B 12 KR 1/22 R

Land
Bundesrepublik Deutschland
Sozialgericht
Bundessozialgericht
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 6 R 343/15
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 1/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 KR 1/22 R
Datum
Kategorie
Urteil

 

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 3. Dezember 2021 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 28 601,88 Euro festgesetzt.

 

G r ü n d e :

I

1
Die klagende GmbH wendet sich gegen die Nachforderung der beklagten Deutschen Rentenversicherung Berlin-Brandenburg von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) und nach dem Recht der Arbeitsförderung sowie Umlagen für die Jahre 2010 und 2011.

2
Die Klägerin wurde mit einem Stammkapital von 100 000 DM durch Gesellschaftsvertrag vom 28.5.1990 gegründet. Seit dem 18.12.2009 sind Gesellschafter eine Holding-GmbH mit einem Geschäftsanteil (Nr 1b) von 50 000 DM sowie eine natürliche Person mit zwei Geschäftsanteilen (Nr 1a und 2) von je 25 000 DM. Die Beschlüsse in der Gesellschafterversammlung werden grundsätzlich mit einfacher Mehrheit gefasst, wobei je 100 DM eine Stimme gewähren. Der Beigeladene zu 3. (im Folgenden: Beigeladener) ist auf der Grundlage eines auf unbestimmte Zeit geschlossenen Geschäftsführervertrags vom 1.10.2007 zum (alleinigen) Geschäftsführer der Klägerin bestellt. Er wurde von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit. Für diese Tätigkeit erhielt er ein steuerpflichtiges Entgelt iH von 70 735,40 Euro im Jahre 2010 und iH von 68 685,60 Euro im Jahre 2011.

3
Die Holding-GmbH wurde von dem Beigeladenen und dessen Ehefrau mit Gesellschaftsvertrag vom 5.8.2009 und einem Stammkapital iH von 60 000 Euro gegründet. Sie halten je die Hälfte der Geschäftsanteile (Nr 1 bis 30 000 und 30 001 bis 60 000) und wurden zu alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführern bestellt. Die Beschlüsse in der Gesellschafterversammlung werden grundsätzlich mit einfacher Mehrheit gefasst. Je 100 Euro eines Geschäftsanteils gewähren eine Stimme.

4
Nach einer Betriebsprüfung forderte die Beklagte von der Klägerin Beiträge zur GRV und nach dem Recht der Arbeitsförderung sowie Umlagen für die Jahre 2010 und 2011 iH von 28 601,88 Euro nebst Säumniszuschlägen iH von 14 431,50 Euro, insgesamt 43 033,38 Euro (Bescheid vom 13.4.2015; Widerspruchsbescheid vom 25.6.2015).

5
Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 10.11.2016). Im Berufungsverfahren verzichtete die Beklagte auf die Geltendmachung von Säumniszuschlägen (angenommenes Teilanerkenntnis vom 3.12.2021). Das LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Da der Beigeladene kein Gesellschafter der Klägerin gewesen sei, hätte ihm seine Stellung als Gesellschafter-Geschäftsführer der Holding-GmbH eine die Beschäftigung bei der Klägerin ausschließende Rechtsmacht verschaffen müssen. Wegen der Stellung seiner Ehefrau als weitere gleichberechtigte Gesellschafterin-Geschäftsführerin der Holding-GmbH mit einer Kapitalbeteiligung von 50 vH sei er jedoch gesellschaftsrechtlich nicht jederzeit in der Lage gewesen, einen der Abstimmung durch den anderen Gesellschafter der Klägerin widersprechenden Beschluss der Gesellschafterversammlung der Holding-GmbH herbeizuführen (Urteil vom 3.12.2021).

6
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin sinngemäß eine Verletzung von § 7 Abs 1 SGB IV. Der Beigeladene sei nicht weisungsgebunden gewesen, weil er die Holding-GmbH als deren alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer in der Gesellschafterversammlung der Klägerin habe vertreten und dort über die 50 vH-Beteiligung jedwede Mehrheitsentscheidung habe verhindern können. Auch in der Holding-GmbH habe er jede Beschlussfassung zur Weisungserteilung an ihn als Geschäftsführer und ferner seine Abberufung als Geschäftsführer verhindern können. Schließlich hätten der Beigeladene und seine Ehefrau am 5.8.2009 eine mündliche Stimmrechtsvereinbarung geschlossen, die als Beschluss der Gesellschafterversammlung der Holding-GmbH zu beachten sei.

