L 6 VG 1222/22

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6.
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 2 VG 1878/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 VG 1222/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 12. November 2021 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.



Tatbestand

Der Kläger begehrt die Gewährung einer Beschädigtengrundrente nach dem Gesetz über die Entschädigung der Opfer von Gewalttaten (OEG) i. V. m. dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) aufgrund körperlicher Züchtigung und sexuellem Missbrauch durch seine Eltern bis zu seinem sechsten Lebensjahr.

Er wurde 1997 als ältestes Kind der Eltern R1 (jetzt B1) und B2 geboren und wuchs zunächst zusammen mit seinem 1999 geborenen Bruder N1 wie seiner 2002 geborenen Schwester J1 bei den Eltern auf. Die Eltern wurden als „klassische Vernachlässigungsfamilie“ engmaschig 4 Stunden pro Woche von Dezember 1999 bis November 2000 von der Familienhilfe betreut, es fanden in diesem Kontext auch mehrere Hausbesuche statt. Wegen Entwicklungsverzögerung mit gestörter Motorik besuchte er ab August 2000 einen integrativen Kindergarten. 2004 kam er auf sein eigenes Betreiben in ein Kinderheim, sein Bruder wurde ebenfalls fremduntergebracht. Das Sorgerecht für die Schwester wurde den Eltern durch gerichtlichen Beschluss entzogen. Er hat die Förderschule abgeschlossen und nach seinen eigenen Angaben nach den Aufenthalten im Heim und in Pflegefamilien zeitweise auf der Straße gelebt, sowie in G4 und N3 gewohnt. Im Juli 2016 hat er seinen Vornamen von P1 in jetzt L1 geändert. Nach Angaben seiner Mutter und des Bruders hat der Kläger darüber hinaus 2018/2019 versucht, wieder zu der Mutter in deren 2-Zimmer-Wohnung zu ziehen. Bei ihm ist mit Bescheid des Landratsamtes R2 vom 6. April 2017 ein Grad der Behinderung (GdB) von 60 seit dem 25. Januar 2017 anerkannt.

Am 25. Januar 2017 beantragte er bei dem vormals zuständigen N2 Landesamt (nachfolgend einheitlich: Beklagter) die Gewährung von Leistungen nach dem OEG. Zu dem Tathergang wurde auf das für das Amtsgericht L4 im Betreuungsverfahren erstellte Gutachten des Z1 aufgrund ambulanter Untersuchung vom 11. September 2015 verwiesen.

Daraus ergab sich, dass der Kläger berichtet habe, im Vorschulalter stark vernachlässigt worden zu sein. Der Vater habe ihn massiv misshandelt, teils mit völlig unvermittelten, nicht nachvollziehbaren Faustschlägen mitten ins Gesicht. Die Mutter sei aus seiner Sicht tatsächlich hilflos gewesen, habe vor dem gewalttätigen Mann auch zu viel Angst gehabt, um ihn heimlich mit den Kindern zu verlassen. Häufig sei der Vater, im Schlepptau die Mutter, aus der Wohnung gegangen und die Kinder seien allein zurückgeblieben. Mit fünf Jahren sei er stark unterernährt und kurz vor dem Verhungern gewesen. Nach Intervention des Jugendamtes sei eine Trennung der Geschwister erfolgt. Der Kläger sei zunächst in eine Pflegefamilie und dann in ein Kinderheim gekommen. Die Schule habe er mit einem Förderschulabschluss beendet. Aufgrund der Diagnose eines ADHS werde er derzeit mit einem Methylphenidat-Präparat behandelt, außerdem erhalte er zur Eindämmung seiner aggressiven Impulse Risperidon.

Psychisch sei der Kläger wach und bewusstseinsklar, zu allen Qualitäten orientiert gewesen. Die Gedächtnisfunktionen seien nicht eingeschränkt. In der Grundstimmung wirke er deutlich angespannt und gereizt, der Umgang mit Konfliktsituationen und Kritik könne als adäquat bezeichnet werden. Der Kläger könne eigene Standpunkte formulieren, aber auch auf Gegenargumente eingehen. Die psychomotorische Unruhe sei aktuell nur leicht ausgeprägt.

Im Hauptbefund bestehe eine Reifungsstörung der Persönlichkeit. Der Kläger biete hierfür einen plausiblen biographischen Hintergrund mit Vernachlässigung, Gewalt, Liebesentzug in der Herkunftsfamilie, späteren Beziehungsabbrüchen und fehlender Korrektivfunktion einer oder mehrerer Elternfiguren oder Familie. Eine wesentliche Einschränkung der freien Willensbildung oder der Fähigkeit, danach zu handeln, liege nicht vor.

Der Beklagte zog den Entlassungsbericht der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie G1 über den stationären Aufenthalt des Klägers vom 21. August bis 8. September 2016 bei. Die Aufnahme sei bei suizidalen Gedanken ohne Handlungsdruck nach Trennungskonflikt mit der Freundin erfolgt. Zur sozial- und biografischen Anamnese wurde angegeben, dass der Kläger in seiner Herkunftsfamilie misshandelt worden sei. Ab dem sechsten Lebensjahr habe er in wechselnden Pflegefamilien gelebt, bis zum 18. Lebensjahr in einer Jugendhilfeeinrichtung. Seit Februar 2016 sei er obdachlos. Er stamme aus L4 und sei für seine Freundin nach G4 gekommen.

Bei Aufnahme sei der Kläger wach und vollständig orientiert gewesen. Die Aufmerksamkeit sei regelrecht, ebenso die mnestischen Funktionen. Das formale Denken sei weitschweifig, geordnet und ohne inhaltliche Denkstörungen. Es fänden sich keine Wahrnehmungsstörungen, der Affekt sei verflacht. In den Selbstbeurteilungsbögen hätten sich vorrangig Tendenzen im Bereich der emotional instabilen Persönlichkeitsstörung gezeigt.

Beigezogen wurde die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft O1 gegen den Vater des Klägers (B2).

In seiner dortigen Zeugenvernehmung am 6. Dezember 2015 gab der Kläger an, dass er mit seinen Eltern die ersten sechs Lebensjahre zusammengelebt habe. Er glaube, dass die Nachbarn irgendwann das Jugendamt informiert hätten, jedenfalls sei er 2003 aus der Familie herausgenommen worden und in ein Kinderheim gekommen. Danach habe er in verschiedenen Pflegefamilien gelebt und sei seit drei Jahren im B3.

Es sei in seinen ersten sechs Lebensjahren wiederholt zu körperlichen Übergriffen durch seinen Vater gekommen. Er habe ihn immer grundlos verprügelt und ihn mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Er habe seine Weihnachtsgeschenke zerstört, ihn vom Hochbett gezogen und ihn gegen die Heizung geworfen. Er habe seinen Kopf gegen die Wand geschlagen und ihn einmal auch ohne Essen in seinem Zimmer eingesperrt. Er sei zum Teil so schwer verletzt worden, dass er ins Krankenhaus gemusst habe. Er wisse nicht mehr, ob er auch stationär aufgenommen worden sei.

Er wolle seinen Vater anzeigen, weil dieser ihm so viel Schlimmes angetan habe und er Angst habe, dass sein Vater so weiter mache. Sein Vater habe inzwischen eine neue Familie gegründet, er habe Angst, dass er auch diese Kinder schlagen und unterdrücken werde. Er habe noch einen jüngeren Bruder und eine jüngere Schwester, die beide auch schon lange nicht mehr bei den Eltern lebten.

Aus der Ermittlungsakte ergab sich weiter, dass eine Betreuung durch das Jugendamt im Jahr 1999 begonnen habe. Der behandelnde Arzt S1 habe auf Probleme im psychosozialen Bereich aufmerksam gemacht, es seien daraufhin Hausbesuche und Gespräche erfolgt, Hinweise auf körperliche Misshandlungen hätten sich aber nicht ergeben. Am 11. Dezember 2000 habe S1 blaue Flecke bei dem Kläger beschrieben, im Gesicht und hinter dem Ohr. Die Ursache der Verletzungen habe nicht geklärt werden können. Der Kläger habe behauptet, seine Großeltern hätten ihn geschlagen. Die Eltern hätten hingegen gemutmaßt, dass sich der Kläger die Hämatome beim Spielen mit anderen Kindern zugezogen habe. Die Behandlung im Krankenhaus am 11. Dezember 2000 sei erfolgt, weil der Kläger von einer Fensterbank gefallen gewesen sein solle. Die Erklärung sei von allen Personen, auch den Ärzten, als plausibel angesehen worden.

Am 2. Juli 2001 habe eine Untersuchung im Kinderhospital stattgefunden, bei der keine eindeutigen Misshandlungsspuren hätten festgestellt werden können. Verdachtsmomente, dass der Kläger durch seinen Vater geschlagen werde, seien durch das Jugendamt überprüft worden, hätten aber letztlich nicht näher konkretisiert bzw. bestätigt werden können. Aus der Akte gingen keine konkreten Taten, Zeiten oder Augenzeugen hervor. Die Mutter des Klägers sei auf Vorladung nicht zur Vernehmung erschienen.

In seiner richterlichen Vernehmung beim Amtsgericht L3 vom 6. Mai 2016 gab der Kläger an, dass er von seinem Vater nicht nur geschlagen worden sei, sondern sich auch erinnern könne, im Kinderzimmer eingesperrt worden zu sein. Er wisse nicht mehr, ob er von seinem Vater oder seiner Mutter eingesperrt worden sei und ob es wirklich mehrere Tage gewesen seien. Er wisse nur noch, dass er seinem Bruder anschließend heftig in die Hand gebissen habe. Er könne sich daran erinnern, halluziniert zu haben, dass der Schrank mit ihm gesprochen habe. Er meine, er sei damals in der ersten oder zweiten Klasse der Grundschule gewesen.
Er könne sich daran erinnern, dass sein Vater seiner Mutter eine heiße Kanne Kaffee über den Kopf geschüttet habe. Einmal habe er Wäscheklammern in die Mikrowelle gelegt, die dann explodiert seien. Sein Vater sei hinzugekommen und habe ihn geschlagen. Ansonsten habe er keine konkreten Erinnerungen an Vorfälle. Er könne sich noch gut an die Wohnungseinrichtung erinnern, aber nicht an Vorfälle. Er denke, dass dies mit der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) zusammenhänge. Die ganzen Geschehnisse hätten sein Leben zerstört, er habe keine richtige Schulausbildung und nur einen Förderschulabschluss. Seine Tante habe ihm erzählt, dass sich sein Vater einmal auf sein Bein gesetzt habe und dieses gebrochen habe. Seine Mutter sei auch beteiligt gewesen, er sehe sich aber nicht in der Lage, gegen beide auszusagen.

Mit Verfügung vom 18. Mai 2016 stellte die StA das Ermittlungsverfahren gemäß § 170 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) ein, da eine strafbare Handlung nicht mit der für eine Anklageerhebung erforderlichen Sicherheit nachzuweisen sei. Eine Auswertung der beim Jugendamt der Stadt O1 angelegten Vorgänge habe keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte für Körperverletzungshandlungen zum Nachteil des Klägers ergeben. Abgesehen davon sei bereits Verfolgungsverjährung eingetreten.

Die Ermittlungen wurden in der Folge wieder aufgenommen und die Tante des Klägers, B4, am 2. September 2016, nach Belehrung über das Zeugnisverweigerungsrecht, polizeilich vernommen. Diese bekundete, von dem Kläger gefragt worden zu sein, ob sie sich erinnern könne, dass er in seiner Kindheit von seinem Vater geschlagen worden sei. Sie habe ihm gesagt, dass sie dazu wenig sagen könne, da sie so etwas nie selber gesehen habe. Die Mutter des Klägers R3 habe vor zwei Jahren bei ihr gewohnt und ihr berichtet, dass der Vater alle seine Kinder des Öfteren geschlagen haben solle. Er solle sogar einmal versucht haben, ein Kind mit einem Kissen zu ersticken. Sie habe auch von der Ex-Schwägerin K1 gehört, dass diese beobachtet habe, dass auch die R3 ihre Kinder geschlagen habe. Näheres habe sie nicht erfahren. Das müsse circa zehn Jahre her sein, es sei gewesen, als das Jugendamt das dritte Kind aus der Familie geholt habe. Dass der Vater die Kinder geschlagen haben solle, wisse sie nur aus Erzählungen der Mutter.

Der Kläger habe sie gefragt, ob sie „es“ nicht doch sagen könne, was sie natürlich verneint habe, da sie weder bei Gericht noch bei der Polizei eine Falschaussage machen wolle. Als sie vor vielen Jahren einmal den Kläger mit einer Platzwunde habe nach Hause kommen sehen, habe dieser ihr gesagt, dass sein Vater ihn geschlagen habe und er mit dem Kopf gegen einen Türrahmen gefallen sei. Von anderen Übergriffen habe der Kläger ihr nicht berichtet. Davon, dass sie dem Kläger berichtet haben solle, dass sein Vater sich auf sein Bein gesetzt und ihm dieses gebrochen habe, wisse sie nichts. An eine solche Aussage von ihr gegenüber dem Kläger könne sie sich nicht erinnern.

Am 7. November 2016 wurde die Mutter des Klägers beim Amtsgericht O1 richterlich vernommen. Diese gab an, dass der Vater der drei Kinder keine Lust gehabt habe, selbst arbeiten zu gehen und deshalb auf die Kinder aufgepasst habe. Wenn sie nach der Arbeit nach Hause gekommen sei, habe sie – überall – blaue Flecken bei ihren Kindern gesehen. Der Vater habe nicht nur die Kinder, sondern auch sie geschlagen. Der Kläger sei im Alter von fünf Jahren zu Pflegeeltern gekommen. Sie könne sich erinnern, dass eine Ex-Schwägerin ihr an Weihnachten mal berichtet habe, dass der Kläger von seinem Vater einen Tritt in den Rücken bekommen habe, nachdem er „Randale“ gemacht und den Weihnachtsbaum umgekippt habe.

Sie sei wegen der Schläge des Vaters auch selbst zweimal im Krankenhaus gewesen. Danach sei sie mit ihren Kindern ins Frauenhaus gegangen. Auf die Frage, ob sie etwas von einer Beinverletzung wisse, gab die Mutter an, nur zu wissen, dass ein Kind mal zwischen „den Gittern“ – auf weitere Nachfrage: des Kinderbettes – mit den Beinen eingeklemmt gewesen sei. Um welches Kind es sich gehandelt habe, wisse sie nicht mehr.

Auf die Frage, ob sie eine Platzwunde erinnern könne, gab die Mutter an, dass dies bei dem Bruder N1 gewesen sei, der damals mit dem Fahrrad hinter dem Kläger hergefahren und „hingeflogen“ sei. Befragt nach einem Vorfall mit einem Türrahmen gab die Mutter an, dass sie nur wisse, dass der Kläger einmal mit dem Fahrrad zum Spielplatz gefahren sei und dort vor einen Laternenpfahl. Danach seien sie im Krankenhaus gewesen, an eine Platzwunde könne sie sich nicht erinnern. Der Kläger habe Frühförderung erhalten, weil er ein bisschen schwierig und hyperaktiv gewesen sei, sein Bruder ebenfalls.

