S 6 R 434/14

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Rentenversicherung
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 6 R 434/14
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 2 R 331/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 R 35/24 B
Datum
Kategorie
Urteil


Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.


Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente auf Dauer.

Der 1984 geborene Kläger hat keine Kinder. Er ist ausgebildeter Papiermacher und absolvierte zudem eine dreijährige Ausbildung zum Industriekaufmann. Zuletzt war er von 2008 bis März 2014 als Personalsachbearbeiter mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden angestellt, wobei er ab September 2013 unter Fortzahlung des Entgelts freigestellt wurde (Bl. 50, 57 der Verwaltungsakt).

Wegen der Diagnosen Zwangsgedanken und -handlungen, gemischt, leichte depressive Episode und primär insulinabhängiger Diabetes mellitus Typ I befand sich der Kläger vom 5. September bis 13. November 2012 in stationärer Behandlung in der Schönklinik C-Stadt. Im diesbezüglichen Entlassungsbericht wurde ausgeführt, dass der Behandlung ausgeprägte Kontaminationsängste, Wasch- und Kontrollzwänge als akut krankenhausbehandlungsbedürftig zugrunde gelegen hätten. Der Kläger habe regelmäßig umfangreiche Wasch- und Reinigungsrituale durchführen müssen. Mithilfe therapeutischer, medizinischer und ernährungstherapeutischer Unterstützung sei es dem Kläger im Verlauf zunehmend besser gelungen, dies für sich zu regulieren. Es bestehe ein ausgeprägtes Misstrauen gegen Autoritäten. Es sei dem Kläger schwer gefallen, sich auf die vorgeschlagenen Behandlungen zu konzentrieren, auch habe er sich immer wieder auf Einzelheiten gestützt und sei auf andere Themen ausgewichen. Der Kläger benötige eine hochfrequente therapeutische Begleitung und Unterstützung. Im Rahmen der Behandlung sei es jedoch gelungen, die Waschrituale abzubauen. Bezogen auf die Kontrollzwänge seien jedoch keine großartigen Veränderungen erzielt worden, da der Kläger sich nicht für nachhaltige Veränderungen in diesen Bereichen habe entscheiden können.

Der Kläger beantragte am 9. Dezember 2013 eine Rente wegen Erwerbsminderung, wobei er angab, sich seit 2011 wegen seines Kontrollzwangs mit Perfektionismus, Reinigungszwang, zwanghafter Persönlichkeit, Depressionen mit Schlafstörungen und Suizidgedanken, Sprachstörungen i.V.m. Diabetes mellitus Typ I für erwerbsunfähig zu halten. Im Rahmen des ausgefüllten und eingereichten Formulars R210 erklärte der Kläger durch eigenhändige Unterschrift am 9. Dezember 2013, dass er einwillige, dass der Rentenversicherungsträger von Ärzten und Einrichtungen, die er im Antrag angegeben habe (Dr. E., Dr. M.), alle ärztlichen und psychologischen Untersuchung Unterlagen anfordere, die die Beklagte für die Entscheidung über den Antrag benötige (Bl. 3 des medizinischen Teils der Verwaltungsakte). Er führte in einem weiteren Schreiben aus, dass die Einwilligung zur Einholung von ärztlichen Befunden unter der Bedingung bestehe, dass er über den jeweiligen Datenaustausch vollständig und unaufgefordert informiert werde.

Die Beklagte ermittelte hinsichtlich einer durch den Kläger behaupteten Schulzeit von September bis Dezember 2007 an der staatlichen Fachoberschule und Berufsoberschule E-Stadt. Diese bescheinigte auf Anfrage mit ausgefüllten Vordruck vom 8. Januar 2014, dass der Kläger ohne Abschluss vom 11. September bis 15. Dezember 2007 die Schule besucht habe (Bl. 37 der Verwaltungsakte). Die ebenfalls angeschriebene Krankenkasse gab an, dass der Kläger vom 1. Januar bis 20. Februar 2013 Entgeltersatzleistungen erhalten habe (Bl. 43 der Verwaltungsakte). Arbeitsunfähigkeit habe vom 5. Juni bis 14. Juni 2013 vorgelegen (Bl. 46 der Verwaltungsakte).

Die Beklagte holte Befundberichte des Hausarztes und des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie ein. Der medizinische Dienst der Beklagten stellte nach Aktenlage die Diagnosen schwergradige Zwangsstörung, mittelgradige depressive Episode, kombinierte Persönlichkeitsstörung und Diabetes mellitus Typ I. Der Kläger sei in der Lage, leichte Tätigkeiten unter drei Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben. Das Leistungsvermögen bestehe seit der Arbeitsunfähigkeit im September 2013. Eine Besserung sei bis Februar 2016 nicht unwahrscheinlich. Der weitere Verlauf der Krankheit bleibe abzuwarten. In Anbetracht des jungen Alters des Klägers sei unter intensiver nervenärztlicher und gegebenenfalls auch psychotherapeutischer Mitbehandlung eine Besserung möglich.

Die Beklagte bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 9. April 2014 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 1. April 2014 befristet bis zum 29. Februar 2016 in Höhe von monatlich 964,25 €. Die Anspruchsvoraussetzungen seien ab dem 5. September 2013 erfüllt. Von der zustehenden Rente i.H.v. 1.077,37 € würden Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung abgezogen.

Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch. Es sei zunächst festzustellen, dass die ärztliche Schweigepflicht durch die Beklagte verletzt worden sei. Denn er habe keine Informationen, wie verlangt, erhalten. Die Befristung mit der damit verbundenen finanziellen Unsicherheit wirke sich negativ auf seinen psychischen Gesundheitszustand aus. Zudem sei der ermäßigte Beitragssatz bezüglich des Krankenkassenbeitrags anzuwenden. Auch sei der Beitrag zur Pflegeversicherung nur zu 50 Prozent von ihm zu tragen. Zudem würde er eine Rückzahlung von Direktversicherungsbeiträgen für den Zeitraum 1. Juni 2012 bis 31. März 2014 erwarten, da die Direktversicherung diese Versicherungsbeiträge an den ehemaligen Arbeitgeber zurückerstatten würde und dieser nach Abzug von Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträgen diese an ihn weiterleiten müsse. Rein vorsorglich weise er darauf hin, dass eine Einkommensanrechnung insoweit unzulässig sei. Zudem fordere er die Berücksichtigung der Nachzahlung von Arbeitslosengeld von April 2005 bis August 2007. Hierzu verwies er auf ein Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg (Az. L 13 AL 4955/06; Bl. 127 ff. der Gerichtsakte). Im Zeitraum 5. September 2013 bis 31. März 2014 fordere der Kläger die Berücksichtigung des tatsächlichen Arbeitsentgelts anstatt der vorgenommenen Hochrechnung. Auch sei ein Schulbesuch vom September bis Dezember 2007 nicht rentenerhöhend berücksichtigt worden. Hilfsweise beantrage er bereits nun die Weitergewährung der Rente ab 1. März 2016 (Bl. 81 der Verwaltungsakte).

Mit Schreiben vom 23. Mai 2014 erläuterte die Beklagte, dass eine Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht nicht vorliege. Bei der Rentenantragstellung sei eine Einwilligungserklärung abgegeben worden. Ein gesetzlicher Anspruch über umfassende Informationen über die angeforderten Unterlagen bestehe nicht. Eine Rente sei nach den gesetzlichen Vorschriften grundsätzlich zu befristen. Auf Dauer könne sie nur gewährt werden, wenn die Behebung der Erwerbsminderung unwahrscheinlich sei. Hierfür müssten schwerwiegende medizinische Gründe gegen eine Besserungsaussicht sprechen. Ärztliche Berichte, die zu einer anderen Beurteilung des Leistungsvermögens Anlass geben könnten, seien bisher nicht vorgelegt worden. Dies könne der Kläger nachholen. Bezüglich des Krankenversicherungsbeitrags sei der allgemeine Beitragssatz i.H.v. 15,5 Prozent anzuwenden. Ebenso sei der Beitrag zur gesetzlichen Pflegeversicherung allein durch den Kläger zu tragen. Beitragszeiten, die nach dem Eintritt der Erwerbsminderung lägen, seien hinsichtlich der Entgeltpunkte nicht zu berücksichtigen. Er werde jedoch darauf hingewiesen, dass der Bezug von Arbeitsentgelt nach Rentenbeginn umgehend angezeigt werden müsse. Bei der Bestimmung der beitragspflichtigen Einnahmen für den Zeitraum des Arbeitslosengeldbezugs sei die Höhe der tatsächlich gezahlten Sozialleistungen unbeachtlich, maßgeblich sei vielmehr das der Leistung zugrundeliegende Arbeitsentgelt, wobei 80 Prozent dieses maßgeblichen Arbeitsentgelts als beitragspflichtige Einnahmen für die gesetzliche Rentenversicherung gelten würden. Bei Aufrechterhaltung des Widerspruchs diesbezüglich werde um entsprechende Zusendung der Leistungsbescheide gebeten. Eine Hochrechnung von Beitragszeiten sei nicht erfolgt, lediglich bis 31. Oktober 2044 eine Zurechnungszeit zuerkannt worden. Bezüglich der Schulzeit von September bis Dezember 2007 hätten die Ermittlungen bei der staatlichen Fachoberschule und Berufsoberschule E-Stadt ergeben, dass es sich um eine allgemeine Schulausbildung gehandelt habe. Daher könne dieser Zeitraum nicht als Schulzeit berücksichtigt werden. Zudem sei der Abschlag zulässig vorgenommen worden, da der Kläger bei Beginn der Rente wegen Erwerbsminderung noch keine 62 Jahre alt gewesen sei. Eine Kürzung der Erwerbsminderungsrente vor dem 60. Lebensjahr sei auch verfassungsgemäß (Bl. 62 der Verwaltungsakte).

Es folgten Telefonate und weitere Schreiben zwischen den Beteiligten.

Auf Anfrage der Beklagten teilte die Arbeitsagentur Ulm erneut die rentenversicherungsrechtlichen Entgelte vom 1. September 2006 bis 12. August 2007 mit (Bl. 88 der Verwaltungsakte).

Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 9. September 2014 als unbegründet zurück. Ein Anspruch auf eine unbefristete Rente bestehe nicht, da weiterhin keine schwerwiegenden medizinischen Gründe vorlägen, die gegen eine rentenrechtlich relevante Besserungsaussicht sprechen würden. Die Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung seien zutreffend berechnet worden. Beitragszeiten nach dem 30. September 2013 könnten keine Berücksichtigung finden. Die Höhe der beitragspflichtigen Einnahmen während des Arbeitslosengeldbezugs seien zutreffend berücksichtigt worden. Eine Zurechnungszeit über den 31. Oktober 2044 hinaus sei nicht anzuerkennen. Hinsichtlich der Zeit September bis Dezember 2007 (Schulzeit) sowie bezüglich des Rentenabschlags wurden die Ausführungen aus dem Hinweisschreiben wiederholt.

Hiergegen hat der Kläger am 23. September 2014 Klage am Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben.

Die Beklagte hat dem Kläger mit Bescheid vom 18. August 2015 die Rente wegen voller Erwerbsminderung befristet bis zum 28. Februar 2019 weiter bewilligt (Bl. 54 der Gerichtsakte; Widerspruchsbescheid vom 19. September 2017, Bl. 173 der Gerichtsakte, Verfahren vor dem Sozialgericht Ulm, Az. S 6 R 3162/17). Sodann hat die Beklagte dem Kläger mit Rentenbescheid vom 11. Juli 2018 die Rente wegen voller Erwerbsminderung weiterhin befristet bis zum 31. Juli 2021 bewilligt (Bl. 246 der Gerichtsakte). Mit Bescheid vom 19. Oktober 2018 hat die Beklagte die Erwerbsminderungsrente sodann ab 1. April 2014 neu festgestellt, wobei sie die ihr durch die Bundesagentur für Arbeit Ulm neu gemeldeten Entgelte (Bl. 320 der Gerichtsakte) berücksichtigt hat (Bl. 322 ff. der Gerichtsakten).

