L 4 KR 450/21

Land
Niedersachsen-Bremen
Sozialgericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG Osnabrück (NSB)
Aktenzeichen
S 48 KR 28/20 KH
Datum
2. Instanz
LSG Niedersachsen-Bremen
Aktenzeichen
L 4 KR 450/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Osnabrück vom 17. August 2021 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird auf 4.796,27 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Streitig zwischen den Beteiligten, ob die Klägerin einen Anspruch auf (weitere) Vergütung für die stationäre Behandlung eines Versicherten der Beklagten hat.

Der 1996 geb. H. (im Folgenden: Versicherter) befand sich im Zeitraum vom 11. April 2016 bis zum 16. Juni 2016 nach einem Motorradunfall im Klinikum der Klägerin. Die Klägerin ist ein nach § 108 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zugelassenes Krankenhaus. Ausweislich des Berichtes der Klinik für Orthopädie, Unfall- und Handchirurgie der Klägerin vom 14. Juni 2016 erfolgte die Einweisung am 11. April 2016 notfallmäßig unter den Diagnosen Polytraumatisierungen, Schädel-Hirn-Trauma 1. Grades, Lungenkontusion beidseits, Fraktur 1. Rippe rechtsseitig, Fraktur Querfortsatz BWK-7 bis BWK-10 rechtsseitig, Beckenfraktur mit vorderer Beckenringfraktur beidseits, Beckenschaufelfraktur rechtsseitig sowie transanale hintere Beckenringfraktur linksseitig, subtrochantäre langstreckige Femurspiralfraktur linksseitig, 2.-gradig offene proximale Unterschenkelfraktur rechtsseitig. Nach einer Schockraumbehandlung erfolgte notfallmäßig die operative Stabilisierung der offenen Unterschenkelfraktur und der Oberschenkelfraktur rechtsseitig. Auf der Intensivstation erfolgten Massentransfusionen zur Stabilisierung des Versicherten. Bei zunehmender Stabilisierung erfolgte dann am 16. April 2016 bei Zunahme des beidseitigen pleuralen Ergusses die Anlage von Thoraxdrainagen. Bei deutlicher Besserung der Gesamtsituation konnte der Versicherte am 27. April 2016 extubiert werden. Der weitergehende intensivmedizinische Aufenthalt dauerte bis zum 2. Mai 2016. Nach Verlegung auf die periphere Station unter Entfernung der Thoraxdrainagen erfolgte die intensive krankengymnastische Übungsbehandlung. Unmittelbar im Anschluss an den stationären Aufenthalt befand sich der Versicherte zur Durchführung einer stationären Rehabilitationsmaßnahme in der I. Klinik in J..

Mit Endrechnung vom 30. Juni 2016 forderte die Klägerin von der Beklagten unter Angabe der DRG W01B (Polytrauma mit Beatmung mehr als 72 Stunden oder bestimmten Eingriffen oder IntK. mehr als 392/368/552, ohne Frührehabilitation, mit Beatmung mehr als 163 Stunden oder mit komplexer Vakuumbehandlung oder mit IntK. mehr als 588/552) einen Betrag in Höhe von insgesamt 71.993,71 Euro. Diesen Betrag beglich die Beklagte zunächst.

In der Folgezeit beauftragte sie den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK, seit dem 1. Juli 2021 MD) unter den Fragestellungen „War die Überschreitung der oberen Grenzverweildauer in vollem medizinischen Umfang begründet? Ist/sind die Prozeduren korrekt? Wäre die Verlegung in die Rehabilitationseinrichtung ggf. früher möglich gewesen? Ist die Anzahl der Beatmungsstunden korrekt? Sind die abgerechneten Zusatzentgelte korrekt? mit der Überprüfung des Behandlungsfalles. Gegenüber der Klägerin erteilte sie unter dem 14. Juli 2016 eine Prüfanzeige. Der MDK sei mit einer Teilprüfung und Fehlbelegungsprüfung beauftragt worden. Anhand der übermittelten Daten könne die Überschreitung der oberen Grenzverweildauer nicht im vollem Umfang nachvollzogen werden. Zum Ende des stationären Aufenthaltes hätten teilweise mehrere Tage zwischen den einzelnen Prozeduren gelegen. Nach dem 10. Juni 2016 seien keine Prozeduren mehr kodiert worden.

