L 2 R 331/19

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Rentenversicherung
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 6 R 434/14
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 2 R 331/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 R 35/24 B
Datum
Kategorie
Beschluss


I.    Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 4. November 2019 wird zurückgewiesen. Die Klage gegen den Bescheid vom 14. Juli 2021 wird abgewiesen.

II.    Die Beteiligten haben einander auch in dieser Instanz keine Kosten zu erstatten. 

III.    Die Revision wird nicht zugelassen.

IV.    Das Gesuch des Klägers, den Vizepräsidenten des Hessischen Landessozialgerichts XR., die Richterin am Landessozialgericht XW., den Richter am Landessozialgericht XX. sowie den Richter am Landessozialgericht Dr. XY. wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, wird als unzulässig verworfen.


Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die frühere Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Der 1984 geborene Kläger ist ausgebildeter Papiermacher und absolvierte eine von der Bundesagentur für Arbeit geförderte dreijährige Ausbildung zum Industriekaufmann. Zuletzt war er bis März 2014 als Personalsachbearbeiter beschäftigt.

Der Kläger leidet insbesondere unter psychischen Gesundheitsbeeinträchtigungen in Form von Zwangsgedanken und Zwangshandlungen.

Vom 5. September bis 13. November 2012 hielt sich der Kläger stationär in der Schönklinik C-Stadt auf. Laut Entlassungsbericht vom 21. November 2012 litt der Kläger unter Zwangsgedanken und -handlungen, gemischt, einer leichten depressiven Episode und einem primär insulinabhängigen Diabetes mellitus Typ I (ohne Komplikationen). Der Behandlung hätten ausgeprägte Kontaminationsängste, Wasch- und Kontrollzwänge zugrunde gelegen. Der Kläger habe regelmäßig umfangreiche Wasch- und Reinigungsrituale durchführen müssen. Mithilfe therapeutischer, medizinischer und ernährungstherapeutischer Unterstützung sei es dem Kläger im Verlauf zunehmend besser gelungen, dies für sich zu regulieren. Es bestehe ein ausgeprägtes Misstrauen gegen Autoritäten. Diese Stelle des vom Kläger vorgelegten Entlassungsberichts hat der Kläger handschriftlich mit der Anmerkung versehen „Es gibt keine Autoritäten!“. Der Entlassungsbericht führt fort, im Rahmen der Behandlung sei es gelungen, die Waschrituale abzubauen. Bezogen auf die Kontrollzwänge seien jedoch keine großartigen Veränderungen erzielt worden, da der Kläger sich nicht für nachhaltige Veränderungen in diesen Bereichen habe entscheiden können.

Auf den Antrag des Klägers vom 9. Dezember 2013 bewilligte die Beklagte mit hier streitgegenständlichem Rentenbescheid vom 9. April 2014 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1. April 2014 befristet bis zum 29. Februar 2016 mit einem Zahlbetrag von 964,25 € monatlich. Die beratende Ärztin der Beklagten Dr. D. hatte in einer Stellungnahme vom 21. März 2014 zuvor bei den Diagnosen schwergradige Zwangsstörung, mittelgradige depressive Episode, kombinierte Persönlichkeitsstörung und Diabetes mellitus Typ I ein Leistungsvermögen von lediglich unter drei Stunden täglich für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt festgestellt. Der Einschätzung lagen u.a. Befundberichte des Arztes für Innere Medizin Dr. E. vom 3. Februar 2014 und des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. M. vom 20. Januar 2014 zugrunde. Das Leistungsvermögen bestehe ausweislich des nervenärztlichen Befundberichts des Dr. M. vom 20. Januar 2014 seit dem 5. September 2013. In Anbetracht des jungen Alters des Klägers sei unter intensiver nervenärztlicher und gegebenenfalls auch psychotherapeutischer Mitbehandlung eine Besserung möglich. 

Hiergegen erhob der Kläger am 9. Mai 2014 Widerspruch und führte u.a. aus, die ärztliche Schweigepflicht sei durch die Beklagte verletzt worden. Die Befristung mit den damit verbundenen finanziellen Unsicherheiten wirke sich negativ auf seinen Gesundheitszustand aus. Hilfsweise beantrage er schon jetzt die Weitergewährung der Rente ab dem 1. März 2016.

Zur Akte gelangte ein Befundbericht des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. F. der Ambulanz der Vitos-Klinik D-Stadt vom 17. Februar 2014, wonach der Kläger u.a. berichtet habe, er habe eine ausgeprägte Wut gegenüber dem Staat und akzeptiere keinerlei Autoritäten. Er sehe Gesetze nur als Empfehlung und nicht als bindend an. 

Mit Schreiben vom 23. Mai 2014 wies die Beklagte u.a. darauf hin, dass eine Rente nach den gesetzlichen Vorschriften grundsätzlich zu befristen sei. Medizinische Gründe, die gegen eine Besserungsaussicht sprächen, seien nicht vorgelegt worden, was noch nachgeholt werden könne. Ein Abschlag sei zulässigerweise vorgenommen worden, da der Kläger bei Beginn der Rente wegen Erwerbsminderung noch keine 62 Jahre alt gewesen sei. Eine Kürzung der Erwerbsminderungsrente vor dem 60. Lebensjahr sei auch verfassungsgemäß.

Mit Widerspruchsbescheid vom 9. September 2014 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Ein Anspruch auf eine unbefristete Rente bestehe nicht, da weiterhin keine schwerwiegenden medizinischen Gründe vorlägen, die gegen eine rentenrechtlich relevante Besserungsaussicht sprechen würden. Die Höhe der beitragspflichtigen Einnahmen während des Arbeitslosengeldbezugs seien zutreffend berücksichtigt worden. Eine Zurechnungszeit über den 31. Oktober 2044 hinaus sei nicht anzuerkennen. Die Schulzeit von September bis Dezember 2007 sei zu Recht nicht berücksichtigt worden, ebenso sei der Rentenabschlag zulässig.

Gegen den Widerspruchsbescheid erhob der Kläger am 23. September 2014 Klage bei dem Sozialgericht Frankfurt am Main.

