L 14 BA 111/18

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Betriebsprüfungen
Abteilung
14
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 166 KR 872/17
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L BA 111/18
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1.  Eine sog. A1-Bescheinigung ist nicht Voraussetzung für die Nichtanwendung des deutschen Sozialversicherungsrechts im Rahmen einer       Entsendekonstellation nach der Verordnung (EG) Nr. 883/2004.

 2.  Wurde eine A1-Bescheinigung nicht beantragt oder nicht erteilt, hat der Arbeitgeber das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Entsendung i.S.d. Art. 12 Abs. 1 Verordnung (EG) Nr. 883/2004 nachzuweisen.

 

  1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 21. September 2018 geändert.

 

  1. Der Bescheid der Beklagten vom 24. Februar 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. November 2016 wird aufgehoben, soweit
  1. Beiträge und Umlagen berechnet wurden für die unbekannten Arbeitnehmer
  1. aus einer Berechnungsgrundlage von mehr als 108.811,54 Euro
  2. und ohne Absetzung der im Bescheid genannten Bruttoarbeitslöhne der im Bescheid genannten, namentlich bekannten Arbeitnehmer und
  1. höhere Säumniszuschläge festgesetzt wurden als sie sich nach vorstehender Korrektur ergeben.

 

  1. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

 

  1. Die Klägerin und die Beklagte tragen jeweils die Hälfte der Kosten des Verfahrens, mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die ihre Kosten selbst zu tragen haben.

 

  1. Die Revision wird zugelassen.

 

  1. Der Streitwert wird auf 123.576,74 Euro festgesetzt.

 

 

 

Tatbestand

 

Die Klägerin wendet sich gegen einen Betriebsprüfungsbescheid, mit dem die Beklagte Beiträge zur Sozialversicherung und Umlagebeträge nachgefordert sowie hierauf Säumniszuschläge erhoben hat.

 

Die Klägerin ist eine am 14. August 2013 gegründete Gesellschaft mit beschränkter Haftung einer Person nach bulgarischem Recht, deren Geschäftsführer und einziger Gesellschafter der in der Stadt O in der Republik Nordmazedonien wohnhafte S T ist, der die Staatsbürgerschaft der Republik Nordmazedonien hat. Dieser ist außerdem Gründer und Eigentümer der Gesellschaft zur Produktion und Handel I  DOO, einer bereits am 7. Juni 1999 gegründeten und im Handelsregister von O (Nordmazedonien) eingetragenen Gesellschaft mit beschränkter Haftung.

 

Die Klägerin ist im Handelsregister der Republik Bulgarien registriert mit einem Sitz in der Gemeinde B (Bulgarien) und mit folgendem Tätigkeitsgebiet: „Errichtung, Instandhaltung, Montage und Ingenieurtätigkeiten von elektrischen Hochspannungsleitungen und Telekommunikationen; Errichtung, Instandhaltung und Benutzung von öffentlichen Kabel-Fernmeldenetzen für Radio- und Fernsehsignale und Überlassung von Fernmeldedienstleistungen dadurch; Radio- und Fernsehtätigkeit; Satellitdienstleistungen, Kommissions- und Verkehrsgeschäfte im In- und Ausland von Passagieren und Frachten mit eigenen oder gemieteten Transportmitteln; Lagergeschäfte; Lizenzgeschäfte; Geschäfte mit geistigem Eigentum; Erwerben und Geschäfte mit Urheberrechten und geschützten Marken; Warenkontrolle; Transfer von Technologien; Know-How; Anschaffen von Immobilien mit Verkaufszweck; Bau und/oder Einrichtung von Immobilien mit Verkaufszweck; Hotelier-, Tourismus-, Werbungs-, Informations-, Programm-, Impressario-, Computer- und Internetdienstleistungen; Verkauf von Waren eigener Herstellung im In- und Ausland; Handelsvertretung und -vermittlung; Holzgewinnung und Holzverarbeitung; Baudienstleistungen; Montage, Demontage, Herstellung und Instandhaltung von Holz- und Kunststofffenstern und -türen; Handel mit Arzneimitteln; Handel mit Alkohol und Zigaretten und jede andere Tätigkeit, die vom Gesetz nicht verboten ist“.

 

Am 23. Mai 2014 schloss die Klägerin (als Auftragnehmer) mit der B Hoch- & Tiefbau GmbH (nachfolgend: B-GmbH) (als Auftraggeber) eine Rahmenvereinbarung. Gemäß Ziffer 1 der Vereinbarung war es Ziel der Vereinbarung, die gegenseitigen Rechte und Pflichten hinsichtlich der Unterstützung im Projekt „Telekom FTTC Ausbau Bundesweit“ zu bestimmen. Absatz 4 der Ziffer 1 bestimmte: „Im Falle von Mitarbeitern, Erfüllungsgehilfen und Unterauftragnehmern, die nicht die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, sichert der Auftragnehmer zu, dass die erforderlichen gesetzlichen Genehmigungen vorliegen. Es dürfen keinesfalls Mitarbeiter, Erfüllungsgehilfen und Unterauftragnehmer zum Einsatz kommen, die nicht im Besitz einer gültigen Arbeitsgenehmigung und einer gültigen Aufenthaltserlaubnis sind. Der Auftragnehmer stellt den Auftraggeber von sämtlichen Rechtsfolgen frei, die sich aus der Nichteinhaltung dieser Anforderungen ergeben“. Gemäß Ziffer 4 Absatz 3 der Vereinbarung belief sich die gesamte Auftragssumme für das gesamte Kalenderjahr 2014 auf ca. 1 Million Euro.

 

Da der Klägerin nach ihren Angaben gesagt worden war, dass die für die im Rahmen der Vereinbarung mit der B-GmbH geplanten Arbeiten im öffentlichen Verkehrsraum erforderliche Genehmigung nur einem in Deutschland registrierten Unternehmen erteilt werden könne, meldete sie am 22. April 2014 in der Stadt M  ein Gewerbe mit einer Betriebsstätte in Man. Als Betriebsbeginn wurde der 11. April 2014 angegeben, als Hauptniederlassung eine Anschrift in B und als angemeldete Tätigkeit „Montage von Freileitungsbau, Energiekabelverlegung, Verlegung von Internetverbindungen“. Die Klägerin ließ ihre Zweigniederlassung mit Sitz in M auch im Handelsregister des Amtsgerichts D registrieren. Nachdem der Zentrale Außendienst des Ordnungsamtes M am 4. August 2014 die in der Gewerbeanmeldung angegebene Betriebsstätte der Klägerin aufgesucht und festgestellt hatte, dass die Klägerin dort nicht mehr existierte und auch kein Firmenschild mehr vorhanden war, erfolgte am 21. August 2014 eine Gewerbeabmeldung von Amts wegen. Am 16. Dezember 2014 wurde die deutsche Zweigniederlassung der Klägerin von M nach S verlegt und im Handelsregister des Amtsgerichts W eingetragen.

 

Am 28. Mai 2014 bzw. am 2., 3. oder 16. Juni 2014 schloss die Klägerin unbefristete Arbeitsverträge in bulgarischer Sprache mit den Beigeladenen zu 6 bis 16 sowie mit den inzwischen verstorbenen Y Vv S und S I M (nachfolgend als „verstorbene Arbeitnehmer“ bezeichnet). Die Beigeladenen zu 6 bis 13 und die beiden verstorbenen Arbeitnehmer haben bzw. hatten die bulgarische Staatsangehörigkeit, die Beigeladenen zu 14 bis 16 haben die Staatsangehörigkeit der Republik Nordmazedonien. Am 11. Juni 2014 schloss die Klägerin außerdem unter ihrer Anschrift in M mit dem in Deutschland wohnhaften Beigeladenen zu 3, der die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, einen Arbeitsvertrag in deutscher Sprache über eine Beschäftigung als Betriebsleiter ab dem 15. Juni 2014 zu einem Bruttolohn von 1.400 Euro monatlich.

 

Die Beigeladenen zu 3 und 6 bis 16 sowie die beiden verstorbenen Arbeitnehmer waren im Juni und Juli 2014 in Deutschland für die Klägerin gegen Entgelt tätig. Ihre Hauptaufgabe bestand in der Verlegung von Kabeln und Leitungen.

 

Dem Beigeladenen zu 3 wurde am 7. Juli 2014 schriftlich durch die Klägerin gekündigt. Am selben Tag erfolgte durch Mitarbeiter des Hauptzollamts D eine Prüfung der Klägerin am Standort S. Dort konnte eine „Anmeldung nach § 18 Abs. 1 Arbeitnehmer-Entsendegesetz“ (nur für die Baustelle in Sn) vom 5. Juli 2014 aufgefunden werden, in deren Anlage „Aufstellung der eingesetzten Arbeitnehmer“ insgesamt 43 Arbeitnehmer namentlich benannt wurden, darunter auch die Beigeladenen zu 6, 7, 8, 10, 12 und 13 sowie die verstorbenen Arbeitnehmer.

 

Mit Schreiben vom 15. Juli 2014 kündigte die B-GmbH die Rahmenvertragsvereinbarung mit der Klägerin mit sofortiger Wirkung. Als Grund wurde angegeben, die Klägerin habe auf den Baustellen in D, S und S weder ausreichend deutschsprachiges Fachpersonal noch Baugeräte zur Verfügung gestellt und sei nicht in der Lage gewesen, Arbeitsgenehmigungen für ihre Mitarbeiter vorzulegen. Nach der Kündigung wurden durch die Arbeitnehmer der Klägerin keine Arbeitsleistungen mehr in Deutschland erbracht; die Arbeitnehmer reisten aus Deutschland aus.

 

Die Klägerin stellte der B-GmbH zunächst vier Rechnungen für ihre erbrachten Leistungen im Zusammenhang mit den Projekten FTTC S und FTTC S, u.a. die Rechnung 0101/14 vom 18. Juli 2014 über 109.159,848 Euro für den Zeitraum 16. bis 30. Juni 2014. Alle vier Rechnungen wurden von der B-GmbH als nicht prüfbar zurückgewiesen und jeweils im Original an die Klägerin zurückgesandt. Unter dem 18. September 2014 erstellte die Klägerin dann die Rechnung 0101/14-1 vom 18. September 2014 über 73.089,406 Euro für Leistungen „bis 1. Juli 2014“ und die Rechnung 0102/14-1 vom 22. September 2014 über 35.722,137 Euro für Leistungen „bis 10. Juni 2014“.

 

Im Rahmen eines Polizeieinsatzes auf der Baustelle der B-GmbH in S am 17. Juli 2014 gab der Geschäftsführer der Klägerin an, er habe auf der Baustelle zwischenzeitlich 30 bis 35 Angestellte gehabt. Seit der Vertragskündigung am 15. Juli 2014 seien dort noch lediglich 6 bis 7 Mitarbeiter tätig. Sämtliche seiner Mitarbeiter stammten aus Bulgarien und bräuchten folglich als EU-Bürger seit 2014 keine Arbeitsgenehmigung mehr.