7
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 3. Dezember 2021 und des Sozialgerichts Cottbus vom 10. November 2016 sowie den Bescheid der Beklagten vom 13. April 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. Juni 2015 in der Fassung des Teilanerkenntnisses vom 3. Dezember 2021 aufzuheben.

8
Die Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

9
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.


II

10
Die zulässige Revision der Klägerin ist nicht begründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Das LSG hat ihre Berufung gegen das klageabweisende Urteil des SG zu Recht zurückgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 13.4.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.6.2015 in der Fassung des Teilanerkenntnisses vom 3.12.2021 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs 1 Satz 2 SGG).

11
Rechtsgrundlage für die Feststellung der Versicherungspflicht und der Forderung von Beiträgen und Umlagen ist § 28p Abs 1 Satz 1 und 5 SGB IV (idF der Bekanntmachung vom 12.11.2009, BGBl I 3710). Danach prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach dem SGB IV, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag stehen, ordnungsgemäß erfüllen, insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen (§ 28a SGB IV) mindestens alle vier Jahre (Satz 1). Sie erlassen im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern (Satz 5). § 10 Aufwendungsausgleichsgesetz stellt die Umlagen zum Ausgleichsverfahren insoweit den Beiträgen zur gesetzlichen Krankenversicherung gleich (BSG Urteil vom 29.6.2021 - B 12 R 8/19 R - juris RdNr 10 mwN).

12
Ausgehend von den zu § 7 SGB IV geltenden Maßstäben (dazu 1.) unterlag der Beigeladene im Streitzeitraum (1.1.2010 bis 31.12.2011) in seiner Tätigkeit als Geschäftsführer der Klägerin aufgrund Beschäftigung der Versicherungspflicht in der GRV und nach dem Recht der Arbeitsförderung. Auch als Gesellschafter-Geschäftsführer der Holding-GmbH verfügte er nicht über eine die Beschäftigung ausschließende Rechtsmacht (dazu 2.). Die Beklagte hat deshalb zu Recht die geforderten Beiträge und Umlagen festgesetzt (dazu 3.).

13
1. Der Versicherungspflicht in der GRV und nach dem Recht der Arbeitsförderung unterlagen im streitigen Zeitraum Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt waren (§ 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI idF des Gesetzes zur Förderung ganzjähriger Beschäftigung vom 24.4.2006, BGBl I 926; § 25 Abs 1 Satz 1 SGB III). Beschäftigung ist gemäß § 7 Abs 1 SGB IV (idF der Bekanntmachung vom 12.11.2009, BGBl I 3710) die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (Satz 1). Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (Satz 2). Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Die abhängige Beschäftigung steht als rechtlicher Typus der selbstständigen Tätigkeit gegenüber, die vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet ist. Die hierzu für die Statusbeurteilung vom Senat entwickelten Abgrenzungsmaßstäbe (vgl BSG Urteil vom 4.6.2019 - B 12 R 11/18 R - BSGE 128, 191 = SozR 42400 § 7 Nr 42, RdNr 14 f <Honorararzt>) gelten grundsätzlich auch für Geschäftsführer einer GmbH.

