Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 21. Juni 2023 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Anrechnung seines Einkommens auf die ihm bewilligte große Witwenrente.
Die Beklagte bewilligte dem im Jahr 1965 geborenen Kläger, der als Hausmeister bei der Stadt E1 beschäftigt ist, nach dem Ableben seiner Ehefrau 2022, mit der er seit 1986 verheiratet gewesen ist, mit Bescheid vom 1. Juni 2022 eine große Witwenrente ab dem 7. Mai 2022. Die laufenden Rentenzahlungen ab dem 1. September 2022 bezifferte sie bei einem Bruttobetrag von 13,45 € monatlich auf 11,98 € monatlich. Die Nachzahlung für den Zeitraum vom 7. Mai – 31. August 2022 betrage 3.404,45 €. Der Beklagte berücksichtigte hierbei 28,5884 persönliche Entgeltpunkte, bis zum Ablauf des dritten Monats nach dem Sterbemonat einen Rentenartfaktor von 1,0 (ab dem 1. September 2022 einen solchen von 0,55) sowie einen aktuellen Rentenwert von 34,19 € (ab dem 1. Juli 2022 einen solchen von 36,02 €). Die Beklagte berücksichtigte ferner Einkommen des Klägers von 2.333,20 € monatlich, das den Freibetrag von 950,93 € um 1.382,27 € übersteige, wovon 40 %, d.h. ein Betrag von 552,91 €, auf den Rentenbetrag von 977,44 € bzw. ab dem 1. September 2022 von 566,36 € anzurechnen sei.
Hiergegen erhob der Kläger am 13. Juni 2022 Widerspruch, mit dem er vorbrachte, dass die Norm über die Einkommensanrechnung verfassungswidrig sei. Rentenanwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung seien grundrechtlich geschützt und dürften deshalb nicht ohne weiteres entzogen werden. Der Schutz der Rentenanwartschaften gelte gerade für einen vor dem Renteneintrittsalter verstorbenen Beitragszahler. Seine verstorbene Ehefrau habe jahrelang in die Rentenversicherung eingezahlt. Durch das Herunterrechnungen der Rentenanwartschaft verbleibe ihm, dem überlebenden Ehegatten, praktisch nichts mehr. Auch komme der Witwerrente Unterhaltsersatzfunktion zu. Er werde gegenüber Beamten ungleich behandelt. Schließlich liege ein Verstoß gegen Vorschriften die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) vor.
Mit Widerspruchsbescheid vom 19. Januar 2023 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Bestimmungen über die Anrechnung von Einkommen (§§ 97 Abs. 1, Abs. 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch [SGB VI]) seien von ihr, der Beklagten, korrekt angewandt worden. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe bereits am 18. Februar 1998 in den Verfahren - 1 BvR 1318/86 - bzw. - 1 BvR 1484/86 - (beide in juris) entschieden, dass die Regelungen des §§ 97 Abs. 1 und 2 SGB VI nicht verfassungswidrig seien.
Am 8. Februar 2023 hat der Kläger hiergegen Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Zu deren Begründung hat er vorgetragen, seine verstorbene Ehefrau habe in der Zeit vom 3. September 1979 - 7. Mai 2022 und damit 42 Jahre und 7 Monate durchgängig versicherungspflichtig gearbeitet. Diese Zeit sei nur durch Zeiten der Schwangerschaft und durch Kindererziehungszeiten unterbrochen gewesen. Während dieser Zeit seien für sie Versicherungsbeiträge in einer Gesamthöhe von umgerechnet 662.504,72 € bezahlt worden. Er, der Kläger, erhalte als Witwer bei einer Kapitalisierung der monatlichen Witwenrente von 11,98 € monatlich unter Berücksichtigung der Nachzahlung maximal einen Betrag von 5.335,41 €, d.h. 0,808 % der für die Verstorbene geleisteten Rentenbeiträge. Die dem zu Grunde liegende Regelung des § 97 SGB VI sei, so der Kläger weiter, verfassungswidrig und verstoße auch gegen die EMRK. Namentlich liege eine Ungleichbehandlung i.S.d. Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) vor sowie ein Eingriff in Art. 6 Abs. 1 GG, jew. i.V.m. mit Art. 8, 14 der EMRK und Art. 14 Abs. 1 GG vor.
