L 6 VE 3289/23

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6.
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 7 VE 1677/23
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 VE 3289/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 17. November 2023 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen hat der Kläger zu tragen.

Der Streitwert wird endgültig auf 5.000 € festgesetzt.



Tatbestand

Der Kläger begehrt die Gewährung von Akteneinsicht in die beim Beklagten über die Familie K2 geführten Verwaltungsakten betreffend Leistungen nach dem Gesetz über die Entschädigung der Opfer von Gewalttaten (OEG) i. V. m. dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

K1 K2 (K.) wurde vom Kläger am 8. November 2017 ermordet. Im Strafverfahren wurde im Wesentlichen folgendes festgestellt: Der Kläger tötete seine ehemalige Lebensgefährtin – K. –, um zu verhindern, da Sorgerecht für den gemeinsamen zehn Monate alten Sohn zu verlieren. Das gemeinsame Sorgerecht hatte sich der Kläger durch Täuschungsmaßnahmen gegenüber dem Amtsgericht und den übrigen am Sorgerechtsstreit Beteiligten erschlichen. Dabei hatte er ohne Kenntnis von K. beim Amtsgericht mit der wahrheitswidrigen Begründung, K. wolle mit dem gemeinsamen Kind weit wegziehen und sie sei mit der Erziehung des Kindes überfordert, das gemeinsame Sorgerecht beantragt und zudem den Antrag gestellt, dass das Aufenthaltsbestimmungsrecht an ihn übertragen werde. In den Anträgen hat der Kläger als Adresse der K. die frühere gemeinsame Wohnanschrift angegeben, an der seit der Trennung nur noch er wohnte. Nachdem sich K., die von den familiengerichtlichen Verfahren keine Kenntnis hatte, auf die ihr gesetzte Frist zur Stellungnahme nicht meldete, übertrug das Amtsgericht durch Beschluss vom 21. August 2017 die elterliche Sorge auf die Eltern gemeinsam.

Als K. von dem Beschluss erfuhr, legte sie Beschwerde beim Oberlandesgericht (OLG) ein, welches Termin auf den 10. November 2017 bestimmte. Dabei wusste der Kläger, dass das OLG den Beschluss aufheben würde. Ein alleiniges Sorgerecht der K. widersprach seinem Drang nach Dominanz und Kontrolle. Auch erhoffte sich der bereits mehrfach wegen diverser Betrugsdelikten vorbestrafte Kläger, in einem gegen ihn anhängigen Strafverfahren durch ein gemeinsames Sorgerecht Vorteile. Der Kläger spekulierte darauf, nach der ursprünglichen Verhängung einer dreijährigen Haftstrafe mit Hilfe des gemeinsamen Sorgerechts in der Berufungsinstanz eine Strafaussetzung zur Bewährung oder zumindest bessere Haftbedingungen erreichen zu können.

Am Tatabend unternahm er einen letzten Versuch, K. umzustimmen und sie dazu zu bewegen, sich mit einem gemeinsamen Sorgerecht einverstanden zu erklären und die Beschwerde zurückzunehmen. Der Kläger wollte auf jeden Fall verhindern, das gemeinsame Sorgerecht zu verlieren. Er würgte die K. mit beiden Händen so lange, bis er sicher war, dass er sie getötet hatte. Am nächsten Tag schaffte er die Leiche in einer Papiermülltonne aus dem Haus, verbrannte sie auf einem Gartengrundstück und warf sie dann in einen Kompost in einer Schrebergartenanlage (vgl. die in dieser Sache ergangene Entscheidung des Bundesgerichtshofes [BGH] vom 24. Juli 2019 – 1 StR 185/19 – juris). Der Kläger wurde nach teilweiser Aufhebung des 2018 ergangenen Urteils im Revisionsverfahren in der erneuten Verhandlung vor dem Landgericht S1 nur wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe ohne Feststellung der besonderen Schwere der Schuld verurteilt.

Am 8. November 2022 beantragte der Kläger die Gewährung von Akteneinsicht in die Akten der Versorgungsangelegenheit der Familie K2. Die Kenntnis der Akten sei erforderlich, weil ein Zivilprozess gegen ihn geführt werde.

Mit Schreiben vom 14. November 2022 wies das LRA den Kläger darauf hin, dass es sich bei dem Akteninhalt um besonders schützenswerte Unterlagen handele, die dem Datenschutz in hohem Maße unterlägen. Es werde daher eine Einverständniserklärung von jedem Einzelnen der Familie K2 benötigt.