Mit der Klageschrift hat der Kläger beantragt, den Widerspruchsbescheid vom 9. September 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid vom 9. April 2014 unter Berücksichtigung seiner zutreffenden Ausführungen vom 9. Mai 2014 abzuändern und soweit dann noch erforderlich über den Hilfsantrag vom 9. Mai 2014 zu entscheiden, sowie, die Beklagte durch Zwischenurteil zu verurteilen, die von ihm begehrten Auskünfte und Informationen zu erteilen bzw. mitzuteilen, auch soweit diese Daten und Informationen nach dem Auskunftsantrag (zuletzt vom 9. Mai 2014) betreffen.

Mit Schriftsatz vom 15. Dezember 2014 hat der Kläger sodann die Klage dahingehend erweitert, dass die Beklagte zur Schmerzensgeldzahlung in Höhe von mindestens 5.000,  € wegen vorsätzlicher Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht verurteilt werde (Bl. 11 der Gerichtsakte). Mit Schriftsatz vom 14. August 2015 hat der Kläger sodann die Klage weiter dahingehend erweitert, festzustellen, dass die Beklagte im jeweiligen Verwaltungsverfahren die ärztliche Schweigepflicht in Bezug auf die Einwilligungen vom 19. Juni 2012 (Rehabilitation) und 9. Dezember 2013 (Rente) durch Nichtbeachtung der Einschränkungen verletzt habe (Bl. 50 der Gerichtsakte).

Mit Schriftsatz vom 9. April 2018 (Bl. 215 der Gerichtsakte) hat der Kläger sodann seine Klage dahingehend neu formuliert und erweitert:

1.    den Widerspruchsbescheid vom 9.9.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid vom 9.4.2014 unter Berücksichtigung der klägerseitigen Ausführungen abzuändern;
2.    die Beklagte zur Schmerzensgeldzahlung in Höhe von mindestens 25.000,- € zuzüglich Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 15.12.2014 gemäß §§ 288 Abs. 1, 291 BGB wegen der vorliegenden vorsätzlichen und beharrlichen Amtspflichtverletzung durch Nichtbeachtung der eingeschränkten Schweigepflichtsentbindung im Sinne von § 203 StGB nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG zu verurteilen, hilfsweise den Rechtsstreit insoweit an das Landgericht Kassel zu verweisen;
3.    die Beklagte zu Erstattung außergerichtlicher Kosten i.H.v. 1.242,84 € zuzüglich Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 8.6.2018 gemäß §§ 288 Abs. 1, 291 BGB wegen notwendiger außergerichtlicher Rechtsverfolgung gemäß § 249 Abs. 1 BGB zu verurteilen, hilfsweise den Rechtsstreit insoweit an das Landgericht Kassel zu verweisen;
4.    festzustellen, dass die Beklagte im jeweiligen Verwaltungsverfahren die ärztliche Schweigepflicht in Bezug auf die Einwilligungen vom 19. Juni 2012 (Rehabilitation) und 9. Dezember 2013 (Rente) durch Nichtbeachtung der Einschränkungen verletzt hat, hilfsweise den Rechtsstreit insoweit an das Landgericht Kassel zu verweisen.

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat nach Hinweis des Gerichts mit Schriftsatz vom 16. Juli 2019 die Klage endgültig neugefasst (Bl. 390 der Gerichtsakte).

Den zunächst gestellten Antrag auf Beiladung der Bundesagentur für Arbeit hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 9. April 2018 für erledigt erklärt.

Der Kläger verweist hinsichtlich seines Vortrags auf die Ausführungen im Verwaltungsverfahren. Der verbesserte Gesundheitszustand 2012 habe drei bis vier Monate angehalten und sich nach Wiederaufnahme der Arbeit bei seinem Arbeitgeber wiederum stetig verschlechtert. Seit dem Gerichtsgutachten habe sich sein Gesundheitszustand verschlechtert (Schriftsatz vom 15. März 2016, Bl. 105 der Gerichtsakte). Es liege offensichtlich eine strafbare mittelbare, vorsätzliche Körperverletzung im Amt vor. Der Rentenbescheid vom 19. Oktober 2018 sei teilweise rechtswidrig, da es fraglich sei, ob die durch die Bundesagentur für Arbeit gemeldeten Werte rechtlich korrekt berücksichtigt worden seien. Zudem könne die Beklagte die im Bescheid vom 9. April 2014 anerkannten Entgeltpunkte für beitragsgeminderte Zeiten nicht mehr absenken, da die Voraussetzungen des § 45 SGB X nicht vorlägen.

Der Kläger hat zuletzt wörtlich beantragt,

den Widerspruchsbescheid vom 9. September 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid vom 9. April 2014 unter Berücksichtigung der klägerseitigen Ausführungen abzuändern.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich hinsichtlich ihres Vortrags auf die Ausführungen im Bescheid und Widerspruchsbescheid.

Das Gericht hat zunächst Befundberichte des Hausarztes Dr. E. und des Psychiaters Dr. M., sowie der Vitos Klinik D-Stadt, Psychiatrie, eingeholt. 
Der Kläger hat einen Befundbericht des Diplom-Psychologen H. vom 4. Dezember 2013 zur Akte gereicht, wonach der Kläger sich ab 3. Januar 2013 in ambulanter Psychotherapie (Verhaltenstherapie) befunden habe. Eine Verbesserung der Symptomatik sei nicht erzielt worden. Eine Umwandlung in eine Langzeittherapie sei daher nicht geplant (Bl. 148 der Gerichtsakte). Ein ebenfalls eingereichter Befundbericht des Dr. M. vom 8. Januar 2014 listet Diagnosen auf und gibt an, dass der Kläger derzeit Sertralin 100 und Risperidon 1 erhalte.

