1. Welche Frist im Sinne von § 41a Abs. 3 Satz 3 SGB II angemessen ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach dem Umfang der nachzuweisenden Tatsachen.
2. Bei Selbständigen erscheint in Anlehnung an die bis zum 31. Juli 2016 geltende entsprechende Frist in § 3 Abs. 6 Alg II-V eine Zeitspanne von zwei Monaten zum Nachweis von Einkommen grundsätzlich als angemessen.
3. Eine Mindestfrist von zwei Monaten ist schon deshalb zu verneinen, weil der Gesetzgeber gerade keine starre Frist vorgesehen hat.
4. Eine Fristsetzung wird nicht schon dadurch hinfällig, dass das Jobcenter nach dem Ablauf der gesetzten Frist zunächst keine abschließende Festsetzung vorgenommen hat. Denn es ist dem Jobcenter möglich, auf einen Fristverlängerungsantrag oder andere Umstände, die eine Fristverlängerung im Einzelfall als geboten erscheinen lassen, zu reagieren.
I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 20. November 2020 aufgehoben und die Klagen werden abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Überprüfungsverfahren nach § 44 des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) über die endgültige Festsetzung von für den Zeitraum von Januar 2018 bis Juni 2018 vorläufig bewilligten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II). In diesem Zusammenhang ist auch streitig, ob die Klägerin zu 2 vorläufig bewilligte Leistungen für Bildung und Teilhabe zu erstatten hat.
Die Klägerin zu 1 ist die Mutter der 2003 geborenen Klägerin zu 2, des 2004 geborenen Klägers zu 3, des 2010 geborenen Klägers zu 4 sowie des 2015 geborenen Klägers zu 5.
Die Kläger lebten zusammen mit dem Ehemann der Klägerin zu 1 und Vater der Kläger zu 4 und 5, W.... (Im Folgenden: W.), als Bedarfsgemeinschaft in A.....
Die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft standen seit längerem im Leistungsbezug bei dem Beklagten. Zum 12. September 2017 nahm W. eine selbstständige Tätigkeit auf und betrieb die P.... Cocktail-Bar in B.....
Am 28. November 2017 stellte die Klägerin zu 1 für die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft einen Weiterbewilligungsantrag für den Zeitraum ab dem 1. Januar 2018. Am 19. Januar 2018 reichte W. die Anlage EKS (zur vorläufigen oder abschließenden Erklärung zum Einkommen aus selbständiger Tätigkeit, Gewerbebetrieb oder Land- und Forstwirtschaft im Bewilligungszeitraum) mit vorläufiger Erklärung zum Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit ein und machte Angaben zum Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit wiederum unter Mithilfe der Buchhalterin N..... Für die Monate Januar bis Juni 2018 ergab sich jeweils ein "negativer" Gewinn.
Mit Bescheid vom 25. Januar 2018 bewilligte der Beklagte den Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts mit einem monatlichen Gesamtbetrag für Januar 2018 in Höhe von 1.081,23 EUR und für Februar 2018 bis Juni 2018 in Höhe von jeweils 1.084,56 EUR. Dabei berücksichtigte er als Einkommen aus Erwerbstätigkeit des W. einen Betrag in Höhe von monatlich 745,17 EUR, den er nach Abzug eines Freibetrags mit einem Betrag von 516,14 EUR bedarfsmindernd berücksichtigte. Die Entscheidung über die vorläufige Bewilligung beruhe auf § 41a Abs. 1 SGB II. Die Einnahmen und Ausgaben aus selbstständiger Tätigkeit seien aufgrund der Angaben von W. zum voraussichtlichen Einkommen zunächst vorläufig festgesetzt worden. Dabei sei teilweise von den Angaben von W. abgewichen worden. Nach Ablauf des vorläufigen Bewilligungszeitraums bestehe die Verpflichtung, die tatsächlichen Einnahmen und Ausgaben im Bewilligungszeitraum nachzuweisen und alle weiteren leistungserheblichen Tatsachen mitzuteilen. Dies sei erforderlich, um den Leistungsanspruch mit Bescheid für den gesamten Bewilligungszeitraum abschließend festzusetzen. Die Bedarfsgemeinschaft, bzw. W., werde daher gebeten, den Vordruck "Anlage zur vorläufigen und abschließenden Erklärung zum Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit, Gewerbebetrieb oder Land- und Fortwirtschaft im Bewilligungszeitraum" zu verwenden und Angaben zum abgelaufenen Bewilligungszeitraum zu machen. Der ausgefüllte Vordruck mit den entsprechenden Nachweisen über die Ausgaben und Einnahmen sei unverzüglich nach Ende des Bewilligungszeitraums einzureichen. Auf den Inhalt des Bescheides im Übrigen wird Bezug genommen (Blatt 115 Leistungsakte).
Mit Änderungsbescheid vom 31. Januar 2018 bewilligte der Beklagte für Januar 2018 weiterhin vorläufig nunmehr einen Gesamtbetrag für Januar 2018 in Höhe von 1.861,11 EUR und berücksichtigte dabei Kosten, die aus einer Heizkostenabrechnung und einem Abfallgebührenbescheid entstanden waren.
Mit Schreiben vom 30. Juli 2018 forderte der Beklagte von W. die benötigten Unterlagen zur endgültigen Festsetzung des Leistungsanspruchs im streitigen Zeitraum an, insbesondere die Anlage zur abschließenden EKS für den Zeitraum vom 1. Januar 2018 bis zum 30. Juni 2018. Für die Beibringung der Unterlagen setzte er eine Frist bis zum 31. Oktober 2018. Gleichzeitig erteilte er den Hinweis, dass er für den Fall, dass W. die erforderlichen Unterlagen nicht oder nicht vollständig einreichen werde, feststellen werde, dass kein Leistungsanspruch bestanden habe. Dies bedeute, dass die in diesem Zeitraum nur vorläufig bewilligten Leistungen zu erstatten seien. Das Schreiben enthielt ferner den Hinweis, dass sich W. für den Fall, dass ihm die fristgemäße Vorlage der Unterlagen nicht möglich sei, vor Ablauf der Frist mit dem Beklagten in Verbindung setzen solle, damit geprüft werden könne, ob ihm eine Fristverlängerung eingeräumt werden könne.