Am 21. November 2022 machte der Kläger geltend, dass ihm schriftliche Einverständniserklärungen nicht vorlägen, allerdings sei eine solche Erklärung für die beantragte Akteneinsicht nicht erforderlich.

Das LRA wies den Kläger darauf hin (Schreiben vom 1. Dezember 2022), dass aus datenschutzrechtlichen Gründen das Einverständnis der Familie K2 benötigt werde. Sobald dieses vorliege, könne Akteneinsicht gewährt werden. Er – der Kläger – könne auch nicht wollen, dass seine Akte an jede Person weitergeleitet werde.

Mit Schreiben vom 9. Dezember 2022 führte der Kläger aus, dass weiterhin Akteneinsicht begehrt werde, allerdings ohne das Einverständnis der Familie K2 aus datenschutzrechtlichen Gründen.

Es gehe nicht darum, dass auch er nicht wolle, dass seine Akte ohne sein Einverständnis jeder Person weitergeleitet werde. Es drehe sich um Schadenersatzansprüche nach § 5 Abs. 1 OEG i. V. m. § 81a BVG, welche gegen ihn erhoben und auch durchaus berechtigt seien. Allerdings sei hier aktuell eine Zivilklage der Familie K2 anhängig. Das Landgericht S1 (LG) prüfe die individuellen Ansprüche der Familie K2, für jeden Familienangehörigen jeweils einzeln. Dabei komme es insbesondere darauf an, inwieweit jedes Familienmitglied unter dem Verlust von K. leide.

Diesbezüglich seien diverse Gutachten in Auftrag gegeben worden. Im Zuge des aktuell laufenden Verfahrens sei bekannt geworden, dass ein Opferentschädigungsgutachten veranlasst worden sei, welches dringend für den Schmerzensgeldprozess vorgelegt werden müsse. Hierfür werde Akteneinsicht begehrt.

Am 27. Februar 2023 machte der Kläger geltend, dass ihn der Erstanerkennungsbescheid für Herrn H1 K2 erreicht habe, wonach für den Zeitraum vom 1. Februar 2020 bis 30. September 2020 Teilsymptome einer posttraumatischen Belastungsstörung anerkannt und nebst Zinsen 1.337,00 € ausbezahlt worden seien.

Da also teilweise die in Auftrag gegebenen Gutachten fertiggestellt seien und nunmehr die ersten Anerkennungsbescheide erstellt worden seien, werde erneut vollständige und umfassende Akteneinsicht – ohne das Einverständnis der Familie K2 – beantragt.

Mit Bescheid vom 16. März 2023 lehnte das LRA die Gewährung von Akteneinsicht ab. Der Kläger sei als Täter und Schadenersatzpflichtiger im Verwaltungsverfahren nach dem OEG nicht bereits kraft Gesetzes Beteiligter nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 SGB X. Auch eine Hinzuziehung komme weder von Amts wegen noch auf Antrag in Betracht (§ 12 Abs. 1 Nr. 4 SGB X). Der Ausgang des OEG-Verfahrens habe für ihn keine rechtsgestaltende Wirkung. Es werde allein der Rechtskreis der Geschädigten im Verhältnis zur Behörde, nicht jedoch derjenige des Schädigers berührt. Die Entscheidung treffe im Verhältnis zum Kläger keinerlei bindende Aussage zum Vorliegen der angeschuldigten Tat, selbst dann nicht, wenn die Behörde nach § 5 OEG i. V. m. § 81a BVG im Zivilrechtsweg einen den Geschädigten zustehenden Schadenersatzanspruch geltend mache. Im Zivilrechtsweg bestehe für ein Gericht keine Bindung an den Bewilligungsbescheid nach dem OEG, sodass der Kläger als Schädiger durch das OEG-Verfahren nicht in seinen Rechten beeinträchtigt werde.

Für Personen, die keine Beteiligten im Sinne des § 12 Abs. 1 SGB X sind, komme Akteneinsicht nach § 25 Abs. 1 SGB X nur dann in Betracht, wenn der Antragsteller oder Berechtige eingewilligt habe, wobei der Betroffene ausdrücklich und aus aktuellem Anlass einer Akteneinsicht schriftlich zustimmen müsse. Eine solche Einwilligung habe der Kläger bisher nicht vorgelegt.