Das Gericht hat Beweis erhoben über die Leistungsfähigkeit des Klägers und Prof. Dr. K. zum Sachverständigen ernannt. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 10. Dezember 2015 festgestellt, dass der Kläger in der Lage sei, leichte Arbeiten weniger als drei Stunden täglich an fünf Tagen in der Woche zu verrichten. Eine Befristung der Rente sei gerechtfertigt. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf das Gutachten verwiesen (Bl. 69 ff. der Gerichtsakte).

Der Kläger hat bezüglich des Gutachtens erwidert, dass dieses zahlreiche Fehler, unzutreffende Unterstellungen und nicht nachvollziehbare Schlussfolgerungen enthalte. Die Medikamente seien in Absprache mit den behandelnden Ärzten abgesetzt worden. Die Expositionsübungen seien durchgeführt worden, hätten jedoch ebenfalls eingestellt werden müssen. Eine Verhaltenstherapie von zwölf Monaten sei von Januar 2013 bis Januar 2014 durchgeführt worden. Weitere Krankentherapiesitzungen seien durch die Krankenkasse nicht genehmigt worden. Auch der Klinikaufenthalt in C-Stadt habe gezeigt, dass der Erfolg nicht von Dauer gewesen sei. Auch sei die Behandlung mit Serotonin-Wiederaufnahmehemmer nicht unumstritten. Das Alter des Klägers sei jedenfalls kein Kriterium, um die Dauerhaftigkeit der Erwerbsunfähigkeit auszuschließen.

Das Gericht hat sodann aufgrund des 2015 erfolgten Umzugs des Klägers neue Befundberichte des nunmehr behandelnden Hausarztes, Psychiaters, Diabetologen und Augenheilkundlers eingeholt.

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat erstmals mit Schriftsatz vom 14. November 2017 einen Antrag nach § 109 Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz gestellt und mit Schriftsatz vom 25. September 2018 Herrn Prof. Dr. Dr. S. als Sachverständigen benannt. Das Gericht hat mit Beweisbeschluss vom 11. Februar 2019 sodann den benannten Arzt als Sachverständigen nach § 109 Abs. 1 SGG ernannt und dem Sachverständigen aufgegeben, die durch den Sachverständigen Prof. Dr. K. beantworteten Fragen erneut nach ambulanter Untersuchung zu beantworten. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat daraufhin mit Schriftsatz vom 26. März 2019 um Hinweis gebeten, weshalb die gleichen Fragen verwendet würden, da es nur noch auf die Besserungswahrscheinlichkeit ankomme. Mit weiterem Schriftsatz vom 23. April 2019 hat der Prozessbevollmächtigte sodann ausgeführt, dass der Kläger vor Reduzierung der Beweisfragen keine Begutachtung zulassen werde. Der Kläger ist sodann nicht zum Begutachtungstermin am 25. April 2019 erschienen. Eine erneute Terminsmitteilung, übersandt mit Übergabeeinschreiben, ist dem Kläger nicht zugestellt worden, da dieser das bei der Poststelle hinterlegte Übergabeeinschreiben nicht abgeholt hat. Das Gericht hat zuletzt mit Ladungsschreiben vom 6. September 2019 dem Kläger letztmalig auf seine Mitwirkungspflichten hingewiesen und dem Kläger eine Frist zur Vereinbarung eines Begutachtungstermins bei Professor Dr. Dr. S. und Mitteilung an das Gericht bis 30. September 2019 gesetzt. Ein Empfangsbekenntnis diesbezüglich ist nicht zurückgesandt worden. Das Ladungsschreiben ist dem Prozessbevollmächtigten sodann per Postzustellungsurkunde und erneuter Fristsetzung bis 14. Oktober 2019, 12:00 Uhr, am 4. Oktober 2019 zugestellt worden. Eine Mitteilung über einen Begutachtungstermin ist nicht erfolgt, der Prozessbevollmächtigte hat zuletzt mit Schriftsatz vom 21. Oktober 2019 dass eine Begutachtung ohne Abänderung der Beweisfragen nicht erfolgen werde.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten ergänzend Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Der wörtlich gestellte Klageantrag,

den Widerspruchsbescheid vom 9. September 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid vom 9. April 2014 unter Berücksichtigung der klägerseitigen Ausführungen abzuändern.

war zunächst trotz anwaltlicher Vertretung und Hinweises des Gerichts auslegungsbedürftig und auslegungsfähig.

Das Gericht entscheidet gemäß § 123 SGG über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Bei der Auslegung ist der für das Gericht und die anderen Beteiligten erkennbare Klagevortrag einschließlich der Verwaltungsvorgänge heranzuziehen (vgl. Schmidt in: Meyer-Ladewig et. al., SGG, 12. Aufl. 2017, § 92 Rn. 12 m.w.N.). Es gilt der sogenannte Grundsatz der Meistbegünstigung. Zur Bezeichnung genügt damit im Wesentlichen das, was für die Abgrenzung des Streitgegenstandes ausreicht. Dabei ist unter Streitgegenstand der prozessuale Anspruch zu verstehen, nämlich das vom Kläger auf Grund eines bestimmten Sachverhalts an das Gericht gerichtete Begehren der im Klageantrag bezeichneten Entscheidung (vgl. Schmidt in: Meyer-Ladewig et. al., SGG, 12. Aufl. 2017, § 95 Rn. 4 und § 99 Rn. 2).

Maßgebliches Ziel des Klägers ist ausweislich seines Vortrags die Gewährung einer vollen Erwerbsminderungsrente auf Dauer. Die im Verlauf des Verfahrens gestellten weiteren Anträge, gerichtet auf Schadensersatz und Auskünfte durch die Beklagte, hat der Prozessbevollmächtigte zurückgenommen und den Antrag im Schriftsatz vom 16. Juli 2019 sowie in der mündlichen Verhandlung wie oben wiedergegeben gestellt. Weiterhin begehrt der Kläger eine Überprüfung der Höhe der Rentenzahlung im Hinblick auf die Anerkennung weiterer Zeiten bzw. Entgelthöhen. Diese Klageziele erreicht der Kläger jedoch nicht mit der wörtlich gestellten Anfechtungsklage isoliert gegen den Widerspruchsbescheid vom 9. September 2014 sowie einer Verpflichtungsklage allein bezüglich des Bewilligungsbescheids vom 9. April 2014. Notwendig ist vielmehr unter Einbezug der weiterhin ergangenen Bescheide bis zur Verkündung des Urteils eine Anfechtungsklage gegen die Bewilligungsbescheide und Widerspruchsbescheide sowie eine Leistungsklage.