In seiner gutachterlichen Stellungnahme vom 14. November 2016 stellt der Sachverständige des MDK fest, dass die Grenzverweildauer nicht im vollem Umfang medizinisch begründet gewesen sei. Auch die Anzahl der Beatmungsstunden sei nicht korrekt notiert worden. Die stationäre Aufnahme des Versicherten sei als Polytrauma nach Verkehrsunfall erfolgt. Nach notfallmäßiger operativer Versorgung und Massentransfusion bei hämorrhagischer Instabilität sei die weitere intensivmedizinische Behandlung erfolgt. Die seitens der Klinik mitgeteilte Hauptdiagnose ICD-10 S72.2 (subtrochantäre Fraktur) sei korrekt angegeben worden. Die Nebendiagnosen und OPS-Codes seien in der vom Krankenhaus abgerechneten DRG nicht groupierungsrelevant. Anhand der vorliegenden Beatmungsprotokolle mit dokumentierten Beatmungsparametern hätten 373 Beatmungsstunden errechnet werden können. Die OPS-Codes 8-800.c3 (Transfusion von Vollblut, Erythrozytenkonzentrate und Thrombozytenkonzentrat: Erythrozytenkonzentrate: 16 TE bis unter 24 TE und OPS 6-002.r3 Applikation von Medikamenten, Liste zwei: Vorivonazol, parenteral: 1,2 g bis unter 1,6 g seien belegt. Anhand der vorliegenden Unterlagen sei Diagnostik und Therapie, die der besonderen Mittel des Krankenhauses bedurften bis zum 12. Juli 2016 ersichtlich. Komplikationen und eine i.V. Therapie sei nicht dokumentiert. Im Groupingergebnis kam der Sachverständige zu dem Ergebnis, dass vier Tage ohne Berechnung belegt seien.

Mit Schreiben vom 28. November 2016 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sich aufgrund des Prüfergebnisses des MDK ein Erstattungsbetrag in Höhe von 4.796,17 Euro ergebe. Laut Empfehlung des MDK hätte die Verweildauer des stationären Aufenthaltes um insgesamt vier Tage verkürzt werden können. Die Klägerin wurde aufgefordert, innerhalb von vier Wochen eine Stornierungsgutschrift und Neuberechnung sowie eine geänderte Entlassungsanzeige zu übermitteln.

Am 3. Februar 2017 verrechnete die Beklagte den geltend gemachten Erstattungsbetrag mit einem unstreitigen Behandlungsfall der Klägerin (KVNr. 357683358000, AufnahmeNr. 7 263686).

Die Klägerin hat am 25. Februar 2020 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Osnabrück erhoben. Sie begehrt eine Vergütung aus stationärer Krankenhausbehandlung in Höhe von 4.796,27 Euro nebst 2 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 10. Februar 2017. Die Klägerin habe die Kosten der stationären Krankhausbehandlung des Versicherten gegenüber der Beklagten korrekt liquidiert. Er habe der vollstationären Krankenhausbehandlung im Zeitraum vom 11. April 2016 bis 16. Juni 2016 bedurft. Aus den Behandlungsdokumentationen sei ersichtlich, dass der Versicherte bis einschließlich dem 14. Juni 2016 täglich mit Atemgymnastik, Krankengymnastik und Lymphdrainage behandelt worden sei. Vor dem Hintergrund des individuellen und lebensbedrohlichen Verlaufs des polytraumatisierten Patienten sei aus der ex-ante-Sicht der behandelnden Ärzte bis zum 16. Juni 2016 eine weitere ärztliche und pflegerische Überwachung erforderlich gewesen. Noch am 15. Juni 2016 hätte der operative Erfolg und die physischen Möglichkeiten des Patienten, die überhaupt Voraussetzung für eine Rehabilitation gewesen wären, durch eine Röntgenkontrolle belegt werden müssen. Erst dann hätten keine Gründe gegen eine Entlassung des Versicherten gesprochen. Die Klägerin habe die Kosten der stationären Behandlung auch in der Höhe nach korrekt ermittelt von unter Zugrundelegung der korrekten Kodierung der Diagnosen und Prozeduren sei hier die DRG W01B zur Abrechnung zu bringen. Dies sei auch zwischen den Beteiligten unstreitig.