Die Beklagte ist der Klage unter Verweis auf ihren Widerspruchsbescheid entgegengetreten.
Mit Gerichtsbescheid vom 21. Juni 2023 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, der Bescheid vom 1. Juni 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Januar 2023 sei rechtmäßig. Das SG hat hierzu nach § 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid verwiesen und ergänzend ausgeführt, dass Fehler in der konkreten Berechnung der Witwerrente weder vorgetragen noch ersichtlich seien. § 97 SGB VI sei auch nicht verfassungswidrig, weswegen keine Veranlassung bestehe, den Rechtsstreit auszusetzen und nach Art. 100 Abs. 1 GG dem BVerfG vorzulegen. Selbiges habe bereits entschieden, dass die Regelungen zur Anrechnung von Erwerbs- und Erwerbsersatzeinkommen auf die gesetzliche Hinterbliebenenrente die verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie des Art. 14 GG nicht berührten (BVerfG, Beschluss vom 18. Februar 1998 - 1 BvR 1318/86 –, a.a.O.; Landessozialgericht [LSG] Baden-Württemberg, Urteil vom 16. März 2022 - L 2 R 3787/21 -, in juris). Nach der Konzeption des Gesetzgebers sei die Hinterbliebenenversorgung dem Versicherten nicht als "seine Rechtsposition" zugeordnet, sie beruhe nicht auf einer dem Versicherten zurechenbarer Eigenleistung. Obwohl die Hinterbliebenenrente aus Beiträgen der Versicherten und der Arbeitgeber finanziert werde, fehle es dennoch an einem hinreichenden personalen Bezug zwischen der Beitragsleistung des Versicherten und der später an seine Hinterbliebenen geleisteten Rente. Jeder Versicherte trage über seinen Beitrag gleichermaßen zur Versorgung aller Hinterbliebenen bei, ohne dass der verheiratete Versicherte - trotz der erhöhten Wahrscheinlichkeit, dass seine Hinterbliebenen Rente erhalten - einen an diesem Risiko ausgerichteten Beitrag leisten müsse. Ferner stelle die Hinterbliebenenrente eine vorwiegend fürsorgerisch motivierte Leistung dar. Art 3 Abs. 1 GG erfordere es nicht, die Anrechnung von Einkommen in gleicher Weise zu regeln wie in den Alterssicherungssystemen "berufsständische Versorgung" und "Beamtenversorgung". Zwischen beiden Systemen bestünden Unterschiede von solchem Gewicht, die verschiedene Regelungen zur Anrechnung von Einkommen in beiden Rechtsgebieten rechtfertigten. Die Beamtenversorgung gehe vom Prinzip der amtsangemessenen Alimentation aus. Sie werde aus Steuern finanziert und vom Dienstherrn geleistet. Verfassungsrechtlich ist dies in Art. 33 Abs. 5 GG verankert. Dagegen sei die berufsständische Versorgung wie auch die gesetzliche Rentenversicherung eine Pflichtversicherung, die von öffentlich-rechtlichen Körperschaften durchgeführt werde. Ihre Ansprüche würden durch die Beiträge der Versicherten gedeckt und seien vom Gedanken des sozialen Ausgleichs geprägt. Im Übrigen bleiben auch Ansprüche aus der Beamtenversorgung nicht von einer Anrechnung anderer Leistungen verschont. Diese unterlägen jedoch anderen Voraussetzungen als die Anrechnung in der gesetzlichen Rentenversicherung; die Ausgestaltung unterliege der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit. Aus dem in Art 6 Abs. 1 GG enthaltenen Gebot, Ehe und Familie zu schützen und zu fördern, ließen sich keine konkreten Folgerungen für die einzelnen Rechtsgebiete ableiten. Auch unter Berücksichtigung von Art. 8 Abs. 1 Fall 2, 14 EMRK bestünden, so das SG, keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