Streitgegenständlich ist daher der Bescheid vom 9. April 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. September 2014, sowie der Bescheid vom 18. August 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. September 2017 und die Bescheide vom 11. Juli 2018 und 19. Oktober 2018, die der Kläger mit einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage nach §§ 54 Abs.1 und 4, 56 SGG angreift. Die Bescheide vom 18. August 2015 (in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. September 2017) und 11. Juli 2018, mit welchem die Rente bis nunmehr 31. Juli 2021 weiterbefristet wurde, sind nach § 96 SGG streitgegenständlich geworden. Denn durch die Weiterbefristung wurde die im ursprünglichen Bewilligungsbescheid enthaltene Ablehnung einer Gewährung über das festgelegte Fristende hinaus im Rahmen der weiteren Frist abgeändert (vgl. BSG Beschl. v. 17.8.2017 – B 5 R 248/16 B). Der Bescheid vom 19. Oktober 2018 ist nach § 96 SGG streitgegenständlich geworden, da die zustehende Rentenhöhe nach Berücksichtigung des neu gemeldeten Entgelts abgeändert wurde.

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine volle Erwerbsminderungsrente auf Dauer nach § 43 Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 102 Abs. 2 S. 5 Sechstes Sozialgesetzbuch (SGB VI) mit einem höheren Rentenzahlbetrag. Der Bescheid vom 9. April 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. September 2014, sowie der Bescheid vom 18. August 2015 und die Bescheide vom 11. Juli 2018 und 19. Oktober 2018 sind rechtmäßig und verletzten den Kläger nicht in seinen Rechten. Soweit die Beklagte den Widerspruch des Klägers hinsichtlich des Bewilligungsbescheids vom 18. August 2015 als unbegründet und nicht, wie zutreffend, als unzulässig, zurückgewiesen hat, ergibt sich hieraus keine Beschwer des Klägers.

Nach § 43 Abs. 1 S. 1 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Nach Satz 2 sind teilweise erwerbsgemindert diejenigen Versicherten, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Nach § 43 Abs. 2 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Nach Satz 2 sind voll erwerbsgemindert diejenigen Versicherten, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Nach § 102 Abs. 2 S. 1 werden u. a. Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit auf Zeit geleistet. Die Rentengewährung erfolgt nur unbefristet, wenn sie nicht von der Arbeitsmarktlage abhängt und es unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann; die letztgenannte Voraussetzung ist bei einer Gesamtdauer der Rentengewährung von neun Jahren stets zu bejahen, vgl. §102 Abs. 2 S. 5 SGB VI. Sinn und Zweck der durch das Gesetz als Regelfall vorgesehenen Befristung ist es zu vermeiden, dass durch die Rente die Motivation zur Rückkehr in das Erwerbsleben beeinträchtigt wird (vgl. Kühn in: Kreikebohm, SGB VI, 5. Aufl. 2017, § 102 Rn. 4). Eine Besserung ist dann unwahrscheinlich, wenn alle Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind und danach ein aufgehobenes Leistungsvermögen besteht. Schwerwiegende medizinische Gründe müssen gegen eine rechtlich relevante Besserungsaussicht sprechen, so dass ein Dauerzustand vorliegt. Davon kann erst ausgegangen werden, wenn alle Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind und auch danach ein aufgehobenes Leistungsvermögen besteht. Einzubeziehen sind alle Therapiemöglichkeiten nach allgemein anerkannten medizinischen Erfahrungen, also auch Operationen. Dies gilt unabhängig davon, ob diese duldungspflichtig sind oder nicht. Bestehen Unsicherheiten bezüglich der Frage, ob eine Besserung unwahrscheinlich ist, geht dies nach den Grundsätzen der materiellen Beweislast zu Lasten des Betroffenen (vgl. BSG Urt. v. 29.3.2006 – B 13 RJ 31/05). Es kommt nicht darauf an, ob die Leistungsminderung tatsächlich behoben wird. In zeitlicher Hinsicht ist es zudem nicht erforderlich, dass eine solche Behebung der Erwerbsminderung überwiegend wahrscheinlich ist, noch, dass diese in absehbarer Zeit wahrscheinlich sein muss (vgl. BSG Urt. v. 17.2.1982 – 1 RJ 102/80).

Hiervon ausgehend ist das Gericht zur Überzeugung gelangt, dass der Kläger voll erwerbsgemindert ist, jedoch nicht, dass eine Besserung unwahrscheinlich ist. Denn der Kläger ist angesichts der bei ihm festgestellten Leiden und unter Beachtung der daraus folgenden qualitativen Leistungseinschränkungen nur noch in der Lage, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes unter drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Hierbei bestehen noch ungenutzte Therapiemöglichkeiten, gegen die keine schwerwiegenden medizinischen Gründe sprechen. Die Beurteilung der zeitlichen Leistungseinschränkung und den sonstigen funktionellen Einschränkungen der Leistungsfähigkeit fallen in die Kompetenz des Richters, der insoweit lediglich den fachkundigen medizinischen Rat benötigt, aber im Übrigen in eigener Verantwortung und aus eigener Überzeugung bestimmen muss, welche Leistungseinschränkungen gegeben sind.

Der Sachverständige Dr. K. hat ein Leistungsvermögen des Klägers von unter drei Stunden arbeitstäglich mit weiteren qualitativen Einschränkungen für gegeben erachtet. Das Gericht schließt sich in vollem Umfang dieser Leistungsbeurteilung an, die nachvollziehbar, in sich stimmig und von dem Sachverständigen ausführlich begründet worden ist. Dr. K. hat nach einer umfassenden Befunderhebung aller Leiden des Klägers, unter Einbeziehung der Vorbefunde durch die behandelnden Ärzte und einer Anamnese der Vorgeschichte des Klägers, insbesondere die Entwicklung der Krankheit während der Erwerbstätigkeit, ein eingeschränktes Leistungsvermögen mit qualitativen Einschränkungen bescheinigt. Der Sachverständige diagnostizierte eine Zwangsstörung mit Zwangsgedanken und Zwangshandlungen, eine sonstige spezifische Persönlichkeitsstörung (erhöhter Perfektionismus und Gerechtigkeitsempfinden), Stottern bei Anspannung und Aufregung, sowie Ängste mit agoraphobischen Tendenzen.

