L 13 R 3146/20

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 2 R 2038/19
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 R 3146/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 31.08.2020 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Der 1965 geborene Kläger begehrt aufgrund des Rentenantrages vom 06.08.2018 die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente. Er erlernte den Beruf des Maschinenschlossers. Ab 01.07.2013 bezog er Arbeitslosengeld bzw. Arbeitslosengeld II.

Ein Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung vom 06.06.2013 blieb ohne Erfolg.
Auf den Rentenantrag vom 22.10.2015 holte die Beklagte ein Gutachten beim R1 vom 21.12.2015 ein, das ein Zusatzgutachten des E1 vom 07.12.2015 berücksichtigte. Hiernach könne der Kläger trotz einer leichten agoraphobischen Störung mit Panikattacken ohne ausgeprägtes Vermeidungsverhalten, einer Dysthymia und Spannungskopfschmerzen leichte Tätigkeiten unter Beachtung qualitativer Einschränkungen vollschichtig verrichten. Hierauf lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit Bescheid vom 07.01.2016 ab und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24.06.2016 zurück.
Im Verfahren vor dem Sozialgericht Karlsruhe (SG; S 14 R 2505/16) wurde von Amts wegen ein neurologisch-psychiatrisch-schmerztherapeutisches Hauptgutachten des R2 vom 24.04.2017 und ein orthopädisch-rheumatologisch-sozialmedizinisches Zusatzgutachten des R4 vom 13.03.2017 eingeholt. Beide Sachverständige kamen zu der Einschätzung, der Kläger könne noch im Umfang von mindestens sechs Stunden unter Beachtung qualitativer Einschränkungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte Tätigkeiten verrichten. Der Kläger nahm seine Klage am 20.06.2017 zurück.

Am 06.08.2018 beantragt der Kläger erneut die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente. Die Beklagte zog ärztliche Unterlagen bei. Der Q1 diagnostizierte eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, generalisierte Angststörung, eine Polyneuropathie, eine nichtorganische Schlafstörung, Panikstörung und eine Dysthymie (Bericht vom 23.01.2018, Bl. 83 ärztlicher Teil der Verwaltungsakte). Zudem war der Kläger zwischenzeitlich beim Tragen seines Aquariums auf der Treppe gestürzt und hatte sich Verletzungen zugezogen (Bericht des Klinikums M1 vom 14.05.2018 – Bl. 51 ärztlicher Teil der Verwaltungsakte). Der behandelnde R3 diagnostizierte im Bericht vom 10.10.2018 eine milde diabetische Retinopathie mit Visus 0,8 rechts und 1,0 links. Die Beklagte veranlasste eine erneute Begutachtung. Der L1 untersuchte den Kläger am 06.12.2018 und erachtete den Kläger im Gutachten vom 11.12.2018 mit qualitativen Einschränkungen für in der Lage, im Umfang von mindestens sechs Stunden am Tag auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte Tätigkeiten zu verrichten. Die mittelgradige Depression sei vom Gutachter im Klageverfahren nicht bestätigt worden und entspreche auch nicht dem aktuellen Eindruck. Die Blutuntersuchung spreche gegen die behauptete Einnahme des Medikaments Sertralin. Die Schmerztherapie erfolge wenig intensiv; auf eine nicht-medikamentöse Behandlung werde verzichtet.
Hierauf gestützt lehnte die Beklagte die Rentengewährung mit Bescheid vom 12.12.2018 ab. Am 28.12.2018 erhob der Kläger Widerspruch und ließ vortragen, die depressive Erkrankung gehe weit über eine Dysthymie hinaus. Er nehme die 300mg Pregabalin und 100mg Sertralin tatsächlich ein. Er könne mit Blick auf die übrigen Leiden keine sechs Stunden mehr arbeiten. Nach Einholung zweier Stellungnahmen des L1, der auf die Serumbestimmung (Sertralin < 1,8 bei therapeutischem Bereich 10-150) Bezug nahm, wies die Beklagte den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 15.05.2019 zurück.

