S 9 SO 1756/22

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Freiburg (BWB)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
9
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 9 SO 1756/22
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

 

  1. Die wirksame Bewilligung erweiterter Sozialhilfe gegen Aufwendungsersatz setzt voraus, dass die Leistung für den Adressaten unmissverständlich als erweiterte Hilfe bezeichnet, der Grund hierfür mitgeteilt, Aufwendungsersatz vorbehalten und dargelegt wird, unter welchen Voraussetzungen dieser geltend gemacht wird.

 

  1. Die formelle Bestandskraft des Bescheids über erweiterte Hilfe bewirkt lediglich, dass im späteren Streit über den Aufwendungsersatz die materiellen Voraussetzungen der erweiterten Hilfe (insbesondere das Vorliegen eines „begründeten Falles“ und die Ermessensausübung) nicht mehr geprüft werden. Die Anforderungen an den Regelungsgehalt des Bewilligungsbescheides nach Ls. 1 als Voraussetzung des Aufwendungsersatzanspruchs bleiben hiervon unberührt (Abgrenzung zu Hessisches LSG, Urt.v. 19.01.2022 -L 4 SO 185/20; LSG Baden-Württemberg, Urt.v. 16.12.2015 -L 2 SO 5064/14-; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 13.01.2014 -L 20 SO 222/12-).

 

  1. Stützt die Behörde einen Leistungsbescheid nach § 19 Abs. 5 Satz 1 SGB XII auf einen anderen Sachverhalt als die ursprüngliche Bewilligung erweiterter Hilfe, so ist der Leistungsbescheid rechtswidrig. Denn in diesem Fall ist der konkret geltend gemachte Aufwendungsersatzanspruch nicht mit dem durch Bewilligungsbescheid bereits dem Grunde nach entstandenen Aufwendungsersatzanspruch identisch.

 

  1. Der Aufwendungsersatzanspruch nach § 19 Abs. 5 Satz 1 SGB XII ist zu ermitteln, indem der Hilfeanspruch für die einzelnen Bedarfszeiträume, für die erweiterte Hilfe bewilligt wurde - in der Regel Kalendermonate - ausgehend von den tatsächlichen Einkommens- und Vermögensverhältnissen sowie der geltenden Rechtslage im jeweiligen Bedarfszeitraum berechnet wird. § 19 Abs. 5 Satz 1 SGB XII ermächtigt den Sozialhilfeträger nicht, sich Aufwendungsersatz für erweiterte Hilfe aufgrund späterer Einkommens- oder Vermögenzuflüsse vorzubehalten.

 

 

  1. Der Bescheid des Beklagten vom 31.03.2022 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 23.05.2022 wird aufgehoben.

 

  1. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.

 

Tatbestand

 

Die Klage richtet sich gegen einen Bescheid über Aufwendungsersatz nach § 19 Abs. 5 des Zwölften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB XII).

 

Der am XXx geborene ledige Kläger ist aufgrund geistiger Behinderung, Tetraparese, Koordinationsstörungen und Epilepsie schwerbehindert (Grad der Behinderung <GdB> von 100, Merkzeichen B, G, H, RF) sowie pflegebedürftig (Pflegegrad 2). Er lebt in einer Einrichtung der A in Freiburg, besucht dort den Arbeitsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen des C und bezieht hierfür Eingliederungshilfe vom Beklagten. Am 14.07.2015 verstarb die Mutter des Klägers, zwischen dem 23.09.2016 und 26.09.2016 sein Vater. Dieser hatte testamentarisch einen anderen Sohn und Halbbruder des Klägers zum Alleinerben eingesetzt (nachfolgend „der Erbe“). Der Kläger und der Erbe korrespondierten in der Folge über ihre Rechtsanwälte über Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche. Der Beklagte erhielt von beiden Todesfällen erst 2017 Kenntnis. Mit Bescheid vom 07.02.2017 bewilligte er die Eingliederungshilfe für die vollstationäre Wohnform aufgrund des Ablebens der Mutter des Klägers vom 14.07.2015 an unter dem Vorbehalt des Aufwendungsersatzes nach § 19 Abs. 5 SGB XII. Mit weiterem Bescheid vom 01.08.2017 erteilte der Beklagte aufgrund eines Umzugs des Klägers aus dem Behindertenwohnheim in eine Außenwohngruppe am 01.09.2017 hierfür eine neue Kostenzusage, weiterhin unter dem Vorbehalt des Aufwendungsersatzes. Unter dem 21.02.2018 bzw. 11.03.2019 erließ der Beklagte wegen Anhebung des Grundbarbetrages und somit des gesamten Barbetrages auf monatlich 115,41 € ab 01.01.2018 bzw. 117,57 € ab 01.01.2019 Änderungsbescheide und verfügte dabei jeweils erneut, dass die Leistung auch weiterhin gemäß § 19 Abs. 5 SGB XII unter dem Vorbehalt des Aufwendungsersatzes gewährt werde. Die o.g. Bewilligungsbescheide wurden bestandskräftig.