14
Ist ein GmbH-Geschäftsführer zugleich als Gesellschafter am Kapital der Gesellschaft beteiligt, sind der Umfang der Kapitalbeteiligung und das Ausmaß des sich daraus für ihn ergebenden Einflusses auf die Gesellschaft das wesentliche Merkmal bei der Abgrenzung von abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit (ebenso für den unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff EuGH Urteil vom 11.11.2010 - C232/09 - Slg 2010, I11405 Danosa - juris; EuGH Urteil vom 9.7.2015 - C229/14 - NJW 2015, 2481 Balkaya - juris; EuGH Urteil vom 10.9.2015 - C47/14 - ABl EU 2015, Nr C 363, 8 (Leitsatz) Holterman Ferho Exploitatie - juris; BGH Urteil vom 26.3.2019 - II ZR 244/17 - BGHZ 221, 325 RdNr 20 ff). Ein Gesellschafter-Geschäftsführer ist nicht per se kraft seiner Kapitalbeteiligung selbstständig tätig, sondern muss, um nicht als abhängig Beschäftigter angesehen zu werden, über seine Gesellschafterstellung hinaus die Rechtsmacht besitzen, durch Einflussnahme auf die Gesellschafterversammlung die Geschicke der Gesellschaft bestimmen zu können. Eine solche Rechtsmacht ist bei einem Gesellschafter gegeben, der zumindest 50 vH der Anteile am Stammkapital hält. Ein Minderheitsgesellschafter ist grundsätzlich abhängig beschäftigt. Er ist ausnahmsweise nur dann als Selbstständiger anzusehen, wenn ihm nach dem Gesellschaftsvertrag eine umfassende ("echte" oder "qualifizierte"), die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität eingeräumt ist. Der selbstständig tätige Gesellschafter-Geschäftsführer muss in der Lage sein, einen maßgeblichen Einfluss auf alle Gesellschafterbeschlüsse auszuüben und dadurch die Ausrichtung der Geschäftstätigkeit des Unternehmens umfassend mitbestimmen zu können. Ohne diese Mitbestimmungsmöglichkeit ist der Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer nicht im "eigenen" Unternehmen tätig, sondern in weisungsgebundener (vgl § 37 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung <GmbHG> idF des Gesetzes zur Änderung des GmbHG und anderer handelsrechtlicher Vorschriften vom 4.7.1980, BGBl I 836), funktionsgerecht dienender Weise in die GmbH als seine Arbeitgeberin eingegliedert. Deshalb ist eine "unechte", nur auf bestimmte Gegenstände begrenzte Sperrminorität nicht geeignet, die erforderliche Rechtsmacht zu vermitteln. Bei einem am Gesellschaftskapital nicht beteiligten Fremdgeschäftsführer scheidet eine selbstständige Tätigkeit grundsätzlich aus (stRspr; vgl zB BSG Urteil vom 1.2.2022 - B 12 KR 37/19 R - BSGE 133, 245 = SozR 42400 § 7 Nr 61, RdNr 13 mwN; BSG Urteil vom 19.9.2019 - B 12 R 25/18 R - BSGE 129, 95 = SozR 42400 § 7 Nr 43, RdNr 15 mwN).

15
Nach diesen Kriterien war der Beigeladene als Geschäftsführer der klagenden GmbH beschäftigt. Er war an deren Stammkapital nicht beteiligt. Gesellschafter der Klägerin waren lediglich die Holding-GmbH sowie eine weitere natürliche Person. Ihrem Weisungsrecht unterlag der Beigeladene als geschäftsführendes Organ der klagenden GmbH. Geschäftsführer einer GmbH unterliegen nach § 6 Abs 3, § 37 Abs 1, § 38 Abs 1 sowie § 46 Nr 5 und 6 GmbHG grundsätzlich zu jeder Geschäftsführungsangelegenheit der nur durch entsprechende Satzungsregelungen einschränkbaren Weisungsbefugnis der Gesellschafterversammlung der GmbH (vgl BSG Urteil vom 8.7.2020 - B 12 R 26/18 R - BSGE 130, 282 = SozR 42400 § 7 Nr 51, RdNr 13 mwN). Einzelweisungen an ihn durch Gesellschafterbeschluss waren durch den Gesellschaftsvertrag der Klägerin nicht ausgeschlossen (vgl hierzu BGH Urteil vom 18.3.2019 - AnwZ <Brfg> 22/17 - juris RdNr 18).

16
2. Der Beigeladene verfügte auch als Gesellschafter-Geschäftsführer der Holding-GmbH nicht über eine hinreichende, die Beschäftigung ausschließende Rechtsmacht. Nach der Recht-     sprechung des Senats kann sich die einem Geschäftsführer einer GmbH zukommende Rechtsmacht zwar nicht nur aus einer Gesellschafterstellung innerhalb derselben GmbH, sondern darüber hinaus aus der Beteiligung am Stammkapital einer anderen Gesellschaft ergeben (dazu a). Dem Beigeladenen fehlte aber auch diese Rechtsmacht, weil seine Ehefrau gleichberechtigte Gesellschafterin-Geschäftsführerin der Holding-GmbH war (dazu b).

