L 4 BA 92/23 B

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Betriebsprüfungen
Abteilung
4
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 208 BA 132/22
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 4 BA 92/23 B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
  1. Ein sozialgerichtliches Klageverfahren gegen einen auf § 28p Absatz 1 Satz 1 und Satz 5 SGB IV gestützten Betriebsprüfungsbescheid des beklagten Rentenversicherungsträgers wird durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Klägers nicht gemäß § 202 Satz 1 SGG i.V.m. § 240 Satz 1 ZPO unterbrochen.
  1. Die Insolvenzmasse ist dieser Konstellation weder unmittelbar noch mittelbar betroffen.
  1. Voraussetzung für einen mittelbaren Bezug zur Insolvenzmasse ist neben der Vorbereitung eines vermögensrechtlichen, zur Insolvenzmasse gehörenden Anspruchs auch, dass dieser Anspruch im Anschluss an den Rechtsstreit von der obsiegenden Partei (bzw. im sozialgerichtlichen Klageverfahren dem obsiegenden Beteiligten) geltend gemacht werden kann.
  1. Eine Unterbrechung des Verfahrens setzt voraus, dass eine Aufnahme nach den für das Insolvenzverfahren geltenden Vorschriften zumindest grundsätzlich möglich ist.

Auf die Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 09.11.2023 aufgehoben.

 

 

Gründe

Die am 17.11.2023 beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingegangene Beschwerde der Beklagten gegen den ihr am 16.11.2023 zugestellten Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 09.11.2023, mit dem dieses die Unterbrechung des Verfahrens festgestellt hat, hat Erfolg.

 

Die nach 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und form- und fristgerecht gemäß § 173 SGG eingelegte Beschwerde ist zulässig und begründet. Das Sozialgericht hat zu Unrecht die Unterbrechung des Verfahrens festgestellt.

 

Nach § 202 S. 1 SGG i.V.m. § 240 S. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) wird das Verfahren im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Partei, wenn das Verfahren die Insolvenzmasse betrifft, unterbrochen, bis es nach den für das Insolvenzverfahren geltenden Vorschriften aufgenommen oder das Insolvenzverfahren beendet wird.

 

Diese Voraussetzungen für eine Unterbrechung des Verfahrens sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Der ursprüngliche Kläger (nachfolgend: Insolvenzschuldner) hat am 26.08.2022 beim Sozialgericht Berlin Klage gegen den Betriebsprüfungsbescheid vom 12.04.2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.07.2022 erhoben, mit dem die Beklagte für die Zeit vom 01.06.2016 bis zum 31.12.2018 Nachforderungen zur Sozialversicherung in Höhe von 86.833,42 € (Beitragsnachforderungen 62.656,92 € + Säumniszuschläge 24.176,50 €) festgestellt und den Kläger zur Zahlung dieses Betrages an die Einzugsstelle (Krankenkasse) aufgefordert hat. Während der Rechtshängigkeit des sozialgerichtlichen Klageverfahrens ist mit Beschluss des Amtsgerichts Charlottenburg vom 23.12.2022 das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Insolvenzschuldners eröffnet worden. Das hier vorliegende sozialgerichtliche Klageverfahren gegen den auf § 28p Abs.  1 S. 1 und S. 5 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IV) gestützten Betriebsprüfungsbescheid der Beklagten betrifft nicht die Insolvenzmasse.

 

Die Insolvenzmasse ist nach § 35 Abs. 1 Insolvenzordnung (InsO) das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt. Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen, gehören nicht zur Insolvenzmasse (§ 36 Abs. 1 S. 1 InsO). Für den Eintritt der Unterbrechungswirkung genügt neben einem unmittelbaren Bezug auch ein mittelbarer Bezug zur Insolvenzmasse. Ein mittelbarer Bezug zur Insolvenzmasse liegt vor, wenn die obsiegende Partei des Rechtsstreits auf der Basis der Entscheidung vermögensrechtliche, zur Insolvenzmasse gehörende Ansprüche geltend machen kann (BGH, Beschluss vom 31.01.2023 – II  ZR 169/22 – juris Rn. 11). Hierfür genügt regelmäßig auch ein Rechtsstreit über vorbereitende Ansprüche, wenn der im Hintergrund stehende vermögensrechtliche Anspruch zur Insolvenzmasse gehört (Stackmann in Münchener Kommentar, ZPO, 6. Auflage, §  240 Rn. 26;  zum Grundlagenbescheid: BSG, Urteil vom 03.02.2022 – B  5  34/21  R – juris Rn. 12; zur Kündigungsschutzklage: BAG, Urteil vom  18.10.2006 – 2 AZR 563/05 – juris Rn. 19). Eine nur wirtschaftliche Beziehung zur Insolvenzmasse reicht demgegenüber nicht aus (BGH, Beschluss vom  31.01.2023 – II ZR 169/22 – juris Rn. 11).

