L 7 SO 831/24

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7.
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 9 SO 2430/23
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 831/24
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Eine Feststellungsklage, mit der Mitwirkungspflichten geklärt werden sollen, ist gegenüber einer Gestaltungs- oder Leistungsklage nicht subsidiär, wenn der Kläger zwischenzeitlich seiner Mitwirkungspflicht nachgekommen und diese deshalb für einen aktuellen Bewilligungszeitraum nicht entscheidungserheblich ist, aber für nachfolgende Bewilligungszeiträume eine Klärung zu erwarten ist.
2. Gegen die Aufforderung zur Mitwirkung nach den §§ 60 ff. SGB I kann entgegen § 56a Satz 1 SGG ausnahmsweise ein selbständiger Rechtsbehelf eingelegt werden, wenn sich der Kläger gegen eine mit der Möglichkeit der Versagung oder Entziehung von Leistungen nach § 66 Abs. 1 SGB I bewehrte Mitwirkungsaufforderung in einem auf die Gewährleistung existenzsichernder Leistungen gerichteten Verwaltungsverfahren wendet und die Klärung der Rechtmäßigkeit einer Verfahrenshandlung auch für zukünftige Zeiträume zu erwarten ist.

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 4. März 2024 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die (erwartete) Anforderung von Kontoauszügen seitens der Beklagten im Rahmen der Weiterbewilligung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB XII).

Der 1961 geborene, auf Dauer voll erwerbsgeminderte Kläger steht seit langem im Leistungsbezug bei der Beklagten. Mit Schreiben vom 16. November 2023 übersandte die Beklagte dem Kläger Antragsformulare für die Weiterbewilligung der Grundsicherungsleistungen für den Zeitraum vom 1. Dezember 2023 bis 30. November 2024 und bat ergänzend um die Vorlage von Kontoauszügen bezüglich des Zeitraums vom 1. Oktober 2023 bis 10. November 2023. Hierbei wies die Beklagte auf die sich aus den §§ 60 ff. Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) ergebenden Mitwirkungspflichten hin, sowie darauf, dass der Kläger berechtigt sei, auf der Ausgabenseite der angeforderten Kontoauszüge den Verwendungszweck und den Empfänger, nicht aber den Betrag zu schwärzen.

Nach erfolgter Rückmeldung des Klägers vom 22. November 2023 (Bl. 1275 Verw.-Akte), dem neben dem ausgefüllten Weiterbewilligungsantrag – nach entsprechenden Aktenvermerken der Beklagten (s. etwa Bl. 1337 Verw.-Akte) – im Weiteren von der Beklagten aus Datenschutzgründen vernichtete Kontoauszüge für den Zeitraum vom 1. September 2023 bis 2. Oktober 2023 beigefügt waren, bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 11. Januar 2024 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung für den Zeitraum vom 1. Dezember 2023 bis 30. November 2024.


