L 2 SO 2100/23

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
2.
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 5 SO 1223/23
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 SO 2100/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Landessozialgericht Baden-Württemberg

Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 18. Juli 2023 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten für das Berufungsverfahren zu erstatten.



Tatbestand

Zwischen den Beteiligten steht die Übernahme von Bestattungskosten im Streit.

Der 1959 geborene Ehemann der Klägerin, B1, verstarb zwischen dem 30.11.2022 und dem 02.12.2022 (vgl. Sterbeurkunde Bl. 1 VA, Abteilung „Bestattungskosten“) in der ehemals gemeinsam mit der Klägerin bewohnten Wohnung. Zu diesem Zeitpunkt lebten die Eheleute bereits seit einigen Jahren getrennt.

Die 1951 geborene Klägerin wohnt seit 2015 in einem Senioren- und Pflegeheim; sie bezieht Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) in Form von Grundsicherungsleistungen, Hilfe zum Lebensunterhalt und Hilfe zur Pflege von der Beklagten (vgl. z.B. Bescheid vom 14.09.2022, Bl. 15 VA, Abteilung „B2“). Das Amtsgericht (AG) K1 hat für sie eine Betreuerin bestellt, u.a. für die Aufgabenkreise Vermögenssorge sowie Vertretung gegenüber Behörden und Sozialleistungsträgern (vgl. Bl. 20 SG-Akte).

Am 11.01.2023 erklärte die Betreuerin gegenüber dem AG K1 (Bl. 3 f. VA Abteilung „Bestattungskosten“), aufgrund gesetzlicher Erbfolge sei die Klägerin als Erbin berufen. Vom Anfall der Erbschaft habe sie am 09.12.2022 Kenntnis erlangt. Der Bestand des Nachlasses sei nicht bekannt. Schulden würden jedoch aufgrund von Erzählungen der Betroffenen vermutet. Sie schlage die Erbschaft für die Klägerin aus. Eine betreuungsrechtliche Genehmigung nebst Rechtskraftzeugnis werde hiermit beim Betreuungsgericht beantragt. Nächstberufene Erben seien nicht bekannt. Die Klägerin sei kinderlos.

Ebenfalls am 11.01.2023 beantragte die Klägerin, vertreten durch ihre Betreuerin, bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für die Bestattung des Ehemannes. Die Kosten betrugen insgesamt 2.313,00 Euro. Diese Summe setzt sich zusammen aus Kosten für das Bestattungsunternehmen E1 in Höhe von 1.642,00 Euro (Bl. 7 VA, Abteilung „Bestattungskosten“) sowie Friedhofsgebühren in Höhe von 671,00 Euro (Bl. 15 VA, Abteilung „Bestattungskosten“).

Die Beklagte ermittelte durch Nachfrage bei der S1bank den Kontostand des Girokontos des verstorbenen Ehemanns der Klägerin. Die Bank teilte mit Schreiben vom 24.01.2023 (Bl. 17 ff. VA, Abteilung „Bestattungskosten“) unter Vorlage einer Kontoübersicht mit, dass der Kontostand zum 29.11.2022 2.280,86 Euro und zum 24.01.2022 1.209,54 Euro betrug.

Mit Beschluss vom 14.02.2023 genehmigte das AG K1 - Betreuungsgericht - die Ausschlagung der Erbschaft durch die Betreuerin (- xxxxxxxxx-, Bl. 31 f. VA, Abteilung „Bestattungskosten“). Die Genehmigung könne zum Wohle der Klägerin erfolgen, da der Nachlass nach den Ermittlungen des Betreuungsgerichts überschuldet sei.

Mit Bescheid vom 17.04.2023 (Bl. 27 VA, Abteilung „B2“) bewilligte die Beklagte der Klägerin einen Zuschuss zu den Bestattungskosten, allerdings nur in Höhe von 32,14 Euro. Zur Begründung führte sie aus, die Klägerin sei trotz der Ausschlagung des Erbes als Angehörige zur Bestattung ihres Ehemannes verpflichtet gewesen. Den erforderlichen Bestattungskosten in Höhe von 2.313,00 Euro habe ein Nachlass in Höhe von 2.280,86 Euro (= Kontoguthaben) gegenübergestanden. Den Nachlass müsse die Klägerin vorrangig dazu einsetzen, um die Bestattungskosten zu begleichen. Den Rest der Kosten (32,14 Euro) könne sie angesichts ihrer finanziellen Verhältnisse nicht selbst zahlen. Insoweit bestehe ein Anspruch gegen die Beklagte.