Am 7. August 2018 kam es zu einem Gespräch zwischen zwei Mitarbeiterinnen des Beklagten und W. Ausweislich des darüber gefertigten Aktenvermerkes wurde der Termin anberaumt, um mit W. seine nachgereichte Anlage zur vorläufigen EKS für den Zeitraum von Juli 2018 bis Dezember 2018 zu besprechen. In dem Gespräch ging es zum einen um die Anlage zur vorläufigen EKS für den vorgenannten Zeitraum. W. wurde erläutert, dass die darin enthaltenen Ausgaben viel zu hoch seien. Zum anderen ging es um eventuell vorhandenes Vermögen des W. In dem Aktenvermerk heißt es den hier streitigen Bewilligungszeitraum betreffend unter anderem:
„Die angeforderte Aufstellung der Ein-/Ausgaben für den ZR 01/18 – 06/18 konnte Herr W.... heute nicht vorlegen -> nach seiner Aussage war die Frist zu kurz“.
Am Ende des Aktenvermerks heißt es:
„Herr W.... nochmals darauf hingewiesen sowie auch in den Mitwirkungsschreiben vom 30.07.2018 erinnert bzw. aufgefordert, dass er die aEKS für die Zeiträume 09 - 12/17 und 01 - 06/18 bis spät. 15.10.2018 bzw. 31.10.2018 einreichen muss. Sollte dies nicht erfolgen, wird eine Rückforderung der gesamten Leistung erfolgen."
Mit Schreiben vom 20. August 2018 übersandte der Beklagte der Klägerin zu 1 eine Mehrfertigung des Aktenvermerks vom 7. August 2018.
Der Beklagte erinnerte W. mit Schreiben vom 1. Februar 2019 an die Übersendung der Unterlagen zur endgültigen Festsetzung des Leistungsanspruchs und der Anlage zur abschließenden EKS. Darüber hinaus forderte der Beklagte die Anlage VM (zur Selbstauskunft/Feststellung der Vermögensverhältnisse der Bedarfsgemeinschaft) an. W. wurde eine Frist zur Einreichung der Nachweise bis zum 15. März 2019 gesetzt. Eine Mehrfertigung dieses Schreibens wurde der Klägerin zu 1 per Einwurfeinschreiben übersandt, ohne dass der Beklagte einen Rückläufer verzeichnen konnte. Auch dieses Schreiben enthielt den Hinweis über die Möglichkeit der Beantragung einer Fristverlängerung.
Mit an die Klägerin zu 1 gerichtetem Bescheid vom 27. Mai 2019 stellte der Beklagte fest, dass für sie und die mit ihr in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen für die Zeit vom 1. Januar 2018 bis zum 30. Juni 2018 ein Leistungsanspruch nicht bestanden habe. Die Klägerin zu 1 habe trotz der Aufforderungen vom 30. Juli 2018 und 1. Februar 2019 die abschließenden Angaben zum Einkommen aus der Selbstständigkeit ihres Mannes (Anlage EKS) sowie die Anlage VM nicht vorgelegt. Mit weiterem Bescheid vom 27. Mai 2019 forderte der Beklagte aufgeschlüsselt nach Monaten und Personen die Erstattung der im vorgenannten Zeitraum vorläufig erbrachten Leistungen gegenüber der Klägerin zu 1 in Höhe von 2.007,55 EUR, gegenüber der Klägerin zu 2 in Höhe von 956,51 EUR, gegenüber dem Kläger zu 3 in Höhe von 953,90 EUR, gegenüber der Klägerin zu 4 in Höhe von 848,11 EUR und gegenüber dem Kläger zu 5 in Höhe von 510,29 EUR. Mit gesondertem Bescheid vom 27. Mai 2019 forderte er von W. die Erstattung in Höhe von 2.007,55 EUR. Die Kläger erhoben keinen Widerspruch gegen die Bescheide vom 27. Mail 2019.
Am 4. Oktober 2019 stellte die nunmehr anwaltlich vertretene Klägerin zu 1 für sich und ihre Kinder einen Überprüfungsantrag im Hinblick auf den Bescheid vom 27. Mai 2019 und fügte dem Antrag die am 4. Oktober unterschriebene Anlage zur abschließenden EKS bei. Sie hätten die Anlage EKS nicht früher an den Beklagten zurücksenden können, weil die Firma Buchungsservice N.... die Unterlagen erst in dieser Woche übersandt habe. Aus den beigefügten Angaben zum Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit ergab sich für die Monate Januar 2018 bis Juni 2018 jeweils ein "negativer" Gewinn.
Mit Bescheid vom 22. November 2019 lehnte der Beklagte die Überprüfung des Bescheides vom 27. Mai 2019 ab. Zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides hätten weder die geforderten Unterlagen noch ein Antrag auf Fristverlängerung vorgelegen. Die im Überprüfungsantrag nachgereichte Anlage EKS könne daher nicht berücksichtigt werden. Zudem fehle auch die angeforderte Anlage VM.