Bereits mit einem als „Antrag auf einstweiliger Anordnung“ überschriebenen Schreiben vom 4. Dezember 2023 wandte sich der Kläger an das Sozialgericht Mannheim (SG), dort zugegangen am 11. Dezember 2023, und teilte mit, die Beklagte habe gerade eben die Grundsicherung per Bescheid weiterbewilligt. Dieser Antrag auf einstweilige Anordnung werde nun als Feststellungsklage weitergeführt. Er halte die Vorlage von Kontoauszügen für verfassungswidrig im Sinne des Art. 3 Grundgesetz (GG). Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe in seinem Urteil vom 22. November 2023 (1 BvR 2577/15 u.a.) festgestellt, dass bei Legasthenikern der Eintrag, dass die Rechtschreibung im Abitur nicht bewertet wurde, rechtens sei, allerdings nur dann, wenn das für alle Behinderungen gelte. So sei es auch hier. Wenn die Vorlage von allen verlangt werden würde, dann sei die Vorlage auch rechtens. Wenn aber die Vorlage sich auf Grundsicherungsberechtigte und Bürgergeldberechtigte beschränke, sei die Vorlage verfassungswidrig. So müssten beispielsweise Steuerpflichtige im Rahmen einer Einkommensteuererklärung die Kontoauszüge gerade nicht vorlegen. Mit solch einer Vorlage könne nicht nur Sozialleistungsbetrug aufgedeckt oder verhindert werden, sondern eben auch Steuerbetrug. Das SG möge deshalb feststellen, dass derzeit die Vorlage von Kontoauszügen verfassungswidrig sei, solange nicht alle, die entweder eine Leistung des Staates beziehen wollten oder zu einer Steuer oder Abgabe zugunsten des Staates verpflichtet seien, diese Kontoauszüge nicht vorlegen müssten.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 4. März 2024 abgewiesen.
Die Klage sei bereits unzulässig. Das Gericht lasse ausdrücklich offen, ob es sich bei der Beantwortung der vom Kläger aufgeworfenen Frage überhaupt um ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) handele. Dies erscheine im Hinblick darauf, dass die Beklagte dem Kläger seine Leistungen zwischenzeitlich für den folgenden Bewilligungszeitraum gewährt habe, durchaus zweifelhaft; denn die vom Kläger streitig gestellte Problematik werde sich damit erst in etwa acht Monaten wieder stellen. Für die Feststellung eines zukünftigen Rechtsverhältnisses würden aber gesteigerte Anforderungen gestellt. Jedenfalls stehe der Zulässigkeit der Feststellungsklage der Grundsatz der Subsidiarität entgegen. Denn es sei ein allgemeiner Grundsatz des Prozessrechts, dass eine Feststellungsklage nur dann zulässig sei, wenn der jeweilige Kläger seine Rechte nicht durch eine Gestaltungsklage wahren könne. Nach Auffassung des Gerichts sei es dem Kläger jedoch durchaus zuzumuten, bei Ablauf des Bewilligungszeitraums zunächst die behördliche Entscheidung über seinen Weiterbewilligungsantrag abzuwarten und sodann bei einer Leistungsablehnung eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage oder bei einer Leistungsversagung wegen fehlender Mitwirkung eine Anfechtungsklage zu erheben.

Gegen diese ihm am 6. März 2024 zugestellte Entscheidung hat der Kläger am 13. März 2024 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Er trägt vor, dass die Grundsicherung quasi dauerhaft bewilligt worden sei, aber alljährlich überprüft werde, wenn auch diese eher sinnlose Überprüfung erhebliche Steuergelder koste. Im Übrigen wiederholt und vertieft er sein Vorbringen aus dem Klageverfahren.

Der Kläger beantragt, sachgerecht gefasst,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 4. März 2024 aufzuheben und festzustellen, dass die Beklagte nicht berechtigt ist, für die Weiterbewilligung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung von ihm die Vorlage von Kontoauszügen zu verlangen.

Die Beklagte beantragt,

            die Berufung zurückzuweisen.

Sie erachtet die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze und hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts auf die Prozessakten beider Instanzen sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) eingelegte Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG vom 4. März 2024 ist statthaft (§ 143 SGG), bedarf nicht der Zulassung (§ 144 Abs. 1 SGG) und ist auch im Übrigen zulässig. Der Senat konnte auch in Abwesenheit des Klägers den Rechtsstreit mündlich verhandeln und entscheiden, denn der Kläger ist in der ihm ordnungsgemäß zugestellten Terminsmitteilung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden. Der Senat hat ihm zudem trotz der Nichtanordnung seines persönlichen Erscheinens auf seinen Wunsch, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen, vorab eine Bahnfahrkarte übersandt.

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Die Unbegründetheit der Berufung folgt dabei aus der Unbegründetheit der Klage, entgegen der Auffassung des SG nicht bereits aus deren Unzulässigkeit, jedenfalls soweit der Kläger (gegebenenfalls: zumindest auch) die Feststellung der Unrechtmäßigkeit der Anforderung von Kontoauszügen im Rahmen der Weiterbewilligung von Leistungen durch die Beklagte begehrt.