Hiergegen wurde für die Klägerin mit Schreiben vom 03.05.2023 (Bl. 33 VA, Abteilung „B2“) Widerspruch erhoben. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Beklagte habe zu Unrecht das Kontoguthaben des verstorbenen Ehemannes der Klägerin berücksichtigt. Denn die Betreuerin habe die Erbschaft für die Klägerin nach betreuungsrechtlicher Genehmigung wirksam ausgeschlagen. Das AG K1 habe deren Erklärung genehmigt und zur Begründung ausgeführt, der Nachlass sei überschuldet. Nach Auskunft des Nachlassgerichts werde es ggf. zu einer Nachlassinsolvenz kommen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 08.05.2023 (Bl. 37 VA, Abteilung „B2“) wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie u.a. aus, dass die Klägerin als Angehörige bestattungspflichtig sei. Über eigene Einkünfte verfüge sie nicht. Allerdings habe sich zum Zeitpunkt des Todes auf dem Konto des verstorbenen Ehemannes ein Guthaben in Höhe von 2.280,86 Euro befunden. Hierbei handle es sich (um wahrscheinlich den einzigen) Aktiv-Nachlass des Verstorbenen. Von diesem Aktiv-Wert seien etwaige Nachlassverbindlichkeiten nicht abzuziehen und daher für die Bestattung einzusetzen.

Hiergegen ist am 19.05.2023 Klage zum Sozialgericht (SG) Karlsruhe erhoben und das Begehren weiterverfolgt worden. Zur Begründung ist ergänzend vorgetragen worden, dass die Klägerin infolge der Ausschlagung der Erbschaft keine Erbin geworden sei und zu keinem Zeitpunkt Zugriff auf den Nachlass gehabt habe. Angesichts dessen könne die Beklagte sie nicht auf den Nachlass verweisen. Unklar sei im Übrigen, ob das Guthaben auf dem Konto des Verstorbenen zum Zeitpunkt seines Todes tatsächlich 2.280,86 Euro betragen habe. Da die Klägerin das Erbe ausgeschlagen habe, erhalte sie entsprechende Informationen nicht. Allerdings sei der Betreuerin telefonisch seitens des Kreditinstitutes bedeutet worden, dass sich aktuell auf dem Konto nur noch ein deutlich geringerer Betrag befinde. Vor diesem Hintergrund müsse die Beklagte die vollen Bestattungskosten übernehmen. Anschließend könne die Beklagte ggf. beim Fiskus Regress nehmen.

Die Beklagte ist dem Begehren entgegengetreten und hat vorgetragen, dass der Erbe - bevor Leistungen der Sozialhilfe in Betracht kämen - vorrangig den vorhandenen Aktivnachlass zur Regulierung der Bestattungskosten zu verwenden habe. Dies sei eine zwangsläufige Konsequenz aus dem gesetzlichen Nachrang der Sozialhilfe (§ 2 SGB XII). Dies bedeute, dass eine zur Kostentragung nachrangig verpflichtete Person - hier die Klägerin - einen sozialhilferechtlichen Leistungsanspruch allenfalls insoweit habe, als der vorhandene Aktiv-Nachlass nicht zur Deckung der erforderlichen Bestattungskosten ausreiche.