Mit Schreiben vom 29. November 2019, eingegangen am 6. Dezember 2019, legten die Kläger Widerspruch gegen den Bescheid vom 22. November 2019 ein. Zur Begründung wiederholten sie zunächst den Vortrag aus dem Überprüfungsantrag vom 4. Oktober 2019. W. habe sich mehrfach bei seiner Buchhalterin darum bemüht, dass diese die Einnahmen-Überschuss-Rechnung fertigstelle. Die Buchhalterin habe die notwendigen Unterlagen trotz mehrfacher Aufforderung leider erst mit E-Mail vom 27. September 2019 zur Verfügung gestellt. Als Anlage zum Widerspruchsschreiben übersandten sie die Anlage VM. Darin gab die Klägerin zu 1 an, dass sie über 50,00 EUR und W. über 100,00 EUR bis 150,00 EUR Bargeld in der Woche sowie W. über einen BMW mit einem Kilometerstand von 220.000 km verfüge. Weitere Angaben finden sich in der Anlage VM nicht.
Mit Widerspruchsbescheid vom 29. Januar 2020 wies der Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 22. November 2019 zurück.
Hiergegen haben die Kläger am 2. März 2020 Klage (Az.: S 6 AS 384/20) erhoben. Ihnen sei nicht mehr erinnerlich, über die Rechtsfolgen bei fehlender Mitwirkung belehrt worden zu sein. Sie hätten mehrfach bei dem Beklagten vorgesprochen und erklärt, weshalb die geforderte Erklärung über das Einkommen von W. nicht vorgelegt werden könne. Sie seien nicht in der Lage gewesen, die geforderten Auskünfte zu erteilen, weil die Buchhalterin von W. trotz mehrfacher Aufforderung die notwendigen Unterlagen nicht erstellt habe. Dies sei dem Beklagten auch bei jeder persönlichen Vorstellung von der Klägerin zu 1 so mitgeteilt worden. Erst nach mehrfacher Aufforderung auch durch den späteren Prozessbevollmächtigten seien die Unterlagen erstellt und mit E-Mail vom 27. September 2019 zur Verfügung gestellt worden. Die von der Beklagten behaupteten mehrfachen Aufforderungen, die entsprechenden Nachweise für den streitigen Zeitraum zu erbringen, seien in der Verwaltungsakte nicht zu finden.
Der Beklagte hat daraufhin Zweitschriften der Schreiben an W. vom 30. Juli 2018 und vom 1. Februar 2019 sowie die Weiterleitungsschreiben an die Klägerin zu 1 übersandt.
Dem vom Sozialgericht Dresden hinzuverbundenen Verfahren Az.: S 6 AS 384/20 liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Mit Bescheid vom 22. Februar 2018 bewilligte der Beklagte der Klägerin zu 2 einen Betrag in Höhe von 100,00 EUR als Leistung für Bildung und Teilhabe für eine mehrtägige Klassenfahrt im April 2018. Die Bewilligung erfolgte vorläufig und enthielt den Hinweis, dass nach endgültiger Festsetzung des Leistungsanspruchs auch über die Leistung für Bildung und Teilhabe endgültig entschieden werde.
Mit Bescheid vom 4. Dezember 2012 forderte der Beklagte von der Klägerin zu 2 die Erstattung des mit Bescheid vom 22. Februar 2018 bewilligten Betrages in Höhe von 100,00 EUR. Im Rahmen der endgültigen Festsetzung für den Bewilligungszeitraum vom 1. Januar 2018 bis zum 30. Juni 2018 sei festgestellt worden sei, dass die Klägerin zu 2 keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts habe. Den hiergegen unter dem 18. Dezember 2019 eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29. Januar 2020 zurück. Auch hiergegen haben die Kläger am 2. März 2020 Klage erhoben (Az.: S 6 AS 384/20)
Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 20. November 2020 die beiden Klagen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.
In der mündlichen Verhandlung vom 20. November 2020 hat das Sozialgericht W., der Beteiligter in einem anderen in diesem Termin mitverhandelten Verfahren gewesen ist, angehört sowie die Zeuginnen M.... und L...., Mitarbeiterinnen des Beklagten, zu dem Inhalt des Gesprächs am 7. August 2018 und die Zeugin N.... zur verspäteten Übersendung der Anlage zur abschließenden EKS gehört. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 20. November 2020 verwiesen (Bl. 47 ff. der Gerichtsakte).
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 20. November 2020 den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 22. Januar 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Januar 2020 und des Bescheides vom 4. Dezember 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Januar 2020 verpflichtet, den Klägern Leistungen in gesetzlicher Höhe nach Maßgabe der Rechtsauffassung des Gerichts zu bewilligen. Die Voraussetzungen für eine Null-Festsetzung hätten hinsichtlich der Leistungsansprüche für Januar 2018 bis Juni 2018 und für die Leistung für Bildung und Teilhabe nicht vorgelegen. Der Beklagte habe nach Ablauf der zunächst gesetzten Frist bis Oktober 2018 keine weitere Entscheidung getroffen, sondern mit Schreiben vom 1. Februar 2019 erneut eine Frist zum 15. März 2019 gesetzt. Die erneute Fristsetzung sei zu kurz gewesen, da für die Erstellung einer Einnahmen-Überschuss-Rechnung eine Fristsetzung von mindestens zwei Monaten notwendig und angemessen sei. Die Fristsetzung werde auch nicht dadurch zu einer angemessen langen Frist, dass der Beklagte weiter bis zum 27. Mai 2019 zugewartet habe, ohne eine weitere Frist zusetzen. Darüber hinaus habe der Beklagte im Fristsetzungsschreiben auch angekündigt, dass gegebenenfalls noch ein Kontenabrufverfahren durchgeführt werde, sollten keine Mitteilungen der Kläger erfolgen. Die Kläger hätten davon ausgehen können, dass der Beklagte noch weiter ermittele. Die Voraussetzungen für die Null-Festsetzung gemäß § 41a Abs. 3 Satz 3 und 4 SGB II hätten auch deswegen nicht vorgelegen, weil nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme eine abschließende Einnahmen-Überschuss-Rechnung für W. erst Ende September 2019 vorgelegen habe und somit eine frühere Vorlage für die Kläger unmöglich gewesen sei. Der Fristablauf könne den Klägern auch nicht vorgehalten werden, da sie nach glaubhaften Angaben der Klägerseite mehrfach vorgesprochen hätten, um darauf hinzuweisen, dass der Buchungsservice N.... die Unterlagen noch habe und keine Einnahmen-Überschuss-Rechnung vorliege. Diese Angaben der Kläger seien durch die Zeugin N.... bestätigt worden, die als Buchhalterin von W. angegeben habe, wegen Arbeitsüberlastung die Unterlagen nicht fristgemäß fertiggestellt und einbehalten zu haben. Die Zeugin habe auch bestätigt, dass sie die Unterlagen bei sich behalten und aufbewahrt habe. Danach sei davon auszugehen, dass die Klägerin zu 1 nicht in der Lage gewesen sei, die Unterlagen an den Beklagten herauszugeben.