Gegen den ihm am 21. Juni 2023 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 26. Juni 2023 Berufung beim LSG Baden-Württemberg eingelegt. Zu deren Begründung trägt er vor, das SG habe den klägerischen Vortrag unzureichend gewürdigt. Es habe insb. übersehen, dass das BVerfG und ihm folgend der Gesetzgeber die unterschiedliche gesetzliche Behandlung der beiden „Systeme" im Besteuerungsurteil aufgegeben habe. Es existierten, anders als vom SG angenommen, zwischen den Altersversorgungssystemen der Beamten und der Rentner keine wesentlichen Unterschiede. Vielmehr seien bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise wesentliche Übereinstimmungen festzustellen, weswegen eine Ungleichbehandlung nicht gerechtfertigt sei. Hinzu komme, dass Art. 14 EMRK jegliche Diskriminierung anerkannter Rechte und Freiheiten untersage. Sie, die EMRK sei bei der Interpretation nationalen Rechts - auch der Grundrechte und rechtsstaatlicher Garantien - zu berücksichtigen. Dies habe das BVerfG übersehen und sei nunmehr zu beantworten. Auch die Ausführungen des SG zu Art. 6 Abs. 1 GG überzeugten nicht. Art. 6 Abs. 1 GG schütze die Familie als tatsächliche Lebensgemeinschaft. Nach Art. 8 EMRK habe jede Person das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz. Diese Regelungen verpflichte den Staat, die Ehe im Hinblick auf deren persönliche Beziehung als auch im wirtschaftlichen Bereich zu respektieren und ihren Zusammenhalt zu fördern. Hiervon könne keine Rede mehr sein, wenn Ehegatten während bestehender Ehe für ihren Lebensabend und die Zeit nach dem Versterben des ersten Ehegatten nicht mehr hinreichend planen könnten, weil sie damit rechnen müssten, dass Teile ihrer über Jahrzehnte angesparten Rentenanwartschaften für immer verloren sein könnten. Derartige Überlegungen müssten demgegenüber Beamte gar nicht erst anstellen, denn der überlebende Ehegatte des vorverstorbenen Beamten erhalte einen Großteil der Pension immer, und zwar auch dann, wenn er diese überhaupt nicht benötige. Die Familienplanung der Eheleute sei darauf angelegt gewesen, den Lebensabend aufgrund des gemeinsamen Einkommen zu gestalten. Dies sei nach dem frühen Versterben der Ehefrau und der Anrechnung des Einkommens auf die Witwerrente nun nicht mehr möglich. Die aufgezeigte Korrelation zwischen der Höhe der einbezahlten Versicherungsbeiträge der Ehefrau und der Höhe der ausbezahlten Witwerrente stelle einen Verstoß gegen Art. 14 GG dar.
Der Kläger beantragt (zweckdienlich gefasst),
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 21. Juni 2023 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 1. Juni 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Januar 2023 zu verurteilen, ihm ab dem 7. Mai 2022 eine höhere Witwerrente zu gewähren,
hilfsweise,
das Verfahren auszusetzen und eine Entscheidung des BVerfG zur Frage einzuholen, ob § 97 SGB VI mit dem Grundgesetz, insb. mit Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 6 Abs. 1 GG vereinbar ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung ihres Antrages hat die Beklagte auf ihren erstinstanzlichen Vortrag und die aus ihrer Sicht zutreffenden Ausführungen des SG im angefochtenen Gerichtsbescheid verwiesen.