Das SG hat nach vorheriger Anhörung die Beklagte mit Gerichtsbescheid vom 18.07.2023 (Bl. 42 ff. SG-Akte) verurteilt, der Klägerin weitere 2.280,86 Euro zu zahlen. Zur Begründung ist ausgeführt worden, dass nach § 74 SGB XII die erforderlichen Kosten einer Bestattung übernommen würden, soweit den hierzu Verpflichteten nicht zugemutet werden könne, die Kosten zu tragen. Die Klägerin sei als Angehörige (§ 31 Abs. 1 S. 1 Bestattungsgesetz Baden-Württemberg [BestattG BW], u.a. die Ehegattin gem. § 21 Abs. 1 Nr. 1 BestattG BW) zur Bestattung ihres Ehemannes verpflichtet gewesen. Die erforderlichen Kosten für die Bestattung hätten hier 2.313,00 Euro betragen. Anhaltspunkte, dass die Kosten des Bestattungsunternehmens und die Friedhofsgebühren nicht erforderlich oder die dafür angesetzten Preise unangemessen hoch gewesen seien, seien nicht ersichtlich und auch die Beklagte habe diese Kosten akzeptiert. Der Klägerin sei nicht zuzumuten, die Bestattungskosten selbst zu tragen.
Für die Prüfung der Zumutbarkeit komme es nicht auf die Verhältnisse am Tag des Todes oder der Bestattung an. Maßgeblich seien vielmehr die Verhältnisse zu den Zeitpunkten, in denen die Forderungen für die Bestattungsleistungen jeweils fällig gewesen seien (BSG Urteil vom 04.04.2019 - B 8 SO 10/18 R - juris, Rn. 17; Siefert in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 4. Aufl. [Stand: 01.05.2024] § 74 Rn. 54). An diesen Tagen müssten Einkommen oder Vermögen als sog. „bereite Mittel“ zur Verfügung stehen (Siefert, a.a.O., Rn. 62). Im vorliegenden Fall sei die Rechnung des Bestatters vom 09.01.2023 mangels einer abweichenden Regelung sofort fällig gewesen. Demgegenüber habe die Stadt K1 in ihrem Gebührenbescheid vom 13.01.2023 eine Zahlungsfrist von einem Monat eingeräumt. Im Januar bzw. Februar 2023 sei es der Klägerin angesichts ihrer wirtschaftlichen Situation jedoch unzumutbar gewesen, die Bestattungskosten selbst zu tragen. Verwertbares Einkommen habe sie nicht gehabt, sie habe durchgehend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes bezogen (vgl. Bescheid vom 14.09.2022). Ihr habe auch kein Vermögen zur Verfügung gestanden, mit dem sie die Bestattungskosten hätte begleichen können. Zu Unrecht habe die Beklagte hier den Nachlass des Ehemannes der Klägerin berücksichtigt. Zwar sei der Einsatz eines Nachlasses dem Bestattungspflichtigen grundsätzlich zumutbar. Der Nachlass müsse aber (noch) vorhanden sein, also als „bereites Mittel“ zur Verfügung stehen (Berlit in: LPK-SGB XII, 12. Aufl., § 74 Rn. 11; Siefert a.a.O. Rn. 62). Dies sei hier nicht der Fall gewesen. Die Betreuerin der Klägerin habe für diese die Erbschaft ausgeschlagen. Das AG K1 habe diese Erklärung genehmigt. Werde die Erbschaft ausgeschlagen, so gelte der Anfall an den Ausschlagenden als nicht erfolgt (§ 1953 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]) - und zwar rückwirkend. Der Ausschlagende sei daher so zu behandeln, als sei er nie Gesamtrechtsnachfolger gewesen und als hätten ihm die Aktiva des Erblassers nie zur Verfügung gestanden (Hönninger in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 10. Aufl. [Stand: 01.07.2023], § 1953 Rn. 2).
Mangels Erbenstellung der Klägerin könne dahingestellt bleiben, welches Guthaben sich bei Fälligkeit der beiden Forderungen im Januar bzw. Februar 2023 noch auf dem Konto des Verstorbenen befunden habe. Die Klägerin sei auch nicht so zu behandeln, als habe sie die Erbschaft nicht ausgeschlagen; § 2 Abs. 1 SGB XII biete hierfür keine ausreichende Grundlage. Nach dieser Vorschrift erhalte keine Sozialhilfe, wer sich vor allem durch Einsatz seiner Arbeitskraft, seines Einkommens und seines Vermögens selbst helfen könne oder wer die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhalte. Der Nachranggrundsatz nach dieser Vorschrift sei aber ein bloßer Programmsatz; § 2 Abs. 1 SGB XII stelle keine isolierte Ausschlussnorm dar (BSG Urteil vom 23.03.2021 - B 8 SO 2/20 R - juris Rn. 13). Angesichts dessen ließen sich mit dieser Vorschrift keine abweichenden tatsächlichen Verhältnisse fingieren (Bayerisches LSG Urteil vom 21.05.2021 - L 8 SO 213/20 - juris Rn. 44). Daher sei es bei tatsächlich erfolgter Ausschlagung einer Erbschaft nicht möglich, den Ausschlagenden sozialhilferechtlich so zu stellen, als habe er den Nachlass doch erhalten (LSG Saarland Urteil vom 12.10.2021 - L 11 SO 3/17 - juris, Rn. 59 f.). Ohne dass es darauf ankäme, weise das Gericht darauf hin, dass die Ausschlagung der Erbschaft durch die Klägerin hier keinesfalls rechtsmissbräuchlich gewesen sei. Wie sich aus dem Beschluss des AG K1 vom 14.02.2023 ergebe, sei der Nachlass des Verstorbenen überschuldet gewesen - trotz des Guthabens auf seinem Konto. Das AG habe die Erbausschlagung für die Klägerin als „finanziell vorteilhaft“ bewertet, weil sie auf diese Weise den Nachlassverbindlichkeiten entgehen könne. Das dürfe auch für die Klägerin im Vordergrund gestanden haben und nicht das Bestreben, einen (höheren) Anspruch gegenüber der Beklagten zu erlangen.

