertung des Zusatznutzens des Arzneimittels zu verbessern. Sofern die im Rahmen der Forderung der AbD identifizierte Evidenzlücke trotz des Wegfalls der Orphan Designation bzw. der Änderung des Zulassungsstatus weiterhin bestehe, gebe das Gesetz die Fortsetzung einer AbD vor, da eine gesetzliche Anordnung für einen Abbruch der AbD in diesen Fallgestaltungen nicht bestehe. Wie auch in der zweiten Fallgestaltung des § 35 Abs. 3b Satz 1 Nr. 1 SGB V (bedingte Zulassung; Zulassung unter außergewöhnlichen Umständen) erkennbar sei, sei den Tatbestandsvoraussetzungen für die Forderung einer AbD immanent, dass diese jeweils zum Zeitpunkt der Forderung einer AbD vorliegen müssten. Nicht alleine der formale Zulassungsstatuswechsel entscheide über das Wohl oder Wehe einer AbD, sondern der in der Gesetzesbegründung niedergelegte Ansatz, ob trotz Statuswechsel zum Zeitpunkt der Nutzenbewertung „noch ausstehende Daten“, d.h. eine Evidenzlücke vorhanden sei.

Dem Wortlaut der Norm des § 35a Abs. 3b SGB V sei auch kein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, dass bei geringer oder unvollständiger Evidenzgrundlage einer Orphan Drug der alleinige Umstand, dass ein pharmazeutischer Unternehmer von der in sein Ermessen gestellten Wahloption des Verzichts auf die Verfahrensprivilegierung gemäß § 35a Abs. 1 Satz 16 SGB V Gebrauch mache, einen Einfluss auf die Forderung einer anwendungsbegleitenden Datenerhebung haben könne. Dieser Entscheidung könnten allein wirtschaftliche Aspekte zugrunde liege. Sie begründe sich in der Regel aus verfahrenstaktischen Überlegungen heraus.

Zum Zeitpunkt 21. Juli 2022 habe für den Wirkstoff Risdiplam eine Evidenzlücke bestanden, die auch zur Zeit der Aufgabe der Orphan Designation nicht geschlossen worden sei. Die Evidenzlücke sei auch nicht durch das nach der Erstzulassung durchgeführte pädiatrische Prüfkonzept für den Wirkstoff Risdiplam geschlossen worden, welches neben den für die Zulassung vom 26. März 2021 berücksichtigten Studien FIREFISH und SUNFISH auch die Studien JEWELFISH und RAINBOWFISH umfasst habe. Hierbei handele es sich zum einen um eine nicht vergleichende, offene Studie zur Untersuchung der Sicherheit, Verträglichkeit, Pharmakokinetik und Pharmakodynamik von Risdiplam bei Erwachsenen, Kindern und Säuglingen mit spinaler Muskelatrophie (JEWELFISH), zum anderen um eine offene, einarmige, Studie zur Untersuchung der Wirksamkeit, Sicherheit, Pharmakokinetik und Pharmakodynamik von Risdiplam bei präsymptomatischen Kindern im Alter ab Geburt und 6 Wochen (RAINBOWFISH). Auch hinsichtlich der Zulassungserweiterung stufe das EMA das Vorliegen von Daten aus unkontrollierten, einarmigen Studien als relevante Unsicherheit ein (Bezugnahme auf den European Public Assessment Report, 20 July 2023, S. 6, Anlage AG 11). Die Antragstellerin könne auch das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nicht hinreichend glaubhaft machen. Auf eine Existenzgefährdung berufe sich die Antragstellerin selbst nicht. Im Rahmen der vorliegend anzustellenden Interessenabwägung sei zu berücksichtigen, dass nach § 35a Abs. 3b Satz 12 SGB V Klagen gegen eine Maßnahme nach § 35a Abs. 3b Satz 1 SGB V keine aufschiebende Wirkung hätten. Das Gesetz bringe damit zum Ausdruck, dass dem öffentlichen Interesse an der Umsetzung der Forderung einer anwendungsbegleitenden Datenerhebung grundsätzlich der Vorrang einzuräumen sei. Überdies seien schwerwiegenden Nachteile, die durch ein Hauptsacheverfahren nicht oder nur unzureichend rückgängig gemacht werden könnten, nicht erkennbar. Gegenstand des ursprünglich zum 1. Februar 2024 vorgesehenen Feststellungsbeschlusses sei zunächst nur, dass die Antragstellerin aufgefordert werde, weitergehende Anpassungen an dem übermittelten Studienprotokoll und dem statistischen Analyseplan umzusetzen. Das Verfahren befinde sich in dem in 5. Kapitel § 62 VerfO geregelten Stadium. Der von der Antragstellerin befürchteten Situation, verpflichtet zu sein, über einen Zeitraum von 36 Monaten Datenerhebungen, Auswertungen und Analysen vorzunehmen und vorzulegen, sei für die Abwägung entgegenzuhalten, dass die Untersagung der Fortsetzung der AbD einen unwiederbringlichen Datenverlust nach sich zöge. Im Fall des Obsiegens des Antragsgegners im Hauptsacheverfahren erwiesen sich Anordnungen im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes als irreversibel. Das Begehren sei auf eine Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet. Demgegenüber könne die Antragstellerin, ihre Aufwendungen im Zusammenhang mit der Datenerhebung bei deren Obsiegen im Rahmen einer Schadensersatzklage geltend machen.

Mit der bisherigen Nichtumsetzung der Anpassungen an Studienprotokoll und Statistischem Analyseplan seien keine Sanktionen verbunden. Im Anwendungsgebiet gebe es zudem bereits eine anwendungsbegleitende Studie zu dem Wirkstoff Onasemnogen-Abeparvovec (Zolgensma®) in einem qualitativ hochwertigen Register, das öffentlich einsehbar sei (https://www.g-ba.de/studien/abd/zolgensma/). Da sowohl das bestehende Register als auch die öffentlich verfügbaren Studienunterlagen seitens der Antragstellerin genutzt werden könnten, sei kein unverhältnismäßiger Aufwand für die Überarbeitung der Studienunterlagen und das Aufsetzen der geforderten AbD festzustellen.