Mit Schriftsatz vom 2. August 2023 hat die Beklagte, mit solchem vom 3. August 2023 der Kläger das Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes, insb. des Vorbringens der Beteiligten wird auf die (elektronisch geführten) Prozessakten beider Rechtszüge sowie die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der Entscheidungsfindung geworden sind, verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die statthafte (vgl. § 143 SGG), form- und fristgerecht (vgl. § 151 Abs. 1 SGG) und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers, über die der Senat nach dem erklärten Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG) ist zulässig, führt für diesen inhaltlich nicht zum Erfolg.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten vom 1. Juni 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Januar 2023 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass die ihm gewährte Witwerrente ohne die Anrechnung seines Einkommens gewährt wird.
Der Kläger hat unstreitig nach dem Tod seiner Ehefrau 2022 einen Anspruch auf eine große Witwerrente nach § 46 Abs. 2 SGB VI, da die verstorbene Ehefrau des Klägers die allgemeine Wartezeit erfüllt, der Kläger nicht wieder geheiratet und sein 47. Lebensjahr vollendet hat. Deren Höhe ergibt sich nach §§ 63 Abs. 6, 64 SGB VI, wenn die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen Entgeltpunkte (§ 64 Nr. 1 SGB VI), der Rentenartfaktor (§ 64 Nr. 6 SGB VI) und der aktuelle Rentenwert (§ 64 Nr. 3 SGB VI) mit ihrem Wert bei Rentenbeginn miteinander vervielfältigt werden, wobei allein die Versicherungszeiten des verstorbenen Ehegatten zu berücksichtigen sind. Dass die Beklagte diese Vorgaben bei der Bewilligungsentscheidung unzutreffend angewandt hat, ist weder vorgetragen, noch anderweitig ersichtlich.
Nach § 97 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI wird Einkommen (§§ 18a bis 18e Sozialgesetzbuch Viertes Buch [SGB IV]) des Berechtigten, das mit einer Witwenrente oder Witwerrente zusammentrifft, hierauf angerechnet.
Anrechenbar ist das nach § 97 Abs. 2 Satz 1 SGB VI erzielte Einkommen, das monatlich das 26,4fache des aktuellen Rentenwerts (§§ 68, 69 SGB VI) übersteigt. Von dem danach, d.h. oberhalb des Freibetrages verbleibenden anrechenbaren Einkommen werden 40 vom Hundert angerechnet (§ 97 Abs. 2 Satz 3 SGB VI). Durch diese Ausgestaltung wird die Unterhaltsfunktion der Hinterbliebenenrente insoweit gesichert, als dem überlebenden Ehegatten mindestens 60 vom Hundert der Einkünfte, die den Eheleuten zuletzt zur Verfügung standen, verbleibt, gleichzeitig fließt auch ein, dass der Unterhaltsbedarf eines Hinterbliebenen geringer ist, wenn er über Erwerbs- oder Erwerbsersatzeinkommen verfügt. Auch diese Vorgaben hat die Beklagte bei der Berechnung der Witwerrente zutreffend umgesetzt und das Einkommen des Klägers von 2.333,20 € monatlich, das den Freibetrag von 950,93 €, um 1.382,27 € übersteigt im Umfang von 40 % (552,91 €) auf den Rentenanspruch angerechnet. Die Beklagte hat insb. für die Zeit bis einschließlich 31. August 2022 auch berücksichtigt, dass eine Anrechnung von Einkommen auf die Witwerrente nicht erfolgt, solange deren Rentenartfaktor mindestens 1,0 beträgt (§ 97 Abs. 1 Satz 2 SGB VI); mithin eine Anrechnung erst ab dem 1. September 2022 erfolgen durfte. Eine fehlerhafte Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben ist nicht ersichtlich und wird klägerseits auch nicht geltend gemacht.