17
a) Über eine die abhängige Beschäftigung ausschließende Rechtsmacht verfügen nicht nur Geschäftsführer mit einer Kapitalbeteiligung von zumindest 50 vH oder - bei geringerer Kapitalbeteiligung - einer umfassenden Sperrminorität in der von ihnen geführten GmbH. Die Rechtsmacht kann auch daraus resultieren, dass der (Fremd)Geschäftsführer kraft seiner Stellung als Gesellschafter einer anderen Gesellschaft in der Lage ist, Einfluss auf den Inhalt von Gesellschafterbeschlüssen der von ihm geführten Gesellschaft zu nehmen. Denn es kann keine Rolle spielen, ob er diese Rechtsmacht allein aus seiner Gesellschafterstellung in der von ihm geführten Gesellschaft oder aus seiner Beteiligung an einer anderen Gesellschaft ableitet. Für die sozialversicherungsrechtliche Statusbeurteilung ist aber auch eine solche von dieser Beteiligung an einer anderen Gesellschaft abgeleitete Rechtsmacht nur beachtlich, wenn sie ihrerseits im Gesellschaftsrecht wurzelt, also durch Gesellschaftsvertrag eindeutig geregelt ist und unmittelbar auf das zu beurteilende Rechtsverhältnis durchschlägt (BSG Urteil vom 8.7.2020 - B 12 R 26/18 R - BSGE 130, 282 = SozR 42400 § 7 Nr 51, RdNr 16 mwN). Entscheidend bleibt, dass der Geschäftsführer selbst und unmittelbar eine ausschlaggebende Einflussnahmemöglichkeit auf Gesellschafterbeschlüsse der von ihm geführten Gesellschaft hat oder zumindest ihm nicht genehme Weisungen der Gesellschafterversammlung verhindern kann. Denn ein Geschäftsführer übt seine Tätigkeit nur dann selbstständig aus, wenn er zugleich kraft seiner Gesellschaftsanteile über die Rechtsmacht verfügt, auf die Beschlüsse der Gesellschaft einzuwirken, für die er die Geschäftsführung übernommen hat (zuletzt BSG Urteil vom 23.2.2021 - B 12 R 18/18 R - juris RdNr 18 mwN). Der Senat hat eine entsprechende Rechtsmacht bejaht, wenn dem Geschäftsführer über seine Beteiligung an einer Muttergesellschaft eine umfassende ("echte" oder "qualifizierte") Sperrminorität in Bezug auf das Stimmverhalten in der von ihm geführten Tochter-GmbH eingeräumt ist (vgl BSG Urteil vom 8.7.2020 aaO, RdNr 20).

18
b) Der Beigeladene war indes auch als Gesellschafter-Geschäftsführer der Holding-GmbH nicht in der Lage, auf die Gesellschafterversammlung der Klägerin maßgebenden Einfluss zu nehmen. Dabei kann offenbleiben, ob er - wie das LSG offenbar meint - gesellschaftsrechtlich in der Lage hätte sein müssen, einen Beschluss der Gesellschafterversammlung der Holding-GmbH über das Abstimmungsverhalten in der Gesellschafterversammlung der klagenden GmbH herbeizuführen. Ihm fehlte bereits die Rechtsmacht, Initiativen des weiteren Gesellschafters der Klägerin zu verhindern, weil seine Ehefrau gleichberechtigte Gesellschafterin-Geschäftsführerin der Holding-GmbH war.

