Wird in Angelegenheiten der privaten Pflegeversicherung gegen ablehnende Entscheidungen ein vorgerichtliches fakultatives Einwendungsverfahren eröffnet, das dem obligatorischen Widerspruchsverfahren gegen Verwaltungsakte einer Pflegekasse in Angelegenheiten der sozialen Pflegeversicherung nachgebildet ist, finden die Regelungen zur Erstattung von Kosten im Vorverfahren entsprechende Anwendung.
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
G r ü n d e :
I
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Im Streit steht die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in einer Angelegenheit der privaten Pflegeversicherung.
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Die Kläger sind die Kinder und Rechtsnachfolger des im Klageverfahren verstorbenen Versicherten. Den für seine im Berufungsverfahren verstorbene, bei ihm mitversicherte Ehefrau im Januar 2016 gestellten Antrag auf Leistungen der privaten Pflegeversicherung lehnte die Beklagte gestützt auf ein Gutachten ab (Schreiben vom 18.2.2016). Im Ablehnungsschreiben wies sie auf die Möglichkeit, hiergegen Einwendungen geltend zu machen, wie folgt hin:
"Gegen diese Feststellung können Sie innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe schriftlich Einwendungen geltend machen. Bei Einwendungen gegen die Einstufung fügen Sie Ihrem Schreiben an uns bitte die den Einwand begründenden ärztlichen oder sonstigen Unterlagen bei. Wenn keine Einwendungen geltend gemacht werden, gilt nach Ablauf der Monatsfrist dieses Schreiben als endgültige Ablehnung Ihres Antrages. Wenn Sie Ihre Ansprüche weiter verfolgen wollen, müssen Sie diese gerichtlich geltend machen. Andernfalls erlöschen möglicherweise bestehende Leistungsansprüche."
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Auf die von der Klägerin zu 1 als ihren Vater vertretende Rechtsanwältin gegen die Ablehnung geltend gemachten Einwendungen veranlasste die Beklagte ein Zweitgutachten und anerkannte gestützt hierauf das Vorliegen der Pflegestufe I, zahlte Leistungen rückwirkend ab Januar 2016 und hob ihre frühere Ablehnung auf (Schreiben vom 11.4.2016). Die Klägerin zu 1, die auch Betreuerin ihres Vaters war, stellte dem Versicherten im Dezember 2016 Rechtsanwaltskosten in Höhe von 350 Euro in Rechnung. Deren Erstattung lehnte die Beklagte ab (Schreiben vom 3.1.2017, 16.11.2017 und 20.12.2017).
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Mit seiner im März 2018 erhobenen Klage verfolgte der Versicherte das Erstattungsbegehren hinsichtlich vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten weiter. Das SG hat die Beklagte verurteilt, an die den Rechtsstreit fortführende Ehefrau des Versicherten 350 Euro zu zahlen, und es hat den ebenfalls eingeklagten Zinsanspruch abgewiesen (Urteil vom 16.10.2020). Das LSG hat die nur von der Beklagten eingelegte Berufung zurückgewiesen: Die den Rechtsstreit fortführenden Kläger könnten die Erstattung der streitigen Kosten in analoger Anwendung von § 63 SGB X für die Inanspruchnahme der anwaltlichen Vertretung im erfolgreichen Einwendungsverfahren gegen die Beklagte beanspruchen, weil diese das Einwendungsverfahren für die private Pflegeversicherung in Analogie zum sozialgerichtlichen Vorverfahren (Widerspruchsverfahren) für die soziale Pflegeversicherung ausgestaltet habe. Beide Verfahren ermöglichten die vorgerichtliche Überprüfung von Ablehnungsentscheidungen und trügen zur Entlastung der Sozialgerichte bei, weshalb Rechtsanwaltskosten im erfolgreichen isolierten Einwendungsverfahren in gleicher Weise wie im isolierten Widerspruchsverfahren erstattungsfähig seien. Die Erstattungsforderung sei auch im Übrigen nach Grund und Höhe nicht zu beanstanden (Urteil vom 22.9.2022).
