L 37 SF 29/22 EK AS WA

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungsklage bei überlanger Verfahrensdauer
Abteilung
37
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 37 SF 29/22 EK AS WA
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze


1.    Entschädigungsrechtlich ist im Falle der Verbindung der Ausgangsverfahren nur (noch) von einem Gerichtsverfahren im Sinne des § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG auszugehen, sodass nur ein einziger – einheitlicher –Entschädigungsanspruch entsteht (Anschluss an BSG, Urteil vom 21.03.2024 – B 10 ÜG 2/23 R – unter Aufgabe der eigenen bisherigen Senatsrechtsprechung, vgl. etwa LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16.03.2017 – L 37 SF 6/16 EK AS – juris Rn. 41). 

2.    Dies gilt auch dann, wenn es in den zugrunde liegenden Ausgangsverfahren erstinstanzlich erst kurz vor der dortigen Verfahrenserledigung zur Verbindung gekommen ist. 

3.    Der Verzögerungsumfang ist in Konstellationen, in denen die Ausgangsverfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden wurden, anhand desjenigen Verfahrens zu bestimmen, das die meisten Verzögerungsmonate aufweist.

Die Klage wird, soweit dem Kläger nicht bereits mit Teil-Gerichtsbescheid vom 09.07.2020 (Aktenzeichen: L 37 SF 4/20 EK AS) eine Entschädigung zugesprochen wurde, abgewiesen.

 

Der Kläger hat 60 %, der Beklagte 40 % der Kosten des Verfahrens zu tragen.

 

Die Revision wird zugelassen.

 

 

 

Tatbestand

 

Der Kläger begehrt Entschädigung wegen unangemessener Dauer von 7 vor dem Sozialgericht (SG) Neuruppin geführter Klageverfahren. Die Verfahren waren, nachdem sie im Januar 2020 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden worden waren, zuletzt unter dem gemeinsamen Aktenzeichen S 16 AS 1557/14 registriert.

 

Der Kläger bezog Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) von dem für ihn zuständigen Jobcenter (JC). In den vor dem SG Neuruppin geführten Klageverfahren stand die Höhe der Leistungen für Unterkunft und Heizung im Streit, und zwar für die Zeiträume von Februar bis April 2014 (ursprüngliches Aktenzeichen: S 29 AS 1557/14; Klageerhebung im Juli 2014), von Mai bis Oktober 2014 (ursprüngliches Aktenzeichen: S 29 AS 77/15; Klageerhebung im Dezember 2014), von November 2014 bis April 2015 (ursprüngliches Aktenzeichen: S 29 AS 601/15; Klageerhebung im März 2015), von Mai bis Oktober 2015 (ursprüngliches Aktenzeichen: S 29 AS 2382/15; Klageerhebung im Oktober 2015), von November 2015 bis April 2016 (ursprüngliches Aktenzeichen: S 16 AS 527/16; Klageerhebung im März 2016) sowie von Mai 2016 bis April 2017 (ursprüngliches Aktenzeichen: S 16 AS 1808/16; Klageerhebung im Oktober 2016). Außerdem verlangte der Kläger vom JC die Übernahme einer Nachforderung seines Vermieters aus der Nebenkostenabrechnung für das Jahr 2013 in Höhe von 3.254,08 € (ursprüngliches Aktenzeichen: S 29 AS 956/15; Klageerhebung im Mai 2015). 

 

Hintergrund der Rechtsstreitigkeiten vor dem SG Neuruppin war, dass die vom Kläger zu zahlende Bruttowarmmiete wegen einer erheblichen Erhöhung der Vorauszahlungen für die Betriebs- und Heizkosten ab 01.02.2014 von 356,99 € auf letztlich 601,31 € gestiegen war. Mit der im Dezember 2014 erstellten Nebenkostenabrechnung für das Jahr 2013 hatte der Vermieter sodann die oben erwähnte Nachforderung in Höhe von 3.254,08 € geltend gemacht und die Miete zum 01.02.2015 auf nunmehr 649,08 € erhöht. Nachdem die Nebenkostenabrechnung für das Jahr 2014 ein Guthaben in Höhe von 628,34 € ergeben hatte, war die Miete zum 01.02.2016 wieder auf 601,31 € festgesetzt worden.

 

Der Kläger begründete die hohen Kosten für Heizung und Wasser in den Ausgangsverfahren zum einen damit, dass er sich als Arbeitsloser fast ständig zu Hause aufhalte. Zum anderen wies er auf die Lage („3 Außenwände“) und den schlechten energetischen Zustand der Wohnung hin. Schließlich berief er sich auf einen bei ihm schon im Jahre 2007 vom Gesundheitsamt festgestellten Waschzwang.

 

Zum 01.01.2016 wurden (auch) die 5 zunächst der 29. Kammer des SG Neuruppin zugeordneten Verfahren aufgrund einer Änderung der Geschäftsverteilung in die Zuständigkeit der 16. Kammer überführt. Der die Kammerzugehörigkeit bezeichnende Teil des Aktenzeichens wurde jeweils entsprechend angepasst („S 16 AS …“ statt „S 29 AS …“).

 

Am 24.06.2019 erhob der Kläger in den 7 Klageverfahren jeweils Verzögerungsrüge.

 

Mit Beschluss der 16. Kammer vom 06.01.2020 wurden alle 7 Klageverfahren sowie ein weiteres, hier nicht streitgegenständliches Verfahren nach § 113 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Sie wurden fortan unter dem gemeinsamen Aktenzeichen S 16 AS 1557/14 geführt.

 

Mit Gerichtsbescheid vom 24.01.2020 gab das SG den Klagen teilweise statt; im Übrigen erfolgte die Klageabweisung. Gegen diesen Gerichtsbescheid legte der Kläger am 25.02.2020 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) ein, die dort zunächst unter dem Aktenzeichen L 29 AS 314/20 und später unter dem Aktenzeichen L 18 AS 314/20 geführt wurde. Am 14.02.2022 nahm er die Berufung wieder zurück (zum Ablauf des Berufungsverfahrens im Einzelnen siehe weiter unten).