Zur Akte gelangte ein Schreiben der Schönklinik C-Stadt an den Kläger vom 1. Juli 2015, wonach der Kläger im Jahr 2012 erstmalig an der stationären Behandlung im Schwerpunktbereich Zwangsstörungen teilgenommen habe. Das in der Klinik angebotene verhaltenstherapeutische cognitiv-behaviorale Behandlungskonzept mit Schwerpunkt auf Expositionstherapie in vivo mit Reaktionsmanagement sowie das Gruppenpsychotherapie-Setting sei dem Kläger von seinem Aufenthalt bekannt. In der Zwischenzeit habe sich die Klinik bemüht, die Expositionstherapie weiterhin zu optimieren und noch intensiver in den Mittelpunkt der Therapie zu stellen (entsprechend der wissenschaftlichen Studienlage zu den Wirkfaktoren einer Therapie der Zwangsstörung). In einem Telefonat habe der Kläger geäußert, dass er sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht in der Lage sehe, sich im Rahmen des in der Klinik verfolgten Behandlungskonzeptes mit den Zwangssymptomen zu konfrontieren. Da es sich bei der Expositionstherapie um den wesentlichen Baustein des verhaltensmedizinischen Behandlungskonzepts handele, sei eine Aufnahme des Klägers in der Schönklinik derzeit als nicht zielführend anzusehen.

Mit sozialmedizinischer Stellungnahme nach Aktenlage vom 11. August 2015 schätzte der beratende Arzt der Beklagten G. das Leistungsvermögen des Klägers weiterhin auf unter drei Stunden arbeitstäglich ein. Eine Besserung sei nicht unwahrscheinlich, ein voraussichtlicher Termin könne jedoch nicht genannt werden. Nach den eingeholten Befundberichten der behandelnden Ärzte erscheine die Prognose ungünstig, im Hinblick auf das Alter des Klägers bestehe dennoch eine Besserungswahrscheinlichkeit. 

Mit Rentenbescheid vom 18. August 2015 bewilligte die Beklagte dem Kläger die Rente wegen voller Erwerbsminderung über den 29. Februar 2016 hinaus nunmehr befristet bis zum 28. Februar 2019. Auch hiergegen erhob der Kläger Widerspruch, der mit Widerspruchsbescheid vom 19. September 2017 zurückgewiesen wurde. Eine hiergegen gerichtete Klage vor dem Sozialgericht Ulm (Az. S 6 R 3162/17) wurde ausgesetzt.

Mit Rentenbescheid vom 11. Juli 2018 bewilligte die Beklagte dem Kläger seine Rente wegen voller Erwerbsminderung über den 28. Februar 2019 hinaus weiterhin auf Zeit bis zum 31. Juli 2021.

Mit Rentenbescheid vom 19. Oktober 2018 stellte die Beklagte die Rente wegen Erwerbsminderung des Klägers ab dem 1. April 2014 neu fest und berücksichtigte durch die Bundesagentur für Arbeit Ulm neu gemeldete Entgelte für den Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis 12. August 2007. Ein höherer Rentenanspruch des Klägers ergab sich nicht, da sich bei Berechnung der Entgeltpunkte (EP) durch die neuen Entgelte zwar die Entgeltpunkte für Beitragszeiten erhöhten (nun 10.0490 EP, vormals 10,0142 EP), allerdings verringerten sich die zusätzlichen Entgeltpunkte für die beitragsgeminderten Zeiten (1,0929 EP, vormals 1,1277 EP), so dass sich die Entgeltpunkte in der Gesamtsumme (38,2860 EP) im Vergleich zum Rentenbescheid vom 9. April 2014 nicht erhöhten.

Das Sozialgericht holte Befundberichte der behandelnden Ärzte des Klägers ein, u.a. des Dr. E. vom 14. April 2015 und des Dr. M. vom 14. April 2015. Dr. E. berichtete, der Kläger leide neben einem Diabetes mellitus Typ 1, bei dem trotz Insulintherapie immer wieder starke Schwankungen aufträten, unter zunehmenden Zwangshandlungen (Waschzwang der Hände und von Gebrauchsgegenständen). Zusätzlich seien unter Stress eine psychogene Sprachstörung und ein Stottern aufgetreten. Der Kläger leide unter vielen Ängsten. Dr. M. gab die Diagnosen einer schweren depressiven Episode bei rezidivierender Störung, einer Zwangsstörung, einer kombinierten Persönlichkeitsstörung sowie einer nicht näher bezeichnete dissoziativen Störung an. Es habe trotz kombinierter ambulanter und stationärer sowie psychotherapeutischer und pharmakotherapeutischer Maßnahmen lediglich eine mäßige Stabilisierung erreicht werden können. Zur Akte gelangte zudem ein Befundbericht des Dipl.-Psych. H. vom 4. Dezember 2013, wonach der Kläger sich dort seit dem 3. Januar 2013 in ambulanter Psychotherapie (Verhaltenstherapie) befunden habe. Eine Verbesserung der Symptomatik sei nicht erzielt worden. Zur Akte gelangt ist in den Krankenunterlagen des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. J. ein weiterer Befundbericht des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. P. vom 5. Oktober 2015, wonach bei bekannter chronifizierter Zwangsstörung schweren Ausmaßes mit dem Kläger nach selbständigem Absetzen von Sertralin ein Therapieversuch mit Fluoxetin besprochen worden sei. In einem folgenden Befundbericht vom 15. Februar 2016 gab Dr. P. an, der Kläger habe Fluoxetin seit Mitte Dezember nicht mehr eingenommen. Zu einer Verschlechterung der Zwangssymptomatik sei es aus Sicht des Klägers nach Absetzen aber nicht gekommen.