Die BdV habe unmittelbare Wirkung allein gegenüber den Leistungserbringern und greife nicht unmittelbar in grundrechtlich geschützte Belange der Antragstellerin ein. Mit Blick auf die unverändert lückenhafte Evidenzlage, auf deren Grundlage die bisherige Nutzenbewertung des Wirkstoffs Risdiplam und dementsprechend die Preisverhandlung nach § 130b SGB V erfolgt ist, hätte eine Unterbrechung des Verfahrens eine Verzögerung des Beginns der AbD zur Folge, wodurch eine Überprüfung des tatsächlich bestehenden Zusatznutzens des Wirkstoffes Risdiplam weitergehend verzögert werden würde. Diese Verzögerung der Datenerhebung für Risdiplam führe somit zwangsläufig dazu, dass für ältere bzw. symptomatische Patientinnen und Patienten mit SMA im Rahmen der anwendungsbegleitenden Datenerhebung nur noch begrenzt prospektiv Daten erhoben werden könnten.

 

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig, jedoch unbegründet.

1. Der Antrag ist zulässig.

1.1 Die Zuständigkeit des hiesigen Gerichts folgt aus §§ 86b Abs. 2 i. V. m. 29 Abs. 4 Nr. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG), da ein unmittelbarer Zusammenhang des Rechtsstreits mit der Arzneimittel-Richtlinie des Antragsgegners besteht.

1.2 Der GKV-Spitzenverband war nicht beizuladen.

Dieser ist von der begehrten einstweiligen Regelung nicht derart betroffen, dass die Entscheidung auch ihm gegenüber nur einheitlich ergehen kann (§ 75 Abs. 2 SGG). Betroffen ist vielmehr nur der Antragsgegner, obgleich sich an die AbD zu einem späteren Zeitpunkt regelmäßig erneute Erstattungsbetragsverhandlungen anschließen (§ 130b Abs. 3 S. 8 SGB V). Eine einfache Beiladung nach § 75 Abs. 1 SGG erscheint angesichts des Charakters des Verfahrens als Eilverfahren mit nur vorläufigen Regelungen nicht opportun.  

1.3 Dem Antrag steht nicht von vornherein die in § 35a Abs. 8 SGB V vorgesehene Klageeinschränkung entgegen.

Diese betrifft nach dem Wortlaut nicht die AbD und die BdV, sondern nur die gesonderte Klage gegen Beschlüsse nach § 35a Abs. 2 SGB V im Nutzenbewertungsverfahren, die eigentliche Nutzenbewertung nach § 35a Abs. 3 SGB V und zur Einbeziehung eines Arzneimittels in eine Festbetragsgruppe, § 35a Abs. 4 SGB V. Der Absatz 3b wird in § 35a Abs. 8 SGB V hingegen nicht erwähnt. § 35a Abs. 3b S. 12 SGB V enthält vielmehr eigene prozessuale Bestimmungen (vgl. dazu sogleich unter 1.5).

1.4 Die begehrte einstweilige Unterlassungsverfügung ist auch nicht aufgrund der Vorschrift des § 56a SGG ausgeschlossen, wonach Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden (Satz 1). Dies gilt nicht, wenn behördliche Verfahrenshandlungen vollstreckt werden können oder gegen einen Nichtbeteiligten ergehen (Satz 2).

§ 56a SGG ist hier bereits deshalb nicht anwendbar, weil es mit § 35a Abs. 8 S. 1 SGB V eine vorrangige speziellere Regelung gibt, die unmittelbare und isolierte Klagen gegen einzelne, eine Sachentscheidung vorbereitende Handlungen ausschließt (Axer in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 56a SGG [Stand: 15.06.2022], Rdnr. 4). Die Vorschrift verdrängt die allgemeine, auch soweit sie –wie hier- von ihren Tatbestandsvoraussetzungen her nicht einschlägig ist.

Auch verdeutlicht § 35a Abs. 3b S. 12 SGB V, dass der Gesetzgeber Maßnahmen nach § 35a Abs. 3b S. 1 SGB V nicht als bloße Verfahrensvorschrift ansieht. Das Begehren der Antragstellerin ist darauf gerichtet, die Wirkung des Beschlusses zur AbD einstweilen zu suspensieren. Gegen bloße Verfahrenshandlungen jedenfalls der Beschlüsse zur Forderung einer AbD und der BdV spricht ferner, dass die BdV unmittelbar als Rechtsnorm gegenüber den Verordnern gilt. Auch wenn die mit einer AbD für das pharmazeutische Unternehmen verbundenen Verpflichtungen als bloße Obliegenheiten verstanden werden können, wird dieser jedenfalls durch die mit der Verordnungseinschränkung verbundene Beschränkung des Arzneimittelabsatzes bereits jetzt belastet. Zuletzt ist durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) geklärt, dass der Ausschluss einer gerichtlichen Überprüfung von Verfahrenshandlungen für die Rechtsschutzsuchenden zur Gewährleistung des Rechts auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) nicht zu irreversiblen gewichtigen Nachteilen führen darf, die im Rahmen des Rechtsschutzes (BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2022 – 2 BvR 1528/21 –, Rdnr. 18, entschieden konkret zu § 44a Verwaltungsgerichtsordnung [VwGO]). Das Rechtsschutzziel der Antragstellerin darf deshalb nicht dadurch vereitelt werden, dass die konkret in nächster Zeit anstehenden Verfahrensschritte isoliert betrachtet Verfahrenshandlungen sind.

1.5 Der Antrag ist als solcher auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG statthaft Die Antragstellerin war nicht darauf zu verweisen, ein vorrangiges Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 86b Abs. 1 SGG anzustreben.

Gegen die Annahme einer Feststellungsklage in der Hauptsache spricht zwar die Regelung in § 35a Abs. 3b Satz 12 SGB V, wonach Klagen gegen eine Maßnahme nach § 35a Abs. 3b Satz 1 SGB V keine aufschiebende Wirkung haben. Nach § 86 Abs. 1 S. 1 SGG haben (nur) Anfechtungsklagen gegen Verwaltungsakte aufschiebende Wirkung, so dass der Normwortlaut dafür spricht, den Beschluss nach § 35a Abs. 3b S. 1 SGB V zur AbD jedenfalls im Verhältnis zum pharmazeutischen Unternehmer als Verwaltungsakt anzusehen. Hierfür könnte auch streiten, dass § 35a Abs. 3b S. 11 SGB V zwar auf § 35a Abs. 3 Satz 4 bis 6 SGB V verweist, nicht jedoch auf § 35a Abs. 3 Satz 7 SGB V („Der Beschluss ist Teil der Richtlinie nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6; […]“). Allerdings hat jedenfalls ein Beschluss zur BdV nach § 35a Abs. 3b S. 2 SGB V den Charakter einer abstrakt-generellen Regelung und stellt damit keinen Verwaltungsakt im Sinne des § 31 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch dar. Voraussetzung für eine BdV ist eine AbD nach § 35a Abs. 3b S. 1 SGB V, nicht die Bestandskraft eines als Verwaltungsakts zur AbD. Zu Recht geht deshalb der Antragsgegner in Kap. 5 § 58 Abs. 3 seiner VerfO davon aus, dass auch der Beschluss nach § 35b Abs. 3b S. 1 Teil der Arzneimittel-Richtlinie ist.