Gegen den der Beklagten gegen elektronisches Empfangsbekenntnis am 18.07.2023 zugestellten Gerichtsbescheid hat diese am 24.07.2023 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg erhoben. Anlass für die Berufung der Beklagten sei die Haltung des SGs, den Aspekt „bereite Mittel“ auf den Aktiv-Nachlass anzuwenden und aufgrund der fehlenden Erbenstellung der Klägerin die Existenz „bereiter Mittel“ in Abrede zu stellen und daraus eine Leistungspflicht der Beklagten abzuleiten. Das Kriterium „bereite Mittel“ spiele dann eine Rolle, wenn Leistungen zur wirtschaftlichen Existenzsicherung angestrebt würden. Leistungen zur Übernahme von Bestattungskosten besäßen jedoch einen anderen Charakter. Abgesehen von hinterlassenem Bargeld sei der Nachlass eines Verstorbenen niemals „bereit“ - vielmehr bedürfe es häufig zunächst einer Veräußerung von Nachlassgegenständen bzw. der Erteilung eines Erbscheines, um tatsächlich an liquide Mittel zu gelangen. Naturgemäß sei ein solches Geschehen mit Zeitaufwand verbunden und folglich werde in all diesen Fällen das Kriterium „bereite Mittel“ zu verneinen sein. Folge man also der Logik des SGs, dann wäre vorhandener Nachlass regelmäßig zu ignorieren (weil so gut wie niemals „bereite Mittel“) und die öffentliche Hand hätte stets alle erforderlichen Bestattungskosten zu übernehmen mit dem Hinweis, dass im Wege der Überleitung einer Rückgriffsmöglichkeit zu realisieren sei. Der Beklagten sei durchaus bewusst, dass der Nachlass des Verstorbenen überschuldet gewesen sei. Diesen Aspekt als entscheidungserheblich zu erachten, würde jedoch einer unzulässigen Saldierung von Aktiv-Nachlass und Nachlassverbindlichkeiten gleichkommen. Die Beklagte messe der Haltung des SGs eine grundsätzliche Bedeutung zu, denn eine pauschale Verpflichtung der Sozialhilfeträger zur Übernahme angefallener Kosten würde in Fällen eines sehr werthaltigen Nachlasses zu einem Ergebnis führen, was mit dem Wesen des Nachranges der Sozialhilfe nicht zu vereinbaren sei und im Übrigen mit der personellen Ausstattung der Sozialhilfeträger auch nicht bewerkstelligt werden könne.

Die Beklagte beantragt,

            den Gerichtsbescheid des Sozialgerichtes Karlsruhe vom 18. Juli 2023 aufzuheben und             die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

            die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat auf den Vortrag im erstinstanzlichen Verfahren sowie den angefochtenen Gerichtsbescheid verwiesen und hat ergänzend ausgeführt, dass es vorliegend gerade so sei, dass die Klägerin die Erbschaft ausgeschlagen habe und damit auf das Konto des Erblassers in der beschriebenen Weise also habe nicht zugreifen können. Das gelte auch für den Zeitraum vor der Ausschlagung, da die Klägerin ansonsten Gefahr gelaufen wäre, durch tatsächliches Handeln die Erbschaft konkludent anzunehmen. Im Übrigen sei eine Kostentragungspflicht auch unbillig. Der Ehemann der Klägerin sei starker Alkoholiker gewesen und habe ein Verhältnis mit der Nachbarin gehabt. Er habe die Klägerin in besonderer Weise drangsaliert. Dabei stehe zu vermuten, dass er auch körperliche Gewalt ausgeübt habe, jedenfalls habe er psychische Gewalt ausgeübt.