Das Gericht ist aufgrund der Befundlage jedoch nicht überzeugt, dass eine Besserung dieses Zustands zu den Zeitpunkten der Entscheidungen der Beklagten, zuletzt im Bescheid vom 11. Juli 2018 unwahrscheinlich war oder nunmehr unwahrscheinlich ist. Diese Voraussetzung war zunächst nicht nach § 102 Abs. 2 S. 5 SGB VI zu bejahen, da die Rentengewährung noch keine 9 Jahre andauert. Es bestehen noch ungenutzte Therapiemöglichkeiten. Bereits im Dezember 2015 hat der Sachverständige Dr. K. in seinem Gutachten weitere Behandlungsmöglichkeiten durch eine Verhaltenstherapie unter Verwendung eines Seratonin-Aufnahmehemmers, insbesondere durch Expositionsübungen aufgezeigt. Dass der Kläger eine solche Therapie inklusive Expositionsübungen, unter Verwendung der Medikamente, vollständig durchgeführt hat, ergibt sich entgegen seiner Ausführungen gerade nicht aus den Befunden. Diese Therapie ist zudem nicht aus schwerwiegenden medizinischen Gründen ausgeschlossen.

Aus den vorliegenden Befunden ergibt sich zunächst eine Verbesserung der Diagnosen unter gleichzeitiger Absenkung der Dosierung der Medikamente, ohne dass eine Veränderung des Befunds eingetreten ist. Die durch den medizinischen Dienst der Beklagten und durch den Sachverständigen diagnostizierte Persönlichkeitsstörung findet sich in den aktuellen Befunden der behandelnden Ärzte und der Stellungnahme des medizinischen Dienstes der Beklagten nicht mehr. Diese diagnostizierten lediglich weiterhin die Zwangsgedanken und Zwangshandlungen, gemischt, die rezidivierende depressive Störung und den Diabetes mellitus Typ I. Zudem wurden die Medikamente niedriger dosiert. Bis September 2015 nahm der Kläger ausweislich der Ausführungen des behandelnden Psychiaters Sertralin 100 mg morgens und Quetiapin 150 mg abends, Medikamente, mit welchen die Serotoninaufnahme verhindert wird. Bereits im September 2015 setzte der Kläger das Sertralin jedoch eigenständig ab. Ausweislich des Arztbriefs des behandelnden Psychiaters vom 5. Oktober 2015 (Bl. 279 der Gerichtsakte) erfolgte dies eigenmächtig. Der Psychiater verschrieb sodann 20 mg Fluoxetin morgens, einen anderen Serotonin-Wiederaufnahmehemmer. Bereits im Arztbrief vom 15. Februar 2016 war sodann das Fluoxetin durch den Kläger wiederum selbständig abgesetzt und die Dosis des Quetiapin wurde auf 50mg abends herabgesenkt, im April 2016 sodann auf 25 mg. Als Grund hierfür wurde angegeben, dass der Kläger höhere Dosen nicht vertragen würde. Demgegenüber steht die Erhöhung der Dosis sodann im November 2017 auf erneut 50 mg und der zusätzlich verschriebenen Promethazin bis zu 30 mg. Eine ausführliche Verhaltstherapie mit Expositionsübungen ist weiterhin nicht durchgeführt worden.

Entgegen des Vortrags des Klägers wurden Expositionsübungen u.a. im häuslichen Umfeld im Rahmen der Verhaltenstherapie unter Verwendung eines Serotonin-Aufnahmehemmers bis 2014 nicht abschließend durchgeführt.

Die Therapie wurde vom 5. September bis 13. November 2012 in der stationären Behandlung in der Schönklinik C-Stadt begonnen. Die Klinik empfahl sodann die Fortführung der Expositionsübungen im häuslichen Umfeld unter psychotherapeutischer Begleitung, was im folgenden während der Verhaltenstherapie jedoch nicht geschah. Vielmehr empfahl im April 2014 die Vitos Klinik D-Stadt, neben der bisherigen zusätzlich ein Expositionstraining aufzunehmen und eine Gruppentherapie zu beginnen. Der Kläger erläuterte zudem gegenüber Dr. K. ausweislich der Anamnese im Gutachten, dass er die Expositionsübungen als überfordernd ansehe und nicht durchführe. Dies zeigt sich auch durch seine Ablehnung einer erneuten stationären Therapie in der Klinik C-Stadt 2015. Die Klinik erläuterte dem Kläger, dass die Expositionsübungen nunmehr Kern der Therapie seien. Da der Kläger diese nicht durchführen wollte, war eine Aufnahme in die Klinik nicht möglich (Bl. 57 der Gerichtsakte). Zugleich ergibt sich aus dem Entlassungsbericht der Klinik 2012, dass grundsätzlich durch eine Therapie mit Expositionsübungen eine Besserung erzielt werden kann. Mithilfe therapeutischer, medizinischer und ernährungstherapeutischer Unterstützung gelang es dem Kläger im Verlauf zunehmend besser, die Waschzwänge für sich zu regulieren. Auch der Kläger hat ausgeführt, dass der Zustand sich durch die Therapie verbessert habe. Insbesondere konnte er im Nachgang seine Arbeit wieder aufnehmen. Dort ist es dann wieder zu einer Verschlechterung gekommen. Dass die Expositionstherapie den an Zwangshandlungen und Zwangsgedanken leidenden Kläger erheblich fordert, ist dieser Therapieform immanent. Sinn und Zweck dieser Therapieform ist es gerade, die bisherigen Vermeidungsrituale eines Betroffenen abzustellen, indem er mit angstauslösenden Reizen konfrontiert wird. Dem Erkrankten wird abverlangt, entgegen seiner psychischen Erkrankung und den sich daraus ergebenden Reaktionsmustern eine andere Verhaltensweise auszuprobieren bzw. bisherige Verhaltensmuster von krankhaftem Wert nicht weiter zu verfolgen.