 

Am 21. Juli 2014 ging beim Hauptzollamt (HZA) D der Hinweis des Beigeladenen zu 16 ein, dass die Klägerin ihren Mitarbeitern keinen Lohn zahle und dass sie, die Mitarbeiter, völlig mittellos seien. Für die Klägerin seien ca. 70 bis 80 Mazedonier in Deutschland auf verschiedenen Baustellen tätig. Am selben Tag erfolgte eine Kontrolle durch das HZA auf dem Firmengelände der B-GmbH in N, in deren Verlauf die dort angetroffenen Beigeladenen zu 14 bis 16 befragt wurden. Im Anschluss leitete das HZA u.a. Ermittlungen gegen die Beigeladenen zu 14 bis 16 wegen eines Vergehens nach § 95 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz – AufenthG) ein. Im Rahmen einer Beschuldigtenvernehmung am 22. Juli 2014 erklärte der Beigeladene zu 16 u.a., er habe in Mazedonien eine zweijährige Ausbildung als Tiefbauer absolviert und habe sehr gute Kenntnisse der deutschen Sprache. Im Mai 2014 sei er von dem S Ti in dessen Büro in Mazedonien als Tiefbauarbeiter und Dolmetscher engagiert worden. Er habe pro Monat 250 Stunden arbeiten und dafür 1.800,00 Euro netto erhalten und zur Sozialversicherung in Deutschland angemeldet werden sollen. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag habe in Deutschland erstellt werden sollen, sei aber tatsächlich nie erstellt worden. Er und acht weitere Männer seien am 31. Mai 2014 mit einem Firmenbus des „S“ am Standort der B-GmbH in Nn angekommen. Er, der Beigeladene zu 16, habe sofort für vier Tage auf einer Baustelle in S arbeiten müssen. Zu dieser Zeit seien zwischen 25 und 35 mazedonische und bulgarische Arbeiter des „S“ auf der Baustelle in S gewesen. Danach sei er wieder nach N gefahren und habe auf Baustellen im Bereich S gearbeitet, anschließend wieder in Sn. Er habe vom 31. Mai bis zum 10. Juli 2014 insgesamt 379 Stunden gearbeitet. Der Beigeladene zu 16 stellte dem HZA von ihm unterzeichnete/abgezeichnete „Wochenberichte“ aus dem Zeitraum vom 10. bis 29. Juni 2014 zur Verfügung, in denen vermerkt ist, wie viele Stunden die Beigeladenen zu 6 bis 16 sowie die zwei verstorbenen Bauarbeiter jeweils auf den Baustellen gearbeitet haben. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den von der Beklagten als Beilage zur Verwaltungsakte übersandten Beweismittelordner Bezug genommen.

 

Der Beigeladene zu 15 gab im Rahmen seiner Beschuldigtenvernehmung am 22. Juli 2014 an, er habe keine Berufsausbildung und sei seit 25 Jahren Bauarbeiter. Von der Arbeit für „S“ habe er von dem Beigeladenen zu 16 erfahren. Er habe mit dem „S“ vereinbart, dass er in Deutschland arbeiten und hierfür 1.500 Euro netto im Monat erhalten solle. Der Beigeladene zu 14 gab im Rahmen seiner Beschuldigtenvernehmung am 22. Juli 2014 an, er habe keine Berufsausbildung und arbeite seit 25 Jahren auf dem Bau. Von der Arbeit für „S“ habe er über die Beigeladenen zu 15 und 16 erfahren. Er habe mit dem „S“ vereinbart, dass er ab Ende Mai 2014 auf Baustellen in Deutschland Tiefbauarbeiten und Verlegearbeiten von Erdkabeln erledigen und 1.500 Euro netto im Monat erhalten solle. Er habe von Ende Mai bis zum 10. Juli 2014 insgesamt 379 Stunden gearbeitet.

 

Die Beigeladenen zu 14 bis 16 wurden von der Klägerin am 20. August 2014 zur Unfallversicherung gemeldet mit einem Beschäftigungsbeginn am 3. Juni 2014. Zu weiteren Zweigen der Sozialversicherung wurden sie nicht gemeldet.

Mit Versäumnisurteil vom 23. September 2014 verurteilte das Arbeitsgericht O die Klägerin zur Zahlung von 2.800,00 Euro brutto nebst Zinsen an den Beigeladenen zu 3.

 

Mit E-Mail vom 9. Oktober 2014 und mit Schreiben vom 24. Juni 2015 übermittelte das HZA D seine Ermittlungsergebnisse zur Klägerin an die Beklagte mit der Bitte, den sozialversicherungsrechtlichen Schaden zu prüfen. Die Beklagte leitete daraufhin eine Adhoc-Betriebsprüfung ein und gab der Klägerin mit Schreiben vom 24. September 2015 Gelegenheit zur Stellungnahme zu der beabsichtigten Nachforderung von Beiträgen zur Sozialversicherung nebst Säumniszuschlägen in Höhe von 123.436,24 Euro. Nach Ablauf der Anhörungsfrist forderte die Beklagte mit einem Bescheid von der Klägerin Beiträge zur Sozialversicherung, Umlagen und Säumniszuschläge in Höhe von insgesamt 123.436,24 Euro. Sowohl das Anhörungsschreiben als auch der Bescheid wurden an die im Handelsregister vermerkte Anschrift der Zweigniederlassung der Klägerin in S versandt. Beide Schreiben kamen Anfang November 2015 als unzustellbar zurück.

 

Sodann richtete die Beklagte am 10. November 2015 ein neues Anhörungsschreiben an den Geschäftsführer der Klägerin unter seiner Anschrift in Mazedonien. Dieser teilte der Beklagten daraufhin mit Schreiben vom 3. Dezember 2015 mit, dass die Klägerin nur in der Zeit vom 2. Juni bis 3. Juli 2014 in S gearbeitet habe und dass ihre Arbeiter im Zeitraum vom 9. Juni bis 8. Juli 2014 aus S nach Bulgarien zurückgekommen seien. Nur einige Arbeiter seien bis zum 18. Juli 2014 geblieben, um die Werkzeuge und „Mechanisierung“ einzusammeln. Nach dem 18. Juli 2014 sei die Klägerin nicht mehr in der Bundesrepublik Deutschland tätig gewesen. Die Beigeladenen zu 14 und 16 seien am 8. Juli 2014, als die übrigen Arbeiter die Baustelle mit einem Minibus nach Bulgarien verlassen hätten, freiwillig in ihrer Unterkunft geblieben. Sie seien bis zum 10. Juli 2014 bei der Klägerin angemeldet gewesen. Die von der Beklagten im Anhörungsschreiben erwähnten Beigeladenen zu 6 bis 16 sowie die beiden verstorbenen Arbeitnehmer seien alle in „der bulgarischen Firma“ mit Arbeitsverträgen und Arbeitsaufträgen in Deutschland beschäftigt und versichert gewesen und an alle diese Personen sei Entgelt von der Klägerin ausgezahlt worden. Der Beigeladene zu 3 habe nur bis zum 27. Juni 2014 für die Klägerin gearbeitet; ihm sei seitens der Klägerin gekündigt worden. Er habe ein Fahrzeug der Klägerin im Wert von 5.000,00 Euro gestohlen und nicht zurückgegeben. Die Klägerin habe lediglich zwei Rechnungen, über 73.089,406 Euro für Arbeit am Objekt in S vom 2. Juni bis 3. Juli 2014 und über 35.722,137 Euro für die Arbeit am Objekt in S vom 9. Juni 2014 bis 8. Juli 2014, gestellt. Weitere Rechnungen seien nicht gestellt worden, weitere Arbeiten seien nicht geleistet worden. Alle Beschäftigten hätten legal gearbeitet und seien bei den bulgarischen Institutionen angemeldet gewesen. Alle Arbeiter seien in der bulgarischen Gesellschaft beschäftigt gewesen und mit „Reiseaufträgen“ nach Deutschland geschickt worden, um die Arbeiten in S und S auszuführen.

 

Mit Bescheid vom 24. Februar 2016 machte die Beklagte eine Forderung in Höhe von insgesamt 123.576,74 Euro gegenüber der Klägerin geltend; sie setzte sich zusammen aus Nachforderungen von Beiträgen zur Sozialversicherung für die Zeit vom 2. Juni 2014 bis 30. September 2014 und Umlagen in Höhe von insgesamt 109.158,24 Euro sowie aus hierauf erhobenen Säumniszuschlägen in Höhe von 14.418,50 Euro. Beiträge wurden nacherhoben für den Beigeladenen zu 3, für die in den „Wochenberichten“ des Beigeladenen zu 16 namentlich genannten Beigeladenen zu 6 bis 16 und die beiden verstorbenen Arbeitnehmer sowie für unbekannte Arbeitnehmer.

 

Die Beklagte führte zur Begründung aus, laut Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts O vom 23. September 2014 – 4 Ca 1228/14 – habe die Klägerin an den Beigeladenen zu 3 einen Bruttolohn für Juni und Juli 2014 in Höhe von 2.800,00 Euro brutto zu zahlen und entsprechende Abrechnungen zu erstellen. Abrechnungen und Meldungen seien nicht erstellt und Sozialversicherungsbeiträge nicht entrichtet worden; letztere seien daher nachzufordern. Die Klägerin verweigere die Auszahlung des Lohns bis zur Rückgabe eines Pkw. Dem stehe jedoch das rechtskräftige Versäumnisurteil entgegen, das für ihre (der Beklagten) Beurteilung maßgebend sei. Ausweislich der Unterlagen seien Arbeitnehmer beschäftigt worden, die die mazedonische oder bulgarische Nationalität hätten. Für die Zeit vom 2. Juni bis 21. Juli 2014 habe für insgesamt 13 Personen eine Tätigkeit als Arbeitnehmer belegt werden können. Alle Arbeitnehmer seien als Tiefbauarbeiter eingesetzt worden. Gemäß dem Tarifvertrag Mindestlohn im Baugewerbe sei aufgrund der Tätigkeit die Lohngruppe 2 zu berücksichtigen. Diese Lohngruppe sehe einen Mindestlohn von 13,95 Euro je Stunde für den genannten Zeitraum vor. Ausweislich der Unterlagen sei ein Nettolohn vereinbart worden. Unter Berücksichtigung der Stundenangaben aus den Wochenberichten seien die Gesamtstunden pro Arbeitnehmer ermittelt worden. Sofern durch andere Unterlagen bzw. Aussagen weitere Arbeitsstunden belegt bzw. glaubhaft versichert worden seien, seien diese ebenfalls berücksichtigt worden. Anhand aller Angaben sei das beitragspflichtige Entgelt je Arbeitnehmer ermittelt worden. Im Zuge der weiteren Ermittlungen sei durch das HZA D festgestellt worden, dass für die Tätigkeit bei der B-GmbH durch die Klägerin eine Vielzahl von Personen (überwiegend bulgarische Staatsbürger) eingesetzt worden sei. Die beschlagnahmten Unterlagen hätten personenbezogene Daten enthalten, jedoch habe anhand dieser Unterlagen keine Vollständigkeit der beschäftigten Arbeitnehmer begründet werden können. Ferner hätten keine Rückschlüsse auf die individuell gezahlten Arbeitslöhne erbracht werden können. Basis für die Feststellung der sozialversicherungsrechtlichen Bemessungsgrundlage seien die Umsätze gemäß der vorliegenden Rechnungen mit einer Gesamtsumme von 217.971,40 Euro. Da es sich ausweislich der Rechnungen und der dargestellten Tätigkeiten um ein lohnintensives Gewerbe handele, seien 2/3 der Umsätze als Lohnkosten zu veranschlagen. Für die Sozialversicherung habe eine Hochrechnung zu erfolgen. Könnten die Beiträge aufgrund fehlender Aufzeichnungen nicht personenbezogen festgestellt werden, seien sie nach § 28f Abs. 2 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) aus der Summe der gezahlten bzw. geschätzten Arbeitsentgelte geltend zu machen. Innerhalb der Europäischen Union (EU) sei es zwingend erforderlich, dass bei einer Tätigkeit im Mitgliedstaat A und der Zugehörigkeit zur Sozialversicherung des Mitgliedstaats B eine Entsendebescheinigung des zuständigen Sozialversicherungsträgers (A1/E101) vorgelegt werde. Liege eine solche Bescheinigung nicht vor, gelte das Sozialversicherungsrecht des Landes, in dem die Tätigkeit ausgeübt werde. Eine solche Bescheinigung sei bis dato – trotz mehrfacher Aufforderung – nicht beigebracht worden. Die Aufzeichnungspflicht sei nicht ordnungsgemäß erfüllt worden. Daher hätten die Versicherungs- und Beitragspflicht bzw. die Höhe der Beiträge zur Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie zur Arbeitslosenversicherung nicht bzw. nicht ohne unverhältnismäßig hohen Verwaltungsaufwand festgestellt werden können. Die Beiträge seien daher nach § 28f Abs. 2 SGB IV anhand der Summe der gezahlten Arbeitsentgelte ermittelt worden (Summenbeitragsbescheid). Mit der Anhörung vom 24. September 2015 habe sie, die Beklagte, der Klägerin die Gelegenheit gegeben, für alle in der Anlage aufgeführten bekannten bzw. nicht bekannten Arbeitnehmer vollständige und prüffähige Entgeltaufzeichnungen und sonstige Unterlagen geordnet und überschaubar vorzulegen. Dieser Vorlagepflicht sei die Klägerin nicht nachgekommen, so dass für die ihr, der Beklagten, namentlich bekannten Arbeitnehmer die Sozialversicherungsbeiträge personenbezogen nachzuberechnen sowie für die ihr namentlich nicht bekannten Arbeitnehmer die Sozialversicherungsbeiträge summenmäßig nachzuerheben seien. Säumniszuschläge seien gemäß § 24 Abs. 1 und 2 SGB IV festgesetzt worden.

