Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 17. Juli 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Februar 2020, mit dem die Beklagte dem Kläger eine Rente wegen voller Erwerbsminderung unter Anrechnung eines Hinzuverdienstes bewilligte.
Der am 12. November 1964 geborene Kläger verkaufte im Jahr 2006 ein (landwirtschaftliches) Grundstück. Den hieraus erzielten Gewinn legte er – zur Verschiebung der Versteuerung in die Zukunft – in sogenannten § 6b Einkommenssteuergesetz-Fonds (100.000,00 Euro bei der B. und 30.000,00 Euro bei der L.) an. Zudem bewirtschaftete er bis Juni 2017 noch selbst einen landwirtschaftlichen Nebenbetrieb (Obstbauflächen), den er ab 1. Juli 2017 verpachtete. Bis zum 23. Juni 2017 bezog der Kläger Krankengeld, im Anschluss wurde er ausgesteuert und meldete sich arbeitslos.
Auf den Antrag des Klägers vom 1. Juni 2017 bewilligte die Beklagte dem Kläger – nach Anforderung von Unterlagen zu seinem Hinzuverdienst – mit Bescheid vom 3. Mai 2018 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1. Juni 2017 bis längstens zum Erreichen der Regelaltersrente am 30. November 2031. Wegen seines Hinzuverdienstes stünde dem Kläger die Rente für Juni 2017 in Höhe von ¾ zu. Für die Zeit ab Juli 2017 kündigte die Beklagte einen weiteren Bescheid an.
Mit Bescheid vom 17. Juli 2018 gewährte die Beklagte dem Kläger die Rente wegen voller Erwerbsminderung aufgrund der Höhe des Hinzuverdienstes nur teilweise. Ab dem 1. Juli 2017 zog die Beklagte einen Hinzuverdienst von 143,52 Euro, ab dem 1. Januar 2018 einen Betrag in Höhe von 292,18 Euro ab. Es ergab sich so eine Nachzahlung in Höhe von 15.517,78 Euro für die Zeit seit Juli 2017 bis einschließlich August 2018. Ab 1. September 2018 zahlte der Beklagte dem Kläger die Erwerbsminderungsrente teilweise in Höhe von 1.087,70 Euro aus (Bruttobetrag: 1.220,07 Euro). Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger mit Schreiben vom 24. Juli 2018 Widerspruch. Die Einnahmen aus Gewerbebetrieb im vorgelegten Steuerbescheid, die über 3.000,00 Euro lägen, seien steuerliche Auflösungen von Rückstellungen aus dem Jahr 2006 aus sogenannten § 6b-Fonds, welchen keine tatsächlichen Einnahmen gegenüberstehen würden. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens legte der Kläger die Einkommenssteuerbescheide für die Jahre 2016 und 2017 vor.
Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 1. Februar 2020 als unbegründet zurück. Veräußerungsgewinne seien als Hinzuverdienst zu berücksichtigen, wenn sie steuerrechtlich den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb oder selbständiger Arbeit zugeordnet würden. Es sei dabei unbeachtlich, ob der Veräußerungsgewinn tatsächlich zugeflossen sei oder fiktiv ermittelt worden sei. Als Hinzuverdienst zu berücksichtigen sei der Betrag, der im Einkommenssteuerbescheid als Summe der Einkünfte aus Gewerbebetrieb festgestellt worden sei. Da der Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2016 zum Zeitpunkt der Bescheiderteilung noch nicht vorgelegen habe, sei zur Einkommensermittlung u.a. das Schreiben der B. vom 22. November 2017 zugrunde gelegt worden.