Auf Vorhalt von ärztlichen Berichten über Hämatome berichtete die Mutter, dass da mal etwas mit Striemen gewesen sei. Von einem Sturz von einer Fensterbank wisse sie gar nichts. Warum der Kläger in einem Kinderhospital gewesen sei, könne sie nicht mehr sagen. Sie erinnere auch nicht, ob es zu körperlichen Übergriffen gekommen sei. Sie wisse nicht, was der Vater mit den Kindern gemacht habe, während sie bei der Arbeit gewesen sei. Es habe Tage gegeben, an denen der Vater geschlagen habe und Tage und Wochen, in denen nichts gewesen sei. Er habe auch mal ihre Tochter schlagen wollen.

Am 6. Oktober 2016 wurde K1, Ex-Schwägerin der Mutter des Klägers, polizeilich vernommen. Diese bekundete, dass sie nur ein einziges Mal etwas mitbekommen habe. Die Eltern seien ausgegangen und sie habe auf die drei Kinder aufgepasst. Der Kläger habe seine jüngere Schwester geärgert und nicht damit aufhören wolle. Auf „Ansprache“ habe er ihr erklärt, dass sie ihm gar nichts zu sagen habe, plötzlich einen Stuhl in den Flur geworfen. Kurze Zeit später seien die Eltern nach Hause gekommen und hätten gefragt, was passiert sei. Sie habe nicht so schnell schauen können, wie der Vater dem Kläger ein paar auf den Hintern gehauen habe. Er sei dann mit dem Kläger ins Kinderzimmer gegangen, so wie dieser geschrien habe, müsse er von dem Vater heftig geschlagen worden sein. Gesehen habe sie es aber nicht. Die Mutter habe nicht eingegriffen, da sie berichtet habe, selbst Angst vor dem Vater zu haben. Sie habe ihr Hämatome an der Hüfte gezeigt, wo sie – die Mutter – mit einer Kaffeetasse vom Vater geschlagen worden sein solle. Von anderen Übergriffen habe sie nichts erzählt, sie habe auch nicht gesehen, dass der Vater die Mutter geschlagen habe.

Sie habe weiter mitbekommen, dass die Mutter die Kinder – oft wegen Kleinigkeiten – angeschrien habe. Dass die Kinder von der Mutter geschlagen worden seien, habe sie nicht gesehen. Ihrer Ansicht nach habe man den Kläger, als er klein gewesen sei, kaum bändigen können. Er sei jähzornig gewesen, habe häufig gebissen und gekratzt.

Nach dem Vorfall seien ihr keine Hämatome oder Verletzungen in Erinnerung. Sie wisse nicht, warum die Kinder aus der Familie geholt worden seien, gefragt habe sie nicht. Die Mutter sei ungeduldig mit den Kindern gewesen, dass sie diese richtig geschlagen habe, habe sie nicht gesehen.

Das Ermittlungsverfahren wurde mit Verfügung vom 21. November 2016 erneut eingestellt, da in jedem Fall Verfolgungsverjährung eingetreten sei.

Mit Bescheid vom 27. Mai 2019 lehnte der Beklagte die Gewährung von Beschädigtenversorgung ab. Im Antrag sei geltend gemacht worden, dass der Kläger in der elterlichen Wohnung sexuell missbraucht und körperlich gezüchtigt worden sei. Aus den Strafakten ergebe sich, dass der Kläger von körperlichen Übergriffen durch seinen Vater berichtet habe. Die von der Mutter geschilderten körperlichen Bestrafungen unterfielen dem körperlichen Züchtigungsrecht und stellten keine unverhältnismäßigen Strafen dar. Die geltend gemachten unverhältnismäßigen Taten, wie das Brechen eines Beines oder tagelanges Einsperren, hätten nicht bestätigt werden können. Das Ermittlungsverfahren sei von der StA eingestellt worden. Eine Rekonstruktion des tatsächlichen Tathergangs sei nicht möglich.

Gegen den Bescheid erhob der Kläger Widerspruch und machte geltend, dass eine Neufassung des § 1631 BGB (Elterliche Sorge) beschlossen worden sei. Er habe sich nicht selbst schützen können. Wie aus der Sachverhaltsaufklärung zu lesen sei, habe die Mutter berichtet, dass der Vater Gewalt gegen ihn angewandt habe.

Der Beklagte zog die Akten des Jugendamtes der Stadt O1 bei. Aus diesen ergab sich folgendes:

Der S1 teilte am 26. Juni 1999 mit, dass im Rahmen der Vorsorgeuntersuchung bei dem Kläger eine deutliche Entwicklungsproblematik im Bereich des Hörens und der Sprache aufgefallen sei. Daneben bestünden erhebliche Erziehungsprobleme mit aggressiven und autoaggressiven Tendenzen. Aus früheren Gesprächen sei ihm bekannt, dass die Eltern getrennt seien und sich gegenseitig der Gewalt gegenüber dem Kind bezichtigten. Die Mutter habe berichtet, dass der Vater noch einen weiteren Sohn habe, der jetzt in einem Heim durch Gewalttätigkeiten auffalle. Die Mutter gebe an, demnächst umzuziehen. Sie habe selbst schon vorgehabt, sich an das Jugendamt zu wenden. Ein dringlicher Handlungsbedarf bestehe.

Eine telefonische Nachfrage bei S1 ergab, dass die Mutter das Thema Gewalt erwähnt habe. Beim Kläger seien diesbezüglich von ihm keine Anzeichen festgestellt worden. Dieser sei in der Gesamtentwicklung ein wenig zurück, weitere Untersuchungen seien veranlasst worden.

Im Bericht über den Hausbesuch vom 17. Juli 1999 wurde dargelegt, dass die Mutter im 9. Monat schwanger sei. Derzeit lebten die Eltern getrennt, es habe viel Streit gegeben, aber keine körperlichen Auseinandersetzungen. Der Kläger sei als sehr anstrengend beschrieben worden, brauche viel Bewegung und klare Grenzen. Wenn er seinen Willen nicht bekommen, werfe er mit Gegenständen oder kneife sich selbst in die Wange. Der Vater gebe an, mit dem Kläger gut zurecht zu kommen. Er könne durchgreifen, ohne Gewalt anzuwenden. Beim weiteren Hausbesuch am 29. Juli 1999 gab die Mutter des Klägers an, dass dieser sehr anstrengend sei. Schläge seien aber kein Thema. Es sei vereinbart worden, die Frühförderung zu informieren. Die Eltern seien froh über Hilfsangebote gewesen. Der Kläger habe ruhiger als beim vorherigen Besuch gewirkt, habe die Nähe des Vaters gesucht.

Bei dem Hausbesuch am 19. November 1999 gab die Mutter des Klägers an, dass der Vater die Wohnung verlassen solle, dieser kümmere sich um nichts und sei nur zum Schlagen da. Der Kläger sei als autoaggressiv beschrieben worden, wenn er seinen Willen nicht bekommen. Der Bruder sei 1999 geboren worden, diesen versuche der Kläger zu „hauen“. Es sei der Eindruck entstanden, dass die Mutter den Haushalt und die Versorgung der Kinder nicht aufrechterhalten könne, die Erziehung laufe nicht mehr. Nach dem Protokoll der Fallkonferenz beim Jugendamt am 24. November 1999 wurde davon ausgegangen, dass es sich um eine „klassische Vernachlässigungsfamilie“ handele.

Mit Bescheid vom 24. Februar 2000 wurden Hilfe zur Erziehung bewilligt und die Kosten einer sozialpädagogischen Familienhilfe übernommen.

Im Hilfeplan vom 27. März 2000 wurde ausgeführt, dass der Kläger noch nicht altersentsprechend entwickelt sei. Das zeige sich in der Sprache, der Motorik und im Spielverhalten. Ab August könne er den Kindergarten besuchen, die Mutter habe sich entschlossen, die Wohnung zu renovieren statt umzuziehen. Dem Kläger falle es schwer, seine Kräfte zu dosieren. Die Kontrolle durch die Eltern sei notwendig. Die unterschiedlichen Erziehungsmethoden gäben immer wieder Anlass zu Streitigkeiten zwischen den Eltern.

Im weiteren Hilfeplan vom 25. Juli 2000 wurde dargelegt, dass der Kläger weiter stark entwicklungsverzögert sei. Ab August könne er als Integrationskind den Kindergarten besuchen. Er brauche weiter sehr viel Aufmerksamkeit, dies gelte sowohl in der Gruppe als auch im Elternhaus. Der Kläger sei zwar ruhiger und entspannter geworden, es bestünden aber weiter Wahrnehmungsstörungen. Er zeige keine Angst und ziehe sich durch sein ungestürmes Verhalten viele Verletzungen zu. Der Kinderarzt S1 sehe Therapiebedarf, wolle aber vor dem Eintritt in den Kindergarten keine Ergotherapie verschreiben. Die Mutter und der Vater lebten getrennt. Damit die Kinder dieses nachvollziehen könnten, seien regelmäßige Besuche des Vaters sehr wichtig.

Der Abschlussbericht vom 11. November 2000 führte aus, dass der Kläger eine schlechte Eigenwahrnehmung gehabt habe, sich selbst nicht richtig habe einschätzen können. Er habe im Spiel Dinge ausprobiert, die er nicht beherrscht habe. Dabei habe er sich häufig Verletzungen zugezogen. Er habe sich nur begrenzt auf mitgebrachtes Spielmaterial einlassen können, habe sich schnell ablenken lassen und alles gleichzeitig machen wollen. Bei Misserfolgserlebnissen oder wenn ihm etwas verweigert worden sei, habe er autoaggressiv reagiert.

Im Hilfeverlauf sei es immer wieder zu Trennungsüberlegungen und Trennungsversuchen in der Partnerschaft der Eltern gekommen. Genauere Hintergründe hätten nicht offen angesprochen werden können. Im Mai sei ein neuerlicher Entschluss gefallen, sich zu trennen. Der Vater habe sich kaum noch in der Wohnung aufgehalten und sich eine eigene Wohnung suchen wollen. Er habe der Mutter den Wohnungsschlüssel ausgehändigt. Der Vater habe im August eine neue Wohnung bezogen, regelmäßiger Kontakt zu den Kindern sei aufrechterhalten worden. Ende Oktober habe die Mutter eine neue Wohnung für sich wie ihre Kinder gefunden und angegeben, die Hilfe beenden zu wollen.

Am 11. Dezember 2000 teilte S1 telefonisch mit, dass der Kläger blaue Flecken im Gesicht und hinter dem Ohr habe, die Folge einer Misshandlung sein könnten. 1998 habe es eine zweifelhafte Verletzung gegeben, wegen der der Kläger mit einem Beinbruch im Krankenhaus gelegen habe. Dies sei bislang nicht schriftlich weitergegeben worden, da es sich nur im Vermutungen handele.

Die Kindergärtnerin teilte mit, dass der Kläger blaue Flecken im Gesicht und hinter dem Ohr habe. Er sei heute noch aktiver als sonst und habe der Ergotherapeutin erzählt, dass Oma und Opa ihn geschlagen hätten.
J2 habe sich bei der Untersuchung auf keine klare Diagnose bzw. auf die Ursache für die Verletzungen festlegen wollen. Es zeige sich eine Rötung unter dem linken Auge sowie hinter dem linken Ohr. Die Verletzungen könne sich der Kläger wohl nicht selbst zugezogen haben, ob diese von Erwachsenen stammten, könne er nicht sagen. Die Mutter habe keine Erklärungen für die Verletzungen gehabt, der Vater habe angegeben, den Kläger nie geschlagen zu haben. Oma und Opa habe der Kläger seit einer Woche nicht gesehen.

Am 25. Juni 2001 teilte der Kindergarten dem Jugendamt mit, dass bei dem Kläger Misshandlungsspuren festgestellt worden seien. Auf die erneute Meldung von Schürfwunden vom 5. Juli 2001 wurde der Kläger ins Kinderhospital gebracht. Der Bruder N1 wurde bei Bekannten untergebracht. Dieser habe einen verängstigten Eindruck gemacht.

Eine Nachfrage beim Kinderhospital habe ergeben, dass der Kläger keine eindeutigen Misshandlungsspuren aufweise. Auch das Röntgen und die Augeninnendruckmessung habe keine Ergebnisse in diese Richtung ergeben. Auffällig sei das „tapsige“ Verhalten des Klägers.

S1 teilte am 29. Juni 2001 mit, dass die Mutter mit den Kindern nicht mehr zur Vorsorge erschienen sei.

Nach dem Protokoll über die Fallkonferenz vom 4. Juli 2001 sollte die Familie damit konfrontiert werden, dass man denke, dass die Kinder misshandelt würden. Es solle eine Familienhilfe mit dem Ziel eingesetzt werden, dass die Eltern lernten, Erziehungsverantwortung zu übernehmen. Eine weitere Aufgabe werde die Kontrolle sein. Die Eltern bestritten, Misshandlungen vorgenommen zu haben. Der Kläger sei im Kinderhospital vorgestellt worden. Die Untersuchungen hätten zu einem negativen Ergebnis geführt. Trotzdem könne man davon ausgehen, dass der Vater eine Rolle spiele.

Mit Bescheid vom 18. Oktober 2001 wurden die Kosten einer sozialpädagogischen Familienhilfe übernommen. Im Zwischenbericht vom 5. Februar 2002 wurde dargelegt, dass der Kläger eine integrative Gruppe der Kindertagesstätte besuche. In der Gruppe halte er sich nicht an Regeln und akzeptiere keine Grenzen. Stoße er an Grenzen, äußere sich dies in drei Phasen. 1. Phase: er werde wütend und schreie, 2. Phase: er schlage sich ins Gesicht und reiße sich die Haare aus, schlage mit dem Kopf auf den Tisch, die Stuhllehne, den Boden oder an die Wände und beiße sich in den Handrücken, so stark, dass ein deutlich sichtbarer Abdruck entstehe. In diesen Phasen sei er nicht ansprechbar, 3. Phase: halte man ihm die Hände fest, fange er bitterlich an zu weinen und suche die körperliche Nähe der Erwachsenen. Nehme man ihn in den Arm, spüre man, wie er sich langsam „fallen“ lasse und sich beruhige. Gegenüber Erwachsenen zeige sich der Kläger distanzlos und spreche jeden an. Im Spiel mit anderen Kindern komme es oft zu Konflikten.
Aus dem Vermerk vom 1. August 2003 ergab sich, dass Nachbarn über Kindergeschrei und Beschimpfungen aus der Wohnung der Familie des Klägers berichtet hätten. Man höre jeden Tag das Geschreie der Mutter, auch sei bemerkt worden, dass die Mutter ihre Kinder schlage. Diese Situation sei noch schlimmer, wenn der Vater im Hause sei. Die Mutter zeige sich nach Äußerungen der Nachbarn sehr überfordert, komme nicht klar. Mit N1 sei es besonders schlimm. Dieser habe einmal eine Verletzung gezeigt, zudem blaue Flecken. Er habe Angst, wenn sein Vater mit ihm rede. Gegenüber den Nachbarn habe die Mutter geäußert, dass ihre Kinder „Scheiße“ seien.