Gegen das ihm am 29. Dezember 2020 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 11. Januar 2021 Berufung eingelegt. Die erstmalige Fristsetzung vom 30. Juli 2018 bis zum 31. Oktober 2018 sei ausreichend lang bemessen gewesen, um die Anlage EKS auszufüllen und einzureichen. Seitens der Kläger sei keine Rückmeldung an den Beklagten erfolgt, dass und warum die Frist nicht habe eingehalten werden können.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 20. November 2020 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Ihnen sei nicht erinnerlich, dass sie über die Rechtsfolgen bei fehlender Mitwirkung belehrt worden seien und sie würden dies vorsorglich bestreiten. Darüber hinaus hätten sie mehrfach bei dem Beklagten vorgesprochen und erklärt, weshalb die geforderte Erklärung über das Einkommen von W. nicht habe vorgelegt werden können. Ferner seien sie nicht über die Möglichkeit der Beantragung einer Fristverlängerung aufgeklärt worden.
In der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat zum 8. Mai 2024 hat W. unter anderem erklärt, dass er mit der Zeugin N.... beim Beklagten gewesen sei. Die Beklagtenvertreterin hat diesbezüglich angegeben, dass sie betreffend den streitbefangenen Zeitraum keinen Aktenvermerk über ein Gespräch oder eine Anwesenheit der Zeugin N.... gefunden habe. Auch Korrespondenz mit ihr habe es nicht gegeben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitverhältnisses wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen sowie der Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen. Die vorbenannten Akten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
I. Der Senat konnte entscheiden, obwohl die Kläger und ihr anwaltlicher Prozessbevollmächtigter in der mündlichen Verhandlung nicht anwesend waren, weil sie ordnungsgemäß zu dem Termin geladen und darauf hingewiesen worden sind, dass auch im Fall ihres Ausbleibens entschieden werden kann (vgl. § 153 Abs. 1 i. V. m. § 110 Abs. 1 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]).
II. Streitgegenstand des vorliegenden Berufungsverfahrens ist neben der erstinstanzlichen Entscheidung der Überprüfungsbescheid des Beklagten vom 22. November 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Januar 2020, mit dem der Beklagte die Abänderung der Bescheide vom 27. Mai 2019 abgelehnt hat. Gegenstand ist ferner der Bescheid vom 4. Dezember 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Januar 2020, mit dem der Beklagte von der Klägerin zu 2 die Erstattung der vorläufig bewilligten Leistung zur Bildung und Teilhabe in Höhe von 100,00 EUR gefordert hat.
III. Die Berufung des Beklagten ist zulässig und insbesondere statthaft. Dies gilt auch im Hinblick auf das durch das Sozialgericht hinzuverbundene Verfahren (vormals Az.: S 6 AS 384/20), bei dem ein Betrag in Höhe von 100,00 EUR streitig ist. Zwar ist die Zulässigkeit von Rechtsmitteln bei § 144 Abs. 1 SGG auch bei Verbindung von Rechtsstreitigkeiten (vgl. § 113 Abs. 1 SGG) grundsätzlich hinsichtlich jedes selbstständigen prozessualen Anspruchs gesondert zu betrachten (vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 2020 – B 10 ÜG 1/19 R – SozR 4-1720 § 198 Nr. 20 = juris Rdnr. 41, m. w. N.; BSG, Urteil vom 30. Juni 2021 – B 4 AS 70/20 R – BSGE 132, 255 ff. = juris Rdnr. 15).
Wenn die in Streit stehenden Leistungen aber – wie hier – im Wesentlichen auf demselben Rechtsverhältnis (Stammrecht) oder demselben Entstehungsgrund beruhen, ist für die Bewertung des Wertes des Beschwerdegegenstandes am Maßstab von § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG nicht entscheidend, ob diese Leistungen durch einen oder mehrere prozessuale Ansprüche geltend gemacht werden müssen (vgl. BSG, Urteil vom 30. Juni 2021 – B 4 AS 70/20 R – SozR 4-1500 § 144 Nr. 11 = juris, Rdnr. 30). Dies gilt auch bei Verbindung von Rechtsstreitigkeiten (vgl. z. B. BSG, Urteil vom 25. Februar 1966 – 3 RK 9/63 – juris Rdnr. 9, BSG, Urteil vom 8. Oktober 1981 – RAr 72/80 – juris Rdnr. 22; BSG, Urteil vom 6. August 2019 – B 14 AS 182/18 B – Rdnr. 4 m. w. N.).