Das Sozialgericht beauftragte den Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Neurologie, Innere Medizin, Endokrinologie und Forensische Psychiatrie Prof. Dr. K. mit einer Begutachtung des Klägers. Der Sachverständige kam in seinem Gutachten vom 10. Dezember 2015 nach ambulanter Untersuchung am 30. September 2015 ausgehend von den Diagnosen
-    Zwangsstörung mit Zwangsgedanken und Zwangshandlungen,
-    sonstige spezifische Persönlichkeitsstörung (perfektionistische und querulatorische Strukturen, wobei sich die querulatorische Tendenz über einen erhöhten Perfektionismus und Gerechtigkeitsempfinden verselbständigt habe)
-    Stottern (bei Anspannung und Aufregung),
-    Ängste mit agoraphobischen Tendenzen sowie
-    Diabetes mellitus
zu der sozialmedizinischen Einschätzung, der Kläger sei nur noch in der Lage, leichte Arbeiten weniger als drei Stunden täglich an fünf Tagen in der Woche zu verrichten. Eine Arbeit von wirtschaftlichem Wert sei bei dem vorliegenden Zwangspotential mit ständigen Kontrollen nur schwer vorstellbar. Insgesamt sei der Kläger massiv in seinem sozialen Verhalten, seinen Arbeitsmöglichkeiten und seinem Aktionsradius eingeschränkt und behindert. Mit seinem Hund sei der Kläger in der Lage, einen Fußweg von 500 m vier Mal täglich in einer Zeit von weniger als 20 Minuten zurückzulegen. Ohne die therapeutisch notwendigen Expositionsübungen und ohne ein derart beschützendes Objekt wie dem Hund sei der ausgeführte Gehweg in entsprechender Zeit nicht durchführbar. Betriebsunübliche Pausen seien nicht erforderlich. Das festgestellte Leistungsvermögen bestehe ab Rentenantragstellung am 9. Dezember 2013. Bereits im Oktober 2013 sei der Kläger nach seinen Angaben freigestellt worden, da er aufgrund seiner Zwangskrankheit nicht in der Lage gewesen sei, in seiner Arbeitsstätte tätig zu sein, insbesondere, da er sich ständig in die Angelegenheiten der Mitarbeiter eingemischt habe, was sicher mit den querulatorischen Tendenzen zusammenhänge. Aus dem Bericht der Schönklinik gehe hervor, dass es am 13. November 2012 zunächst zu einer Besserung gekommen sei, jedoch habe diese offensichtlich nicht angehalten, sonst hätte der Kläger seinen Arbeitsplatz halten können. Die Befristung der Rente sei gerechtfertigt gewesen. Die Prognose sei bei Zwangskrankheiten dieser Art generell hinsichtlich der Aufnahme einer Arbeitstätigkeit ungünstig, allerdings würden die Therapiemöglichkeiten sukzessive optimiert. Gold-Standard der Behandlung sei ein Serotonin-Wiederaufnahmehemmer in ausreichender Dosierung und eine Verhaltenstherapie. Beides sei vom Kläger wegen angeblicher Nutzlosigkeit beendet worden. Insbesondere sehe der Kläger sich nicht in der Lage, Expositionsübungen durchzuführen, die einen Schwerpunkt der Verhaltenstherapie darstellten. Insofern sei es gerechtfertigt, auch aufgrund des relativ jungen Alters des Klägers, die Dauer der Rente zunächst zu begrenzen, da für diese Störung möglicherweise in den nächsten Jahren auch neue Therapieoptionen entwickelt würden. Dass beide erwähnte Therapieformen, nämlich Serotonin-Wiederaufnahmehemmer und Verhaltenstherapie, bei dem Kläger überhaupt keinen Effekt hätten, sei nicht nachvollziehbar und liege möglicherweise an seiner ablehnenden Haltung. Begutachtungen auf einem anderen Gebiet seien nicht erforderlich.

Nachdem sich der Kläger gegen das Gutachten gewandt hatte, holte das Sozialgericht nach einem Umzug des Klägers Befundberichte seiner neuen behandelnden Ärzte ein, konkret einen Befundbericht des Dr. P. vom 12. Juli 2018 sowie einen Befundbericht des Dr. J. vom 25. Juli 2018. Dr. P. führte aus, der Kläger befinde sich dort seit März 2015 in Behandlung. Bei ihm bestehe eine langjährige Zwangssymptomatik mit Chronifizierung, daneben eine affektive Störung mit intermittierenden depressiven Episoden. Geklagt werde über Einschränkungen durch Zwangsgedanken und -handlungen, leichte Erschöpfbarkeit und eine stark verminderte Belastbarkeit. Es bestehe aufgrund des Gesundheitszustandes unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes keine ausreichende Belastbarkeit für die Durchführung von leichten, mittelschweren oder schweren Arbeiten. Die derzeitige Belastbarkeit liege unter drei Stunden täglich an fünf Tagen die Woche. Im Verlauf der Behandlung habe sich weder eine erhebliche Verschlechterung noch eine deutliche Verbesserung ergeben. Eine Stabilisierung sei extrem unwahrscheinlich, insbesondere unter Berücksichtigung des langjährigen Verlaufs und der deutlichen Chronifizierung. Eine mögliche Verbesserung des Leistungsvermögens mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit könne er allerdings nicht ausschließen. Dr. J. gab an, der Kläger sei wegen seiner schwerwiegenden psychischen Erkrankung erwerbsunfähig und könne keine Tätigkeit zu keiner Zeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausführen. Der Gesundheitszustand habe sich wieder verschlechtert, auch seien keine neuen Leiden hinzugekommen. Eine Verbesserung der Leistungsfähigkeit sei mit Sicherheit ausgeschlossen. Zur Akte gelangte zudem ein vorangegangener Befundbericht des Dr. P. vom 2. Mai 2018, wonach im Rahmen der Anamnese bei unverändertem Zustandsbild der chronifizierten Zwangsstörung die Stimmung insgesamt weiterhin wechselnd sei, wobei länger andauernde depressive Episoden nicht bestünden.

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers stellte am 14. November 2017 einen ersten Antrag nach § 109 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und benannte mit Schriftsatz vom 25. September 2018 Prof. Dr. Dr. S. als Sachverständigen. Das Sozialgericht beauftragte den Sachverständigen mit Beweisbeschluss vom 11. Februar 2019 unter Angabe der gleichen Beweisfragen, die bereits dem Sachverständigen Prof. Dr. K. gestellt worden waren. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers bat daraufhin um Hinweis, weshalb die gleichen Fragen verwendet würden, da es nur noch auf die Besserungswahrscheinlichkeit ankomme und teilte mit Schriftsatz vom 23. April 2019 mit, der Kläger werde vor Reduzierung der Beweisfragen keine Begutachtung zulassen. Der Kläger erschien zum Begutachtungstermin am 25. April 2019 nicht. Mit Schriftsatz vom 21. Oktober 2019 teilte der Prozessbevollmächtigte des Klägers nochmals mit, dass eine Begutachtung ohne Änderung der Beweisfragen nicht erfolgen werde.