Am 14. April 2023 erhob der Kläger Widerspruch gegen das Schreiben vom 21. März 2023, da es keine Rechtsbehelfsbelehrung beinhalte und er die Schadenersatzansprüche nicht ohne Akteneinsicht überprüfen und nachvollziehen könne. Die Anmeldung eines Schadenersatzanspruchs ohne die detaillierte Kenntnisnahme der Zusammensetzung des Anspruchs sei mehr als nur zweifelhaft und werde vehement bestritten.

Weiter werde Widerspruch gegen den Bescheid vom 16. März 2023 über die Ablehnung von Akteneinsicht erhoben. Eine detaillierte Überprüfung der gesamten Schadenersatzansprüche sei ihm ohne Akteneinsicht nicht möglich. Eine Anerkennung von „willkürlich“ festgesetzten Schadenersatzansprüchen werde von ihm ohne zuvor gewährte Akteneinsicht in alle Unterlagen nicht erfolgen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 27. Juli 2023 wies das Regierungspräsidium S1 – Landesversorgungsamt – den Widerspruch zurück. Der Kläger mache geltend, dass ihm eine detaillierte Prüfung der Schadensersatzansprüche der Familie K2 ohne Akteneinsicht nicht möglich sei. Der Widerspruch sei zulässig, aber unbegründet. Der angefochtene Bescheid sei unter Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers nochmals überprüft worden. Dieser entspreche der Sach- und Rechtslage.

Am 9. August 2023 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben. Er sei am 3. August 2020 vom Landgericht S1 wegen Mordes an seiner Ex-Freundin K. zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Die Familie der Getöteten habe beim LRA einen Antrag nach dem OEG gestellt. Die Bescheide seien aufzuheben und die Akteneinsicht unverzüglich zu gewähren.

Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten, hat die Verwaltungsakten betreffend die Familie K2 dem SG vorgelegt und eine Akteneinsicht durch den Kläger ausgeschlossen.

Das SG hat den Kläger darauf hingewiesen, dass die Klage keine Aussicht auf Erfolg habe. Dritten stehe kein Recht auf Akteneinsicht zu. Die Behörde könne nur unter Ausübung pflichtgemäßem Ermessens und mit Zustimmung aller Beteiligten Dritten Akteneinsicht gewähren. Im vorliegenden Fall sei die Behörde jedoch bei den entgegenstehenden berechtigten Geheimhaltungsinteressen der betroffenen Personen nicht nur nicht verpflichtet, sondern darüber hinaus auch nicht berechtigt, Akteneinsicht zu gewähren.

Hierzu hat der Kläger geltend gemacht, dass eine Ausformung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sei. Dieses gewähre dem Einzelnen die Befugnis, selbst über die Preisgabe und Verwendung personenbezogener Daten zu entscheiden und zwar nicht nur im Bereich der Datenverarbeitung.

Zudem müsse bedacht werden, dass die Opferfamilie K2 stillschweigend ihre Zustimmung zur Einsichtnahme in die Krankenunterlagen erteilt habe, nachdem sie die Erstanerkennungsbescheide und die fachpsychiatrischen Sachverständigengutachten freiwillig zur Verfügung gestellt hätten.

Es erschließe sich ihm nicht, weshalb die Opferfamilie auch bisher zu keinem Zeitpunkt angeschrieben worden und deren Einverständnis hierdurch erfragt worden sei. Es sei nicht seine Aufgabe, die Opferfamilie hierfür anzufragen und die Antwort anschließend dem LRA mitzuteilen. Der einfachste Weg sei daher, dass diese Anfrage das LRA selbst übernehme, sodass die Antwort auf direktem Weg den richtigen Ansprechpartner auch erreiche und unnötige Dritte in den Vorgang vorerst nicht involviert würden.

Es werde weiter vollständige Akteneinsicht in die Akte der Beklagten begehrt, welche dem Gericht im Zuge des anhängigen Verfahrens übermittelt worden sei. Es werde um Zusendung einer kostenfreien kopierten Akte für seine Unterlagen gebeten, welche anschließend nicht zurückgegeben werden müsse.