Die Regelungen über die Anrechnung von Erwerbs- und Erwerbsersatzeinkommen auf die Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung sind, anders als der Kläger vorbringt, zur Überzeugung des Senats auch verfassungsmäßig. Das BVerfG hat in seinem Beschluss vom 18. Februar 1998 (- 1 BvR 1318/96, a.a.O.) ausdrücklich betont, dass die Hinterbliebenenversorgung nicht auf einer dem Versicherten zurechenbaren Eigenleistung beruht und dass Ansprüche in der gesetzlichen Rentenversicherung auf Hinterbliebenenversorgung demgemäß auch nicht dem Eigentumsschutz des Art 14 Abs. 1 GG unterliegen. Die Hinterbliebenenrente stellt vielmehr eine vorwiegend fürsorgerisch motivierte Leistung dar, zumal sie ohne eigene Beitragsleistung des Rentenempfängers und ohne erhöhte Beitragsleistung des Versicherten gewährt wird. Insgesamt dient sie damit der Sicherung der Familienangehörigen im Rahmen des dem sozialen Versicherungssystem eigenen Gedanken des sozialen Ausgleichs. Da die Hinterbliebenenrente eine Unterhaltsersatzfunktion hat, ist die Berücksichtigung des eigenen Einkommens der Hinterbliebenen sachgerecht und unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden. Im Hinblick darauf, dass Hinterbliebenenrenten die Berücksichtigung einer typisierten Bedarfslage ohne die genauere Festlegung eines individuellen Bedarfs unter Berücksichtigung des jeweiligen Einkommens eigen ist, war der Gesetzgeber nicht gehindert, die Hinterbliebenenversorgung in der gesetzlichen Rentenversicherung im Hinblick auf anrechenbares Einkommen abweichend von anderen Rentenleistungen zu regeln. Insoweit handelt es sich nicht einmal um eine Systemwidrigkeit, die einen Gleichheitsverstoß initiieren könnte. Auch das im System der Sozialversicherung angelegte Prinzip des sozialen Ausgleichs rechtfertigt die Anrechnungsregelung, die einen kleinen Teil aller Hinterbliebenenrenten voll zum Ruhen bringt, um den sozial Schwächeren eine relativ höhere Sicherung zukommen zu lassen. Die in § 18a SGB IV getroffene Unterscheidung zwischen anzurechnenden und nicht anzurechnenden Arten von Einkommen verletzt dabei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (a.a.O.) insb. auch nicht den Gleichheitssatz, weil die Abgrenzung nach sachgerechten Kriterien erfolgt. Vor diesem Hintergrund bedingt der Vortrag des Klägers zum „Missverhältnis“ zwischen der Summe der von bzw. für seine Ehefrau einbezahlten Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung und dem prozentualen Anteil, mit dem er hiervon partizipiert keinen Verstoß gegen Art. 14 GG. Vielmehr ist nach der Konzeption des Gesetzgebers die Hinterbliebenenversorgung dem Versicherten nicht als Rechtsposition privatnützig zugeordnet. Die Leistung erstarkt gemäß § 46 Abs. 1 SGB VI nicht mit Ablauf der Wartezeit und Eintritt des Versicherungsfalls zum Vollrecht. Sie steht vielmehr unter der weiteren Voraussetzung, dass der Versicherte zu diesem Zeitpunkt in gültiger Ehe lebt. Zwar ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich das versicherte Risiko verwirklicht, bei verheirateten Versicherten deutlich erhöht. Es bleibt aber bei einer bloßen Aussicht auf die Leistung, die mit der Auflösung der Ehe oder dem Vorversterben des Partners entfällt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. Februar 1998, a.a.O., Rn. 60 der juris-Veröffentlichung). Überdies fehlt es, obschon die Hinterbliebenenrente aus Beiträgen der Versicherten und der Arbeitgeber finanziert wird, an einem hinreichenden personalen Bezug zwischen der Beitragsleistung des Versicherten und der später an seine Hinterbliebenen geleisteten Rente. Ferner stellt die Hinterbliebenenrente eine vorwiegend fürsorgerisch motivierte Leistung dar, zumal sie ohne eigene Beitragsleistung des Rentenempfängers und ohne erhöhte Beitragsleistung des Versicherten gewährt wird (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16. März 2022, a.a.O., Rn. 22 der juris Veröffentlichung m.w.N.).