 

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der Berechnung der nachgeforderten Beiträge wird auf die Anlagen zu dem Bescheid vom 24. Februar 2016 Bezug genommen.

 

Die Klägerin legte gegen den Bescheid Widerspruch ein. Sie trug erneut vor, dass alle im Bescheid genannten Mitarbeiter in Bulgarien angestellt und sozialversichert seien. Mit Schreiben vom 8. Juni 2016 gab die Beklagte der Klägerin Gelegenheit, A1-Bescheinigungen für die betroffenen Arbeitnehmer einzureichen. Die Klägerin teilte mit Schreiben vom 11. Juli 2016 mit, dass sie über keine A1-Bescheinigungen verfüge. Sie habe aber nur den Arbeitgeberanteil der Sozialversicherungsbeiträge zu tragen und sie habe Lohn nur für tatsächlich geleistete Arbeit zu zahlen.

 

Mit Widerspruchsbescheid vom 24. November 2016 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Sie verwies auf das Entstehungsprinzip, wonach der Anspruch auf eine Leistung – hier der Lohnanspruch – zur Beitragspflicht genüge. Es seien Leistungen von Arbeitnehmern in Anspruch genommen worden, ohne den steuer- und beitragsrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen. Dies sei willentlich und in Absicht so betrieben worden.

 

Der Widerspruchsbescheid wurde am 25. November 2016 zur Post gegeben. Er war adressiert an die Klägerin, vertreten durch den Geschäftsführer S T und war an dessen Privatanschrift in O, Mazedonien gerichtet. Mit Schreiben vom 20. Dezember 2016 sandte das Unternehmen „D  O“ den Bescheid an die Beklagte zurück mit dem Hinweis, dass die Klägerin eine bulgarische und keine mazedonische Firma sei und dass der Widerspruchsbescheid vom 24. November 2016 sich nicht auf die Firma „D I“ in O, Mazedonien beziehe. Mit Schreiben vom 6. Februar 2017 übersandte die Beklagte den Widerspruchsbescheid erneut an dieselbe Anschrift, diesmal versehen mit einem Begleitschreiben an den Geschäftsführer mit dem Hinweis, dass ihm der Bescheid als Geschäftsführer und somit verantwortlich Handelndem der Klägerin übersandt werde. Das Schreiben wurde mit Einschreiben/Rückschein versandt, der Rückschein ist jedoch nicht zur Akte gelangt.

 

Mit ihrer am 9. Mai 2017 beim Sozialgericht eingegangenen Klage hat die Klägerin die Aufhebung des Betriebsprüfungsbescheides in der Gestalt des Widerspruchsbescheides begehrt. Sie hat zur Begründung ausgeführt, nur die Beigeladenen zu 7, 10 und 12 sowie der verstorbene S M seien überhaupt noch im Juli 2014 tätig gewesen und dies nur jeweils für zwei Arbeitstage. Die im Bescheid genannten Mitarbeiter hätten auch weiterhin den Bestimmungen in Bulgarien unterlegen, wo die anfallenden Sozialabgaben für alle Mitarbeiter ordnungsgemäß gemeldet und gezahlt worden seien. Sie habe bei den zuständigen bulgarischen Behörden keinerlei offene Verpflichtungen im Sinne des Steuer- und Versicherungsrechts. Zwar habe sie, die Klägerin, für diese Mitarbeiter nicht das Formblatt A1 bereitgestellt. Dieses Formblatt solle jedoch lediglich der Erleichterung des Rechtsverkehrs dienen und stelle keine rechtliche Voraussetzung für die Anwendung des Art. 14 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 dar. Die Beigeladenen zu 3 und 14 bis 16 seien von ihrer deutschen Filiale ordnungsgemäß in Deutschland angemeldet worden.

 

Hilfsweise werde geltend gemacht, dass bei der Berechnung der Nachforderung zu hohe Lohnansätze angesetzt worden seien. Die Lohngruppe 2 sei unzutreffend. Die im Bescheid genannten Mitarbeiter seien alle lediglich als „Arbeiter zum Verlegen von Straßenbelägen“ eingestellt worden und hätten ausschließlich einfache Bautätigkeiten nach Anweisung durchgeführt. Damit wären sie in Lohngruppe 1 einzusortieren.

 

Die vorgenommene Schätzung der Beitragspflicht anhand der Umsätze sei falsch und unverhältnismäßig. Eine pauschale Schätzung komme nur in Betracht, wenn keine anderen Erkenntnismöglichkeiten zur Verfügung stünden. Vorhandene Erkenntnisquellen müssten richtig und wirklichkeitsnah ausgelegt werden und nicht willkürlich zum Nachteil des Arbeitgebers interpretiert werden. Das Übergabeprotokoll der B-GmbH vom 18. Juli 2014 zeige deutlich, dass die Arbeiten tatsächlich zu einem früheren Zeitpunkt beendet worden seien.

 

Hervorzuheben sei der fehlende Vorsatz, geltendes Recht zu missachten. Es sei eigentlich beabsichtigt gewesen, das Projekt nur drei Monate lang mit in Bulgarien angestellten Arbeitern zu betreiben und danach alle Arbeiter direkt bei der deutschen Niederlassung zu beschäftigen und in Deutschland anzumelden. Dazu sei es jedoch nicht gekommen, da der Vertrag mit der B-GmbH vorzeitig beendet worden sei. Lohnzahlungen seien aus der Niederlassung in Deutschland nicht vorgenommen worden. Die Arbeiter seien vom Stammsitz in Bulgarien aus bezahlt worden und seien in Bulgarien angemeldet gewesen. Nur der Beigeladene zu 3 und die Beigeladenen zu 14 bis 16 seien am Sitz der deutschen Niederlassung angemeldet worden. Die Beigeladenen zu 14 bis 16 seien zunächst in Bulgarien angestellt worden. Sie seien dann lediglich testweise in die deutsche Niederlassung überführt worden.

 

Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, die A1-Bescheinigungen seien nicht lediglich als Erleichterung des Rechtsverkehrs gedacht. Da keine A1-Bescheinigungen vorgelegen hätten, gelte deutsches Recht. Bescheinigungen über gezahlte Sozialversicherungsbeiträge sowie von der Klägerin selbst erstellte Meldungen in Mazedonien hätten keine Beweiskraft. Der angesetzte Stundenlohn der Lohngruppe 2 sei rechtens, da es sich laut der Aussagen der Mitarbeiter jeweils um gelernte Bauarbeiter mit mehrjähriger Berufserfahrung gehandelt habe.

 

Mit Urteil vom 21. September 2018 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Vorschriften des deutschen Sozialversicherungsrechts fänden Anwendung. Die Voraussetzungen des § 5 SGB IV (sog. Einstrahlung bei Entsendung) seien nicht gegeben. Die von der Klägerin beschäftigten bulgarischen Arbeitnehmer seien in Bulgarien allein für eine zeitlich befristete Tätigkeit in Deutschland angeworben und eingestellt worden und seien weder vor noch nach ihrer Tätigkeit in Deutschland für die Klägerin in Bulgarien tätig gewesen. Sie seien folglich nicht vorübergehend zur Arbeitsleistung aus Bulgarien nach Deutschland entsandt worden. Zwar könne der Nachweis, dass es sich um eine Entsendung gehandelt habe, nicht nur durch die A1-Bescheinigung erbracht werden. Es sei jedoch bereits ein deutliches und erhebliches Indiz, dass es sich nicht um eine Entsendekonstellation handele, wenn diese nicht vorliege. Auch aus sonstigen Umständen könne eine Entsendekonstellation nicht erkannt werden.

 

Gegen dieses ihrem Prozessbevollmächtigten am 10. Oktober 2018 zugestellte Urteil richtet sich die Klägerin mit ihrer am 9. November 2018 beim Landessozialgericht eingegangenen Berufung. Sie hat die Arbeitsverträge der im Bescheid namentlich benannten Arbeitnehmer eingereicht und gerügt, das Urteil setze sich nicht hinreichend mit der Vorschrift des Art. 12 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 (nachfolgend: Grundverordnung) auseinander. Der von der Beklagten ermittelte Betrag sei geradezu absurd. Die von ihr aufgestellte Forderung sei nicht rechtmäßig und zudem vollkommen unverhältnismäßig. Die Beigeladenen zu 14 und 15 hätten jeweils einen Lohn in Höhe von 1.590,00 Euro erhalten, der Beigeladene zu 16 in Höhe von 1.650 Euro und der Beigeladene zu 3 in Höhe von 1.400,00 Euro. Sie, die Klägerin, führe gegen die B-GmbH einen Rechtsstreit beim Landgericht C; die Klageforderung belaufe sich auf 108.811,55 Euro. Damit sei ihre eigene (noch nicht erhaltene) Vergütung geringer als die angeblich geschuldeten Sozialbeiträge. A1-Bescheinigungen lege sie weiter nicht vor, weil sie der Auffassung sei, dass dies wegen der kurzen Dauer des Aufenthaltes und der gemeinschaftsrechtlichen Gründe nicht zwingend notwendig sei.