Allerdings führte auch die gegenteilige Auffassung nicht zur Statthaftigkeit einer anderen Antragsart. Wäre der Beschluss zur AbD des Antragsgegners vom 21. Juli 2022 im Verhältnis Antragsgegner zur Antragstellerin ein Verwaltungsakt, wäre er seit längerem bestandskräftig. Die Klagefrist nach § 87 Abs. 1 i. V. m. § 66 Abs. 2 SGG von einem Jahr nach der (formlos möglichen) Bekanntgabe des Verwaltungsakts ist abgelaufen. Im gedachten Hauptsachenverfahren müsste die Antragstellerin deshalb einen Antrag auf Aufhebung (Rücknahme) stellen, so dass auch insoweit keine Anfechtungssituation vorläge.

1.6 Die Antragstellerin ist auch antragsbefugt. Es fehlte in einem unterstellten Hauptsacheverfahren nicht an der Behauptung einer Beschwer nach § 54 Abs. 1 S. 2 SGG, also an der Klagebefugnis.

Die Antragstellerin kann geltend machen, dass die Fortführung der anwendungsbegleitenden Datenerhebung bei Evrysdi® gesetzeswidrig sei, was aufgrund des damit verbunden Aufwandes belastend ist. Nach Kap. 5 § 58 Abs. 4 VerfO erfolgen die AbD und die Erstellung von Auswertungen auf Kosten des betroffenen pharmazeutischen Unternehmers. Auch ist ein Eingriff in ihre Berufsausübungsfreiheit gemäß Artikel 12 Abs. 1 GG i. V. m. Artikel 3 Abs. 1 GG durch die BdV aufgrund des Verordnungsverbots für nicht an der Datenerhebung beteiligte Verordner nicht ausgeschlossen. Ob die von der Antragstellerin erst künftig möglicherweise eintretende Folge eines abgesenkten Erstattungsbetrages dazu führt, bereits jetzt von einem Eingriff in Art. 12 Abs. 1 i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG auszugehen, kann dahingestellt bleiben.

2. Dem Antrag bleibt jedoch Erfolg versagt.

Es besteht bereits kein Grund für eine einstweilige Anordnung, weil der Antragstellerin wesentliche Nachteile drohen (Anordnungsgrund):

Nach § 86b Abs. 2 S. 1 SGG ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung zulässig, wenn andernfalls die Gefahr besteht, dass ein Recht des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert wird. Gemäß § 86b Abs. 2 S. 2 SGG kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (sog. Regelungsanordnung). Voraussetzung sind das Bestehen eines Anordnungsanspruches und das Vorliegen eines Anordnungsgrundes. Der Anordnungsanspruch bezieht sich dabei auf den geltend gemachten materiellen Anspruch, für den vorläufiger Rechtschutz begehrt wird. Die erforderliche Dringlichkeit betrifft den Anordnungsgrund. Die Tatsachen, die den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch begründen sollen, sind darzulegen und glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung). Entscheidungen dürfen dabei grundsätzlich auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden.

Drohen der Antragstellerin aber ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre, verlangt Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG von den Sozialgerichten grundsätzlich eine eingehende Prüfung der Sach- und Rechtslage, die sich von der im Hauptsacheverfahren nicht unterscheidet (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. z. B. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 7. November 2023 – L 1 KR 335/23 B ER –, juris-Rdnr. 2f; Beschluss vom 5. Juli 2021 – L 1 KR 215/21 B ER –, juris-Rdnr. 12f, Beschluss vom 29. März 2018 - L 1 KR 26/18 B ER -, juris-Rdnr. 2 jeweils unter Bezugnahme auf Bundesverfassungsgericht [BVerfG] BVerfGE 79, 69 <74>; 94, 166 <216>; NJW 2003, 1236f. und mit weiteren Nachweisen). Ganz allgemein ist ein Zuwarten umso eher unzumutbar, je größer die Erfolgschancen in der Sache einzuschätzen sind (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18. September 2019 – L 1 KR 288/19 B ER –, juris-Rdnr. 18; Beschluss vom 23. Dezember 2010 - L 1 KR 368/10 B ER -, juris-Rdnr. 10, Beschluss vom 23. Oktober 2008 - L 1 B 346/08 KR ER).

Hier hat allerdings ungeachtet dieses Zusammenhangs die Antragstellerin schwere unzumutbar Nachteile nicht glaubhaft gemacht.

Sie befürchtet einen Verlust an Marktanteilen im Bereich der Arzneimittel zur Behandlung der SMA durch einerseits die Folgen der BdV und andererseits eine Senkung des Erstattungsbetrages im nachfolgenden Nutzenbewertungsverfahren nach § 130 b Abs. 3 S. 8-10 SGB V. Der Schaden bis zum Auslaufen des Patent- und Unterlagenschutzes bis 2032 soll bis zu 400 Millionen € betragen. Eine existenzgefährdende Folge für ihr Unternehmen trägt sie damit selbst nicht vor. Nur ergänzend –ohne dass es hierauf ankäme- sei angemerkt, dass sich aus der Pressemitteilung der Antragstellerin vom 7. März 2023 ergibt, dass alleine der Umsatz bei der Antragstellerin (als deutscher Tochter eines europäischen Pharma-Konzerns) nur im Kernbereich Pharma alleine im Jahr 2022 bei 2 Milliarden € lag (vgl. https://assets.cwp.roche.com/f/94122/x/33ca051faa/23_final_pressemitteilung_jahresmediengesprach-23.pdf). Ebenso wenig begründen angesichts dessen die mit der AbD für die Antragstellerin einhergehenden Kosten (vgl. Kap. 5 § 58 Abs. 4 der VerfO des Antragsgegners) einen unzumutbaren, nicht wiedergutzumachenden Nachteil.

