L 7 BA 14/23

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Betriebsprüfungen
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 10 BA 250/18
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 BA 14/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Die Feststellung einer unverschuldeten Unkenntnis des Bestehens der Beitragspflicht in der Sozialversicherung bedarf einer individuellen Überprüfung des bedingten Vorsatzes unter sorgfältiger Beweiswürdigung im Einzelfall (BSG vom 12.12.2018, B 12 R 15/18 R, Rn 24).
2. Die langjährige Berufserfahrung eines Steuerberaters oder das Versäumnis eines Statusfeststellungsantrags lassen nicht ohne weiteres auf ein billigendes Inkaufnehmen der Verletztung der Beitragspflicht schließen.

 

I. Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 23. Januar 2023 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 1 sind nicht zu übernehmen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

IV. Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 29.588,50 € festgesetzt.


T a t b e s t a n d :

Streitig ist zuletzt die Rechtmäßigkeit der Festsetzung von Säumniszuschlägen in Höhe von 29.588,50 € für die Zeit vom 1.1.2012 bis 30.6.2017.

Die Klägerin betreibt in Form einer GmbH ein Steuerberatungsunternehmen. Die Beigeladenen waren im streitgegenständlichen Zeitraum als Gesellschafter-Geschäftsführer für die Klägerin tätig. Laut Satzung beträgt das Stammkapital 90.000 € (Ziffer 5 der Satzung). Der Beigeladene zu 1 hielt seit 16.3.2010 37,33 % der Gesellschaftsanteile, seit 20.3.2013 57,5 % und seit 13.5.2014 unverändert 42,5 %. Der Beigeladene zu 2 hielt während des gesamten Zeitraums 47 % der Anteile. Beschlüsse werden laut Satzung (Ziffer 9.1 der Satzung) mit einfacher Mehrheit gefasst. Eine einstimmige Beschlussfassung durch die Gesellschafterversammlung ist erforderlich bei Beschlüssen zur Auflösung und Liquidation der Gesellschaft, Bestellung, Abberufung und Entlastung der Geschäftsführer, Erwerb, Veräußerung oder Belastung von Beteiligungen, Umwandlung der Gesellschaft und Aufnahme neuer Gesellschafter (Ziffer 9.2 der Satzung). Mit den Beigeladenen wurde jeweils ein Geschäftsführervertrag geschlossen, der u.a. ein monatliches Festgehalt, Anspruch auf Urlaub und Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall vorsah. Im Rahmen der Anhörung teilte der Beigeladene zu 2 mit Schreiben vom 5.6.2017 mit, dass die letzte Sozialversicherungsprüfung nach seiner Erinnerung durch die AOK H  erfolgt sei. Unterlagen hierzu lägen ihm nicht mehr vor. Es habe jedoch keinen Zweifel an seiner Sozialversicherungsfreiheit bestanden. Dies sei ihm schon bestätigt worden, als er noch mit 25 % an einer anderen Gesellschaft als Gesellschaftergeschäftsführer beteiligt gewesen sei. Eine entsprechende Prüfung sei nach seiner Erinnerung 1991 durch die BfA erfolgt.

Die Beklagte führte bei der Klägerin vom 21.11.2016 bis 4.7.2017 betreffend den Prüfzeitraum vom 1.1.2012 bis 31.12.2015 eine Betriebsprüfung nach § 28p SGB IV durch. Im Rahmen dieser Betriebsprüfung wurde für die Beigeladenen ein Statusfeststellungsverfahren nach § 7a SGB IV mit dem Ergebnis durchgeführt, dass die Gesellschafter-Geschäftsführertätigkeit aufgrund fehlender Rechtsmacht in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis ausgeübt wird und Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung (für den Beigeladenen zu 1 vom 1.1.2012 bis 19.3.2013 und vom 14.5.2013 bis 31.12.2016; für den Beigeladenen zu 2 vom 1.1.2012 bis 19.3.2013) besteht. Es wurden Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 119.785,53 € nachgefordert sowie Säumniszuschläge von 36.415,50 € erhoben. Die Klägerin habe Kenntnis von der Zahlungspflicht, weil sie in gleichgelagerten Fällen die Beurteilung der Versicherungspflicht sowie die Abführung der Beiträge korrekt vorgenommen habe. Das Unternehmen gehöre zu den fachkundig beratenden Berufen, welches Abrechnungen gewerbsmäßig betreibe. Eine unverschuldete Unkenntnis sei nicht festzustellen. Bei Rechtsanwälten und anderen Berufsträgern sei in der Regel ein strenger Maßstab anzulegen (Bescheid vom 9.11.2017).