 

Nachdem der Kläger im Februar 2019 gegen den Erben Klage zum Landgericht Schwerin erhoben hatte (Az.: XXX), anerkannte dieser zunächst einen Anspruch in Höhe von 7.723,50 € und überwies diesen Betrag auf das Konto der Prozessbevollmächtigten des Klägers, wo er am 27.02.2019 einging. Der Betrag verblieb zunächst auf diesem Konto. Nach dem Ende des Prozesses durch Vergleich im Oktober 2020 und nach Verrechnung mit Rechtsanwalts- und Gerichtskosten sowie Betreuervergütungen überwies die Bevollmächtigte einen Restbetrag von 3085,04 € auf das Girokonto des Klägers, wo er am 09.11.2020 gutgeschrieben wurde. Zur Abgeltung der weiteren Pflichtteils- und Pflichteilsergänzungsansprüche hatten sich die Parteien des Zivilprozesses dahingehend verglichen, dass der Erbe an den Kläger insgesamt weitere 24.000 € in monatlichen Raten zu je 500 € rückwirkend ab dem 01.08.2020 zahlt. Aufgrund dessen gingen im Oktober 2020 insgesamt 1500 € und im November und Dezember 2020 jeweils 500 € auf dem Girokonto des Klägers ein. Seit Januar 2021 zahlt der Erbe - dem Vergleich entsprechend - lediglich noch monatliche Raten von 250 €, da er seither noch an einen weiteren Halbbruder Pflichtteilszahlungen zu leisten hat.

 

Bereits mit Bescheid vom 18.03.2020 hatte der Beklagte dem Kläger Eingliederungshilfe nach §§ 99ff. des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IX) für die Zeit vom 01.01.2020 bis zum 31.12.2021 ohne Einkommens- oder Vermögenseinsatz gewährt.

 

Mit Bescheid vom 31.03.2022 forderte der Beklagte nach Anhörung des Klägers die mit Bescheiden vom 21.02.2018 und 11.03.2019 vom 01.01.2018 bis 31.12.2019 unter dem Vorbehalt des Aufwendungsersatzes nach § 19 Absatz 5 SGB XII gewährten Leistungen der Eingliederungshilfe zurück und bezifferte diese auf 23.434,06 €. Zur Begründung führte er insbesondere aus: Es seien in dem o.g. Zeitraum Eingliederungshilfeleistungen für die stationäre Unterbringung in Höhe von insgesamt 45.840,43 € (im Bescheid nach Monaten aufgeschlüsselt) gezahlt worden. Der Erbe habe insgesamt 31.723,50 € an den Kläger zu zahlen. Hiervon habe die Prozessbevollmächtigte des Klägers Anwaltshonorar in Höhe von 1.964,46 € und die Betreuervergütung für den Zeitraum 10/2017 bis 09/2018 in Höhe von 1.320 € in Abzug gebracht. Von dem Gesamtanspruch seien ferner die Gerichtskosten in Höhe von 255,50 €, die Kosten eines Kostenbeschwerdeverfahrens in Höhe von 347,48 € sowie weitere Betreuervergütungen in Höhe von 1.354,00 € (Zeitraum 10/2018 bis 09/2019), 1.524,00 € (10/2019 bis 09/2020) und 1.524,00 € (10/2020 bis 09/2021) abzuziehen. Die Leistungen der Eingliederungshilfe würden daher für den Zeitraum vom 01.01.2018 bis 31.12.2019 lediglich in Höhe von 23.434,06 € zurückgefordert. Entsprechend dem Vergleich vor dem Landgericht Schwerin werde um Überweisung von 6.250,00€ für die Monate August 2020 bis März 2022 (monatliche Rate von 500,00 € August 2020 bis Dezember 2020, monatliche Rate von 250,00 € Januar 2021 bis März 2022) bis spätestens 30.04.2022 und ab April 2022 um Überweisung von 250,00 € monatlich gebeten.

