L 28 KR 228/23 B

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
28.
1. Instanz
SG Frankfurt (Oder) (BRB)
Aktenzeichen
S 21 KR 65/22
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 28 KR 228/23 B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 31. März 2023 aufgehoben.

 

Das Verfahren ist wegen der unter Ziffer 6 der Klageschrift vom 14. März 2022 erhobenen Schadensersatzansprüche weiterhin beim Sozialgericht Frankfurt (Oder) zum Aktenzeichen S 21 KR 65/22 anhängig.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.

 

Die weitere Beschwerde wird nicht zugelassen.

 

 

Gründe

 

Auf die Beschwerde des Klägers vom 30. Mai 2023, mit der er sich gegen den ihm am 27. April 2023 zugestellten Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 31. März 2023 wendet, mit dem das Sozialgericht einen Teil der in dem erstinstanzlichen Klageverfahren geltend gemachten Ansprüche (konkret Ziff. 6 der Klage vom 14. März 2022) abgetrennt und den Rechtsstreit insoweit an das für sachlich und örtlich als zuständig erachtete Landgericht Duisburg verwiesen hat, war der Beschluss des Sozialgerichts aufzuheben.

 

I. Der Kläger hat mit seinem Schreiben vom 30. Mai 2023, mit welchem er wörtlich „im Wege der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Rüge und Gegenvorstellung“ gegen den aus seiner Sicht willkürlichen Beschluss des Sozialgerichts vom 31. März 2023 erhebt, nach entsprechender Auslegung durch den Senat das Rechtsmittel der Beschwerde eingelegt (vgl. §  123 Sozialgerichtsgesetz – SGG), wie ihm mit Schreiben des Gerichts vom 18. Juli 2023 mitgeteilt worden ist. Einwände dagegen hat er nicht erhoben.

 

II. Die zulässige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

 

1. Die Beschwerde ist gemäß § 202 SGG i. V. m.  § 17a Abs. 4 Satz 3 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) statthaft. Hiernach ist die gerichtliche Entscheidung über die Rechtswegverweisung mit der sofortigen Beschwerde gemäß den Vorschriften der jeweiligen Verfahrensordnung anfechtbar. Sie ist auch im Übrigen zulässig (vgl. § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG i. V. m. § 173 SGG).

 

2. Die Beschwerde gegen die Verweisung der vom Kläger unter Ziff. 6 seiner Klageschrift (vom 14. März 2022) gegen die Beklagte erhobenen und vom Sozialgericht abgetrennten Schadensersatzansprüche an das Landgericht Duisburg ist begründet. Es fehlt an den Voraussetzungen für die Rechtswegverweisung, weil der Rechtsweg für die im vorliegenden Beschwerdeverfahren gegenständliche Streitigkeit durch Gesetz vor den Sozialgerichten eröffnet ist.

 

Hält das Gericht des ersten Rechtszuges den zu ihm beschrittenen Rechtsweg für unzulässig, hat es dies gemäß § 202 Satz 1 Halbsatz 1 SGG i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG nach Anhörung der Parteien von Amts wegen auszusprechen und den Rechtsstreit an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtsweges zu verweisen. Eine Verweisung des Rechtsstreits ist jedoch nur dann geboten und zulässig, wenn der beschrittene Rechtsweg schlechthin nicht eröffnet ist. Denn das Gericht des zulässigen Rechtsweges entscheidet den Rechtsstreit gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten (vgl. BSG, Beschluss vom 6. März 2023 – B 1 SF 1/22 R – juris Rn. 7).

 

Der Rechtsweg zu den Sozialgerichten ist insbesondere in den in § 51 Abs. 1 SGG näher bezeichneten öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten eröffnet. Aus § 51 Abs. 1 Nr. 10 SGG folgt, dass die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten entscheiden, für die durch Gesetz der Rechtsweg vor diesen Gerichten eröffnet wird. So liegt es hier.