 

Bereits am 13.01.2020 hatte der Kläger seine Entschädigungsklage beim LSG eingereicht. Die Klage ist dem Beklagten am 03.02.2020 zugestellt worden.

 

Der Kläger hat zunächst einen Entschädigungsanspruch in Höhe von insgesamt 33.800,- € verfolgt, wobei er von entschädigungspflichtigen Verzögerungen im Umfang von jeweils 54 Monaten in den Verfahren zu den Aktenzeichen S 16 AS 1557/14 und S 16 AS 77/15, von jeweils 52 Monaten in den Verfahren zu den Aktenzeichen S 16 AS 601/15 und S 16 AS 956/15, von 48 Monaten in dem Verfahren zum Aktenzeichen S 16 AS 2382/15, von 41 Monaten in dem Verfahren zum Aktenzeichen S 16 AS 527/16 sowie von 37 Monaten in dem Verfahren zum Aktenzeichen S 16 AS 1808/16 ausgegangen ist. Einen Zinsanspruch hat der Kläger zunächst nicht geltend gemacht.

 

Mit Teil-Gerichtsbescheid vom 09.07.2020 hat der erkennende Senat den Beklagten verurteilt, dem Kläger eine Entschädigung nach § 198 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) in Höhe von insgesamt 13.900,- € wegen unangemessener Dauer der 7 vor dem SG Neuruppin geführten Klageverfahren zu zahlen. Zugleich hat er ausgesprochen, dass die endgültige Festsetzung der Entschädigungshöhe dem Schlussurteil vorbehalten bleibe. Zur Begründung seiner Entscheidung hat er ausgeführt, dass die Entschädigungsklage zulässig sei und schon zum gegenwärtigen Zeitpunkt in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg habe. Obgleich die Ausgangsverfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen seien, stehe bereits fest, dass es zu unumkehrbaren Verfahrensverzögerungen gekommen sei, die die Gewährung von Entschädigungen in zumindest insgesamt durchaus beträchtlicher Höhe erforderten. Der Kläger habe jeweils ordnungsgemäß Verzögerungsrüge erhoben. Die Ausgangsverfahren hätten trotz der erfolgten Verbindung ihre Eigenständigkeit behalten und seien entschädigungsrechtlich jeweils einer gesonderten Bewertung zu unterziehen. Es handle sich um Verfahren überdurchschnittlicher Bedeutung und Schwierigkeit sowie durchschnittlicher Komplexität. Aufgrund von Untätigkeit des Gerichts sei es zu sachlich nicht gerechtfertigten Verfahrenszeiten gekommen, und zwar wie folgt:

 

  • Verzögerungen in dem Verfahren zum Aktenzeichen S 16 AS 1557/14 im Februar 2015 (1 Kalendermonat), von August 2015 bis April 2016 (9 Kalendermonate) sowie von November 2016 bis Dezember 2019 (38 Kalendermonate), insgesamt also 48 Kalendermonate
  • Verzögerungen in dem Verfahren zum Aktenzeichen S 16 AS 77/15 im Januar 2015 (1 Kalendermonat), von August 2015 bis April 2016 (9 Kalendermonate) sowie von November 2016 bis Dezember 2019 (38 Kalendermonate), insgesamt also 48 Kalendermonate
  • Verzögerungen in dem Verfahren zum Aktenzeichen S 16 AS 601/15 im Mai 2015 (1 Kalendermonat), von Oktober 2015 bis April 2016 (7 Kalendermonate) sowie von November 2016 bis Dezember 2019 (38 Kalendermonate), insgesamt also 46 Kalendermonate
  • Verzögerungen in dem Verfahren zum Aktenzeichen S 16 AS 956/15 von Juni 2015 bis April 2016 (11 Kalendermonate) sowie von November 2016 bis Dezember 2019 (38 Kalendermonate), insgesamt also 49 Kalendermonate
  • Verzögerungen in dem Verfahren zum Aktenzeichen S 16 AS 2382/15 von Dezember 2015 bis April 2016 (5 Kalendermonate) sowie von November 2016 bis Dezember 2019 (38 Kalendermonate), insgesamt also 43 Kalendermonate
  • Verzögerungen in dem Verfahren zum Aktenzeichen S 16 AS 527/16 von November 2016 bis Dezember 2019 (38 Kalendermonate), insgesamt also 38 Kalendermonate
  • Verzögerungen in dem Verfahren zum Aktenzeichen S 16 AS 1808/16 von Februar 2017 bis Dezember 2019 (35 Kalendermonate), insgesamt also 35 Kalendermonate

 

          (Gesamt: 307 Kalendermonate)

 

Zu beachten sei hierbei jedoch, dass den Gerichten Vorbereitungs- und Bedenkzeiten zuzubilligen seien, die – vorbehaltlich besonderer Gesichtspunkte des Einzelfalls – im Umfang von bis zu 12 Monaten je Instanz regelmäßig als angemessen anzusehen seien. Anlass, von der dem SG zustehenden Vorbereitungs- und Bedenkzeit von 12 Monaten für die einzelnen Klageverfahren abzuweichen, bestehe zur Überzeugung des Senats nicht. Da Anknüpfungspunkt für die Angemessenheitsprüfung das Verfahren von seiner Einleitung bis zu seinem rechtskräftigen Abschluss insgesamt sei (vgl. § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG), sei weiter zu berücksichtigen, dass in einem erstinstanzlichen Verfahren aufgetretene Verzögerungen noch durch die zügige Bearbeitung im Berufungsverfahren ausgeglichen werden könnten. Da es bislang im Laufe des Berufungsverfahrens zu keinen Phasen der gerichtlichen Inaktivität gekommen sei, sei derzeit nicht auszuschließen, dass letztlich die dem LSG zustehenden Vorbereitungs- und Bedenkzeiten vollumfänglich zur – jedenfalls teilweisen – Kompensation der unangemessenen Dauer der einzelnen Verfahren zur Verfügung stehen. Der Senat könne daher zum aktuellen Zeitpunkt eine unumkehrbare Verfahrensverzögerung lediglich im Umfang von