Mit der hiergegen am 14.06.2019 zum SG erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Das SG hat die in der Entbindungserklärung angegebenen zuletzt behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen befragt.
Die W1 hat angegeben, den Kläger am 08.08.2019 einmalig untersucht zu haben und hat auf den an den Hausarzt gerichteten Bericht vom 12.08.2019 verwiesen. Klinisch sei eine Einschränkung der Gehfähigkeit nicht aufgefallen. Im Bericht hat sie eine (vorbeschriebene) rezidivierende Depression und Polyneuropathie mit wahrscheinlich diabetischer Genese genannt. Der Patient sei psychisch unauffällig erschienen. Weil der 137 kg schwere Kläger keinen Grund für die Dosisreduktion von Sertralin von 100 auf 50 mg habe angeben können, sei empfohlen worden, die Dosis von Sertralin wieder auf 100 mg am Tag zu erhöhen.
Der F1 hat bestätigt, dass sich bei unverändertem Visus keine Einschränkungen für eine Berufstätigkeit ergäben.
Der diabetologisch behandelnde S1 hat auf einen Schwerpunkt der Leiden auf psychiatrischem Gebiet verwiesen. Der Kläger könne sicher keine sechs Stunden mehr arbeiten. Neben der bereits bestehenden diabetischen Polyneuropathie und dem Fußsyndrom sei über kurz oder lang mit weiteren Folgeschäden (Augen, Nieren, Gefäße) zu rechnen. Leider sei diese Tatsache dem Kläger zwar bewusst, eine Verbesserung jedoch aufgrund der psychiatrischen Grunderkrankung nicht zu erzielen. Er wolle erwähnen, dass alle unternommen Versuche, auch Klinikaufenthaltsempfehlungen, gescheitert seien.
Der zur hausärztlichen Versorgung zugelassene W2 hat mitgeteilt, es sei seit 2018 zu keiner Verbesserung, aber zu phasenweiser Verschlechterung insbesondere der Beinschmerzen und der bronchialen Situation sowie der gedrückten Stimmung gekommen. Die Einstellung der diabetischen Stoffwechsellage bei einem Diabetes mellitus Typ I mache die meisten Schwierigkeiten. In der Folge sei die seelische Situation mit häufigen depressiven Stimmungslagen und Angstzuständen möglicherweise auch im Rahmen der diabetischen Erkrankung zu sehen. An dritter Stelle stünden die zunehmenden Komplikationen durch den Diabetes mellitus in Form einer diabetischen Retinopathie und diabetischen Polyneuropathie.
Die S2 hat angegeben, seit Behandlungsbeginn habe der Kläger ein besseres Krankheitsverständnis erwerben und die abendlichen Essattacken etwas reduzieren können, ansonsten bestünden die Gesundheitsstörungen weiter fort.

Die Beklagte hat die sozialmedizinische Stellungnahme der S3 vom 27.05.2020 vorgelegt. W1 habe lediglich eine vorbeschriebene Depression aufgeführt und einen unauffälligen Befund mitgeteilt. Das Sehvermögen sei nach der Auskunft des F1 nicht leistungslimitierend. Die von der Psychotherapeutin beschriebenen Symptome seien allenfalls mit einer wiederkehrenden mittelgradigen depressiven Störung vereinbar, die jedoch nicht zu einer Leistungseinschränkung führe.

Der Kläger hat sich weiter für erwerbsgemindert und die Sache für nicht entscheidungsreif erachtet. S1 und die S2 stützten den Klageantrag. Es liege eine Adipositas zweiten Grades vor. Der Auskunft des W2 könne mehrfach entnommen werden, dass er wegen seiner diabetischen Erkrankung an starken Schmerzen in den Beinen leide. W2 habe die Beweisfragen zum Leistungsvermögen nicht beantwortet, der behandelnde Q2 sei nicht befragt worden.