Hiergegen hat der Kläger mit Schreiben vom 6. Februar 2020, eingegangen bei Gericht am selben Tag, Klage zum Sozialgericht Konstanz mit dem Begehren erhoben, ihm eine ungekürzte Erwerbsminderungsrente zu gewähren. Es bestehe entgegen der Annahme der Beklagten kein Automatismus, eine steuerrechtliche Feststellung eines Gewinns aus selbständiger Tätigkeit automatisch als Zufluss von Einkommen und Hinzuverdienst nach § 34 Abs. 2 SGB VI zu werten. Vielmehr sei eine Einkommensanrechnung auf vorzeitige Altersrenten und Erwerbsminderungsrenten nur möglich, wenn ein Zufluss von Einkommen tatsächlich erfolge und ein sachlicher und zeitlicher Zusammenhang mit dem während des Rentenbezuges noch ausgeübten bzw. bestehenden Arbeitsverhältnisses bzw. der selbständigen Tätigkeit bestehe. Bei den Gewinnen, die auf den Steuerbescheiden in Bezug auf die § 6b-Fonds ausgewiesen seien, handle es sich daher um nicht zu berücksichtigende, fiktive Gewinne. Es bestehe weder ein zeitlich noch ein sachlicher Zusammenhang mit dem Rentenbezug. Der Kläger verweist insoweit auf ein Urteil des bayerischen Landessozialgerichtes vom 13. Februar 2019 (Az. L 19 R 271/17).
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, ihm unter Abänderung des Bescheides vom 17. Juli 2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 1. Februar 2020 eine ungekürzte Erwerbsminderungsrente zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist die Beklagte im Wesentlichen auf ihre Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid. Ergänzend führt sie aus, die Ausführungen des LSG Bayern seien auf dieses Verfahren nicht übertragbar. Der Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2017 sei rechtskräftig und daher für die Beklagte bindend. Die Entscheidung, ob etwas steuerrechtlich zugeflossen sei, treffe ausschließlich die Finanzverwaltung bzw. die Finanzgerichtsbarkeit.
Die ehemalige Vorsitzende der 9. Kammer hat am 28. Juli 2021 einen Erörterungstermin mit den Beteiligten durchgeführt und dabei den Kläger angehört. In einem weiteren Erörterungstermin am 2. November 2021 ist der Steuerberater des Klägers als Zeuge vernommen worden. In der mündlichen Verhandlung vom 21. September 2023 wurde der Kläger erneut angehört. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die jeweiligen Sitzungsprotokolle Bezug genommen.
Die den Kläger betreffende Verwaltungsakte der Beklagten lag in den entscheidungserheblichen Teilen vor und war Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Verfahrens wird darauf sowie auf die Verfahrensakte des Gerichts Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage ist zulässig, jedoch unbegründet.
Streitgegenständlich ist ausschließlich der Bescheid vom 17. Juli 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Februar 2020, mit welchem die Erwerbsminderungsrente des Klägers seit dem 1. Juli 2017 gewährt wurde. Der Bescheid vom 3. Mai 2018, der die Gewährung der Erwerbsminderungsrente für den Monat Juni 2017 regelt, ist bestandskräftig geworden.
Der Bescheid der Beklagten vom 17. Juli 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Februar 2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz, SGG). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ohne Anrechnung eines Hinzuverdienstes. Der Kläger erzielte in den Jahren seit 2016 laut Einkommenssteuerbescheiden u.a. folgende Einkünfte aus Gewerbebetrieb:
2016 |
13.864,00 Euro |
2017 |
15.159,00 Euro |
2018 |
16.323,00 Euro |
2019 |
16.688,00 Euro |
2020 |
21.984,00 Euro. |
Bei diesen Einkünften handelt es sich zur Überzeugung der Kammer um Arbeitseinkommen, welches als Hinzuverdienst rentenmindernd zu berücksichtigen ist. Denn dieses vom Kläger erzielte Arbeitseinkommen überschreitet die gem. § 96a Abs. 1c Nr. 2 SGB VI i.d.F. vom 8. Dezember 2016 (BGBl. I S. 2838; im Folgenden: a.F.) geltende Hinzuverdienstgrenze in Höhe von 6.300,00 Euro. Folglich stand dem Kläger die Rente für die Zeit ab dem 1. Juli 2017 nur teilweise zu.