Mit den Vorwürfen konfrontiert habe die Mutter angegeben, dass der Vater kein Interesse mehr an den Kindern zeige und wohl eine neue Beziehung unterhalte. Mit N1 sei es sehr schwierig. Er höre nicht und sei immer in Streit mit seinem Bruder verwickelt. Sie würde daraufhin natürlich herummotzen und versuchen, die Situation zu schlichten. Einen Klaps auf den Po und Schläge auf die Finger seien dabei vorgekommen. Besonders schlimm sei die Situation, wenn der Vater mit den Kindern schimpfe.

Zur Akte gelangten Befundberichte des Kinderhospitals O1 betreffend den Bruder des Klägers.

Am 18. Mai 2004 wurde beim Amtsgericht O1 der Entzug des Sorgerechtes beantragt. In der nichtöffentlichen Sitzung vom 27. Mai 2004 (vgl. Protokoll) gab die Mutter an, dass sie die Kinder nie geschlagen habe, nur auf den Hintern, wenn sie böse gewesen seien. Den Kläger habe sie in diesem Jahr nie geschlagen, den Bruder N1 auch nicht. Dass sie selbst von ihrem Mann geschlagen worden sei, sei eineinhalb Jahre her. Im Januar sei dieser wieder zu ihr gezogen.

Der Vater erklärte, dass er sich in Therapie befinde. Grund sei gewesen, dass er seine Frau, die Mutter des Klägers, geschlagen und die Kinder zu grob angefasst habe.

Nach dem Bericht vom 21. Juni 2004 verließ der Kläger eigenständig den Kinderhort und konnte von der Polizei an einem See aufgefunden werden. Er habe sich gewehrt und wie am Spieß geschrien. Es sei deutlich geworden, dass er auf keinen Fall zurück zu den Eltern wolle. Er habe sich vorstellen können, ins Kinderheim zu gehen. Dies sei mit Einverständnis der Mutter umgesetzt worden. Mit Beschluss vom 22. Juni 2004 wurde im Wege der einstweiligen Anordnung die elterliche Sorge für den Kläger auf das Jugendamt übertragen.

In der nichtöffentlichen Sitzung vom 1. Juli 2004 gab der Kläger an, dass er derzeit im Kinderheim sei. Befragt, weshalb er dort sei, gab der Kläger an, dass er zu Hause nur kaputte Spielsachen gehabt habe. Er wolle nur vorübergehend in dem Kinderheim bleiben. Seine Eltern hätten ihn mal ganz laut angeschrien. Auf die Frage, ob er auch geschlagen worden sei, habe der Kläger angegeben, dass er nicht auf den Kopf geschlagen worden sei, manchmal mit der Hand auf den Popo. Auf die Frage, ob er wieder nach Hause wolle, gab der Kläger an, dass er erst nochmal im Kinderheim bleibe. Er finde es ganz schön dort. Da gebe es jetzt ein Trampolin. Seine Eltern vermisse er nicht.

Das Amtsgericht veranlasste das familienpsychologische Gutachten des T1 aufgrund persönlicher Gespräche im Juli 2004. Hinsichtlich des Kläger führte der Sachverständige aus, dass dieser bei seinem Besuch völlig gleichgültig Kontakt zu ihm aufgenommen und sich bei der Verabschiedung genauso verhalten habe. Während der Untersuchungszeit sei es nicht zu einer engeren Beziehungsaufnahme gekommen, der Kläger sei auf alles eingegangen, was man ihm gesagt habe. Er habe von seiner Schule erzählt, dass die Lehrerin nett sei, dass er nach den Ferien in die zweite Klasse komme und dass er lieber schreibe als rechne. Während eines Spiels habe sich gezeigt, dass große Schwierigkeiten bestünden, im Zahlenraum bis 10 zu rechnen. Es seien ständig die Finger benutzt worden. Der Kläger sei deutlich entwicklungsverzögert, seine kognitiven Fähigkeiten seien nicht auf einem altersgemäßen Stand. Es verwundere nicht, dass er die Schule für Lernhilfe besuche. Seine sprachlichen Mittel seien eingeschränkt, sein Wortschatz gering und er habe Artikulationsschwierigkeiten. Er habe angegeben, auch im Heim zu sein, weil er zu Hause nur kaputte Spielsachen habe. Auf Befragen habe er geschildert, dass er zu Hause oft vom Papa den Popo voll bekommen habe, von Mama auch. Papa sei aber stärker, der haue stärker. Er habe von sich aus hinzugefügt, dass der Vater der Mutter mal heißen Kaffee über den Kopf geschüttet habe. All das habe er Kläger ziemlich emotionslos berichtet.

Die Eltern hätten angegeben, dass der Kläger keine besonderen Krankheiten gehabt habe. Er habe lediglich mit sechs Monaten einen Bruch am Schienbein erlitten. Wie das genau passiert sei, wüssten sie nicht. Er müsse sich wohl mit seinen Beinen in den Gittern des Kinderbettes verdreht haben.

Die Mutter habe, alleine befragt, angegeben, die Kinder nie misshandelt zu haben. Sie habe aber nicht bestritten, dass P1 und auch N1 Schläge auf den Po bekommen hätten. Der Vater habe bei den Kindern wahrscheinlich auch mal feste zugegriffen, wodurch blaue Flecken entstanden seien. Der Kläger sei sehr schwierig gewesen, habe oft Tische und Stühle durch die Gegend geworfen und selbst nicht gewusst, warum er das mache. Sie hätten ihn wegen des Fehlverhaltens öfter in sein Zimmer geschickt, eingeschlossen hätten sie ihn nicht. Er habe seine Spielsachen oft willkürlich kaputt gemacht, das sei wahrscheinlich der Grund, weshalb er jetzt im Heim sei, weil er zu Hause nur kaputte Spielsachen habe. Ihr Mann habe die Kinder wohl damals im Jahr 2001 geschlagen. Sie selbst habe keine Schläge ins Gesicht bekommen, sondern auf die Arme. Zum Arzt sei sie nicht gegangen. Der Kläger habe damals auch manches abbekommen, aber nur auf den Hintern und die Hände.
Der Vater habe, alleine befragt, eingeräumt, zu den beiden Brüdern in der Vergangenheit oft zu heftig gewesen zu sein, wenn sie überhaupt nicht hätten hören wollen. Der Kläger habe mehrfach die Lattenroste in den Betten durchgesprungen und sich an die Schranktüren gehängt, bis diese durchgebrochen seien. Dann habe er ihnen gelegentlich den Hintern verhauen, er habe auch sonst einen festen Griff, man müsse aber bedenken, dass die Kinder für blauen Flecken anfällig seien. Das alles habe sich vor Oktober 2002 abgespielt. Die Mutter habe mit Sicherheit die Kinder nicht oft gehauen, sie habe lediglich mit ihnen herumgeschrien. Von der Mutter hätten die Kinder höchstens mal einen auf den Hintern bekommen. Der Vater habe die Diagnose des Sachverständigen akzeptiert, dass man die beiden Kinder als verhaltensgestört bezeichnen müsse. Der Vater habe weiter bestätigt, dass sich der Kläger öfter die Haare ausgerissen und auch andere Leute gebissen habe, wenn er seinen Willen nicht bekommen habe. Nicht zuletzt deshalb seien sie zu einem Therapeuten und dann schließlich ins Kinderhospital gegangen.

Die beiden Brüder wiesen erhebliche Entwicklungs- und Verhaltensstörungen auf. Es handele sich dabei um generalisierte Störungsbilder. Das Sozialverhalten sei durch Distanzlosigkeit und mangelnde Beziehungsfähigkeit gekennzeichnet. Genauso gravierend sei die beschriebene Rastlosigkeit und Hektik des Klägers. In früheren Jahren solle sich der Kläger selbst geschlagen und Haare ausgerissen haben. Dies machten üblicherweise Kinder, die zu wenig beschäftigt und unausgefüllt seien. Damit einhergehe, dass der Kläger sich nirgendwo ausdauernd beschäftigen könne. Die Brüder verhielten sich wie emotional verkümmerte und fast schon hospitalisierte Kinder, die zu wenig Zuwendung und zu geringe Förderung erhalten hätten. Das Bild, dass die Kinder abgäben, hänge sicherlich auch mit den mehr oder weniger schweren körperlichen Strafen oder Misshandlungen zusammen, denen sie ausgesetzt gewesen seien. Das Erziehungsversagen der Eltern sei im Zusammenhang mit deren persönlichen Verhältnissen zu sehen.

Die Kinder hätten wenig Kontinuität im Erziehungsalltag erlebt, mal habe der Vater eingegriffen, mal die Mutter erzogen, wahrscheinlich oft mit viel Hin und Her. Daneben sei es zwischen den Eltern zu gewalttätigen Auseinandersetzungen gekommen. Die Kinder bzw. die Familie habe aber viel räumliche Diskontinuität erlebt. Das familiäre Klima sei daneben seit Jahren durch Arbeitslosigkeit und hohe Schulden belastet worden. Es fehle zudem an engen und damit stützenden Beziehungen zu Verwandten und Bekannten. Die Mutter sei mit den Anforderungen, die die Erziehung der Kinder an sie stelle, überfordert. Der Vater, der sicherlich der kompetentere Elternteil sei, habe sich viel zu wenig und nicht stetig genug an der Gestaltung der familiären Verhältnisse beteiligt, er habe sein Potential nicht eingesetzt. Vor allem habe er das Familienleben durch sein aggressives Verhalten belastet. Gute Absichten, sich den Kindern jetzt intensiver widmen zu wollen, würden den Eltern nicht abgesprochen. Es sei aber nicht erkennbar, dass sie die guten Vorsätze in die Tat umsetzten. Die Fremdunterbringung der Brüder sei notwendig. Die nächste Frage sei, wie man die Schwester vor ähnlichen Fehlentwicklungen schützen könne. Es widerspreche dem Kindeswohl, eine solche mit hoher Wahrscheinlichkeit eintretende Fehlentwicklung wie bei den Brüdern abzuwarten. Die Fremdunterbringung aller drei Kinder sei daher nicht zu vermeiden.

In der nichtöffentlichen Sitzung vom 16. September 2004 erklärten sich die Eltern mit der Fremdunterbringung des Klägers und seines Bruders einverstanden, sodass nur hinsichtlich der Schwester des Klägers mit Beschluss vom 28. September 2004 das Sorgerecht auf das Jugendamt übertragen werden musste. Die Beschwerde der Kindsmutter wurde mit Beschluss des Oberlandesgerichtes O2 vom 25. November 2004 zurückgewiesen. Dieses ging – wie zuvor das AG – im Wesentlichen davon aus, dass die Eltern der Kinder erziehungsungeeignet sind und deshalb eine Kindeswohlgefährdung anzunehmen ist, wobei ausdrücklich festgehalten wurde, dass es insoweit auf ein Verschulden nicht ankommt (vgl. Blatt 5 der Entscheidung, Blatt 357 VerwAkte).

Auf den Antrag auf Einräumung eines Umgangsrechtes holte das Amtsgericht O1 ein weiteres Sachverständigengutachten bei T1 ein. Dieser führte aus, dass die Heimerzieherin des Klägers mitteile, dass ihn die Mutter seit neuestem alle 14 Tage besuche. Anfangs sei sie alleine zu den Umgangsterminen gekommen und habe sich auffallend wenig mit dem Kläger befasst. Letzterer sei aber an dem Kontakt mit seiner Schwester interessiert gewesen, die die Mutter mitgebracht habe. In den letzten Wochen komme der Vater mit zu den Terminen. Dieser beschäftige sich mit dem Kläger und sie spielten zusammen Fußball. Der Vater habe sich dem Kläger gegenüber anders verhalten. Der Kläger habe dies auch gemerkt und gefragt, warum sich sein Vater so anders verhalte. Früher habe er oft Schläge von ihm bekommen. Der Vater sei für den Kläger eindeutig die attraktivere Elternperson, dieser bringe auch die größeren Geschenke mit, während die Mutter nur mit einem Kaugummi für den Kläger erscheine.

Der Kläger habe sich von Anfang an ungehemmt bis distanzlos verhalten, er zeige keine Scheu oder Zurückhaltung. Er halte keine Beschäftigung lange aus. Er sei auf alle Fragen eingegangen, habe nur kurz und knapp geantwortet, eine Unterhaltung im eigentlichen Sinne mit Frage und Antwort sei nicht zustande gekommen. Eigentlich wolle er, dass die Mutter jede Woche komme. Die Eltern sollten auch immer etwas mitbringen. Von sich aus habe der Kläger davon gesprochen, dass er in eine Pflegefamilie wolle.

Grundsätzlich stehe dem weiteren Umgang der Mutter mit den Kindern nichts entgegen, dieser müsse aber weiterhin begleitet werden. Dies gelte auch deshalb, damit den Kindern von der Mutter nicht die unrealistische Vorstellung vermittelt werde, dass sie bald wieder nach Hause könnten. Primär komme es jetzt darauf an, dass die Kinder enge wie unbelastete Beziehungen und Bindungen zu ihren neuen Bezugspersonen entwickelten. Deshalb dürften die Kontakte zwischen den Kindern und der leiblichen Mutter nicht zu häufig stattfinden, weil diese den Prozess der Verankerung der Kinder in ihrer neuen Beziehungswelt behinderten. Gegen eine Teilnahme des Vaters an den Besuchsterminen mit allen drei Kindern sei nichts einzuwenden, die Mutter befürworte dies auch.

Auf Anfrage des Beklagten erklärte H1 (Gesprächsnotiz vom 20. November 2019), dass der Kläger vom 10. Januar 2012 bis 5. Oktober 2015 in ihrer Behandlung gewesen sei. Sie habe sich nochmals alle Sitzungsprotokolle durchgesehen, konkrete Angaben zu sexuellen oder körperlichen Übergriffen gingen daraus nicht hervor.

Die Zeugin S3, Nachbarin des Klägers, teilte mit (Gesprächsnotiz vom 20. November 2019), dass sie im Jahr 2000 in das Haus gezogen sei, in dem die Familie des Klägers gewohnt habe. Die Kinder der Familie hätten viel geschrien, auch tagsüber, wenn keiner zuhause gewesen sei. Als sie die Kindsmutter darauf angesprochen habe, sei ihr berichtet worden, dass sie ihre Kinder manchmal in das Zimmer einsperre. Wenn die Kindsmutter nach Hause gekommen sei, hätten die Kinder auch immer noch geschrien.