Nach erfolgter Anhörung hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 31.08.2020 abgewiesen. Der angefochtene Bescheid sei rechtmäßig. Der Kläger sei nicht erwerbsgemindert, da er eine leichte Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit qualitativen Einschränkungen vollschichtig verrichten könne. Das SG hat sich auf das Gutachten des im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachtens von L1 sowie auf die Gutachten der gerichtlichen Sachverständigen R2 und R4 gestützt. Eine Verschlechterung auf neurologisch-psychiatrischem oder orthopädischem Fachgebiet habe sich nach deren Begutachtung nicht gezeigt, sodass deren Leistungsbeurteilung weiterhin Gültigkeit besitze. W1 habe einen unauffälligen Befund erhoben. Eine anschließende Verschlechterung sei nicht behauptet worden, weshalb Q1 nicht habe befragt werden müssen. Im Übrigen sei dessen fortgesetzte Beurteilung, es liege eine deutliche psychische Beeinträchtigung vor, durch W1 und R2 widerlegt worden. Die Einschätzung des S1 beruhe auf der im Vordergrund stehenden psychiatrischen Symptomatik und sei nicht schlüssig. Die Retinopathie sei nicht leistungsmindernd. W2 habe lediglich eine phasenweise Verschlechterung der psychischen Leiden unter Beinschmerzen beschrieben, womit allenfalls Zeiten der Arbeitsunfähigkeit plausibel begründet werden könnten. Die qualitativen Leistungseinschränkungen bedingten auch kein Vorliegen einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine besonders schwere spezifische Leistungsbehinderung mit der Folge, dass eine Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit notwendig wäre. Eine rentenrelevante Einschränkung der Wegefähigkeit liege nach dem Gutachten des L1 und R2 nicht vor.

Gegen den dem Kläger am 07.09.2020 zugestellten Gerichtsbescheid hat er am 07.10.2020 Berufung eingelegt und geltend gemacht, aufgrund seiner psychischen und rheumatologischen/orthopädischen Beeinträchtigungen sei er nicht mehr in der Lage, eine Tätigkeit in einem Umfang von regelmäßig 3 Stunden täglich nachzugehen. Das SG hätte zumindest ein psychiatrisches Gutachten einholen müssen.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 31.08.2020 sowie den Bescheid der Beklagten vom 12.12.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.05.2019 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 01.08.2018 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung des SG für zutreffend.

Der Senat hat von R2 ein weiteres Gutachten eingeholt. Im Gutachten vom 21.09.2021 hat der gerichtliche Sachverständige aufgrund einer Untersuchung am 28.06.2021 eine leichte, anhaltende somatoforme Schmerzstörung, eine Dysthymia, eine Angststörung und eine diabetische Polyneuropathie diagnostiziert. Dem Kläger seien damit noch leichte körperliche Arbeiten ohne Akkord- oder Fließbandtätigkeiten vollschichtig zumutbar. Die genannten Tätigkeiten sollten vorzugsweise im Wechsel zwischen Stehen, Gehen und Sitzen ausgeführt werden; der Kläger könne aber auch ständig sitzen, überwiegend stehen oder überwiegend gehen. Das Heben bzw. Tragen von Lasten mit einem Gewicht von mehr als 10 kg, Zwangshaltungen der Wirbelsäule, wie z.B. beim Bücken oder bei knienden Tätigkeiten, Arbeiten auf Leitern oder auf Gerüsten, Arbeiten unter der Exposition von Kälte, Wärme, Staub, Gasen, Dämpfen oder Nässe sowie Tätigkeiten im Freien unter ungünstigen Witterungsbedingungen, Nachtschicht, uneingeschränkter Publikumsverkehr, Verkaufsgespräche, eine besondere geistige Beanspruchung mit hoher oder höherer Verantwortung wie beim Bedienen komplexer oder laufenden Maschinen seien zu vermeiden.
Der Kläger hat hiergegen Einwendungen erhoben, worauf der gerichtliche Sachverständige die ergänzende gutachtliche Stellungnahme vom 24.03.2022 vorgelegt hat.

Nach § 109 SGG hat der Senat von E2 das Gutachten vom 10.03.2023 eingeholt. Hiernach liege eine chronische schwere depressive Episode mit somatischem Syndrom vor. Einfache körperliche Aktivitäten ohne geistige Ansprüche könne der Kläger über 3 bis unter 6 Stunden, geschätzt etwa 4 Stunden, durchführen. Es bestünden hinsichtlich der Gehfähigkeit keine Einschränkungen auf psychiatrischem Fachgebiet. Ein Kraftfahrzeug könne nicht geführt werden. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bestehe die Leistungsfähigkeit seit der Begutachtung.