Die Beklagte hat im erstinstanzlichen Verfahren die Auffassung vertreten, dass sich aus dem vorprozessual eingeholten sozialmedizinische Gutachten des MDK vom 24. November 2016 ergebe, dass von einer sekundären Fehlbelegung auszugehen sei. Zu verweisen sei auf die Einzelheiten des Gutachtens des MDK.

Mit Beweisanordnung vom 1. Oktober 2020 hat das SG den Sachverständigen Dr. K., Facharzt für Chirurgie, Unfallchirurgie und Orthopädie mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. In diesem orthopädisch-unfallchirurgischem Gutachten vom 30. Dezember 2020 hat der Sachverständige zusammenfassend die Auffassung vertreten, dass unter Berücksichtigung des Verletzungsmusters und der Langzeitbeatmung die Mobilisation im Rollstuhl und zuletzt an Unterarmgehstützen zeitgerecht verlaufen sei. Das Verletzungsmuster, das zur stationären Behandlung geführt habe, habe auch noch im Zeitraum vom 11. Juni bis 16. Juni 2016 vorgelegen. Insbesondere die Frakturfolgen und der Schaden des linken Beinnervengeflechtes hätte nicht innerhalb von acht Wochen abklingen können. Lediglich die Folgen der Gehirnerschütterung dürften am 11. Juni 2016 nicht mehr bestanden haben, während nach Lungenkontusion noch von einer respiratorischen Schwächung auszugehen sei, die aber bei frakturbedingter eingeschränkter Mobilität auf Stationsebene im betreffenden Zeitraum keine wesentliche Wirksamkeit mehr entfaltet habe. Ausweislich der Pflegedokumentation sei der Versicherte rollstuhlmobil selbstständig gewesen, hätte aber beim Stützengang noch der krankengymnastischen Betreuung bedurft. Zumindest zeitweilige Beschwerden seien bedarfsweise noch medikamentös behandelt worden, wobei nicht dokumentiert worden sei, welcher Art diese Beschwerden gewesen seien und auf welche Körperregionen sie sich bezogen hätten. Jedenfalls sei unfallchirurgisch eine mehrmonatige Beschwerdesituation nach Beinnervengeflechtschädigung zu erwarten. Ausweislich der Pflegedokumentation seien in dem streitigen Zeitraum noch krankengymnastisch angeleitete Mobilisierung an Unterarmgehstützen, Röntgenuntersuchungen und eine bedarfsweise Schmerzmittelgabe durchgeführt worden. Während des Zeitraums vom 11. Juni bis zum 16 Juli 2016 sei insbesondere die krankengymnastisch angeleitete Mobilisation als Mittel eines Krankenhauses eingesetzt worden. Nach den ärztlichen Dokumentationen bedurfte es eines jederzeit präsenten oder rufbreiten Arztes nicht mehr, während die bedarfsweise erforderliche Schmerzmedikation dafür spreche, dass rufbereites Pflegepersonal noch erforderlich gewesen sei. Der verantwortliche Krankenhausarzt hätte für den in Rede stehenden Zeitraum entscheiden müssen, ob die notwendige Mobilisation noch unter stationären Bedingungen erfolgen musste. Dabei sei der Hinweis wesentlich, dass die Berufsgenossenschaft am 30. Mai 2016 den Unfall als gesetzlich versichert anerkannt habe, sodass eine BGSW eingeleitet worden sei. Diese schließe sich in der hier zu beurteilenden Konstellation üblicherweise unmittelbar an den stationären Akutaufenthalt an und sei insofern davon abhängig, wann ein Behandlungsplatz in einer zugelassenen Einrichtung zur Verfügung stehe. Eine Indikation zur BGSW habe aufgrund des Verletzungsmusters und des zeitlichen Behandlungsaufenthaltes bestanden. Der akute Krankenhausaufenthalt hätte in zeitlicher und fachlicher Hinsicht mit einer Verlegung in BGSW abgeschlossen werden können. Nach den dokumentierten Befunden sei am 11. Juli 2016 eine Verlegung in die BGSW möglich gewesen, weil in dieser Form der stationären Weiterbehandlung die bedarfsweise Schmerzmedikation und der besondere Einsatz der therapeutischen Möglichkeiten gewährleistet seien. Die stundenweise Abwesenheit des Versicherten spreche aufgrund des Verletzungsmusters nicht gegen die Notwendigkeit einer stationären intensiven physiotherapeutischen Betreuung. Der am 11. Juli 2016 erreichte Grad der Rollstuhlmobilisierung ließe einen Aufenthalt außerhalb des Patientenzimmer sicher zu, ohne dass dadurch der Endpunkt des physiotherapeutischen Behandlungsbedarfes erreicht gewesen wäre.

Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 7. August 2021 die Beklagte verurteilt, der Klägerin 4.796,27 Euro nebst Zinsen in Höhe von zwei Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10. Februar 2017 zu zahlen. Die Klage sei zulässig und begründet. Die als reine Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG im Gleichordnungsverhältnis ohne Vorverfahren und Klagefrist zulässige Klage sei begründet. Die Klägerin habe Anspruch auf weitere 4.796,27 Euro aus der streitgegenständlichen Behandlung. Für die gesamte Zeit habe eine Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit vorgelegen. Nach § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V hätten Versicherte Anspruch auf vollstationären oder stationsäquivalente Behandlung durch ein nach § 108 SGB V zugelassen Krankenhaus, wenn die Aufnahme oder die Behandlung im häuslichen Umfeld nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich sei, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden könnte. Die Notwendigkeit von Krankenhausbehandlung sei davon abhängig, dass die Behandlung primär dazu diene, eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern, und gerade bezogen auf zumindest eines dieser Behandlungsziel die besonderen Mittel eines Krankenhauses erforderlich seien. Als solche Mittel sehe die Rechtsprechung die apparative Mindestausstattung des Krankenhauses, besonders geschultes Pflegepersonal und einen jederzeit präsenten bzw. rufbereiten Arzt an. Der Anspruch auf Krankenhauspflege setze weder den Einsatz all dieser Mittel voraus, noch genüge stets die Erforderlichkeit lediglich eines dieser Mittel. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) richte sich die Frage, ob einem Versicherten vollstationäre Krankenhausbehandlung zu gewähren sei, nach einer Entscheidung des Großen Senats aus dem Jahre 2007 grundsätzlich nach allein medizinischen Erfordernissen. Reiche nach den Krankheitsbefunden eine ambulante Therapie aus, so habe die KK die Kosten eines Krankenhausaufenthalts auch dann nicht zu tragen, wenn der Versicherte aus anderen, nicht mit der Behandlung zusammenhängenden Gründen eine spezielle Unterbringung oder Betreuung benötige und wegen des Fehlens einer geeigneten Einrichtung vorübergehend im Krankenhaus verbleiben müsse. Ob eine stationäre Krankenhausbehandlung aus medizinischen Gründen notwendig sei, hat das Gericht im Streitfall uneingeschränkt zu überprüfen. Es habe dabei von dem im Behandlungszeitpunkt verfügbaren Wissens- und Kenntnisstand des verantwortlichen Krankenhausarztes auszugehen. Eine Einschätzungsprärogative käme dem Krankenhausarzt nicht zu. Im vorliegenden Fall liege eine Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit bis zum 16 Juli 2016 vor. Das ergebe sich aus dem überzeugenden und nachvollziehbar begründeten Gutachten vom 30. Dezember 2020. Nach Ansicht des Gutachters sei in der streitgegenständlichen Zeit wegen der Schmerzmedikation rufbereites Pflegepersonal erforderlich. Deshalb sei ein stationärer Weiterbehandlung geboten gewesen. Eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme schließen sich in Fällen wie dem vorliegenden üblicherweise unmittelbar an den Krankenhausaufenthalt an. Eine stationäre Weiterbehandlung sei hier sicher erforderlich gewesen. Der Gutachter habe die Frage deshalb nicht abschließend