Darüber hinaus zeigt sich aus den Befunden, dass die bisherige Verhaltenstherapie niederfrequent ist. Der Kläger befindet sich ausweislich der vorliegenden Arztbriefe lediglich durchschnittlich alle drei Monate in persönlicher Behandlung. Bereits im Entlassungsbericht der Klinik C-Stadt 2012 wurde dargelegt, dass die Fortsetzung einer hochfrequenten Verhaltenstherapie unter Fortführung der Expositionsübungen notwendig sei.

Dass eine Besserung unwahrscheinlich im oben dargestellten Sinn ist, ergibt sich darüber hinaus nicht aus den Angaben der behandelnden Ärzte. Der behandelnde Psychiater gab in seinem Befundbericht gegenüber der Beklagten am 11. Juni 2018 an, dass die Besserungswahrscheinlichkeit von ihm nicht beurteilt werden könne, aber „eher nicht“ bestehe. Dies erfüllt jedoch nicht die oben dargestellten Anforderungen, da es insbesondere an Angaben zur vollständigen Ausnutzung aller möglichen Therapiemöglichkeiten fehlt. Auch soweit er im Befundbericht gegenüber dem Gericht vom 12. Juli 2018 ausgeführt, dass eine „Stabilisierung“ extrem unwahrscheinlich sei, ergeben sich Widersprüche zu den vorherigen Ausführungen, wonach der Gesundheitszustand schwanke. Zudem hat er nicht ausgeführt, dass die in Betracht kommenden Behandlungsmöglichkeiten erschöpft seien. Soweit die behandelnde Hausärztin in ihrem Befundbericht angibt, dass eine Besserung mit Sicherheit ausgeschlossen sei, ist dies aufgrund der letzten persönlichen Vorstellung des Klägers am 13. Oktober 2017 nicht nachvollziehbar. Zudem hat die Hausärztin dies nicht weiter detailliert begründet.

Dem Gericht waren mangels Erscheinens des Klägers zu den angebotenen Terminen sowie mangels Vereinbarung eines neuen Termins bei Dr. Dr. S. weitere Ermittlungen im Rahmen des Antrags nach § 109 Abs. 1 SGG nicht möglich. Der Kläger ist unter Hinweis auf die rechtlichen Konsequenzen nach § 103 SGG auf Folgen der Nichtvereinbarung eines Termins hingewiesen worden. Dies wurde seinem Prozessbevollmächtigten am 4. Oktober 2019 zugestellt, ein Eingang der Erklärung des Klägers ist bis zur gesetzten Frist bis 14. Oktober 2019 nicht zu verzeichnen gewesen. Vielmehr hat der Prozessbevollmächtigte erneut verdeutlicht, dass der gerichtlichen Aufforderung weiterhin nicht Folge geleistet werden würde. Die Amtsermittlungspflicht findet jedoch dort ihre Grenzen, wo die Beteiligten ihren Mitwirkungspflichten nicht nachkommen. Ohne Erscheinen des Klägers ist dem Gericht eine Begutachtung des Klägers nach ambulanter Untersuchung unmöglich. Eine Begutachtung nach Aktenlage kam zur Überzeugung des Gerichts nicht in Betracht. Denn bei den bisher beim Kläger diagnostizierten Erkrankungen (Zwangsstörungen, depressive Episode) handelt es sich um solche, bei denen der persönliche Eindruck des Sachverständigen einen maßgeblichen Einfluss hat. Zwangsstörungen nach ICD F42 sind dann zu diagnostizieren, wenn Zwangsgedanken und Zwangshandlungen vorliegen. Das Vorliegen der Zwangsgedanken kann ein Sachverständiger jedoch nur dann selbst diagnostizieren, wenn er mit der zu begutachtenden Person spricht. Auch das Ausmaß von Zwangshandlungen bedarf einer ausführlichen Anamnese, die die Befundberichte der behandelnden Ärzte nicht erbringen können. Eine depressive Episode zeichnet sich schwerpunktmäßig dadurch aus, dass sie sich durch Stimmungswechsel auszeichnen (Definition nach ICD F.32) und insbesondere zwischen den Graden leicht bis schwer, mit und ohne psychotischen Symptomen rangiert. Das Gericht hat hierbei ebenfalls mit einbezogen, dass der behandelnde Psychiater angegeben hat, dass der Gesundheitszustand des Klägers Schwankungen unterliege, daher nicht von einem einheitlichen Krankheitsbild ausgegangen werden könne. 

Der Kläger hatte für das Nichterscheinen zudem keinen Grund. § 109 Abs. 1 SGG gibt dem Kläger die Möglichkeit, das Gericht zu weiteren Ermittlungen von Amts wegen durch Anhörung eines bestimmten Arztes zu zwingen, wobei der Kläger hierbei das Beweisthema bestimmt (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig et. al., SGG, 12. Aufl. 2018, § 109 Rn. 4 mw.N.). Die durch das Gericht verwendeten Beweisfragen entsprachen dem durch den Kläger gesetzten Beweisthema. Soweit der Kläger vorträgt, zu klären sei lediglich nur noch, ob eine Erwerbsunfähigkeit auf Dauer vorliege, so widerspricht dies nicht den durch das Gericht gestellten Fragen. Die detaillierten Beweisfragen stellen vielmehr sicher, auch im Interesse des Klägers, dass das Gutachten schlüssig und auch mit dem durch Prof. Dr. K. erbrachten Gutachten vergleichbar ist. Die singuläre Antwort auf die Frage, ob die Erwerbsunfähigkeit auf Dauer ist, birgt das Risiko, dass sich hieraus nicht nachvollziehbar die zugrundeliegenden Diagnosen und die durch den Sachverständigen daraus angenommenen zeitlichen und qualitativen Einschränkungen ergeben. Auch ist es grundsätzlich möglich, dass der Sachverständige aus seinem persönlichen Eindruck andere Erkrankungen oder weitere Erkrankungen diagnostiziert. 