Die Beklagte hat die kritische beratungsärztliche Stellungnahme des N1 vom 02.05.2023 vorgelegt.

Hierauf ist nach § 109 SGG E2 ergänzend gutachtlich gehört worden. Unter dem 21.08.2023 hat der gerichtliche Sachverständige darauf hingewiesen, dass er insbesondere auf die Antriebsstörung in Form einer psychomotorischen Hemmung abstelle und nicht auf eine Konzentrationsstörung. Eine testpsychologische Untersuchung lasse deshalb keinen Mehrwert erwarten. Die für eine schwere depressive Episode erforderlichen Symptome (8 Symptome der Diagnoseliste, dazu alle 3 erstgenannten Symptome obligat) seien vorhanden.

Die Beklagte hat hierauf die kritische beratungsärztliche Stellungnahme des N1 vom 22.09.2023 vorgelegt.

E2 ist in seiner ergänzenden gutachtlichen Stellungnahme nach § 109 SGG vom 05.02.2024 bei seiner Leistungsbeurteilung verblieben. Die Beklagte verkenne, dass es für eine schwere depressive Episode lediglich die erforderliche Zahl von Symptomen brauche, unabhängig von der Intensität.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend verwiesen.


                                                           Entscheidungsgründe


Die nach den §§ 143, 144 und 151 SGG zulässige Berufung des Klägers, über die mit Zustimmung der Beteiligten gem. § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte, ist unbegründet. Das SG hat zu Recht die Klage abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 12.12. 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.05.2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente, da er nicht erwerbsgemindert ist.

Der Senat verweist hinsichtlich der Rechtsgrundlagen des geltend gemachten Anspruchs sowie wegen der Beweiswürdigung auf die zutreffenden Ausführungen des SG im angefochtenen Gerichtsbescheid und sieht insofern von einer erneuten Darlegung der Entscheidungsgründe gemäß § 153 Abs. 2 SGG ab.

