1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 16.323,34 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 11.11.2020 zu zahlen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Vergütung eines vollstationären Krankenhausaufenthaltes.
Die Klägerin ist die Trägerin der Klinik für Neurologie in C-Stadt.
Der bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte Patient D. H. befand sich in der Zeit vom 27.05.2019 bis 14.10.2019 in der Klinik der Klägerin zur vollstationären Behandlung.
Mit Rechnung vom 28.10.2019 bezifferte die Klägerin die Behandlungskosten in Höhe von 191.795,76 €. Die Abrechnung erfolgte unter Zugrundelegung der Diagnosis Related Group (DRG) A07C (Beatmung > 999 Stunden oder > 499 Stunden mit intensivmed. Komplexbeh. > 4900/4600/4600 Punkte, mit komplexer OR-Prozedur, ohne ECMO ab 384 Stunden, ohne Polytrauma, Alter > 15 Jahre oder mit intensivmed. Komplexbeh. > 2352/1932/2484 Punkte) mit einem Langliegerzuschlag (59 Tage) sowie dem Zusatzentgelt ZE D002 (Hochaufwendige Pflege bei Erwachsenen).
Die Beklagte zahlte die Rechnung der Klägerin zunächst und beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit der Überprüfung der Abrechnung.
Mit Gutachten vom 02.11.2020 kommt der MDK zu dem Ergebnis, dass die stationäre Krankenhausbehandlung um 12 Tage (03.10.2019 bis 14.10.2019) hätte abgekürzt werden können. Der Sozialdienst sei bereits am 01.10.2019 mit der baldmöglichsten Verlegung des Versicherten in ambulante Behandlung unter Gewährleistung pflegerischer Versorgung beauftragt worden.
Am 10.11.2019 hat die Beklagte den Differenzbetrag in Höhe von 16.323,34 € mit weiteren unstreitigen Forderungen der Klägerin verrechnet.
Mit undatiertem Schreiben hat die Klägerin dem MD-Gutachten vom 02.11.2020 widersprochen. Auf Nachfrage bei mehreren (7) geeigneten Leistungserbringern, sei am 08.10.2019 ein Aufnahmetermin für den 14.10.2019 mit dem Pflegezentrum M. in D-Stadt vereinbart worden. Eine frühere Entlassung sei nicht möglich gewesen, weil der Patient weiterhin einer medizinischen Versorgung, u. a. durch das Vorhandensein eines absaugpflichtigen Tracheostomas bedurfte.
Der MD ist dem Widerspruch ausweislich des Widerspruchsgutachtens vom 25.01.2021 nicht gefolgt. Die geschilderte Argumentation im Widerspruch sei nicht medizinischer Natur und durch den MDK nicht zu bewerten.
Die Klägerin hat am 23.04.2021 Klage erhoben.
Der Sozialdienst habe im vorliegenden Fall frühzeitig die Entlassung in eine geeignete Pflegeeinrichtung initiiert und vorbereitet.
Bereits am 26.09.2019 habe der Sozialdienst die gesetzliche Betreuerin Frau S. kontaktiert und den Überleitungsbogen mit der Bitte um Ausfüllung an den ärztlichen Dienst weitergeleitet. Daneben habe die zuständige Mitarbeiterin des Sozialdienstes, Frau G., eine Liste der in Frage kommenden Sonderpflegeheime an Frau S. übersandt.
Am 27.09.2019 habe Frau S. per Email mitgeteilt, dass alle Pflegeeinrichtungen auf der Liste angeschrieben werden sollen. Zeitgleich habe die Klägerin von der Beklagten die Mitteilung erhalten, dass bei dem Patienten der Pflegegrad 2 gegeben sei.
Erst am 30.09.2019 hätten alle Unterlagen vorgelegen, die zur Anmeldung in ein Pflegeheim mit der notwendigen neurologischen Reha-Phase F erforderlich waren. So wären erst am 30.09.2019 der Überleitungsbogen, die Rückmeldung der Krankenkasse zum Pflegegrad, die Rückmeldung von Frau S. bezüglich der Pflegeheimauswahl und die Einwilligung in das Entlassmanagement vorhanden gewesen. Der auf den 30.09.2019 datierte Antrag auf Höherstufung der Pflegeleistung sei durch die Klägerin direkt an die Beklagte gefaxt worden.
Daraufhin sei der Patient in sechs Sonderpflegeheimen im Umkreis von 50 Kilometern angemeldet worden (E.-Altenhilfezentrum, Altenpflegezentrum F.-Haus, J. Residenz, Haus K., Seniorenresidenz Haus L. und das N. Altenpflegezentrum).