Die Antragstellerin unterstellt dabei mit dem von ihr skizzierten Szenario, dass die nicht an der Datenerhebung teilnehmenden Ärzte ihre Patienten mit der Diagnose SME auf jeden Fall selbst weiterbehandeln würden und damit deshalb Patienten bzw. den Eltern der neugeborenen Patienten nur zu den Behandlungen mit den Alternativen Spinoza® bzw. Zolgensma® raten würden, unabhängig davon, was medizinisch geboten und sinnvoll ist. Für eine solche Vorgehensweise, gegen die sich die Ärzteschaft wohl verwahren würde, gibt es keine objektivierbaren Anhaltspunkte. Nur ergänzend sei auf den Internetauftritt des einschlägigen Registers (SmartCenter-Register) verwiesen, das sich auch an die Patienten wendet und aufzeigt, wie diese am Register teilnehmen können (https://www.uniklinik-freiburg.de/smartcare/fuer-patienten.html). Der Antragsgegner hat zudem unwidersprochen auf die reale Versorgungssituation im Indikationsgebiet der SMA hingewiesen Die Spinale Muskelatrophie wird überwiegend in spezialisierten stationären Zentren behandelt, die in der Regel bereits an das SmartCare-Register angebunden sind. Es ist deshalb nicht davon auszugehen, dass diese Zentren aufgrund der Verpflichtung durch die Versorgungsbeschränkung, in ihrem Verordnungsvolumen eingeschränkt werden.

Der Beschluss zur BdV vom 21. Juli 2022 räumt zudem den Behandlern die Möglichkeit der Weiterverordnung des Arzneimittels zur Sicherung des Therapieerfolgs nach vorheriger Abstimmung mit dem versorgungsbefugten Leistungserbringer ein.

(„Leistungserbringer, die nicht zur Versorgung mit dem Arzneimittel befugt sind, können das Arzneimittel ausnahmsweise zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnen, sofern die Verordnung ausschließlich zum Zweck der Weiterverordnung des Arzneimittels und zur Sicherung des Therapieerfolgs nach vorheriger Abstimmung mit dem versorgungsbefugten Leistungserbringer erfolgt und der versorgungsbefugte Leistungserbringer weiterhin für die Datenerhebung zuständig ist und dadurch der Zweck der Beschränkung der Versorgungsbefugnis, valide Daten aus der Versorgung der Versicherten mit Arzneimittel zu erhalten, nicht gefährdet wird.“)

Diese Verordnungsmöglichkeit ist nach dem Wortlaut nicht auf die aktuell bereits mit Risdiplam behandelten Patienten beschränkt. Vielmehr dürfen die an sich nicht zur Verordnung Berechtigten auch künftigen Patienten Evrysdi® verordnen, soweit es sich dabei nicht um die erstmalige, sondern nur um die Weiterverordnung handelt. Damit sind auch künftig kleine Zentren und Einzelverordner nicht zwangsläufig ausgeschlossen, sofern die Erstverschreibung durch einen am Register Teilnehmenden erfolgt.

In rechtlicher Hinsicht ist die Situation für die Antragstellerin auch nicht mit denen vergleichbar, in welchen die Rechtsprechung als Folgenabwägung unter Berücksichtigung von Art. 12 GG einstweilige Leistungsansprüche zugesprochen hat, auch wenn eine Existenzgefährdung nicht glaubhaft gemacht war (vgl. Bayerisches LSG, Beschluss vom 10. Juli 2017 – L 4 KR 89/17 B ER – für die Situation eines völligen Marktausschlusses, LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26. Januar 2022, Az.: L 9 SO 12/22 B ER, juris-Rdnr. 23 für die Verhinderung der Zuschlagserteilung in einem Ausschreibungsverfahren zur Verhinderung eines Marktausschlusses). Die Antragstellerin wird nicht gänzlich vom Markt ausgeschlossen.

Soweit die Antragstellerin geltend machen will, bei den mit der Durchführung der AbD verbundenen Datenerhebungen, Auswertungen und Analysen handele es sich um einen für sie unzumutbaren Aufwand, so ist dies weder in Bezug auf entstehende Kosten noch hinsichtlich des tatsächlichen Arbeitsaufwands plausibel, zumal sie nach dem von ihr unbestrittenen Vortrag des Antragsgegners das bestehende Register und die öffentlich verfügbaren Studienunterlagen zu der bereits laufenden AbD zu dem Wirkstoff Onasemnogen-Abeparvovec nutzen kann.

Zuletzt kann sich die Antragstellerin auch nicht auf eine Unzumutbarkeit berufen, weil ein Erfolg im gedachten Hauptsacheverfahren überwiegend wahrscheinlich ist. Vielmehr sind –wie sogleich aufzuzeigen sein wird- die Erfolgschancen bestenfalls als offen anzusehen. Hinzu tritt dabei, dass sich der Vorschrift des § 35a Abs. 3b S. 12, 1. Hs. SGB V der gesetzgeberische Wille entnehmen lässt, das öffentliche Interesse an einer vorläufigen Durchführung der AbD überwiegen zu lassen.

3. Es ist auch nicht von einem Anordnungsanspruch auszugehen. Denn die Erfolgschancen eines unterstellten Hauptsacheklageverfahrens sind bestenfalls als offen anzusehen.

Die Beschlüsse zur Durchführung eines AbD und einer V ist nicht bereits deshalb offensichtlich von Beginn an oder später rechtswidrig geworden, weil die Antragstellerin nach § 35a Abs. 1 S. 16 SGB V von Anfang an auf einen fiktiven Zusatznutzen nach § 35a Abs. 1 S. 11 SGB V verzichtet hat (dazu 3.2) und später die Streichung des Orphan-Drug-Status im einschlägigen Register veranlasst hat (dazu 3.1).

3.1 Der Wegfall des Orphan Drug-Status für Risdiplam hat für den Antragsgegner nicht die zwingende Rechtsfolge gehabt, im Rahmen seiner Normüberwachungspflicht von einer weiteren Durchführung der AbD abzusehen:

Gemäß § 35a Abs. 3b SGB V kann der Antragsgegner frühestens mit Wirkung zum Zeitpunkt des erstmaligen Inverkehrbringens bei den folgenden Arzneimitteln vom pharmazeutischen Unternehmer innerhalb einer angemessenen Frist die Vorlage anwendungsbegleitender Datenerhebungen und Auswertungen zum Zweck der Nutzenbewertung fordern:

1. bei Arzneimitteln, deren Inverkehrbringen nach dem Verfahren des Artikels 14 Abs. 8 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Festlegung der Verfahren der Union für die Genehmigung und Überwachung von Humanarzneimitteln und zur Errichtung einer Europäischen Arzneimittel-Agentur (ABl. L 136 vom 30.4.2004, S. 1), die zuletzt durch die Verordnung (EU) 2019/5 (ABl. L 4 vom 7.1.2019, S. 24) geändert worden ist, genehmigt wurde oder für die nach Artikel 14a der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 eine Zulassung erteilt wurde, sowie

2. bei Arzneimitteln, die zur Behandlung eines seltenen Leidens nach der Verordnung (EG) Nr. 141/2000 zugelassen sind.

Für die erfassten Arzneimittel kann der Antragsgegner gemäß § 35a Abs. 3b Satz 2 SGB V die Befugnis zur Versorgung der Versicherten auf Leistungserbringer beschränken, die an der geforderten anwendungsbegleitenden Datenerhebung mitwirken. Am Ende der anwendungsbegleitenden Datenerhebung fasst der Antragsgegner gemäß § 35a Abs. 3b Satz 9, 10 SGB V i. V. m. 5. Kap. § 65 VerfO, § 130b Abs. 3 S. 8 SGB V regelmäßig einen neuen Nutzenbewertungsbeschluss. Dabei bestimmt § 130b Abs. 3 S. 9 SGB V eine Absenkung, wenn der Zusatznutzen nicht quantifiziert werden kann.

Eine Aufhebung des Beschlusses zur Forderung einer AbD und zur BdV muss nicht erfolgen, weil die Beschlüsse vom 21. Juli 2022 von Anfang an rechtswidrig gewesen sind:

Zum Zeitpunkt des Erlasses handelte es sich bei Evrysdi® mit dem Wirkstoff Risdiplam um ein Arzneimittel zur Behandlung eines seltenen Leidens nach der VO (EG) Nr. 141/2000 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1999 im Sinne des § 35a Abs. 1 S. 11 SGB V. Es war gleichzeitig ein Arzneimittel nach § 35a Abs. 3b S. 1 Nr. 2 SGB V. Es ist als solches von der Arzneimittelagentur (EMA) am 26. März 2021 zugelassen und unter der Nr. EU/3/19/2145 - orphan designation for treatment of spinal muscular atrophy- im Community Register of designated orphan medicinal products eingetragen worden.

Es gibt keine Anhaltspunkte –und wird auch nicht von der Antragstellerin vorgebracht-, dass der Antragsgegner von dem ihm damit durch § 35a Abs. 3b S. 1 SGB V eingeräumte (gesetzgeberisches) Ermessen, eine AbD sowie eine BdV nach § 35a Abs. 3b S. 2 SGB V durchzuführen, fehlerhaft Gebrauch gemacht hat. 

Er konnte vorliegend von einer „Evidenzlücke“ ausgehen.

Zum Zeitpunkt des Beschlusses vom 21. Oktober 2021 über die Nutzenbewertung nach § 35a Abs. 1 SGB V lagen nur die Studien der Zulassung vom 26. März 2021 vor, zum einen eine einarmige (also ohne Kontrollgruppe) Studie (FIREFISH) und die randomisierte, verblindete kontrollierte Studie (RCT; SUNFISH) gegenüber Placebo vor. Wie der Antragsgegner in den Tragenden Gründen zum Beschluss vom 21. Juli 2022 (dort S. 2, teils in Verweis auf die Tragenden Gründe zur Nutzenbewertung vom 21. Oktober 2021, dort S. 3ff) dargelegt hat, ermöglichen diese Studien im keinen direkten Vergleich zu bestehenden Therapiealternativen im zugelassenen Anwendungsgebiet. Die Betrachtung von Daten aus einem Vergleich einzelner Arme aus verschiedenen Studien zeigten für ihn für eine Teilpopulation des Anwendungsgebietes zwar einen statistisch signifikanten Effekt für die Endpunktkategorie der Morbidität. Die Daten seien jedoch aufgrund der mit diesem Vergleich verbundenen sehr großen Unsicherheiten nur schwer interpretierbar. Es habe nicht sicher ausgeschlossen werden können, dass die Effekte nicht allein durch eine systematische Verzerrung durch Störgrößen zustande gekommen seien. Auf Basis dieser Daten habe daher nur eine Nicht-Unterlegenheit von Risdiplam gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie angenommen werden können. Unter Berücksichtigung der angenommenen Nicht-Unterlegenheit und eines erwarteten Vorteils der oralen Gabe von Risdiplam sei ein Anhaltspunkt für einen Zusatznutzen festgestellt worden, der vor dem Hintergrund der limitierten Evidenz nicht habe quantifiziert werden können.

Für eine weitere sehr kleine Teilpopulation des Anwendungsgebietes, für welche ausschließlich eine Best-Supportive-Care-Therapie als Therapieoption infrage gekommen sei, habe ein Effekt in der Endpunktkategorie Morbidität gezeigt werden können. Hierbei seien jedoch die Ergebnisse der Gesamtpopulation der Studie behelfsweise für eine vergleichsweise kleine Teilgruppe herangezogen worden, sodass aufgrund der großen Unsicherheiten eine Quantifizierung des Zusatznutzens auch für diese Teilgruppe nicht möglich gewesen sei. Für die weiteren vier Patientenpopulationen im Anwendungsgebiet lägen keine bzw. keine bewertbaren Daten für die Nutzenbewertung vor.

Der Antragsgegner hat ferner vor Gericht auf den Umstand hingewiesen, dass auch das EMA im Zulassungsverfahren die Auflage einer PAES erteilt habe. Da dort ein nicht-randomisierter Vergleich gegenüber dem natürlichen Krankheitsverlauf bei unbehandelten Patientinnen und Patienten vorzunehmen sei, erlaube auch die PAES keinen Vergleich gegenüber relevanten Therapieoptionen. Die Fehlerhaftigkeit dieser Annahmen ist weder von der Antragstellerin vorgebracht oder ansonsten ersichtlich.

Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass die Evidenzlücke auch nicht zwischenzeitlich im Zuge des Nutzenbewertungsverfahrens für das neue Anwendungsgebiet geschlossen worden ist.