 

Die Klägerin beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 21. September 2018 und den Bescheid der Beklagten vom 24. Februar 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. November 2016 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie vertritt die Auffassung, eine Entsendung im Sinne des Art. 12 der Grundverordnung liege nur vor, wenn der Sozialversicherungsträger aus dem Entsendestaat die entsprechenden A1-Bescheinigungen ausgestellt habe. Die Arbeitsverträge stützten ihre Feststellungen dahingehend, dass die Arbeitnehmer nicht entsendet, sondern überhaupt erst für die Beschäftigung in Deutschland eingestellt worden seien.

 

Der Senat hat mit Beschluss vom 21. Dezember 2021 zunächst die für die bulgarischen und nordmazedonischen Arbeitnehmer zuständige Kranken- und Pflegekasse (Beigeladene zu 1 und 2), den deutschen Arbeitnehmer (Beigeladener zu 3) sowie dessen Kranken- und Pflegekasse (Beigeladene zu 4 und 5) beigeladen. Mit Beschluss vom 12. Oktober 2023 wurden die im Bescheid namentlich benannten bulgarischen und nordmazedonischen Arbeitnehmer zum Rechtsstreit beigeladen. Der Senat hat außerdem die Akten des Landgerichts C zum Aktenzeichen 4 O 858/18 zur Einsicht beigezogen.

 

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

 

Gegenstand des Berufungsverfahrens sind das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 21. September 2018 und der Bescheid der Beklagten vom 24. Februar 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. November 2016.

 

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt worden (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz [SGG]), und teilweise begründet. Ihre Anfechtungsklage ist formgerecht und – mangels Bekanntgabenachweises zum Widerspruchsbescheid – fristgerecht erhoben worden und hat teilweise Erfolg. Die Beklagte hat zwar dem Grunde nach zu Recht Beiträge und Umlagen nachgefordert und Säumniszuschläge nacherhoben, jedoch sind ihr bei der Berechnung der Forderungshöhe Fehler unterlaufen. Hinsichtlich der Forderungshöhe verletzt der angefochtene Bescheid die Klägerin in ihren Rechten.

1.
Rechtsgrundlage für den streitgegenständlichen Beitragsbescheid ist § 28p SGB IV. Gemäß § 28p Abs. 1 Satz 1 SGB IV prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach dem SGB IV, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag stehen, ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen mindestens alle vier Jahre. Im Rahmen ihrer Prüfung erlassen sie Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern (§ 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV).

 

2.
Die Beklagte hat im Rahmen ihrer Betriebsprüfung zu Recht festgestellt, dass auf alle Arbeitnehmer der Klägerin, auch auf diejenigen mit bulgarischer oder nordmazedonischer Staatsangehörigkeit, die Vorschriften des deutschen Sozialversicherungsrechts Anwendung finden. Die Voraussetzungen für die Geltung des Heimatrechts der Klägerin trotz einer Tätigkeit der Arbeitnehmer in Deutschland sind nicht gegeben.
Es bleibt vielmehr beim Grundsatz des Beschäftigungsstaatsprinzips, so dass die Mitarbeiter, die für die Klägerin in Deutschland Arbeitsleistungen erbracht haben, den Vorschriften des deutschen Sozialversicherungsrechts unterliegen.

 

  1. Zwischen den Beteiligten ist zu Recht nicht streitig, dass für den Beigeladenen zu 3 die Geltung des bulgarischen Sozialversicherungsrechts von vornherein nicht in Betracht kommen kann. Er besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit, hat seinen Wohnsitz in Deutschland und ist auf der Grundlage eines mit der deutschen Zweigniederlassung der Klägerin in Deutschland geschlossenen Arbeitsvertrages als Betriebsleiter auf einer Baustelle der Klägerin in Deutschland gegen Entgelt für diese tätig geworden. Auch die Klägerin bestreitet nicht, dass insoweit die Vorschriften des deutschen Sozialversicherungsrechts heranzuziehen sind (Territorialitätsprinzip, § 3 Nr. 2 SGB IV).

 

  1. Aber auch im Hinblick auf die bulgarischen Arbeitnehmer der Klägerin galt kein bulgarisches Sozialversicherungsrecht. Die Anwendung des bulgarischen Rechts scheitert nicht bereits daran, dass die Klägerin für ihre bulgarischen Arbeitnehmer keine sog. A1-Bescheinigung beantragt und erhalten hat. Jedoch sind die Voraussetzungen der Grundverordnung für eine Abweichung vom Territorialprinzip nicht erfüllt, denn die Klägerin war vor dem hier streitgegenständlichen Zeitraum nicht gewöhnlich in Bulgarien tätig.

 

  1. Für die Arbeitnehmer der Klägerin mit bulgarischer Staatsangehörigkeit (die Beigeladenen zu 6 bis 13) ist das anwendbare Recht anhand der Vorschriften der Grundverordnung zu bestimmen, da Deutschland und Bulgarien beide zu den Mitgliedstaaten der Europäischen Union gehören. Die Grundverordnung soll eine Koordinierung zwischen den nationalen Systemen der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten gewährleisten, um sicherzustellen, dass das Recht auf Freizügigkeit wirksam ausgeübt werden kann, und um dadurch zur Verbesserung des Lebensstandards und der Arbeitsbedingungen der Personen beizutragen, die innerhalb der Union zu- und abwandern (Europäischer Gerichtshof [EuGH], Urteil vom 13. Juli 2017 – C-89/16 –, Rn. 34, juris). Durch die Vorschriften der Art. 11 bis 16 der Grundverordnung sollen nicht nur die gleichzeitige Anwendung von Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten und die Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben können, vermieden werden, sondern die Vorschriften sollen auch verhindern, dass Personen, die in den Geltungsbereich dieser Verordnung fallen, der Schutz auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit vorenthalten wird, weil keine nationalen Rechtsvorschriften auf sie anwendbar sind (EuGH, Urteil vom 25. Oktober 2018 – C-451/17 –, Rn. 41, juris).

 

Der Anwendungsbereich der Grundverordnung ist eröffnet, denn die Beigeladenen zu 6 bis 13 besitzen die bulgarische Staatsbürgerschaft und unterfallen somit als Staatsangehörige eines Mitgliedstaats dem persönlichen Geltungsbereich der Verordnung (Art. 2 Abs. 1), und der sachliche Geltungsbereich der Verordnung erstreckt sich gemäß ihrem Art. 3 auf alle Rechtsvorschriften, die Zweige der sozialen Sicherheit betreffen.

 

Gemäß Art. 11 Abs. 1 Satz 1 der Grundverordnung unterliegen Personen, für die diese Verordnung gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Art. 11 Abs. 1 der Grundverordnung legt damit den Grundsatz der Einheitlichkeit der anwendbaren Rechtsvorschriften fest. Mit diesem Grundsatz sollen die Komplikationen, die sich aus der gleichzeitigen Anwendung von Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten ergeben können, vermieden und die Ungleichbehandlungen ausgeschlossen werden, die für innerhalb der Union zu- und abwandernde Personen aus einer teilweisen oder vollständigen Kumulierung der anwendbaren Rechtsvorschriften folgen würden (EuGH, Urteil vom 13. Juli 2017 – C-89/16 –, Rn. 35, juris).

 

Gemäß Art. 11 Abs. 3 Satz 1 Buchstabe a) der Grundverordnung gilt vorbehaltlich der Artikel 12 bis 16, dass eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder selbstständige Erwerbstätigkeit ausübt, den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats unterliegt. Hiervon abweichend bestimmt die Sonderregelung des Art. 12 Abs. 1 der Grundverordnung, dass eine Person, die in einem Mitgliedstaat für Rechnung eines Arbeitgebers, der gewöhnlich dort tätig ist, eine Beschäftigung ausübt und die von diesem Arbeitgeber in einen anderen Mitgliedstaat entsandt wird, um dort eine Arbeit für dessen Rechnung auszuführen, weiterhin den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats unterliegt, sofern die voraussichtliche Dauer dieser Arbeit 24 Monate nicht überschreitet und diese Person nicht eine andere entsandte Person ablöst.

 

Durch Art. 12 Abs. 1 der Grundverordnung soll u.a. der freie Dienstleistungsverkehr zugunsten von Unternehmen gefördert werden, die davon Gebrauch machen, um Arbeitnehmer in andere Mitgliedstaaten als den Staat zu entsenden, in dem sie ihren Sitz haben. Die Grundverordnung soll somit dazu dienen, Hindernisse für die Freizügigkeit der Arbeitnehmer zu überwinden sowie die gegenseitige wirtschaftliche Durchdringung zu begünstigen, indem administrative Komplikationen, insbesondere für die Arbeitnehmer und die Unternehmen, vermieden werden. Um zu vermeiden, dass ein in einem Mitgliedstaat ansässiges Unternehmen seine normalerweise den Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit dieses Staates unterliegenden Arbeitnehmer bei dem System der sozialen Sicherheit eines anderen Mitgliedstaats anmelden muss, wenn sie zur Verrichtung von Arbeiten von begrenzter Dauer dorthin entsandt werden – was die Inanspruchnahme des freien Dienstleistungsverkehrs erschweren würde –, gestattet Art. 12 Abs. 1 der Grundverordnung es dem Unternehmen insbesondere, die Zugehörigkeit seiner Arbeitnehmer zum System des erstgenannten Mitgliedstaats beizubehalten, soweit es die Voraussetzungen des freien Dienstleistungsverkehrs beachtet (EuGH, Urteil vom 25. Oktober 2018 – C-451/17 –, Rn. 38 f., juris).

 

  1. Die Anwendung von Art. 12 Abs. 1 der Grundverordnung scheitert im vorliegenden Fall nicht bereits daran, dass die Klägerin für ihre bulgarischen Arbeitnehmer keine sog. A1-Bescheinigung beantragt und erhalten hat. Denn die Erteilung einer sog. A1-Bescheinigung durch den zuständigen Träger ist keine Voraussetzung für die Anwendung der Vorschriften über die Entsendung.

 

Die Ausstellung der sogenannten A1-Bescheinigung ist in Art. 19 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (nachfolgend: VO Nr. 987/2009) geregelt. Die Vorschrift lautet: „Auf Antrag der betreffenden Person oder ihres Arbeitgebers bescheinigt der zuständige Träger des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften nach Titel II der Grundverordnung anzuwenden sind, dass und gegebenenfalls wie lange und unter welchen Umständen diese Rechtsvorschriften anzuwenden sind“. Eine A1-Bescheinigung kann auch rückwirkend ausgestellt werden, „auch wenn sie besser vor Beginn des betreffenden Zeitraums erfolgt“ (EuGH, Urteil vom 30. März 2000 – C-178/97 –, Rn. 53, und Urteil vom 6. September 2018 – C-527/16 –, Rn. 70, beide juris).

 

Abgesehen von der Frage der Rückwirkung ist die A1-Bescheinigung (die die frühere Entsendebescheinigung E-101 abgelöst hat) in der Rechtsprechung bislang lediglich dann thematisiert worden, wenn sich die Frage stellte, ob ihr eine umfassende Bindungswirkung in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht zukommt, die sich nicht nur auf die Behörden der Sozialverwaltung, sondern auch auf Gerichte erstreckt, und zur Frage, wie weit diese Bindungswirkung reicht (zur Entwicklung der Rechtsprechung zur Bindungswirkung von A1-Bescheinigungen siehe etwa Dietrich, in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IV, 4. Auflage 2021, Stand: 21.08.2023, § 5 SGB IV, Rn. 22 ff.). Der hier gegebene „umgekehrte“ Fall, in dem eine A1-Bescheinigung gerade nicht vorliegt, und die Frage, ob eine A1-Bescheinigung zwingende Voraussetzung für die Anerkennung einer Entsendekonstellation ist, sind bislang – soweit ersichtlich – in der Rechtsprechung noch nicht behandelt worden.

 

Die Beklagte beruft sich für ihre Rechtsauffassung, wonach eine Entsendekonstellation nur bei Vorliegen einer A1-Bescheinigung anerkannt werden könne, nicht auf eine Rechtsvorschrift, sondern auf den von der Europäischen Kommission herausgegebenen „Praktische[n] Leitfaden zum anwendbaren Recht in der Europäischen Union (EU), im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) und in der Schweiz“. Auch aus diesem ergibt sich die Erforderlichkeit einer A1-Bescheinigung aber nicht. Denn auch wenn zutreffend ist, dass in Ziffer I.11 des Leitfadens („Wie sehen die Verfahren für eine Entsendung aus?“) das Wort „muss“ verwendet wird („Ein Unternehmen, das einen Arbeitnehmer in einen anderen Mitgliedstaat entsendet, bzw. – im Fall eines Selbstständigen – die Person selbst muss sich an den zuständigen Träger im Entsendestaat wenden.“), was eine Pflicht des Arbeitgebers, der einen Mitarbeiter entsenden und weiterhin das heimatliche Recht in Anspruch nehmen möchte, zur Beantragung einer A1-Bescheinigung nahelegen mag, so ist doch festzustellen, dass der Leitfaden keine Aussage dazu trifft, was aus einem Verstoß gegen die daraus (vermeintlich) resultierende Pflicht des entsendenden Arbeitgebers folgen soll. Der Leitfaden verhält sich gerade nicht zu der Frage, welche Rechtsfolge eintreten soll, wenn der entsendende Arbeitgeber entgegen seiner (vermeintlichen) Pflicht zur Beantragung einer A1-Bescheinigung dieser Pflicht nicht nachkommt, sondern er beschreibt lediglich das Verfahren nach einem entsprechenden Antrag. Darüber hinaus stellt der Leitfaden ohnehin lediglich ein „Arbeitsinstrument“ für Träger, Arbeitgeber und Bürger dar (so ausdrücklich Ziffer 1 der Einführung des Leitfadens), aber keine für Behörden und/oder Gerichte verbindliche Rechtsvorschrift. Schon aus diesem Grund kann sich die Beklagte auf die Formulierungen, die im Leitfaden gewählt wurden, nicht mit Erfolg stützen. Der Senat teilt daher die Auffassung des Sozialgerichts, wonach – bei Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen der Grundverordnung – eine Entsendung mit der Rechtsfolge der Fortgeltung des Heimatrechts des Arbeitgebers auch dann anerkannt werden kann, wenn eine A1-Bescheinigung nicht beantragt oder nicht erteilt wurde. Allerdings hat der Arbeitgeber dann zur Überzeugung des Gerichts nachzuweisen, dass die Voraussetzungen einer Entsendung i.S.d. Art. 12 Abs. 1 der Grundverordnung auch tatsächlich vorgelegen haben. Dies ist der Klägerin jedoch nicht gelungen.

 

  1. Die Anwendung von Art. 12 Abs. 1 der Grundverordnung auf die bulgarischen Arbeitnehmer scheitert im vorliegenden Fall daran, dass die dort genannten Voraussetzungen einer Entsendung nicht erfüllt waren.

 

  1. Nicht ausschlaggebend ist dabei, dass die Klägerin die Beigeladenen zu 6 bis 13 und die zwei verstorbenen Arbeitnehmer gerade zum Zweck ihrer Entsendung nach Deutschland eingestellt hat. Denn aus dem Wortlaut von Art. 14 Abs. 1 der VO Nr. 987/2009 ergibt sich, dass eine Person auch dann, wenn sie im Hinblick auf ihre Entsendung in einen anderen Mitgliedstaat eingestellt wird, als eine entsandte Person im Sinne von Art. 12 Abs. 1 der Grundverordnung angesehen werden kann.

 

Art. 14 Abs. 1 der VO Nr. 987/2009 lautet: „Bei der Anwendung von Artikel 12 Absatz 1 der Grundverordnung umfassen die Worte „eine Person, die in einem Mitgliedstaat für Rechnung eines Arbeitgebers, der gewöhnlich dort tätig ist, eine Beschäftigung ausübt und die von diesem Arbeitgeber in einen anderen Mitgliedstaat entsandt wird“ auch eine Person, die im Hinblick auf die Entsendung in einen anderen Mitgliedstaat eingestellt wird, vorausgesetzt die betreffende Person unterliegt unmittelbar vor Beginn ihrer Beschäftigung bereits den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem das Unternehmen, bei dem sie eingestellt wird, seinen Sitz hat“. Die Anwendung von Art. 12 Abs. 1 der Grundverordnung setzt folglich nicht voraus, dass eine im Hinblick auf ihre Entsendung in einen anderen Mitgliedstaat eingestellte Person vor ihrer Entsendung bereits in dem Mitgliedstaat, in dem ihr Arbeitgeber gewöhnlich tätig ist, für dessen Rechnung eine Beschäftigung ausgeübt hat.

 

Die eingestellte Person muss jedoch unmittelbar vor Beginn ihrer Entsendung bereits den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats unterlegen haben, in dem das Unternehmen, bei dem sie eingestellt wird, seinen Sitz hat (EuGH, Urteil vom 25. Oktober 2018 – C-451/17 –, Rn. 34 f., juris). Hierfür kann es ausreichen, dass sie zu diesem Zeitpunkt ihren Wohnort in dem betreffenden Mitgliedstaat hatte (EuGH, Urteil vom 25. Oktober 2018 – C-451/17 –, Rn. 51, juris). Denn gemäß Art. 11 Abs. 3 Buchstabe e) der Grundverordnung unterliegt jede andere Person – die nicht unter die Buchstaben a) bis d) fällt – unbeschadet anders lautender Bestimmungen dieser Verordnung, nach denen ihr Leistungen aufgrund der Rechtsvorschriften eines oder mehrerer anderer Mitgliedstaaten zustehen, den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats. Ein im Hinblick auf seine Entsendung in einen anderen Mitgliedstaat eingestellter Arbeitnehmer unterliegt daher den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaates, bei dem sein Arbeitgeber seinen Sitz hat, auch wenn er unmittelbar vor Beginn seiner Beschäftigung kein Versicherter im Sinne der Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats war, sofern er zu diesem Zeitpunkt seinen Wohnort in dem betreffenden Mitgliedstaat hatte (EuGH, Urteil vom 25. Oktober 2018 – C-451/17 –, Rn. 51, juris).

 

Nach Aktenlage spricht viel dafür, dass die Beigeladenen zu 6 bis 13 und die zwei verstorbenen Arbeitnehmer im Zeitpunkt ihrer Einstellung durch die Klägerin mit dem Zweck ihrer Entsendung nach Deutschland ihren Wohnort im Sinne von Art. 1 Buchst. j der Grundverordnung, d.h. den Ort des gewöhnlichen Aufenthalts, jeweils in Bulgarien hatten. Es ist auch nicht ersichtlich, dass unmittelbar vor ihrer Beschäftigung die Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats als diejenigen der Republik Bulgarien anwendbar gewesen wären. Die Frage kann aber letztlich offen bleiben, da die Klägerin ihrerseits im Zeitpunkt der Einstellung dieser Arbeitnehmer nicht in Bulgarien „gewöhnlich tätig“ war.

 

  1. Entsandte Arbeitnehmer unterliegen nur dann den Rechtsvorschriften des Entsendestaates, wenn ihr Arbeitgeber dort „gewöhnlich tätig“ ist. Art. 12 Abs. 1 der Grundverordnung ist hingegen nicht einschlägig, wenn eine Person, die in einem Staat beschäftigt wird, in welchem ihr Arbeitgeber keine gewöhnliche Geschäftstätigkeit ausübt, von diesem in einem anderen Staat eingesetzt wird (Schweikardt/Donus in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 3. Aufl., Art. 12 VO (EG) 883/2004, (Stand: 15.03.2018), Rn. 9). Dies soll sicherstellen, dass sich nur Unternehmen, die eine originäre Bindung zu dem Entsendestaat aufweisen, auf die Entsendevorschriften berufen können. Auf diese Weise soll vermieden werden, dass Unternehmen, die nur in sehr geringem Umfang im Entsendestaat tätig sind (z.B. Briefkastenfirmen), das Beschäftigungsstaatsprinzip aushebeln (Schweikardt/Donus in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 3. Aufl., Art. 12 VO (EG) 883/2004, (Stand: 15.03.2018), Rn. 10). Gemäß Art. 14 Abs. 2 der VO Nr. 987/2009 ist nur dann von einer gewöhnlichen Geschäftstätigkeit auszugehen, wenn der Arbeitgeber „gewöhnlich andere nennenswerte Tätigkeiten als reine interne Verwaltungstätigkeiten“ auf dem Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats, in dem das Unternehmen niedergelassen ist, ausübt.

 

Bereits das Sozialgericht hat der Klägerin (zutreffend) erläutert, dass es ihr obliegt zu belegen, dass die Voraussetzungen für eine Entsendung vorliegen, und dass sie darzulegen hat, in welcher Form sie in Bulgarien selbst Arbeitsleistungen erbringt, mithin „gewöhnlich dort tätig ist“, also einer ernsthaften Geschäftstätigkeit nachgeht. Dies könne z.B. durch Vorlage von Umsatzübersichten oder einer Übersicht über den Fahrzeug- und Materialpark etc. der Jahre 2013 bis laufend erfolgen. Die Klägerin hat daraufhin „zum Nachweis dafür, dass [sie] gewöhnlich in Bulgarien tätig ist“, „Investitionsgüterlisten“ aus den Jahren 2014, 2015 und 2016 sowie Lichtbilder von Baustellen, auf denen u.a. Personen in Arbeitskleidung mit dem Schriftzug „D“ zu erkennen sind, eingereicht. Die Listen enthalten lediglich vier (2014) bzw. drei (2015 und 2016) Kraftfahrzeuge, die alle am 11. Juli 2014 „eingeführt“ und am 11. Juli 2018 „abgemeldet“ wurden.

 

Aus diesen wenigen Angaben allein kann nicht geschlossen werden, dass die Klägerin vor Mai 2014 gewöhnlich nennenswerte Tätigkeiten in Bulgarien verrichtet hat. Die eingereichten Farbfotos können überall aufgenommen worden sein und die vier Fahrzeuge können überall zum Einsatz gekommen sein, insbesondere auch in Deutschland im Rahmen des Subunternehmervertrages mit der B-GmbH. Die Tatsache, dass sie sämtlich erst am 11. Juli 2014 „eingeführt“ wurden, ist ein starkes Indiz dafür, dass die Klägerin vor Juli 2014 gerade keiner Geschäftstätigkeit in Bulgarien nachgegangen ist. Hierfür spricht zudem auch, dass die von der Klägerin eingereichten Arbeitsverträge sämtlich zwischen dem 28. Mai 2014 und dem 16. Juni 2014, also erst nach der Vereinbarung des Subunternehmervertrages mit der B-GmbH geschlossen wurden. Die Klägerin verfügte augenscheinlich in Bulgarien nicht über einen festen Mitarbeiterstamm, mit dem sie die eingegangenen Verpflichtungen hätte erfüllen können. Die Sachlage stellt sich für den Senat so dar, dass Herr S T als nordmazedonischer Staatsbürger die Klägerin in Bulgarien erst mit Blick auf die zum 1. Januar 2014 entfallende Pflicht zur Einholung einer Arbeitsgenehmigung-EU gegründet hat (§ 284 1 des Dritten Buches des Sozialgesetzbuches [SGB III] in der bis zum 31. Dezember 2013 geltenden Fassung).

 

  1. Die Beigeladenen zu 14 bis 16 mit nordmazedonischer Staatsbürgerschaft unterlagen für die Zeit ihrer Arbeitsleistung in der Bundesrepublik Deutschland schließlich ebenfalls den für Beschäftigte geltenden Vorschriften des deutschen Sozialgesetzbuchs. Die Grundverordnung findet auf sie keine Anwendung, da der persönliche Geltungsbereich für Nicht-EU-Bürger nicht eröffnet ist (Art. 2 Abs. 1 der Grundverordnung). Die Geltung des deutschen Rechts ergibt sich für sie aus dem Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der mazedonischen Regierung über Soziale Sicherheit vom 8. Juli 2003, in Kraft getreten am 1. Januar 2005 (nachfolgend: SVA), dessen sachlicher Geltungsbereich gemäß seinem Art. 2 (u.a. deutsche Rechtsvorschriften über die Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung) und dessen persönlicher Geltungsbereich gemäß seinem Art. 3 Nr. 1 (Staatsangehörige einer Vertragspartei) im vorliegenden Fall eröffnet sind.

 

Gemäß Art. 6 SVA richtet sich die Versicherungspflicht von Arbeitnehmern nach den Rechtsvorschriften der Vertragspartei, in deren Hoheitsgebiet sie beschäftigt sind; dies gilt auch, wenn sich der Arbeitgeber im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei befindet.

 

Ein im SVA geregelter Ausnahmefall, insbesondere eine Entsendung, liegt nicht vor. Art. 7 SVA bestimmt: „Wird ein Arbeitnehmer, der im Hoheitsgebiet einer Vertragspartei beschäftigt ist, im Rahmen dieses Beschäftigungsverhältnisses von seinem Arbeitgeber in das Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei entsandt, um dort eine Arbeit für diesen Arbeitgeber auszuführen, so gelten in Bezug auf diese Beschäftigung während der ersten 24 Kalendermonate allein die Rechtsvorschriften der ersten Vertragspartei über die Versicherungspflicht so weiter, als wäre er noch in deren Hoheitsgebiet beschäftigt“. Die Beigeladenen zu 14 bis 16 standen vor ihrer Tätigkeit in Deutschland jedoch nicht in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis mit einer in Nordmazedonien tätigen Vertragspartei, denn die Klägerin ist in Bulgarien niedergelassen und gemeldet (anders als ihre Schwestergesellschaft D  DOO). Damit gilt die Grundregel des Art. 6 SVA, so dass die Beigeladenen zu 14 bis 16 während der Dauer ihrer Beschäftigung in der Bundesrepublik Deutschland dem deutschen Recht unterlagen.

 

Dass auf die Beigeladenen zu 14 bis 16 – ebenso wie auf den Beigeladenen zu 3 – deutsches Recht Anwendung findet, hatte im Übrigen zuvor auch schon die Prüfung der Klägerin selbst ergeben, denn sie hat die Beigeladenen zu 3 und 14 bis 16 zur Unfallversicherung und damit zur Sozialversicherung in Deutschland gemeldet.

 

3.

Soweit die Beklagte auch Sozialversicherungsbeiträge für namentlich nicht bekannte Personen (in den Berechnungsanlagen zum Bescheid unter „Umsatzgruppe – Schwarzlohn“) nachgefordert hat, war dies dem Grunde nach ebenfalls rechtmäßig. Da die Klägerin keine Unterlagen zu weiteren Arbeitnehmern vorgelegt hat, war es weder für die Beklagte noch für die Gerichte möglich zu prüfen, ob insofern eine (Entsende-)Konstellation gegeben war, die zur Anwendung des bulgarischen Rechts führt. Auszugehen ist daher auch insoweit von dem Grundsatz, wonach eine Person, die in Deutschland eine Beschäftigung ausübt, den deutschen Rechtsvorschriften unterliegt (Territorialitätsprinzip, § 3 Nr. 1 SGB IV).

 

Dass die Klägerin neben den im Bescheid namentlich benannten Arbeitnehmern eine Vielzahl weiterer Arbeitnehmer in Deutschland beschäftigt hat, ergibt sich aus der am 7. Juli 2014 durch die Mitarbeiter der Zollverwaltung aufgefundenen Anlage „Aufstellung der eingesetzten Arbeitnehmer“ vom 5. Juli 2014, in der insgesamt 43 Arbeitnehmer namentlich benannt wurden, und aus der Angabe des Geschäftsführers der Klägerin vom 17. Juli 2014, wonach er auf der Baustelle „zwischenzeitlich 30 bis 35 Angestellte“ gehabt habe. In einer von der Klägerin erstellten „Chronologie der Geschehnisse“, die am 11. April 2016 vom HZA an die Beklagte übermittelt wurde, hat der Geschäftsführer der Klägerin zudem ausgeführt, „sie“ seien zur Vertragserfüllung „mit 24 Personen angereist“ und hätten im Juli 2014 auf Verlangen der B-GmbH „insgesamt 54 Personen nach S gebracht“. Die Steuerberaterin der Klägerin hat in einem an das Finanzamt N gerichteten Schreiben vom 2. Juli 2014 angegeben, dass von der Klägerin „60 Mitarbeiter nach Deutschland versendet“ würden. Der Geschäftsführer der Klägerin hat zwar in seiner Aussage vom 17. Juli 2014 auch angegeben, dass sämtliche seiner Mitarbeiter aus Bulgarien stammten, allerdings folgt – anders als die Klägerin meint – aus diesem Umstand allein nicht die Anwendung bulgarischen Rechts, wie die Ausführungen unter Ziffer 2. zeigen.

 

4.
Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist jedoch hinsichtlich der Höhe der Forderung teilweise rechtswidrig. Er war deshalb im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben.

 

Die Beigeladenen zu 3 und 6 bis 16, die zwei verstorbenen Arbeitnehmer und die namentlich nicht bekannten Arbeitnehmer unterlagen als abhängig Beschäftigte der Versicherungspflicht in allen Zweigen der Sozialversicherung. Die Sozialversicherungspflicht (die kraft Gesetzes eintritt und nicht vom Willen der Beteiligten abhängt) richtet sich nach § 25 Abs. 1 Satz  SGB III für die Arbeitslosenversicherung, § 5 Abs. 1 Nr. 1 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) für die Krankenversicherung, § 1 Nr. 1 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) für die Rentenversicherung und § 20 Abs. 1 Nr. 1 des Elften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB XI) für die soziale Pflegeversicherung. Diese Vorschriften setzen jeweils eine abhängige Beschäftigung gegen Entgelt im Sinne des § 7 SGB IV voraus. Nach Absatz 1 Satz 1 dieser Vorschrift ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Dass die Klägerin nicht nur mit dem Beigeladenen zu 3, sondern auch mit den Beigeladenen zu 6 bis 16 und den zwei verstorbenen Arbeitnehmern Arbeitsverhältnisse begründet hatte, ist von der Klägerin zu Recht nicht bestritten worden und ergibt sich auch aus den von der Klägerin eingereichten Arbeitsverträgen.

 

Gemäß § 28e Abs. 1 Satz 1 SGB IV hat der Arbeitgeber den Gesamtsozialversicherungsbeitrag zu zahlen. Zu diesem Zweck hat er gemäß § 28f Abs. 1 Satz 1 SGB IV für jeden Beschäftigten, getrennt nach Kalenderjahren, Entgeltunterlagen in deutscher Sprache zu führen und bis zum Ablauf des auf die letzte Prüfung folgenden Kalenderjahres geordnet aufzubewahren. Bei der Ausführung eines Dienst- oder Werkvertrages im Baugewerbe hat der Unternehmer die Entgeltunterlagen und die Beitragsabrechnung so zu gestalten, dass eine Zuordnung der Arbeitnehmer, des Arbeitsentgelts und des darauf entfallenden Gesamtsozialversicherungsbeitrags zu dem jeweiligen Dienst- oder Werkvertrag möglich ist (§ 28f Abs. 1a SGB IV). Da die Klägerin solche Entgeltunterlagen nicht geführt hat, hat sie ihre Aufzeichnungspflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt. Auf ein Verschulden kommt es insofern nicht an (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 7. Februar 2002 – B 12 KR 12/01 R –, Rn. 22, und Urteil vom 27. April 2021 – B 12 R 18/19 R, Rn. 35, jeweils juris).

 

Dass die Klägerin ihre aus § 28f Abs. 1 SGB IV (i.V.m. §§ 2 ff. Beitragsüberwachungsverordnung [BÜVO]) folgende Verpflichtung zur Führung ordnungsgemäßer Lohnunterlagen verletzt hat, unterliegt keinen Zweifeln. Dies wurde auch von der Klägerin im Hinblick auf den Beigeladenen zu 3 und die Beigeladenen zu 14 bis 16 bereits selbst eingeräumt. Auch dass die Klägerin keine aussagekräftigen Unterlagen zu den unbekannten Arbeitnehmern vorgelegt hat, spricht letztlich für sich und ist – anders als im Strafverfahren – angesichts der Mitwirkungspflichten des Arbeitgebers im Sozialversicherungsrecht und der Sonderregelung in § 28f Abs. 2 SGB IV auch beweisrechtlich gegen sie verwertbar.

 

  1. Die Festsetzung der Beiträge für den Beigeladenen zu 3 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat die von ihr gemäß § 28e Abs. 1 Satz 1 SGB IV geschuldeten Gesamtsozialversicherungsbeiträge für den Beigeladenen zu 3 trotz rechtskräftiger arbeitsgerichtlicher Verurteilung bislang nicht entrichtet. Die Beklagte hat die entsprechenden Beiträge demnach zu Recht nachgefordert. Keinen Bedenken begegnet, dass die Beklagte die Beiträge aus einem Bruttolohn für Juni und Juli 2014 in Höhe von insgesamt 2.800,00 Euro berechnet hat, denn dieser Lohn ergibt sich sowohl aus dem Arbeitsvertrag vom 11. Juni 2014 als auch aus dem Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts O vom 23. September 2014 – 4 Ca 1228/14 –. Zutreffend hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass für die Feststellung der Versicherungspflicht, der Beitragspflicht und der Beitragshöhe das Entstehungsprinzip und nicht das Zuflussprinzip gilt (BSG, Urteil vom 14. Juli 2004 – B 12 KR 1/04 R –, Rn. 17, juris). Für das Entstehen der Beitragspflicht ist es daher unerheblich, dass die Klägerin den dem Beigeladenen zu 3 zustehenden Lohn (trotz ihrer arbeitsvertraglichen Verpflichtung und trotz des rechtskräftigen Versäumnisurteils vom 23. September 2014) bislang nicht ausgezahlt hat.