Es habe einen Vorfall gegeben, bei dem sie bei der Familie zu Besuch gewesen sei. Sie hätten alle Alkohol getrunken. Der Kläger sei aus seinem Zimmer gekommen, vom Vater erst geschubst und dann mit ins Zimmer genommen worden. Sie habe gehört, wie er geschlagen worden sei. Der Vorfall habe sich an einem nicht näher bestimmbaren Tag im Jahr 2001/02 ereignet. Dies sei der einzige Vorfall, bei dem sie selbst mitbekommen habe, dass körperliche Gewalt ausgeübt worden sei. Sie könne noch berichten, dass die Kindsmutter die Kinder immer hinter sich hergezogen habe. Die Kinder hätten oftmals ein „dickes Gesicht“ gehabt und seien sehr lieblos behandelt worden.

Der Bruder des Klägers, N1, gab schriftlich an, dass er keine Informationen geben könne, was seinen Bruder betreffe, aber selbst einen Antrag auf Versorgung stellen wolle.

Die Nachbarin G2 teilte schriftlich mit, dass die Mutter des Klägers öfters ein blaues Auge gehabt habe. Der Kläger sei vor ihren Augen geschubst worden, dies sei Anfang 2003 gewesen. Sie habe oft Geschreie gehört, die Kinder hätten viel geweint. Sie habe gesehen, wie der Vater die Schwester des Klägers im Babyalter auf dem Arm gehalten und kräftig geschüttelt habe. Es sei immer das Gebrüll vom Vater zu hören gewesen, sie habe die Polizei rufen wollen, was die Mutter nicht gewollt habe.

Auf nochmalige Nachfrage des Beklagten machte der Kläger weitere Angaben zu den Vorfällen.

M1 führte versorgungsärztlich aus, dass Schläge auf den Po, Schubsen und Ohrfeigen beschrieben worden seien. Aus den medizinischen Unterlagen seien keine Gesundheitsstörungen herleitbar, die ursächlich auf die genannten Einzeltaten zurückzuführen seien und weiterhin vorlägen.

Den Widerspruch wies das Regierungspräsidium S4 – Landesversorgungsamt – mit Widerspruchsbescheid vom 13. Juli 2020 zurück. Aus den beigezogenen Unterlagen ergäbe sich zwar, dass es Verdachtsmomente für eine Kindesmisshandlung gegeben habe, welche sich nach der Untersuchung im Kinderhospital vom 2. Juli 2001 aber nicht bestätigt habe. Konkrete Taten, Zeiten oder Augenzeugen seien in der Akte nicht erfasst. Hinweise für einen sexuellen Missbrauch durch die Eltern hätten sich ebenfalls nicht gefunden. H1 habe angegeben, dass sie den Kläger von 2012 bis 2015 behandelt habe. Berichte zu körperlichen oder sexuellen Übergriffen fänden sich keine. Der jüngere Bruder habe keine Angaben machen können. Die Zeuginnen K1, G2 und S5 hätten drei konkrete Einzeltaten beobachten können.

An einem nicht näher bestimmbaren Tag nach Oktober 2002 sei der Kläger im Beisein der Zeugin K1 von seinem Vater einmalig auf den Hintern und danach in seinem Zimmer mehrfach geschlagen worden. Anfang 2003 sei der Kläger im Beisein der Zeugin G2 von seinem Vater derbe gestoßen worden. Bei einem Vorfall an einem nicht näher bestimmbaren Tag im Jahr 2001 oder 2002 sei der Kläger im Beisein der Zeugin S5 in sein Zimmer geschubst und dort geschlagen worden. Es sei außerdem davon auszugehen, dass der Kläger im Alter von fünf bis sechs Jahren einmalig von seiner Mutter an einer Bushaltestelle eine Backpfeife wegen einer Verspätung erhalten habe.

Nur diese Vorfälle könnten nach nachgewiesen betrachtet werden, nach der versorgungsärztlichen Stellungnahme ergebe sich jedoch kein Zusammenhang zu den vorliegenden Gesundheitsstörungen. Die weiteren geschilderten Vorfälle, wie die erlittene Platzwunde am Kopf, den Beinbruch, den Tritt in den Rücken sowie der sexuelle Missbrauch durch die Mutter seien weder durch Zeugen nachgewiesen, noch sonst glaubhaft, da hierzu nur wenige Details vorgetragen worden seien. Eine Tat müsse nach Ort, Zeit und Ablauf aber so konkret beschrieben werden, dass sie nach den verschiedenen rechtlichen Anforderungen des OEG überprüft werden könne. Für das vorgetragene Einsperren im Kinderzimmer im Alter von sechs bis sieben Jahren gebe es ebenfalls keine Zeugen. Außerdem fehle es an Anhaltspunkten für eine böswillige Vernachlässigung im Sinne des § 225 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB). Vielmehr sei aufgrund der Akte des Jugendamtes davon auszugehen, dass eine Erziehungsunfähigkeit der Eltern mit Überforderung vorgelegen habe, welche nicht von § 1 OEG erfasst werde.

Auf den Einstellungsbeschluss der StA vom 18. Mai 2015, in dem ebenfalls festgestellt worden sei, dass der Kläger nicht in der Lage sei, sachlich und zeitlich Vorfälle zu konkretisieren, werde ergänzend verwiesen. Im erneuten Einstellungsbeschluss vom 21. November 2016 sei ausgeführt, dass die Zeugin B4 keinen von dem Vater des Klägers verursachten Beinbruch beobachtet habe. Das geschilderte versuchte Überfahren mit dem Auto durch den Vater im Alter von vier bis fünf Jahren sei nach § 1 Abs. 8 OEG keine Gewalttat im Sinne des OEG.

Am 27. Juli 2020 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben. Den Ausführungen des Beklagten im Widerspruchsbescheid könne nicht gefolgt werden, aus den Akten des Jugendamtes gehe anderes hervor. Er habe die Klageerhebung zum Anlass genommen, die vergangenen Erlebnisse schriftlich festzuhalten und eine „eidesstattliche Aussage“ vorgelegt.

Mit Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung vom 12. November 2021 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger könne die Gewährung einer Beschädigtengrundrente nicht beanspruchen. Soweit er auf die Angaben des S1 verweise, habe dieser auf Nachfrage des Jugendamtes eingeräumt, keinerlei Anzeichen für eine Gewaltausübung festgestellt zu haben. Bis zum 1. Dezember 2000 habe ein elterliches Züchtigungsrecht bestanden und auch nach neuen Recht führe nicht jede Vernachlässigung von Kindern und jede missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge, die das körperlich, geistige und seelische Wohl des Kindes gefährde, als Gewalttat angesehen werden.

Elterliche Misshandlungen müssten so ausreichend konkretisiert werden, dass über ihre Rechtswidrigkeit nach damaligem Recht entschieden werden könne. Selbst unter zusätzlicher Berücksichtigung von Misshandlungsspuren in Form von Kratzspuren und kleineren Hämatomen mit einem Fingerabdruck sowie Schürfwunden am Schulterblatt, welche die Erzieherin der Katholischen Kindertagesstätte L5 im Juni 2001 und im Folgemonat, also nach [der Gesetzesänderung im] November 2000, bestätige und die der Kläger seinem Vater zuordnete, seien keine Gesundheitsstörungen herleitbar, die hierauf zurückzuführen seien und am 1. April 2017 noch Folgewirkungen zeigten, wie versorgungsärztlich schlüssig dargelegt sei.

Daneben müssten die angeschuldigten Taten nach ihrem Sachverhalt, ihrem Ort und der Tatzeit ausreichend konkretisiert werden. Eine Tat, die nach Ort, Zeit oder Ablauf nicht derart konkret beschrieben werden könne, dass sie nach den verschiedenen rechtlichen Anforderungen des Opferentschädigungsrechts überprüft werden könne, könne nicht Grundlage einer Verurteilung der Versorgungsverwaltung sein.

Am 22. April 2022 hat der Kläger Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Er sei Opfer permanenter Misshandlungen durch seine Eltern gewesen. Er habe sich mehrfach in ambulanter und stationärer Behandlung befunden. Sein Bruder habe ebenfalls einen Antrag nach dem OEG gestellt, dieser sei Zeuge der zahlreichen Misshandlungen geworden. Er habe auch den sexuellen Missbrauch durch seine Mutter im fünften Lebensjahr beschrieben. Die Misshandlung mit einem Gummiband um sein Glied könne durch die ärztliche Verlaufsinformation exakt datiert werden. Diese habe sich am 18./19. April 2004 ereignet. Auch die durch die väterliche Gewalt verursachten Hämatome könnten genau datiert werden. Es sei den Umständen geschuldet, dass er sich an die täglichen Misshandlungen in seiner frühestens Jugend nicht mit Datum erinnern könne. Die Gewalt des Vaters habe sich regelmäßig wiederholt und stelle kein singuläres Ereignis dar.

Ergänzend hat er weitere Unterlagen vorgelegt:

Im Bericht des Kinderhospitals O1 über die stationäre Behandlung vom 1. bis 5. Dezember 1997 ist dargelegt, dass die Aufnahme wegen einer Schonhaltung und Schmerzen im rechten Bein erfolgt sei, die seit fünf Tagen bestünden. Ein Trauma sei den Eltern nicht erinnerlich, vermutlich sei es von einem Strampeln gegen das Bettgitter gekommen. Der Kläger habe sich in gutem Allgemeinzustand befunden, das Röntgen habe eine distale Tibia-Fraktur rechts gezeigt. Die Entlassung sei ohne weitere Therapie erfolgt. In der Entwicklung sei besonders auf ataktische Bewegungsstörungen zu achten. Für den anfänglichen Verdacht auf ein Battered-Child-Syndrom bei Tibiafraktur bei unklarem Trauma habe kein weiterer Anhalt gefunden werden können.

Im Bericht des Kinderhospitals O1 über die stationäre Behandlung vom 29. Juni 2001 bis 4. Juli 2001 ist ausgeführt, dass der Kläger 1997 wegen einer Tibiafraktur rechts behandelt worden sei. Zu der Zeit hätten keine übrigen Auffälligkeiten bestanden, die Röntgenbilder hätten keine Hinweise auf weitere Frakturen oder Verletzungen ergeben.

Die Eltern gäben an, dass der Kläger sehr schnell blaue Flecken bekomme, er grobmotorisch ungeschickt sei und sich häufig stoße oder falle. Wenn die Mutter arbeiten gehe, würden die Kinder vom Vater betreut, wenn beide arbeiteten, dann auch von einer Nachbarin. Diese sei sehr temperamentvoll und würde die Kinder zum Teil auch schlagen. Der Kläger besuche einen integrativen Kindergarten mit heilpädagogischer Betreuung wegen einer sowohl motorischen als auch sprachlichen Entwicklungsverzögerung.

Der vierjährige Kläger sei in gutem Allgemein- und Ernährungszustand gewesen. Es zeigten sich viele kleine Hämatome unterschiedlicher Farbe vor allem an den Streckseiten der Unterschenkel, verschiedenfarbige sehr kleine Hämatome am Rücken, oberflächliche Schürfwunden etwas größer als ein 5-Mark-Stück, zudem Schürfspuren direkt neben der Wirbelsäule. Hämatome bestünden zudem am distalen Humerus, Blutkruste (Biss vom kleinen Bruder) am proximalen Unterarm, ein großes Hämatom an der Stirn (im Kindergarten gestürzt), zudem daneben ein etwas älteres Hämatom.

Der Kläger sei freundlich zugewandt gewesen, sehr zutraulich und führe alle gegebenen Anweisungen aus. Die Bauchdecke sei weich, ohne Hämatome. Auch im Übrigen körperlichen Untersuchungsbefund bestünden keine Hämatome oder Verletzungszeichen.

Die Aufnahme sei zur Abklärung wiederholt aufgefallener Hämatome erfolgt. Eine Blutungsneigung sei ausgeschlossen worden. Bis auf die Hämatome fänden sich keine weiteren Verletzungszeichen im körperlichen Untersuchungsbefund oder in den Röntgenuntersuchungen. Auffällig gewesen sei eine leichte motorische und eine deutliche sprachliche Entwicklungsverzögerung.

Weiter ist der Befundbericht des Zentrums für seelische Gesundheit (D1) über die ambulante Behandlung vom 8. bis 10. Juni 2020 zu den Akten gelangt. Darin sind als Diagnosen ein Schlafmangelsyndrom, der Ausschluss einer idiopathischen Hypersomnie, ein pavor nocturnus sowie als Vordiagnose eine einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung und eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ angegeben.

Es sei eine Polysommographie durchgeführt worden, die eine ausreichend hohe Schlafeffizienz gezeigt habe. Es sei jedoch zu kurzen Wachperioden gekommen, wodurch der Schlaf fragmentiert erscheine. Diagnostisch sei von Schlafmangel bei einem individuell bestehenden hohen Schlafbedürfnis auszugehen.

In der Zwischenepikrise vom 8. September 2021 ist ausgeführt, dass bislang 61 Einzelsitzungen, 27 Sitzungen der ambulanten Skillsgruppe und 3 Sitzungen Compassionsgruppe stattgefunden hätten. Zu Beginn seien die Diagnosen emotional-instabile Persönlichkeitsstörung: Borderline-Typ, mittelgradige depressive Episode, einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung und Tabakabhängigkeit gestellt worden. Nunmehr werde von einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung, einer PTBS und einer Tabakabhängigkeit ausgegangen.

Der Kläger gebe an, vermehrt unter belastenden, realitätsnahen Kindheitserinnerungen an Vernachlässigung und Misshandlung durch die Eltern zu leiden und eine traumatherapeutische Bearbeitung zu wünschen.

Bei Behandlungsende sei der Kläger allseits orientiert, bewusstseinsklar und im Kontakt offen gewesen. Die Konzentrations- und Merkfähigkeit sei unter Belastung vermindert, der formale Gedankengang leicht sprunghaft. Die Grundstimmung sei wechselhaft, die affektive Schwingungsfähigkeit erhalten und der Antrieb phasenweise reduziert. Anamnestisch bestünden Panikattacken und in subjektiven Stresssituationen gelegentlich impulsdurchbrechendes Verhalten. Anamnestisch komme es selten zu selbstverletzendem Verhalten.

Die Diagnose eines ADHS habe nicht bestätigt werden können, es sei vielmehr von einer Restsymptomatik einer unter Vernachlässigungs- und Gewalterfahrungen in der Kindheit entstandenen reaktiven Bindungsstörung des Kindesalters auszugehen. Angesichts der geschilderten Symptome sei zusätzlich eine PTBS diagnostiziert worden. Unter vielen belastenden Erinnerungen an die Kindheit seien zwei Indexsituationen identifiziert worden (Eingesperrtsein zusammen mit dem Bruder, sexualisierte Handlungen seitens der Mutter), die im Rahmen der Expositionsbehandlung bearbeitet werden sollten.