Die Klägerin und die Beklagte (Schreiben vom 20.12.2023 bzw. Schreiben vom 08.01.2024, Bl. 48 bzw. 49 LSG-Akte) haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die Berufung des Beklagten hat keinen Erfolg.

Die form- und fristgerecht erhobene Berufung der Beklagten, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden konnte, ist auch im Übrigen zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung der Beklagten ist aber unbegründet. Der Gerichtsbescheid des SG Karlsruhe ist nicht zu beanstanden. Das SG hat zu Recht die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 17.04.2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.05.2023 zur Übernahme weiterer Bestattungskosten in Höhe von 2.280,86 Euro verurteilt.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheides zutreffend die rechtlichen Grundlagen einer Übernahme angemessener Bestattungskosten (§ 74 SGB XII) dargelegt und zutreffend ausgeführt, dass die Klägerin zwar grundsätzlich als Angehörige verpflichtet ist, die Kosten der Bestattung ihres Ehemannes zu übernehmen, dies ihr hier aber aufgrund der Einkommens- und Vermögensverhältnisse nicht zugemutet werden kann. Vor allem kann die Klägerin, die im Übrigen schon seit Jahren auf Grundsicherungsleistungen angewiesen ist, nicht auf die vorrangige Einsetzung des Nachlasses des Verstorbenen verwiesen werden. Die Klägerin hat das Erbe nämlich wirksam ausgeschlagen, so dass der Anfall an den Ausschlagenden nach § 1953 BGB rückwirkend als nicht erfolgt gilt und die Klägerin so zu behandeln ist, als hätten ihr die Aktiva des Erblassers nie zur Verfügung gestanden. Der Senat schließt sich dem nach eigener Prüfung uneingeschränkt an, sieht deshalb gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe weitgehend ab und weist die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Urteils zurück.

Zu einem anderen Ergebnis führen auch nicht die Ausführungen der Beklagten im Berufungsverfahren.
Streitig ist zwischen den Beteiligten demnach allein, ob es der Klägerin zumutbar ist, die erforderlichen Kosten der Bestattung zu tragen. Der Beurteilungsmaßstab dafür, was dem Verpflichteten zugemutet werden kann, bestimmt sich zunächst nach den allgemeinen Grundsätzen des Sozialhilferechts (siehe BSG Urteil vom 04.04.2019 - B 8 SO 10/18 R - juris Rn. 14 mit Hinweis auf BSG Urteil vom 29.09.2009 - B 8 SO 23/08 R - BSGE 104, 219 = SozR 4-3500 § 74 Nr. 1, juris Rn. 14; Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, Stand Mai 2013, K § 74 Rn. 10; Gotzen, ZfF 2006, 1, 3). Dabei sind stets die Umstände des Einzelfalls entscheidend (BT-Drs. 03/1799 S 40; Siefert in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 4. Aufl. [Stand: 01.05.2024], § 74, Rn. 56, Berlit in LPK-SGB XII, 12. Aufl 2020, § 74 Rn. 9). Da § 74 SGB XII den Anspruch auf Kostenübernahme nicht zwingend an die Bedürftigkeit des Verpflichteten knüpft, sondern die eigenständige Leistungsvoraussetzung der Unzumutbarkeit verwendet (Bundesverwaltungsgericht [BVerwG] Urteil vom 05.07.1997 - 5 C 13/96 - BVerwGE 105, 51 ff, juris Rn. 9), nimmt er im Recht der Sozialhilfe eine Sonderstellung ein. Die Regelung unterscheidet sich von anderen Leistungen des Fünften bis Neunten Kapitels u.a. dadurch, dass der Bedarf bereits vorzeitig (vor Antragstellung) gedeckt sein kann, eine Notlage, die andere Sozialhilfeansprüche regelmäßig voraussetzen, also nicht mehr gegeben sein muss. Die Verpflichtung des zuständigen Trägers der Sozialhilfe setzt nach § 74 SGB XII nur voraus, dass die (ggf. bereits beglichenen) Kosten "erforderlich" sind und es dem Verpflichteten nicht "zugemutet" werden kann, diese Kosten (endgültig) zu tragen (BSG Urteil vom 04.04.2019 - B 8 SO 10/18 R - juris Rn. 14; BSG Urteil vom 29.09.2009 - B 8 SO 23/08 R - BSGE 104, 219 = SozR 4-3500 § 74 Nr. 1, juris Rn. 14).