Die auch für eine Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 SGG geltenden allgemeinen Prozessvoraussetzungen liegen vor und ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis – der Umfang der Mitwirkungspflichten, welche den Kläger im Rahmen der Weiterbewilligung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung treffen bzw. im Vorfeld des Erlasses des Bescheides vom
11. Januar 2024 getroffen haben, konkret in Form der Anforderung von Kontoauszügen – ist gegeben. Denn auch vergangene Rechtsverhältnisse sind feststellungsfähig (vgl. Keller in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 14. Aufl. 2023, § 55 Rdnr. 8 m.w.N.). Für vergangene Rechtsverhältnisse sind jedoch gesteigerte Anforderungen an das für Feststellungsklagen erforderliche Feststellungsinteresse zu stellen. Insbesondere besteht bei einem vergangenen Rechtsverhältnis ein berechtigtes Interesse an der Feststellung nur noch dann, wenn das Rechtsverhältnis über seine Beendigung hinaus noch eine gegenwärtige Wirkung erzeugt (Senger in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 55 SGG, Stand: 15. Juni 2022, Rdnr. 68). Dies ist etwa bei einer ausreichend konkreten Wiederholungsgefahr der Fall. Ein solche setzt voraus, dass eine konkrete, in naher Zukunft oder doch in absehbarer Zeit unmittelbar bevorstehende Gefahr der Wiederholung bei im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen besteht (Senger a.a.O. Rdnr. 69). Dies ist vorliegend hinsichtlich der Prüfung der Leistungsvoraussetzungen für die Zeit ab dem 1. Dezember 2023 Zeitraum der Fall. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger zukünftig keinen Hilfebedarf in Form von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung mehr haben wird, ein anderer Leistungsträger in Betracht kommt oder die Beklagte auf jegliche Prüfung der Kontoverhältnisse des Klägers verzichten könnte, sind nicht ersichtlich.

Der Zulässigkeit steht im hiesigen Fall auch nicht die grundsätzliche Subsidiarität der Feststellungsklage gegenüber einer Gestaltungs- oder Leistungsklage entgegen. Dieser Subsidiaritätsgrundsatz dient vor allem der Vermeidung überflüssiger Klagen (Keller, a.a.O. Rn. 19). Zunächst ist die Feststellungsklage nicht bereits deswegen unzulässig, weil über die maßgeblichen Sach- und Rechtsfragen bereits im Rahmen einer anhängigen Anfechtungs-, Verpflichtungs- oder Leistungsklage zu entscheiden ist (s. Keller a.a.O. Rdnr. 19a). Zum einen hat der Senat keine Kenntnis von einer Klage, welche die Bewilligungsentscheidung für den aktuellen Leistungszeitraum zum Gegenstand hat, zum anderen wäre in einer solchen Klage die Frage der Rechtmäßigkeit der Anforderung von Kontoauszügen nicht entscheidungserheblich, da der Kläger Kontoauszüge vorgelegt hat und die Beklagte diesen die – vom Kläger berichteten – unveränderten Verhältnisse entnommen und ihrer zusprechenden Entscheidung zugrunde gelegt hat. Der Kläger ist aber auch bezüglich zukünftiger Bewilligungszeiträume nicht zumutbar auf die Möglichkeit der Erhebung einer Gestaltungs- oder Leistungsklage zu verweisen und zunächst, um eine Prüfung der hier streitigen Fragestellung in einem Gerichtsverfahren herbeizuführen, die Ablehnung oder Versagung existenzsichernder Leistungen durch eine Verweigerung der angeforderten Mitwirkung zu erwirken. Zudem ist bereits durch eine Entscheidung über das Feststellungsbegehren eine Klärung für zukünftige Bewilligungszeiträume zu erwarten (s. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 28. März 2013 – B 4 AS 42/12 R –, BSGE 113, 177-184, SozR 4-1200 § 60 Nr 3, SozR 4-4200 § 11 Nr. 60, juris Rdnr. 12).