 

Dagegen erhob der Kläger mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 19.04.2022 Widerspruch, den diese mit Schreiben vom 26.04.2022 wie folgt begründete: In den Bescheiden vom 01.01.2018 und 11.03.2019 sei es ausschließlich um die Anhebung der Grundbarbeträge gegangen. Diese Grundbarbeträge würden in keiner Weise mit den mit Bescheid vom 31.03.2022 zurückgeforderten Beträgen übereinstimmen. Der Vortrag zur Rückforderung der gewährten Leistungen im Bescheid vom 31.03.2022 sei daher unschlüssig. Der angefochtene Bescheid verstoße somit gegen das Bestimmtheitsgebot aus § 33 Abs. 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X).

 

Mit Widerspruchsbescheid vom 23.05.2022 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück und führte zur Begründung insbesondere aus: Der Adressat, der Zeitraum der Aufhebung, der konkrete Umfang der Rückforderungssumme mit 23.434,6 € und die monatlich zurückgeforderte Summe seien dem Bescheid ohne weiteres zu entnehmen. Daher verstoße er nicht gegen das Bestimmtheitsgebot. Die Bescheide vom 21.02.2018 und 13.03.2019 bezögen sich eindeutig auf den bestehenden und fortlaufenden Dauerverwaltungsakt vom 01.08.2017. Konkret bedeute dies, dass mit den Bescheiden vom 21.02.2018 und 13.03.2019 zusätzlich zur Barbetragserhöhung auch Leistungen der Eingliederungshilfe für die Einrichtung der A bewilligt worden seien. Für diese werde nun (teilweise) Aufwendungsersatz gefordert.

 

Am 20.06.2022 erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Freiburg.

 

Er hält den angefochtenen Bescheid weiterhin für unbestimmt. Als aufzuhebende Bescheide habe der Beklagte zunächst die Bescheide vom 21.02.2018 und 11.03.2019 benannt. Nun habe er angeblich einen Bescheid vom 01.08.2017 als Ursprungsbescheid gemeint. Dieser sei aber weder in dem Bescheid vom 21.02.2018 noch in dem vom 11.03.2019 genannt worden. Allerdings seien auch in dem Bescheid vom 01.08.2017 keine Leistungen beziffert worden. Vielmehr habe der Beklagte darin lediglich einem Wohngruppenwechsel unter Bezugnahme auf die bisherige Kostenzusage zugestimmt.

 

Hinzu komme, so der Kläger weiter, dass der Beklagte finanzielle Mittel vom Kläger fordere, die dieser gar nicht habe und von denen auch nicht klar sei, ob er sie jemals haben werde. Die bisher gezahlten Raten seien zu großen Teilen zur Finanzierung des Verfahrens vor dem Landgericht Schwerin, für die Betreuervergütung und für Sonderbedarf des Klägers, beispielsweise den Eigenanteil eines Therapiefahrrades, verwendet worden. Zwar seien bisher jeweils 250 € monatlich überwiesen worden, ob das jedoch auch künftig der Fall sein werde, sei ungewiss. Der Erbe habe bereits einmal gemahnt werden müssen. Schließlich sei die Vermögensfreigrenze des vom 01.01.2017 bis zum 31.12.2019 geltenden § 60a SGB XII zu beachten von insgesamt 30.000 € bzw. seit dem 01.01.2020 von 59.330 €, § 139 SGB IX. Sollten die Ratenzahlungen entsprechend der Entscheidung des LSG Berlin-Brandenburg vom 16.11.2010 -L 18 AS 1826/08- (zum SGB II) als Einkommen gewertet werden, sei das Zuflussprinzip zu berücksichtigen. Leistungen der Jahre 2018 und 2019 könnten nicht aufgrund von Einkommen zurückgefordert werden, das erst ab dem 01.08.2020 geflossen sei.