 

Der Kläger verlangt von der Beklagten Schadensersatz und Schmerzensgeld im Wege der Staatshaftung und macht wörtlich einen „Staatshaftungsschaden“ geltend wegen Verstößen gegen die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), die Mitarbeitende der Beklagten im Zusammenhang mit der Ablehnung von Fahrtkosten zu einer ambulanten Behandlung nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) begangen haben sollen. Art. 82 DSGVO begründet Ansprüche auf Schadensersatz gegen die an einer Datenverarbeitung beteiligten Verantwortlichen im Fall eines Verstoßes gegen Pflichten aus der DSGVO. Gemäß Art. 82 Abs. 6 DSGVO sind mit diesen Ansprüchen die Gerichte zu befassen, die nach den Rechtsvorschriften des jeweiligen Mitgliedsstaates zuständig sind, in denen der Verantwortliche eine Niederlassung hat (Art. 79 Abs. 2 DSGVO). Dies sind auf der Grundlage von § 81b Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) die Sozialgerichte. Denn eine Klage auf Schadensersatz nach § 82 DSGVO ist bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen eine Klage in diesem Sinne ist (dazu a). Diese Rechtswegzuweisung wird weder durch § 839 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) i.V.m. Art. 34 Satz 3 Grundgesetz (GG) verdrängt (dazu b.), noch ist die einfachgesetzliche Rechtswegzuweisung des § 40 Abs. 2 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) vorliegend anwendbar (dazu c.).

 

a) Gemäß § 81b Abs. 1 SGB X ist für Klagen der betroffenen Person gegen einen Verantwortlichen oder einen Auftragsverarbeiter wegen eines Verstoßes gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen im Anwendungsbereich der Verordnung (EU) 2016/679 oder der darin enthaltenen Rechte der betroffenen Person bei der Verarbeitung von Sozialdaten im Zusammenhang mit einer Angelegenheit nach § 51 Absatz 1 und 2 SGG der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit eröffnet. Eine solche Klage liegt hier vor.

 

Gegenstand der hier zu Nr. 6 erhobenen und nach Abtrennung durch das Sozialgericht allein im Beschwerdeverfahren gegenständlichen Klage ist ein Schadensersatzanspruch wegen eines geltend gemachten Verstoßes gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen der DSGVO bzw. der in ihr enthaltenen Rechte der betroffenen Person bei der Verarbeitung der Sozialdaten im Zusammenhang mit einer Angelegenheit nach § 51 Abs. 1 SGG. Denn die Beklagte hat als Krankenkasse, deren Mitglied der Kläger ist, im Zusammenhang mit Anträgen des Klägers auf die Gewährung von Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung, konkret der Krankenbehandlung und Begleitleistungen (Fahrtkosten), Daten des Klägers gespeichert und verarbeitet.

 

Auch die weiteren Voraussetzungen des § 81b SGB X sind erfüllt. Die Beklagte hat im Zusammenhang mit einem Antrag auf Leistungen Sozialdaten des Klägers i.S.v. Art. 4 Nr. 1 DSGVO, mithin personenbezogene Daten verarbeitet. Sozialdaten sind personenbezogene Daten (wie z. B.  Namen), die von einer in § 35 SGB I genannten Stelle im Hinblick auf ihre Aufgaben nach diesem Gesetzbuch, d.h. mit fachlichem Bezug, verarbeitet werden (HK-SozDatenschutzR/Meißner, SGB X, 5. Aufl. 2023, § 67 Rn. 6). Erfasst sind damit u.a. alle Sozialleistungsträger (Wiesner/Wapler/Walther, SGB I, 6. Aufl. 2022, § 35 Rn. 7) und demzufolge auch die Beklagte als Krankenkasse, soweit sie, wie hier, ihre Aufgaben nach dem SGB V wahrgenommen hat. Der Kläger klagt auch als betroffene Person i.S.v. Art. 4 Nr. 1 DSGVO gegen die Beklagte als Verantwortliche i.S.v. Art. 4 Nr. 7 Halbsatz 2 DSGVO.

 

b) Die durch Gesetz i.S.d. § 51 Abs. 1 Nr. 10 SGG geregelte Rechtswegzuweisung des § 81b SGB X wird nicht durch Art. 34 Satz 3 GG verdrängt. Dabei kann offenbleiben, ob der Kläger daneben überhaupt Ansprüche auf Amtshaftung i.S. des Art. 34 Satz 3 GG i. V. m. § 839 BGB geltend macht. Denn der Schadensersatzanspruch gemäß Art. 82 Abs. 1 DSGVO i.V.m. § 81b SGB X ist kein Amtshaftungsanspruch, für den Art. 34 Satz 3 GG den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten garantiert (vgl. BSG, Beschluss vom 6. März 2023 – B 1 SF 1/22 R – juris Rn. 19 ff. m.w.N.). Es handelt sich schon deshalb nicht um einen Amtshaftungsanspruch, weil er sich nicht gegen einen Amtswalter richtet, sondern unmittelbar gegen den i.S.d. DSGVO Verantwortlichen, hier die beklagte Krankenkasse (vgl. BSG, a.a.O., Rn. 24 m.w.N.).

