S 28 KA 158/22

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 28 KA 158/22
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil


I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.


T a t b e s t a n d :

Zwischen den Beteiligten ist die aufgrund einer Plausibilitätsprüfung vorgenommene sachlich-rechnerische Berichtigung der Honorarbescheide für die Quartale 1/2019 bis 4/2019 hinsichtlich der Leistungen nach der GOP 02100 EBM und eine Rückforderung der Beklagten i.H.v. 25.380,14 € streitig.

Die Klägerin ist eine Gemeinschaftspraxis, die im Jahr 2019 aus den zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen fachärztlichen Internisten M. und  A1. bestand. Sitz der Gemeinschaftspraxis ist S-Stadt.  M. führt die Schwerpunktbezeichnung Gastroenterologie. In den streitgegenständlichen Quartalen waren bei der Klägerin die Fachärzte für Innere Medizin Dres. G. angestellt. Die Dres. G. führen ebenfalls die Schwerpunktbezeichnung Gastroenterologie. Alle Ärzte der Praxis verfügen über eine Genehmigung zur Ausführung und Abrechnung von Leistungen der Koloskopie

Mit Schreiben vom 12.02.2020 informierte die Beklagte die Klägerin, dass eine Zeitauswertung im Quartal 3/2019 eine auffällig hohe Stundenzahl des angestellten Arztes R. ergeben und deshalb eine Abrechnungsprüfung erfordert habe. Im Rahmen dieser Prüfung sei festgestellt worden, dass die Klägerin die GOP 02100 EBM neben der GOP 13400 und/oder der GOP 13421 und/oder der GOP 13422 und/oder der GOP 30600 EBM abgerechnet habe.

Die Klägerin nahm mit Schreiben vom 18.02.2020 und 25.05.2020 Stellung und teilte mit, dass die GOP 02100 EBM seit Beginn der Praxistätigkeit vor 18 Jahren regelhaft für eine Endoskopieziffer abgerechnet werde. Die endoskopischen Ziffern 13400 und 13421 beinhalteten als fakultative Leistungsinhalte eine Prämedikation/Sedierung. Dies werde so interpretiert, dass dieser Leistungsinhalt in Form einer intravenösen Injektion vor Beginn der Endoskopie erfolge. Seit Jahren sei das Vorgehen in der Praxis so, dass sie keine einzelne Injektion vor der Endoskopie applizierten. Sie führten eine Propofol-Kurzinfusion, über mindestens 10 Minuten, über die gesamte Dauer der Endoskopie durch, um damit monitorkontrolliert die nötige Sedationstiefe zu erreichen. Dies sei in Deutschland generelles Vorgehen und entspreche einer optimalen Sicherheit. Der fakultative Leistungsinhalt einer Prämedikationssedierung beziehe sich nur auf eine einmalige intravenöse Injektion zum Start der Endoskopie. Eine während der Endoskopie durchgeführte Infusion sei, wie auch die FAQ zum EBM darlegten, grundsätzlich berechnungsfähig, wenn die Dauer von 10 Minuten überschritten werde.

Der von der Beklagten beigezogene Medizinische Fachexperte führte in seinem Prüfbericht vom 05.10.2020 aus, dass eine Gabe als Kurzinfusion in den Leitlinien nicht beschrieben sei und diese Applikationsform ihm und den von ihm zu rate gezogenen Kollegen und Anästhesisten bei der Propofol-Applikation in der Endoskopie nicht bekannt sei. Bei einer Gabe von Propofol in der Endoskopie handele es sich unabhängig von der Applikationsform um eine Prämedikation/Sedierung, welche entsprechend dem Katalog fakultativer Bestandteil der Endoskopieziffern sei. Mit E-Mail vom 05.08.2021 teilte der Prüfexperte - entgegen seinem Bericht vom 05.10.2020 - mit, dass die Propofolsedierung zwar schon als Infusionsgabe aufgefasst werden könne, es sich aber um eine Sedierung handele, die im Leistungskatalog enthalten sei.

Mit Schreiben vom 08.12.2020 informierte die Beklagte die Klägerin, dass die Plausibilitätsprüfung auf weitere Ärzte sowie auf die Quartale 1/2019 bis 4/2019 ausgeweitet werde.