Dieser Feststellungsklage steht auch nicht die Ausschlussregelung des § 56a Satz 1 SGG entgegen, nach welcher Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden können. Die Vorschrift dient als negative Zulässigkeitsvoraussetzung der Verfahrensökonomie, indem sie einer Verzögerung des Verwaltungsverfahrens durch Verfahrens- und Formfehler entgegenwirkt (Gesetzesbegründung BT-Drs. 17/12297, 39), und der Prozessökonomie, indem eine Zersplitterung des Rechtsschutzes vermieden wird (Keller in Meyer-Ladewig u.a., 14. Aufl. 2023, SGG § 56a Rdnr. 2). Zwar handelt es sich bei der vorliegend streitigen Mitwirkungsaufforderung um eine behördliche Verfahrenshandlung im Sinne des § 56a Satz 1 SGG, mithin um eine behördliche Handlung, die im Zusammenhang mit einem schon begonnenen und noch nicht abgeschlossenen Verwaltungsverfahren steht und der Vorbereitung einer regelnden Sachentscheidung dient (s. BVerwG, Urteil vom 20. Oktober 2016 – 2 A 2/14 –, BVerwGE 156, 193-199, juris Rdnr. 14 m.w.N.). Ebenso stellt die Feststellungsklage des Klägers einen Rechtsbehelf in diesem Sinne dar (vgl. Axer in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 56a SGG, Stand 15. Juni 2022, Rdnr. 22). Über die in § 56a Satz 2 SGG vorgesehenen, im hiesigen Fall nicht einschlägigen Ausnahmen hinaus, sind aber auch aus verfassungsrechtlichen Gründen – namentlich dem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG – Ausnahmen vom Ausschluss der unmittelbaren und isolierten Geltendmachung von Rechtsbehelfen geboten. So ist anerkannt, dass ein am Verwaltungsverfahren Beteiligter eine Verfahrenshandlung selbständig anfechten kann, wenn diese unmittelbare Rechtswirkungen zu seinen Lasten über das Verwaltungsverfahren hinaus entfaltet und Rechtsschutz gegen die Sachentscheidung zu spät kommen würde (Keller a.a.O. Rn. 12 m.w.N.). Dies kommt etwa bei behördlichen Aufforderung zur Mitwirkung nach den §§ 60 ff. SGB I in Betracht (Axer, SGb 2013, 669, 674). Eine Ausnahme in diesem Sinne ist nach Auffassung des Senats in einer Konstellation wie der vorliegenden gegeben, in welcher der Kläger sich – in nicht rechtsmissbräuchlicher Weise – gegen eine mit der Möglichkeit der Versagung oder Entziehung von Leistungen nach § 66 Abs. 1 SGB I bewehrte Mitwirkungsaufforderung in einem auf die Gewährleistung existenzsichernder Leistungen gerichteten Verwaltungsverfahren wendet und eine Klärung der Rechtmäßig- oder Rechtswidrigkeit einer Verfahrenshandlung über einen einmaligen Vorgang hinaus zu erwarten ist. Ist daher, wie im hier zu entscheidenden Fall, für eine Feststellungsklage ein qualifiziertes Feststellungsinteresse sowie, insbesondere auch zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes, eine Ausnahme von der grundsätzlichen Subsidiarität der Feststellungsklage zu bejahen, schlägt dies aufgrund der insoweit vergleichbaren Zweckrichtung des vorgenannten Subsidiaritätsgrundsatzes und der Regelung des § 56a Satz 1 SGG auch auf den Ausschluss der isolierten Geltendmachung von Rechtsbehelfen gegen behördliche Verfahrenshandlungen durch.

Sollte der Kläger dagegen allgemein und losgelöst von seinem Fall (auch) die Feststellung der Rechtswidrigkeit jeglicher Anforderung von Kontoauszügen von Beziehern von Leistungen nach dem SGB XII oder dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) im Rahmen der Prüfung der Weiterbewilligung von Leistungen und damit die zumindest teilweise Rechts- bzw. Verfassungswidrigkeit der zugrundeliegenden Ermächtigungsnorm des § 60 Abs. 1 Nr. 3 SGB I erreichen wollen, ist die so verstandene Klage insoweit unzulässig. Denn dieses Begehren wäre als abstrakte Normenkontrolle zu qualifizieren (vgl. Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG i.V.m. §§ 13 Nr. 6, 76 ff. Bundesverfassungsgerichtsgesetz), für welche das BVerfG zuständig und der Kläger nicht antragsberechtigt ist.