beurteilt, da ihm keine Informationen vorgelegen hätten, ob sich im vorliegenden Fall eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme direkt angeschlossen habe, was aber der Fall sei. Dass eine ärztliche Rufbereitschaft wohl nicht mehr notwendig sei, stehe einem Anspruch nicht entgegen. Ein Krankenhaus habe Anspruch auf Vergütung, wenn es Versicherte stationär deshalb notfallmäßig versorge, weil sie zwar nicht mehr der Krankenhausbehandlung, wohl aber stationäre medizinische Rehabilitation bedürften, sie aber nicht erhalten hätten, obwohl ambulante Behandlung nicht ausreiche. Erbringe ein Krankenhaus einem Versicherten rechtmäßig stationäre medizinische Rehabilitationsnotfallbehandlung, habe es Anspruch auf Krankenhausvergütung gegen den zuständigen Rehabilitationsträger. Ansatzpunkt sei die Notfallversorgung. Im Notfall könne die Versorgung der Versicherten auch durch nicht zugelassene, aber akutbehandlungsbereite ärztliche Leistungserbringer abgesichert werden. Dies gelte auch im stationären Bereich und auch zwischen Akutversorgung im Krankenhaus und Rehabilitationseinrichtung. Für den Fall, dass der Versicherte zwar keinen Anspruch auf Krankenhausbehandlung, sondern auf stationäre medizinische Rehabilitation habe, diese aber noch nicht durch die Rehabilitationseinrichtung erfüllt werde, liege nach Rechtsprechung des BSG eine planwidrige Regelungslücke vor. Diesen seltenen Fall habe der Gesetzgeber übersehen und unbewusst nicht geregelt. Stationäre Krankenhaus- und stationäre medizinische Rehabilitationsbehandlung würden sich in Einzelkomponenten in der Sache überschneiden. Diese Rechtsprechung ließe sich auf den vorliegenden Fall, in dem die Rehabilitation durch die BG getragen werde, übertragen. Zudem liege ein Notfall im Sinne der Rechtsprechung vor. Nach der Rechtsprechung muss ein Notfall dergestalt vorliegen, dass eine notwendige Überleitung aus Kapazitätsgründen fehlschlage. Das BSG ließe in der Entscheidung zur Erfüllung dieser Voraussetzung genügen, dass der Versicherte nicht mehr stationärer Krankenhausbehandlung bedürfe, wohl aber ohne Behandlungsunterbrechung spezifischer stationärer medizinischer Rehabilitationsleistung mit laufender ärztlicher Betreuung bedürfe, und dass der Rehabilitationsträger dennoch einen Platz für stationäre medizinische Rehabilitation nicht zur Verfügung stelle. Dies sei hier der Fall. Der Gutachter habe eine nahtlose stationäre Anschlussbehandlung für notwendig erachtet. Die Überlegungen des BSG ließen sich auf den vorliegenden Fall, in dem die rufbereite pflegerische Versorgung im Vordergrund gestanden habe, übertragen. Schließlich müssten die Leistungen vergleichbar sein, sich also zumindest in Teilkomponenten überschneiden. Dies sei im Hinblick auf den Übergang in eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme durch die BG der Fall. Die Vergleichbarkeit zwischen Akutbehandlung und Rehabilitationsbehandlung habe des BSG in der zitierten Entscheidung bejaht. Dies ließe sich auf den Übergang in Maßnahmen durch andere Rehabilitationsträger übertragen. Das BSG rekurriere in seiner Entscheidung auf eine außerhalb des Krankenhauses stehende Versorgungsstruktur, die der andere Leistungsträger zu organisieren habe. Es sei also nicht entscheidend, dass die KK selbst ein Verschulden an der verspäteten Leistungserfüllung träfe.