In einem Telefonat am 30.03.2021 teilte die Beklagte M. mit, dass nach ihrer Auffassung die GOP 02100 EBM implausibel sei. Sie erklärte, dass es sich bei der Gabe von Propofol unabhängig von der Applikationsform um eine Prämedikation/Sedierung handele.

Mit Schreiben vom 27.04.2021 informierte die Beklagte die Klägerin, dass ein Honoraraufhebungs- und Neufestsetzungsbescheid erlassen werde. Zugleich wurde um ergänzende Patientendokumentation gebeten.

In ihrem Schreiben vom 11.05.2021 verwies die Klägerin auf die Endoskopie-S3-Leitlinie, wonach die Applikation von Propofol als initiale Bolusgabe zur Einleitung der Sedierung mit anschließender Aufrechterhaltung der Sedierung durch repetitive Bolusgabe oder mittels kontinuierlicher Applikation erfolge. Hierbei werde zur Einleitung ein Gewichts- und ggf. auch Alters- oder Komorbiditätsadaptierter Bolus intravenös appliziert und nachfolgend bedarfsadaptierte repetitive Boli von z.B. 20 mg zur Aufrechterhaltung der gewünschten Sedierungstiefe verabreicht. Die S3-Leitlinie sehe für die Endoskopie eine intermittierende Bolusapplikation vor. Über die gesamte Zeitdauer werde durch wiederholte Gabe von Einzelgaben die gewünschte Sedationstiefe aufrechterhalten, bis die Untersuchung beendet sei.

Mit Bescheid vom 05.08.2021 berichtigte die Beklagte die Honorarbescheide für die Quartale 1/2019 bis 4/2019, soweit diese den Honoraranspruch für Regional- und Ersatzkassen hinsichtlich der Leistungen nach der GOP 02100 EBM betrafen. Im Einzelnen ergebe sich ein Rückforderungsbetrag in Höhe von 25.380,14 €. Der medizinische Fachexperte habe festgestellt, dass mangels einer zusätzlich zum Propofol verabreichten Infusionslösung der obligate Leistungsinhalt der GOP 02100 EBM nicht erfüllt sei und die GOP 02100 EBM daher nicht zusätzlich abgerechnet werden könne. Bei der Verabreichung des Propofols handele es sich unabhängig von der Applikationsform um eine Prämedikation/Sedierung, welche fakultativer Leistungsbestandteil der Endoskopien entsprechend der GOP 13400, 13421, 13422 und 30600 EBM sei. Demzufolge sei eine zusätzliche Abrechnung der GOP 02100 EBM nicht möglich (vgl. Punkt 2.1.3 der Allgemeinen Bestimmungen nach dem EBM). Die Verabreichung einer zusätzlichen Infusionslösung (zusätzlich zum Propofol) sei anhand der eingereichten Dokumentationen nicht zu erkennen und sei von den Ärzten auch nicht vorgetragen worden. Die sich wiederholende Verabreichung von Propofol stelle hingegen keine kontinuierliche, über 10 Minuten hinaus andauernde Infusion im Sinne der GOP 02100 EBM dar und sei daher nicht besonders berechnungsfähig. Es handele sich dabei lediglich um eine bereits durch die Abrechnung der GOP 13400, 13421, 13422 und 30600 EBM abgegoltene fortlaufende Narkose. Im Ergebnis sei daher festzuhalten, dass Leistungen unter Verstoß gegen die Pflicht zur peinlich genauen Abrechnung gegenüber der Beklagten abgerechnet worden seien, so dass die eingereichten Abrechnungen sachlich-rechnerisch berichtigt werden mussten. Für die Berechnung der Rückforderung seien alle Fälle pro Arzt und pro Quartal, in denen die GOP 02100 EBM neben Endoskopien (GOP 13400, 13421 und 13422 EBM) abgerechnet worden sei, ermittelt worden. In diesen Fällen sei der Leistungsinhalt der GOP 02100 EBM nicht erfüllt. In welchen Fällen eine sachlich-rechnerische Berichtigung erfolgte, könne der Anlage entnommen werden.