Zur Akte gereicht worden sind vom Kläger Kopien folgender Unterlagen:
Erstanerkennungsbescheid des LRA gegenüber H1 K2 (Vater der Getöteten) vom 21. November 2022, anerkannte Schädigungsfolge: „Teilsymptome einer posttraumatischen Belastungsstörung“ bis 30. September 2020, ab 1. Oktober 2020 „Psychoreaktive Störung“. Gewährung einer Beschädigtengrundrente nach einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 30 vom 1. Februar bis 30. September 2020. Gewährung von Heilbehandlung.
Fachpsychiatrisches Gutachten der G1 über H1 K2, vom 25. Mai 2022.
Erstanerkennungsbescheid des LRA gegenüber A1 K2 (Schwester der Getöteten) vom 12. April 2023, anerkannte Schädigungsfolge: „Depression mit somatischem Syndrom“, Gewährung einer Beschädigtengrundrente nach einem GdS von 40 sowie Gewährung von Heilbehandlung.
Befundbericht der C1 über die Behandlung der A1 K2 vom 2. Juni 2022.
Fachpsychiatrisches Gutachten der G1 über A1 K2, geboren 2001, vom 19. Oktober 2022.
Erstanerkennungsbescheid des LRA gegenüber F1 K2 vom 22. November 2022, anerkannte Schädigungsfolge „psychoreaktive Störung“, ein GdS von 25 werde nicht erreicht.

Das SG hat dem Kläger mitgeteilt, dass Akteneinsicht in die Verwaltungsvorgänge des Beklagten nicht erteilt werde und beabsichtigt sei, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden.

Mit Gerichtsbescheid vom 17. November 2023 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger sei Dritter im Sinne des § 25 SGB X. Die Zustimmung der die Verwaltungsvorgänge betreffenden Beteiligten sei nicht erteilt worden. Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch scheitere daher bereits auf Tatbestandsebene, weshalb von dem Beklagten kein Ermessen mehr auszuüben gewesen sei. Es sei weder Aufgabe des Beklagten noch des Gerichts, die für die Akteneinsicht erforderliche Zustimmung der Beteiligten aktiv von den Beteiligten zu erfragen. Dem Kläger stehe weder ein Recht auf Einsicht in die beim Beklagten vorhandenen Verwaltungsvorgänge betreffend die Versorgungsangelegenheiten der Familie K2, noch in die dem SG vom Beklagten übermittelten Akten zu. Diese dienten im vorliegenden Verfahren ausschließlich dazu, dem Gericht die Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 25 Abs. 1 SGB X zu ermöglichen. Eine Gewährung von Einsicht in diese Akten umgehe die Voraussetzungen des § 25 Abs. 1 SGB X, da es sich hierbei um das eigentliche Klageziel des Klägers handele.

Am 27. November 2023 hat der Kläger Berufung beim SG eingelegt. Der Gerichtsbescheid verletze ihn in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

Der Kläger beantragt, sachdienlich gefasst,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 17. November 2023 sowie den Bescheid vom 16. März 2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juli 2023 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, über die Akteneinsicht in die über die Familie K2 geführte Verwaltungsakte - Ansprüche nach dem OEG betreffend - unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Der Beklagte beantragt,

            die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Er verweist auf die angefochtene Entscheidung. Das SG habe zutreffend ausgeführt, dass bei den vorliegend bestehenden Geheimhaltungsinteressen keine Berechtigung bestehe, dem Kläger Akteneinsicht zu gewähren. Ein Einverständnis der Familie liege nicht vor.

Auf Anforderung des Senats hat der Beklagte den mit dem Kläger bezüglich der Akteneinsicht geführten Schriftverkehr – elektronisch – vorgelegt. Dieser ist dem Kläger zur Kenntnis gegeben worden.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungs- und Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Der Senat konnte verhandeln und entscheiden, obwohl der Kläger zum Termin nicht erschienen ist, da mit der ordnungsgemäß zugestellten Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (§ 110 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Die form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung des Klägers ist ausgehend von seinem ausdrücklichen Begehren, über das der Beklagte und das SG folgerichtig entschieden haben, statthaft (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässig, aber unbegründet.


Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist der Gerichtsbescheid des SG vom 17. November 2023, mit dem die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG, vgl. zur statthaften Klageart Mutschler in: BeckOGK, Stand: 1. Juni 2019, § 25 Rz. 23) auf Neuentscheidung des Beklagten über den Antrag auf Akteneinsicht in die Verwaltungsakte der Familie K2 abgewiesen worden ist. Eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG) scheidet aus, nachdem der Beklagte jedenfalls nach Ermessen zu entscheiden hat und Anhaltspunkte für eine Ermessensreduzierung auf Null nicht bestehen.

§ 56a SGG steht der Klage vorliegend nicht entgegen, da der Anspruch außerhalb eines zwischen dem Kläger und dem Beklagten geführten Verwaltungsverfahrens geltend gemacht wird (vgl. Mutschler, a.a.O.). Mit dem angefochtenen Bescheid vom 16. März 2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juli 2023 hat der Beklagte über die Gewährung von Akteneinsicht in die Verwaltungsakte der Familie K2 entschieden, dieser Akteneinsichtsanspruch ist Gegenstand des Verfahrens. Entsprechendes gilt hinsichtlich etwaiger Schadensersatzansprüche, auf die sich wohl ein Schreiben des Beklagten an den Kläger vom 21. März 2023 bezog (vgl. die Widerspruchsbegründung des Klägers).

Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei dieser Klageart grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in den Tatsacheninstanzen (vgl. BSG, Urteil vom 2. September 2009 – B 6 KA 34/08 –, juris, Rz. 26; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, Kommentar zum SGG, 14. Aufl. 2023, § 54 Rz. 34).

Die Unbegründetheit der Berufung folgt aus der Unbegründetheit der Klage. Der Bescheid vom 16. März 2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juli 2023 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 1 Satz 2 SGG). Auch zur Überzeugung des Senats hat es der Beklagte zu Recht abgelehnt, dem Kläger Akteneinsicht in die über die Familie K2 geführte Verwaltungsakte zu gewähren, sodass das SG die Klage zu Recht abgewiesen hat.

Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB X hat die Behörde den Beteiligten Einsicht in die das Verfahren betreffenden Akten zu gestatten, soweit deren Kenntnis zur Geltendmachung oder Verteidigung ihrer rechtlichen Interessen erforderlich ist. Beteiligte sind nach § 12 Abs. 1 SGB X Antragsteller und Antragsgegner (Nr. 1), diejenigen, an die die Behörde den Verwaltungsakt richten will oder gerichtet hat (Nr. 2), diejenigen, mit denen die Behörde einen öffentlich-rechtlichen Vertrag schließen will oder geschlossen hat (Nr. 3) sowie diejenigen, die nach Ab. 2 von der Behörde zu dem Verfahren hinzugezogen worden sind. Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger nicht. Er ist im Verwaltungsverfahren nach dem OEG weder Antragssteller noch Antragsgegner, Adressat eines Bescheides oder Partei eines öffentlich-rechtlichen Vertrages.

Die Voraussetzungen des § 12 Abs. 1 Nr. 4 SGB X liegen ebenfalls nicht vor. Nach § 12 Abs. 2 Satz 1 kann die Behörde von Amts wegen oder auf Antrag diejenigen, deren rechtliche Interessen durch den Ausgang des Verfahrens berührt werden können, als Beteiligte hinzuziehen. Hat der Ausgang des Verfahrens rechtsgestaltende Wirkung für einen Dritten, ist dieser auf Antrag als Beteiligter zu dem Verfahren hinzuziehen, § 12 Abs. 2 Satz 2 SGB X. Um die Beteiligteneigenschaft zu begründen, bedarf es einer tatsächlich erfolgten Hinzuziehung (vgl. Mutschler, a.a.O., § 25 Rz. 5), die hier schon nicht vorliegt.

Unabhängig davon liegt kein Fall einer obligatorischen Hinzuziehung vor, weil der Ausgang des OEG-Verfahrens keine rechtsgestaltende Wirkung für den Kläger hat. Eine solche ist nur dann gegeben, wenn ein Recht des Hinzuziehenden begründet, geändert oder beseitigt wird. Eine Entscheidung über Leistungen nach dem OEG durch den Beklagten berührt aber nur den Rechtskreis der Antragsteller im Verhältnis zum Beklagten, nicht jedoch den des Schädigers. Die Entscheidung trifft im Verhältnis zum Schädiger insbesondere keine bindende Aussage zum Vorliegen der angeschuldigten Tat (vgl. Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 20. November 2018 – L 9 VE 16/16 –, juris, Rz. 24; Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 25. Juli 1995 – L 4 V 1158/94 –, juris, Rz. 17). Ebenso ist im Zivilprozess um Schadenersatzansprüche eine rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung nicht bindend, sondern kann nur erhöhte Substantiierungsanforderungen begründen (vgl. Oberlandesgericht [OLG] Frankfurt am Main, Urteil vom 6. Dezember 2023 – 12 U 78/22 – juris Rz. 51 f.).