 

Der Kläger trägt außerdem vor: Er habe gemäß einem vorgelegten Beschluss des Landgerichts Schwerin vom 14.12.2021 Prozesskosten in Höhe von 3.911,98 € an das Landesamt für Finanzen Mecklenburg-Vorpommern zu erstatten. Eine weitere Überprüfung der Prozesskostenhilfe sei möglich, denn durch die bisherige Zahlung sei nur ein Teil der anwaltlichen Vergütung für die Tätigkeit im gerichtlichen Verfahren gedeckt. 789,72 € seien noch offen. Bei dem vom Beklagten erwähnten Anwaltshonorar von 1.964,46 € handele es sich um die Vergütung für die vorgerichtliche anwaltliche Tätigkeit in der erbrechtlichen Angelegenheit. Am 27.06.2022 habe der Kläger zudem ein Anwaltshonorar für die außergerichtliche sozialrechtliche Tätigkeit in Höhe von 380,80 € gezahlt.

 

Der Kläger beantragt,

 

den Bescheid des Beklagten vom 31.03.2022 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 23.05.2022 aufzuheben.

 

Der Beklagte beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Er hält den angefochtenen Bescheid für rechtmäßig. Ergänzend trägt er vor: Der Anspruch des Klägers sei durch das Landgericht Schwerin festgestellt worden. Eine mögliche Zahlungsschwierigkeit des Erben könne nicht zu Lasten der öffentlichen Hand gehen. Die Reduzierung der Forderung in Höhe von 23.434,06 € um die Höhe der Prozesskostenhilfe in Höhe von 3911,98 € laut Beschluss des Landgerichts Schwerin werde vom Beklagten aber akzeptiert.

 

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Verfahrens und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die vom Beklagten vorgelegten Teile der Verwaltungsakte (S. 5495-7167) sowie die elektronische Verfahrensakte des Gerichts verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

 

Die Klage ist form- und fristgerecht erhoben, als Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Var. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und auch im Übrigen zulässig. Die Klage ist begründet, denn der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig, verletzt den Kläger in seinen Rechten und war daher aufzuheben.

 

Rechtsgrundlage des streitgegenständlichen Bescheids ist § 19 Abs. 5 Satz 1 SGB XII i.V.m. § 19 Abs. 3 SGB XII, letzterer in der bis zum 31.12.2019 geltenden Fassung. Diese ist hier maßgeblich, da der Beklagte ausschließlich Ersatz für bis zu diesem Zeitpunkt geleistete Aufwendungen der Eingliederungshilfe beansprucht. Ist hiernach u.a. Leistungsberechtigten der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen im Sinne des Absatzes 3 zuzumuten und sind Leistungen erbracht worden, haben sie dem Träger der Sozialhilfe die Aufwendungen in diesem Umfang zu ersetzen. Die aus sich heraus wenig verständliche Vorschrift ist nicht isoliert zu betrachten, sondern ergänzend im Lichte der Vorgängerregelungen § 11 Abs. 2 Satz 1 und § 29 Satz 1 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) auszulegen, wonach (nur) „in begründeten Fällen“ die für den Aufwendungsersatz vorausgesetzte sogenannte unechte oder erweiterte Sozialhilfe geleistet werden konnte (BSG-Urt. v. 06.12.2018 -B 8 SO 2/17 R-, Rn. 17 nach <juris>). § 19 Abs. 5 enthält daher zwei Ermächtigungs- bzw. Anspruchsgrundlagen: zum einen eine Ermächtigung des Sozialhilfeträgers, in begründeten Fällen trotz einzusetzenden Einkommens oder Vermögens im Ermessensweg Leistungen zu gewähren. Diese trägt dem Bedarfsdeckungsgrundsatz Rechnung, und ihr korrespondiert ein entsprechender Anspruch Hilfesuchender. Zum anderen ermächtigt die Vorschrift zur Gewährleistung des Nachrangs der Sozialhilfe den Träger, für auf diese Weise erbrachte Hilfe Aufwendungsersatz zu verlangen. Der Aufwendungsersatzanspruch entsteht dabei dem Grunde nach bereits mit der Bewilligung der erweiterten Sozialhilfe „ipso iure“ und ist durch Leistungsbescheid geltend zu machen (vgl. Coseriu/Filges, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3.A., § 19 SGB XII <Stand: 23.12.2022> Rn. 54 m.w.N.; Hessisches LSG, Urt.v. 19.01.2022 -L 4 SO 185/20, Rn. 32 nach <juris>; LSG Baden-Württemberg, Urt.v. 16.12.2015 -L 2 SO 5064/14-, Rn. 41 nach <juris>; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 13. Januar 2014 -L 20 SO 222/12-, Rn. 37 nach <juris>).