Die – auf den konkreten Fall des Klägers bezogene – Feststellungsklage ist jedoch unbegründet. Die Anforderung von Kontoauszügen durch die Beklagte mit Schreiben vom
16. November 2023 für einen Zeitraum von sechs Wochen im Rahmen der Prüfung des weiteren Vorliegens der Leistungsvoraussetzungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ist nicht zu beanstanden.

Die Beklagte ist dabei davon ausgegangen, dem Kläger Grundsicherungsleistungen entsprechend den gesetzlichen Vorgaben (vgl. § 44 Abs. 3 Satz 1 SGB XII) sowohl für den Zeitraum bis zum 30. November 2023 wie auch für den derzeit laufenden Zeitraum für jeweils zwölf Monate bewilligt zu haben. Es kann im Ergebnis dahinstehen, ob es sich hierbei jeweils tatsächlich um eigentliche Bewilligungsentscheidungen gehandelt hat oder aufgrund einer gegebenenfalls weiterhin nicht aufgehobenen, zugrundeliegenden Dauerbewilligung lediglich um Neuregelungen von Teilzeiträumen (s. diesbezüglich das zwischen den Beteiligten ergangene Urteil des Senats vom 2. März 2023 – L 7 SO 980/22 –). Denn auch in diesem Fall ist die Beklagte gehalten, dass Vorliegen der Leistungsvoraussetzungen jedenfalls entsprechend des Rechtsgedankens des § 44 Abs. 3 Satz 1 SGB XII nach Ablauf von zwölf Monaten zu überprüfen. Vor der (Weiter‑)Bewilligung bzw. Neuregelung (im Weiteren einheitlich: Weiterbewilligung) hatte die Beklagte daher zu prüfen, ob die Leistungsvoraussetzungen immer noch vorliegen. Dabei ist es – abhängig von den Bedingungen des jeweiligen Einzelfalls – durchaus vertretbar, wenn im Falle einer Weiterbewilligung eine geringere Prüfungstiefe angesetzt wird, als bei einer erstmaligen Bewilligung. Entsprechend hat die Beklagte vorliegend einen zurückhaltenden, aber angemessenen Prüfungsumfang angesetzt, in dem sie von dem Kläger lediglich Kontoauszüge für weniger als zwei Monate und die Übersendung eines ausgefüllten Antrags gefordert hat. Eine „blinde“ Weiterbewilligung, wie sie dem Kläger offenbar vorschwebt, ist dagegen nicht vorgesehen und entsprechend auch nicht zu verlangen.


Die Anforderung von Kontoauszügen in dem hier fraglichen Umfang ist eine ohne Weiteres von dem Kläger zu fordernde Mitwirkungshandlung. Wie bereits angeführt, findet diese – in Ermangelung einer spezielleren Regelung des Sozialhilferechts (vgl. § 37 Satz 1 SGB I) – ihre Rechtsgrundlage in § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB I. Danach hat, wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, Beweismittel zu bezeichnen und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers Beweisurkunden vorzulegen oder ihrer Vorlage zuzustimmen.

Vorliegend hat der Kläger Sozialleistungen in Form von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung beantragt und erhalten, auch ist die Beklagte sachlich und örtlich zuständiger Leistungsträger (vgl. § 46b Abs. 1 SGB XII i.V.m. § 1 Abs. 1 und §§ 2, 2a Gesetz zur Ausführung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch Baden-Württemberg [AGSGB XII BW]). Weiter handelt es sich bei Kontoauszügen um Beweismittel bzw. Beweisurkunden im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB I (BSG, Urteil vom 19. September 2008 – B 14 AS 45/07 R – juris Rdnr. 15; BSG, Urteil vom 19. Februar 2009 – B 4 AS 10/08 R – juris Rdnr. 15).

Die Anforderung von Kontoauszügen überschreitet auch nicht die Grenzen der Mitwirkungspflichten des Klägers. Nach § 65 Abs. 1 SGB I bestehen die Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 64 SGB I nicht, soweit 1. ihre Erfüllung nicht in einem angemessenen Verhältnis zu der in Anspruch genommenen Sozialleistung oder ihrer Erstattung steht oder 2. ihre Erfüllung dem Betroffenen aus einem wichtigen Grund nicht zugemutet werden kann oder 3. der Leistungsträger sich durch einen geringeren Aufwand als der Antragsteller oder Leistungsberechtigte die erforderlichen Kenntnisse selbst beschaffen kann.