 

c) Die abdrängende Sonderzuweisung des § 40 Abs. 2 Satz 1 VwGO, wonach für vermögensrechtliche Ansprüche aus Aufopferung für das gemeine Wohl und aus öffentlich-rechtlicher Verwahrung sowie für Schadensersatzansprüche aus der Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten, die nicht auf einem öffentlich-rechtlichen Vertrag beruhen, der ordentliche Rechtsweg eröffnet ist, führt zu keiner anderen Bewertung. Diese Bestimmung tritt hinter dem spezielleren § 81b Abs. 1 SGB X zurück (BSG, a.a.O., Rn. 24 a.E.).

 

3. Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Rechtsstreit vom Sozialgericht Frankfurt (Oder) an ein anderes, örtlich zuständiges Sozialgericht zu verweisen (gewesen) wäre. Gemäß § 57 Abs. 1 SGG ist örtlich zuständig das Sozialgericht, in dessen Bezirk der Kläger zur Zeit der Klageerhebung seinen Sitz oder Wohnsitz oder in Ermangelung dessen seinen Aufenthaltsort hat; steht er in einem Beschäftigungsverhältnis, so kann er auch vor dem für den Beschäftigungsort zuständigen Sozialgericht klagen.

 

Dafür, dass der Kläger, der seit Juni 2022 von der Beklagten Krankengeld bezog, weiter in einem Beschäftigungsverhältnis stände, ist nichts ersichtlich. Im Übrigen war er zwar noch im Februar 2023 seit 2005 in Düsseldorf mit Wohnanschrift förmlich gemeldet. Jedoch ist er nach eigenen Angaben zum Zeitpunkt der Erhebung der Klage vor dem Sozialgericht Frankfurt (Oder) am 14. März 2022 wohnungslos gewesen und hat in Frankfurt (Oder) seinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt. Für die Richtigkeit dieser Angabe spricht die von ihm übersandte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eines Arztes mit Praxis in F  die am 14. März 2022 für den Kläger ausgestellt wurde. Seinen in Duisburg wohnhaften Bruder hat er dagegen lediglich als Zustellbevollmächtigten angegeben.

 

4. Die Aufhebung des Beschlusses wegen fehlerhafter Rechtswegverweisung erfasst zugleich die allein zu diesem Zweck vom Sozialgericht vorgenommene Abtrennung des Schadensersatzanspruchs (vgl. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 15. Dezember 2015 – L 1 KR 320/15 NZB – juris Rn. 9). 

 

III. Die Kostenentscheidung bleibt dem Hauptsacheverfahren vorbehalten, weil es vorliegend bei dem vom Kläger zutreffend beschrittenen Rechtsweg verbleibt. Im Fall einer begründeten Rechtswegbeschwerde gibt es von vornherein keinen Ansatzpunkt, um einen der Beteiligten isoliert mit Rechtsverfolgungskosten im Beschwerdeverfahren zu belasten, weil weder der Kläger noch die Beklagte unterlegen sind (so für Verfahren im Sinne des § 183 SGG im Ergebnis auch BSG, Beschluss vom 1. April 2009 – B 14 SF 1/08 R –; vgl. auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20. Februar 2019 – L 7 AS 2024/18 B – juris Rn. 13 und LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 8. Oktober 2021 – L 4 AS 341/21 B – juris Rn. 25; anders wohl BSG, Beschluss vom 6. März 2023 – B 1 SF 1/22 R – juris Rn. 26). Das Verfahren ist für den – anwaltlich nicht vertretenen Kläger (vgl. insofern § 18 Nr. 3 RVG)  gemäß § 183 Satz 1 SGG gerichtskostenfrei. Insofern kommt es nicht darauf an, dass im Übrigen Gerichtsgebühren nur anfallen, wenn gemäß Nr. 7504 Kostenverzeichnis zu § 3 Abs. 2 GKG die Beschwerde verworfen oder zurückgewiesen wird (vgl. auch BSG, Beschluss vom 4. April 2012 – B 12 SF 1/10 R – juris).

 

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG). Denn Gründe für eine Zulassung der weiteren Beschwerde nach § 17a Abs. 4 S. 5 GVG liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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