 

In formeller Hinsicht bestehen gegen den angefochtenen Bescheid keine Bedenken. Insbesondere verstößt er entgegen der Klagebegründung nicht gegen das Bestimmtheitsgebot des § 33 Abs. 1 SGB X, da der Verfügungssatz des Bescheids seine Rechtsfolgen - die Verpflichtung des Klägers, Aufwendungsersatz zu leisten und in welcher Höhe - hinreichend konkret und unmissverständlich benennt.

 

Die materiellen Voraussetzungen des Aufwendungsersatzes gemäß § 19 Abs. 5 Satz 1 SGB XII sind nach Überzeugung der Kammer jedoch nicht erfüllt.

 

Vorausgesetzt wird zunächst, dass die dem Aufwendungsersatz zugrundeliegenden Leistungen wirksam als Leistungen der erweiterten Hilfe gewährt worden sind. Insoweit genügt zwar die formelle Legalität durch eine bestandskräftige Regelung (vgl. Hessisches LSG, a.a.O., Rn. 35 und LSG Baden-Württemberg, a.a.O., Rn. 41). Eine solche ist hier jedenfalls durch bindend gewordene Bewilligungsbescheide getroffen worden, unabhängig davon, ob man die Bescheide vom 21.02.2018 und 13.03.2019, denjenigen vom 01.08.2017 oder gar den Bescheid vom 07.02.2017 als maßgebliche Regelungen für die Eingliederungshilfe im hier relevanten Zeitraum ansieht, denn alle diese Bescheide sind bestandskräftig und damit gemäß § 77 SGG bindend geworden. Das Ausreichen einer formellen Legalität der erweiterten Hilfe besagt jedoch lediglich, dass eine inzidente Prüfung der materiellen Voraussetzungen der Hilfe gegen Aufwendungsersatz im Streit über den Aufwendungsersatzbescheid nicht mehr stattfindet, also z.B. nicht geprüft wird, ob ein „begründeter Fall“ vorlag und das Ermessen fehlerfrei ausgeübt wurde. Hiervon zu unterscheiden sind aber die inhaltlichen Anforderungen an den Regelungsgehalt des Bewilligungsbescheids. Dieser muss die gewährten Leistungen ausdrücklich als erweiterte Hilfe bezeichnen (so bereits Hessischer VGH, Urt.v. 29.02.1996 -9 UE 2622/94-, Rn. 29 nach <juris>) und für den Adressaten unmissverständlich zum Ausdruck bringen, dass die Leistungen auf der Grundlage von § 19 Abs. 3 und Abs. 5 SGB XII gegen Aufwendungsersatz bewilligt werden (Hessisches LSG, a.a.O., Rn. 35). Auch dies ist noch in allen hier in Betracht kommenden Bewilligungsbescheiden der Fall.

 

Darüber hinaus muss der Bewilligungsbescheid den Grund für die Gewährung erweiterter Hilfe nennen sowie erkennen lassen, unter welchen Voraussetzungen ggf. Aufwendungsersatz verlangt wird. Nur so ist für den Empfänger nachvollziehbar, ob, ggf. wann und in welchem Umfang sich der dem Bescheid über die erweiterte Hilfe bereits „ipso iure“ innewohnende Aufwendungsersatzanspruch dem Grunde nach konkretisiert. Dies ist erforderlich, damit der Regelungsgehalt des Bewilligungsbescheids für den Adressaten vollständig erkennbar und der mit der Gewährung erweiterter Hilfe bereits dem Grunde nach verfügte Aufwendungsersatzanspruch objektiv zumindest bestimmbar ist. Letzteres ist nach allgemeinen Grundsätzen zwingende Wirksamkeitsvoraussetzung für jede Begründung eines Rechts. Bereits dies ist hier zumindest zweifelhaft, denn die Bescheide vom 21.02.2018, 13.03.2019 und 01.08.2017 enthielten überhaupt keine Begründung, und derjenige vom 07.02.2017 nennt lediglich den Tod der Mutter des Klägers als Grund für die erweiterte Hilfe, ohne näher zu erläutern, weshalb genau dieses Ereignis die Gewährung erweiterter Hilfe und späteren Aufwendungsersatzes zu begründen geeignet ist. Vor allem aber muss nach Überzeugung des Gerichts die Begründung für die erweiterte Hilfe im Bewilligungsbescheid mit den Gründen für die spätere Aufwendungsersatzforderung sachlich übereinstimmen. Nur dann ist der dem Bewilligungsbescheid bereits innewohnende Aufwendungsersatzanspruch „dem Grunde nach“ mit dem später geltend gemachten identisch; stützt sich dieser dagegen auf einen anderen Sachverhalt, handelt es sich gegenüber jenem rechtlich um ein „aliud“. So liegt der Sachverhalt hier. Die erweiterte Hilfe wurde - soweit ersichtlich ausschließlich - mit dem Tod der Mutter des Klägers begründet, Aufwendungsersatz wird nun aber aufgrund der Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche nach dem Tode seines Vaters geltend gemacht. Bereits dies macht nach Überzeugung der Kammer den Aufwendungsersatzbescheid rechtswidrig, denn der mit diesem Leistungsbescheid festgesetzte Anspruch ist nicht der durch den Bewilligungsbescheid über erweiterte Hilfe begründete.