Der Kläger schaffe es oft gut, eine regelmäßige Tagesstruktur und Schlafhygiene einzuhalten, sich um Termine, Bewerbungen wie Behördliches selbstständig und zuverlässig zu kümmern und dabei auch frustrierende Erfahrungen und Enttäuschungen gelassen zu tolerieren. In anderen Situationen, in denen er sich Herausforderungen nicht gewachsen fühle, habe er von der Validierung seiner aktuell empfundenen Belastung, der Erinnerung an seine langfristigen Ziele und an bereits selbstständig erreichte Erfolge profitiert. Die weiteren niederfrequenten Sitzungen sollten einem gelassenen und akzeptierenden Umgang mit Belastungen sowie der Festigung des Einsatzes der erworbenen Skills in Alltagssituationen dienen. Einer aktuellen Medikation bedürfe es nicht.

Letztlich sind die Verlaufsinformation des Kinderhospitals O1 über die Behandlung des Bruders N1 am 18. April 2004 sowie die Kurzmitteilung vom 21. Mai 2004 vorgelegt worden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 12. November 2021 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm unter Aufhebung des Bescheides vom 27. Mai 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juli 2020 Beschädigtengrundrente nach einem Grad der Schädigungsfolgen von mindestens 30 ab dem 1. April 2017 zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

            die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Er verweist auf die angefochtene Entscheidung. Nach dem vorgelegten Bericht des Kinderhospitals O1 habe zwar der Verdacht auf eine Battered-Child-Syndrom bestanden, sich dieser aber nicht bestätigen lassen. Vielmehr habe die Mutter angegeben, dass sich der Kläger beim Strampeln im Bettgitter verfangen habe. Im weiteren Bericht werde ausgeführt, dass die Hämatome nicht zuzuordnen gewesen seien. Die Verlaufsinformation des Kinderhospitals O1 betreffe den Bruder des Klägers und sei bereits aktenkundig. Insofern hätten die Ermittlungen des Jugendamtes ergeben, dass der Bruder den blauen Ring am Penis schon von Geburt an gehabt habe.

Der Vortrag, dass der Bruder Zeuge der Misshandlungen geworden sei, überzeuge nicht. Noch beim SG habe der Kläger angegeben, dass sein Bruder noch zu klein gewesen sei. Dieser sei zwei Jahre jünger als der Kläger und zum Zeitpunkt der behaupteten Taten höchstens vier Jahre alt gewesen. Im Bericht der Polizeiinspektion O1 vom 29. Januar 2016 sei festgehalten, dass Verdachtsmomente auf körperliche Misshandlungen durch das Jugendamt überprüft worden seien, aber nicht hätten konkretisiert oder bestätigt werden können. Aus der Akte gingen keine konkreten Taten, Zeiten oder Augenzeugen hervor. Außerdem habe der Kläger bei seiner Befragung durch das Amtsgericht L2 erklärt, dass er bis auf das grundlose Verprügeln, das Einsperren im Kinderzimmer ohne Essen und den Vorfall mit der heißen Kanne Kaffee zwischen seinen Eltern keine konkreten Erinnerungen an Vorfälle mehr habe.

Zwar habe die Vernehmung der Mutter ergeben, dass der Kläger vom Vater geschlagen worden sein solle, die körperliche Bestrafung habe aber bis 2000 dem Züchtigungsrecht unterlegen. Ein sexueller Missbrauch durch die Mutter oder den Vater ergebe sich weder aus den Jugendamtsakten noch aus der Strafanzeige bei der Polizei. Aus den nunmehr gestellten Diagnosen könnten keine Rückschlüsse auf die Kindheit gezogen werden.

Aufgrund des Umzugs des Klägers nach N4 ist das Rubrum von Amts wegen geändert und das Land Bayern als neuer Beklagter aufgenommen worden.

Ergänzend ist zur Berufungserwiderung ausgeführt worden, dass das Geschehen in der Herkunftsfamilie Gegenstand einer Vielzahl von Verfahren gewesen sei. Hinreichend konkrete Taten hätten weder vom Jugendamt, vom Familiengericht oder auch nicht im Ermittlungsverfahren festgestellt werden können. Verletzungen des Klägers und seiner Geschwister hätten bereits seinerzeit nicht sicher körperlichen Misshandlungen zugewiesen werden können. Damit fehle es an Anknüpfungspunkten für die geltend gemachten Schädigungsfolgen sowie an hinreichend konkreten Primärschäden. Zu berücksichtigen sei ferner, dass die Verhältnisse in der Herkunftsfamilie von einer Vielzahl von Bindungsabbrüchen, Streitigkeiten, widersprüchlichen Erziehungsansätzen, Defiziten in der Erziehungsfähigkeit der Eltern und der fehlenden emotionalen Zuwendung durch die Mutter geprägt gewesen seien. Diese langjährig in der prägenden Phase der frühen Kindheit einwirkenden Umstände, die der psychischen Entwicklung in keiner Weise förderlich seien, erfüllten mangels unmittelbarer physischer Einwirkung nicht den Tatbestand von tätlichen Angriffen. Selbst wenn es zu einzelnen körperlichen Einwirkungen, die das bis zum Jahr 2000 geltende Recht zu erzieherisch motivierten maßvollen körperlichen Züchtigung überschritten hatten, ließen sich vor diesem Hintergrund heute keine Schädigungsfolgen mehr festmachen. Der Rückschluss von heute bestehenden psychischen Gesundheitsstörungen auf stattgehabte Gewalttaten als deren Ursache sei zirkulär und damit unzulässig. Anhaltspunkte für einen sexuellen Missbrauch durch die Eltern gebe es nicht.

Nachdem der Kläger geltend gemacht hat, dass gegen die Eltern ein Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwalt O1 laufe, hat der Senat die dortigen Ermittlungsakten beigezogen. Diese sind digitalisiert, der elektronischen Verfahrensakte beigefügt und den Beteiligten über die elektronische Akteneinsicht zugänglich gemacht worden.

Daraus hat sich ergeben, dass der Kläger geschildert hat, im Alter von einem bis sechs Jahren Gewalt durch seine „Erzeuger“ erfahren zu haben. Seine Mutter habe ihn aufgefordert, ihre Brüste und ihren Genitalbereich anzufassen, sein Vater habe solche Aufforderungen nicht vorgenommen. Dieser habe ihm mehrfach Gewalt zugefügt. Er habe ihn von einem Hochbett gezogen und mit dem Kopf auf eine Heizung gedrückt. Von diesem Vorfall habe er bis heute eine Narbe an der Stirn. Außerdem seien ihm beim Urinieren Gummiringe um den Penis gelegt worden, sodass dieser eingeschnürt worden sei. Nach eigenen Angaben könne sich der Kläger an den Tathergang trotz seines damaligen jungen Alters relativ klar erinnern. Erst jetzt nach Abschluss der Therapie könne er über die Vorfälle sprechen.

In seiner Zeugenvernehmung hat der Kläger angegeben, mit seiner Mutter im Kinderzimmer seiner Schwester gewesen zu sein. Zum Anfang, wie er da reingekommen sei, habe er ein „Blackout“. Seine Mutter habe mit dem Rücken zur Wand gelegen und ihn quasi dazu genötigt, ihre Brüste und ihren Genitalbereich anzufassen. Er habe bei der letzten Anzeige seine Mutter nicht anzeigen können, weil er damals die Traumatherapie noch nicht gemacht habe und mit niemanden darüber habe sprechen können. Die hauptsächlichen Gewalttaten seien von seinem Vater ausgegangen.

Auf die Frage, weshalb der Kläger aus der Familie genommen worden sei, hat er angegeben, dass es dazu unterschiedliche Aussagen gebe, nämlich einerseits, dass seine Eltern ihn freiwillig abgegeben hätten, andererseits sage das Jugendamt, dass er selbst nicht mehr bei seinen Eltern habe bleiben wollen.

Zu dem behaupteten sexuellen Missbrauch befragt, hat der Kläger angegeben, sich an kein genaues Datum erinnern zu können. Er versuche, diese Taten irgendwie in einem Raum abzustellen in seinem Kopf, wo sie nicht zu zugänglich seien. Es könne sein, dass er es mit seiner Therapeutin in einer Traumatherapie aufgearbeitet habe und es könne sein, dass er eventuell darauf zurückgreifen könne. Auf Nachfrage gab er an, dass es im Alter zwischen 0 und 6 Jahren gewesen sein müsse, er schätze, dass er vier Jahre alt gewesen sei. Er wisse, dass seine Hand „dort runter“ geführt worden sei und ab da habe er ein „Blackout“. Was genau da passiert sei, sei für ihn zum aktuellen Zeitpunkt nicht abrufbar.

Hinsichtlich seines Vaters könne er sich erinnern, dass dieser in einem Auto gewesen sei. Das Design und die Marke seien ihm nicht bekannt. Er träume die Situation immer wieder und die Automarke habe sich immer geändert. Deswegen könne er dazu keine zuverlässigen Aussagen machen. Zu dem Zeitpunkt als es passiert sei, habe er hinter dem Fahrzeug gestanden und sein Vater habe den Rückwärtsgang eingelegt gehabt. Die Leute hätten ihn darauf aufmerksam gemacht, dass er anhalten solle. Was danach geschehen sei, sei wieder nicht ganz vorhanden.

Er und sein Bruder seien mehrere Wochen ohne Essen mit Trinken eingesperrt gewesen. Wenn sie auf die Toilette gewollt hätten, hätten sie klopfen müssen und seien quasi auf die Toilette geleitet worden. Es sei zwischen zwei und drei Wochen lang gewesen. Wenn er nur einen Tag eingesperrt gewesen sei, habe er nach seinem Wissenstand Essen gehabt. Wie oft das vorgekommen sei, wisse er nicht.

Er wisse nicht, wie alt sein Bruder sei. Er glaube, dieser wohne jetzt im selben Haus wie seine Mutter. Deshalb habe dieser auch die Aussage verweigert. Im aktuellen Verfahren habe sein Bruder ausgesagt, dass er von nichts wisse, was eigentlich eine Lüge sei.

Zum Abschluss habe der Kläger hinzufügen wollen, dass die Aussagen zum OEG und jetzt voneinander abweichen könnten, da die Erinnerung nur verschwommen sei. Das sei dem Umstand geschuldet, dass er einfach Erinnerungen verdränge oder auch schlichtweg vergesse. Die verlässlichste Aussage sei die eidesstattliche Aussage, die er zusammen mit seiner Therapeutin gefertigt habe.

Mit Verfügung vom 29. November 2022 hat die Staatsanwaltschaft O1 das Ermittlungsverfahren gegen den Vater des Klägers eingestellt. Die Taten seien verjährt, da keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür bestünden, dass die geschilderten Übergriffe nach dem 1. Oktober 1999 erfolgt seien. Zu diesem Zeitpunkt sei eine Gesetzesänderung hinsichtlich der Verjährungsvorschriften eingetreten.

Die Mutter des Klägers ist am 10. Januar 2023 polizeilich vernommen worden. Diese hat bekundet, ihrem Sohn nie etwas getan zu haben. Sie würde sich eher die Hand abhacken, bevor sie ihre Kinder sexuell missbrauche. Auf die Frage, weshalb sie glaube, dass der Kläger so etwas behaupte, hat sie angegeben, dass er sie hasse. Er sei damals bei ihnen gewesen und habe alles eingenommen, das Wohn- und Schlafzimmer sowie die Küche. Es sei zu eng in einer Zwei-Zimmer-Wohnung gewesen. Dann sei der Kläger weg und zu ihrer Mutter gezogen, von dort aus sei sie von ihm bedroht worden. Die Bedrohung sei gewesen, als der Kläger 18 Jahre alt gewesen sei.

Der Kläger sei wegen ihres Ex-Mannes in die Pflegefamilie gekommen. Er habe die Kinder und sie geschlagen. Er habe die Kinder auch getreten. 2001 habe sie arbeiten müssen und ihren Kindern nicht helfen können. Er sei auch schon im Gefängnis gewesen wegen Körperverletzung.

Der Kläger habe P1 geheißen und zwischenzeitlich seinen Vornamen geändert. Sie habe irgendwann mal wegen dem Vater vor Gericht aussagen müssen, was dabei rausgekommen sei, wisse sie nicht.

Der Bruder des Klägers N1 hat bei seiner polizeilichen Vernehmung am 20. Februar 2023 angegeben, dass er von den behaupteten Taten seiner Mutter nichts mitbekommen habe, weil er zu jung gewesen sei. Seine Mutter sei zu dieser Zeit viel arbeiten gewesen, um Geld zu verdienen. Befragt zum Verhältnis zwischen dem Kläger und der Mutter hat der Zeuge angegeben, dass zwischen den beiden überhaupt kein Verhältnis mehr bestehe. Der Kläger habe 2018 oder 2019 bei der Mutter einziehen wollen, aber die Wohnung sei zu klein gewesen. Dann habe der Kläger der Mutter gedroht, sie umzubringen. Er glaube, dass die beiden auch vor 2018 kein gutes Verhältnis zueinander gehabt hätten.

Hinsichtlich des Missbrauchs wisse er aus Erzählungen des Jugendamtes, dass er – der Zeuge – sich auf seine Mutter habe drauflegen sollen. Seine eigenen Erinnerungen zeigten sich dann immer mehr in seinen Träumen. Er habe viel geweint. In der Zeit, als sie noch in der H2 gewohnt hätten, seien sie auch betteln gewesen, weil sie nichts zu essen gehabt hätten.

Er habe immer Kontakt zu seiner Mutter gehabt, das Verhältnis zu ihr sei jetzt besser als früher. Über die Vorfälle habe er mit seiner Mutter nicht gesprochen, zu seinem Bruder habe er keinen Kontakt. Er habe auch früher mit seinem Bruder nicht über die Missbrauchshandlungen gesprochen, dieser sei seinem Vater immer ähnlicher geworden. Seine Schwester könne keine Aussagen zu den sexuellen Vorfällen machen, da diese noch ein bisschen früher aus der Familie genommen worden sei als er.

Er wisse aus seinen Träumen und den Erzählungen vom Jugendamt, dass er sich ohne Unterwäsche auf sie habe drauflegen sollen. Ob die Mutter bekleidet gewesen sei, wisse er nicht.

Auf die Frage, für wie glaubwürdig er die Angaben seines Bruders halte, bekundete der Zeuge, dem Kläger da überhaupt nicht zu vertrauen, deshalb könne er da auch überhaupt nichts sagen. Er selbst habe zu seiner Mutter jetzt ein relativ gutes Verhältnis, diese sei seine rechtliche Betreuerin, da er nicht mit Geld umgehen könne.

Der Vater des Klägers ist am 19. September 2023 polizeilich an Zeuge vernommen worden und hat angegeben, dass er seit einem Motorradunfall Gedächtnislücken habe und unter Betreuung stehe. Er sei seit 2015 erneut verheiratet und habe nur Kontakt zu seinem Sohn aus der letzten Ehe, die nicht mit der Mutter des Klägers sei. Zu den Kindern aus dieser Beziehung bestehe kein Kontakt. Von der Mutter des Klägers habe er sich irgendwann nach dem Jahr 2000 getrennt. Diese habe ein nicht unerhebliches Alkoholproblem gehabt. Die Beziehung sei wegen der Alkoholexzesse schon lange nicht mehr gut gelaufen. Er habe mit der Mutter des Klägers Kinder, wisse habe nicht, wie diese hießen oder wo sie wohnten.