 

Gemessen an diesen Maßstäben ist bei dem hier vorliegenden sozialgerichtlichen Klageverfahren gegen einen auf § 28p Abs.  1 S. 1 und S. 5 SGB IV gestützten Betriebsprüfungsbescheid des Rentenversicherungsträgers die Insolvenzmasse nicht unmittelbar betroffen. Denn im Falle einer solchen Betriebsprüfung durch die Rentenversicherungsträger ist das Verfahren zur Erhebung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen grundsätzlich zweigeteilt. Die Rentenversicherungsträger sind nach Maßgabe des § 28p Abs. 1 S. 5 SGB IV ermächtigt, im Rahmen der von ihnen durchzuführenden Betriebsprüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und ausdrücklich auch zur Beitragshöhe einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern zu erlassen, die hierfür (sonst) bestehende Zuständigkeit der Einzugsstellen nach § 28h Abs. 2 S.  1 SGB IV tritt insoweit zurück. Macht ein Rentenversicherungsträger von dieser ihm durch § 28p Abs. 1 S. 5 SGB IV eingeräumten Befugnis zur Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen Gebrauch, so kommt seinem Leistungs- bzw. Zahlungsbescheid gleichwohl nur der Charakter eines Grundlagenbescheides für die Erhebung der Beiträge zu, indem er verbindlich die maximale Höhe der rückständigen Gesamtsozialversicherungsbeiträge als Ausgang für den Beitragseinzug regelt. Der Beitragseinzug ist hingegen Sache der Einzugsstellen als Gläubiger der Beitragsforderungen und von diesen in einem gesonderten Verwaltungsverfahren vorzunehmen, wenn wegen versicherungs- und/oder beitragsrechtlicher Änderungen eine Abweichung von den Prüffeststellungen in Betracht kommt (vgl. zum Ganzen: BSG, Urteil vom 28.05.2015 – B 12 R 16/13 R – juris Rn. 23; BSG, Urteil vom 15.09.2016 – B 12 R 2/15 R – juris Rn. 24).  Aufgrund dieses Charakters des hier streitgegenständlichen Betriebsprüfungsbescheides als Grundlagenbescheid fehlt es an einer unmittelbaren Betroffenheit der Insolvenzmasse.

 

Es liegt auch kein für die Unterbrechung des Klageverfahrens ausreichender mittelbarer Bezug zur Insolvenzmasse vor.

 

Zwar könnte für einen solche mittelbare Betroffenheit der Insolvenzmasse sprechen, dass die Einzugsstellen auf Grundlage des Betriebsprüfungsbescheides vermögensrechtliche Ansprüche gegenüber dem Insolvenzschuldner geltend machen können. Das sozialgerichtliche Klageverfahren gegen den Betriebsprüfungsbescheid dient damit zumindest der Vorbereitung des im Hintergrund stehenden vermögensrechtlichen Anspruchs der Einzugsstellen. Bei diesem im Hintergrund stehenden vermögensrechtlichen Anspruch der Einzugsstellen handelt es sich im vorliegenden Fall auch um einen zur Insolvenzmasse gehörenden Anspruch, da die geltend gemachte Beitragsnachforderung den Zeitraum vom 01.06.2016 bis zum 31.12.2018 und damit einen Zeitraum vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 23.12.2022 betrifft, so dass es sich um eine Insolvenzforderung im Sinne des § 38 InsO handelt, welche gemäß § 87 InsO nur (noch) nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren (§§  174 ff. InsO) verfolgt werden kann.