Im Widerspruchsverfahren wies die Klägerseite darauf hin, dass die GOP 02100 EBM neben Endoskopien (GOP 13400, 13421 und 13422 EBM) abrechenbar und insoweit kein Abrechnungsausschluss normiert sei. Dass der fakultative Leistungsinhalt der GOP 13400, 13421,13422 und 30600 EBM u.a. eine Prämedikation/Sedierung benenne, stehe einem Ansatz der GOP 02100 EBM nicht entgegen, denn eine Infusion im Sinne der GOP 02100 EBM sei ausweislich des Wortlauts der Leistungslegenden der GOP 13400, 13421,13422 und 30600 EBM nicht inhaltsgleich mit Endoskopien und weder ein obligater noch ein fakultativer Leistungsinhalt dieser Ziffern. Dies bestätige auch der Anhang 1 zum EBM, der ausdrücklich bestimme, dass die Infusion im Sinne der GOP 02100 EBM "nicht in sonstigen GOP enthalten" sei. Im Übrigen heiße es in der Kommentierung des Kölner Kommentars zur GOP 02100 EBM, dass die Infusion entsprechend der GOP 02100 EBM grundsätzlich nicht Leistungsbestandteil einer Prämedikation/Sedierung sei, welche Teilleistung bestimmter Leistungen des EBM sein könnte. So seien zum Beispiel die GOP 02100 und13400 nebeneinander berechnungsfähig. Bezüglich des fakultativen Leistungsinhalts Prämedikation/Sedierung greife die Allgemeine Bestimmung 2.1.3 hier nicht.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 11.05.2022 zurück.

Die Klägerin hat am 17.06.2022 durch ihre Prozessbevollmächtigten Klage zum Sozialgericht München erhoben. Die streitgegenständlichen Bescheide seien rechtswidrig, da die Klägerin mit den Propofol-Infusionen den obligaten Leistungsinhalt der GOP 02100 EBM vollständig erbracht habe, eine Propofol-Infusion i.S.d. GOP 02100 EBM kein vollständiger Bestandteil einer Prämedikation/Sedierung i.S.d. GOP 13400, 13421,13422 und 30600 EBM sei und keine sonstigen Abrechnungsausschlüsse einem Ansatz der GOP 02100 EBM neben den GOP 13400, 13421,13422 und 30600 EBM entgegenstünden. Die streitgegenständliche Applikationsform stelle eine Infusion i.S.d. GOP 02100 EBM dar. Auch wenn sich der fakultative Leistungsinhalt der GOP 13400, 13421,13422 und 30600 EBM u.a. auf eine Prämedikation/Sedierung erstrecke, führe dies nicht zu einer Verneinung der Berechnungsfähigkeit der GOP 02100 EBM für eine Propofol-Infusion. Dies folge schon daraus, dass die GOP 02100 EBM unter Berücksichtigung von Nr. 2.1.3 der Allgemeinen Bestimmungen zum EBM neben den GOP 13400, 13421,13422 und 30600 EBM berechnungsfähig bleibe, weil diese GOP keine inhaltsgleichen Gebührenordnungspositionen seien und der Leistungsinhalt der GOP 02100 EBM kein vollständiger Bestandteil der GOP 13400, 13421,13422 und 30600 EBM sei. Insbesondere gehöre eine Infusion i. S. d. GOP 02100 EBM nicht zum obligaten oder fakultativen Leistungsinhalt einer Endoskopie i.S.d. GOP 13400, 13421,13422 und 30600 EBM. Ebenso wenig sei eine Propofol-Infusion ein Leistungsbestandteil einer Prämedikation/Sedierung i.S.d. GOP 13400, 13421,13422 und 30600 EBM. Nach Nr. 2.1.3 der Allgemeinen Bestimmungen zum EBM sei eine Gebührenordnungsposition nicht berechnungsfähig, wenn deren obligate und sofern vorhanden fakultative Leistungsinhalte vollständig Bestandteil einer anderen berechneten Gebührenordnungsposition sei. Leistungen für eine Infusion i.S.d. GOP 02100 EBM seien zwar unter Berücksichtigung der Regelungen zum Anhang 1 zum EBM in den Versichertenpauschalen des Kapitels 3 bzw. 4 enthalten. Allerdings habe die Klägerin diese Versichertenpauschalen in den streitgegenständlichen Quartalen gar nicht abgerechnet. Hingegen seien die Leistungen für eine Infusion i.S.d. GOP 02100 EBM nach Anhang 1 zum EBM weder möglicher Bestandteil der Grundpauschale noch in sonstigen GOP enthalten. Eine Infusion mit Propofol zur Sedierung ändere nichts daran, dass die Infusionsleistungen i.S.d. GOP 02100 EBM kein Leistungsbestandteil und erst recht kein vollständiger Bestandteil einer Prämedikation/Sedierung i.S.d. GOP 13400, 13421,13422 und 30600 EBM seien.


Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 05.08.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.05.2022 aufzuheben, hilfsweise
den Bescheid vom 05.08.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.05.2022 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, über den Widerspruch der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.


Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.


Die Beklagte hat ausgeführt, dass es sich bei der Gabe von Propofol unabhängig von der Applikationsform um eine Sedierung des Patienten für die Durchführung einer Endoskopie handele. Hierbei mache es keinen Unterschied, ob die Sedierung zu Beginn der Untersuchung in Form einer Einmalgabe oder durch wiederholte Gabe von Einzelgaben verabreicht werde. Die Sedierung gehöre zum fakultativen Leistungsinhalt der GOP 13400, 13421,13422 und 30600 EBM und sei somit nicht gesondert abrechenbar. Es spiele keine Rolle, dass der obligate Leistungsinhalt der GOP 02100 EBM keine Sedierung verlange. Dies sei vielmehr nur folgerichtig. Eine Infusion entsprechend der GOP 02100 EBM könne neben einer Endoskopie nur dann abgerechnet werden, wenn eine Infusionslösung verabreicht werde, die nicht zur Sedierung des Patienten gedacht sei.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 05.08.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.05.2022 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der fristgemäß eingelegten Klage liegen allesamt vor.

Die Klage ist jedoch im Haupt- und Hilfsantrag unbegründet.

Zweifel an der formellen Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheids bestehen nicht. Eine Anhörung der Klägerin vor Erlass des Bescheids ist telefonisch bzw. schriftlich erfolgt (§ 24 Abs. 1 SGB X).

Der Bescheid der Beklagten vom 05.08.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.05.2022 ist auch materiell rechtmäßig.

Rechtsgrundlage für die sachlich-rechnerische Richtigstellung ist § 106d Abs. 2 Satz 1 SGB V. Danach stellt die Kassenärztliche Vereinigung die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen fest; dazu gehört auch die arztbezogene Prüfung der Abrechnungen auf Plausibilität, auf Einhaltung der Vorgaben nach § 295 Absatz 4 Satz 3 sowie die Prüfung der abgerechneten Sachkosten.

"Die insofern durchgeführte Abrechnungsprüfung zielt auf die Feststellung, ob die Leistungen rechtmäßig, also im Einklang mit den gesetzlichen, vertraglichen oder satzungsrechtlichen Vorschriften des Vertragsarztrechts - mit Ausnahme des Wirtschaftlichkeitsgebots - erbracht und abgerechnet worden sind, insbesondere die Vorgaben des EBM-Ä erfüllen. Die Befugnis zu Richtigstellungen besteht auch für bereits erlassene Honorarbescheide (nachgehende Richtigstellung). Sie bedeutet dann im Umfang der vorgenommenen Korrekturen eine teilweise Rücknahme des Honorarbescheids. Die genannten Bestimmungen stellen Sonderregelungen dar, die gemäß § 37 Satz 1 SGB I in ihrem Anwendungsbereich die Regelung des § 45 SGB X verdrängen. Eine nach den Bestimmungen zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung rechtmäßige (Teil-)Rücknahme des Honorarbescheids mit Wirkung für die Vergangenheit löst nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X eine entsprechende Rückzahlungsverpflichtung des Empfängers der Leistung aus" (BSG, Urteil vom 26.01.2022, Az. B 6 KA 8/21 R, Rn. 18 m. w. N.).

Die vierjährige Ausschlussfrist bzw. die zum 11.05.2019 in Kraft getretene zweijährige Ausschlussfrist (§ 106d Abs. 5 Satz 3 SGB V) wurde eingehalten.