Mit Urteil vom 4. November 2019 wies das Sozialgericht die Klage mit der Begründung ab, der Kläger habe keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung auf Dauer nach § 43 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 102 Abs. 2 Satz 5 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) mit einem höheren Rentenzahlbetrag. Der wörtlich gestellte Klageantrag, den Widerspruchsbescheid vom 9. September 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid vom 9. April 2014 unter Berücksichtigung der klägerseitigen Ausführungen abzuändern, sei zunächst trotz anwaltlicher Vertretung und Hinweises des Gerichts auslegungsbedürftig und auslegungsfähig gewesen. Das Gericht entscheide gemäß § 123 SGG über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Bei der Auslegung sei der für das Gericht und die anderen Beteiligten erkennbare Klagevortrag einschließlich der Verwaltungsvorgang heranzuziehen. Es gelte der Grundsatz der Meistbegünstigung. Maßgebliches Ziel des Klägers sei ausweislich seines Vortrags die Gewährung einer vollen Erwerbsminderungsrente auf Dauer gewesen. Streitgegenständlich sei der Bescheid vom 9. April 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. September 2014, sowie der Bescheid vom 18. August 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. September 2017 und die Bescheide vom 11. Juli 2018 und 19. Oktober 2018, die der Kläger mit einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage nach §§ 54 Abs.1 und 4, 56 SGG angreife. Die Bescheide vom 18. August 2015 (in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. September 2017) und 11. Juli 2018, mit welchem die Rente bis 31. Juli 2021 weiterbefristet worden sei, seien nach § 96 SGG streitgegenständlich geworden. Denn durch die Weiterbefristung sei die im ursprünglichen Bewilligungsbescheid enthaltene Ablehnung einer Gewährung über das festgelegte Fristende hinaus im Rahmen der weiteren Frist abgeändert worden. Der Bescheid vom 19. Oktober 2018 sei nach § 96 SGG streitgegenständlich geworden, da die zustehende Rentenhöhe nach Berücksichtigung des neu gemeldeten Entgelts abgeändert worden sei. Die angegriffenen Bescheide seien rechtmäßig. Soweit die Beklagte den Widerspruch des Klägers hinsichtlich des Bewilligungsbescheids vom 18. August 2015 als unbegründet und nicht, wie zutreffend, als unzulässig, zurückgewiesen habe, ergebe sich hieraus keine Beschwer des Klägers. Das Gericht sei zur Überzeugung gelangt, dass der Kläger voll erwerbsgemindert sei, jedoch nicht, dass eine Besserung unwahrscheinlich sei. Denn der Kläger sei angesichts der bei ihm festgestellten Leiden und unter Beachtung der daraus folgenden qualitativen Leistungseinschränkungen nur noch in der Lage, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes unter drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Hierbei bestünden noch ungenutzte Therapiemöglichkeiten, gegen die keine schwerwiegenden medizinischen Gründe sprächen. Das Gericht sei aufgrund der Befundlage nicht überzeugt, dass eine Besserung des klägerischen Zustands zu den Zeitpunkten der Entscheidungen der Beklagten, zuletzt im Bescheid vom 11. Juli 2018, unwahrscheinlich gewesen sei oder nunmehr unwahrscheinlich sei. Es bestünden noch ungenutzte Therapiemöglichkeiten. Bereits im Dezember 2015 habe der Sachverständige Prof. Dr. K. in seinem Gutachten weitere Behandlungsmöglichkeiten durch eine Verhaltenstherapie unter Verwendung eines Seratonin-Aufnahmehemmers, insbesondere durch Expositionsübungen aufgezeigt. Dass der Kläger eine solche Therapie inklusive Expositionsübungen, unter Verwendung der Medikamente, vollständig durchgeführt habe, ergebe sich entgegen seiner Ausführungen gerade nicht aus den Befunden. Diese Therapie sei zudem nicht aus schwerwiegenden medizinischen Gründen ausgeschlossen. Dass die Expositionstherapie den an Zwangshandlungen und Zwangsgedanken leidenden Kläger erheblich fordere, sei dieser Therapieform immanent. Die bisherige Verhaltenstherapie sei lediglich niederfrequent, obwohl bereits im Entlassungsbericht der Klinik C-Stadt 2012 dargelegt worden sei, dass die Fortsetzung einer hochfrequenten Verhaltenstherapie unter Fortführung der Expositionsübungen notwendig sei. Dass eine Besserung unwahrscheinlich sei, ergebe sich auch nicht aus den Angaben der behandelnden Ärzte. Der Beginn der Erwerbsminderungsrente sei entsprechend § 101 Abs. 1 SGB VI ab dem siebten Monat nach Eintritt des Leistungsfalls am 15. September 2013 [wohl 5. September 2013] ab 1. April 2014 geleistet worden. Die Befristungen entsprächen den gesetzlichen Vorgaben. Die Erstbefristung sei gemäß § 102 Abs. 2 Satz 2 SGB VI erfolgt, indem die Beklagte dem Kläger zunächst eine Erwerbsminderungsrente ab 1. April 2014 bis 29. Februar 2016 für ein Jahr und 11 Monate gewährt habe. Die Weiterbewilligungen bis 28. Februar 2019 und sodann bis 31. Juli 2021 überschritten den dreijährigen Rahmen des § 102 Abs. 2 Satz 4 SGB VI nicht. Auch hinsichtlich der Höhe der gewährten Rente sei die Rentengewährung, zuletzt mit Bescheid vom 19. Oktober 2018, rechtmäßig. Bei den vorliegend geltend gemachten Zeiten der Arbeitslosigkeit mit Leistungsbezug begegne die Berechnung bzw. Belegung der Zeiten vom 1. Januar 2005 bis 12. August 2007 (Unterhaltsgeld/Arbeitslosengeld während einer geförderten Ausbildung, sowie ab 12. Juli 2017 Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit) keinen rechtlichen Bedenken, insbesondere hinsichtlich der Berechnung. Denn die Beklagte habe die Zeiten weiterhin als beitragsgeminderte Zeiten (vgl. § 54 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3 Satz 1 Nr. 3 und § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VI) berücksichtigt und unter Anwendung des § 71 Abs. 2 SGB VI einen Zuschlag vergeben. Aufgrund der Meldung höherer Entgelte durch die Bundesagentur für Arbeit hätten sich die Entgeltpunkte der Pflichtbeitragszeiten erhöht, zugleich hätten sich die Entgeltpunkte aus beitragsgeminderten Zeiten verringert, da aufgrund der höheren Entgelte der Zuschlag geringer ausgefallen sei. Ein Anspruch auf eine höhere Rentenhöhe ergebe sich zudem nicht aus den im Bescheid vom 9. April 2014 angegebenen Entgeltpunkten für beitragsgeminderte Zeiten und der Absenkung dieser Zeiten im Bescheid vom 19. Oktober 2018. Denn die Angabe dieser Entgeltpunkte stelle keinen Verwaltungsakt, sondern lediglich ein Begründungselement in der Berechnung der zustehenden Rentenhöhe dar. Soweit der Kläger seine Klage zudem auf die weiteren im Verwaltungsverfahren vorgetragenen Gründe stütze, werde zur Vermeidung von Wiederholungen auf den Widerspruchsbescheid vom 9. September 2014 und das Schreiben der Beklagten vom 23. Mai 2014 verwiesen.