IV. Die Berufung des Beklagten ist auch begründet.
1. Die Berufung ist, soweit sie die Klagen der Kläger zu 1, 3, 4 und 5 gegen den Erstattungsbescheid vom 4. Dezember 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Januar 2020 betrifft, bereits deshalb erfolgreich, weil die Klagen unzulässig sind. Gegenstand dieses Bescheides ist allein eine gegen die Klägerin zu 2 gerichtete Forderung auf Erstattung der von ihr vorläufig gewährten Leistung auf Bildung und Teilhabe, so dass die Kläger zu 1, 3, 4 und 5 nicht durch diesen Bescheid im Sinne von § 54 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 SGG beschwert sind.
2. Der Bescheid vom 22. November 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Januar 2020, mit dem der Beklagte die Abänderung der Bescheide vom 27. Mai 2019 abgelehnt hat, ist rechtmäßig.
Rechtsgrundlage für diesen Bescheid ist § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei dessen Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Dementsprechend ist eine Änderung des zu überprüfenden Bescheides abzulehnen, wenn sich der zu überprüfende Bescheid als rechtmäßig erweist.
Der Bescheid vom 27. Mai 2019 über die abschließende Festsetzung des Leistungsanspruchs ist rechtmäßig. Mit diesem Bescheid hat der Beklagte nach der durch Bescheid vom 25. Januar 2018 erfolgten vorläufigen Bewilligung von Leistungen für die Kläger für den Zeitraum vom 1. Januar 2018 bis zum 30. Juni 2018 für diesen Zeitraum zur Recht endgültig über den Leistungsanspruch der Kläger entschieden und festgestellt, dass die Kläger keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts haben.
a) Rechtsgrundlage für die endgültige Festsetzung ist § 41a Abs. 3 SGB II. Nach § 41a Abs. 3 Satz 1 SGB II entscheiden die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende abschließend über den monatlichen Leistungsanspruch, sofern die vorläufig bewilligte Leistung nicht der abschließend festzustellenden entspricht oder die leistungsberechtigte Person eine abschließende Entscheidung beantragt. Nach § 41a Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 SGB II sind die leistungsberechtigte Person und die mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nach Ablauf des Bewilligungszeitraums verpflichtet, die von den Trägern der Grundsicherung für Arbeitsuchende zum Erlass einer abschließenden Entscheidung geforderten leistungserheblichen Tatsachen nachzuweisen. Die §§ 60, 61, 65 und 65a des Sozialgesetzbuches Erstes Buch – Allgemeiner Teil – (SGB I) gelten entsprechend (vgl. § 41a Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 SGB II). Kommen die leistungsberechtigte Person oder die mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen ihrer Nachweis- oder Auskunftspflicht bis zur abschließenden Entscheidung nicht, nicht vollständig oder trotz angemessener Fristsetzung und schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen nicht fristgemäß nach, setzen nach § 41a Abs. 3 Satz 3 SGB II die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende den Leistungsanspruch für diejenigen Kalendermonate nur in der Höhe abschließend fest, in welcher seine Voraussetzungen ganz oder teilweise nachgewiesen wurden. Für die übrigen Kalendermonate wird nach § 41a Abs. 3 Satz 4 SGB festgestellt, dass ein Leistungsanspruch nicht bestand.
Die Voraussetzungen des § 41a Abs. 3 Satz 3 und 4 SGB II für eine abschließende Feststellung der Leistungsansprüche der Kläger für die Zeit vom 1. Januar 2018 bis zum 30. Juni 2018 mit Null lagen vor. W. kam seiner Auskunfts- und Nachweispflicht bis zur abschließenden Entscheidung trotz angemessener Fristsetzung und schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen nicht fristgemäß nach. Die Kläger selbst tätigten keine für die abschließende Entscheidung maßgebenden Angaben.
(1) W. kam der Aufforderung des Beklagten aus dessen Schreiben vom 30. Juli 2018 und 1. Februar 2019, einen ausgefüllten Anlagebogen zur abschließenden Erklärung zum Einkommen aus der selbstständigen Tätigkeit für den Zeitraum vom 1. Januar 2018 bis zum 30. Juni 2018 vorzulegen, nicht rechtzeitig nach. Er legte die Anlage zur abschließenden EKS erst mit dem Überprüfungsantrag vom 4. Oktober 2019 vor. Damit reichte er die Unterlagen weder innerhalb der vom Beklagten mit Schreiben vom 30. Juli 2018 bis zum 31. Oktober 2018 gesetzten Frist, die aufgrund des Feiertages gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Verbindung mit § 26 Abs. 3 Satz 1 SGB X am Donnerstag, dem 1. November 2018 endete, noch innerhalb der mit Erinnerungsschreiben vom 1. Februar 2019 bis zum 15. März 2019 gesetzten Frist ein. Die geforderten Angaben waren jedoch leistungserheblich, weil die Hilfebedürftigkeit der Kläger nach § 7 Abs. 1 Nr. 3, § 9, § 11 SGB II in Verbindung mit der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung – Alg II-V) sowie § 41a Abs. 4 SGB in der bis zum 31. März 2021 geltenden Fassung und damit die Höhe ihrer Leistungsansprüche nur mit der Angabe, in welcher Höhe W. Einkünfte aus seiner selbständigen Tätigkeit als Betreiber einer Cocktailbar im streitigen Zeitraum erzielt hatte, festgestellt werden kann.
(2) W. und die Kläger sind hinreichend schriftlich über die Rechtsfolgen einer nicht fristgemäßen Zuarbeit belehrt worden. Die Schreiben vom 30. Juli 2018 und vom 1. Februar 2019 enthielten den Hinweis, dass der Beklagte für den Fall, dass W. die erforderlichen Unterlagen nicht oder nicht vollständig einreiche, feststellen werde, dass kein Leistungsanspruch bestanden habe. Darin liegt eine hinreichende Belehrung über die Rechtsfolgen.