Nichts anderes gilt, wenn der Beklagte später nach § 5 Abs. 1 OEG i. V. m. § 81a BVG im Zivilrechtswege einen den Geschädigten zustehenden Schadenersatzanspruch gegenüber dem Kläger geltend machen würde, da der Bescheid nach dem OEG nur die Grundlage dafür ist, dass der Beklagte als Kostenträger den gegen den Schädiger bestehende Schadenersatzanspruch überleiten könnte. Damit entsteht aber nur ein Gläubigerwechsel, gegen den sich der Kläger auch in einem rein zivilrechtlichen Streit nicht zur Wehr setzen könnte (vgl. Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 20. November 2018 – L 9 VE 16/16 –, juris, Rz. 24; OLG Hamm, Urteil vom 12. August 1999 – 6 U 8/99 –, juris, Rz. 19; Roller in: Schütze, SGB X, 9. Aufl. 2020, § 12 Rz. 12).

Ob neben der gesetzlichen Regelung in besonders gelagerten Fälle die Behörde gehalten sein kann, unter Ausübung pflichtgemäßem Ermessens und mit Zustimmung der Beteiligten einem Dritten Akteneinsicht zu gewähren (so wohl Apel in: jurisPK-SGB X, 2. Aufl. 2023, § 25 Rz. 24), kann vorliegend schon deshalb dahinstehen, da § 25 Abs. 1 Satz SGB X ein rechtliches Interesse an der Akteneinsicht voraussetzt, welches sich auf das konkrete Verwaltungsverfahren selbst bezieht (vgl. Apel, a.a.O., § 25 Rz. 34), was beim Kläger nicht der Fall ist. Vielmehr verweist er lediglich auf andere zivilrechtliche Verfahren, für die die Aktenkenntnis vermeintlich erforderlich sein soll. Im Übrigen ist weder ein besonders gelagerter Fall zu erkennen, der eine Akteneinsicht über die gesetzliche Regelung hinaus gebietet, noch liegen entsprechende Zustimmungen der Antragsteller aus dem OEG-Verfahren vor. Der Kläger geht auch fehl in der Annahme, die Behörde sei verpflichtet, derartige Zustimmungen einzuholen. Wenn er meint, die Aktenkenntnis im Hinblick auf zivilrechtliche Ansprüche zu benötigen, ist es ihm unbenommen, entsprechende Ansprüche im Rahmen der zivilgerichtlichen Verfahren geltend zu machen. Unabhängig davon spricht der Umstand, dass er bereits zahlreiche Unterlagen aus dem OEG-Verfahren selbst hat vorlegen können, dafür, dass ihm diese im Zivilprozess bereits tatsächlich zugänglich gemacht worden sind. Ein stillschweigendes Einverständnis der Familie K2, das keinesfalls ausreichend wäre, hinsichtlich der Aktensicht durch den Kläger folgt hieraus – entgegen seiner Ausführungen – nicht.

Letztlich war das SG, entgegen der Auffassung des Klägers, nicht berechtigt, ihm Akteneinsicht in die vom Beklagten im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegten Verwaltungsakten die Familie K2 betreffend zu gewähren. § 120 Abs. 1 Satz 1 SGG sieht ein Recht der Beteiligten auf Einsicht in die Akten nur vor, soweit die übermittelnde Behörde dies nicht ausschließt. Dies hat der Beklagte vorliegend indessen getan und das SG ist daran gebunden gewesen (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, Kommentar zum SGG, 14. Aufl. 2023, § 120 Rz. 4; BSG, Urteil vom 15. November 2007 – B 3 KR 13/07 R –, juris, Rz. 19). Es kommt deshalb nicht darauf an, dass der Kläger im Rahmen der Akteneinsicht ohnehin keine kostenlose Übersendung einer Kopie der Akten zum Verbleib beanspruchen kann.

Die Berufung konnte daher keinen Erfolg haben und war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und berücksichtigt das Unterliegen in beiden Instanzen. Der Kläger zählt nicht zu dem in § 183 Satz 1 SGG genannten Personenkreis, weil er die Akteneinsicht weder als Versicherter noch als Leistungsempfänger, sondern als Dritter begehrt (vgl. oben, so auch Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 20. November 2018 – L 9 VE 16/16 –, juris, Rz. 28). Der Senat hat daher die Kostenentscheidung auch der ersten Instanz geändert, da das Verbot der reformatio in peius hier nicht gilt (vgl. BSG, Urteil vom 21. Oktober 2020 – B 13 R 19/19 R –, juris, Rz. 41).

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Die Festsetzung des Streitwertes für das Verfahren ergibt sich aus § 197a Abs. 1 Satz 1 Gerichtskostengesetz (GKG) i. V. m. § 52 Abs. 2 GKG. Der Sach- und Streitstand bietet für die Bestimmung des Streitwertes keine genügenden Anhaltspunkte, sodass ein Streitwert von 5.000 € anzunehmen war.

 

Rechtskraft
Aus
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