Gegen das Urteil erhob der Kläger eine Anhörungsrüge und stellte Anträge auf Urteilsberichtigung, Tatbestandsberichtigung und Urteilsergänzung, die mit Beschluss des Sozialgerichts vom 30. Januar 2020 als unzulässig verworfen (Anhörungsrüge) sowie als unbegründet abgelehnt wurden. Eine hiergegen eingelegte Beschwerde (L 2 R 78/20 B) wurde mit Beschluss des Senats vom 19. Dezember 2023 zurückgewiesen.

Gegen das seinen Prozessbevollmächtigten am 19. November 2019 zugestellte Urteil hat der Kläger am 17. Dezember 2019 Berufung bei dem Hessischen Landessozialgericht eingelegt.

Mit Rentenbescheid vom 15. Dezember 2020 befristete die Beklagte die Rente wegen voller Erwerbsminderung bis zum 31. März 2023.

Einen zwischenzeitlich gestellten erneuten Antrag des Klägers auf Gewährung einer unbefristeten Rente wegen Erwerbsminderung hat die Beklagte mit Bescheid vom 14. Juli 2021 abgelehnt. 

Der Kläger verfolgt sein Begehren im Hinblick auf die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer im Berufungsverfahren weiter. Soweit auf Therapiemöglichkeiten verwiesen werde, seien diese nicht möglich (Expositionsbehandlung), da es hierbei zu einer erheblichen psychischen Belastungsreaktion komme, bis hin zum Nervenzusammenbruch. Dies ergebe sich bereits aus der Tatsache, dass bei ihm schon bei einer (gedanklichen) Konfrontation hiermit regelmäßig unmittelbar schwere Sprachstörungen aufträten. Eine medikamentöse Therapie hatte und habe keinen Erfolg. Soweit auf (angeblich) beendete Therapiemaßnahmen (Serotonin-Wiederaufnahmehemmer und Verhaltenstherapie) abgestellt werde, so unterliege der Gutachter Prof. Dr. K. einem Irrtum, da dies nur nach ärztlicher Rücksprache erfolgt sei. Es bestehe auch keine ablehnende Haltung gegenüber den einschlägigen Therapiemaßnahmen, vielmehr hatten diese bei hm keinen Nutzen oder Erfolg (Serotonin-Wiederaufnahmehemmer) bzw. sie seien ihm aufgrund seiner Erkrankung nicht möglich (Verhaltenstherapie). 

Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 4. November 2019 aufzuheben und den Bescheid vom 9. April 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. September 2014, ergänzt durch Rentenbescheide vom 18. August 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. September 2017, vom 11. Juli 2018 sowie vom 15. Dezember 2020 und geändert durch Rentenbescheid vom 19. Oktober 2018 abzuändern, den Bescheid vom 14. Juli 2021 aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer ab dem 1. Dezember 2013 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Eine Besserung des klägerischen Leistungsvermögens sei nicht unwahrscheinlich gewesen im Sinne des § 102 Abs. 2 Satz 5 SGB VI.

Zur Akte gelangt sind Befundberichte des Dr. P. vom 1. Oktober 2019, 13. Januar 2020, 27. Juli 2020, 22. Oktober 2020 und 26. April 2021, wonach bei den Diagnosen Zwangsgedanken und Zwangshandlungen gemischt, depressive Episode, Anpassungsstörung und Diabetes mellitus Typ 1 eine Stabilisierung im Verlauf nicht eingetreten sei. Der Kläger sei ihm seit März 2015 bekannt, wobei sich im Verlauf keine relevante Stabilisierung bei deutlicher Chronifizierung der Symptomatik gezeigt habe.

Mit Bescheid vom 6. Februar 2023 bewilligte die Beklagte dem Kläger über den 31. März 2023 hinaus die Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer längstens bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze. Auf Anfrage des Gerichts, ob sich das Berufungsverfahren mit Bewilligung der Rente wegen Erwerbsminderung auf Dauer erledigt habe, teilte der Kläger mit Schreiben vom 21. April 2023 mit, dass sich das Berufungsverfahren für ihn nicht erledigt habe.

Die Beteiligten sind mit Schreiben des Senats vom 14. Dezember 2023 zu einer Entscheidung nach § 153 Abs. 4 SGG angehört worden.

Ein erstes Gesuch des Klägers auf Ablehnung des Richters am Landessozialgericht Dr. XY. wurde mit Beschluss des Senats vom 23. Januar 2024 als unbegründet zurückgewiesen (L 2 SF 5/24 AB). Mit Schreiben vom 5. Februar 2024 hat der Kläger die am Beschluss beteiligten Richter, den Vizepräsidenten des Hessischen Landessozialgerichts XR., die Richterin am Landessozialgericht XW. und den Richter am Landessozialgericht XX. sowie erneut den Richter am Landessozialgericht Dr. XY. als befangen abgelehnt.