W. hat die Schreiben vom 30. Juli 2018 und 1. Februar 2019 auch erhalten. Für das Schreiben vom 30.Juli 2018 ergibt sich dies auch aus dem Aktenvermerk über das Gespräch vom 7. August 2018, in dem W. nochmals auf das Mitwirkungsschreiben vom 30. Juli 2018 hingewiesen wurde und er die Frist als zu kurz befand. Aktenkundig hat der Beklagte der Klägerin zu 1 auch eine Abschrift dieses Vermerks übersandt. Der Senat hat auch keinen Zweifel daran, dass W. das Schreiben vom 1. Februar 2019 erhalten hat. Die Kläger haben zu keinem Zeitpunkt bestritten, dass W. die Schreiben vom 30. Juli 2018 und 1. Februar 2019 erhalten hat, auch nicht, dass die Klägerin zu 1 Abschriften des Vermerks vom 7. August 2018 und des Schreiben s vom 1. Februar 2019 erhalten hat. Die Kläger haben im Klage- und Berufungsverfahren lediglich erklärt, dass ihnen "nicht erinnerlich“ sei, dass sie über die Rechtsfolgen belehrt worden sind.
(3) Das Schreiben des Beklagten vom 30. Juli 2018 enthielt eine angemessene Fristsetzung zur Vorlage der abgeforderten Angaben.
Welche Frist angemessen ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach dem Umfang der nachzuweisenden Tatsachen (vgl. Kemper, in: Luik/Harich, SGB II [6. Aufl., 2024], § 41a Rdnr. 50). Zu berücksichtigen ist dabei insbesondere der Aufwand, der mit der Beschaffung der erforderlichen Nachweise typischerweise verbunden ist, aber auch die bisherige Verfahrensführung durch das Jobcenter und das bisherige Verhalten des Leistungsempfängers (vgl. Grote-Seifert, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II [5. Aufl., 2020], § 41a Rdnr. 50). Bei Selbständigen erscheint in Anlehnung an die bis zum 31. Juni 2016 geltende entsprechende Frist in § 3 Abs. 6 Alg II-V eine Zeitspanne von zwei Monaten zum Nachweis von Einkommen grundsätzlich als angemessen (vgl. Grote-Seifert, a. a. O.). Eine Mindestfrist von zwei Monaten ist aber schon deshalb zu verneinen, weil der Gesetzgeber gerade keine starre Frist vorgesehen hat (vgl. Grote-Seifert a. a. O.; Hengelhaupt, in: Hauck/Noftz SGB II [2. Erg.-Lfg. 2024], § 41a Rdnr. 347). Je nach den Umständen des Einzelfalls kann auch eine kürzere Frist zwischen einem und zwei Monaten als angemessen angesehen werden (vgl. Grote-Seifert, a. a. O., m. w. N.).
Unter Berücksichtigung dieser Maßgaben ist bereits die vom Beklagten im Bescheid vom 30. Juli 2018 bis zum 31. Oktober 2018 gesetzte, knapp dreimonatige Frist für die Vorlage einer abschließenden EKS für den Zeitraum vom Januar 2018 bis Juni 2018 als angemessen zu beurteilen. Der Beklagte räumte dem W. mit knapp drei Monaten damit schon eine längere als die grundsätzlich als angemessen betrachtete Frist von zwei Monaten ein. Besondere Umstände, die vorliegend eine noch längere Frist rechtfertigen würden, kann der Senat nicht erkennen. Zwar erachtete W. im Rahmen des Gesprächs am 7. August 2018 die Frist als zu kurz, gab aber keine Gründe dafür an, warum eine Bearbeitung innerhalb der gesetzten Frist nicht erfolgen könne, zumal auch nach dem 7. August 2018 noch weit über zwei Monate zur Bearbeitung verblieben. Ferner ist zu berücksichtigen, dass der Beklagte bereits in dem Bewilligungsbescheid vom 25. Januar 2018 ausführlich und unmissverständlich über die Verpflichtung, unverzüglich nach Ablauf des Bewilligungszeitraums die tatsächlichen Einnahmen und Ausgaben nachzuweisen und die abschließende Anlage EKS zu übersenden, informiert hatte, und W. sich hierauf entsprechend vorbereiten konnte.
Die Zeugin N.... hat angegeben, dass ihre Zuarbeit immer nach zwei Monaten rausgegangen sei, so dass sich auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass W. auf die Zuarbeit Dritter angewiesen war, keine andere Bewertung der Fristsetzung ergibt.
Etwas anderes folgt auch nicht aus der Behauptung der Kläger, dass W. und die Klägerin zu 1 immer wieder bei dem Beklagten vorgesprochen hätten, um Probleme bei der Zuarbeit durch das Buchungsbüro zu schildern. Solche Vorsprachen innerhalb der laufenden Frist lassen sich – abgesehen von dem Gespräch am 7. August 2018 – den Akten nicht entnehmen und werden durch den Beklagten auch bestritten. Zudem haben die Kläger keinen Widerspruch gegen die Bescheide vom 27. Mai 2019 eingelegt, obwohl dies nahegelegen hätte, wenn sie tatsächlich zuvor eine notwendige Fristverlängerung erbeten hätten. Nachdem die Kläger auch auf gerichtliche Nachfrage den Zeitpunkt der behaupteten Vorsprachen nicht angeben haben, war der Senat aufgrund fehlender Anknüpfungspunkte nicht gehalten, diesbezüglich noch weitere Ermittlungen durchzuführen.