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Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung materiellen Rechts. Ein Kostenerstattungsanspruch könne weder direkt noch im Wege der Analogiebildung aus § 63 SGB X abgeleitet werden. Insoweit fehle es bereits an einer planwidrigen Regelungslücke.
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Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 22. September 2022 aufzuheben und das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 16. Oktober 2020 zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
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Die Kläger verteidigen die angegriffene Entscheidung und beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
II
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Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Zutreffend haben die Vorinstanzen entschieden, dass sie den klagenden Rechtsnachfolgern ihres verstorbenen Versicherten zur Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verpflichtet ist.
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1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens sind die vorinstanzlichen Entscheidungen und das von den Klägern als Rechtsnachfolgern zulässig mit der reinen Leistungsklage (§ 54 Abs 5 SGG) weiterverfolgte Begehren auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten, weil die beklagte Krankenversorgung der Bundesbahnbeamten in Angelegenheiten der privaten Pflegeversicherung keine Verwaltungsakte erlässt (vgl zur Klageart in diesen Angelegenheiten letztens BSG vom 30.11.2023 B 3 P 5/22 R vorgesehen für BSGE und SozR 4, RdNr 9; vgl zur entsprechenden Lage bei einer Klage gegen die Postbeamtenkrankenkasse in Angelegenheiten der privaten Pflegeversicherung BSG vom 10.9.2020 B 3 P 2/19 R SozR 43300 § 38 Nr 4 RdNr 2, 15 ff mwN). Mit ihrer Revision erstrebt die Beklagte die vollständige Abweisung der Klage.
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2. Der Senat ist an einer Sachentscheidung nicht gehindert. Insbesondere war die Berufung der Beklagten aufgrund deren Zulassung durch das SG statthaft (§ 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG).
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3. Als Rechtsgrundlage des im Sozialgerichtsweg geltend gemachten Anspruchs auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten kommt nur § 63 SGB X in Betracht. Danach hat, soweit der Widerspruch erfolgreich ist, der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten (Abs 1 Satz 1); die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten im Vorverfahren sind erstattungsfähig, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war (Abs 2).
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4. In Angelegenheiten der privaten Pflegeversicherung finden die Regelungen des § 63 SGB X zur Erstattung von Kosten im Vorverfahren (Widerspruchsverfahren) keine unmittelbare Anwendung. Nicht anders als private Versicherungsunternehmen erlässt die beklagte Krankenversorgung der Bundesbahnbeamten in Angelegenheiten der privaten Pflegeversicherung keine Verwaltungsakte und ist hierzu auch nicht befugt (s bereits oben RdNr 9), weshalb vor Klageerhebung gegen ihre (ablehnenden) Entscheidungen kein Vorverfahren durchzuführen und mithin kein Widerspruch zu erheben ist (vgl dagegen zur Vorverfahrenspflicht gegen Verwaltungsakte zur Vermeidung ihrer Bindungswirkung §§ 77, 78 und 83 SGG).
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Dem § 63 SGB X vergleichbare Regelungen zur Erstattung gleichwohl entstandener vorgerichtlicher Aufwendungen in Angelegenheiten der privaten Pflegeversicherung enthalten weder die Vorschriften des SGB XI zur privaten Pflegeversicherung noch das Versicherungsvertragsrecht oder die vertraglichen Versicherungsgrundlagen. Soweit sich Ansprüche auf Erstattung solcher Aufwendungen als Schadensersatz oder wegen Verzugs auf Regelungen des BGB stützen lassen, sind diese mit dem verschuldensunabhängigen Erstattungsanspruch des § 63 SGB X strukturell nicht vergleichbar.
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5. Insoweit mag zwar eine Regelungslücke nicht stets vorliegen, was hier offenbleiben kann, jedenfalls aber in der vorliegenden Konstellation: Wird in Angelegenheiten der privaten Pflegeversicherung durch das Versicherungsunternehmen gegen seine ablehnenden Entscheidungen ein vorgerichtliches fakultatives Einwendungsverfahren eröffnet, das dem obligatorischen Widerspruchsverfahren gegen Verwaltungsakte einer Pflegekasse in Angelegenheiten der sozialen Pflegeversicherung nachgebildet ist, finden die Regelungen zur Erstattung von Kosten im Vorverfahren entsprechende Anwendung.