Nach § 96a SGB VI a.F. wird eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nur in voller Höhe geleistet, wenn die kalenderjährliche Hinzuverdienstgrenze nach § 96a Abs. 1c SGB VI nicht überschritten wird. Gem. § 96a Abs. 1c Nr. 2 SGB VI a.F. beträgt die Hinzuverdienstgrenze bei einer Rente wegen voller Erwerbsminderung in voller Höhe 6.300,00 Euro. Gem. § 96a Abs. 2 SGB VI a.F. sind als Hinzuverdienst Arbeitsentgelt, Arbeitseinkommen und vergleichbares Einkommen zu berücksichtigen. Es kommt dabei gem. § 96a Abs. 5 SGB VI i.V.m. § 34 Abs. 3c SGB VI a.F. auf den voraussichtlichen kalenderjährlichen Hinzuverdienst an.
Der Kläger erzielt aus Beteiligungen aus den § 6b-Fonds, die der Kläger im Jahr 2006 und 2009 abgeschlossen hat, laut Steuerbescheiden Einkünfte aus Gewerbebetrieb, die als Arbeitseinkommen des Klägers i.S.d. § 15 SGB IV bei der Ermittlung des Arbeitseinkommens zu berücksichtigen waren. Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB IV ist Arbeitseinkommen der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit. Damit entspricht das Arbeitseinkommen dem Betrag, der im Einkommensteuerbescheid als Summe der Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb oder selbständiger Arbeit nach Abzug der Betriebsausgaben, aber vor Abzug der Sonderausgaben und Freibeträge festgestellt ist. Dies zugrunde gelegt wäre für das Jahr 2017 ein Arbeitseinkommen in Höhe von 15.159,00 Euro anzusetzen gewesen. Denn dass die Auflösung der § 6b-Fonds als Gewinn zu berücksichtigen ist, ergibt sich aus den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts, zu welchen auch die Vorschrift des § 6b EStG, der die (gewinnerhöhende) Auflösung der über diese Vorschrift gebildeten Rücklage in Abs. 3 und Abs. 10 regelt, zählt. Da zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses der Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2017 noch nicht vorlag, setzte die Beklagte den in den Schreiben der § 6b-Fonds ausgewiesenen Gewinn in Höhe von 15.065,54 Euro für den streitgegenständlichen Zeitraum an. In der Folgezeit ergingen keine Änderungsbescheide, obwohl die laut Steuerbescheid erzielten Einkünfte aus Gewerbebetrieb stiegen (zuletzt 2020: 21.984,00 Euro). Die Beklagte rechnete demnach beim Kläger zu dessen Gunsten geringere Einkünfte als Hinzuverdienst an.
Durch den Gesetzgeber ist bereits ausweislich des Wortlauts ein weitgehender Gleichlauf zwischen § 15 SGB IV und dem Einkommensteuerrecht beabsichtigt (vgl. BSG, Urteil vom 7. Oktober 2004 - B 13 RJ 13/04 R; BSG, Urteil vom 9. Oktober 2012 – B 5 R 8/12 R –, BSGE 112, 74-85, SozR 4-1300 § 45 Nr. 10, SozR 4-2600 § 96a Nr. 15, Rn. 22). Nur in seltenen Ausnahmefällen kommt eine Abweichung von der Übernahme der Feststellungen des Einkommensteuerbescheides durch Sozialversicherungsträger und Sozialgerichte in Betracht, nämlich dann, wenn der Versicherte/Steuerpflichtige gegen die Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen oder die steuerrechtliche Bewertung des Finanzamtes schlüssige und erhebliche Einwendungen erhebt (BSG, Urteil vom 30. September 1997 - 4 RA 122/95; Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 20. April 2018 – L 5 R 256/16 –, Rn. 35, juris). Dies ist vorliegend jedoch gerade nicht der Fall.