 

  • 24 Kalendermonaten im Verfahren zum Aktenzeichen S 16 AS 1557/14
  • 24 Kalendermonaten im Verfahren zum Aktenzeichen S 16 AS 77/15
  • 22 Kalendermonaten im Verfahren zum Aktenzeichen S 16 AS 601/15
  • 25 Kalendermonaten im Verfahren zum Aktenzeichen S 16 AS 956/15
  • 19 Kalendermonaten im Verfahren zum Aktenzeichen S 16 AS 2382/15
  • 14 Kalendermonaten im Verfahren zum Aktenzeichen S 16 AS 527/16
  • 11 Kalendermonaten im Verfahren zum Aktenzeichen S 16 AS 1808/16

 

          (Gesamt: 139 Kalendermonate)

 

feststellen. Ob letztlich – im Falle des Auftretens von Phasen der gerichtlichen Inaktivität im Berufungsverfahren – nur in geringerem Umfang Vorbereitungs- und Bedenkzeiten zur Kompensation zur Verfügung stehen, könne der Senat erst nach rechtskräftigem Abschluss der streitgegenständlichen Verfahren entscheiden. Ausgehend von der – zum gegenwärtigen Zeitpunkt – entschädigungspflichtigen Überlänge von insgesamt 139 Kalendermonaten und dem in § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG vorgegebenen Richtwert von 1.200,- € für jedes Jahr der Verzögerung belaufe sich die dem Kläger zum derzeitigen Zeitpunkt zustehende Entschädigung auf 13.900,- €.

 

Parallel zum Entschädigungsverfahren hat der Kläger – wie bereits oben erwähnt – das Berufungsverfahren gegen den Gerichtsbescheid des SG Neuruppin vom 24.01.2020 fortgeführt. Der Ablauf des Berufungsverfahrens hat sich im Einzelnen wie folgt dargestellt:

 

25.02.2020

Eingang der Berufungsschrift des Klägers vom 17.02.2020;

Registrierung des Verfahrens unter dem Aktenzeichen L 29 AS 314/20

04.03.2020

Eingangsbestätigung; Aufforderung des JC zur Berufungserwiderung

16.03.2020

Eingang der Berufungserwiderung des JC vom 11.03.2020

20.03.2020

Weiterleitung der Berufungserwiderung an Kläger zur Kenntnisnahme

02.04.2020

Eingang der Stellungnahme des Klägers vom 29.03.2020 zur Berufungserwiderung

07.04.2020

Weiterleitung der Stellungnahme des Klägers an JC zur Stellungnahme

07.05.2020

Ausführlicher richterlicher Hinweis an Kläger und JC nebst Anfrage an JC, ob beim Kläger ein Hausbesuch durchgeführt worden sei

18.05.2020

Auskunftsersuchen der Berichterstatterin beim Vermieter des Klägers

10.06.2020

Eingang der Stellungnahme des Klägers vom 03.06.2020 zum richterlichen Hinweis vom 07.05.2020

12.06.2020

Weiterleitung der Stellungnahme des Klägers an JC zur Stellungnahme

07.07.2020

Eingang der Stellungnahme des JC vom 01.07.2020 zum richterlichen Hinweis vom 07.05.2020

09.07.2020

Weiterleitung der Stellungnahme des JC an Kläger zur Stellungnahme

31.07.2020

Eingang der Stellungnahme des Klägers vom 25.07.2020 zum Schriftsatz des JC vom 01.07.2020

05.08.2020

Weiterleitung der Stellungnahme des Klägers an JC zur freigestellten Stellungnahme; Anfrage an Kläger, ob er noch an der Berufung festhalte

13.08.2020

Hinweis an Kläger und JC, dass wegen einer Änderung des Geschäftsverteilungsplans ab 03.08.2020 anstelle des 29. Senats nunmehr der 18. Senat zuständig sei; neues Aktenzeichen: L 18 AS 314/20

24.08.2020

- Eingang des Stellungnahme des JC vom 12.08.2020 zum Schriftsatz des Klägers vom 03.06.2020

- Eingang der Mitteilung des Klägers vom 18.08.2020, dass er an der Berufung festhalte

25.08.2020

Weiterleitung der vorgenannten Eingänge an die jeweilige Gegenseite; Kläger möge mitteilen, mit welchem Begehren er die Berufung weiterverfolge

10.09.2020

- Erinnerung des Vermieters an Beantwortung des Auskunftsersuchens vom 18.05.2020

- Schreiben an JC, dass dieses einen Hausbesuch mit dem Kläger vereinbaren und innerhalb 1 Monats den Sachstand mitteilen möge

- Schreiben an Kläger, dass dieser an der Vereinbarung eines Hausbesuchs mitwirken möge

23.09.2020

- Eingang des Schriftsatzes des Klägers vom 07.09.2020: Korrektur des Berufungsantrags; Stellungnahme zum Schriftsatz des JC vom 12.08.2020

- Eingang der Stellungnahme des Klägers vom 21.09.2020 zum Schreiben des Gerichts vom 10.09.2020: Ausführungen zur Energieeffizienz des Wohnhauses nebst Mitteilung, dass er einen neuen Vermieter habe, dessen Namen er aber nicht preisgeben werde; der Beklagte könne „jederzeit (und nur!)“ durch eine Außenbesichtigung des Hauses dessen Energieeffizienz überprüfen

24.09.2020

Eingang einer Mitteilung des Vermieters vom 24.09.2020; als Anlage beigefügt: Auszug des Miet-Forderungskontos für die Zeit 02/2014 bis 04/2017

28.09.2020

Eingang der Mitteilung des JC vom 23.09.2020, dass aufgrund der Corona-Situation bis auf Weiteres keine Hausbesuche durchgeführt würden

30.09.2020

Weiterleitung der vorgenannten Eingänge an die jeweilige Gegenseite; Aufforderung an JC, zunächst nur eine Außenbesichtigung des Hauses im Hinblick auf Maßnahmen der Energieeffizienz vorzunehmen und darüber innerhalb 1 Monats zu berichten