 

Als weitere materielle Voraussetzung geht bereits aus dem Wortlaut des § 19 Abs. 5 Satz 1 SGB XII hervor, dass Aufwendungen des Sozialhilfeträgers nur in dem Umfang zu ersetzen sind, in dem die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen möglich und zumutbar ist. Die Bewilligung erweiterter Sozialhilfe bedeutet daher, dass sie nur im Umfang des einzusetzenden, zum Bewilligungszeitpunkt nicht konkret feststellbaren Vermögens oder Einkommens unter dem Vorbehalt eines der Höhe nach noch zu beziffernden Aufwendungsersatzes steht (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 27.02.2019 -B 8 SO 15/17 R-, Rn. 14 nach <juris>). Der Aufwendungsersatz erfasst mithin nur die bewilligten Leistungen der erweiterten Hilfe, die ohne Leistungsbewilligung aus dem Einkommen und Vermögen selbst hätten erbracht werden müssen. Daraus folgt, dass die Ermittlung und die den Hilfeanspruch ggf. begrenzende Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nach den Regelungen zu erfolgen hat, die bei der Leistungsbewilligung zu beachten gewesen wären. Die Vorschriften über die Ermittlung des zu berücksichtigenden Einkommens und Vermögens nach §§ 82 ff. SGB XII sind also in der gleichen Weise bei der Ermittlung des Aufwendungsersatzes anzuwenden, wie sie anzuwenden gewesen wären, wäre (von Anfang an) nicht erweiterte Hilfe, sondern „echte“ Sozialhilfe gewährt worden (LSG Hessen, a.a.O., Rn. 39; ähnlich bereits das BVerwG, Beschl.v. 26.02.1999 -5B 137/98-, Rn. 3 nach <juris> zu den Vorgängervorschriften: „Soweit in § 29 Satz 1 BSHG (...) von einer „Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen“ die Rede ist, meint das Gesetz nur Einkommen im Sinne von Mitteln, die dem Hilfesuchenden eine rechtzeitige Bedarfsdeckung ermöglichen <“bereite Mittel“>.). Keinesfalls ermächtigt § 19 Abs. 5 Satz 1 SGB XII den Sozialhilfeträger dazu - wie der Beklagte offenbar meint - sich durch die Bewilligung erweiterter Hilfe einen Ersatzanspruch für jedwede Aufwendungen im nachfolgenden Bewilligungszeitraum bis zur Höhe zukünftiger Einkommens- oder Vermögenzuflüsse zu verschaffen. Vielmehr ist der Aufwendungsersatzanspruch zu ermitteln, indem der Hilfeanspruch für die einzelnen Bedarfszeiträume (d.h. Kalendermonate, vgl. Hessisches LSG, a.a.O., Rn. 40), für die erweiterte Hilfe bewilligt wurde, nunmehr ausgehend von den ermittelten tatsächlichen Einkommens- und Vermögensverhältnissen sowie der im jeweiligen Bedarfszeitraum geltenden Rechtslage berechnet wird. Nur dies entspricht dem Wortlaut des § 19 Abs. 5 Satz 1 („Ist die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen...möglich oder...zuzumuten...haben sie...in diesem Umfang zu ersetzen“). Auch wäre andernfalls objektiv identisches Einkommen und Vermögen im selben Bedarfszeitraum ggf. in unterschiedlichem Umfang einzusetzen, je nachdem, ob der Sachverhalt bereits abschließend ermittelt ist oder nicht (und deshalb erweiterte Hilfe bewilligt wird); für eine solche Ungleichbehandlung ist ein rechtfertigender sachlicher Grund nicht ersichtlich.