Neben den wirtschaftlichen Verhältnissen des Verpflichteten können im Rahmen der Zumutbarkeit aber auch Umstände eine Rolle spielen, die im Allgemeinen sozialhilferechtlich unbeachtlich sind, denen jedoch vor dem Hintergrund des Zwecks des § 74 SGB XII Rechnung getragen werden muss (H. Schellhorn in Schellhorn/Hohm/Scheider, SGB XII, 20. Aufl. 2020, § 74 Rn. 10; Grube in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 6. Aufl 2018, § 74 Rn. 37). Selbst wenn die Kostentragung nicht zur Überschuldung oder gar zur Sozialhilfebedürftigkeit des Kostenverpflichteten führt, kann deshalb der Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Auswirkungen einer Kostenbelastung beachtlich sein (BSG Urteil vom 04.04.2019 - B 8 SO 10/18 R -, juris Rn. 15; BVerwG Urteil vom 29.01.2004 - 5 C 2.03 - BVerwGE 120, 111, 114, juris Rn. 18; BSG Urteil vom 29. 09.2009 - B 8 SO 23/08 R - BSGE 104, 219 = SozR 4-3500 § 74 Nr. 1, juris Rn. 14). Der Begriff der Zumutbarkeit ist damit nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalls auszulegen (BVerwG Urteil vom 29.01.2004 - 5 C 2.03 - a.a.O.; BSG Urteil vom 04.04.2019 - B 8 SO 10/18 R -, juris Rn. 15). Er ist wie der Begriff der Erforderlichkeit ein gerichtlich voll überprüfbarer unbestimmter Rechtsbegriff (H. Schellhorn, a.a.O., Rn. 10; Berlit in LPK-SGB XII, 12. Aufl. 2020, § 74 Rn. 9). Dabei macht das Wort "soweit" in § 74 SGB XII deutlich, dass in Fällen, in denen dem Verpflichteten die Kostentragung nur teilweise zuzumuten ist, die Sozialhilfe die Restkosten zu übernehmen hat (H. Schellhorn a.a.O.). Eine besondere Bedeutung kommt gleichwohl im Rahmen der Prüfung der Zumutbarkeit zunächst den wirtschaftlichen Verhältnissen des Verpflichteten zu (BSG Urteil vom 04.04.2019 - B 8 SO 10/18 R -, juris Rn. 15). Liegen die gesetzlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB XII vor, ist nämlich regelmäßig von Unzumutbarkeit auszugehen (BSG Urteil vom 04.04.2019 - B 8 SO 10/18 R -, juris Rn. 15; Urteil vom 29.09.2009 - B 8 SO 23/08 R - BSGE 104, 219 = SozR 4-3500 § 74 Nr. 1, juris Rn. 17; Urteil vom 25.08.2011 - B 8 SO 20/10 R - BSGE 109, 61 = SozR 4-3500 § 74 Nr. 2, juris Rn. 25).

Dies ist hier der Fall. Die Klägerin erhält hier seit vielen Jahren Leistungen der Sozialhilfe nach dem SGB XII in Einrichtungen.
Liegt - wie hier - Bedürftigkeit im Sinne des vierten Kapitels des SGB XII vor, ist nunmehr zu prüfen, ob der Klägerin dennoch die Tragung der Bestattungskosten zuzumuten ist, insbesondere - trotz der Ausschlagung der Erbschaft - im Hinblick auf den Nachlass ihres verstorbenen Ehemannes.

Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Bedürftigkeit bzw. Unzumutbarkeit aus anderen Gründen ist, wie auch schon das SG dargelegt hat, nach Sinn und Zweck der Regelung des § 74 SGB XII sowie nach allgemeinen sozialrechtlichen Grundsätzen die Fälligkeit (vgl. § 271 BGB) der jeweiligen Forderungen, die den Bestattungskosten zugrunde liegen; denn der „Leistungsfall“ ist die Verbindlichkeit, nicht die erforderliche Bestattung selbst (BSG Urteil vom 04.04.2019 - B 8 SO 10/18 R - juris Rn. 17, Urteil vom 29.09.2009 - B 8 SO 23/08 R - juris Rn. 17 und Urteil vom 25.08.2011 - B 8 SO 20/10 R - juris Rn. 25).
Die Bestattungskosten wurden mangels anderer Informationen sofort fällig (Rechnung Bestatter vom 09.01.2023) und die Kosten für den Friedhof waren binnen 30 Tagen zu bezahlen (vgl. Gebührenbescheid vom 13.01.2023). Die Erbschaft wurde hier mit Erklärung vom 11.01.2023 vor dem AG K1 ausgeschlagen. Die ebenfalls an diesem Tag beantragte betreuungsrechtliche Genehmigung der Ausschlagung erfolgte am 14.03.2023. Auch wenn die Ausschlagung (z.T.) erst nach der Fälligkeit der Rechnungen erfolgt ist, so ist nach Überzeugung des Senats zu beachten, dass, sofern - wie hier - eine wirksame Ausschlagung vorliegt, der Anfall der Erbschaft von Anfang an beseitigt wird. Der Ausschlagende ist demnach so anzusehen, als sei er nie Gesamtrechtsnachfolger gewesen (Hönninger in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 10. Aufl., [Stand: 01.07.2023] § 1953 BGB, Rn. 2). Ein Zugriff auf den Nachlass ist ihm daher gerade von Anfang an nicht möglich. Soweit die Beklagte hier ausführt, dass es im Rahmen der Prüfung der „Zumutbarkeit“ der Kostentragung nicht darauf ankommen dürfe, ob ein Nachlass als „bereite Mittel“ zur Verfügung stünden und kritisiert, dass das SG hier fälschlicherweise aufgrund der fehlenden Erbenstellung der Klägerin die Existenz „bereiter Mittel“ in Abrede stelle und daraus eine Leistungspflicht der Beklagten ableite, verkennt die Beklagte, dass die Klägerin aufgrund der Ausschlagung nach § 1953 BGB nie Gesamtrechtsnachfolgerin gewesen ist und damit zu keinem Zeitpunkt wirksam auf den Nachlass zugreifen konnte und es auch in Zukunft nicht können wird. Der Nachlass ist ihrer Verfügungsmacht für die Vergangenheit und die Zukunft entzogen. Das unterscheidet den vorliegenden Fall gerade von den anderen, von der Beklagten aufgeführten Fällen, in denen ein Nachlass zum Zeitpunkt der Fälligkeit, z.B. weil Vermögenswerte noch verkauft bzw. bei Vorliegen einer Erbengemeinschaft diese noch auseinandergesetzt werden müssen, nur „aktuell“ nicht zur Verfügung steht.

Anhaltspunkte, dass die Klägerin den Nachlass hier nicht ausschlagen durfte, sind nicht ersichtlich. Vielmehr war der Klägerin bekannt, dass dieser überschuldet war, was durch die Ermittlungen des Betreuungsgerichts bestätigt wurde. Die von der Beklagten aufgestellten Fragen, wie bei einem sehr werthaltigen Nachlass zu verfahren ist, spielen hier gerade keine Rolle. Soweit die Beklagte darauf hinweist, dass die Klägerin vorrangig Ausgleichansprüche geltend machen müsse, führt dies nach Überzeugung des Senats zu keinem anderen Ergebnis. Hier ist durchaus zu berücksichtigen, dass die Klägerin seinerzeit auch nicht rechtskundig vertreten war und es sich vor diesem Hintergrund auch für den Senat nicht erschließt, aufgrund welcher Erkenntnisquellen sie hätte ohne weiteres erkennen können, dass hier möglicherweise die Bestattungskosten bevorrechtigt im Rahmen einer eventuellen Nachlassinsolvenz zu begleichen gewesen sein könnten. Nicht zuletzt könnte auch der Beklagte möglicherweise im Rahmen einer Überleitung der Ansprüche nach § 93 SGB XII diese selbst geltend machen.

Im Ergebnis ist damit der Klägerin die Tragung der tatsächlich angefallenen und hier auch angemessenen Bestattungskosten der Beerdigung ihres verstorbenen Ehemannes nicht zuzumuten und die Beklagte hat diese vielmehr gemäß § 74 SGB XII in voller Höhe zu übernehmen.

Aus diesen Gründen ist die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.  



 

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