Am 02.10.2019 sei durch den Sozialdienst bei den Sonderpflegeheimen nachgefragt worden. Das N. Altenpflegezentrum und die J. Residenz hätten mitgeteilt, dass keine Aufnahme möglich sei. Die anderen Sonderpflegeheime hätten mitgeteilt mit, dass der Patient auf Wartelisten stehe.
Der Patient sei am 07.10.2019 zusätzlich im M. Pflegezentrum angemeldet worden. Aus den der Anmeldung beigefügten Unterlagen sei eindeutig hervorgegangen, dass eine vollstationäre Pflege erforderlich war. Es sei u. a. mitgeteilt worden, dass der Patient sehr unruhig sei und lediglich einfachen Aufforderungen folgen könne. Der Patient sei umfassend bei verschiedensten Aktivitäten auf fremde Hilfe angewiesen. So müsse auch die Bronchialtoilette und die Kontrolle der Vitalzeichen durch die Pflegeeinrichtung übernommen werden.
Das M. Pflegezentrum habe am 08.10.2019 mitgeteilt, dass eine Aufnahme am 14.10.2019 (und damit drei Werktage später) möglich sei.
Der Sozialdienst habe daraufhin die Beklagte, die zuständigen Stellen im Krankenhaus und Frau S. informiert. Ferner sei der Hilfsmittelversorger angeschrieben worden. Nachdem die Hilfsmittelversorgung gesichert gewesen sei, sei der Patient wie geplant am 14.10.2019 entlassen worden.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 16.323,34 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 11.11.2020 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte beruft sich auf die Entscheidung des Großen Senats des Bundessozialgerichts vom 25.09.2007 (Az.: GS 1/06). Ob einem Versicherten vollstationäre Krankenhausbehandlung zu gewähren sei, richte sich nach dieser Entscheidung allein nach medizinischen Erfordernissen.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die Patientenakte der Klägerin und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Gemäß § 105 Abs. 1 SGG kann das Gericht nach Anhörung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist.
Die Klage ist als Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG zulässig, denn bei einer auf Zahlung der Behandlungskosten für einen Patienten gerichteten Klage eines Krankenhausträgers gegen eine Krankenkasse handelt es sich um einen sogenannten Parteienstreit im Gleichordnungsverhältnis, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt (BSG, Urteil vom 23.07.2002 – B 3 KR 64/01 R). Es ist demnach weder ein Vorverfahren durchzuführen noch eine Klagefrist zu beachten.
Die Klage ist begründet, denn der Klägerin steht der geltend gemachte Vergütungsanspruch für die vollstationäre Behandlung des bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherten Patienten D. H. auch in dem streitgegenständlichen Zeitraum vom 03.10.2019 bis 14.10.2019 nach der DRG A07C zu.
Demzufolge hatte die Beklagte gegenüber der Klägerin keinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch hinsichtlich des streitgegenständlichen, bereits von der Beklagten an die Klägerin gezahlten Teilbetrages der Rechnung der Klägerin vom 28.1.2019 in Höhe von 16.323,34 €, den sie mit weiteren unstreitigen Forderungen der Klägerin nach § 69 Abs. 1 S. 3 SGB V i.V.m. §§ 387 ff. BGB hätte aufrechnen können (vgl. zur Aufrechnung eines öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruches BSG, Urteil vom 19.9.2013 – B 3 KR 30/12 R).
Die Rechtsgrundlage des geltend gemachten Vergütungsanspruchs der Klägerin für die Behandlung des Patienten D. H. vom 03.10.2019 bis 14.10.2019 ist § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V i.V.m. § 7 Satz 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) und § 17b Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG), nebst der Fallpauschalenvereinbarung für das Jahr 2019 sowie der „Vertrag über die allgemeinen Bedingungen der Krankenhausbehandlung gemäß § 112 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB V“ zwischen der Hessischen Krankenhausgesellschaft und den Krankenkassen (-verbänden).
Wird die Versorgung in einem nach § 108 SGB V zugelassenen Krankenhaus durchgeführt und ist die Behandlung nach § 39 Abs. 1 SGB V erforderlich, entsteht die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse gegenüber einem Krankenhaus unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistungen des Krankenhauses durch einen Versicherten der Krankenkasse. Das zugelassene Krankenhaus erbringt kraft gesetzlicher Aufgabenzuweisung die den Versicherten von den Krankenkassen als Sachleistung geschuldete Krankenhausbehandlung; es ist gemäß § 109 Abs. 4 Satz 2 SGB V im Rahmen seines Versorgungsauftrages zur Behandlung der Versicherten nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften verpflichtet (BSG, Beschluss des Großen Senats vom 25.09.2007 – GS 1/06).
