S 7 AL 928/23 ER

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Heilbronn (BWB)
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 7 AL 928/23 ER
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
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Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

1) Widerspruch und Klage gegen die Aufforderung zur Stellung eines Antrags auf Rehabilitationsleistungen bzw. Erwerbsminderungsrente haben aufschiebende Wirkung

 

2) Wird Widerspruch gegen die Aufforderung eingelegt, kann der Arbeitslosengeldanspruch nicht nach § 145 Abs 2 Satz 3 SGB 3 zum Ruhen kommen

 

Gericht:

Sozialgericht Heilbronn

 

Datum:

15.5.2023

 

Aktenzeichen:

S 7 AL 928/23 ER

 

Entscheidungsart:

Beschluss

 

 

 

 

 

 

Normenkette:

§ 86a Abs 2 Nr 5 SGG; § 86a Abs 1 SGG; § 145 Abs 2 Satz 3 SGB 3; § 86b Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGG; § 86b Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGG; § 86b Abs 1 Satz 2 SGG

 

Titelzeile:

Aufschiebende Wirkung; Widerspruch; Aufforderung zur Stellung eines Antrags auf Rehabilitationsleistungen bzw. Erwerbsminderungsrente; einstweiliger Rechtsschutz; Beginn und Dauer der aufschiebenden Wirkung

 

Leitsatz:

1) Widerspruch und Klage gegen die Aufforderung zur Stellung eines Antrags auf Rehabilitationsleistungen bzw. Erwerbsminderungsrente haben aufschiebende Wirkung

 

2) Wird Widerspruch gegen die Aufforderung eingelegt, kann der Arbeitslosengeldanspruch nicht nach § 145 Abs 2 Satz 3 SGB 3 zum Ruhen kommen

 

 

 

 

 

Tenor:

Es wird festgestellt, dass der Widerspruch vom 4. April 2023 gegen den Bescheid vom 8. März 2023 und die Klage vom 8. Mai 2023 (Az. S 7 AL 929/23) gegen den Bescheid vom 8. März 2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. April 2023 aufschiebende Wirkung haben.

 

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 20. April 2023 gegen den Aufhebungsbescheid vom 18. April 2023 wird angeordnet.

 

Die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin zu tragen.

 

 

 

 

Gründe

I.

 

Die Antragstellerin wendet sich mit ihrem am 8. Mai 2023 beim Sozialgericht Heilbronn eingegangenen Antrag in der Sache gegen die Aufforderung, einen Antrag auf Rehabilitationsleistungen bzw. Erwerbsminderungsrente beim Rentenversicherungsträger  nach § 145 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) zu stellen und die von der Antragsgegnerin dadurch bewirkten Folgen.

 

Mit Bewilligungsbescheid vom 8. März 2023 bewilligte die Antragsgegnerin der Antragstellerin Arbeitslosengeld nach einem täglichen Leistungsbetrag i.H.v. 46,87 € für die Zeit vom 23. Januar 2023 bis zum 21. Januar 2024.

 

Mit weiterem Bescheid vom 8. März 2023 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass sie aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen über sechs Monate nur Tätigkeiten unter 15 Wochenstunden ausüben könne und daher aufgefordert werde, innerhalb eines Monats ab Zugang der Aufforderung einen Antrag auf Reha/Rente zu stellen.

 

Hiergegen legte die Antragstellerin mit Schreiben vom 4. April 2023, bei der Antragsgegnerin am 6. April 2023 eingegangen, Widerspruch ein.

 

Den Widerspruch wies die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 20. April 2023 zurück.

 

Gegen den Bescheid vom 8. März 2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. April 2023 hat die Antragstellerin am 8. Mai 2023 Klage zum Sozialgericht Heilbronn erhoben (Az. S 7 AL 929/23).

 

Mit Aufhebungsbescheid vom 18. April 2023 hob die Antragsgegnerin die Entscheidung über Bewilligung von Arbeitslosengeld ab dem 20. April 2023 auf. Zur Begründung führte sie aus, dass die Antragstellerin die im Bescheid vom 8. März 2023 geforderte Antragstellung zur Reha nicht vorgenommen habe.

Gegen den Aufhebungsbescheid vom 18. April 2023 legte die Antragstellerin mit Schreiben vom 20. April 2023 Widerspruch ein, bei der Antragsgegnerin eingegangen am 24. April 2023.

 

 

 

II.