Den Widerspruch vom 27.11.2017 begründete die Klägerin damit, dass der Beigeladene zu 1 am 13.5.2014 und nicht, wie im Bescheid ausgeführt, am 14.5.2013 15 % seiner Geschäftsanteile an einen Dritten veräußert habe. Die Abtretung dieser Geschäftsanteile sei mit Wirkung vom 13.5.2014 erfolgt. Der Beigeladene zu 1 habe somit bis 12.5.2014 57,5 % der Anteile an der Klägerin gehalten. Entgegen den Ausführungen der Beklagten habe die Klägerin keine Kenntnis von ihrer Zahlungspflicht gehabt. Die Beteiligten seien anhand der gelebten gesellschaftsrechtlichen Strukturen davon ausgegangen, dass sie versicherungsfrei gehandelt hätten.

Mit Teilabhilfebescheid vom 6.4.2018 wurde die Beitragsnachforderung auf 97.486,14 €, einschließlich Säumniszuschlägen von 29.588,50 € wegen der nachgewiesenen Veräußerung der Gesellschaftsanteile erst zum 14.5.2014 reduziert. Im Übrigen wurde der Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24.5.2018 u.a. unter Bezugnahme auf BSG vom 21.3.2018, B 12 KR 13/17 R, als unbegründet zurückgewiesen. Die Erhebung von Säumniszuschlägen sei rechtmäßig. Der vom Beigeladenen zu 2 angegebene Bescheid, mit dem bereits Versicherungsfreiheit festgestellt worden sei, habe nicht vorgelegt werden können. Jedenfalls seien die Geschäftsführer durch die mehrfache Änderung der Mehrheitsverhältnisse verpflichtet gewesen, bei jeder wesentlichen Änderung ein erneutes Feststellungsverfahren anzustrengen. Von der Möglichkeit, den sozialversicherungsrechtlichen Status feststellen zu lassen, hätten die Beigeladenen keinen Gebrauch gemacht.

Hiergegen erhob die Klägerin am 20.6.2018 Klage zum Sozialgericht München. Die Beigeladenen seien selbständig gewesen. Sie seien alleinvertretungsberechtigt und von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit gewesen. Bestellung, Abberufung und Entlastung sei nur durch einstimmigen Beschluss möglich gewesen. Sie hätten über eine Sperrminorität verfügt. Sie hätten somit frei schalten und walten und ihnen nicht genehme Weisungen durch die Gesellschafterversammlung verhindern können. Sie seien einem unternehmerischen Risiko unterlegen gewesen. So habe der Beigeladene zu 2 ein hohes Darlehen ausgereicht und zugunsten der Gläubigerbank einen Rangrücktritt erklärt. Die BSG-Rechtsprechung habe sich geändert. Zu den Säumniszuschlägen führte die Klägerin unter Bezugnahme auf zivilrechtliche Rechtsprechung aus, dass sozialversicherungsrechtliche Kenntnisse bei Steuerberatern nicht vorauszusetzen seien. Sie seien zu einer solchen Beratung auch nicht verpflichtet. Die sozialversicherungsrechtliche Einordnung und Bewertung eines Beschäftigungsverhältnisses unterliege nicht den Prüfungspflichten eines Steuerberaters.

Mit Beschluss vom 23.4.2020 wurde das Verfahren zum Ruhen gebracht und auf Antrag der Beklagten vom 13.9.2022 fortgesetzt.

Nach Anhörung der Beteiligten hob das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 23.1.2023 die streitgegenständlichen Bescheide insoweit auf, als Säumniszuschläge festgesetzt wurden, und wies im Übrigen die Klage als unbegründet ab. Die Erhebung von Säumniszuschlägen sei rechtswidrig. Der erforderliche bedingte Vorsatz sei nicht festzustellen.