Entgegen der Annahme der Antragstellerin folgt aus der dem Antragssteller obliegenden Gesetzesbeobachtungspflicht nicht zwingend, nach Wegfall Orphan-Drugs-Status das Verfahren der AbD nicht weiter zu verfolgen:

Zwar verweist sie mit Recht darauf, dass der Antragsgegen zur verfassungsrechtliche Legitimation seiner Normsetzungsbefugnis einer durch das Gesetz vorgegebene hinreichend dichten Anleitung bedarf. Sind ausreichend bestimmte rechtliche Vorgaben festgelegt, sind diese einzuhalten, ohne dass dem der dem GBA zuzubilligende Gestaltungsspielraum als Normgeber entgegensteht. Damit wird der verfassungsrechtlich durch Art 12 Abs. 1 GG geschützten Berufsausübungsfreiheit des pharmazeutischen Unternehmers, die durch die Preisregulierung im Verfahren nach §§ 35a, 130b SGB V berührt wird, Rechnung getragen (BSG, Urteil vom 22. Februar 2023 – B 3 KR 14/21 R –Rdnr. 37 mit Bezugnahme u. a. auf BVerfG. B. vom 10. November 2015 - 1 BvR 2056/12 - BVerfGE 140, 229, juris-Rdnr. 22). Bei dem Forderungsbeschluss des Antragsgegners vom 21. Juli 2022 handelt es nach § 35a Abs. 3b S.11, Abs. 3 SGB V als Teil der Arzneimittel-Richtlinie nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 SGB V um eine untergesetzliche Normsetzung. Der Antragsgegner hat die Pflicht zur Normbeobachtung(BSG, Urteil vom 1. März 2011 -B 1 KR 7/10 R-, juris-Rdnr. 74ff, Urteil vom 13. Mai 2015 -B 6 KA 14/14 R-, Rdnr. 74, ff: “ständige Rechtsprechung“)Er ist verpflichtet, regelmäßig zu überprüfen, ob die von ihm beschlossenen untergesetzlichen Norm noch mit den geltenden gesetzlichen Vorschriften vereinbar ist und dieser entspricht.

Mit seiner Entscheidung, ungeachtet des Wegfalls des förmlichen Orphan-Drug-Status vom Fortbestehen der Ermächtigungsgrundlage für die AbD und damit verbunden der BdV auszugehen und diese nach wie vor für sinnvoll zu halten, hält sich der Antragsgegner jedoch an den vorgegebenen formell-gesetzlichen Rahmen.

§ 35a Abs. 3b SGB V setzt nach dem Wortlaut als Tatbestandsvoraussetzung nur voraus, dass das Inverkehrbringen aufgrund einer nach S. 1 Nr. 1 genehmigtes Arzneimittel erfolgt ist, oder weil die Zulassung nach S. 1 Nr. 2 zur Behandlung eines seltenen Leidens zugelassenen Arzneimittel besteht. Der spätere Wegfall des Status ändert hieran nichts:

Für einen Wegfall einer Tatbestandsvoraussetzung spricht zwar die Präsens-Formulierung in § 35a Abs. 3b S. 1 Nr. 2 SGB V, dass die Arzneimittel „zugelassen sind“. Auch § 35a Abs. 1 S. 11 und S. 16 SGB V knüpfen an die Zulassung als Orphan-Drug an. Die Gesetzesmaterialien sind wenig unergiebig. Die Gesetzesbegründung spricht aber nicht eindeutig für den Wegfall der Ermächtigungsgrundlage bei Entfallen des Orphan-Drug-Status: Seine Rechtfertigung findet § 35 Abs. 3b S. 1 SGB V laut Gesetzesbegründung aus der Situation, dass „Arzneimittel, die für die Versorgung von Patienten dringend benötigt werden, eine besondere arzneimittelrechtliche Zulassung oder Genehmigung für das Inverkehrbringen erhalten, auch wenn noch keine vollständigen klinischen Daten zur Beurteilung der Wirksamkeit vorliegen oder die vorhandene Evidenzlage, zum Beispiel wegen der Seltenheit einer Erkrankung, nur sehr gering ist. Um diese Arzneimittel Patientinnen und Patienten in der gesetzlichen Krankenversicherung zügig zur Verfügung stellen zu können und gleichzeitig eine bessere Datenbasis zur Bewertung des Zusatznutzens zu erhalten, kann der G-BA verlangen, dass anwendungsbegleitende Datenerhebungen oder Auswertungen zum Zweck der Nutzenbewertung durchgeführt werden. Der G-BA wird insoweit ermächtigt, in diesen Fällen bei noch ausstehenden Daten zum Zeitpunkt der Nutzenbewertung eine anwendungsbegleitende Datenerhebung zu beschließen.“ (Gesetzesbegründung zum Entwurf eines Gesetzes für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung, BT-Drucksache 19/8753, S. 60).

Gleichzeitig ist der Antragstellerin zuzugeben, dass der historische Gesetzgeber auch auf eine Korrektur des Erstattungsbetrages aufgrund besserer Datenlage abzielt. Zu § 130b Abs. 3 Satz 8 und Satz 9 SGB V heißt es in der Gesetzesbegründung: „Sofern sich im Fall der Arzneimittel zur Behandlung eines seltenen Leidens keine Quantifizierung des Zusatznutzens gegenüber der gesetzlichen Fiktion des § 35a Abs. 1 Satz 11 belegen lässt, sind wie in den Fällen der Sätze 5 und 6 angemessene Abschläge von dem zu vereinbarenden Erstattungsbetrag vorzunehmen. Die Vorschrift soll einen Anreiz setzen, anwendungsbegleitende Datenerhebungen durchzuführen, und gleichzeitig verhindern, dass der Erstattungsbetrag dauerhaft gleich hoch bleibt, obwohl keine hinreichenden Belege für einen Zusatznutzen vorhanden sind.“ (BT-Drucksache 19/8753, S. 65).

Wie sich – vor dem Hintergrund der Gesetzesbegründung- aus Sinn und Zweck des § 35a Abs. 3b SGB V ergibt, ist der maßgebliche Anknüpfungspunkt für die Forderung einer AdB die zum Zeitpunkt der Nutzenbewertung noch unzureichende Datenlage. Bei den Arzneimitteln liegen entweder noch keine vollständigen klinischen Daten zur Beurteilung der Wirksamkeit vor oder die vorhandene Evidenzlage ist aufgrund der Seltenheit der Erkrankung zu gering (Ernst-Wilhelm Luthe in: Hauck/Noftz SGB V, 2. Ergänzungslieferung 2024, § 35a SGB 5, Rdnr. 154).