21.10.2020

Eingang des Schriftsatzes des Klägers vom 15.10.2020 mit weiterem Vortrag

13.11.2020

Eingang der Mitteilung des JC vom selben Tag, dass aufgrund der Corona-Lage eine generelle Untersagung von Dienstreisen ausgesprochen worden sei, jedoch eine Ausnahme hiervon zwecks Durchführung des Außenbesichtigungstermins angefragt worden sei

17.11.2020

Weiterleitung der Mitteilung des JC an Kläger zur Kenntnisnahme

03.12.2020

Eingang des Schriftsatzes des JC vom selben Tag: Außenbesichtigung des Hauses sei am 27.11.2020 erfolgt; als Anlage beigefügt: mehrere Fotos des Hauses

04.12.2020

- Eingang der Stellungnahme des JC vom selben Tag zum Schriftsatz des Klägers vom 07.09.2020

- Eingang der Stellungnahme des JC vom selben Tag zum Schriftsatz des Klägers vom 24.09.2020

07.12.2020

Weiterleitung der Schriftsätze des JC an Kläger zur Kenntnisnahme mit der Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb 1 Monats

30.04.2021

Beweisanordnung: Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens; Ernennung der Ärztin Dr. S zur Sachverständigen

05.05.2021

Übersendung der Beweisanordnung an Beteiligte sowie an die Sachverständige Dr. S

20.05.2021

Eingang der Mitteilung der Sachverständigen Dr. S vom 15.05.2021, dass sie wegen aktueller Überlastung keine Untersuchungstermine in absehbarer Zeit vergeben könne

31.05.2021

- Telefonat der Berichterstatterin mit der Ärztin G: Diese teilte mit, dass bei ihr aufgrund einer Erkrankung ein Rückstau an Gutachten bestehe; sie könne ein Gutachten binnen 5 Monaten erstatten

- Beschluss: Änderung der Beweisanordnung dahingehend, dass statt Frau Dr. S nunmehr Frau G zur Sachverständigen ernannt wird; Frist zur Erstellung des Gutachtens: 5 Monate

09.06.2021

Eingang des Beschlusses vom 31.05.2021 und der sonstigen Unterlagen bei der Sachverständigen G

01.12.2021

Telefonische Sachstandsanfrage der Berichterstatterin bei der Sachverständigen G

27.12.2021

Eingang des Schreibens der Sachverständigen G vom 22.12.2021: Sie habe den Kläger zu einem Untersuchungstermin am 04.01.2022 geladen

25.01.2022

Eingang des Schreibens der Sachverständigen G vom Vortag: Kläger habe ihr per E-Mail mitgeteilt, dass er morgens um 09:00 Uhr nicht erscheinen könne, was seinen Angaben zufolge auch mit seiner „Macke“ zu tun habe. Es sei ein neuer Untersuchungstermin für den 14.02.2022 um 14:30 Uhr vereinbart worden.

14.02.2022

Eingang der Berufungsrücknahmeerklärung des Klägers

 

Nach Abschluss des Berufungsverfahren ist das Entschädigungsklageverfahren, welches zwischenzeitlich ausgesetzt worden war, Ende Februar 2022 wieder aufgenommen worden.

 

Der Kläger hat die von ihm nunmehr noch geltend gemachte Forderung unter Klagerücknahme im Übrigen zuletzt auf 15.900,- € (29.800,- € abzüglich der aufgrund des Teil-Gerichtsbescheids bereits geleisteten 13.900,- €) beziffert. Daneben macht er einen Anspruch auf Zahlung von Prozesszinsen geltend.

 

Zur Begründung seiner Entschädigungsklage trägt der Kläger vor, dass sowohl dem SG als auch dem LSG jeweils lediglich 6 Monate Vorbereitungs- und Bedenkzeit zuzubilligen seien. Für das erstinstanzliche Verfahren sei das Abweichen von der „Zwölfmonatsregel“ mit Blick auf die in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG genannten Kriterien geboten, weil die Verfahren für ihn eine immense Bedeutung gehabt hätten und das SG darüber hinaus seine Amtsermittlungspflicht verletzt habe. Hinsichtlich des Verfahrens vor dem LSG sei zu berücksichtigen, dass sich der Zeitaufwand für das Gericht durch die von ihm erklärte Rücknahme der Berufung in einem frühen Stadium derart reduziert habe, dass sich dies ebenfalls auf die Vorbereitungs- und Bedenkzeit auswirken müsse.

 

Eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit im genannten Umfang sei den Ausgangsgerichten zudem jeweils nur für ein einziges Verfahren zuzugestehen. Es sei nicht einzusehen, warum das SG in 7 Verfahren, in denen es jeweils um dieselben Fragen gegangen sei, jeweils erneut eine entsprechende Vorbereitungs- und Bedenkzeit eingeräumt bekommen sollte. Von den vom Senat bereits mit dem Teil-Gerichtsbescheid festgestellten Verzögerungen im Umfang von insgesamt 307 Kalendermonaten seien somit nur (einmal) 6 Monate Vorbereitungs- und Bedenkzeit für die erstinstanzlichen Verfahren sowie (einmal) weitere 3 Monate (6 Monate Vorbereitungs- und Bedenkzeit des LSG, gemindert um 3 Verzögerungsmonate, die im dortigen Verfahren aufgetreten seien) abzuziehen, sodass insgesamt 298 Monate zu entschädigen seien.

 

Der Kläger beantragt zuletzt,

den Beklagten zu verurteilen, ihm wegen unangemessener Dauer der 7 vor dem SG Neuruppin nach Verbindung zuletzt unter dem gemeinsamen Aktenzeichen S 16 AS 1557/14 geführten Verfahren – über die bereits mit Teil-Gerichtsbescheid des Senats vom 09.07.2020 zugesprochene Entschädigung hinaus – eine weitere Entschädigung in Höhe von 15.900,- € zu zahlen, zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit aus einem Betrag von 15.900,- €.