Zum weiteren Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung des Senats gewesen sind.


Entscheidungsgründe

Das Befangenheitsgesuch des Klägers ist offensichtlich unzulässig und hindert die abgelehnten Richter XR., XW. und Dr. XY. nicht, an der vorliegenden Entscheidung mitzuwirken.

Nach § 60 SGG i.V.m. § 42 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Dabei kommt es nach ständiger Rechtsprechung darauf an, ob der betroffene Beteiligte von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger objektiver Betrachtung Anlass hat, die Voreingenommenheit des oder der abgelehnten Richter zu befürchten (siehe BSG, Beschluss vom 10. Dezember 2010, B 4 AS 97/10 B m.w.N.; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Auflage 2023, § 60 Rn. 7). 

Offensichtlich unzulässig ist ein Ablehnungsgesuch, wenn es völlig ungeeignet ist und es sich um eine bloße Formalentscheidung handelt (Keller in: Meyer-Ladewig/ Keller/Schmidt, SGG, 14. Auflage 2023, § 60 Rn. 10d; BSG, Beschluss vom 27. Oktober 2009, B 1 KR 51/09 Bs). Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, Beschluss vom 20. Juli 2007, 1 BvR 2228/06 m.w.N.) entschieden, dass bei strenger Beachtung der Voraussetzungen des Vorliegens eines gänzlich untauglichen oder rechtsmissbräuchlichen Ablehnungsgesuchs eine Selbstentscheidung mit der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht in Konflikt gerät, weil die Prüfung keine Beurteilung des eigenen Verhaltens des abgelehnten Richters voraussetzt und deshalb keine Entscheidung in eigener Sache ist (BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 2. Juni 2005, 2 BvR 625/01). Eine völlige Ungeeignetheit eines Ablehnungsgesuchs in diesem Sinne ist anzunehmen, wenn für eine Verwerfung als unzulässig jedes Eingehen auf den Gegenstand des Verfahrens entbehrlich ist. Ist hingegen eine - wenn auch nur geringfügige - Befassung mit dem Verfahrensgegenstand erforderlich, scheidet eine Ablehnung als unzulässig aus. 

Unter Beachtung dieses strengen Maßstabes erweist sich das Gesuch des Klägers als offensichtlich unzulässig. Der Kläger hat keine konkreten Anknüpfungspunkte dargelegt, die bei vernünftiger objektiver Betrachtung auf eine Befangenheit der Mitglieder des Spruchkörpers hindeuten könnten.

Die Tatsache allein, dass der Kläger in der Vergangenheit andere rechtliche Standpunkte als die abgelehnten Richter vertreten hat, vermag keine Besorgnis der Befangenheit zu begründen. Entscheidend für die Annahme der Besorgnis der Befangenheit ist die Befürchtung der Voreingenommenheit der befassten Richter. Diese ist jedoch nicht rechtlichen Erwägungen zu entnehmen. Unrichtige oder für unrichtig gehaltene Rechtsauffassungen oder Tatsachenwürdigungen eines Richters sind nicht geeignet, eine Besorgnis der Befangenheit zu begründen, denn eine nachträgliche inhaltliche Überprüfung einer gerichtlichen Entscheidung kann im Wege der Richterablehnung gerade nicht erreicht werden (BVerwG, Beschluss vom 23. Oktober 2007, 9 A 50/07). Es müssen vielmehr objektive Gründe dargetan werden, die dafür sprechen, dass eine mögliche Fehlerhaftigkeit einer Entscheidung auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegen den ablehnenden Beteiligten beruht oder willkürlich im Sinne einer greifbaren Gesetzeswidrigkeit ist (BSG, Beschluss vom 9. März 2017, B 12 KR 83/16 B). Anhaltspunkte für solche objektiven Gründe sind nicht erkennbar. Dies gilt sowohl für die Richter XR., XW. und Dr. XY. als auch für den ebenso vom Kläger abgelehnten Richter XX.

Der Senat konnte die Berufung durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 Satz 1 SGG ohne mündliche Verhandlung und ohne Beteiligung ehrenamtlicher Richterinnen oder Richter zurückweisen, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher gehört worden (§ 153 Abs. 4 Satz 2 SGG).

Die statthafte Berufung (§§ 143, 144 Abs. 1 SGG) des Klägers ist teilweise zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt (§ 151 Abs. 1 SGG).

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist allein die mit angefochtenem Bescheid vom 9. April 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. September 2014 abgelehnte Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer. Dabei sind die Weiterbewilligungsbescheide vom 18. August 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. September 2017, vom 11. Juli 2018, vom 15. Dezember 2020 sowie zuletzt vom 6. Februar 2023 nach § 96 Abs. 1 SGG zum Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens geworden. Denn nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) liegen, wenn während eines Klage- oder Berufungsverfahrens auf einen weiteren Antrag hin Rente wegen Erwerbsminderung - wie hier - erneut abgelehnt oder für einen Teil des streitigen Zeitraums bewilligt und im Übrigen weiter abgelehnt wird, im Sinne von § 96 Abs. 1 SGG die bisherige Ablehnung ersetzende Neuregelungen vor, über die in unmittelbarer Anwendung der Norm zu entscheiden ist (BSG, Beschlüsse vom 21. Oktober 2020, B 13 R 59/19 B; vom 12. März 2019, B 13 R 329/17 B und vom 17. August 2017, B 5 R 248/16 B). Hinsichtlich der gesonderten Ablehnung durch Bescheid vom 14. Juli 2021 hat der Senat auf Klage zu entscheiden.

Betreffend die nach § 96 Abs. 1 SGG zum Gegenstand des Berufungsverfahrens gewordenen Bescheide ab dem 18. August 2015 führt jedoch die vom Kläger begehrte Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung auf Dauer zwischenzeitlich nicht mehr zu einer Verbesserung seiner Rechtsposition, da ihm die Rente wegen voller Erwerbsminderung trotz ursprünglicher Befristung durchgehend bewilligt und nunmehr mit Rentenbescheid vom 6. Februar 2023 auf Dauer bewilligt worden ist. Der Berufung fehlt es insoweit an einem fortbestehenden Rechtsschutzbedürfnis. Sie ist insoweit unzulässig.