Die AbD ist sinnvoll, solange die Evidenz nicht auf anderem Wege hergestellt ist. Dies ergibt sich zum Beispiel aus § 35a Abs. 3b S. 5 SGB V, wonach der Antragsgegner verpflichtet ist, bei der Entscheidung laufende und geplante Datenerhebungen zu dem Arzneimittel zu berücksichtigen, insbesondere solche, die sich aus Auflagen oder sonstigen Nebenbestimmungen der Zulassungs- oder Genehmigungsbehörden ergeben. Für eine solche Sichtweise spricht auch, dass der formale Status als Orphan Drug nichts mit seinem Zweck zu tun hat, der Behandlung einer schweren seltenen Erkrankung zu fördern. Der Status als Arzneimittel für seltene Leiden wird nach Art. 3 Abs. 1 VO (EG) Nr. 141/2000 ausgewiesen, wenn der pharmazeutische Unternehmer („Investor“) nachweisen kann, dass

a) das Arzneimittel für die Diagnose, Verhütung oder Behandlung eines Leidens bestimmt ist, das lebensbedrohend ist oder eine chronische Invalidität nach sich zieht und von dem zum Zeitpunkt der Antragstellung in der Gemeinschaft nicht mehr als fünf von zehntausend Personen betroffen sind, oder das Arzneimittel für die Diagnose, Verhütung oder Behandlung eines lebensbedrohenden Leidens, eines zu schwerer Invalidität führenden oder eines schweren und chronischen Leidens in der Gemeinschaft bestimmt ist und dass das Inverkehrbringen des Arzneimittels in der Gemeinschaft ohne Anreize vermutlich nicht genügend Gewinn bringen würde, um die notwendigen Investitionen zu recht-fertigen, und

b) in der Gemeinschaft noch keine zufriedenstellende Methode für die Diagnose, Verhütung oder Behandlung des betreffenden Leidens zugelassen wurde oder dass das betreffende Arzneimittel - sofern eine solche Methode besteht - für diejenigen, die von diesem Leiden betroffen sind, von erheblichem Nutzen sein wird.

Gemäß Art. 5 Abs. 12 VO (EG) Nr. 141/2000 erfolgt eine Streichung einer Orphan Drug aus dem Gemeinschaftsregister für Arzneimittel für seltene Leiden

a) auf Antrag des Investors,

b) wenn vor Erteilung der Genehmigung für das Inverkehrbringen festgestellt wird, dass die Kriterien des Art. 3 in Bezug auf dieses Arzneimittel nicht mehr erfüllt sind,

c) am Ende des in Art. 8 vorgesehenen Zeitraums des Markenexklusivitätsrechts.

Die Streichung nach der Inverkehrbringung des Arzneimittels bis zum Auslaufen der Marktexklusivität erfolgt also nicht, weil die materiellen Voraussetzungen für die Gewährung des Status weggefallen sind, sondern lediglich auf Antrag des Unternehmens.

Im konkreten Fall sind Fehler an der Einschätzung des Antragsgegners, dass vergleichende Daten einer Behandlung mit Risdiplam gegenüber den bestehenden zweckmäßigen Therapiealternativen fehlen, einschließlich solcher für die Patienten, deren Behandlung begonnen hat bzw. beginnt, bevor sich die ersten Symptome der SMA zeigen („präsymptomatische Patientinnen und Patienten“), nicht zu erkennen.

Hierzu heißt es in den Tragenden Gründen zum Beschluss über die über die Einleitung eines Verfahrens zur Forderung einer anwendungsbegleitenden Datenerhebung und von Auswertungen nach § 35a Abs. 3b Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) vom 7. Oktober 2021 (Anlage AG 6, S. 4):

„Da eine mögliche Extrapolation von Daten von symptomatischen auf präsymptomatische SMA Patientinnen und Patienten mit großen Unsicherheiten verbunden ist, soll die Evidenzgrundlage für präsymptomatische Patientinnen und Patienten durch entsprechende anwendungsbegleitende klinische Daten verbessert werden.“

Es erscheint auch nicht hinreichend wahrscheinlich, dass sich der Antragsgegner eine sachwidrige Ungleichbehandlung zu seiner Praxis der Einstellung von „normalen“ frühen Nutzenbewertungsverfahrens vorhalten lassen muss. Die von der Antragstellerin angeführte Einstellung des Verfahren zum Wirkstoff Belimumab vom 1. Juli 2021 erfolgte ausweislich der Tragenden Gründe (Anlage ASt.15) nicht, weil eine Tatbestandsvoraussetzung weggefallen ist, sondern weil (nachträglich) erkannt wurde, dass es bereits ein Arzneimittel mit diesem Wirkstoff gibt, also der Tatbestand von vornherein nicht vorgelegen hat. Auch beim weiter angeführten Fall der vorläufigen Einstellung des Verfahrens für den Wirkstoff Diroximelfumarat (Beschluss vom 16. Juni 2022) sind ausweislich der Tragende Gründe (vgl. https://www.g-ba.de/downloads/40-268-8575/2022-06-16_AM-RL-XII_Diroximelfumarat_Aussetzung_D-780_TrG.pdf) Zweifel aufgekommen, ob nicht von Anfang an die Voraussetzungen fehlen könnten.

Auch die Praxis des Antragsgegners, die in § 35a Abs. 3 Satz 4 SGB V vorgesehene Benennung von potentiellen Kombinationspartnern in den Nutzenbewertungsbeschlüssen quartalsweise daraufhin zu überprüfen, ob das Kombinationsarzneimittel noch einen neuen Wirkstoff enthält, zeigt eine sachwidrige Ungleichbehandlung gleichsetzbarer Sachverhalte nicht auf. Diese Überprüfung ist vielmehr unmittelbar der Regelung des sogenannten Kombinationsabschlages nach § 130e Abs. 1 SGB V geschuldet. Der Zwangsabschlag soll nach dem Gesetz erfolgen, weil ein (teures) neues Arzneimittel mit einem anderen neuen und deshalb bereits teuren Arzneimittel kombiniert eingesetzt wird.