 

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

 

Er meint, dass dem Kläger über die mit Teil-Gerichtsbescheid vom 09.07.2020 zugesprochene Entschädigungssumme hinaus kein weitergehender Entschädigungsanspruch zustehe.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den weiteren Inhalt der Gerichtsakte sowie der Akten des Ausgangsverfahrens verwiesen, die dem Senat vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

 

Entscheidungsgründe

 

Die zulässige Entschädigungsklage ist unbegründet. Dem Kläger steht – über die bereits mit Teil-Gerichtsbescheid des Senats vom 09.07.2020 zugesprochene Entschädigung in Höhe von 13.900,- € hinaus – kein Anspruch auf Zahlung einer weitergehenden Entschädigung zu.

 

I. Streitgegenstand des Entschädigungsklageverfahrens sind die vom Kläger erhobenen Ansprüche auf Geldentschädigung wegen unangemessener Dauer der 7 vor dem SG Neuruppin nach Verbindung zuletzt unter dem gemeinsamen Aktenzeichen S 16 AS 1557/14 geführten Klageverfahren. Die vom Kläger im Rahmen seiner Dispositionsbefugnis (vgl. § 123 SGG) vorgenommene Begrenzung der Entschädigungsklage auf eine Entschädigung allein wegen der Dauer der Ausgangsverfahren in erster Instanz ist prozessrechtlich zulässig. Ein (erstinstanzliches) Klageverfahren stellt entschädigungsrechtlich einen abtrennbaren Teil eines über mehrere Instanzen geführten Gerichtsverfahrens im Sinne von § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG dar (vgl. BSG, Urteil vom 27.03.2020 – B 10 ÜG 4/19 R – juris Rn. 11 m. w. N.).

 

II. Der Senat hat mit seinem Teil-Gerichtsbescheid vom 09.07.2020 bereits entschieden, dass dem Kläger wegen der unangemessenen Verfahrensdauer eine Entschädigung in Höhe von (jedenfalls) 13.900,- € zusteht. An diese Entscheidung ist der Senat gebunden (§ 202 Satz 1 SGG i. V. m. § 318 Zivilprozessordnung – ZPO; vgl. zur Reichweite der Bindungswirkung etwa Feskorn, in: Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 318 Rn. 11). Obwohl die erstinstanzlichen Verfahren seinerzeit bereits beendet waren, hatte der Senat in seinem Teil-Gerichtsbescheid weiter ausgesprochen, dass die endgültige Festsetzung der Entschädigungshöhe dem Schlussurteil vorbehalten bleibe. Hintergrund war, dass Anknüpfungspunkt für die Angemessenheitsprüfung gemäß § 198 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 6 Nr. 1 GVG stets das Verfahren von seiner Einleitung bis zu seinem rechtskräftigen Abschluss insgesamt ist. Auch wenn das Entschädigungsbegehren – wie hier – auf das erstinstanzliche Verfahren beschränkt ist, bleibt der materiell-rechtliche Bezugsrahmen für die Prüfung der Angemessenheit der Verfahrensdauer gleichwohl das gesamte gerichtliche Verfahren, auch wenn dieses über mehrere Instanzen oder bei verschiedenen Gerichten geführt worden ist (BSG, Urteil vom 24.03.2022 – B 10 ÜG 4/21 R – juris Rn. 28). Dies bedeutet für den vorliegenden Fall, dass auch das Berufungsverfahren in den Blick zu nehmen ist, welches von Februar 2020 bis Februar 2022 und mithin rund 2 Jahre andauerte. Zum Zeitpunkt des Erlasses des Teil-Gerichtsbescheids war eine abschließende Beurteilung noch nicht möglich, weil das Berufungsverfahren seinerzeit gerade erst begonnen hatte. Erst mit dem nun zu treffenden Schlussurteil kann endgültig über die Höhe des Entschädigungsanspruchs entschieden werden.

 

III. Ausgehend hiervon gelangt der Senat zu dem Ergebnis, dass der Kläger gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung einer weiteren Entschädigung hat.

 

Maßgebend für die Beurteilung des Begehrens des Klägers ist § 202 Satz 2 SGG i. V. m. §§ 198 ff. GVG, da um eine Entschädigung wegen unangemessener Dauer eines sozialgerichtlichen Verfahrens gestritten wird. 

 

Nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird gemäß § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalls Wiedergutmachung auf andere Weise ausreichend ist (§ 198 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 4 SGG). Eine Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter gemäß § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG nur dann, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird (§ 198 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 GVG).

 

1. Wie der Senat bereits in seinem Teil-Gerichtsbescheid ausgeführt hat, hat der Kläger ordnungsgemäß Verzögerungsrüge erhoben. Ebenso hat der Senat bereits dargelegt, dass der Kläger durch die unangemessene Verfahrensdauer einen immateriellen Nachteil erlitten hat und dass eine Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 4 GVG nicht ausreichend ist, dem Kläger vielmehr eine Entschädigung in Geld zu gewähren ist. Diese Ausführungen hält der Senat weiterhin für zutreffend.

 

2. Die dem Kläger mit dem Teil-Gerichtsbescheid vom 09.07.2020 (rechtskräftig) zugesprochene Entschädigung in Höhe von 13.900,- € gleicht indes den erlittenen immateriellen Nachteil bereits vollständig aus. Der Betrag übersteigt sogar deutlich die bei zutreffender Betrachtung als angemessen anzusehende Entschädigung; diese beläuft sich nämlich auf lediglich 2.700,- €. 

 

Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens sowie nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

 

a) Der Senat hat in seinem Teil-Gerichtsbescheid bereits umfassende Feststellungen zur Angemessenheit der Verfahrensdauer getroffen. Er hält diese Ausführungen nach wie vor weitgehend für richtig.