Auch die mit Erinnerungsschreiben vom 1. Februar 2019 erneut eingeräumte Frist ist als angemessen anzusehen. Anders als vom Sozialgericht angenommen, ist die mit Schreiben vom 1. Februar 2019 gesetzte Frist im Hinblick auf ihre Angemessenheit nicht als neue, erstmalige Fristsetzung zu beurteilen, sondern als Erinnerung an die bereits mit Schreiben vom 30. Juli 2018 angeforderten Unterlagen. Dies folgt bereits aus der Überschrift „LETZTE ERINNERUNG zur Anforderung von Unterlagen zur endgültigen Festsetzung des Leistungsanspruchs“. Wenn in einem als Erinnerung bezeichneten Schreiben erneut eine Frist festgesetzt wird, wird die ursprüngliche Frist konkludent verlängert und keine neue, originäre Frist gesetzt.
Der Senat kann offenlassen, ob eine Frist von knapp sechs Wochen regelmäßig als angemessene Frist im Sinne von § 41a Abs. 3 Satz 3 SGB II anzusehen ist. Denn bei einer Erinnerung ist die Angemessenheit der Frist nicht allein nach der erneuten Fristsetzung zu beurteilen. Zu den berücksichtigenden Umständen des Einzelfalls gehört hier auch, dass bereits mit der ersten Fristsetzung der zu den Angaben Verpflichtete, nämlich W., Gelegenheit hatte, alles in die Wege zu leiten, um die erforderlichen Angaben innerhalb der Frist tätigen und mit den notwendigen Nachweisen belegen zu können. Um dem nachkommen zu können wurde ihm lediglich noch eine Fristverlängerung eingeräumt.
Die Fristsetzung wurde auch nicht zwischenzeitlich dadurch hinfällig, dass der Beklagte nach Ablauf der bis zum 31. Oktober 2018 gesetzten Frist zunächst keine abschließende Festsetzung vorgenommen hat. Zwar handelt es sich bei der Entscheidung nach § 41a Abs. 3 Satz 3 und 4 SGB II um eine gebundene Entscheidung, so dass der Leistungsträger bei Vorliegen der Voraussetzungen kein Ermessen hat. Andererseits entscheidet er aber auch darüber, welche Frist zur Vorlage der Unterlagen zu setzen ist. Das Gesetz hat keine starren Fristen vorgesehen, sondern es dem Leistungsträger überlassen, eine angemessene Frist zu bestimmen. In diesem Rahmen ist es dem Leistungsträger möglich, auf einen Fristverlängerungsantrag oder andere Umstände zu reagieren, die eine Fristverlängerung im Einzelfall als geboten erscheinen lassen.
Schließlich konnten weder W. noch die Klägerin zu 1 davon ausgehen, dass die Fristsetzung unverbindlich seien werde, weil der Beklagte unter anderem auch angegeben hatte, dass gegebenenfalls noch ein Kontenabrufverfahren durchgeführt werde, sofern keine Mitteilungen seitens der Kläger erfolgen sollte. Denn damit kündigte der Beklagte nicht Ermittlungen von Amts wegen an, sondern informierte lediglich über eine in Betracht kommende Handlungsalternative.
Insgesamt hatte W. seit der ersten Fristsetzung mit Schreiben vom 30. Juli 2018 weit über sechs Monate Zeit, die abschließende Anlage EKS vorzulegen, was der Senat in jedem Fall als eine angemessene Fristsetzung erachtet.
(4) Es war W. auch möglich, die angeforderten Unterlagen innerhalb der ihm bis zum 31. Oktober 2018 gesetzten und bis zum 15. März 2019 verlängerten Frist einzureichen.
Grundsätzlich setzt die abschließende Festsetzung auf der Grundlage von § 41a Abs. 3 Satz 3 und 4 SGB II voraus, dass die Mitwirkungsobliegenheit tatsächlich in dem Umfang, wie vom Grundsicherungsträger gefordert, erfüllbar gewesen sein muss (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 30. November 2022 – L 15 AS 248/20 – juris Rdnr. 32). Zur Mitwirkungsobliegenheit gehört auch, dass bei einer Inanspruchnahme von Dienstleistungen Dritter diese zeitnah nach der Aufforderung durch den Grundsicherungsträger vom Verpflichteten beauftragt werden, und dass für die fristgerechte Auftragserledigung durch die Dritten vom Verpflichteten Sorge getragen wird.
Vorliegend ist unerheblich, dass W. die Anlage abschließenden EKS tatsächlich erst am 27. September 2019 per E-Mail von dem Buchungsbüro N.... erhalten hat. Es kommt nämlich darauf an, ob es dem zur Mitwirkung Verpflichteten unter Berücksichtigung gegebenenfalls erforderlicher Zuarbeiten Dritter möglich gewesen ist, die angeforderten Unterlagen innerhalb der vom Grundsicherungsträger gesetzten Frist vorzulegen. Dies ist unter Zugrundelegung des aktenkundigen Sachverhalts und der Angaben der Zeugin N.... in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht zu bejahen. Die Zeugin hat in der mündlichen Verhandlung ausgesagt, dass „das dies immer so zeitlich versetzt nach zwei Monaten“ an W. rausgegangen ist, ferner wörtlich „BWAs gehen üblicherweise raus, so wie sie gemacht werden“. Hieraus folgert der Senat, dass das Buchungsbüro für die Erstellung einer EKS ungefähr eine Bearbeitungszeit von etwa zwei Monaten benötigte. Zwischen der ersten Aufforderung vom 30. Juli 2018 und dem Ablauf der zuletzt gesetzten Frist am 15. März 2019 lagen weit über sechs Monate. Unter Berücksichtigung einer regelmäßigen Bearbeitungszeit von zwei Monaten war eine Abgabe der abschließenden EKS innerhalb von zwei Monaten, in jedem Fall aber bis zum 15. März 2019 möglich.
Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Vortrag der Kläger, dass das Buchungsbüro N.... die abschließende EKS zu spät gefertigt habe, obwohl sie beziehungsweise W. immer wieder an die Bearbeitung erinnert hätten. Mit einem solchen Vortrag könnten die Kläger nur gehört werden, wenn nachgewiesen wäre, dass W. die Unterlagen rechtzeitig an das Buchungsbüro N.... übergeben hätte. Die Kläger haben jedoch trotz richterlicher Aufforderung weder vorgetragen, zu welchem Zeitpunkt die Unterlagen für den Bewilligungszeitraum Januar 2018 bis Juni 2018 der Buchhalterin N.... übergeben noch zu welchen Zeitpunkten die Zeugin N.... an die Bearbeitung erinnert wurde. Die Kläger haben damit weder substantiiert vorgetragen und erst recht nicht nachgewiesen, dass W. die für die abschließende EKS erforderlichen Unterlagen dem Buchungsbüro N.... rechtzeitig übergeben hat.
(5) Die Vorlage der angeforderten Unterlagen im Rahmen des Überprüfungsverfahrens ändert nichts an der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 27. Mai 2019. Die nunmehr vorgelegten Unterlagen waren im Überprüfungsverfahren hinsichtlich dieses Bescheides nach § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Verbindung mit § 44 SGB X nicht mehr zu berücksichtigen. Zwar können im Widerspruchsverfahren gegen einen Festsetzungsbescheid und im anschließenden Klage- oder Berufungsverfahren Unterlagen vorgelegt werden, die bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Festsetzungsbescheides noch zu berücksichtigen sind (vgl. BSG, Urteil vom 12. September 2018 – B 4 AS 39/17 R – BSGE 126, 294 ff. = SozR 4-4200 § 41a Nr. 1 = juris Rdnr. 35 ff.). In einem Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X kommt es jedoch allein auf die Rechtmäßigkeit des zur Überprüfung gestellten Bescheides oder gegebenenfalls des Widerspruchsbescheides zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses an, so dass ein Überprüfungsantrag keinen Erfolg haben kann, wenn die Bescheide nach § 41a Abs. 3 Sätze 3 und 4 SGB II zum Zeitpunkt ihres Erlasses rechtmäßig gewesen sind (vgl. BSG, Urteil vom 29. November 2022 – B 4 AS 64/21 R – SozR 4-4200 § 41a Nr. 7 = juris Rdnr. 34). Auch damit realisiert sich die vom Gesetzgeber intendierte Verwaltungsvereinfachung (vgl. BSG, Urteil vom 29. November 2022, a. a. O.). Da die Kläger die notwendigen Angaben zur selbständigen Tätigkeit des W. nicht im Rahmen eines auf einem rechtzeitig erhobenen Widerspruch erfolgten Widerspruchsverfahrens gegen den Festsetzungsbescheid, sondern erst im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X vorgelegt haben, sind diese Angaben im vorliegenden Verfahren nicht mehr zu berücksichtigen.
(6) Der Festsetzungsbescheid vom 27. Mai 2019 war auch in formeller Hinsicht rechtmäßig. Vor seinem Erlass war insbesondere keine Anhörung nach § 24 Abs. 1 SGB X erforderlich. Vielmehr ersetzt die Belehrungspflicht nach § 41a Abs. 3 Satz 3 SGB II als speziellere Regelung die allgemeine Anhörungspflicht nach § 24 Abs. 1 SGB X (vgl. BSG, Urteil vom 29. November 2022, a. a. O.; Rdnr. 19, m. w. N.). Diese Belehrungspflicht hat der Beklagte erfüllt.
3. Der Bescheid vom 27. Mai 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Januar 2020 über die Erstattung von Leistungen bei endgültiger Festsetzung ist ebenfalls rechtmäßig.
Rechtsgrundlage für die Erstattungsforderungen ist § 41a Abs. 6 Satz 3 SGB II in der bis zum 31. März 2021 geltenden Fassung. Danach sind Überzahlungen, die nach Anrechnung der vorläufig bewilligten Leistungen auf die abschließend festgestellten Leistungen fortbestehen, zu erstatten. Der Beklagte ist danach berechtigt, von den Klägern die Erstattung der für die Zeit vom 1. Januar 2018 bis zum 30. Juni 2018 überzahlten Leistungen zu verlangen. Die von ihm mit Bescheid vom 27. Mai 2019 festgestellten Erstattungsbeträge entsprechen den mit Bescheid vom 25. Januar 2018 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 31. Januar 2018 vorläufig bewilligten Leistungen und sind auch der Höhe nach nicht zu beanstanden.
4. Auch der Bescheid vom 4. Dezember 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Januar 2010 erweist sich als rechtmäßig. Rechtsgrundlage für den Bescheid ist ebenfalls § 41a Abs. 6 Satz 3 SGB III. Mit Bescheid vom 22. Februar 2018 waren der Klägerin zu 2 Leistungen für Bildung und Teilhabe nach § 28 SGB II vorläufig in Höhe von 100,00 EUR bewilligt worden. Da der Beklagte mit Bescheid vom 27. Mai 2019 zu Recht abschließend festgestellt hat, dass die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft und damit auch die Klägerin zu 2 im Bewilligungszeitraum vom 1. Januar 2018 bis zum 30. Juni 2018 keinen Leistungsanspruch hatten, war auch die vorläufig bewilligte Leistung für Bildung und Teilhabe in Höhe von 100,00 EUR zu erstatten. Der Erstattungsbescheid ist auch hinreichend bestimmt im Sinne von § 33 Abs. 1 SGB X, denn die Erstattungsbeträge wurden für die Kläger jeweils gesondert und für die einzelnen Monate berechnet.
V. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.
VI. Gründe für die Zulassung der Revision (vgl.§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.