Hiergegen legte die Beklagte fristgerecht Berufung beim Bay. Landessozialgericht ein. Ein Arbeitgeber dürfe sich in Zweifelsfällen nicht mit eigenen subjektiven Einschätzungen der Rechtslage begnügen. Der Verpflichtete trage das Risiko eines Irrtums über die Rechtslage. Ein Steuerberater verstoße gegen seine Sorgfaltspflicht, wenn er bei der Beurteilung der Versicherungsfreiheit keine klärende Entscheidung des Sozialversicherungsträgers einhole. Die Klägerin bzw. ihre Geschäftsführer hätten aufgrund ihrer Fachkenntnis wissen können und müssen, wann Sozialversicherungspflicht besteht, da sie ihre Kunden auch auf diesem Gebiet berate. Zumindest hätten Zweifel kommen müssen. Die Falschbewertung der Sozialversicherungspflicht sei billigend in Kauf genommen worden. Eine anderweitige Feststellung durch die AOK bzw. BfA sei nicht nachgewiesen. Die Beklagte verwies zudem auf die Fachkompetenz und langjährige Berufserfahrung insbesondere des Beigeladenen zu 2 als Hochschullehrer und sein Netzwerk als Steuerberater (Schriftsatz vom 24.5.2023 und 4.10.2023).

Der Bevollmächtigte der Klägerin erwiderte, dass die Steuerberatung nicht die Beratung im Sozialversicherungsrecht umfasse. Zu Unrecht unterstelle die Beklagte eine besondere Fachkenntnis. Die Beklagte habe über Jahre hinweg keine Sozialversicherungspflicht festgestellt. Die Klägerin konnte hieraus den Schluss der Versicherungsfreiheit ziehen (Schriftsatz vom 31.7.2023).

Der Beigeladene zu 2 trug erneut vor, dass er von 1991 bis 1998 an der B Treuhandgesellschaft mbH nur mit 25% beteiligte gewesen sei und die AOK H damals Sozialversicherungsfreiheit aufgrund einer Statusfeststellung bestätigt habe. Aufgrund der höheren Beteiligung an der Klägerin habe er gutgläubig von einer Versicherungsfreiheit ausgehen können (Schreiben vom 24.8.2023).

Auf das gerichtliche Schreiben vom 21.2.2024 stellte die Bundesagentur für Arbeit keinen Antrag auf Beiladung.

Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 23.1.2023 teilweise aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 9.11.2017 in der Fassung des Teilabhilfebescheides vom 6.4.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.5.2018 auch im Übrigen abzuweisen.

Der Bevollmächtigte der Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten (§§ 143,144, 151 SGG) ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 9.11.2017 in der Fassung des Teilabhilfebescheides vom 6.4.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.5.2018 ist betreffend die Erhebung der Säumniszuschläge rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, da sich die Klägerin nach § 24 Abs. 2 SGB IV exkulpieren kann. Zu Recht hat das Sozialgericht der Klage insoweit stattgegeben und die streitigen Bescheide aufgehoben.

Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB IV ist für Beiträge und Beitragsvorschüsse, die der Zahlungspflichtige nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages gezahlt hat, für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1 Prozent des rückständigen, auf 50 Euro nach unten abgerundeten Betrages zu zahlen. Wird eine Beitragsforderung durch Bescheid mit Wirkung für die Vergangenheit festgestellt, ist gemäß Absatz 2 dieser Vorschrift ein darauf entfallender Säumniszuschlag nicht zu erheben, soweit der Beitragsschuldner glaubhaft macht, dass er unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht hatte.

Die fehlende Kenntnis von der Zahlungspflicht ist dann unverschuldet, wenn dem Beitragsschuldner nicht zumindest bedingter Vorsatz vorzuwerfen ist. Er darf seine Zahlungspflicht nicht für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen haben. Bei der Verschuldenszurechnung bei juristischen Personen ist in erster Linie auf die Kenntnis der vertretungsberechtigten Organe abzustellen. Ist eine juristische Person des Privatrechts - wie die hier klagende GmbH - Beitragsschuldnerin, kommt es zunächst auf die Kenntnis oder unverschuldete Unkenntnis zumindest eines Mitglieds eines Organs von der Beitragspflicht an. Wissen und Verschulden eines vertretungsberechtigten Organmitglieds ist als dasjenige des Organs anzusehen und damit auch der juristischen Person zuzurechnen (vgl. BSG vom 12.12.2018, B 12 R 15/18 R, Rn 13 ff; BSG vom 13.3.2023, B 12 R 7/21 R, Rn 27; BSG vom 16.12.2015, B 12 R 11/14 R, Rn 66).