Die Berichtigungen der GOP 02100 EBM sind im Ergebnis nicht zu beanstanden. Zwar erfüllt die von der Klägerin regelmäßig durchgeführte intermittierende Propofol-Bolusapplikation die Voraussetzungen der GOP 02100 EBM. Sie unterliegt jedoch bei der Abrechnung neben den GOP 13400, 13421, 13422 und 30600 EBM einem Abrechnungsausschluss. Dieser ergibt sich aus dem Grundsatz der Konsumtion wie auch aus dem Sinn und Zweck des fakultativen Leistungsinhalts der "Prämedikation/Sedierung" (GOP 13400, 13421, 13422 und 30600 EBM).

Die fachkundig besetzte Kammer teilt die Auffassung der Klägerin, dass die Leistungslegende der GOP 02100 EBM durch die streitgegenständliche intermittierende Propofol-Bolusapplikation erfüllt ist. Nach der S3-Leitlinie "Sedierung in der gastrointestinalen Endoskopie" ist die gebräuchlichste Technik der Propofol-Applikation die initiale Bolusgabe zur Einleitung der Sedierung mit anschließender Aufrechterhaltung der Sedierung durch repetitive Bolusgabe (sog. intermittierende Propofol-Bolusapplikation). Es handelt sich dabei zur Überzeugung der Kammer um eine intravenöse Infusion mit einer Dauer von mehr als 10 Minuten. Dies entspricht auch der (korrigierten) Auffassung des von der Beklagten eingeschalteten medizinischen Fachexperten (E-Mail vom 05.08.2021).

Die intermittierende Propofol-Bolusapplikation ist jedoch nicht gem. GOP 02100 EBM neben den GOP 13400, 13421, 13422 und 30600 EBM berechnungsfähig.

Ein ausdrücklicher Abrechnungsausschluss war in den streitgegenständlichen Quartalen in den einzelnen Gebührenordnungspositionen zwar nicht vorgesehen. Jedoch enthalten die Leistungslegenden der GOP 13400, 13421, 13422 und 30600 EBM jeweils als fakultativen Leistungsinhalt die "Prämedikation/Sedierung". Dieser schließt in den streitgegenständlichen Fällen die Vergütung der intermittierenden Propofol-Bolusapplikation über die GOP 02100 EBM aus.

Nach den Allgemeinen Bestimmungen zu Kapitel I.2.1.1 EBM sind fakultative Leistungsinhalte Bestandteil des Leistungskataloges in der Gesetzlichen Krankenversicherung; deren Erbringung ist vom Einzelfall abhängig. Dies bedeutet, dass grundsätzlich die Durchführung einer fakultativen Leistung, die einer GOP zugeordnet ist, nicht gesondert abgerechnet werden kann.

Gemäß den Allgemeinen Bestimmungen zu Kapitel I.2.1.3 Abs. 2 EBM ist eine Gebührenordnungsposition nicht berechnungsfähig, wenn deren obligate und - sofern vorhanden - fakultative Leistungsinhalte vollständig Bestandteil einer anderen berechneten Gebührenordnungsposition sind. Sämtliche Abrechnungsbestimmungen und Ausschlüsse sind zu berücksichtigen.

Die Klägerin weist zutreffend darauf hin, dass der in den Allgemeinen Bestimmungen zu Kapitel I.2.1.3 Abs. 2 EBM geregelte Abrechnungsausschluss der Spezialität nicht einschlägig ist. Die GOP 02100 EBM enthält Leistungsinhalte wie den speziellen Zugang (intravenös, in das Knochenmark, mittels Portsystem und/oder intraarteriell) und die Mindestdauer (10 Minuten), die über eine Prämedikation/Sedierung hinausgehen. Der Abrechnungsausschluss der Ziffer folgt vorliegend auch nicht aus dem Anhang 1 zum EBM (Verzeichnis der nicht gesondert berechnungsfähigen Leistungen).