Die Annahme, die lediglich als Steuerabschreibungen der § 6b-Fonds ausgewiesenen Einnahmen seien mangels tatsächlichem Zufluss sowie fehlendem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang nicht bei der Berechnung des Hinzuverdienstes zu berücksichtigen, ist zur Überzeugung der Kammer unzutreffend. Soweit sich der Kläger diesbezüglich auch auf die Entscheidungsgründe des Urteils des bayerischen Landessozialgerichts vom 13. Februar 2019 (L 19 R 276/16) stützt, sind diese nicht auf den hier streitigen Sachverhalt übertragbar, da der Kläger vorliegend aus dem Gewerbebetrieb in Form der Beteiligung an den § 6b-Fonds einen tatsächlichen Einkommenszufluss erzielt.
Dieser Zufluss ergibt sich aus den ertragsteuerlichen Ergebnisanteilen der Fonds, bei welchen steuerrechtliche Gewinnbeteiligungen als Einkünfte der Anlage G Zeile 8 ff. ausdrücklich ausgewiesen werden. Diesen Buchungen in Form der Auflösung stehen auch – wenngleich nicht in derselben Höhe – tatsächliche laufende Zuflüsse in Form von Zinserträgen (für das Jahr 2017 3.878,93 Euro) gegenüber, wie sich aus den Aussagen des Steuerberaters und des Klägers sowie den klägerseitigen Aufstellungen, die zu den Akten gereicht wurden (vgl. Bl. 34, 55, 162 d. Gerichtsakte), ergibt. Damit steht der Sinn und Zweck der Hinzuverdienstgrenzen – bei den Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit die Lohnersatzfunktion zu stärken (BT-Drucks 13/2590 S. 23 zu Nr. 5) – der Anrechnung vorliegend nicht entgegen. Denn wird zeitgleich während des Rentenbezuges Erwerbseinkommen (aus einer abhängigen Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit) erzielt, bedarf es der vollen Entgeltersatzfunktion der Erwerbsminderungsrente nicht. Das Einkommen berührt dann zwar den Rentenanspruch dem Grunde nach nicht, führt jedoch bei Überschreiten der gesetzlich festgelegten Hinzuverdienstgrenzen zu einer Rentenminderung (vgl. zur Auflösung einer Ansparrücklage: Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 7. Dezember 2016 – L 19 R 276/16 –, Rn. 44, juris). Dass beim Kläger sämtliche Einkünfte – inkl. Auflösungsbeträge – aus der Gewinnbeteiligung steuerrechtlich als Einkünfte aus Gewerbebetrieb berücksichtigt werden, ist zudem Folge einer vom Kläger wahrgenommenen Gestaltungsmöglichkeit, die ihm steuerrechtliche Vorteile gewährt(e). Die steuerrechtliche Bewertung der Einkunftsart folgt allein aus einer freiwilligen und rechtlich zulässigen Gestaltung der Vermögensverhältnisse des Klägers, bei der er die Auswirkungen in anderen Rechtsgebieten – hier im Sozialrecht – hätte einbeziehen können (vgl. hierzu im weitesten Sinne auch: Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 5. November 2014 – L 16 R 575/11 –, Rn. 25, juris). Hinzu kommt, dass für Selbstständige außer dem am Einkommensteuerrecht ausgerichteten Arbeitseinkommen kein gesetzlich oder anderweitig geregeltes System der Einkommensermittlung zur Verfügung steht, das verwaltungsmäßig durchführbar wäre und ohne unzumutbare Benachteiligung dieses Personenkreises verwirklicht werden könnte (vgl. BSG vom 3. Mai 2005, B 13 RJ 8/04 R).
In der Gesamtschau ergibt sich zur Überzeugung der Kammer daher entgegen der Ansicht des Klägers kein Anhaltspunkt, von § 15 SGB IV abzuweichen. In der Folge hat die Beklagte die volle Erwerbsminderungsrente des Klägers zu Recht nur teilweise geleistet. Unter Berücksichtigung der sich aus den Steuerbescheiden ergebenden Einkünfte ist zumindest nicht erkennbar, dass die Berechnung zulasten des Klägers fehlerhaft erfolgt. Die Auszahlung einer höheren Rente seit dem 1. Juli 2017 bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung kam daher nicht in Betracht.
Nach alledem war die Klage abzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis des Rechtsstreits in der Hauptsache.