Die Berufung des Klägers ist im Übrigen unbegründet. Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 4. November 2019 ist nicht zu beanstanden. Der Bescheid der Beklagten vom 9. April 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. September 2014 ist rechtmäßig und beschwert den Kläger nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG.

In der Sache ist Gegenstand des Berufungsverfahrens nach zunächst lückenlos fortgesetzten befristeten Bewilligungen und der nunmehr mit Rentenbescheid vom 6. Februar 2023 auf Dauer bewilligten Rente wegen voller Erwerbsminderung nur noch ein möglicher früherer Rentenbeginn im Wege der anfänglichen Bewilligung der Rente wegen Erwerbsminderung auf Dauer.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine frühere Gewährung der Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer, d.h. weder auf eine Gewährung ohne Befristung noch auf eine Rentengewährung bereits ab dem 1. Dezember 2013 (Rentenantrag vom 9. Dezember 2013) statt gemäß § 101 Abs. 1 SGB VI ab dem 1. April 2014, dem Beginn des siebten Kalendermonats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit.

Nach § 102 Abs. 2 SGB VI werden Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit auf Zeit geleistet. Die Befristung erfolgt für längstens drei Jahre nach Rentenbeginn. Sie kann verlängert werden; dabei verbleibt es bei dem ursprünglichen Rentenbeginn. Verlängerungen erfolgen für längstens drei Jahre nach dem Ablauf der vorherigen Frist. Renten, auf die ein Anspruch unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage besteht, werden unbefristet geleistet, wenn unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann; hiervon ist nach einer Gesamtdauer der Befristung von neun Jahren auszugehen.

Der Begriff der Unwahrscheinlichkeit ist bei prognostischer Beurteilung - wobei es insoweit maßgeblich auf den Zeitpunkt der Rentenbescheiderteilung ankommt, sodass nach diesem Zeitpunkt eingetretene Umstände nicht zu berücksichtigen sind (BSG, Urteil vom 29. März 2006, B 13 RJ 31/05 R; Urteil vom 17. Februar 1982, 1 RJ 102/80, jeweils m.w.N.) - dahingehend zu verstehen, dass schwerwiegende medizinische Gründe gegen eine - rentenrechtlich relevante - Besserungsaussicht sprechen müssen, sodass ein Dauerzustand vorliegt. Von solchen Gründen kann erst dann ausgegangen werden, wenn alle Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind und auch hiernach ein aufgehobenes Leistungsvermögen besteht. Unwahrscheinlichkeit i.S.d. § 102 Abs. 2 Satz 4 SGB VI liegt daher dann vor, wenn aus ärztlicher Sicht bei Betrachtung des bisherigen Verlaufs nach medizinischen Erkenntnissen - auch unter Berücksichtigung noch vorhandener therapeutischer Möglichkeiten - eine Besserung nicht anzunehmen ist, durch welche sich eine rentenrechtlich relevante Steigerung der Leistungsfähigkeit des Versicherten ergeben würde. Dabei kommt es nicht darauf an, ob eine Besserung „auszuschließen“ ist. Vielmehr ist allein erheblich, dass alle therapeutischen Möglichkeiten in Betracht gezogen werden müssen, um ein qualitatives oder quantitatives Leistungshindernis zu beheben. Da die genannte Regelung ausdrücklich darauf abstellt, ob unwahrscheinlich ist, dass die Erwerbsminderung behoben „werden kann“, ist auch nicht maßgeblich, ob sie behoben „werden wird“. Solange die Möglichkeit besteht, das Leistungsvermögen eines Versicherten auf der Grundlage anerkannter Behandlungsmethoden wiederherzustellen, und solange - im Einzelfall - keine gesundheitsspezifischen Kontraindikationen entgegenstehen, ist von der Unwahrscheinlichkeit der Behebung der Leistungsminderung nicht auszugehen. Die Frage, inwieweit die Therapiemaßnahmen vom Versicherten zu dulden, also durchzuführen sind, ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung (vgl. zum Vorstehendem nur BSG, Urteil vom 29. März 2006, B 13 RJ 31/05 R). Die Überprüfung der Prognose der Beklagten unterliegt als unbestimmter Rechtsbegriff der umfassenden gerichtlichen Kontrolle.

Zu Recht ist die Beklagte bei Erlass des Bescheids vom 9. April 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. September 2014 davon ausgegangen, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers noch bessern kann. Dies gilt letztlich auch für die nochmalige Ablehnung einer Rente wegen Erwerbsminderung auf Dauer mit Bescheid vom 14. Juli 2021. 

Der Senat stützt seine Überzeugung auf das erstinstanzlich eingeholte Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. K. sowie auf das vorliegende medizinische Berichtswesen.

So führte der Sachverständige Prof. Dr. K. u.a. aus, dass der Kläger mit seinem Hund in der Lage sei, einen Fußweg von 500 m vier Mal täglich in einer Zeit von weniger als 20 Minuten zurückzulegen. Der Kläger habe dabei seinen Hund als beschützendes Objekt empfunden und seine sonstigen Beschränkungen teilweise überwinden können. Für den Senat ergeben sich bereits hieraus Behandlungsansätze, die bislang im Rahmen der psychiatrischen und psychologischen Behandlungen des Klägers soweit ersichtlich nicht verfolgt wurden. Prof. Dr. K. gab ergänzend an, zwar sei die Prognose bei Zwangskrankheiten wie der des Klägers generell hinsichtlich der Aufnahme einer Arbeitstätigkeit ungünstig, allerdings würden die Therapiemöglichkeiten sukzessive optimiert. „Gold-Standard“ der Behandlung sei ein Serotonin-Wiederaufnahmehemmer in ausreichender Dosierung und eine Verhaltenstherapie. Beides sei vom Kläger wegen angeblicher Nutzlosigkeit beendet worden. Prof. Dr. K. äußerte die Einschätzung, dass beide erwähnte Therapieformen, nämlich Serotonin-Wiederaufnahmehemmer und Verhaltenstherapie, beim Kläger überhaupt keinen Effekt hätten, sei nicht nachvollziehbar und liege möglicherweise an seiner ablehnenden Haltung. Unabhängig von der Argumentation des Klägers spricht aus Sicht des Senats bereits der laufende und mit konkreten Behandlungsalternativen aufwartende medizinische Fortschritt bei der Behandlung der Gesundheitsbeeinträchtigungen des Klägers dafür, dass seine Erkrankung noch keinen Dauerzustand erreicht hatte, sondern weitergehenden Behandlungenansätzen offensteht. Die Unwahrscheinlichkeit einer Besserung der Leistungsfähigkeit des Klägers lässt sich hieraus jedenfalls nicht ableiten.