Eine Exkulpation nach § 24 Abs. 2 SGB IV ist ausgeschlossen, wenn der säumige Beitragsschuldner Kenntnis von seiner Zahlungspflicht hatte (vgl. BSG vom 17.4.2008, B 13 R 123/07 R, Rn 22). Während "Kenntnis" nach seinem Wortsinn das Wissen von einer Tatsache bedeutet, ist dem Begriff der "Zahlungspflicht" über das Wissen der sie begründenden Tatsachen hinaus eine rechtliche Wertung im Sinne des Erkennens einer konkreten Verhaltensanforderung immanent. Kenntnis von der Zahlungspflicht nach § 24 Abs. 2 SGB IV ist damit das sichere Wissen darum, rechtlich und tatsächlich zur Zahlung von Beiträgen verpflichtet zu sein. Sie liegt bei einem zahlungspflichtigen Arbeitgeber vor, wenn er die seine Beitragsschuld begründenden Tatsachen kennt, weil er zumindest als Parallelwertung in der Laiensphäre nachvollzieht, dass einerseits Beschäftigung vorliegt, die andererseits die Beitragspflicht nach sich zieht. Das Wissen um die (bloße) Möglichkeit der Beitragserhebung steht dem sicheren Wissen um die rechtliche und tatsächliche Verpflichtung zur Beitragszahlung hingegen nicht gleich. Ein Irrtum über die Arbeitgebereigenschaft schließt die Kenntnis aus. Berechtigte Zweifel an der Versicherungsfreiheit ist für die Kenntnis von der Zahlungspflicht nicht ausreichend. Es kann aber im Rahmen bedingten Vorsatzes vorwerfbar sein, wenn ein Arbeitgeber bei Unklarheiten hinsichtlich der versicherungs- und beitragsrechtlichen Beurteilung einer Erwerbstätigkeit darauf verzichtet, die Entscheidung einer fachkundigen Stelle herbeizuführen. Allerdings darf nicht das gesamte Risiko der Einordnung komplexer sozialversicherungsrechtlicher Wertungsfragen den Arbeitgebern überantwortet werden. Es bedarf deshalb der individuellen Überprüfung des bedingten Vorsatzes unter sorgfältiger Beweiswürdigung im Einzelfall (vgl. BSG vom 16.12.2015, B 12 R 11/14 R, Rn 65, 68; BSG vom 12.12.2018, B 12 R 15/18 R, Rn 12 und 24; BSG vom 4.9.2018, B 12 KR 11/17 R, Rn 26). Für die unverschuldete Unkenntnis von der Zahlungspflicht trägt die Klägerin die objektive Beweislast. § 24 Abs. 2 SGB IV ist als Ausnahme von der Erhebung von Säumniszuschlägen ausgestaltet, so dass derjenige beweispflichtig ist, der sich auf die rechtsbegründenden Tatsachen der Ausnahme beruft. Dabei genügt der abgesenkte Beweisgrad der Glaubhaftmachung (vgl. BSG vom 12.12.2018, B 12 R 15/18 R, Rn 25).

Nach BGH vom 24.9.2019, 1 StR 346/18, Rn 20 und 21, ist vorsätzliches Handeln nur dann anzunehmen, wenn der Täter über die Kenntnis der insoweit maßgeblichen tatsächlichen Umstände hinaus auch die außerstrafrechtlichen Wertungen des Arbeits- und Sozialversicherungsrechts - zumindest als Parallelwertung in der Laiensphäre - nachvollzogen hat. Der Täter muss danach seine Stellung als Arbeitgeber und die daraus resultierende sozialversicherungsrechtliche Abführungspflicht zumindest für möglich gehalten und deren Verletzung billigend in Kauf genommen haben. Demgemäß ist eine Fehlvorstellung über die Arbeitgebereigenschaft in § 266a StGB und die daraus folgende Abführungspflicht als Tatbestandsirrtum im Sinne von § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB einzuordnen. Hat der Steuerpflichtige irrtümlich angenommen, dass ein Steueranspruch nicht entstanden ist, liegt nach dieser Rechtsprechung ein Tatbestandsirrtum vor, der den Vorsatz ausschließt (§ 16 Abs. 1 Satz 1 StGB), wobei es auf den Grund des Irrtums nicht ankommt.