19
Beide verfügten über einen identischen Geschäftsanteil und waren deshalb außerstande, dem jeweils anderen Weisungen in Bezug auf das Abstimmungsverhalten der Holding-GmbH in der Gesellschafterversammlung der Klägerin zu erteilen. Als jeweils alleinvertretungsberechtigte Geschäftsführer der Holding-GmbH waren beide in die Lage versetzt, die Holding-GmbH in der Gesellschafterversammlung der Klägerin zu vertreten (zur Berechtigung zur Stimmabgabe in Mutter-Tochtergesellschaftskonstruktionen im Rahmen der Geschäftsführertätigkeit vgl BSG Urteil vom 23.2.2021 - B 12 R 18/18 R - juris RdNr 19 mwN). Diese Konstellation einer gleichberechtigten Vertretung eines Gesellschafters durch mehrere Personen zieht die Möglichkeit einer uneinheitlichen Stimmabgabe bei der Abstimmung in der Gesellschafterversammlung nach sich, die hier zum Ausschluss einer hinreichenden Rechtsmacht des Beigeladenen führt.

20
Eine uneinheitliche Stimmabgabe ist nach wohl herrschender Meinung in Rechtsprechung und Literatur unzulässig. Danach kann aus einem Geschäftsanteil nur einheitlich abgestimmt werden (vgl Reichsgericht <RG> Urteil vom 16.9.1927 - II 21/27 - RGZ 118, 67, 69; BGH Urteil vom 17.9.1964 - II ZR 136/62 - GmbHR 1965, 32 - juris RdNr 20; BGH Urteil vom 21.3.1988 - II ZR 308/87 - BGHZ 104, 66 - juris RdNr 10; Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbH-Gesetz Komm, 21. Aufl 2023, § 47 GmbHG RdNr 10; Karsten Schmidt in Scholz, GmbHG, 13. Aufl 2022, § 47 GmbHG RdNr 69; Noack in Noack/Servatius/Haas, GmbH-Gesetz, 23. Aufl 2022, § 47 GmbHG RdNr 20; aA: Altmeppen, GmbHG, 11. Aufl 2023, § 47 GmbHG RdNr 55; Drescher in Münchener Komm GmbHG, 4. Aufl 2023, § 47 GmbHG RdNr 41; ausführlich Klausing, Uneinheitliche Ausübung mehrerer Stimmen durch Einzelpersonen und Personenverbände, 1928; Blasche, GmbHR 2016, 99). Dies folgt als argumentum a maiore ad minus aus § 18 Abs 1 GmbHG. Steht danach ein Geschäftsanteil mehreren Mitberechtigten ungeteilt zu, so können sie die Rechte aus demselben nur gemeinschaftlich ausüben. Dasselbe muss erst recht gelten, wenn - wie hier im Fall der Holding-GmbH - ein Geschäftsanteil einer GmbH allein einer anderen GmbH mit zwei vertretungsberechtigten Geschäftsführern zusteht. Eine unzulässige uneinheitliche Stimmabgabe in der Gesellschafterversammlung ist als Stimmenthaltung zu werten (RG Urteil vom 16.9.1927 - II 21/27 - RGZ 118, 67, 69: "Stimmabgabe ungültig"; Karsten Schmidt in Scholz, GmbHG, 13. Aufl 2022, § 47 GmbHG RdNr 71 mwN). Die nach § 47 Abs 1 GmbHG gebotene Abstimmung unter den Gesellschaftern richtet sich aber nach der Mehrheit der gültig abgegebenen Stimmen. Stimmenthaltungen gelten als "nicht abgegeben" und zählen daher ebenso wie ungültige Stimmen oder ruhende Stimmrechte nicht mit (Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbH-Gesetz Komm, 21. Aufl 2023, § 47 GmbHG RdNr 7 mwN; Drescher in Münchener Komm GmbHG, 4. Aufl 2023, § 47 GmbHG RdNr 47; Karsten Schmidt in Scholz, GmbHG, 13. Aufl 2022, § 47 GmbHG RdNr 3; BGH Urteil vom 28.1.1980 - II ZR 84/79 - BGHZ 76, 154 - juris RdNr 21). Eine uneinheitliche Stimmabgabe durch den Beigeladenen und seine Ehefrau für die Holding-GmbH in der Gesellschafterversammlung der Klägerin wäre daher als Stimmenthaltung zu werten gewesen. Der weitere Gesellschafter der Klägerin hätte dann die Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen für eine von ihm initiierte Maßnahme auf sich vereint.