Die Krankenhausbehandlung wird nach § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB V vollstationär, stationsäquivalent, teilstationär, vor- und nachstationär sowie ambulant erbracht. Versicherte haben nach § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V Anspruch auf vollstationäre oder stationsäquivalente Behandlung, wenn die Aufnahme oder die Behandlung im häuslichen Umfeld nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann. Damit ist die vollstationäre Krankenhausbehandlung nachrangig gegenüber allen anderen Arten der Krankenbehandlung. Der Nachrang der vollstationären Behandlung trägt deren Bedeutung als medizinisch intensivste und aufwändigste Form der Krankenbehandlung Rechnung und stellt eine besondere Ausprägung des Wirtschaftlichkeitsgebotes (§ 12 Abs. 1 SGB V) dar.
Ob einem Versicherten vollstationäre Krankenhausbehandlung zu gewähren ist, richtet sich nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts allein nach den medizinischen Erfordernissen. Ermöglicht es der Gesundheitszustand des Patienten, das Behandlungsziel durch andere Maßnahmen, insbesondere durch ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege, zu erreichen, so besteht kein Anspruch auf stationäre Behandlung. Das gilt auch dann, wenn der Versicherte zur Sicherstellung der ambulanten Behandlung einer Betreuung durch medizinische Hilfskräfte in geschützter Umgebung bedarf und eine dafür geeignete Einrichtung außerhalb des Krankenhauses nicht zur Verfügung steht. (BSG, Großer Senat, Beschluss vom 25.09.2007 – GS 1/06).
Dies umfasst auch die Prüfung, ob, bei zunächst unstreitig bestehender vollstationärer Behandlungsbedürftigkeit, auch die gesamte Verweildauer des Patienten im vollstationären Bereich erforderlich war.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass vollstationäre Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit des Versicherten im Krankenhaus der Klägerin über den gesamten streitgegenständlichen Zeitraum vom 03.10.2019 bis 14.10.2019 bestand.
Endet ein zunächst bestehender stationärer Behandlungsbedarf i. S. d § 39 Abs. 1 SGB V, bedarf es einer Phase der Entlassung, die durch das Entlassungsmanagement geprägt ist. Nach § 39 Abs. 1a SGB V umfasst die Krankenhausbehandlung ein Entlassmanagement zur Unterstützung einer sektorenübergreifenden Versorgung der Versicherten beim Übergang in die Versorgung nach Krankenhausbehandlung. Die Rechtsprechung des Großen Senats (BSG, Beschluss des Großen Senats vom 25.09.2007 – GS 1/06) muss nach Überzeugung des Gerichts im Lichte dieses Entlassungsmanagements betrachtet werden.
Unter dieser Voraussetzung bestand in dem streitgegenständlichen Behandlungszeitraum für die weitere vollstationäre Krankenhausbehandlung ein medizinisches Erfordernis im Sinne der Rechtsprechung des Großen Senats, weil die Entlassung aufgrund der gebotenen Sonderpflege, u. a. wegen des absaugpflichtigen Tracheostomas, nur bei nahtloser Pflege durch qualifiziertes Personal in einer Sonderpflegeeinrichtung möglich war. Dies hat auch der Medizinische Dienst (MD) nicht in Abrede gestellt.
Die Beklagte kann sich insoweit nicht darauf berufen, dass nach der Rechtsprechung des Großen Senats auch dann kein Anspruch auf stationäre Behandlung bestehe, wenn der Versicherte zur Sicherstellung der ambulanten Behandlung einer Betreuung durch medizinische Hilfskräfte in geschützter Umgebung bedürfe und eine dafür geeignete Einrichtung außerhalb des Krankenhauses nicht zur Verfügung stehe. Dem steht in dem streitgegenständlichen Fall entgegen, dass vorliegend die Betreuung durch eine examinierte Pflegefachkraft und nicht durch eine medizinische Hilfskraft geboten war.
Soweit der MD ohne nähere Begründung behauptet, dass der Aufenthalt anhand der vorliegenden Unterlagen um 12 Tage hätte abgekürzt werden können, hat die Klägerin ausweislich ihrer Ausführungen im Schriftsatz vom 03.02.2023 substantiiert und nachvollziehbar dargelegt, dass eine frühere Verlegung des Patienten in eine Sonderpflegeeinrichtung im Rahmen des Entlassmanagements i. S. d. § 39 Abs. 1a SGB V nicht möglich war. Die Klägerin hatte zeitnah 6 Sonderpflegeheime im Umkreis von 50 Kilometern angeschrieben.
Die Entlassung des Patienten scheiterte daher nicht an unterbliebenem oder unzureichendem Entlassmanagement der Klägerin, sondern an mit der Behandlung zusammenhängenden Gründen.
Der streitgegenständliche Zinsanspruch der Klägerin folgt aus § 10 Abs. 4, Abs. 5 des Hess. Landesvertrages über die allgemeinen Bedingungen der Krankenhausbehandlung gemäß § 112 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 SGB V in Verbindung mit § 288 BGB.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO.