Sozialgericht Düsseldorf
Az.: S 6 U 145/17
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Verkündet am: 18.02.2020 |
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Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Rechtsstreit
Klägerin
Proz.-Bev.:
gegen
Beklagte
In Sachen:
hat das Sozialgerichts Düsseldorf – 6. Kammer –
auf die mündliche Verhandlung vom 18.02.2020
durch den Richter am Sozialgericht …… – Vorsitzender –
sowie die ehrenamtlichen Richter ….. und …..
für Recht erkannt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 5.660,12 Euro zu zahlen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Berufung wird nicht zugelassen.
4. Der Streitwert wird insgesamt auf 5.660,12 Euro festgesetzt.
T a t b e s t a n d
Die Beteiligten streiten darum, ob ein Versicherungsfall der gesetzlichen Unfallversicherung (Arbeitsunfall) vorliegt und wer die Kosten der Heilbehandlung zu tragen hat.
Die klagende Unfallversicherungsträgerin verlangt von der beklagten Krankenversicherungsträgerin die Erstattung von Heilbehandlungskosten in Höhe von 5.660,12 Euro, die sie nach einem Unfall des Schülers ..... aufgewendet hat.
Der Schüler erlitt am 07.08.2012 nach einem Sprung aus dem Fenster eine Fraktur des Beines. Nach den Ermittlungen der Klägerin geschah dies aus Furcht vor Entdeckung, er durfte sich in dem Klassenraum nicht aufhalten, Unterricht fand nicht mehr statt, er hatte offenbar ein Buch gestohlen.
Die Klägerin lehnte die Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall ab (Bescheid vom 11.11.2010). Diese Entscheidung ist dem Verunfallten gegenüber bindend geworden.
Die Klägerin meldete den Erstattungsanspruch bei der Beklagten an und bezifferte diesen wie folgt: Krankentransportkosten 539,00 €, stationäre Behandlungskosten 5.038,42 € und Rezeptkosten 28,48 € (Schreiben vom 15.09.2009) sowie weitere Rezeptkosten 54,22 € (Schreiben vom 21.09.2009).
Die Beklagte lehnte die Erstattung ab; ihrer Ansicht nach sei das Handeln des Schülers durch schulische Interessen geprägt gewesen; eine verbotene Tätigkeit sowie auch eine selbstgeschaffene Gefahr würden den Versicherungsschutz nicht ausschließen, das Beschaffen von Schul- und Arbeitsmaterial habe dem betrieblichen Interesse gedient, die zur Verletzung führende Handlung sei durch die „Arbeitsbedingungen der Schule“ verursacht worden (Schreiben vom 11.02. und 22.07.2010).
Mit Schriftsatz vom 23.02.1015 erhob die Klägerin in Verfolgung ihres Begehrens Klage. Ihrer Meinung nach entfalte bereits der bestandskräftige Bescheid vom 11.11.2010 eine materielle Bindungswirkung – Tatbestands- bzw. Drittbindungswirkung – für die Beklagte. Im Übrigen ergebe sich für den gesetzliche Unfallversicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 8b SGB VII <Sozialgesetzbuch – Siebtes Buch – Gesetzliche Unfallversicherung> bei SchülerInnen grundsätzlich eine Limitierung auf schulische Veranstaltungen bzw. auf den unmittelbaren Schulbesuch; der Unfallversicherungsschutz sei nur gegeben, wenn der organisatorische Verantwortungsbereich der Schule betroffen sei, grundsätzlich müsse es hier eine unmittelbare zeitliche und räumliche Beziehung zur Schule bzw. zur Schulveranstaltung geben; ohne Versicherungsschutz blieben Verrichtungen, die auf eigene Initiative erfolgten; zwar stehe wegen § 7 Abs. 2 SGB VII ein verbotswidriges Verhalten der Annahme eines Versicherungsfalls nicht entgegen, dieses löse aber auch den Unfallversicherungsschutz nicht aus.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen
Betrag in Höhe von 5.660,12 Euro zu zahlen.
Die Beklagten beantragt,
die Klage abzuweisen.
Eine Bindungswirkung des erteilten ablehnenden Bescheides bestehe nicht, zumal dieser offensichtlich rechtswidrig sei. Aus ihrer Sicht stehe keineswegs unzweifelhaft fest, dass sich der Unfall außerhalb der versicherten Tätigkeit ereignet habe; der Schüler sei auf dem Schulgelände im Rahmen eines Schulbesuches aus dem Fenster gestürzt; es stehe keinesfalls fest, dass der Versicherte ein fremdes Wörterbuch entwendet habe solle; insoweit sei ihrer Meinung nach eine weitere Aufklärung des Sachverhaltes nötig, die Beweislast dafür, dass es sich trotz des Anscheins um keinen Schulunfall handeln soll, liege bei der Klägerin.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf den restlichen Inhalt der Streit- und Verwaltungsakten verwiesen, auch dieser ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung sowie der anschließenden Beratung der Kammer gewesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Die Klage ist zulässig und begründet. Der Klägerin hat Anspruch auf Erstattung des von ihr geltend gemachten – und in der Höhe nicht angegriffenen – Betrages.
Der Versicherungsschutz besteht nur während des Besuchs der Schule bzw. während der Teilnahme an schulischen Maßnahmen. Hierbei kommt es nach der ganz herrschender Meinung nicht auf den inneren Zusammenhang einer Verrichtung mit dem Schulbesuch an, sondern darauf, ob die Verrichtung im organisatorischen Verantwortungsbereich der Schule geschieht; außerhalb des Verantwortungsbereichs besteht in der Regel auch dann kein Versicherungsschutz, wenn diese wesentlich durch den Schulbesuch bedingt ist (vgl. Bieresborn in: jurisPK-SGB VII, 2. Aufl., § 2 SGB VII (Stand: 02.01.2020) Rn. 170). Nicht versichert sind Verrichtungen, bei denen sich der Schüler rein persönlichen Tätigkeiten widmet (Bieresborn, a.a.O., Rn. 171 m.w.N.). Hierzu gehört sicher das Entwenden eines Schulbuchs, welches zur vollen Überzeugung des Gericht vorliegt. Weitere Ermittlungen hierzu sind – entgegen der Ansicht der Beklagten – nicht erforderlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 197a SGG. Der Streitwert richtet sich nach § 52 Abs. 1 GKG. Gründe für eine Berufungszulassung nach § 144 SGG bestehen nicht.
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g:
Dieses Urteil kann nur dann mit der Berufung angefochten werden, wenn sie nachträglich durch Beschluss des Landessozialgerichts zugelassen wird. Zu diesem Zweck kann die Nichtzulassung der Berufung durch Beschwerde angefochten werden.
Die Berufung ist zuzulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
- das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
- ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Zweigertstraße 54, 45130 Essen
schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Die Beschwerdeschrift muss bis zum Ablauf der Frist bei diesem Gericht eingegangen sein. Sie soll das angefochtene Urteil bezeichnen und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.
Die elektronische Form wird durch Übermittlung eines elektronischen Dokuments gewahrt, das für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet ist und
- von der verantwortenden Person qualifiziert elektronisch signiert ist und über das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) eingereicht wird oder
- von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gem. § 65a Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingereicht wird.
Weitere Voraussetzungen, insbesondere zu den zugelassenen Dateiformaten und zur qualifizierten elektronischen Signatur, ergeben sich aus der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung - ERVV) in der jeweils gültigen Fassung. Über das Justizportal des Bundes und der Länder (www.justiz.de) können nähere Informationen abgerufen werden.
Zusätzlich wird darauf hingewiesen, dass einem Beteiligten auf seinen Antrag für das Verfahren vor dem Landessozialgericht unter bestimmten Voraussetzungen Prozesskostenhilfe bewilligt werden kann.
…..
Beglaubigt