An einen sexuellen Missbrauch könne er sich nicht erinnern. Er wisse nur, dass wenn er gegen 15 Uhr nach Hause gekommen sei, die Mutter des Klägers besoffen im Bett gelegen habe. Er sei damals auch nicht viel zu Hause gewesen, weil die Beziehung nicht gut gelaufen sei. Die Mutter des Klägers sei ihm gegenüber sexuell auffällig gewesen, was mit den Kindern gewesen sei, wisse er nicht. Wenn er etwas von Übergriffen gegen den Kläger mitbekommen hätte, hätte er das sicherlich zur Anzeige gebracht. Er sei auch nicht viel zu Hause gewesen, sondern selbstständig tätig.

Auf Nachfrage hat er angegeben, dass es öfters so gewesen sei, dass die Kinder im Zimmer eingesperrt gewesen seien und die Mutter des Klägers betrunken auf dem Sofa gelegen habe. Die Kinder seien im Kinderzimmer gewesen, ob die Tür abgeschlossen gewesen sei, wisse er nicht mehr. Ob sie hätten rausgehen können, wisse er auch nicht mit. Die Mutter sei total überfordert gewesen und dann sei das Alkoholproblem dazugekommen. Er glaube, dass er mit der Mutter des Klägers vier gemeinsame Kinder habe. Weitere Übergriffe habe er nicht mitbekommen. Er glaube, dass er wisse, dass die Kinder aus der Familie genommen worden seien. Er glaube, dass es wegen der Vernachlässigung gewesen sei. Vor ein paar Jahren sei er mal von der Mutter des Klägers angezeigt worden, weil er der Aggressor gewesen sei solle. Er könne sich aber nur grob daran erinnern, wisse nicht einmal, in welchem Jahr das gewesen sei. Das Verfahren sei aber wohl eingestellt worden, vom Amtsgericht O1. Er könne sich sonst an nichts erinnern, könne nur sagen, dass die Mutter mit den Kindern nicht so umgegangen sei, wie man es von einer Mutter erwarte.

Das Verfahren ist von der Staatsanwaltschaft wiederum mit Verfügung vom 11. Oktober 2023 eingestellt worden und wird auf die Beschwerde hin gegenwärtig fortgeführt.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungs- und Gerichtsakte Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht (§ 151 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) eingelegte Berufung des Klägers ist statthaft (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässig, aber unbegründet.


Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist das Urteil des SG vom 12. November 2021, mit dem die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG) auf Gewährung von Beschädigtengrundrente unter Aufhebung des Bescheides vom 27. Mai 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides (§ 95 SGG) vom 13. Juli 2020 abgewiesen worden ist. Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei dieser Klageart grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in den Tatsacheninstanzen (vgl. BSG, Urteil vom 2. September 2009 – B 6 KA 34/08 –, juris, Rz. 26; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, Kommentar zum SGG, 14. Aufl. 2023, § 54 Rz. 34).

Das Rubrum war von Amts wegen zu ändern, da nach Art. 4 Abs. 2 des Gesetzes über die Entschädigung von Opfern von Gewalttaten (OEG) in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Finanzhilfen des Bundes zum Ausbau der Tagesbetreuung für Kinder und des Kinderbetreuungsfinanzierungsgesetzes vom 15. April 2020 (BGBl. I S. 812) für die Entschädigung ab dem 1. Juli 2020 dasjenige Land zuständig ist, in dem die berechtigte Person ihren Wohnsitz hat. Durch den somit kraft Gesetzes eingetretenen Beteiligtenwechsel war das Passivrubrum zu ändern (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 18. November 2015 – B 9 V 1/15 R –, juris, Rz. 14) und der Freistaat Bayern aufzunehmen, da der Kläger zwischenzeitlich nach N4 verzogen ist.

Die Unbegründetheit der Berufung folgt aus der Unbegründetheit der Klage. Der Bescheid vom 27. Mai 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juli 2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 1 Satz 2 SGG). Auch zur Überzeugung des Senats kann er die Gewährung einer Beschädigtengrundrente nicht beanspruchen, denn die angeschuldigten Taten sind nur möglich, eine gesundheitliche Schädigung dadurch nicht gesichert und keine dauerhaften Funktionseinschränkungen eingetreten, die eine Rentengewährung rechtfertigen könnten.


Materiell-rechtlich sind die Vorschriften des BVG in seiner bis 31. Dezember 2023 geltenden Fassung anzuwenden. Gemäß § 142 Abs. 1 Satz 1 Vierzehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XIV) in der ab 1. Januar 2024 geltenden Fassung erhalten Personen, deren Ansprüche nach dem Bundesversorgungsgesetz oder nach einem Gesetz, dass das Bundesversorgungsgesetz ganz oder teilweise für anwendbar erklärt, in der bis zum 31. Dezember 2023 geltenden Fassung bis zum 31. Dezember 2023 bestandskräftig festgestellt sind, diese Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz oder nach dem Gesetz, dass das Bundesversorgungsgesetz für anwendbar erklärt, in der am 23. Dezember 2023 geltenden Fassung weiter, soweit dieses Kapitel nichts anderes bestimmt. Über einen bis zum 23. Dezember 2023 gestellten und nicht bestandskräftig entschiedenen Antrag auf Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz oder nach einem Gesetz, dass das Bundesversorgungsgesetz ganz oder teilweise für anwendbar erklärt, ist nach dem im Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Recht zu entscheiden, § 142 Abs. 2 Satz 1 SGB XIV. Wird hierbei ein Anspruch auf Leistungen festgestellt, werden ebenfalls Leistungen nach Absatz 1 erbracht, § 142 Abs. 2 Satz 2 SGB XIV.

Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG in Verbindung mit § 9 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 1, § 30, § 31 BVG. Danach erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, unter anderem auch Beschädigtengrundrente nach § 31 Abs. 1 BVG, wer im Geltungsbereich des OEG oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Die Versorgung umfasst nach dem insoweit entsprechend anwendbaren § 9 Abs. 1 Nr. 3 BVG die Beschädigtenrente (§§ 29 ff. BVG). Nach § 30 Abs. 1 Satz 1 BVG ist der GdS - bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des BVG und anderer Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts vom 13. Dezember 2007 (BGBl I S. 2904) am 21. Dezember 2007 als Minderung der Erwerbsfähigkeit <MdE> bezeichnet - nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, welche durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen. Der GdS ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer GdS wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst (§ 30 Abs. 1 Satz 2 BVG). Beschädigte erhalten gemäß § 31 Abs. 1 BVG eine monatliche Grundrente ab einem GdS von 30. Liegt der GdS unter 25 besteht kein Anspruch auf eine Rentenentschädigung (vgl. Senatsurteil vom 18. Dezember 2014 - L 6 VS 413/13 -, juris, Rz. 42; Dau, in: Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012, § 31 BVG, Rz. 2).

Für einen Anspruch auf Beschädigtenversorgung nach dem OEG in Verbindung mit dem BVG sind folgende rechtlichen Grundsätze maßgebend (vgl. BSG, Urteil vom 17. April 2013 – B 9 V 1/12 R –, BSGE 113, 205 <208 ff.>):

Ein Versorgungsanspruch setzt zunächst voraus, dass die allgemeinen Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG gegeben sind (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 23. April 2009 – B 9 VG 1/08 R –, juris, Rz. 27 m. w. N). Danach erhält eine natürliche Person („wer“), die im Geltungsbereich des OEG durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Somit besteht der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG aus drei Gliedern (tätlicher Angriff, Schädigung und Schädigungsfolgen), die durch einen Ursachenzusammenhang miteinander verbunden sind. In Altfällen, also bei Schädigungen zwischen dem Inkrafttreten des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 und dem Inkrafttreten des OEG am 16. Mai 1976 (BGBl I S. 1181), müssen daneben noch die besonderen Voraussetzungen gemäß § 10 Satz 2 OEG in Verbindung mit § 10a Abs. 1 Satz 1 OEG erfüllt sein. Nach dieser Härteregelung erhalten Personen, die in diesem Zeitraum geschädigt worden sind, auf Antrag Versorgung, solange sie allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt und bedürftig sind sowie im Geltungsbereich des OEG ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben. Eine Schwerbeschädigung liegt nach § 31 Abs. 2 BVG vor, wenn ein GdS von mindestens 50 festgestellt ist.

Nach der Rechtsprechung des BSG ist bei der Auslegung des Rechtsbegriffes „vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff“ im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG entscheidend auf die Rechtsfeindlichkeit, vor allem verstanden als Feindlichkeit gegen das Strafgesetz, abzustellen; von subjektiven Merkmalen, wie etwa einer kämpferischen, feindseligen Absicht, hat sich die Auslegung insoweit weitestgehend gelöst (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 7. April 2011 – B 9 VG 2/10 R –, SozR 4-3800 § 1 Nr. 18, Rz. 32 m. w. N.). Dabei sind je nach Fallkonstellation unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt und verschiedene Gesichtspunkte hervorgehoben worden. Leitlinie ist insoweit der sich aus dem Sinn und Zweck des OEG ergebende Gedanke des Opferschutzes. Das Vorliegen eines tätlichen Angriffes hat das BSG daher aus der Sicht von objektiven, vernünftigen Dritten beurteilt und insbesondere sozial angemessenes Verhalten ausgeschieden. Allgemein ist es in seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass als tätlicher Angriff grundsätzlich eine in feindseliger oder rechtsfeindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung anzusehen ist, wobei die Angriffshandlung in aller Regel den Tatbestand einer - jedenfalls versuchten - vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllt (st. Rspr.; vgl. nur BSG, Urteil vom 29. April 2010 – B 9 VG 1/09 R –, SozR 4-3800 § 1 Nr. 17, Rz. 25 m. w. N.). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff im Sinne des § 240 Strafgesetzbuch (StGB) zeichnet sich der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG durch eine körperliche Gewaltanwendung (Tätlichkeit) gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein (vgl. BSG, Urteil vom 7. April 2011 ‑ B 9 VG 2/10 R ‑, SozR 4 3800 § 1 Nr. 18, Rz. 36 m. w. N.). Ein solcher Angriff setzt eine unmittelbar auf den Körper einer anderen Person zielende, gewaltsame physische Einwirkung voraus; die bloße Drohung mit einer wenn auch erheblichen Gewaltanwendung oder Schädigung reicht hierfür demgegenüber nicht aus (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 ‑ B 9 V 1/13 R ‑, juris, Rz. 23 ff.).

In Fällen des sexuellen Missbrauchs von Kindern im Sinne von § 176, § 176a StGB hat das BSG den Begriff des tätlichen Angriffes noch weiter verstanden. Danach kommt es nicht darauf an, welche innere Einstellung der Täter zu dem Opfer hatte und wie das Opfer die Tat empfunden hat. Es ist allein entscheidend, dass die Begehensweise, also eine sexuelle Handlung, eine Straftat war (vgl. BSG, Urteil vom 29. April 2010 ‑ B 9 VG 1/09 R ‑, SozR 4 3800 § 1 Nr. 17, Rz. 28 m. w. N.). Auch der „gewaltlose“ sexuelle Missbrauch eines Kindes kann demnach ein tätlicher Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG sein (BSG, Urteile vom 18. Oktober 1995 - 9 RVg 4/93 -, BSGE 77, 7, <8 f.> und - 9 RVg 7/93 -, BSGE 77, 11 <13>). Diese erweiternde Auslegung des Begriffes des tätlichen Angriffs ist speziell in Fällen eines sexuellen Missbrauchs von Kindern aus Gründen des sozialen und psychischen Schutzes der Opfer unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des OEG geboten.

Hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen kennen das soziale Entschädigungsrecht und damit auch das OEG drei Beweismaßstäbe. Grundsätzlich bedürfen die drei Glieder der Kausalkette (schädigender Vorgang, Schädigung und Schädigungsfolgen) des Vollbeweises. Für die Kausalität selbst genügt gemäß § 1 Abs. 3 BVG die Wahrscheinlichkeit. Nach Maßgabe des § 15 Satz 1 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG), der gemäß § 6 Abs. 3 OEG anzuwenden ist, sind bei der Entscheidung die Angaben der Antragstellenden, die sich auf die mit der Schädigung, also insbesondere auch mit dem tätlichen Angriff im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, zugrunde zu legen, wenn sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen.

Für den Vollbeweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Allerdings verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen. Denn ein darüber hinausgehender Grad an Gewissheit ist so gut wie nie zu erlangen (vgl. Keller, a. a. O., § 128 Rz. 3b m. w. N.). Daraus folgt, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können, verbleibende Restzweifel mit anderen Worten bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (vgl. BSG, Urteil vom 24. November 2010 - B 11 AL 35/09 R -, juris, Rz. 21). Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (vgl. Keller, a. a. O.).

Der Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 BVG ist dann gegeben, wenn nach der geltenden wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 – B 9 V 23/01 B –, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4, S. 14 m. w. N.). Diese Definition ist der Fragestellung nach dem wesentlichen ursächlichen Zusammenhang (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 6/13 R -, juris, Rz. 18 ff.) angepasst, die nur entweder mit ja oder mit nein beantwortet werden kann. Es muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, dass ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden. Für die Wahrscheinlichkeit ist ein „deutliches" Übergewicht für eine der Möglichkeiten erforderlich. Sie entfällt, wenn eine andere Möglichkeit ebenfalls ernstlich in Betracht kommt.

Bei dem „Glaubhafterscheinen“ im Sinne des § 15 Satz 1 KOVVfG handelt es sich um den dritten, mildesten Beweismaßstab des Sozialrechts. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit (vgl. Keller, a. a. O., Rz. 3d m. w. N.), also der guten Möglichkeit, dass sich der Vorgang so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (vgl. BSG, Beschluss vom 8.
August 2001 - B 9 V 23/01 B -, SozR 3 3900 § 15 Nr. 4, S. 14 f. m. w. N.). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, also es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist (vgl. Keller, a. a. O.), weil nach der Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht. Von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss einer den übrigen gegenüber ein gewisses, aber kein deutliches Übergewicht zukommen. Wie bei den beiden anderen Beweismaßstäben reicht die bloße Möglichkeit einer Tatsache nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Das Tatsachengericht ist allerdings mit Blick auf die Freiheit der richterlichen Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG) im Einzelfall grundsätzlich darin nicht eingeengt, ob es die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 ‑ B 9 V 23/01 B ‑, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4, S. 15). Diese Grundsätze haben ihren Niederschlag auch in den „Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz“ in ihrer am 1. Oktober 1998 geltenden Fassung der Ausgabe 1996 (AHP 1996) und nachfolgend - seit Juli 2004 - den „Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)“ in ihrer jeweils geltenden Fassung (AHP 2005 und 2008) gefunden, welche zum 1. Januar 2009 durch die Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (Teil C, Nrn. 1 bis 3 und 12 der Anlage zu § 2 VersMedV; vgl. BR-Drucks 767/1/08 S. 3, 4) inhaltsgleich ersetzt worden ist (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 ‑ B 9 V 6/13 R ‑, juris, Rz. 17).