21
Selbst wenn entgegen der herrschenden Meinung eine uneinheitliche Stimmabgabe zulässig wäre, wäre dem Beigeladenen eine die Beschäftigung ausschließende Rechtsmacht nicht eingeräumt gewesen. Er hätte dann in der Gesellschafterversammlung der Klägerin nur 25 vH der Stimmen repräsentiert und damit durch seine Ehefrau und den weiteren Gesellschafter der Klägerin überstimmt werden können.

22
Die Möglichkeit einer uneinheitlichen Stimmabgabe war vorliegend gesellschaftsrechtlich nicht durch die mündliche Stimmrechtsvereinbarung zwischen dem Beigeladenen und seiner Ehefrau vom 5.8.2009 ausgeschlossen. Abreden außerhalb des Gesellschaftsvertrags vermitteln - auch wenn sie tatsächlich praktiziert werden - nicht die erforderliche Rechtsmacht. Die für die Annahme einer selbstständigen Tätigkeit notwendige Rechtsmacht muss vielmehr gesellschaftsrechtlich eingeräumt sein. Außerhalb des Gesellschaftsvertrags (Satzung) eingeräumte schuldrechtliche Stimmbindungsabreden oder Veto-Rechte zwischen Gesellschaftern vermögen die sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebenden Rechtsmachtverhältnisse nicht mit sozialversicherungsrechtlicher Wirkung zu verschieben (BSG Urteil vom 7.7.2020 - B 12 R 17/18 R - SozR 42400 § 7 Nr 49 RdNr 22 mwN). Eine solche satzungsrechtliche Stimmbindungsabrede hat das LSG nicht festgestellt (§ 163 SGG) und ist von der Klägerin auch nicht geltend gemacht worden. Sie hat die Stimmrechtsvereinbarung gerade nicht als "satzungsändernde Maßnahme", sondern lediglich als "Gesellschafterbeschluss mit dem Inhalt einer Weisung der Gesellschafterversammlung" gewertet. Damit kann offenbleiben, ob und inwieweit eine Vereinbarung zwischen gleichberechtigten Gesellschaftern-Geschäftsführern einer GmbH überhaupt eine rechtlich relevante Wirkung entfalten kann (vgl § 37 Abs 2 GmbHG). Auch der im Berufungsverfahren vorgelegte Beratungs-, Management- und Geschäftsbesorgungsvertrag zwischen der Klägerin und der Holding-GmbH vom 27.3.2015 (zu Beherrschungsverträgen vgl BSG Urteil vom 23.2.2021 - B 12 R 18/18 R - juris RdNr 25) genügt deshalb nicht den Anforderungen an eine gesellschaftsrechtlich eingeräumte Rechtsmacht und betrifft zudem nicht den hier streitigen Zeitraum.

23
Schließlich führt der Einwand der Revision, die - im Ergebnis rechtsfehlerfreie - Auffassung des LSG führe dazu, dass sich der sozialversicherungsrechtliche Status jeweils mit der Bestellung von weiteren oder Abberufung von Geschäftsführern ändern würde, zu keiner anderen Beurteilung. Diese Konsequenz folgt aus der von den Beteiligten konkret gewählten gesellschaftsrechtlichen Konstruktion. Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang außerdem behauptet, "dass genau diese Sachverhaltskonstellation für den Zeitraum seit dem 03.05.2016 auch in der Sache B 12 R 18/18 R" (Urteil des Senats vom 23.2.2021 - juris) vorgelegen habe, ist eine rechtliche Bedeutung dieser Argumentation nicht zu erkennen. Über die Zeit ab 3.5.2016 ist weder vom Senat noch von den Vorinstanzen entschieden worden, nachdem der im Verfahren B 12 R 18/18 R beklagte Rentenversicherungsträger insoweit - aus nicht näher bekannten Gründen - das Nichtbestehen einer Versicherungspflicht aufgrund Beschäftigung festgestellt hatte.

24
3. Bezüglich der Höhe der Forderungen sind Einwände nicht geltend gemacht und Fehler in der Berechnung auch nicht ersichtlich.

25
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 2, § 162 Abs 3 VwGO.

26
5. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2, § 52 Abs 3, § 47 Abs 1 GKG.

 

Rechtskraft
Aus
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