 

Zwar richtet sich der Eilantrag der nicht anwaltlich vertretenen Antragstellerin seinem Wortlaut nach auf einstweiligen Rechtsschutz nur gegen den Bescheid vom 8. März 2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. April 2023, also der Aufforderung zur Antragstellung beim Rehaträger. Die vom Gericht vorzunehmende Auslegung (§ 123 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) des Begehrens der Antragstellerin hat jedoch zum Ergebnis, dass diese sich vollumfänglich gegen die von der Antragsgegnerin gezogenen rechtlichen Konsequenzen der von ihr unterlassenen Antragstellung beim Rehaträger wendet. Demnach richtet sich der Rechtsschutz auch auf den Aufhebungsbescheid vom 18. April 2023.

 

Das Gericht hat im vorliegenden Fall deklaratorisch die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 8. März 2023 und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 8. März 2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. April 2023 (S 7 AL 929/23) festzustellen, da es sich bei der Aufforderung um einen Verwaltungsakt im Sinne von § 31 SGB X handelt, denn es wird zwischen der BA und der leistungsgeminderten Person eine Obliegenheit festgestellt, deren Nichterfüllung kraft Gesetzes gemäß § 145 Abs. 2 Satz 3 SGB III zum Ruhen des Anspruchs führt. Die Aufforderung ist zwar als solche an keine Form gebunden (vgl. § 33 Abs. 2 SGB X), in entsprechender Anwendung von § 66 Abs. 3 SGB I muss die BA die leistungsgeminderte Person jedoch schriftlich klar und unmissverständlich über ihre Pflichten und die Rechtsfolgen nach § 145 Abs. 2 Satz 3 SGB III belehren.

 

Ohne Anordnung der sofortigen Vollziehung (§ 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG), haben Widerspruch und Klage gegen die Aufforderung aufschiebende Wirkung (§ 86a Abs. 1 SGG), mit der Folge, dass der Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Missachtung der Aufforderung nicht nach § 145 Abs. 2 Satz 3 SGB III zum Ruhen kommen kann (Aubel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, 3. Aufl., § 145 SGB III (Stand: 15.01.2023), Rn. 51).

 

Da die Antragsgegnerin mit Erlass des Aufhebungsbescheids vom 18. April 2023 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Klägerin missachtet, ist für diesen Fall § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG entsprechend anzuwenden mit dem Ergebnis, dass die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs bzw. der Anfechtungsklage (deklaratorisch) festzustellen ist (Burkiczak in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 86b SGG (Stand: 08.03.2023), Rn. 254).

 

Da die Antragsgegnerin aufgrund der bereits gesetzlich gegebenen aufschiebenden Wirkung keinerlei Rechtsfolgen aus der nicht vorgenommenen Antragstellung beim Rehaträger ziehen darf, insbesondere kein Ausspruch des Ruhens des Arbeitslosengeldanspruchs der Antragstellerin, ist der Aufhebungsbescheid vom 18. April 2023 offensichtlich rechtswidrig, weshalb diesbezüglich gem. § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Klägerin vom 20. April 2023 anzuordnen ist (vgl. Burkiczak in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 86b SGG (Stand: 08.03.2023), Rn. 188).

 

Die Antragsgegnerin darf demnach keine Konsequenzen aus dem Aufhebungsbescheid vom 18. April 2023 ziehen und muss weiterhin aus dem Bewilligungsbescheid vom 8. März 2023 leisten.

 

Der Beginn der aufschiebenden Wirkung wirkt nach h.M. in der Regel nach Einlegung des Rechtsbehelfs ex tunc auf den Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsaktes zurück. Dies hat zur Folge, dass während Erlass des Verwaltungsaktes und Erhebung des Widerspruchs, der Anfechtungsklage oder der gerichtlichen Anordnung erfolgte Vollstreckungshandlungen von der aufschiebenden Wirkung erfasst sind und rückgängig gemacht werden können (vgl. § 86b Abs. 1 Satz 2 SGG) - (Richter in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 86a SGG (Stand: 15.06.2022), Rn. 25).

 

Die Dauer der aufschiebenden Wirkung endet nicht mit Erlass des Widerspruchsbescheides, sondern erst bei Eintritt der Bestandskraft. Wird anschließend Anfechtungsklage erhoben, schließt sich deren aufschiebende Wirkung nahtlos an, um möglichst effektiven einstweiligen Rechtsschutz zu gewährleisten (Richter in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 86a SGG (Stand: 15.06.2022), Rn. 26).

 

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Rechtskraft
Aus
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