Aus dem Entlassungsbericht der Schönklinik vom 21. November 2012 geht hervor, dass es mithilfe therapeutischer, medizinischer und ernährungstherapeutischer Unterstützung im Verlauf der stationären Behandlung seinerzeit zu einer zumindest vorübergehenden Besserung der Zwangsstörungen des Klägers gekommen sei. Im Rahmen der Behandlung sei es u.a. gelungen, die Waschrituale abzubauen. Daraus ergibt sich für den Senat, dass die psychiatrische Erkrankung des Klägers zumindest einer stationären Behandlung dem Grunde nach zugänglich ist. Dies gilt unabhängig davon, ob es dem Kläger medizinisch zumutbar ist, Expositionsübungen verschiedener Intensität durchzuführen. Denn auch wenn ein verhaltenstherapeutisches cognitiv-behaviorales Behandlungskonzept mit Schwerpunkt auf Expositionstherapie, wie von der Schönklinik im Schreiben an den Kläger vom 1. Juli 2015 ausgeführt, entsprechend der wissenschaftlichen Studienlage zu den Wirkfaktoren einer Therapie der Zwangsstörung zu empfehlen sei, so stellt dieses Behandlungskonzept nicht die einzige mögliche Behandlungsoption für die Erkrankung des Klägers dar.

Ebenso ergibt sich aus den Befundberichten der behandelnden Ärzte Dr. E., Dr. M., Dr. F. und Dr. P. sowie des Dipl.-Psych. H., dass die psychiatrischen und psychotherapeutischen Behandlungen des Klägers lediglich niederfrequent erfolgten. Auch im Rahmen der ambulanten Behandlung stehen damit, unabhängig von den Möglichkeiten eines tagesambulanten klinischen Settings, zur Überzeugung des Senats intensivere und mit engmaschigeren Terminen verbundene Behandlungsoptionen offen, die eine Besserung des Gesundheitszustands als nicht unwahrscheinlich erscheinen lassen. Hierzu gehört ebenfalls eine angepasste pharmakologische Behandlung des Klägers. Die bislang vorgenommene medikamentöse Behandlung erfolgte lediglich auf niedrigem Niveau und wurde durch die eigenständige Absetzung von Medikamenten durch den Kläger erschwert. Sofern der Kläger in diesem Zusammenhang auf ein rein ärztlich abgestimmtes Absetzen der Medikamente verwiesen hat, so steht dies nicht im Einklang mit den Befundberichten seiner behandelnden Ärzte. So gab u.a. Dr. P. in seinem Befundbericht vom 5. Oktober 2015 an, dass der Kläger Sertralin selbständig abgesetzt habe. Es sei daraufhin ein Therapieversuch mit Fluoxetin besprochen worden. In einem folgenden Befundbericht vom 15. Februar 2016 gab Dr. P. daraufhin jedoch an, der Kläger habe Fluoxetin seit Mitte Dezember nicht mehr eingenommen. Die ärztliche Konsultation erfolgte damit jeweils nach dem eigenständigen Absetzen des Medikaments. Soweit der Kläger angegeben hat, aufgrund seiner Schlafstörungen habe er auch teilweise vergessen, seine Medikamente einzunehmen, wäre eine Compliance beispielsweise durch eine engmaschigere ambulante Betreuung sicherzustellen. Sofern der Kläger sich weitergehenden Behandlungen unter Verweis auf die fehlende Wirksamkeit der verordneten Medikamente und für ihn schädliche gesundheitliche Nebenfolgen, u.a. in Form von Sprachstörungen, allein bei gedanklicher Befassung mit weiteren Expositionsübungen verweigert, führt dies allein nicht dazu, dass eine Besserung seines Leistungsvermögens unwahrscheinlich ist. In seinem Befundbericht vom 12. Juli 2018 gab Dr. P. in diesem Zusammenhang an, die Belastbarkeit des Klägers liege bei unter drei Stunden täglich an fünf Tagen die Woche. Eine Stabilisierung sei extrem unwahrscheinlich, insbesondere unter Berücksichtigung des langjährigen Verlaufs und der deutlichen Chronifizierung. Eine mögliche Verbesserung des Leistungsvermögens mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit könne er allerdings nicht ausschließen.

Auch wenn der Kläger aus Sicht des Senats und in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen Prof. Dr. K. insgesamt massiv in seinem sozialen Verhalten, seinen Arbeitsmöglichkeiten und seinem Aktionsradius eingeschränkt und behindert gewesen ist, gab und gibt es noch immer eine Vielzahl alternativer Behandlungsansätze, die aus prognostischer Sicht zu einer Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit des Klägers führen könnten. Da aber im Rahmen der Prognoseentscheidung alle therapeutischen Möglichkeiten in Betracht gezogen werden müssen und alle Behandlungsmöglichkeiten gerade noch nicht ausgeschöpft wurden, konnte ein Dauerzustand der Erwerbsminderung aus schwerwiegenden medizinischen Gründen ohne Besserungsaussicht weder im April 2014 noch bei Erlass des Ablehnungsbescheids vom 14. Juli 2021 angenommen werden.

Die Prognoseentscheidung bei Erlass des Rentenbescheids vom 9. April 2014 erweist sich damit als rechtmäßig, so dass die Berufung keinen Erfolg haben konnte.

Hinsichtlich der Bestimmung der Rentenhöhe verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts im angefochtenen Urteil.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen. Der im Tenor aufgenommene Beschluss über das Befangenheitsgesuch des Klägers ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
 

Rechtskraft
Aus
Saved