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a) Die Voraussetzungen einer Analogiebildung zur Schließung einer planwidrigen Regelungslücke liegen vor (vgl zu diesen Voraussetzungen etwa BSG vom 18.1.2011 B 4 AS 108/10 R BSGE 107, 217 = SozR 44200 § 26 Nr 1, RdNr 24 mwN). Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber bewusst in einer Konstellation wie der vorliegenden die Erstattung von Aufwendungen eines erfolgreichen vorgerichtlichen Rechtsschutzes in Angelegenheiten der privaten Pflegeversicherung ausschließen wollte, sind nicht ersichtlich. In dieser Konstellation ist auch unter Berücksichtigung des Unterschieds zwischen einem fakultativen Einwendungsverfahren und einem obligatorischen Widerspruchsverfahren die Interessenlage von Versicherten in der privaten mit der von Versicherten in der sozialen Pflegeversicherung bezogen auf das verfahrensrechtliche Schutzniveau vergleichbar (vgl so auch bereits LSG Nordrhein-Westfalen vom 26.5.2020 L 5 P 147/19 juris).
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b) Für den Gleichlauf des vorgerichtlichen verfahrensrechtlichen Schutzniveaus auch in kostenrechtlicher Hinsicht von erfolgreichen Einwendungen und erfolgreichen Widersprüchen durch die entsprechende Anwendung des § 63 SGB X spricht zum einen die durch § 23 Abs 1 Satz 2, Abs 4 Nr 3 SGB XI vorgegebene Gleichwertigkeit von Leistungen der privaten und sozialen Pflegeversicherung (vgl zuletzt BSG vom 30.11.2023 B 3 P 5/22 R vorgesehen für BSGE und SozR 4, RdNr 11 mwN). Zum anderen spricht hierfür der Gleichlauf in Angelegenheiten der privaten und sozialen Pflegeversicherung mit Blick auf den gerichtlichen Rechtsschutz: Jeweils ist gesetzlich der Rechtsweg zur Sozialgerichtsbarkeit eröffnet (§ 51 Abs 1 Nr 2, Abs 2 SGG) und erfasst nach der Rechtsprechung des Senats die Kostenprivilegierung im sozialgerichtlichen Verfahren (§ 183 SGG) in entsprechender Anwendung auch die Angelegenheiten der privaten Pflegeversicherung (dazu grundlegend BSG vom 28.9.2006 B 3 P 3/05 R SozR 43300 § 23 Nr 5 RdNr 13). Für eine Angleichung auch im vorgerichtlichen Kostenrecht streitet zudem die Rechtsprechung des Senats, nach der die Unterstützung privat Pflegeversicherter bei der Realisierung der ihnen zustehenden Leistungen und Hilfen nicht hinter den entsprechenden Informations, Beratungs und Unterstützungsangeboten im Rahmen der sozialen Pflegeversicherung zurückbleiben darf, weshalb die Grundsätze des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs entsprechende Geltung auch für die private Pflegeversicherung beanspruchen (BSG vom 30.8.2023 B 3 P 4/22 R vorgesehen für BSGE und SozR 4, RdNr 17, 20).
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Eröffnet ein Unternehmen der privaten Pflegeversicherung wie vorliegend aus sachgerechten Gründen die Beklagte ein Verfahren der vorgerichtlichen Selbstkontrolle ablehnender Entscheidungen und der Einholung eines Zweitgutachtens auf Einwendungen von Versicherten (vgl zur fehlenden Verbindlichkeit der vom Unternehmen eingeholten Gutachten BSG vom 22.4.2015 B 3 P 8/13 R BSGE 118, 239 = SozR 43300 § 23 Nr 7, RdNr 13 ff), korrespondieren dem nach dieser aufgezeigten Rechtsprechungslinie des Senats die Möglichkeit der häufig hochbetagten Versicherten, für die Formulierung von Einwendungen einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen, und bei einem Erfolg der Einwendungen die Kostenerstattung der Zuziehung eines Rechtsanwalts im Einwendungsverfahren in entsprechender Anwendung des § 63 SGB X. Diese sichert die durch das Versicherungsunternehmen eröffnete vorgerichtliche Rechtswahrnehmungsmöglichkeit ab. Ein Verweis der privat Versicherten auf rein zivilrechtliche und vor den Zivilgerichten zu verfolgende Möglichkeiten, eine Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten zu erlangen (vgl Becker in Hauck/Noftz, SGB X, § 63 RdNr 11, Stand April 2020), widerspräche dem in der vorliegenden, dem sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren nachgebildeten Konstellation gebotenen Gleichlauf von privater und sozialer Pflegeversicherung auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht. Nur hinzu kommt, dass wie das obligatorische Widerspruchsverfahren auch das fakultative erfolgreiche isolierte Einwendungsverfahren zur Entlastung der Sozialgerichte führt.