 

  1. Die Festsetzung der Beiträge für die namentlich bekannten Arbeitnehmer (die Beigeladenen zu 6 bis 16 sowie die verstorbenen Arbeitnehmer) ist ebenfalls rechtmäßig. Hat der Arbeitgeber – wie hier – die Aufzeichnungspflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt und können dadurch die Versicherungs- oder Beitragspflicht oder die Beitragshöhe nicht festgestellt werden, kann der prüfende Träger der Rentenversicherung auch einen Beitragssummenbescheid erteilen. Gemäß § 28f Abs. 2 SGB IV gilt: Hat ein Arbeitgeber die Aufzeichnungspflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt und können dadurch die Versicherungs- oder Beitragspflicht oder die Beitragshöhe nicht festgestellt werden, kann der prüfende Träger der Rentenversicherung den Beitrag in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung und zur Arbeitsförderung von der Summe der vom Arbeitgeber gezahlten Arbeitsentgelte geltend machen. Dies gilt nach Satz 2 nicht, soweit ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand festgestellt werden kann, dass Beiträge nicht zu zahlen waren oder Arbeitsentgelt einem bestimmten Beschäftigten zugeordnet werden kann. Soweit der prüfende Träger der Rentenversicherung die Höhe der Arbeitsentgelte nicht oder nicht ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand ermitteln kann, hat er diese nach Satz 3 zu schätzen. Dabei ist nach Satz 4 für das monatliche Arbeitsentgelt eines Beschäftigten das am Beschäftigungsort ortsübliche Arbeitsentgelt mitzuberücksichtigen.

 

Dabei geht § 28f Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB IV von dem – hier nicht vorliegenden – Fall aus, dass zwar die Summe der gezahlten Entgelte bekannt ist, aber nicht einzelnen Beschäftigten zugeordnet werden kann, etwa weil Aufzeichnungen über die beschäftigten Personen fehlen, unvollständig oder offensichtlich unrichtig sind. § 28f Abs. 2 S. 3 und 4 SGB IV lässt aber Summenbescheide auch dann zu, wenn nicht einmal die Summe der Arbeitsentgelte bekannt ist. In diesem Falle ist die Entgeltsumme zu schätzen.

 

Ob der prüfende Rentenversicherungsträger einen Summenbescheid erlassen darf, beurteilt sich nach den Verhältnissen bei Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides. Entscheidend ist, ob aufgrund einer Gesamtwürdigung der Erlass eines Summenbescheides verhältnismäßig ist. Die Verhältnismäßigkeit des Summenbescheides kann auch im gerichtlichen Verfahren überprüft werden, und zwar auch dann, wenn der Arbeitgeber den Erlass eines Summenbescheides nicht rügt. Für eine Beanstandung durch ein Gericht ist jedoch erforderlich, dass für den Zeitpunkt des Abschlusses des Widerspruchsverfahrens bei einer Gesamtwürdigung der Summenbescheid für die Beklagte als unverhältnismäßig erscheinen musste und deshalb eine personenbezogene Feststellung der Beiträge geboten war (BSG, Urteil vom 7. Februar 2002 – B 12 KR 12/01 R –, Rn. 28, juris). Unverhältnismäßigkeit liegt allerdings nur dann vor, wenn sich die Lohnsummen ohne großen Aufwand einzelnen Personen zuordnen ließen. Dies war vorliegend aber nicht der Fall, denn die Klägerin hat auch auf das Anhörungsschreiben der Beklagten keine prüffähigen Entgeltunterlagen oder sonstige Unterlagen wie etwa namensbezogene Einsatzpläne für jeden Arbeitstag eingereicht.

 

Für die namentlich bekannten Arbeitnehmer hat die Beklagte die Berechnungen des Hauptzollamts übernommen. Dies ist nicht zu beanstanden. Dass die Beklagte keine eigenen Ermittlungen durchgeführt, sondern sich im Wesentlichen auf die durch das HZA gewonnenen Ermittlungsergebnisse gestützt und diese sozialversicherungs- und beitragsrechtlich ausgewertet hat, begegnet keinen Bedenken. Das Verwaltungsverfahren ist nicht an bestimmte Formen gebunden, soweit keine besonderen Rechtsvorschriften für die Form des Verfahrens bestehen; es ist einfach, zweckmäßig und zügig durchzuführen (§ 9 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch [SGB X]). Gemäß § 20 Abs. 1 Satz 2 SGB X bestimmt die Behörde Art und Umfang der Ermittlungen, gemäß § 21 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 und 3 SGB X kann sie zur Ermittlung des Sachverhaltes u.a. Auskünfte jeder Art einholen und Urkunden und Akten beiziehen (Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 22. April 2016 – L 1 KR 228/11 –, Rn. 31, juris).

 

Diese Lohnschätzung ist auch der Höhe nach nicht zu beanstanden, soweit die Berechnung des Arbeitsentgelts für die namentlich bekannten Arbeitnehmer anhand der geschätzten Arbeitsstunden und eines Stundenlohns in Höhe der Lohngruppe 2 erfolgt ist.

 

Die Klägerin hat keine prüffähigen Lohnunterlagen vorgelegt, die eine von der angefochtenen Entscheidung abweichende Entscheidung ermöglichen könnten. Insbesondere war es mangels aussagekräftiger Personalunterlagen weder der Beklagten noch den Gerichten möglich festzustellen, ob die Beigeladenen zu 6 bis 16 Anspruch auf den Mindestlohn der Lohngruppe 1 oder der Lohngruppe 2 des Tarifvertrages Mindestlohn Baugewerbe hatten. Die Angaben der Klägerin zu den den Beigeladenen zu 14 bis 16 geschuldeten Entgelten sind darüber hinaus widersprüchlich. Im Berufungsverfahren hat sie angegeben, die Beigeladenen zu 14 und 15 hätten jeweils einen Lohn in Höhe von 1.590,00 Euro erhalten, der Beigeladene zu 16 in Höhe von 1.650 Euro. Im Klageverfahren hatte sie hingegen noch eine „Auskunft Aktueller Zustand von allen Arbeitsverträgen“ eingereicht, aus der sich für alle drei ein Grundgehalt von lediglich jeweils 540 Leva ergab. Die Beweislast liegt aber beim Arbeitgeber – hier also bei der Klägerin –, wenn dieser bei Unvollständigkeit eigener Nachweise geltend macht, es sei von einer niedrigeren Summe als der geforderten, auf einer ordnungsgemäßen Schätzung basierenden, Summe auszugehen.

 

c.         Für die namentlich nicht bekannten Arbeitnehmer hat die Beklagte eine umsatzbezogene Lohnschätzung vorgenommen, die teilweise zu beanstanden war.

 

aa.      Die Beklagte hat in ihrem Bescheid vom 24. Februar 2016 für die Berechnung der geschuldeten Beiträge für den Zeitraum vom 1. bis 31. Juli 2014 ein tatsächliches Entgelt der unbekannten Arbeitnehmer in Höhe von 112.296,21 Euro zugrunde gelegt und für den Zeitraum vom 1. bis 30. September 2014 ein tatsächliches Entgelt in Höhe von 111.937,91 Euro. Dieses Entgelt hat sie anhand des Umsatzes der Klägerin bestimmt. Hierfür hat sie die Nettoumsätze aus insgesamt drei Rechnungen, die die Klägerin an die B-GmbH gestellt hat, zugrunde gelegt, nämlich aus der Rechnung 0101/14 vom 18. Juli 2014 über 109.159,848 Euro für den Zeitraum 16. bis 30. Juni 2014, aus der Rechnung 0101/14-1 vom 18. September 2014 über 73.089,406 Euro für Leistungen „bis 1. Juli 2014“ und aus der Rechnung 0102/14-1 vom 22. September 2014 über 35.722,137 Euro für Leistungen „bis 10. Juni 2014“. Die Berechnung erfolgte sodann aus einem (angenommenen) Nettoumsatz im Juli 2014 in Höhe von 109.159,85 Euro und im September 2014 in Höhe von 108.811,55 Euro. Hiervon wurden jeweils 2/3 (72.773,60 Euro bzw. 72.541,40 Euro) als Nettolohnkostenanteil zugrunde gelegt und dieser zur Ermittlung des beitragspflichtigen Bruttoentgelts jeweils mit dem Hochrechnungsfaktor von 54,309 multipliziert.

 

Die B-GmbH hat im Berufungsverfahren jedoch auf Nachfrage mitgeteilt, dass die Klägerin unter dem 18. September 2014 Korrekturrechnungen erstellt habe und dass es sich bei der Rechnung mit der Nummer 0101/14-1 um eine Korrektur der ursprünglichen Rechnung mit der Nummer 0101/14 gehandelt habe. Der Senat hält daher im Ergebnis den Vortrag des Geschäftsführers der Klägerin aus seinem Schreiben vom 3. Dezember 2015, wonach die Klägerin lediglich zwei Rechnungen gestellt habe (über 73.089,406 Euro für Arbeit am Objekt in S vom 2. Juni bis 3. Juli 2014 und über 35.722,137 Euro für die Arbeit am Objekt in S vom 9. Juni 2014 bis 8. Juli 2014), für plausibel. Die stornierte Rechnung 0101/14 vom 18. Juli 2014 über 109.159,848 Euro für den Zeitraum 16. bis 30. Juni 2014 kann deshalb bei der umsatzbezogenen Lohnschätzung keine Berücksichtigung finden. Zugrunde gelegt werden dürfen vielmehr nur die Umsätze aus der Rechnung 0101/14-1 vom 18. September 2014 über 73.089,406 Euro für Leistungen „bis 1. Juli 2014“ und aus der Rechnung 0102/14-1 vom 22. September 2014 über 35.722,137 Euro für Leistungen „bis 10. Juni 2014“, so dass sich – wie im Tenor in Punkt 2.a.i. ausgeurteilt – eine Berechnungsgrundlage von (nur) 108.811,54 Euro ergibt.

Die Beklagte hat bei der Berechnung zudem die ermittelten beitragspflichtigen Arbeitsentgelte für die namentlich bekannten Arbeitnehmer von der Berechnung der Gesamtentgelte nicht abgesetzt, was der Terminsvertreter der Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung auch bestätigt hat. Die Forderungsberechnung ist daher auch insoweit unrichtig. Die Beklagte wird die Beitragsschuld deshalb unter Absetzung der Bruttoarbeitslöhne der im Bescheid genannten, namentlich bekannten Arbeitnehmer von der vorstehend ermittelten Berechnungsgrundlage von (nur) 108.811,54 Euro neu berechnen müssen (Punkt 2.a.ii. des Urteilstenors).