3.2 Es drängt sich auch nicht auf, dass die Forderung einer AbD mit der BdV von Gesetzes wegen von vornherein oder später ausscheiden muss, weil die Antragstellerin von Anfang an nach § 35a Abs. 1 S. 16 SGB V auf das Privileg des fingierten Zusatznutzens nach § 35a Abs. 1 S. 11 SGB V verzichtet hat.

Die Antragstellerin weist allerdings zutreffend darauf hin, dass sie als pharmazeutische Unternehmerin durch die Anwendung des § 35a Abs. 3b SGB V neben dem normalen frühen Nutzenbewertungsverfahren mit dem Ergebnis eines nicht quantifizierbaren Zusatznutzen mehr belastet wird als diejenigen pharmazeutischen Unternehmer, für deren Arzneimittel der Antragsgegner ebenfalls zu dieser Nutzenbewertung gelangt, dieses aber keine Orphan Drug ist.

Neben den mit den mit der AbD selbst verbundenen Aufwand und Kosten sind wie ausgeführt an das Ergebnis der AbD nach § 130b Abs. 3 S. 8 SGB V, 5. Kap § 65 VerfO regelmäßig ein neuer Nutzenbewertungsbeschluss und ein Erstattungsbetragsverhandlungs-Verfahren gekoppelt. Der neue Erstattungsbetrag muss nach § 130b Abs. 3 Satz 9 SGB V niedriger ausfallen, wenn der Zusatznutzen ungeachtet der gewonnenen Daten nicht quantifiziert werden kann, was die Antragstellerin als „Strafabschlag“ bezeichnet. Normalerweise erfolgt ein neues Nutzenbewertungsverfahren auf Antrag des Unternehmers und frühestens nach einem Jahr, § 35a Abs. 5 S. 1 u. 4 SGB V. Alternativ sehen § 3 Nr. 4 Arzneimittel-Nutzenbewertungsverordnung, 5. Kapitel § 13 VerfO bei neuen Erkenntnissen ein neues Verfahren von Amts ebenfalls frühestens nach einem Jahr vor.

Diese zusätzliche Belastung wird aber vom Gesetz in Kauf genommen. Nach Wortlaut und der Systematik innerhalb des § 35a SGB V sollte die Ermächtigungsgrundlage in § 35a Abs. 3b SGB V aber nicht von vornherein ausgeschlossen sein, wenn ein pharmazeutischer Unternehmer einer Orphan Drug auf den fingierten Zusatznutzen verzichtet hat und ein normales Nutzenbewertungsverfahren durchgeführt wird. Die Tatbestandsvoraussetzung ist materiell umfassender. Es muss sich um eines der in § 35a Abs. 3b S. 1 SGB V aufgeführten Arzneimittel handeln. Anknüpfungspunkt ist hingegen nicht der Umstand, dass ein Zusatznutzen nach § 35a Abs. 1 S. 11 SGB V fingiert wird.

Sinn und der Zweck der AdB ist es –wie ausführlich dargestellt-, bestehende Erkenntnislücken zu schließen. Die damit verbunden Belastungen rechtfertigen sich von vornherein durch die mit den mit diesen besonderen Arzneimitteln verbundenen Privilegien für den pharmazeutischen Unternehmer. Für solche nach § 35a Abs. 3b S. 1 Nr. 1 SGB V liegt dies in der arzneimittelrechtlichen Zulassung ohne die normal erforderlichen Nachweise. Der Status Orphan Drug als Voraussetzung nach § 35a Abs. 3b S. 1 Nr. 2 SGB V hat die in Art. 6ff VO (EG) Nr. 141/2000 bestimmten Vorteile, insbesondere die Marktexklusivität nach Art. 8 der Verordnung. Zu Recht weist der Antragsgegner auch darauf hin, dass der Verzicht nach § 35a Abs. 1 S. 16 SGB V ausschließlich von der wirtschaftlichen Entscheidung des pharmazeutischen Unternehmers abhängt. Ein Bezug zum Sinn und Zweck der Norm, die unzureichenden Datenlage zu verbessern, besteht nicht.

Eine andere rechtliche Bewertung folgt auch nicht aus den Erstattungsbetrags-Regelungen des § 130b Abs. 3 S. 8-10 SGB V:

Das von der Antragstellerin befürchtete Folge-Nutzenbewertungsverfahren mit anschließendem „Strafabschlag“ ist keine zwingende Folge der Durchführung einer AbD. Die neue Verhandlung soll ausdrücklich nur „regelmäßig“ erfolgen. Es spricht viel dafür, dass es sich im Falle einer Überprüfung nach einem normalen Nutzenbewertungsverfahren um eine Ausnahme handelt. Der gesetzgeberische Regelfall ist die Fiktion des Zusatznutzens nach § 35a Abs. 3a S. 11 SGB V. Nach unbestrittenem Vortrag der Antragstellerin gibt es auch rein tatsächlich nur in ganz wenigen Einzelfällen einen Verzicht nach § 35a Abs. 3b S. 16 SGB V. Im Übrigen sieht das gesetzliche System für die Ermittlung des angemessenen Erstattungspreises vor, dass die mit einer AbD verbundene Kosten und auch der Umstand, dass die Datenerhebung zu keiner besseren Nutzenbewertung führt mit den Folgen einer Absenkung nach § 130b Abs. 3 S. 9 SGB V, berücksichtigt werden können. Jedenfalls im Schiedsverfahren nach § 130b Abs. 4 SGB V sind nämlich die Umstände des Einzelfalles und explizit die „Besonderheiten des jeweiligen Therapiegebiets“ zu berücksichtigen (S. 2). Der pharmazeutische Unternehmer hat es also in der Hand, in den Erstattungsverhandlung und notfalls im Schiedsverfahren darauf zu drängen, dass die Besonderheiten adäquat berücksichtigt werden und nicht dem für eine Nutzenbewertung mit nicht quantifizierbaren Zusatznutzen üblichen Schema gefolgt wird.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO.

5. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. §§ 53 Abs. 2 Nr. 4, 52 Abs. 1, 2 und 4 Nr. 2 GKG. Der Senat ist dabei von dem wirtschaftlichen Interesse der Antragstellerin ausgegangen, die einen drohenden Schaden von insgesamt 400 Millionen € bis 2032 in den Raum gestellt hat.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das BSG angefochten werden, § 177 SGG.

Rechtskraft
Aus
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