Auch die Beweisaufnahme im Berufungsverfahren hat eine Erwerbsminderung des Klägers nicht nachgewiesen. Zwar hat E2 eine chronische schwere depressive Episode mit somatischem Syndrom diagnostiziert und eine rentenrelevant eingeschränkte Leistungsfähigkeit des Klägers angenommen; dem kann sich der Senat jedoch nicht anschließen. Der gerichtliche Sachverständige E2 hat nicht schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, weshalb beim Kläger eine aufgehobene affektive Schwingungsfähigkeit mit vermindertem Antrieb nachgewiesen ist. Den Angaben des Klägers, er lebe wie ein Höhlenmensch, er habe aufgehört zu laufen und mit seinem Hund spazieren zu gehen, wird nicht kritisch nachgegangen. So wird nicht herausgearbeitet, was der Kläger noch macht, wenn er angibt, alles gehe langsam und schwer von der Hand. Der gerichtliche Sachverständige E2 versäumt es auch, die Leistungseinschätzung anhand von Befunden darzulegen. Die alleinige Erfüllung von einer Anzahl von Symptomen, was zur Diagnose einer schweren depressiven Episode berechtige, führt nicht - automatisch- unabhängig der Intensität zu einer nachgewiesenen rentenrelevanten Leistungseinschränkung. Auch nach der ICD-10 ist die Schwere der Symptome zu berücksichtigen (s. F32). Für den Senat ist auch nicht nachvollziehbar, weshalb E2 seit seiner Begutachtung eine chronische schwere Episode diagnostizieren konnte, da Episoden naturgemäß nicht chronisch sind; eine rezidivierende depressive Störung (F33 ICD-10) hat E2 nicht diagnostiziert. E2 geht auch nicht der Frage nach, weshalb es der Kläger trotz angeblich schwerer Erkrankung unterlässt, eine suffiziente Behandlung in Anspruch zu nehmen. Die von L1 veranlasste Laboruntersuchung ergab hinsichtlich des angeblich eingenommenen Antidepressivums Sertralin gerade keinen therapeutischen Spiegel (siehe Bl. 97 der Akten der Beklagten). Bei R2 konnte weder die Einnahme von Sertralin noch die Einnahme von Pregabalin bei der Blutspiegeluntersuchung bestätigt werden (siehe Bl. 42 des Gutachtens vom 21.09.2021). Eine stationäre Aufnahme musste nicht erfolgen. Eine nicht-medikamentöse Schmerztherapie findet trotz angegebener starken Schmerzen nicht statt.
Beim gerichtlichen Sachverständigen R2 zeigte sich lediglich eine leichtgradige Verminderung der Antriebslage, ein durchgehend subdepressives Stimmungsbild, eine leichtgradige erhöhte Ängstlichkeit, eine leichtgradige Verlangsamung des formalen Gedankengangs und die Angabe von Suizidgedanken, von denen er sich aber distanzieren konnte. Im Gutachten vom 21.09.2021 hat der gerichtliche Sachverständige R2 anhand dieses geringfügig gestörten Befundes (s. Bl. 29 ff., 45 des Gutachtens) und der Anamnese insbesondere zum Tagesablauf und zu den Alltagsaktivitäten (siehe Bl. 19 ff. des Gutachtens: Kläger sei beim Kochen seiner Ehefrau behilflich, manchmal fehle ihm aber der Antrieb hierzu, er dusche zumeist abends, er verfolge abends die Nachrichten im Fernsehen, während des Home-Schoolings habe er seine Kinder beaufsichtigt und mit ihnen Hausaufgaben gemacht, er lege sich bei schönem Wetter in den Garten auf eine Liege, er besitze ein Handy und sei in dem sozialen Netzwerk „WhatsApp“ aktiv, er kommuniziere mit seinem Vater und seiner Schwester, seinen Vater habe er zu dessen Geburtstag im Juni 2021 besucht, seine Schwester besuche ihn einmal pro Woche und unterhalte sich mit ihm, vor Corona habe er ein Restaurant einmal pro Monat aufgesucht, zum Schwimmen sei er zuletzt vor eineinhalb Jahren gewesen, vor 5 Jahren sei er mit dem Flugzeug nach Portugal gereist, wo sein Vater ein Haus besitze) schlüssig und nachvollziehbar lediglich eine leichtgradig ausgeprägte, anhaltende somatoforme Schmerzstörung, eine Dysthymia und eine Angststörung auf psychiatrischem Fachgebiet diagnostiziert. Dem Kläger sind damit schlüssig und nachvollziehbar leichte Tätigkeiten unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkung vollschichtig zumutbar.
Die Kritik des Klägers am Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen R2 verfängt nicht. Der gerichtliche Sachverständige hat die behaupteten Kritikpunkte in seiner ergänzenden gutachtlichen Stellungnahme vom 25.03.2022 ausgeräumt. Soweit der Bevollmächtigte des Klägers nunmehr behauptet, dass der Kläger schon seit Jahren kein Auto mehr fahre, hat der gerichtliche Sachverständige R2 schlüssig und nachvollziehbar ausgeführt, dass der Kläger bei ihm ausgeführt habe, dass er ein Jahr lang nicht mehr am Steuer gesessen sei und diese Diskrepanz keinen wesentlichen Unterschied hinsichtlich der verrichteten Aktivitäten darstelle. Der gerichtliche Sachverständige hat auch nachvollziehbar dargelegt, dass er den Kläger durch die geöffnete Tür beim Entkleiden im Nachbarzimmer beobachtet hat, weshalb sich der Kläger unbeobachtet wähnte. Der gerichtliche Sachverständige R2 hat auch schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, dass seine Feststellung, Konzentration und Aufmerksamkeit hätten nicht nachgelassen, zum einen auf der einstündigen Exploration und zum anderen gegen Ende der Begutachtung bei der Diskussion der bisherigen Aussagen des Probanden zur Anamnese beruhe und nicht etwa den Sekretariatsmitarbeitern überlassen wurde, deren Aufgabe alleine darin bestand, den Probanden anzuhalten, die Fragebögen rasch auszufüllen. Der gerichtliche Sachverständige R2 hat auch im Gutachten hinsichtlich der Testungen keinen Vorwurf erhoben, sondern lediglich festgestellt, dass im Beck‘schen Depressionsinventar sich der Kläger als schwer depressiv beschreibe - was dem klinischen Eindruck nicht entsprach – und die erhebliche Diskrepanz der Ergebnisse in den Untertests für die Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit und für die Gegenwartsdauer für eine bewusstseinsnahe Testverzerrung spreche. R2 hat auch überzeugend darauf hingewiesen, dass dem Kläger angesichts der nur leichtgradig erhöhten Ängstlichkeit -die von E2keine eigenständige Diagnose erfahren hat- und der Tatsache, dass der Kläger vor 5 Jahren sogar eine Flugreise nach Portugal durchführen konnte, in der Lage ist, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen.