Auch ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG liegt nicht vor. Da nach dieser Vorschrift in erster Linie eine ungerechtfertigte Verschiedenbehandlung von Personen verhindert werden soll, unterliegt der Gesetzgeber bei einer Ungleichbehandlung von Personengruppen regelmäßig einer strengen Bindung. Dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers sind umso engere Grenzen gesetzt, je stärker sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann, was insbesondere im Hinblick auf die Zwangsmitgliedschaft von Versicherten, deren allgemeine Handlungsfreiheit hierdurch eingeschränkt wird, von Bedeutung ist. Außerhalb des so umschriebenen Bereichs läßt der Gleichheitssatz dem Gesetzgeber jedoch weitgehende Freiheit, Lebenssachverhalte je nach dem Regelungszusammenhang verschieden zu behandeln. Die Grenze bildet insoweit allein das Willkürverbot. Danach war der Gesetzgeber nicht gehindert, die Hinterbliebenenversorgung in der gesetzlichen Rentenversicherung im Hinblick auf anrechenbares Einkommen abweichend von anderen Rentenleistungen zu regeln. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet es insb. nicht, die Anrechnung von Einkommen auf Versorgungsleistungen für die Alterssicherungssysteme "gesetzliche Rentenversicherung" und "Beamtenversorgung" in gleicher Weise zu regeln. Abgesehen vom Ziel der angemessenen Sicherung des Lebensstandards im Alter bestehen zwischen beiden Systemen Unterschiede von solchem Gewicht, dass sie verschiedene Regelungen zur Anrechnung von Einkommen in beiden Rechtsgebieten rechtfertigen. Die Beamtenversorgung geht, verfassungsrechtlich in Art. 33 Abs. 5 GG verankert, vom Prinzip der amtsangemessenen Alimentation aus. Sie wird aus Steuern finanziert und vom Dienstherrn geleistet. Dagegen ist die gesetzliche Rentenversicherung eine Zwangsversicherung, die von öffentlich-rechtlichen Körperschaften durchgeführt wird. Ihre Ansprüche werden durch die Beiträge der Versicherten gedeckt und sind vom Gedanken des sozialen Ausgleichs geprägt. Im Übrigen bleiben auch Ansprüche aus der Beamtenversorgung nicht von einer Anrechnung anderer Leistungen verschont (vgl. § 53a bis § 55 BeamtVG). Diese unterliegt jedoch anderen Voraussetzungen als die Anrechnung in der gesetzlichen Rentenversicherung. Derartige Unterschiede bleiben innerhalb der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers. Anders als klägerseits vorgebracht wird, hat das BVerfG die unterschiedliche gesetzliche Behandlung der beiden „Systeme" im Besteuerungsurteil auch nicht aufgegeben. Das BVerfG (Urteil vom 6. März 2002 - 2 BvL 17/99 -, in juris) hat vielmehr „nur“ entschieden, dass im Interesse der verfassungsrechtlich gebotenen steuerlichen Lastengleichheit, Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch besteuert werden müssen (Rn. 198 der juris Veröffentlichung) und die unterschiedliche Steuerbelastung von Sozialversicherungsrenten einerseits und von beamtenrechtlichen Versorgungsbezügen andererseits den gleichheitsrechtlichen Vorgaben des Art. 3 GG nicht genügt. Dass es über die Besteuerung hinaus von einer „Gleichheit“ im klägerseits vorgebrachten Sinne ausgeht, lässt sich dem Urteil hingegen nicht entnehmen.
.
Auch ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 GG liegt nicht vor. Art. 6 Abs. 1 GG, nach dem Ehe und Familie unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung stehen, gebietet als verbindliche Wertentscheidung für den gesamten Bereich des die Ehe und die Familie betreffenden privaten und öffentlichen Rechts einen besonderen Schutz durch die staatliche Ordnung. Als Grundsatznorm lässt sich ihm eine allgemeine Pflicht des Staates zur Förderung der Familie durch geeignete Maßnahmen entnehmen. Konkrete Ansprüche auf bestimmte staatliche Leistungen, wie bspw. die Gewährung einer Hinterbliebenenrente ohne die Anrechnung des Einkommens des überlebenden Partners, können aus dem Förderungsgebot des Art. 6 Abs. 1 GG nicht hergeleitet werden (vgl. BVerfG, Urteil vom 12. Februar 2003 - 1 BvR 624/01 -, in juris, dort Rn. 32).