 

Dies gilt namentlich für die Feststellung, dass es sich bei den Ausgangsverfahren um Verfahren überdurchschnittlicher Bedeutung und Schwierigkeit sowie durchschnittlicher Komplexität handelte. Insoweit wird auf die Ausführungen auf Seite 16 und 17 des Teil-Gerichtsbescheids Bezug genommen. Der Senat geht auch weiterhin davon aus, dass es in den Verfahren (erstinstanzlich) zu keinen Verzögerungen gekommen ist, die dem Verantwortungsbereich des Klägers oder des JC zuzurechnen wären (siehe insoweit Seite 17 des Teil-Gerichtsbescheids). Schließlich hält der Senat daran fest, dass es aufgrund von Untätigkeit des SG zu sachlich nicht gerechtfertigten Verfahrenszeiten, d. h. zu Verzögerungen gekommen ist. Diese beliefen sich – betrachtet man die Ausgangsverfahren getrennt (dazu sogleich) – in der ersten Instanz auf jeweils 48 Monate in den Verfahren zu den Aktenzeichen S 16 AS 1557/14 und S 16 AS 77/15, auf 46 Monate in dem Verfahren zum Aktenzeichen S 16 AS 601/15, auf 49 Monate in dem Verfahren zum Aktenzeichen S 16 AS 956/15, auf 43 Monate in dem Verfahren zum Aktenzeichen S 16 AS 2382/15, auf 38 Monate in dem Verfahren zum Aktenzeichen S 16 AS 527/16 sowie auf 35 Monate in dem Verfahren zum Aktenzeichen S 16 AS 1808/16 – mithin auf insgesamt 307 Kalendermonate.

 

b) Trotz dieser Feststellung sind – anders als noch im Teil-Gerichtsbescheid angenommen – bei der Bemessung des Verzögerungsumfangs aus rechtlichen Gründen nur insgesamt 49 Kalendermonate in Ansatz zu bringen.  

 

Der Senat ist in seinem Teil-Gerichtsbescheid davon ausgegangen, dass bei einer Verbindung mehrerer Rechtsstreitigkeiten (§ 113 Abs. 1 SGG) diese ihre Eigenständigkeit nicht verlieren. Nach der Rechtsprechung des BSG ist indes entschädigungsrechtlich im Falle der Verbindung nur (noch) von einem Gerichtsverfahren im Sinne des § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG auszugehen, sodass dementsprechend bei überlanger Verfahrensdauer in einer solchen Konstellation nur ein einziger – einheitlicher – Entschädigungsanspruch entsteht (vgl. BSG, Urteil vom 21.03.2024 – B 10 ÜG 2/23 R –, bislang nur als Terminbericht verfügbar; zuvor in einer besonders gelagerten Fallkonstellation bereits BSG, Urteil vom 17.12.2020 – B 10 ÜG 1/19 R – juris Rn. 37 ff.). Dem folgt der Senat. Dabei sieht er es als unbedeutend an, dass es in den zugrunde liegenden Verfahren erstinstanzlich erst kurz vor der dortigen Verfahrenserledigung zur Verbindung gekommen ist. Denn nach der gesetzgeberischen Konzeption, die in der Legaldefinition des Gerichtsverfahrens in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG ihren Niederschlag gefunden hat, ist eine entschädigungsrechtlich einheitliche Beurteilung des Ausgangsverfahrens „von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss“ angezeigt, zumal eine nach dem Zeitpunkt der Verbindung differenzierende Herangehensweise zu kaum lösbaren Wertungswidersprüchen bei der Bestimmung der Inaktivitätszeiten auf der einen und der zur Kompensation zur Verfügung stehenden Vorbereitungs- und Bedenkzeiten (siehe hierzu unter c)) auf der anderen Seite führen würde.

 

Weiter geht der Senat davon aus, dass in entsprechenden Konstellationen der Verzögerungsumfang anhand desjenigen Verfahrens zu bestimmen ist, das die meisten Verzögerungsmonate aufweist, da dieses die seelische Unbill, die ein Kläger infolge der unangemessenen Verfahrensdauer erlitten hat, typischerweise – und so auch hier – treffend abbildet. Insofern ist vorliegend von Verzögerungsphasen im Umfang von insgesamt 49 Kalendermonaten auszugehen.

 

Der so vorgenommenen Bemessung des Verzögerungsumfangs steht die aus § 318 ZPO (i. V. m. § 202 Satz 1 SGG) resultierende Bindungswirkung des Teil-Gerichtsbescheids nicht entgegen. Die Bindung besteht nur hinsichtlich der in dem Teil-Gerichtsbescheid getroffenen Entscheidung, also des Tenors (vgl. Feskorn, in: Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 318 Rn. 11). Die vom Senat in dem Teil-Gerichtsbescheid noch vertretene Auffassung, wonach die Ausgangsverfahren trotz der erfolgten Verbindung ihre Eigenständigkeit behalten hätten und entschädigungsrechtlich jeweils einer gesonderten Bewertung zu unterziehen seien, ist demgegenüber lediglich ein Element der Begründung. Hieraus ist keine Bindungswirkung für das weitere Verfahren erwachsen.

 

c) Auf dieser Grundlage ist im Rahmen der wertenden Gesamtbetrachtung unter Abwägung aller Einzelfallumstände abschließend zu beurteilen, ob die Verfahrensdauer die äußerste Grenze des Angemessenen deutlich überschritten und deshalb das Recht auf Rechtsschutz in angemessener Zeit verletzt hat (vgl. BSG, Urteil vom 07.09.2017 – B 10 ÜG 1/16 R – juris Rn. 33). Dabei ist zu beachten, dass den Gerichten – vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalls – eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit von bis zu 12 Monaten je Instanz zuzubilligen ist, die für sich genommen noch nicht zu einer unangemessenen Verfahrensdauer führt und nicht durch konkrete Verfahrensförderungsschritte begründet und gerechtfertigt werden muss (ständige Rechtsprechung, siehe jüngst etwa BSG, Urteile vom 24.03.2022 – B 10 ÜG 2/20 R und B 10 ÜG 4/21 R – juris Rn. 32 ff. bzw. Rn. 21). Weiter ist zu berücksichtigen, dass Zeiten fehlender Verfahrensförderung durch das Gericht in bestimmten Verfahrensabschnitten in davor oder danach liegenden Verfahrensabschnitten ausgeglichen werden können (BSG, Urteile vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 2/13 – Rn. 43, – B 10 ÜG 9/13 R – Rn. 43, – B 10 ÜG 12/13 R – Rn. 51, – B 10 ÜG 2/14 R – Rn. 44, jeweils zitiert nach juris). Da Anknüpfungspunkt für die Angemessenheitsprüfung nach § 198 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 6 Nr. 1 GVG das Verfahren von seiner Einleitung bis zu seinem rechtskräftigen Abschluss insgesamt ist, ist eine in­stanzübergreifende Betrachtung in dem Sinne geboten, dass Verzögerungen in einer Instanz durch die in einer anderen Instanz nicht ausgeschöpfte Vorbereitungs- und Bedenkzeit kompensiert werden können (BSG, Urteil vom 24.03.2022 – B 10 ÜG 4/21 R – juris Rn. 23 ff.). Eine unangemessene Verfahrensdauer kann daher nur dann festgestellt werden, wenn die Gesamtdauer eines durch mehrere Instanzen verfolgten Gerichtsverfahrens die den Instanzen insgesamt zur Verfügung stehende Vorbereitungs- und Bedenkzeit übersteigt und die darüber hinausgehende Zeit teilweise oder vollständig auf unzureichender Verfahrensförderung durch das Gericht beruht (BSG, Urteil vom 24.03.2022 – B 10 ÜG 4/21 R – juris Rn. 35).