Ausgehend von diesen Maßstäben sind auch zur Überzeugung des Senats die konkreten Taten nur möglich, Gesundheitserstschäden sind nicht gesichert und können auch nicht zu dauernden Gesundheitsschäden geführt haben, aus welchen sich gegenwärtig noch ein GdS von wenigstens 25 herleiten lässt. Das hat das SG bereits überzeugend dargelegt, so dass der Senat nach eigener Prüfung auf die Ausführungen Bezug nimmt (§ 153 Abs. 2 SGG).

Der Senat hat bei seiner Beweiswürdigung berücksichtigt, dass, im Gegensatz zu vergleichbaren Fällen, eine vollständige Dokumentation über den angeschuldigten Zeitraum vorliegt. Der Kläger wurde während der angeschuldigten Schädigungen sowohl durch den behandelnden Arzt bzw. Untersuchungen im Krankenhaus, soziale Einrichtungen wie die Jugendhilfe und den Kindergarten begleitet, als auch das Umfeld durch zwei Sorgerechtsentscheidungen aufgearbeitet worden ist. Nicht zuletzt gab es zwei polizeiliche bzw. staatsanwaltschaftliche Untersuchungen, alles ohne habhaftes Ergebnis. Die letzte Strafverfügung, das Verfahren wieder aufzunehmen, beruhte auf dem vorgelegten Arztbericht, allerdings nicht den Kläger, sondern seinen Bruder
N1 betreffend und hat zudem deutlich gemacht, dass dessen Penisanomalie anlage-, also nicht schädigungsbedingt war, was aus den beigezogenen Akten bzw. dem Bericht folgt. Der Senat musste also nicht weitere Ermittlungen abwarten, sondern konnte in der Sache entscheiden. Daran ändert, entgegen der in der mündlichen Verhandlung dargelegten Auffassung des Klägers, die Mitteilung der Staatsanwaltschaft O1 vom 29. November 2022 nichts, da darin nur eine vorläufige Würdigung des Sachverhalts erfolgte und auf weitere Ermittlungen verwiesen wurde, die mittlerweile durchgeführt wurden und damit aktenkundig sind. Insbesondere ist die angekündigte Vernehmung der Mutter erfolgt.

Trotz vieler Hinweise auf körperliche Gewalt, insbesondere aufgrund der anamnestischen Angaben des Klägers (Faustschläge ins Gesicht etc.), haben sich eigentliche Misshandlungen in seiner Primärfamilie auch zur Überzeugung des Senats in Übereinstimmung mit den familienrechtlichen und strafrechtlichen Ermittlungen letztlich nicht bestätigen lassen. Nachgewiesene Taten durch den Kindsvater im Vollbeweis waren allein ein einmaliger Schlag auf den Hintern an einem nicht näher bestimmbaren Tag im Oktober 2002 (Zeugenaussage K1) wie ein derbes Stoßen Anfang 2003 im Beisein der Zeugin G2, ferner wurde er 2001/2002 in sein Zimmer geschubst (Zeugin
S5). Das stellen alles insgesamt Einzeltaten dar, die die erforderliche Schwelle eines eindeutigen tätlichen Angriffs nicht überschreiten. Dazu passend haben beide Eltern bei ihren Vernehmungen im Rahmen des Sorgerechts nur eingeräumt, den Kläger gehauen zu haben, weil sie sich überfordert gefühlt haben. Der damalige familienpsychologische Gerichtsgutachter T1 ist im Juli 2004 dazu passend nur zur Feststellung einer Entwicklungsverzögerung und einer Verhaltensauffälligkeit gelangt, hat aber nicht schwere körperliche Strafen oder Misshandlungen als gesichert angesehen, deswegen ein Erziehungsversagen der Eltern gesehen. Zu Recht hat das SG daher dargelegt, dass auch nach neuen Recht nicht jede Vernachlässigung von Kindern und jede missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge, die das körperlich, geistige und seelische Wohl des Kindes gefährdet, als Gewalttat angesehen werden kann. Das ist letztlich auch vom OLG O2 mit seiner Entscheidung vom 25. November 2004 bestätigt worden, wonach die Eltern des Klägers zwar als erziehungsungeeignet betrachtet, aber nicht der Misshandlung ihrer Kinder angeschuldigt wurden, weswegen nur eine Kindeswohlgefährdung angenommen wurde. Auf ein dauerhaftes ausgeprägtes Fehlverhalten im Sinne einer erheblichen Vernachlässigung und eines eindeutigen falschen Erziehungsverhaltens, wie sie nach der Gesetzesbegründung im Rahmen des seit 1. Januar 2024 geltenden § 14 Abs. 1 Nr. 5 SGB XIV relevant sein kann (vgl. BT-Drs. 19/13824, S. 176 f.), lässt sich aus den Ausführungen der gehörten Sachverständigen jedoch nicht schließen. Dabei ist in Rechnung zu stellen, dass der Kläger trotz der beschriebenen Auffälligkeiten in der Erziehungsleistung der Eltern über einen langen Zeitraum bei diesen belassen wurde und die Fremdunterbringung letztlich von dem Kläger selbst veranlasst worden ist. Einem Anspruch nach dem SGB XIV stehen bereits die Vorschriften zum zeitlichen Geltungsbereich (vgl. §§ 137, 138 SGB XIV) entgegen (vgl. auch Senatsurteil vom 15. September 2022 – L 6 VG 1148/22 –, juris, Rz. 56 f.). Aus dem Hinweis des Klägers in der mündlichen Verhandlung, dass in der Literatur über entschädigungsrelevante Vernachlässigungen diskutiert werde, folgt daher nichts anders. Abgesehen davon, dass diese erst durch die Neufassung des Gesetzes berücksichtigungsfähig geworden sind, ist vorliegend nicht belegt, dass die weiterhin zu fordernde Erheblichkeitsschwelle überschritten worden ist.

Trotz engmaschiger Überwachung der Familie mit Hausbesuchen durch das Jugendamt und den Kinderarzt sowie der sozialpädagogischen Familienhilfe konnten darüber hinaus gehende Misshandlungen des Klägers im Sinne des § 225 Strafgesetzbuch als rechtswidrige tätliche Angriffe nicht gesichert werden. Der den Kläger in der streitigen Kindheitsphase behandelnde Kinderarzt S1 hat auf ausdrückliche Nachfrage des Jugendamtes eingeräumt, keinerlei Anzeichen für eine Gewaltausübung, also keine pathologischen Befunde festgestellt zu haben. Obwohl der Kläger nach Verletzungen, die auf Schläge hätten hindeuten können, mehrmals untersucht wurde, haben sich die Verdachtsmomente jeweils nicht bestätigen lassen.

Hinsichtlich der behaupteten Beinverletzung durch den Kindsvater bestätigt der Befundbericht des Kinderhospitals
O1 von Dezember 1997 zwar eine Tibia-Fraktur rechts des zum Aufnahmezeitpunkt gut ein halbes Jahr alten Klägers. Der anfängliche Verdacht auf ein Battered-Child-Syndrom bei unklarem Trauma konnte sich aber nicht bewahrheiten. Eine solche Verletzung ist auch nicht im Wege des Zeugenbeweises gesichert worden. Das Vorbringen des Klägers, seine Tante B4 habe ihm berichtet, dass sich sein Vater auf sein Bein gesetzt und ihm dieses dadurch gebrochen habe, hat sich nicht bestätigt. Diese hat in ihrer polizeilichen Vernehmung vielmehr ausgesagt, davon weder Kenntnis zu haben, noch entsprechendes gegenüber dem Kläger behauptet zu haben. Ihre weiteren Angaben, dass der Kläger sie dazu habe überreden wollen, dennoch entsprechende Aussagen zu machen, spricht nicht für ein erlebnisbasiertes Vorbringen des Klägers, sondern deutet auf den Versuch einer Manipulation von Beweismitteln hin. Soweit seine Mutter darüber spekuliert, dass sich der Kläger das Bein an den Gittern des Kinderbettes gebrochen hat, folgt daraus jedenfalls kein tätlicher Angriff auf ihn.

Die Behauptung im Kinderzimmer eingesperrt worden zu sein, hat sich ebenfalls nicht erhärten lassen. Schon aus den eigenen Angaben folgt, dass er sich nicht sicher war, ob es mehrere Tage waren, ebenfalls nicht, ob ihn seine Mutter oder sein Vater eingesperrt haben sollen. Im Übrigen ist mehrfach offen geblieben, ob der Kläger tatsächlich nur in sein Zimmer geschickt wurde, was die Nachbarin
S5 bestätigen konnte. Der Bruder konnte hierzu keinerlei Angaben machen und der Vater konnte ein Einsperren nicht erinnern. Gleiches gilt hinsichtlich der dabei vorgebrachten Verweigerung von Nahrung und Wasser. Der Bericht des Kinderhospitals O1 über die Behandlung vom 29. Juni bis 4. Juli 2001 widerlegt die klägerische Behauptung, dass er über Wochen ohne Essen und Trinken in sein Zimmer eingesperrt worden sei. Denn sein Allgemein- und Ernährungszustand wird sogar als gut beschrieben. Für eine Unterernährung, wie von ihm mehrfach behauptet, fehlt es damit an jeglichen Anhaltspunkten.

Schließlich scheidet ein sog. Schockschaden (BSG, Urteil vom 18. Oktober 1995 – 9 RVg 7/93, SozR 3-3800 § 1 Nr. 7), also, wenn ein Dritter als Sekundäropfer Tatzeuge einer schweren vorsätzlichen Gewalttat wird, aus. Ein solcher erfordert eine „besonders schreckliche Gewalttat“, die nur bei Totschlag und Mord sowie vergleichbaren Gewalttaten anzunehmen ist (Bayerisches LSG, Urteil vom 28. März 2017 – L 20 VG 4/13 –, juris, Rz. 42, bestätigt durch BSG, Beschluss vom 25. September 2017 – B 9 V 30/17 B –, juris, Rz. 5). Selbst eine schwere Körperverletzung nach § 226 Abs. 1 Nr. 1 und 3 StGB fällt nicht darunter. Dass der Kläger mehrfach behauptet hat, der Vater habe der Mutter heißen Kaffee über den Kopf geschüttet, ist zum einen nicht durch tatsächliche Anknüpfungspunkte untermauert worden. Sie selbst hat dem
T1 nur davon berichtet, dass ihr Exmann ihr bei einer Auseinandersetzung Kaffee ins Gesicht geschüttet hat. Irgendwelche Verletzungen, die auf eine solche Gewalttat hindeuten könnten, sind ebenfalls nicht gesichert. Die Zeugin K1 hat nur von einem von ihr bemerkten Hämatom der Kindsmutter berichtet, das aber von einem Schlag mit einer Kaffeetasse herrühren soll. Zum anderen hat T1 hierzu ausgeführt, dass der Kläger über den behaupteten Vorfall völlig emotionslos berichtet hat, so dass ein dadurch davon getragener psychischer Schaden fernliegend ist. Ein tätlicher Angriff auf ihn ergibt sich hieraus somit ebenso wenig wie Anhaltspunkte dafür bestehen, dass es bei ihm davon zu einem Gesundheitserstschaden gekommen ist.

Die über die gesicherten drei Schläge hinaus gehenden behaupteten Taten können somit insgesamt gesehen nicht als im Vollbeweis gesichert angesehen werde. Sie sind aber auch nicht glaubhaft. Allein der Umstand, dass der Kläger wiederholt Verletzungszeichen aufwies, reicht zur Überzeugung des Senats angesichts des Umstandes, dass gesichert Selbstverletzungen des autoaggressiven Kindes vorlagen, nicht aus, um davon auf Taten im Sinne des OEG rückschließen zu können.

Dabei ist zum einen im Rahmen der Beweiswürdigung zu berücksichtigen, dass seitens des Jugendamtes auf die dysfunktionale Kernfamilie zeitnah reagiert worden ist. Es haben deswegen mehrere Hausbesuche stattgefunden, die zwar ergaben, dass von einer Vernachlässigung der Kinder ausgegangen werden konnte, Anhaltspunkte für Misshandlungen ergaben sich jedoch nicht. Deutlich wird aus den Protokollen über die Hausbesuche, den Berichten der Betreuungseinrichtungen sowie den Angaben der gehörten Zeuginnen jedoch, dass der Kläger Probleme hatte, seine Kräfte zu kontrollieren und unter Wutausbrüchen litt.

Diese Auffälligkeiten des Klägers sind nicht nur von den Eltern beschrieben, sondern auch von Dritten beobachtet worden.
S1 hat bereits 1999 – und damit bei dem zweijährigen Kläger – aggressive und autoaggressive Tendenzen beschrieben. Im Abschlussbericht der Jugendhilfe vom 11. November 2000 ist dargelegt, dass der Kläger eine schlechte Eigenwahrnehmung hatte, im Spiel Dinge ausprobierte, die er nicht beherrschte und sich deshalb häufig Verletzungen zuzog. Dies wird durch den Bericht der Jugendhilfe vom 5. Februar 2002 über den Kindergartenbesuch deutlich unterstrichen. Der Kläger hielt sich dort nicht an Regeln und akzeptierte keine Grenzen. Neben Wutausbrüchen des Klägers wird beschrieben, dass er sich selbst ins Gesicht geschlagen und die Haare ausgerissen hat, weiter, dass er mit seinem Kopf auf den Tisch, die Stuhllehne, den Boden und die Wände schlug sowie sich selbst so stark in den Handrücken biss, dass ein deutlicher sichtbarer Abdruck bestand. In diesem Sinne hat auch die Zeugin K1 bekundet, dass der Kläger kaum zu bändigen und jähzornig gewesen ist sowie häufig gebissen und gekratzt hat. T1 hat hierzu in seinem Sachverständigengutachten dargelegt, dass der Kläger ein Verhalten zeigte, dass einem zu wenig beschäftigten Kind entspricht, dies allerdings in einem Ausmaß, dass der Gutachter den Kläger schon als verhaltensgestört beschrieben hat.

Die Schilderungen lassen bereits in tatsächlicher Hinsicht erkennen, dass ausreichend Umstände beschrieben sind, die die beobachteten Verletzungen und Hämatome beim Kläger plausibel machen. Schon deshalb kann hieraus nicht auf Misshandlungen durch die Eltern geschlossen werden. Im Übrigen hat das Kinderhospital
O1 dokumentiert, dass das große Hämatom an der Stirn des Klägers von einem Sturz im Kindergarten stammte und die Blutkruste von einem Biss des kleinen Bruders.

Dass von gegenwärtig gestellten Diagnosen allein keine Rückschlüsse auf Geschehnisse in der Vergangenheit gezogen werden können, hat der Beklagte daher zu Recht ausgeführt.