 

Ob die Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche des Klägers nach seinem Vater Einkommen oder Vermögen darstellen, ist schwierig zu beurteilen. Die Abgrenzung von Einkommen und Vermögen erfolgt nach dem Zufluss. Einkommen in diesem Sinne ist alles, was jemand im Bedarfszeitraum wertmäßig dazu erhält, während Vermögen das ist, was er in der Bedarfszeit bereits hat. Für die Frage, wann etwas zufließt, ist grundsätzlich vom tatsächlichen Zufluss auszugehen, soweit nicht normativ ein anderer Zufluss als maßgeblich bestimmt wird (modifizierte Zuflusstheorie). Pflichtteilsansprüche fließen normativ mit dem Erbfall zu (§ 2317 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs <BGB>). Als maßgeblicher Zeitpunkt für die Abgrenzung zwischen Einkommen und Vermögen ist bei der erweiterten Hilfe auf den Beginn derselben abzustellen. ( zu all dem LSG Baden-Württemberg, a.a.O., Rn. 42f. m.w.N.). Nach dieser Formel würde es sich bei den Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüchen des Klägers um Einkommen handeln. Denn der Beginn der erweiterten Hilfe fällt laut Bescheid vom 07.02.2017 auf den Todestag der Mutter am 14.07.2015. Der Erbfall nach dem Vater trat demgegenüber (frühestens) am 23.09.2016 ein, also danach. Allerdings erscheint es unlogisch, den Zeitpunkt eines früheren Erbfalls für die Abgrenzung von Einkommen und Vermögen heranzuziehen, wenn der Aufwendungsersatz wie hier erst auf einen späteren Erbfall gestützt wird. Es ließe sich daher auch vertreten, in derartigen Fällen den Zeitpunkt heranzuziehen, von dem an der Sozialhilfeträger aufgrund seiner Kenntnis von dem späteren Erbfall frühestens darauf beruhende erweiterte Hilfe hätte leisten können. Dieser Zeitpunkt lag hier im Jahr 2017. Nach dieser Betrachtungsweise handelte es sich bei den klägerischen Ansprüchen um Vermögen.

 

Die Frage bedarf jedoch keiner Klärung, denn in beiden Fällen sind die Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche für die Ansprüche des Klägers auf Eingliederungshilfe in dem Zeitraum rechtlich ohne Bedeutung, für den der Beklagte Aufwendungsersatz geltend macht. Handelt es sich nämlich um Vermögen, so ist der wertmäßige Zuwachs erst dann auf den Bedarf des Leistungsberechtigten anzurechnen, wenn ihm tatsächlich bereite Mittel zufließen (BSG, Urt.v. 25.01.2012 -B 14 AS 101/11 R-, Rn. 22 nach <juris> für das Zweite Buch des Sozialgesetzbuches <SGB II> und den Fall einer Erbschaft; diese Grundsätze sind nach Überzeugung des Gerichts im SGB XII und für Pflichtteilsansprüche entsprechend anzuwenden). Geht man davon aus, dass es sich um Einkommen handelt, gilt nach der modifizierten Zuflusstheorie ebenfalls, dass dieses grundsätzlich erst im Zeitpunkt des tatsächlichen Zuflusses zu berücksichtigen ist (st. Rspr., vgl. etwa die Nw. bei BeckOGK/Decker, 01.02.2021, SGB XII § 82 Rn. 37). Tatsächliche Zuflüsse fanden hier erst ab Oktober 2020 statt, denn bis zu diesem Zeitpunkt gingen auf dem Konto des Klägers keine Zahlungen des Erben ein. Ein Aufwendungsersatz für frühere Zeiträume, wie hier vom Beklagten verfügt, kommt daher unabhängig davon nicht in Betracht, ob es sich bei den klägerischen Ansprüchen gegen den Erben um Einkommen oder Vermögen handelt. Denn der Kläger hatte bis Oktober 2020 mangels Zuflusses weder Einkommen noch Vermögen einzusetzen, wie dies § 19 Abs. 5 Satz 1 SGB XII voraussetzt.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem vollständigen Obsiegen des Klägers.

 

Rechtskraft
Aus
Saved