Gemessen an diesen Anforderungen der Rechtsprechung sind die von der Beklagten getroffenen Feststellungen in den streitgegenständlichen Bescheiden unzureichend, um von bedingtem Vorsatz auszugehen. Insbesondere lässt sie offen, ob sie von grober Fahrlässigkeit oder bedingtem Vorsatz ausgeht. Die Beklagte stützt sich im Wesentlichen auf die steuerrechtliche Fachkompetenz, langjährige Berufserfahrung und Vernetzung mit fachkundigen Personen bzw. die Nichtinanspruchnahme der Möglichkeit eines Statusfeststellungsverfahrens durch die Geschäftsführer. Dies lässt nicht ohne weiteres auf eine positive Kenntnis der Geschäftsführer von der Beitragspflicht schließen. Ob ein Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer selbständig und damit versicherungsfrei oder abhängig beschäftigt und versicherungspflichtig tätig ist, ist eine komplexe Tatsachen- und Rechtsfrage und bedarf in jedem Einzelfall einer Abwägung der Gesamtumstände. Ob es dabei auf ein freies Schalten und Walten können maßgeblich ankommt, hat das BSG in seiner Entscheidung vom 29.8.2012, B 12 KR 25/10 R, ausdrücklich offen gelassen. Erst seit den Entscheidungen vom 15.11.2015 hat der 12. Senat des BSG unmissverständlich auf das Bestehen einer Rechtsmacht abgestellt. Ausgehend von der Klagebegründung hat sich die Klägerin insbesondere deswegen auf eine bestehende Rechtsmacht gestützt, weil für bestimmte Bereiche eine Sperrminorität im Gesellschaftsvertrag vorgesehen war. Soweit ersichtlich, hat das BSG erst in der Entscheidung vom 14.3.2018, B 12 KR 13/17 R, Rn 21, -also erst nach Ablauf des streitigen Zeitraums- deutlich gemacht, dass sich eine Sperrminorität auf die gesamte Unternehmenstätigkeit beziehen muss und nicht auf einzelne Bereiche beschränkt sein darf. Anhand der damaligen BSG-Rechtsprechung in 2012 bzw 2015 konnten die Beigeladenen nicht ohne weiteres von Versicherungsfreiheit ausgehen. Zweifel wären angebracht gewesen. Eine positive Kenntnis von der Beitragspflicht ist dagegen nicht festzustellen. Eine solche wird auch von den Beigeladenen ausdrücklich verneint und lässt sich nicht anderweitig dem Akteninhalt entnehmen. Auch der Umstand, dass die weitere Geschäftsführerin versicherungspflichtig beschäftigt war, vermittelt keine positive Kenntnis in Bezug auf die Versicherungspflicht der Tätigkeit der Beigeladenen. Die Versicherungspflicht der Geschäftsführerin entsprach vielmehr ihrem Wunsch nach sozialer Absicherung, so wie sie vor Eintritt als Juniorpartnerin gegeben war, war aber nicht Anlass, die persönliche Statusbeurteilung der Beigeladenen zu Gesprächsthema zu machen oder gar zu problematisieren.

Die Unkenntnis von der Zahlungspflicht ist unverschuldet. Bedingter Vorsatz ist nicht festzustellen. Bezugnehmend auf BGH vom 24.9.2019, 1 StR 346/18 Rn 20, umfasst der bedingte Vorsatz neben einem Wissenselement, nämlich das mögliche und nicht ganz fernliegende Bestehen einer Beitragspflicht, auch ein Willenselement, nämlich das billigende
Inkaufnehmen deren Verletzung. Es fehlen Anhaltspunkte dafür, dass die Geschäftsführer die Verletzung einer möglichen Beitragspflicht billigend und damit willentlich in Kauf genommen haben. Sie waren rechtsirrig davon überzeugt, sozialversicherungsfrei zu sein, während die Geschäftsführerin ihre Position und den damit verbundenen sozialversicherungsrechtlichen Status für sich anders einschätzte. Nach der Einlassung der Geschäftsführerin in der mündlichen Verhandlung resultierte hieraus kein Bewusstsein für die rechtliche Problematik der Statusbeurteilung der Beigeladenen. Ein billigendes Inkaufnehmen der Versicherungspflicht kann im Ergebnis nicht festgestellt werden.

Soweit sich die Beklagte auf Bay. LSG vom 5.4.2016, L 5 KR 392/12, und LSG Niedersachsen-Bremen vom 19.12.2018, L 2 BA 39/18, stützt, sind diese Entscheidungen gemessen an der o.g. Rechtsprechung als überholt anzusehen. Die Entscheidung des LSG Baden-Württemberg vom 22.2.2019, L 4 BA 313/18, befasst sich nicht mit den Anforderungen an die Erhebung von Säumniszuschlägen, ebenso wenig LSG Nordrhein-Westfalen vom 17.10.2018, L 8 R 1031/17.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.

Die Streitwertfestsetzung richtet sich nach § 197a SGG i.V.m. §§ 47, 52 Abs. 3 GKG. Streitig waren im Berufungsverfahren allein die festgesetzten Säumniszuschläge von 29.588,50 €.

 

Rechtskraft
Aus
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