 

Die unter diesen Gesichtspunkten vorzunehmende Gesamtbetrachtung führt vorliegend dazu, dass von den oben festgestellten 49 Verzögerungsmonaten 12 Monate Vorbereitungs- und Bedenkzeit für das erstinstanzliche Verfahren abzuziehen sind (dazu unter aa). Weitere 10 Monate nicht ausgeschöpfter Vorbereitungs- und Bedenkzeit stehen zur Kompensation aus dem Berufungsverfahren zur Verfügung (dazu unter bb), weshalb sich die entschädigungspflichtige Verzögerung auf insgesamt 27 Monate beläuft.

 

aa) Der Senat hat in seinem Teil-Gerichtsbescheid bereits darauf hingewiesen, dass vorliegend kein Anlass besteht, von der Regel einer 12-monatigen Vorbereitungs- und Bedenkzeit für die erste Instanz abzuweichen. Hieran hält er auch weiterhin fest. Eine Verkürzung der Vorbereitungs- und Bedenkzeit von 12 Monaten auf regelmäßig 6 Monate befürwortet der Senat in seiner Rechtsprechung beispielsweise bei Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26.04.2018 – L 37 SF 38/17 EK AS – juris Rn. 70), und zwar mit der Erwägung, dass die dort zu treffende Entscheidung keine erneute Vollprüfung erfordert. Ferner geht der Senat davon aus, dass für Verfahren zur Herbeiführung einer Kostengrundentscheidung nach § 193 Abs. 1 Satz 3 SGG in der Regel eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit von 3 Monaten anzusetzen ist (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30.10.2019 – L 37 SF 38/19 EK AS – juris Rn. 34). Insoweit lässt er sich von der Überlegung leiten, dass solche Verfahren in aller Regel eine im Verhältnis zu einem Klageverfahren unterdurchschnittliche Komplexität und Schwierigkeit in der Bearbeitung aufweisen, weil zum einen der Sachverhalt aus dem vorangegangenen Verfahren bereits bekannt ist, zum anderen keine Ermittlungen durchzuführen sind und nur eine summarische Prüfung zu erfolgen hat. Die vor dem SG Neuruppin geführten 7 Klageverfahren weisen indes keine Besonderheiten auf, die bei der Gesamtbewertung zu einer Verkürzung der regelmäßig als angemessen anzusehenden Vorbereitungs- und Bedenkzeit von 12 Monaten führen könnten. Die überdurchschnittliche Bedeutung dieser Verfahren bot zwar durchaus Anlass für eine bevorzugte Erledigung, gleichwohl erscheint es angesichts der zugleich überdurchschnittlichen Schwierigkeit sowie durchschnittlichen Komplexität der Verfahren nicht gerechtfertigt, die dem Gericht regelhaft einzuräumende Vorbereitungs- und Bedenkzeit zu beschneiden. Dies gilt umso mehr, als dem Kläger die Möglichkeit offen stand, die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes (§ 86b SGG) zu beantragen. Soweit der Kläger meint, dass das SG seine Amtsermittlungspflicht verletzt habe, weil es die notwendigen Ermittlungen bezüglich seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen und etwaiger baulicher Mängel unterlassen habe, rechtfertigt dieser Umstand ebenfalls keine Minderung der Vorbereitungs- und Bedenkzeit. Zeiten der Untätigkeit des Ausgangsgerichts wurden bereits bei der Ermittlung des Verzögerungsumfangs berücksichtigt (siehe oben). Die Vorbereitungs- und Bedenkzeit ist eine Phase, die gerade nicht durch konkrete Verfahrensförderungsschritte begründet und gerechtfertigt werden muss. Deshalb kann sie auch nicht mit dem Argument verkürzt werden, das Gericht sei untätig gewesen.

 

Da die 7 Klageverfahren – wie oben gezeigt – aufgrund des Verbindungsbeschlusses des SG Neuruppin vom 06.01.2020 entschädigungsrechtlich nur ein einziges Gerichtsverfahren im Sinne des § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG darstellen, ist die Vorbereitungs- und Bedenkzeit von 12 Monaten ebenfalls nur einmal in Ansatz zu bringen.

 

bb) Der Senat sieht auch in Bezug auf das Berufungsverfahren keinen Grund, von einer kürzeren als einer 12-monatigen Vorbereitungs- und Bedenkzeit auszugehen, insbesondere rechtfertigt die Art der Verfahrenserledigung (hier: Rücknahme) eine solche Verkürzung nicht. Das BSG geht von einer Vorbereitungs- und Bedenkzeit von regelmäßig 12 Monaten auch in solchen Verfahren aus, die anders als durch eine streitige Entscheidung beendet werden (vgl. etwa BSG, Urteil vom 24.03.2022 – B 10 ÜG 2/20 R – juris Rn. 5 und Rn. 32 ff., dort: Erledigung durch angenommenes Anerkenntnis). Dem schließt sich der Senat an.