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c) Der Senat kann offenlassen, ob die entsprechende Anwendung der Regelungen des § 63 SGB X hier zwingend geboten ist, weil ohne diese eine Verletzung des Art 3 Abs 1 GG vorläge. Hiergegen könnte sprechen, dass auch bei eröffnetem Einwendungsverfahren für Versicherte kein Zwang zu dessen Durchführung besteht, sie vielmehr auch ohne dessen vorherige Durchführung unmittelbaren Zugang zum gerichtskostenfreien sozialgerichtlichen Verfahren und die Möglichkeit der Bewilligung von PKH in diesem Verfahren haben. Der entsprechenden Anwendung des § 63 SGB X in der vorliegenden Konstellation steht Verfassungsrecht indes zumindest nicht entgegen (vgl zu den Maßstäben nur letztens BVerfG vom 28.11.2023 2 BvL 8/13 juris RdNr 130 ff mwN).
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6. Die Vorgaben des danach entsprechend anwendbaren § 63 SGB X für die Erstattung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten sind hier für das erfolgreiche isolierte Einwendungsverfahren gegen die Leistungsablehnung der Beklagten dem Grunde wie der Höhe nach erfüllt.
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Insbesondere war im Sinne des § 63 Abs 2 SGB X die Zuziehung eines Rechtsanwalts durch den seinerzeit 86jährigen, unter Betreuung stehenden Versicherten im in Anspruch genommenen Einwendungsverfahren gegen die Ablehnung von Leistungen für seine über ihn versicherte, 84jährige Ehefrau notwendig. Beiden war nicht zuzumuten, selbst in Auseinandersetzung mit dem von der Beklagten ihrer Ablehnungsentscheidung zugrunde gelegten Gutachten Einwendungen zu formulieren, zumal angesichts der Komplexität der Ermittlung einer Pflegestufe nach dem bis 31.12.2016 geltenden Recht (vgl allgemein zu § 63 Abs 2 SGB X BSG vom 20.2.2020 B 14 AS 3/19 R BSGE 130, 64 = SozR 41300 § 63 Nr 30, RdNr 26). Anderes folgt hier nicht daraus, dass die Klägerin zu 1 die Tochter des Versicherten, dessen Betreuerin und hier als Rechtsanwältin tätig war. Insbesondere ergibt sich hieraus für sie keine rechtliche Verpflichtung zu einem unentgeltlichen Tätigwerden.
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Die Höhe der von der Klägerin zu 1 mit ihrer Rechnung bestimmten Erstattungsforderung eine Geschäftsgebühr in Anlehnung an § 3 Abs 1 Satz 1, Abs 2 RVG iVm VV Nr 2302 in Höhe von 330 Euro nebst einer Auslagenpauschale nach VV Nr 7002 in Höhe von 20 Euro ist von der Beklagten nicht beanstandet worden. Auch der Senat hat hierzu keinen Anlass (vgl zu den Maßstäben bei Rahmengebühren nach § 14 RVG nur BSG vom 12.12.2019 B 14 AS 48/18 R SozR 41935 § 14 Nr 4 RdNr 13 ff, 19 ff).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO. Das Revisionsverfahren war nach Maßgabe des § 183 SGG für beide Beteiligte die Kläger als sonstige Rechtsnachfolger in einem weiteren Rechtszug und die Beklagte als Versicherungsunternehmen nicht kostenfrei, weshalb § 197a SGG anzuwenden war.