Anspruchsvoraussetzung für die von dem Kläger auch für den Zeitraum ab dem 1. Dezember 2023 begehrten Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach § 19 Abs. 2 i.V.m. §§ 41 ff. SGB XII ist u.a., dass der jeweilige Antragsteller seinen notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus seinem Einkommen und Vermögen, bestreiten kann. Zum Einkommen gehören dabei alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert (§ 43 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB XII). Diese können sich naturgemäß insbesondere in Kontenbewegungen niederschlagen. Es liegt daher, wie das BSG in einer das Gebiet des SGB II betreffenden Entscheidung – der sich der Senat aufgrund der insoweit übertragbaren Frage- und Problemstellungen auch für das Gebiet des SGB XII anschließt – ausgeführt hat, auf der Hand, dass es im Rahmen eines aus Steuermitteln finanzierten Fürsorgesystems, das strikt an die Hilfebedürftigkeit der Leistungsempfänger als Anspruchsvoraussetzung anknüpft, keine unzumutbare und unangemessene Anforderung darstellt, Auskunft über den Bestand an Konten und die Kontenbewegungen (durch die Vorlage von Kontoauszügen) zu geben, jedenfalls soweit die Einnahmeseite betroffen ist. Dies gilt auch für den Fall, dass der Betroffene schon Leistungen bezogen hat und Grundsicherungsleistungen für Folgezeiträume geltend macht. Angesichts der Vielfalt jederzeit möglicher Änderungen gibt es für eine differenzierende Beurteilung der Vorlagepflicht keinen Grund (BSG, Urteil vom 19. September 2008 – B 14 AS 45/07 R –, BSGE 101, 260-268, SozR 4-1200 § 60 Nr. 2, SozR 4-1100 Art 2 Nr. 12, SozR 4-4200 § 50 Nr. 1, Rdnr. 16). Auch in zeitlicher Hinsicht begegnet die Anforderung von Kontoauszügen für sechs Wochen keinen Bedenken, wobei die Beklagte im Ergebnis sogar die Vorlage von Kontoauszügen für kaum mehr als einen Monat hat genügen lassen. Dies dürfte als unbedingt erforderlicher Mindestzeitrahmen anzusehen sein, um zumindest ansatzweise eine überblickhafte Prüfung zu ermöglichen. Nach der vorgenannten Rechtsprechung des BSG ist demgegenüber auch die Anforderung von Kontoauszügen für jedenfalls drei Monate nicht zu beanstanden (BSG, a.a.O. Rdnr. 17).

Weiter kann aus § 65 SGB I keine Einschränkung der Mitwirkungsobliegenheit dahingehend abgeleitet werden, dass nur bei einem konkretem Verdacht auf einen Leistungsmissbrauch jeweils die Vorlage von bestimmten Beweisurkunden vom Sozialleistungsempfänger gefordert werden könnte. Die Mitwirkungsobliegenheiten der §§ 60 ff SGB I bestehen grundsätzlich unabhängig vom Vorliegen von Verdachtsmomenten gegen den Leistungsempfänger (BSG, a.a.O. Rdnr. 19).

Es ist weiter nicht von dem Kläger dargetan oder sonst erkennbar, dass die Beklagte sich die gewünschten Informationen auf anderem Wege einfacher hätte verschaffen können oder diese von dem Kläger nur unverhältnismäßig schwer beizubringen wären. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Kläger nicht die angeforderten Kontoauszüge vom 1. Oktober bis 10. November 2023 vorgelegt hat, sondern diejenigen für den Zeitraum vom 1. September bis 2. Oktober 2023, da er über die gewünschten noch nicht verfüge und die Beschaffung mit Kosten verbunden sei, was die Beklagte akzeptiert hat.