 

Bei der Ermittlung der Höhe des Entschädigungsanspruchs ist allerdings zu beachten, dass – anders als noch in dem Teil-Gerichtsbescheid zugrunde gelegt – das Berufungsverfahren nicht gänzlich verzögerungsfrei betrieben worden ist, sondern es vielmehr in 2 Monaten zu Verzögerungen gekommen ist. Dies hat zur Folge, dass die dem LSG zur Verfügung stehende Vorbereitungs- und Bedenkzeit im Rahmen der instanzübergreifenden Verrechnung nicht vollumfänglich, sondern nur im Umfang von 10 Monaten auf den ersten Rechtszug übertragen werden kann.

 

(1) Mit Blick auf den Ablauf des Berufungsverfahrens ist festzustellen, dass dieses weitgehend engmaschig bearbeitet wurde. Soweit das LSG im Januar 2021 keine konkreten Handlungen vorgenommen hat, liegt hierin keine dem Staat zurechenbare Verzögerung. Vielmehr war die Entscheidung des LSG, im Hinblick auf eine mögliche Stellungnahme des Klägers zu den ihm im Dezember 2020 übermittelten Schriftsätzen des JC zunächst von weiteren Verfahrensförderungsschritten abzusehen, ohne Weiteres von seinem prozessualen Gestaltungsermessen gedeckt. Allerdings ist – hierauf weist der Kläger zu Recht hin – die Zeit von Februar bis März 2021 (2 Kalendermonate) als Verzögerungsphase zu werten. In diesen beiden Monaten entfaltete das LSG keinerlei Aktivität.

 

(2) Weitere Verzögerungen sind im Berufungsverfahren nicht aufgetreten, insbesondere auch nicht in der Zeit von April 2021 bis zur Beendigung des Verfahrens im Februar 2022. Dieser Zeitraum ist vielmehr dadurch geprägt, dass das LSG sich – aufgrund fehlender Mitwirkung des Klägers letztlich erfolglos – bemühte, den medizinischen Sachverhalt aufzuklären.

 

Zunächst beauftragte das LSG mit der Beweisanordnung vom 30.04.2021 die Ärztin Dr. Schade mit der Erstellung eines Gutachtens. Nachdem die Ärztin am 20.05.2021 mitgeteilt hatte, dass sie wegen Überlastung keine Untersuchungstermine in absehbarer Zeit vergeben könne, änderte das LSG noch im selben Monat die Beweisanordnung und beauftragte – nach telefonischer Rücksprache – die Ärztin G als neue Sachverständige. Der entsprechende Beschluss sowie die für die Erstellung des Gutachtens notwendigen Unterlagen gingen bei der Sachverständigen G im Juni 2021 ein. Anschließend durfte das LSG bis einschließlich November 2021 zuwarten, ob das Gutachten eingehen würde, denn die der Sachverständigen G eingeräumte 5-monatige Frist lief erst in diesem Monat aus. Mit der Festsetzung einer Frist von 5 Monaten für die Erstellung eines Sachverständigengutachtens hat das LSG auch nicht den ihm zustehenden prozessualen Gestaltungsspielraum überschritten; die Aktenlage (Überlastung der Sachverständigen Dr. S, Bearbeitungsrückstände bei der Sachverständigen G) lässt erkennen, dass eine zügigere Aufklärung des medizinischen Sachverhalts zum damaligen Zeitpunkt nicht möglich war.

 

Im Dezember 2021 förderte das LSG das Verfahren, indem es die Sachverständige G kontaktierte und auf die Erstellung des Gutachtens hingewirkte. Auch in Bezug auf den Monat Januar 2022 kann dem LSG keine Inaktivität vorgeworfen werden. Der für den 04.01.2022 angesetzte Untersuchungstermin wurde vom Kläger nicht wahrgenommen; die damit einhergehende Verzögerung fällt alleine in seinen Verantwortungsbereich. Ebenso wenig unterzog sich der Kläger der für den 14.02.2022 vereinbarten Untersuchung; vielmehr nahm er die Berufung noch am selben Tag zurück.

 

d) Beträgt die entschädigungspflichtige Verzögerung nach allem 27 Monate, so beläuft sich die Höhe der Geldentschädigung wegen des erlittenen immateriellen Nachteils auf insgesamt 2.700,- €, bleibt also weit hinter der dem Kläger bereits mit dem Teil-Gerichtsbescheid zugesprochenen Entschädigung (13.900,- €) zurück, weshalb der Beklagte nicht zu einer weiteren Zahlung zu verurteilen war.

 

Der Senat legt für die Bestimmung der Höhe der Geldentschädigung den in § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG geregelten Richtwert zugrunde, wonach die Entschädigung 1.200,- € für jedes Jahr der Verzögerung beträgt. Unabhängig davon, ob er angesichts der vom Kläger selbst „nur“ in Höhe von 100,- € für jeden Monat der Verzögerung geforderten Entschädigung hiervon überhaupt abweichen könnte, vermag der Senat Gründe, die den Ansatz des gesetzlich vorgesehenen Pauschalbetrags unbillig und daher eine abweichende Festsetzung notwendig erscheinen lassen könnten (vgl. § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG), nicht zu erkennen. Namentlich sieht er hierzu keine Veranlassung im Hinblick auf die erfolgte Verbindung mehrerer Verfahren. Jedenfalls könnte eine Erhöhung vorliegend keinesfalls dazu führen, dass bei 27 zu entschädigenden Monaten eine Entschädigung in Höhe von mehr als den bereits zugesprochenen 13.900,- € zu gewähren wäre. Denn andernfalls würde der Ansatz, dass es sich entschädigungsrechtlich im Falle der Verfahrensverbindung um ein einziges Verfahren handelt, weitgehend unterlaufen.

 

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183 Satz 6, 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 155 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

 

V. Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG i. V. m. § 202 Satz 2 SGG und § 201 Abs. 2 Satz 3 GVG).

 

Rechtskraft
Aus
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