 

Aber Voraussetzung für einen mittelbaren Bezug zur Insolvenzmasse ist neben der Vorbereitung eines vermögensrechtlichen, zur Insolvenzmasse gehörenden Anspruchs auch, dass dieser Anspruch im Anschluss an den Rechtsstreit von der obsiegenden Partei (bzw. im sozialgerichtlichen Verfahren dem obsiegenden Beteiligten) geltend gemacht werden kann (BGH, Beschluss vom 31.01.2023, II ZR 169/22, Rn. 11). Daran fehlt es in dem hier vorliegenden sozialgerichtlichen Klageverfahren gegen einen Betriebsprüfungsbescheid des beklagten Rentenversicherungsträgers. Denn nicht der hier beklagte Rentenversicherungsträger, sondern die am vorliegenden Rechtsstreit nicht beteiligten Einzugsstellen sind Gläubiger der Beitragsforderungen. Der beklagte Rentenversicherungsträger kann daher, selbst wenn er im vorliegenden sozialgerichtlichen Klageverfahren obsiegen sollte, keine vermögensrechtlichen Ansprüche gegenüber dem Insolvenzschuldner geltend machen. Die Voraussetzungen für eine mittelbare Betroffenheit der Insolvenzmasse sind in einer solchen Konstellation, in der der Insolvenzgläubiger nicht Beteiligter des Rechtsstreits ist, nicht erfüllt (so im Ergebnis auch: LSG  Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 07.03.2022 – L 14 BA 46/21 B (unveröffentlicht, Abschrift der Entscheidung wurde im vorliegenden Verfahren von der Beklagten eingereicht); anderer Ansicht: Sächsisches LSG, Beschluss vom 29.06.2018 ­­­– L 1 KR 167/18 B – juris Rn. 22; Sächsisches LSG, Beschluss vom 13.11.2019 – L 9 KR 103/19 B PKH – juris Rn. 26 (zum Statusfeststellungsbescheid)).

 

Gegen eine Unterbrechung des Verfahrens in einer solchen Konstellation spricht auch, dass die Unterbrechung des Verfahrens gemäß § 202 Abs. 1 SGG i.V.m. § 240 S.  1  ZPO nur andauert, bis es nach den für das Insolvenzverfahren geltenden Vorschriften aufgenommen oder das Insolvenzverfahren beendet wird. Eine Unterbrechung des Verfahrens setzt daher voraus, dass eine Aufnahme nach den für das Insolvenzverfahren geltenden Vorschriften zumindest grundsätzlich möglich ist. Eine solche grundsätzliche Aufnahmemöglichkeit nach den Vorschriften der InsO bestünde für den im vorliegenden Verfahren beklagten Rentenversicherungsträger allerdings nicht. Eine Aufnahme nach § 85 InsO scheidet aus, weil es sich, trotz der Stellung als Kläger, nicht um einen „für“ den Insolvenzschuldner anhängigen Aktivprozess im Sinne dieser Vorschrift handelt. Eine Aufnahme nach § 86 InsO käme für den beklagten Rentenversicherungsträger ebenfalls nicht in Betracht, da der Rechtsstreit keinen aus der Insolvenzmasse auszusondernden Gegenstand, keine abgesonderte Befriedigung und keine Masseverbindlichkeit betrifft. Auch eine hier vorrangig in Betracht zu ziehende Aufnahme nach §§ 179 Abs. 1, 180 Abs. 2 InsO wäre für den hier beklagten Rentenversicherungsträger von vornherein nicht möglich. Nach diesen Vorschriften ist die Feststellung einer zur Insolvenztabelle angemeldeten und bestrittenen Forderung durch Aufnahme des Rechtsstreits zu betreiben, wenn zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits ein Rechtsstreit über die Forderung anhängig ist. Eine Aufnahmebefugnis nach diesen Vorschriften steht aber nur dem Insolvenzgläubiger zu (BSG, Urteil vom  03.02.2022  – B 5 R 34/21 R – juris Rn. 13 (im dortigen Rechtsstreit war die Beklagte Insolvenzgläubigerin); Schumacher in Münchener Kommentar, InsO,  4.  Auflage, § 180 Rn. 21). Da der hier beklagte Rentenversicherungsträger, wie bereits dargestellt, nicht Insolvenzgläubiger ist, scheidet für ihn demzufolge auch eine Aufnahme nach §§ 179 Abs. 1, 180 Abs. 2 InsO aus. Mangels einer für den beklagten Rentenversicherungsträger bestehenden Aufnahmemöglichkeit kommt eine Unterbrechung des Verfahrens in der hier vorliegenden Konstellation nicht in Betracht.

 

Eine Kostenentscheidung ergeht im Beschwerdeverfahren nicht. Beim Beschluss über Beschwerden gegen Zwischenentscheidungen in einem noch anhängigen Rechtsstreit bleibt die Entscheidung über die Kosten des Zwischenverfahrens der abschließenden Entscheidung des Sozialgerichts über die Kosten insgesamt vorbehalten (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14.03.2013 –  L  32  AS  105/13  B – juris Rn. 18).

 

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).

 

 

Rechtskraft
Aus
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