 

  1. Nicht zu beanstanden ist hingegen, dass die Beklagte ihre Beitragsberechnung anhand der Vorgaben des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV vorgenommen hat. Danach gilt ein Nettoarbeitsentgelt als vereinbart, wenn bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen Steuern und Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung nicht gezahlt worden sind. Die Einnahmen des Beschäftigten müssen dann unter Einbeziehung des auf sie entfallenden gesetzlichen Arbeitnehmeranteils und der (direkten) Steuern auf ein hypothetisches Bruttoarbeitsentgelt „hochgerechnet“ werden. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat bereits entschieden, dass die Fiktion des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV auch in Fällen nur teilweiser Schwarzlohnzahlung Anwendung findet. Angesichts des Zwecks, den der Gesetzgeber bei Einführung der Vorschrift verfolgte, ist eine weite Auslegung geboten. Denn neben der Beseitigung von Beweisschwierigkeiten zum Inhalt von Lohnvereinbarungen bei illegaler Beschäftigung war die Verhinderung und Beseitigung von Wettbewerbsvorteilen, die sich die Beteiligten von illegalen Beschäftigungsverhältnissen verschaffen, ein wesentliches Anliegen des Gesetzgebers. Dieses Ziel kann nur dadurch erreicht werden, dass die Vorschrift auch dann anwendbar ist, wenn lediglich Entgeltteile nicht ordnungsgemäß verbucht und gemeldet werden und dadurch die gesetzlich geforderten Abzüge umgangen werden sollen (BGH, Beschluss vom 7. Oktober 2009 – 1 StR 320/09 –, juris). Durch das Bundessozialgericht ist zudem geklärt, dass der – hier vorliegende – Fall einer Nichtzahlung von Lohnsteuer und Beiträgen unter Verstoß gegen die gesetzliche Verpflichtung hierzu und gegen die vorausgehenden Melde-, Aufzeichnungs- und Nachweispflichten hiervon erfasst ist, weil er als Verletzung der zentralen arbeitgeberbezogenen Pflichten des Sozialversicherungsrechts (und des Lohnsteuerrechts) zu qualifizieren ist. Ob sich die Nichtzahlung von Lohnsteuer und Beiträgen zur Sozialversicherung sowie zur Arbeitsförderung lediglich als „Folgefehler“ einer „Fehlbeurteilung“ des Versicherungsstatus darstellt, ist dabei unerheblich (BSG, Urteil vom 9. November 2011 – B 12 R 18/09 R –, Rn. 24, juris). Ebenso unerheblich ist der hier (möglicherweise) vorliegende Fall eines Irrtums über das anwendbare Recht. Denn die Klägerin hätte es selbst in der Hand gehabt, durch einen Antrag auf Ausstellung von A1-Bescheinigungen frühzeitig eine Klärung dieser Frage herbeizuführen.

 

Die objektiven Voraussetzungen für die Anwendung des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV sind vorliegend erfüllt, denn die Klägerin hat bislang überhaupt keine Beiträge zur Sozialversicherung abgeführt. Die in § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV geforderte illegale Beschäftigung setzt neben der objektiven Verletzung der Zahlungs- und der mit ihnen einhergehenden Arbeitgeberpflichten aber zusätzlich voraus, dass die Pflichtverstöße von einem subjektiven Element in Form eines mindestens bedingten Vorsatzes getragen sind. Bedingt vorsätzlich handelt, wer seine Beitragspflicht für möglich gehalten und die Nichtabführung der Beiträge billigend in Kauf genommen hat. Das Korrektiv des vorsätzlichen Handelns soll verhindern, dass Arbeitgeber schon bei der Vorenthaltung von Steuern und Beiträgen infolge schlichter Berechnungsfehler und bloßer (einfacher) versicherungs- und beitragsrechtlicher Fehlbeurteilungen mit der qualifizierten Rechtsfolge des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV belastet werden (vgl. BSG, Urteil vom 9. November 2011 – B 12 R 18/09 R –, Rn. 27 f., juris).

 

Da die Klägerin aber für keinen ihrer in Deutschland eingesetzten Arbeitnehmer eine A1-Bescheinigung erhalten (und möglicherweise auch nie beantragt) hat, ist im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass die Klägerin (bzw. ihr Geschäftsführer als ihr handelndes Organ) mindestens damit gerechnet hat (im Sinne eines „Inkaufnehmens“, das zur Annahme eines bedingten Vorsatzes führt), dass deutsches Sozialversicherungsrecht zur Anwendung kommen kann.

 

Die Berechnung des Hochrechnungsfaktors von 54,309 lässt sich anhand der vom Vertreter der Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung überreichten „Anlage Ermittlung des Umrechnungsfaktors/Hochrechnungsfaktors“, auf die Bezug genommen wird, nachvollziehen. Die Klägerin hat insoweit keine Einwände erhoben. Fehler bei der Ermittlung sind nicht ersichtlich.

 

5.
Dass die Beklagte auch berechtigt war, Umlagen zu den Arbeitgeberaufwendungen nach § 1 des Gesetzes über den Ausgleich der Arbeitgeberaufwendungen für Entgeltfortzahlung (Aufwendungsausgleichsgesetz – AAG) zu erheben, folgt aus § 7 AAG. Gemäß § 10 AAG i.V.m. § 28f Abs. 2 S. 1 SGB IV kann der prüfende Rentenversicherungsträger auch den Umlagebeitrag von der Summe der vom Arbeitgeber gezahlten Arbeitsentgelte geltend machen, wenn ein Arbeitgeber – wie hier – die Aufzeichnungspflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt hat und dadurch u.a. die Beitragshöhe nicht festgestellt werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 26. September 2017 – B 1 KR 31/16 R –, Rn. 28, juris).

 

Auf die ebenfalls von den Arbeitgebern aufzubringende Insolvenzgeldumlage (§ 358 Abs. 1 Satz 1 SGB III) finden die für den Gesamtsozialversicherungsbeitrag geltenden Vorschriften des Vierten Buches entsprechende Anwendung, soweit das SGB III nichts anderes bestimmt (§ 359 Abs. 1 SGB III). Auf die vorangegangenen Ausführungen kann daher verwiesen werden.

 

6.
Die Erhebung von Säumniszuschlägen erfolgte dem Grunde nach ebenfalls zu Recht. Da die Höhe der Beitragsschuld aber neu zu berechnen ist (siehe oben, 4.c.), wird die Beklagte auch die Säumniszuschläge anschließend neu zu berechnen haben und darf diese nur in entsprechend geringerer Höhe erheben.

 

Gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB IV hat der Zahlungspflichtige für Beiträge und Beitragsvorschüsse, die er nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages gezahlt hat, für jeden angefangenen Monat der Säumnis einen Säumniszuschlag von 1 Prozent des rückständigen, auf 50 Euro nach unten abgerundeten Betrages zu zahlen. Wird eine Beitragsforderung – wie hier – durch Bescheid mit Wirkung für die Vergangenheit festgestellt, ist nach § 24 Abs. 2 SGB IV ein darauf entfallender Säumniszuschlag nicht zu erheben, soweit der Beitragsschuldner glaubhaft macht, dass er unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht hatte. Diese Ausnahmeregelung setzt voraus, dass der Beitragsschuldner keine Kenntnis von seiner Zahlungspflicht hat, die Unkenntnis nicht verschuldet ist, ihm auch Kenntnis oder Verschulden einer anderen Person nicht zurechenbar ist und die unverschuldete Unkenntnis ununterbrochen bis zur Festsetzung der Säumniszuschläge durch Bescheid bestanden hat (BSG, Urteil vom 12. Dezember 2018 – B 12 R 15/18 R –, Rn. 11, juris).

 

Kenntnis von der Zahlungspflicht nach § 24 Abs. 2 SGB IV ist das sichere Wissen darum, rechtlich und tatsächlich zur Zahlung von Beiträgen verpflichtet zu sein. Sie liegt bei einem nach § 28e SGB IV zahlungspflichtigen Arbeitgeber vor, wenn er die seine Beitragsschuld begründenden Tatsachen kennt, weil er zumindest als Parallelwertung in der Laiensphäre nachvollzieht, dass einerseits Beschäftigung vorliegt, die andererseits die Beitragspflicht nach sich zieht. Das Wissen um die (bloße) Möglichkeit der Beitragserhebung steht dem sicheren Wissen um die rechtliche und tatsächliche Verpflichtung zur Beitragszahlung hingegen nicht gleich. Allein das Fehlen der Kenntnis von der Beitragszahlungspflicht steht der Festsetzung von Säumniszuschlägen allerdings noch nicht entgegen. Vielmehr sind Säumniszuschläge nur dann nicht zu erheben, wenn die Unkenntnis unverschuldet ist. Dieses (Un-)Verschulden bestimmt sich nicht nach § 276 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), sondern setzt wenigstens bedingten Vorsatz voraus (BSG, Urteil vom 12. Dezember 2018 – B 12 R 15/18 R –, Rn. 12 f., juris). Unter Berücksichtigung des bei der Festsetzung von Säumniszuschlägen zu beachtenden verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips kann der Zweck der Säumniszuschläge, die rechtzeitige Zahlung der Beiträge durchzusetzen, rechtmäßig nur erreicht werden, wenn der betroffene Arbeitgeber seine Zahlungspflicht zumindest für möglich hält und billigend in Kauf nimmt (BSG, Urteil vom 12. Dezember 2018 – B 12 R 15/18 R –, Rn. 17, juris). Ist – wie hier – eine juristische Person des Privatrechts Beitragsschuldnerin, kommt es auf die Kenntnis oder unverschuldete Unkenntnis zumindest eines Mitglieds eines Organs von der Beitragspflicht an. Wissen und Verschulden eines vertretungsberechtigten Organmitglieds ist als dasjenige des Organs anzusehen und damit auch der juristischen Person zuzurechnen (BSG, Urteil vom 12. Dezember 2018 – B 12 R 15/18 R –, Rn. 20, juris).

 

Insoweit kann aber nichts anderes gelten als im Rahmen des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV: Da die Klägerin keine A1-Bescheinigung erhalten hat, ist davon auszugehen, dass der Geschäftsführer der Klägerin als ihr handelndes Organ eine Zahlungspflicht nach deutschem Recht zumindest für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hat.

 

7.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 2 und 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreites. Die Beigeladenen haben ihre außergerichtlichen Kosten aus Gründen der Billigkeit (§ 162 Abs. 3 VwGO) selbst zu tragen, weil sie keine Anträge gestellt und somit kein Kostenrisiko übernommen haben (vgl. BSG, Urteil vom 27. Juni 2007 – B 6 KA 37/06 R –, Rn. 38, juris).

 

8.

Die Revision war gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 zuzulassen, weil die Frage, ob das Vorliegen einer A1-Bescheinigung in Entsendekonstellationen zwingende Voraussetzung für die Weitergeltung des Heimatrechts des Arbeitgebers ist, durch die höchstrichterliche Rechtsprechung bislang noch nicht geklärt ist.

 

9.

Der Streitwert für das Verfahren war gemäß § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 63 Abs. 2 S. 1, § 52 Abs. 1 und Abs. 3 S. 1, § 47 Abs. 1 S. 1 GKG in Höhe der streitigen Forderung festzusetzen (vgl. BSG, Urteil vom 12. Dezember 2018 – B 12 R 15/18 R –, Rn. 27, juris).

 

 

 

Rechtskraft
Aus
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