Gegen den am 2. September 2021 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 23. September 2021 Berufung bei dem Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen eingelegt.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Osnabrück vom 7. August 2021 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erachtet die Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts für zutreffend und die Voraussetzungen für einen weiteren Vergütungsanspruch für gegeben.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den gesamten Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Diese sind Gegenstand der Entscheidungsfindung des Senates gewesen.

Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig, jedoch unbegründet. Zutreffend hat das Sozialgericht Osnabrück mit Gerichtsbescheid vom 7. August 2021 die Beklagte verurteilt an die Klägerin weitere 4.796,27 Euro für die Behandlung des Versicherten der Beklagten nebst Zinsen in Höhe von zwei Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10. Februar 2017 zu zahlen. Der Vergütungsanspruch der Klägerin beruht auf § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V in Verbindung mit der Pflegesatzvereinbarung. Auch für den Zeitraum vom 11. Juni bis zum 16. Juni 2016 bestand die Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit im Sinne von § 39 SGB V. Die Beklagte hat zu Unrecht mit einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch aufgerechnet. Bezüglich der weiteren Begründung wird auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts Osnabrück in seinem Gerichtsbescheid vom 7. August 2021 gemäß § 153 Abs. 2 SGG verwiesen.

Dass der Versicherte ab dem 11. Juni 2016 nicht ohne Weiteres aus der vollstationären Behandlung in die Häuslichkeit entlassen werden konnte, ergibt sich zweifelsfrei und überzeugend aus den Ausführungen des Gerichtssachverständigen der ersten Instanz. Dieser hat in seinem Gutachten vom 30. Dezember 2020 darauf hingewiesen, dass sich das Verletzungsmuster, das zur stationären Behandlung geführt habe, auch noch im Zeitraum vom 11. Juni bis zum 16. Juni 2016 vorgelegen habe. Insbesondere seien die Frakturfolgen und der Schaden des linken Bein- nervengeflechts noch nicht abgeklungen. Der Versicherte sei ausweislich der Pflegedokumentation rollstuhlmobil selbstständig gewesen, habe aber beim Stützgang noch der krankengymnastischen Betreuung bedurft. Der Sachverständige hat zudem darauf hingewiesen, dass aufgrund der Schmerzsituation und der Beschwerden des Versicherten bedarfsweise noch medikamentös behandelt worden sei. Der Gerichtssachverständige hat in seinen Ausführungen die unfallchirurgisch mehrmonatige Beschwerdesituation nach Beinnervengeflechtschädigung hervorgerufen. Nach den dokumentierten Befunden sei ab dem 11. Juni 2016 eine Verlegung in die BGSW (= berufsgenossenschaftliche stationäre Weiterbehandlung) möglich gewesen. Die BGSW ist eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme, die im Anschluss an die Akutbehandlung stattfindet und der Optimierung des Rehabilitationserfolges dienen soll (§ 34 SGB VII).

Das SG hatte zutreffend auf der Grundlage des Sachverständigengutachtens ausgeführt, dass zwar die Notwendigkeit ständiger ärztlicher Präsenz nicht vorlag, jedoch eine fortdauernde pflegerische Betreuung, insbesondere zur angepassten Schmerzmittelgabe erforderlich war. Für den erkennenden Senat steht fest, dass die Möglichkeit, den Versicherten in die ambulante Behandlung zu verweisen, im in Rede stehenden Zeitraum nicht bestand. Die einzige Alternative zur vollstationären Behandlung des Versicherten bestand in der Überleitung in die BGSW. Es sind auch keine Umstände erkennbar, dass die Klägerin im Rahmen des ihr obliegenden Entlassmanagement pflichtwidrig eine Verzögerung der Entlassung in die BGSW verursacht hat.  

Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Osnabrück ist sonach zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Festsetzung des Streitwertes richtet sich nach § 197a SGG i.V.m.  § 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz (GKG).

Gründe, die eine Zulassung der Revision rechtfertigen könnten (§ 160 Abs. 2 SGG), sind nicht ersichtlich.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Rechtskraft
Aus
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