Zur Überzeugung der Kammer ergibt sich der Abrechnungsausschluss der GOP 02100 EBM jedoch aus dem Grundsatz der Konsumtion. Nach der zum EBM 1996 ergangenen Rechtsprechung des BSG besteht ein Abrechnungsausschluss "auch dann, wenn eine Leistung im Zuge einer anderen typischerweise miterbracht wird und der für sie erforderliche Zusatzaufwand im Regelfall hinter dem Aufwand für die andere Leistung zurücktritt. In einem solchen Fall ist die Leistung mit der Vergütung für die andere mitabgegolten, weil sie nur einen unselbständigen Anhang der anderen Leistung darstellt" (BSG, Urteil vom 25.08.1999, Az. B 6 KA 57/98 R, Rn. 23). In anderen Worten hat das BSG formuliert: "Bestimmte Leistungen setzen sich aus mehreren Therapieschritten zusammen, für die für den Fall, dass sie auch allein erbracht werden können, eventuell besondere Gebühren-Nrn vorgesehen sind; wird eine Gebühren-Nr abgerechnet, die solche Therapieschritte umfasst, so können nicht noch andere Gebühren-Nrn, die nur einen bestimmten Therapieschritt beinhalten, daneben angesetzt werden" (BSG, Urteil vom 05.11.2008, Az. B 6 KA 1/08 R, Rn. 17 m.w.N.). Ein derartiges Verhältnis zwischen berechnungsfähiger Hauptleistung und abgegoltener unselbstständiger Teilleistung liege auch vor, wenn sich beide zu einem wesentlichen Teil überschneiden (BSG, ebenda, Rn. 19).

Das BSG hat zwar bisher offengelassen, ob der Abrechnungsausschluss wegen Konsumtion weiterhin Anwendung aufgrund der mit Wirkung ab dem 01.01.2008 durch Aufnahme des Begriffs "vollständig" neu gefassten Regelung in den Allgemeinen Bestimmungen zu Kapitel I.2.1.3 Abs. 2 EBM findet (BSG, Urteil vom 16.05.2018, Az. B 6 KA 16/17 R, Rn. 21). Die Kammer geht jedoch davon aus, dass der Grundsatz des Abrechnungsausschlusses wegen Konsumtion nach wie vor Bestand hat (so auch Clemens in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl. (Stand: 21.11.2023), § 106d Rn. 180).

Vorliegend wird die intermittierende Propofol-Bolusapplikation und damit die Infusion zur Sedierung typischerweise im Rahmen der Endoskopien miterbracht. Der für die Infusion erforderliche Zusatzaufwand tritt zudem im Regelfall hinter dem Aufwand für die endoskopische Leistung, die die Sedierung mitumfasst, zurück. Es handelt sich bei der intermittierenden Propofol-Bolusapplikation um einen Therapieschritt, der von der endoskopischen Leistung, die mehrere Therapieschritte inklusive fakultativ die Sedierung beinhaltet, mitumfasst wird.

Der vorliegend durch den Grundsatz der Konsumtion begründete Abrechnungsausschluss wird im Übrigen durch den Sinn und Zweck des fakultativen Leistungsinhalts der "Prämedikation/Sedierung" (GOP 13400, 13421,13422 und 30600 EBM) bestätigt. Trotz des in der Rechtsprechung des BSG verankerten Grundsatzes, dass bei der Auslegung einer Vergütungsbestimmung in erster Linie deren Wortlaut maßgebend ist, sind der Rechtsprechung des BSG Argumentationsansätze in Richtung auf eine teleologische Interpretation nicht fremd; ebenso etwa bezüglich der gelegentlichen Ausdehnung von Leistungsausschlusstatbeständen (vgl. Clemens, ebenda, Rn. 185ff.).

Der in den GOP 13400, 13421,13422 und 30600 EBM geregelte fakultative Leistungsinhalt der "Prämedikation/Sedierung" ist begrifflich weit gefasst. Die fachkundig besetzte Kammer versteht dies dahingehend, dass alle die Sedierung betreffenden Leistungen, unabhängig von der Art des angewandten Verfahrens (vgl. hierzu im Einzelnen die o.g. S3-Leitlinie), mit umfasst und abgegolten sein sollen. Der Abrechnungsausschluss ergibt sich somit auch aus teleologischen Erwägungen.

Im Ergebnis unterliegt die intermittierende Propofol-Bolusapplikation gem. GOP 02100 EBM einem Abrechnungsausschluss neben den GOP 13400, 13421,13422 und 30600 EBM (a.A. Köhler/Hess (Hrsg.), Kölner Kommentar zum EBM, Band 1, Stand 01.01.2019, Kapitel 2, S. 3).

Die Höhe der patientengenau berechneten Rückforderung ist unstreitig.

Die Klage war daher abzuweisen.

Die Kostenentscheidung basiert auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.

 

 

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Aus
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