Bei W1 ist der Kläger psychisch sogar unauffällig erschienen; klinisch ist eine Einschränkung der Gehfähigkeit ihr nicht aufgefallen. Die S2 hat als nicht-ärztliche Psychotherapeutin eine valide Leistungsbeurteilung nicht abzugeben vermocht. L1 hat für den Senat schlüssig und nachvollziehbar ausgeführt, dass auch die Erkrankungen auf den anderen Fachgebieten eine rentenrelevante Einschränkung der Leistungsfähigkeit nicht bedingen.

Mit den von R2 im Gutachten vom 21.09.2021 und L1 im Gutachten vom 11.12.2018 festgestellten qualitativen Leistungseinschränkungen liegt eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung nicht vor. Dem Kläger sind beispielsweise leichte Sortier-, Montier- oder Verpackungstätigkeiten leichter Industrie- und Handelsprodukten (vgl. BSG, Urteil vom 24.02.1999, B 5 RJ 30/98 R, juris) vollschichtig möglich, weshalb es der Benennung einer Verweisungstätigkeit nicht bedarf. Die Wegefähigkeit ist nach. R2 im Gutachten vom 21.09.2021 nicht rentenrelevant (BSG, Urteil vom 17.12.1991, 13/5 RJ 73/90, juris) eingeschränkt. Der Kläger kann hiernach auch mit der diagnostizierten diabetischen Polyneuropathie täglich viermal die Wegstrecke von etwas über 500 m zu Fuß und 500 m in 15 Minuten zurücklegen und täglich zweimal öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten benutzen, was auch E2 bestätigt hat.

Weitere Ermittlungen von Amts wegen drängten sich dem Senat nicht auf.. R2 hat weitere Ermittlungen schlüssig und plausibel nicht für erforderlich erachtet; auch E2 hat solche nicht aufgezeigt.


Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Im Rahmen des den Gerichten danach eingeräumten Ermessens sind alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, insbesondere die Sach- und Rechtslage bzw. der Ausgang des Verfahrens (s. Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, Kommentar zum SGG, 14. Auflage, § 193 SGG Rdnr. 12 ff.). Hiernach war für den Senat maßgeblich, dass der Kläger mit der Rechtsverfolgung ohne Erfolg geblieben ist und die Beklagte keinen Anlass zur Klageerhebung gegeben hat. Der Senat hält es im Falle einer Zurückweisung des Rechtsmittels nach dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung für erforderlich, nicht nur über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu entscheiden, sondern auch über die Kosten der vorausgehenden Instanz (so Lüdtke/Berchtold, Kommentar zum SGG, 5. Aufl., § 193 Rdnr. 8; ausführlich erkennender Senat, Urteil vom 19. November 2013, L 13 R 1662/12, juris; a.A. Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, a. a. O., § 193 Rdnr. 2a; Hintz/Lowe, Kommentar zum SGG, § 193 Rdnr. 11; Jansen, Kommentar zum SGG, 4. Auflage, § 193 Rdnr. 4).

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von einer Entscheidung der in § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht.


 

Rechtskraft
Aus
Saved