Verkannt werden darf in diesem Zusammenhang weiter nicht, dass den Berichten des Jugendamtes zu entnehmen ist, dass es zwischen den Eltern immer wieder zu Trennungsüberlegungen und Trennungsversuchen gekommen ist. Die gegenseitigen Schuldzuweisungen und Anschuldigungen immer sind auch vom aktuellen Beziehungsstatus geprägt gewesen. Schon
S1 hat dazu ausgeführt, dass sich die Eltern seit der Trennung gegenseitig der Gewalt bezichtigten, ohne dass er entsprechende Befunde bei dem Kläger bestätigen konnte. Dass sich keine eindeutigen Anhaltpunkte für Misshandlungen ergaben, wird dadurch untermauert, dass im Hilfeplan des Jugendamtes festgehalten worden ist, dass – nach der Trennung – regelmäßige Besuche des Vaters sehr wichtig seien. Dies spricht dagegen, dass dieser – wie die Mutter behauptet hat – nur zum Schlagen bei ihnen lebe.

Den weiteren Meldungen des
S1 ist das Jugendamt ausweislich der Akte ebenfalls nachgegangen, ohne dass der Verdacht auf Misshandlungen erhärtet werden konnte. Hinsichtlich der vom Kindergarten mitgeteilten blauen Flecken im Gesicht und hinter dem Ohr konnte J2 aus medizinischer Sicht keine klare Ursache benennen, insbesondere nicht mit Sicherheit sagen, dass diese von einem Erwachsenen stammen. Die Erhebungen des Jugendamtes haben weiter ergeben, dass die Verletzungen nach Angaben des Klägers von den Großeltern stammen sollten, was aber deshalb unplausibel war, nachdem der Kläger die Großeltern nach Bekunden des Vaters seit einer Woche nicht mehr gesehen hatte.

Passend hierzu hat auch die vom Jugendamt veranlasste stationäre Untersuchung des Klägers im Kinderhospital
O1 vom 29. Juni bis 4. Juli 2001, auf die der Kläger zur Berufungsbegründung ebenfalls verweist, gerade keine Misshandlungsspuren bestätigt. Hingewiesen wird vielmehr darauf, dass sich bis auf die Hämatome keine weiteren Verletzungszeichen ergaben, solche zeigten sich auch nicht in den Röntgenuntersuchungen.

Gleiches gilt hinsichtlich der zuletzt behaupteten sexuellen Gewalt, nämlich dem Übergriff von seiner Mutter, mit der er nackt im Bett gelegen und ihre Brust berührt haben will. Dass diese Tat stattgefunden haben soll, hält der erkennende Spruchkörper für nicht glaubhaft im Sinne des § 15 VfG-KOV. Denn die Angaben sind detailarm und vage, genügen schon deshalb nicht den Kriterien an eine Glaubhaftmachung, da der Kläger lediglich Bruchstücke geschildert hat, woraus sich noch keine Tat wie ein Missbrauch nachvollziehen lässt. Eine zeitliche Einordnung ist ihm auf mehrmalige Nachfrage in der polizeilichen Befragung nicht gelungen, vielmehr hat er nur vermutet, dass es sich im vierten Lebensjahr zugetragen haben soll. Was konkret passiert sein soll, vermochte der Kläger ebenfalls nicht im Zusammenhang anzugeben, sodass nicht mehr als eine entfernte Möglichkeit besteht, dass es sich um erlebnisbasiertes Vorbringen handelt.

Dagegen spricht weiter, dass ein sexueller Missbrauch in den vorangegangenen Untersuchungen und Gutachten in keiner Weise thematisiert worden ist.
H1, die den Kläger von 2012 bis 2015 behandelt hat, hat auf Anfrage des Beklagten sogar bekundet, dass nach ihren Aufzeichnungen nicht nur keine sexuellen Übergriffe, sondern schon gar keine körperlichen Übergriffe beschrieben worden sind.

Wenn der Kläger weiter geltend macht, dass sein Bruder
N1 die Taten bezeugen könne, führt dies schon deshalb nicht weiter, da dieser – auf mehrfache Befragung hin – angegeben hat, keine Angaben zu Übergriffen zu Lasten des Klägers machen zu können. Wenn der Kläger vermutet, zum Tatzeitpunkt vier Jahre alt gewesen zu sein, ist dies schon deshalb plausibel, da sein Bruder N1 zwei Jahre jünger ist und damit bei der behaupteten Tat erst zwei Jahre alt gewesen sein kann.

Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang indessen, dass die Vorwürfe gegen die Mutter eine deutliche Ausweitung erfahren haben, nachdem der Kläger – sowohl nach Bekunden der Mutter als auch des Bruders
N1 – mit dem Versuch gescheitert ist, im Jahr 2018/2019 wieder zu dieser in die Wohnung zu ziehen. Nachdem dies zu Auseinandersetzungen führte, haben Mutter und Bruder sogar massive Drohungen des Klägers gegen seine Mutter beschrieben.

Soweit der Kläger weiter behauptet, aus dem Bericht des Kinderhospitals
O1 über die Behandlung vom 18./19. April 2004 ergäben sich die Misshandlungen, die ihm vom seinem Vater mit einem Gummiring am Penis zugeführt worden seien, ist das Vorbringen schon deshalb nicht nachvollziehbar, da der Bericht nicht den Kläger, sondern seinen Bruder N1 betrifft. Aus den beim Bruder beschriebenen Auffälligkeiten lassen sich keine Rückschlüsse auf den Kläger ziehen. Abgesehen davon ist der Akte des Jugendamtes zu entnehmen, dass bestätigt werden konnte, dass bei dem Bruder die Auffälligkeiten am Penis bereits von Geburt an bestanden. Dass diese auf eine Misshandlung durch den Vater zurückzuführen sind, hat sich ebenfalls nicht bestätigt. Pathologische Befunde beim Kläger sind schon gar keine objektiviert.

Nichts anderes ergibt sich daraus, dass der Kläger mit Hilfe einer Therapeutin eine mehrseitige Aufstellung zu Übergriffen gefertigt hat. Der Senat sich diesbezüglich schon nicht davon überzeugen, dass es sich überhaupt um erlebnisbasiertes Vorbringen handelt. In Rechnung zu stellen ist nämlich, dass der Kläger bei seiner richterlichen Vernehmung beim Amtsgericht
L2 am 6. Mai 2016 in weiten Teilen schon nicht sagen konnte, was konkret geschehen sein soll und von wem die schädigenden Handlungen ausgingen. Weiter hat der Kläger in der richterlichen Vernehmung ausgesagt, dass er sich zwar an die Wohnungseinrichtung, nicht aber an konkrete Vorfälle erinnern kann. Unabhängig davon hat der Kläger selbst eingeräumt, dass seine Angaben im OEG-Verfahren von dem Vortrag im Strafverfahren abweichen können, was ebenfalls gegen den Erlebnisbezug spricht.

Schlussendlich ist der Senat, ebenso wie der Beklagte und das SG, trotz der aus der Aktenlage ersichtlichen Angaben der Nachbarn und den teils von den Eltern selbst eingeräumten Schwierigkeiten nicht davon überzeugt, dass mit der Erziehung die Grenzen des elterlichen Züchtigungsrechtes oder der elterlichen Sorge überschritten worden sind. Das SG hat bereits zutreffend dargelegt, dass aus dem Recht des Kindes auf gewaltfreie Erziehung nicht folgt, dass jede Vernachlässigung und jede missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge, die das körperliche, geistige oder seelische Wohl gefährdet, als Gewalttat angesehen werden kann (vgl. auch Rademacker in: Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, § 1 OEG Rz. 51).

Eine pauschale Feststellung von Schlägen durch die Eltern ist für den Anspruch auf Opferentschädigung nämlich nach der Rspr. nicht ausreichend. Entscheidend ist vielmehr die Feststellung einzelner rechtswidriger Taten, die dem Schutzbereich des § 1 Abs 1 OEG unterfallen (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 21. Februar 2013 – L 10 VE 39/10 –, juris, Rz. 21).

Des Weiteren fehlt es, ausgehend von den gesicherten Schlägen, an gesundheitlichen Schädigungen, die eine dauerhafte Beeinträchtigung erwarten lassen. Hinsichtlich der nachgewiesen drei Einzelereignissen hat
M1 versorgungsärztlich überzeugend dargelegt, dass schon Gesundheitserstschäden nicht dokumentierten sind, diese aber jedenfalls zu keinen fortdauernden Beeinträchtigungen geführt haben, die für den GdS von Relevanz sind.

Letztendlich folgt aus den zuletzt vorgelegten aktuellen Befundberichten des Zentrums für seelische Gesundheit aus 2020/2021 aber kein Befund folgt, der mit einem GdS von mindestens 25 zu bewerten ist.


Nach den VG, Teil B, Nr. 3.7 begründen Neurosen, Persönlichkeitsstörungen, Folgen psychischer Traumen in Form leichterer psychovegetativer oder psychischer Störungen einen GdB von 0 bis 20, stärkere Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) einen GdB von 30 bis 40, schwere Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten einen GdB von 50 bis 70 und mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten einen GdB von 80 bis 100. Die funktionellen Auswirkungen einer psychischen Erkrankung, insbesondere wenn es sich um eine affektive oder neurotische Störung nach F30.- oder F40.- ICD-10 GM handelt, manifestieren sich dabei im psychisch-emotionalen, körperlich-funktionellen und sozial-kommunikativen Bereich (vgl. Philipp, Vorschlag zur diagnoseunabhängigen Ermittlung der MdE bei unfallbedingten psychischen bzw. psychosomatischen Störungen, MedSach 6/2015, S. 255 ff.). Diese drei Leidensebenen hat auch das Bundessozialgericht in seiner Rechtsprechung angesprochen (vgl. BSG, Beschluss vom 10. Juli 2017 – B 9 V 12/17 B –, juris, Rz. 2). Dabei ist für die GdB-Bewertung, da diese die Einbußen in der Teilhabe am Leben in der (allgemeinen) Gesellschaft abbilden soll, vor allem die sozial-kommunikative Ebene maßgeblich (vgl. Senatsurteil vom 12. Januar 2017 – L 6 VH 2746/15 –, juris, Rz. 61). Bei dieser Beurteilung ist auch der Leidensdruck zu würdigen, dem sich der behinderte Mensch ausgesetzt sieht, denn eine „wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit“ meint schon begrifflich eher Einschränkungen in der inneren Gefühlswelt, während Störungen im Umgang mit anderen Menschen eher unter den Begriff der „sozialen Anpassungsschwierigkeiten“ fallen, der ebenfalls in den VG genannt ist. Die Stärke des empfundenen Leidensdrucks äußert sich nach ständiger Rechtsprechung des Senats auch und maßgeblich in der Behandlung, die der Betroffene in Anspruch nimmt, um das Leiden zu heilen oder seine Auswirkungen zu lindern. Hiernach kann bei fehlender ärztlicher oder der gleichgestellten (§§ 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 28 Abs. 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch – Krankenversicherung) psychotherapeutischen Behandlung durch – bei gesetzlich Versicherten zugelassene – Psychologische Psychotherapeuten in der Regel nicht davon ausgegangen werden, dass ein diagnostiziertes seelisches Leiden über eine leichtere psychische Störung hinausgeht und bereits eine stärker behindernde Störung im Sinne der GdB-Bewertungsgrundsätze darstellt (Senatsurteil vom 22. Februar 2018 – L 6 SB 4718/16 –, juris, Rz. 42; vgl. auch LSG Baden- Württemberg, Urteil vom 17. Dezember 2010 – L 8 SB 1549/10 –, juris, Rz. 31).

Hiervon ausgehend ist eine stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, die allein einen rentenberechtigenden GdS begründen könnte, nicht belegt. Zunächst war die Diagnose eines ADHS nicht zu bestätigen, sondern es konnte nur von einer Restsymptomatik einer reaktiven Bindungsstörung ausgegangen werden. Unabhängig von der diagnostischen Einordnung wird der Kläger als allseits orientiert, bewusstseinsklar und im Kontakt offen beschrieben. Die Konzentrations- und Merkfähigkeit werden nur unter Belastung als vermindert und die Grundstimmung als wechselhaft angegeben. Die affektive Schwingungsfähigkeit war erhalten und die Antrieb zeigte sich nur phasenweise reduziert. Über die Fähigkeit zum Einhalten einer regelmäßigen Tagesstruktur ist berichtet worden. Soweit aus therapeutischen Gründen „Indexsituationen“ identifiziert und bearbeitet wurden, sind schon keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass diese hinreichend hinterfragt worden sind. Jedenfalls das Eingesperrt sein, über das der Kläger vielfach berichtet hat (vgl. oben), ist nicht hinreichend belegt. Unabhängig davon wird die Behandlung als erfolgreich beschrieben, was schon dadurch bestätigt ist, dass ausdrücklich vermerkt ist, dass es keiner Medikation bedarf.

Entsprechendes ergibt sich weiter aus dem Gutachten des
Z1 aus September 2015, der den Kläger ebenfalls als wach, bewusstseinsklar und zu allen Qualitäten orientiert beschrieben hat. Die Gedächtnisfunktionen waren auch bei dessen Untersuchung nicht eingeschränkt, der Umgang mit Konfliktsituationen wird als adäquat beschrieben und die psychomotorische Unruhe als nur leicht ausgeprägt. Eine wesentliche Einschränkung der freien Willensbildung, was die hauptsächliche Fragestellung des Gutachtens war, wird ausdrücklich verneint. Schlüssig dargelegt hat der Sachverständige indessen, dass für die von ihm diagnostisch gesehene Reifungsstörung ein plausibler biographischer Hintergrund mit Vernachlässigung, Gewalt, Liebesentzug in der Herkunftsfamilie, späteren Beziehungsabbrüchen und fehlender Korrektivfunktion einer oder mehrerer Elternfiguren besteht. Der Gutachter hat damit eine multifaktorielle Entstehung der Störung herausgearbeitet und Umstände benannt, die keine entschädigungspflichtigen Tatbestände nach dem OEG beschreiben, was ebenfalls gegen einen schädigungsbedingten GdS von 30 spricht.

Die Berufung konnte daher keinen Erfolg haben und war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe hat der Senat abgelehnt. Dieser war bereits nicht entscheidungsreif, nachdem die erst am Terminstag vorgelegten Unterlagen unvollständig waren. Das nach § 117 Abs. 4 SGG zu verwendende Formular ist nicht ausgefüllt gewesen, die als Anlage beigeführte Bezugsbescheinigung von Leistungen nach dem SGB II bezog sich nur auf den Leistungszeitraum bis Ende 2023 und damit auf einen vergangenen Zeitraum. Im Übrigen kann nur die Vorlage eines Bescheides nach dem SGB XII von weiteren Angaben im Formular über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse entbinden, nicht aber Bescheide über Leistungen nach dem SGB II. Ohnehin sind hinreichende Erfolgsaussichten des Berufungsverfahrens aber nicht gegeben, wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt, sodass der Antrag auch deshalb keinen Erfolg haben konnte.



 

Rechtskraft
Aus
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