Auch unter europarechtlichen Gesichtspunkten ergibt sich keine Rechtswidrigkeit der hier streitigen Anrechnungsvorschriften. Insb. verstoßen diese nicht gegen das allgemeine Gleichheitsgebot des Art 20 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, welches in seinem Regelungsgehalt dem grundgesetzlichen Gleichbehandlungsgebot entspricht oder gegen die Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16. März 2022, a.a.O.).
Auch ein geltend gemachter Verstoß gegen Bestimmungen der EMRK liegt nicht vor. Die EMRK steht innerstaatlich im Rang eines Bundesgesetzes und damit unter dem Grundgesetz. Sie ist jedoch als Auslegungshilfe bei der Auslegung der Grundrechte und rechtsstaatlichen Grundsätze des Grundgesetzes heranzuziehen. Ihre Heranziehung als Auslegungshilfe verlangt allerdings keine schematische Parallelisierung der Aussagen des Grundgesetzes mit denen der EMRK, sondern ein Aufnehmen deren Wertungen, soweit dies methodisch vertretbar und mit den Vorgaben des Grundgesetzes vereinbar ist (BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2333/08 -, in juris, dort Rn. 86). Hiernach lässt sich insb. aus Art. 14 EMRK und dem dortigen Diskriminierungsverbot keine Rechtswidrigkeit der Regelungen über die Anrechnung von Einkommen auf die Hinterbliebenenversorgung herleiten. Denn nur soweit Sozialleistungsansprüche im nationalen Recht begründet worden sind, fallen sie in den Anwendungsbereich von Art 1 des Protokolls Nr. 1 zur EMRK und damit (auch) in den Schutzbereich von Art 14 EMRK. Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor, da, wie ausgeführt, der Anspruch eines in der deutschen Rentenversicherung Versicherten auf Versorgung seiner Hinterbliebenen nicht unter den Eigentumsschutz des Art. 14 GG fällt (vgl. BSG, Urteil vom 20. Juli 2011 – B 13 R 36/10 R –, juris, dort Rn. 35).
Vor diesem Hintergrund gebietet auch Art. 8 Abs. 1 EMRK und der dortige Regelungsgehalt, dass jede Person das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz hat, keine abweichende Beurteilung, da der geltend gemachte Anspruch auf eine Witwerrente ohne Anrechnung des Einkommens gerade nicht in der bundesdeutschen Rechtsordnung verankert ist.
Da der Kläger mithin keinen Anspruch darauf hat, dass ihm die bewilligte Witwerrente ab dem 7. Mai 2022 ohne Anrechnung seines Einkommens zu gewähren ist, erweist sich der Bescheid der Beklagten vom 1. Juni 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Januar 2023 als rechtmäßig.
Die Berufung des Klägers gegen den klageabweisenden Gerichtsbescheid des SG vom 21. Juni 2023 ist zurückzuweisen.
Das Verfahren ist auch nicht nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG auszusetzen und im Wege einer Richtervorlage dem BVerfG vorzulegen, da der Senat die Norm des § 97 SGB VI, wie ausgeführt, nicht für verfassungswidrig hält.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt im Rahmen der anzustellenden gerichtlichen Ermessensentscheidung (vgl. BSG, Beschluss vom 25. Mai 1957 - 6 RKa 16/54 -, in juris, dort Rn. 8), dass der Kläger auch in der Rechtsmittelinstanz mit seinem Begehren nicht durchgedrungen ist und die Beklagte keine Veranlassung für die Durchführung eines gerichtlichen Verfahrens gegeben hat.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von einer Entscheidung der in § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 8 R 339/23
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 R 1856/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Rechtskraft
Aus
Saved