Der Anforderung von Kontoauszügen ist auch unter Gesichtspunkten des Sozialdatenschutzes nicht zu beanstanden, nachdem die Beklagte von Anfang an klargestellt hat, dass
der Kläger berechtigt ist, auf der Ausgabenseite zwar nicht den Betrag, aber sowohl den Verwendungszweck und den Empfänger zu schwärzen. Die Beklagte hat sich damit auf die für die Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Kenntnisse beschränkt (vgl. § 67 Abs. 12 i.V.m. § 67a Abs. 1 Satz 2 SGB XII, eingehend zum Ganzen BSG, a.a.O. Rdnr. 23 f.).

Schließlich begegnet die fragliche Kontoauszugsanforderung keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Zwar stellt diese Mitwirkungsverpflichtung einen Eingriff in den Schutzbereich des aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG) folgenden Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung dar. Dieser ist jedoch verhältnis- und insgesamt rechtmäßig, wie sich aus der Abwägung zwischen der Intensität des Eingriffs und dem vom Gesetzgeber bezweckten Ziel ergibt (s. dazu BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 2007 – 1 BvR 1550/03 –, BVerfGE 118, 168-211, BStBl II 2007, 896, juris Rdnr. 125 ff.). Die Mitwirkungspflicht des Grundleistungsempfängers dient Gemeinwohlbelangen von erheblicher Bedeutung. Der Grundsicherungsempfänger beantragt staatliche Fürsorgeleistungen, die ihm ohne jede Gegenleistung (etwa in Form von vorher gezahlten Beiträgen etc.) nur auf Grund seiner Hilfebedürftigkeit gewährt werden. Dem Staat – bzw. der Gemeinschaft der Steuerzahler – muss es daher erlaubt sein, sich davor zu schützen, dass diese Grundsicherungsleistungen an Nichtbedürftige gewährt werden, die über weitere finanzielle Mittel verfügen, diese jedoch gegenüber dem Grundsicherungsträger verschweigen bzw. nicht offenlegen. Diesem Schutzzweck auf Seiten der Allgemeinheit steht ein vergleichsweise geringer Eingriff gegenüber (BSG a.a.O. Rdnr. 26). Denn der Kläger ist ohnehin verpflichtet, umfangreiche Angaben zu seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen zu machen, so dass in dem Belegen eines Teils dieser Angaben kein wesentlicher zusätzlicher Eingriff zu sehen ist.


Auch ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG ist zur Überzeugung des Senats vorliegend nicht gegeben. Denn dieser gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich, aber auch wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (st. Rspr. BVerfG, vgl. etwa Beschluss vom 8. Dezember 2021 – 2 BvL 1/13 –, BVerfGE 160, 41-79; Beschluss vom 19. November 2019 – 2 BvL 22/14 –, BVerfGE 152, 274-331). Soweit der Kläger eine fehlende Gleichbehandlung von Leistungsempfängern nach dem SGB II und dem SGB XII im Rahmen von Weiterbewilligungsanträgen mit Steuerpflichtigen im Rahmen von Einkommenssteuererklärungen bemängelt, handelt es sich um „wesentlich Ungleiches“ im Sinne des allgemeinen Gleichheitssatzes, so dass eine Gleichbehandlung von vorneherein nicht geboten ist. Ungeachtet des Umstandes unterschiedlicher geltender Regelungssysteme und Zuständigkeiten stehen insoweit gegenleistungslose, wirtschaftlich von der Hilfebedürftigkeit und Angewiesenheit auf steuerfinanzierte Leistungen abhängige finanzielle Ansprüche Einzelner gegen den Staat (und damit final den Steuerzahler) auf der einen Seite den mit staatlichen Zwang durchsetzbaren finanziellen Ansprüchen des Staates gegen den einzelnen Steuerpflichtigen auf der anderen Seite gegenüber, denen die jeweiligen Mitwirkungsverpflichtungen dienen. Im Übrigen können auch die Finanzbehörden von den Steuerpflichtigen sehr wohl die Vorlage von Kontoauszügen verlangen, soweit dies im Einzelfall erforderlich ist (vgl. § 97 Abgabenordnung).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1, 2 SGG) liegen nicht vor.


 

Rechtskraft
Aus
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