Der Beginn der Erwerbsminderungsrente wurde entsprechend § 101 Abs. 1 SGB VI (i.d. ab 1.9.2009 gültigen Fassung) ab dem siebten Monat nach Eintritt des Leistungsfalls am 15. September 2013 ab 1. April 2014 geleistet. Die Befristungen entsprechen den gesetzlichen Vorgaben. Die Erstbefristung erfolgte gemäß § 102 Abs. 2 S. 2 SGB VI, indem die Beklagte dem Kläger zunächst eine Erwerbsminderungsrente ab 1. April 2014 bis 29. Februar 2016 für ein Jahr und 11 Monate gewährte. Die Weiterbewilligungen bis 28. Februar 2019 und sodann bis 31. Juli 2021 überschritten den dreijährigen Rahmen des § 102 Abs. 2 S. 4 SGB VI nicht.

Auch hinsichtlich der Höhe der gewährten Rente ist die Rentengewährung, zuletzt mit Bescheid vom 19. Oktober 2018, rechtmäßig.

Die Höhe der dem Kläger nach § 43 Abs. 2 S. 1 SGB VI grundsätzlich zustehenden Erwerbsminderungsrente richtet sich gemäß §§ 63 Abs. 6, 64 SGB VI nach dem aktuellen Rentenwert, der Anzahl der Entgeltpunkte und dem Zugangsfaktor. Persönliche Entgeltpunkte werden nach § 66 Abs. 1 SGB VI in Abhängigkeit der Beitragszeiten, beitragsfreien Zeiten, Zuschlägen für beitragsgeminderten Zeiten sowie weiteren Zuschlägen unter Heranziehung des Zugangsfaktors ermittelt. Bei den vorliegend geltend gemachten Zeiten der Arbeitslosigkeit mit Leistungsbezug begegnet die Berechnung bzw. Belegung der Zeiten vom 1. Januar 2005 bis 12. August 2007 (Unterhaltsgeld/ Arbeitslosengeld während einer geförderten Ausbildung, sowie ab 12. Juli 2017 Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit) keinen rechtlichen Bedenken, insbesondere hinsichtlich der Berechnung. Denn die Beklagte hat die Zeiten weiterhin als beitragsgeminderte Zeiten (vgl. § 54 Abs.  S. 1 i.V.m. § 3 S. 1 Nr. 3 und § 58 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB VI) berücksichtigt und unter Anwendung des § 71 Abs. 2 SGB VI einen Zuschlag vergeben. Aufgrund der Meldung höherer Entgelte durch die Bundesagentur erhöhten sich die Entgeltpunkte der Pflichtbeitragszeiten, zugleich verringerten sich die Entgeltpunkte aus beitragsgeminderten Zeiten, da aufgrund der höheren Entgelte der Zuschlag geringer ausfiel. Soweit der Prozessbevollmächtigte des Klägers ohne Begründung behauptet, die gemeldeten Entgelte seien unzutreffend, ergibt sich hieraus kein Fehler des Rentenbescheids. Denn die Beklagte kann lediglich diejenigen Rentenzeiten und Entgelte umsetzen, die ihr gemeldet werden. Insoweit ist es vielmehr erforderlich, wie bereits während des hiesigen Verfahrens geschehen, dass der Kläger die Vollstreckung des Urteils des Sozialgerichts Ulm betreibt, soweit er weiterhin der Ansicht ist, ihm stünde die Meldung höherer Entgelte zu. 

Ein Anspruch auf eine höhere Rentenhöhe ergibt sich zudem nicht aus den im Bescheid vom 9. April 2014 angegebenen Entgeltpunkten für beitragsgeminderte Zeiten und der Absenkung dieser Zeiten im Bescheid vom 19. Oktober 2018. Denn die Angabe dieser Entgeltpunkte stellt keinen Verwaltungsakt, sondern lediglich ein Begründungselement in der Berechnung der zustehenden Rentenhöhe dar. 

Ein Verwaltungsakt nach § 31 S. 1 SGB X ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Der Verwaltungsakt trifft eine Regelung, wenn er darauf gerichtet ist, eine Rechtsfolge zu setzen, wenn er also ein subjektives Recht feststellt oder beseitigt oder eine Pflicht begründet (BSG Urt. v. 5.9.2006 – B 4 R 71/06 R). Bei der Prüfung, ob eine Regelung vorliegt, sind maßgeblich die für die Auslegung von Willenserklärungen maßgeblichen Grundsätze anzuwenden, das heißt, wie der Empfänger die Erklärung bei verständiger Würdigung nach den Umständen des Einzelfalles objektiv verstehen musste. Abzustellen ist auf den Empfängerhorizont eines verständigen Beteiligten, der in Kenntnis der tatsächlichen Zusammenhänge den wirklichen Willen der Behörde erkennen kann (BSG Urt. v. 12.12.2001 – B 6 KA 3/01 R).

Nach diesen Grundsätzen ist der Angabe der einzelnen Berechnungsschritte zur Ermittlung der persönlichen Entgeltpunkte, insbesondere der Entgeltpunkte für beitragsgeminderte Zeiten, keine Regelung zu entnehmen. Bei verständiger Würdigung des Bescheids vom 9. April 2014 ergibt sich, dass die Beklagte in der Anlage zum Bescheid lediglich zur Nachvollziehbarkeit der bewilligten Rentenhöhe die einzelnen Berechnungsschritte aufzeigen wollte.

Soweit der Kläger seine Klage zudem auf die weiteren im Verwaltungsverfahren vorgetragenen Gründe stützt, wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf den Widerspruchsbescheid vom 9. September 2014 und das Schreiben der Beklagten vom 23. Mai 2014 verwiesen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.

Das zulässige Rechtsmittel der Berufung folgt aus §§ 143 ff. SGG.
 

Rechtskraft
Aus
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