L 7 AS 891/20

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 17 AS 2329/18
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 891/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Auch für vor dem 01.08.2016 beendete Bewilligungszeiträume gelten bei fristgerechter Beantragung einer abschließenden Entscheidung vorläufig bewilligte Leistungen nicht als abschließend festgesetzt (klarstellende Abgrenzung zur Senatsentscheidung v. 16.05.2024 - L 7 AS 938/21 - juris).

      1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 25. September 2020 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Sozialgericht zurückverwiesen.

 

      1. Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung des Sozialgerichts vorbehalten.

 

      1. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

T a t b e s t a n d

Im Streit sind die abschließende Ablehnung vorläufig bewilligter Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Leistungen) und die Erstattung erbrachter Leistungen für Juli bis Dezember 2015.

 

Der 1984 geborene, nach eigenen Angaben ledige, Kläger war von 2009 bis 2016 Mieter einer Wohnung in der Y.... Straße, A.... (vgl. Rechtsanwalt X...., fristlose Kündigung v. 03.05.2016), für die er ab September 2014 insgesamt 357,09 € (207,09 € Grundmiete + 150,- € Betriebskosten) monatlich zu zahlen hatte (vgl. Schreiben der Hausverwaltung v. 15.07.2014).

 

Zum 16.12.2013 meldete der Kläger ein Gewerbe mit folgenden Tätigkeiten an: Onlinehandel mit Textilien, Modeschmuck, Unterhaltungselektronik, Kommunikationselektronik, Computerzubehör, Printmedien, Bauhilfsleistungen, Möbelmontage, Veranstaltungsservice (keine Tätigkeiten nach § 34a GewO), Kraftfahrer (Gewerbe-Anmeldung v. 16.12.2013). In seinen ersten Erklärungen zum Einkommen (Anlage EKS) gab der Kläger unter Gewerbeart bzw. Tätigkeit zunächst Fahrer (vorerst) bzw. Fahrer (vgl. unter dem 28.01./14.05.2014 unterzeichnete Anlagen EKS) und danach Dienstleistungen bzw. Dienstleistungen im Onlinehandel an (vgl. unter dem 09.11.2014, 27.11.2015 10.06.2016 und 12.08.2016 unterzeichnete Anlagen EKS). Im Geschäftsverkehr firmierte er unter W....-Dienstleistungen. Im August 2016 teilte der Kläger dem Beklagten und zuständigen Finanzamt das Ruhen seines Gewerbes ab dem 01.09.2016 aus gesundheitlichen Gründen mit (vgl. Schreiben bzw. Veränderungsmitteilung v. 23.08.2016; s. weiterhin z.B. Vermerk des Beklagten über einen persönlichen Kontakt mit dem Kläger am 07.09.2016: "Transporttätigkeit inkl. Onlinehandel …. ruht"). Am 22.09.2016 belehrte der Beklagte den Kläger über ein "verbot von Verlustausgleich verschiedener Gewerbe", wies ihn auf nach "einzelnen Gewerken" getrennte Anlagen EKS für Juli 2014 bis Juni 2016 hin und hielt als "Gewerke" im vorgenannten Zeitraum "Kurierfahrten, Umzug- und Transport, Massage und Onlinehandel" fest (vgl. Vermerk des Beklagten v. selben Tag über einen persönlichen Kontakt mit dem Kläger).

 

Der Beklagte erbrachte dem Kläger seit 2005 Leistungen (vgl. Strafanzeige des Beklagten v. 01.03.2013).

 

Am 04.06.2015 beantragte der Kläger beim Beklagten die Weitergewährung von Leistungen (unter dem 02.06.2015 unterzeichnetes Antragsformular, u.a. mit Anlage EKS unter Angabe Dienstleistungen als Gewerbeart bzw. Tätigkeit). Der Beklagte bewilligte ihm für Juli bis Dezember 2015 - unter teilweiser Abweichung von seinen Angaben in der Anlage EKS und Berücksichtigung eines Einkommens aus selbständiger Tätigkeit von 175,04 € monatlich - vorläufig 696,06 € monatlich (Bescheid v. 25.06.2015).

 

Ab Dezember 2015 forderte der Beklagte den Kläger zu abschließenden Angaben über sein Einkommen auf (vgl. Schreiben v. 15.12.2015 und 29.06.2016), zuletzt "für jedes Gewerbe separat", da die Ausübung "verschiedene(r) … Tätigkeiten" anzunehmen sei (vgl. Schreiben v. 10.02.2017).

 

Am 02.06.2017 übersandte der Kläger dem Beklagten Unterlagen für die "abschließende Berechnung" für Juli bis Dezember 2015 (unter dem 01.06.2017 unterzeichnetes Schreiben nebst Anlagen). Nach seinen abschließenden Berechnungen sei nicht das vorläufig berechnete Einkommen, sondern ein Verlust von 1.409,30 € erzielt worden. Damit stehe ihm rückwirkend ein Anspruch auf volle Leistungen zu. In den fünf vorgelegten, ebenso unter dem 01.06.2017 unterzeichneten, Anlagen EKS gab der Kläger unter Gewerbeart bzw. Tätigkeit folgenden Gewinn bzw. Verlust an: Dienstleistungen - Gesamtabrechnung aller Bereiche 1.409,30 € Verlust, Dienstleistungen - Firma 9999,29 € Verlust, Dienstleistungen - Onlinehandel (eBay) 1144,87 € Verlust, Dienstleistungen - Lieferung 2.910,21 € Gewinn und Dienstleistungen - Mitarbeitervermietung 6.824,65 € Gewinn.

 

Der Beklagte lehnte den Antrag des Klägers vom 04.06.2015 ab, da er nicht hilfebedürftig sei (Bescheid v. 30.11.2017 mit der Überschrift: Ablehnungsbescheid endgültige Festsetzung des vorläufig erteilten Bescheides vom 25.06.2015). Für Juli bis Dezember 2015 werde ein monatliches Einkommen von jeweils 0,- € für die Tätigkeiten Dienstleistungen und Onlinehandel sowie von 485,04 € für die Tätigkeit Lieferungen und 1.137,44 € für die Tätigkeit Mitarbeitervermietung festgesetzt. Die einzelnen Beträge seien der Anlage (Berechnungsbogen) zu entnehmen. Weiterhin setzte der Beklagte die vom Kläger für Juli bis Dezember 2015 zu erstattenden Leistungen auf 696,06 € monatlich bzw. 4.176,36 € insgesamt fest (weiterer Bescheid v. 30.11.2017 mit der Überschrift: Erstattung von Leistungen bei endgültiger Festsetzung des Leistungsanspruches). Mit Bescheid vom 25.06.2015 seien dem Kläger "Leistungen … vorläufig bewilligt (§ 41a SGB II)" worden. Nachdem "endgültig entschieden werden konnte", habe der Kläger keinen Anspruch auf Leistungen, sei "die Berechnung dem beiliegenden Bescheid" zu entnehmen und müsse der Kläger vorgenannten "Betrag … erstatten (§ 41a Abs. 6 SGB II)".

 

Dagegen erhob der Kläger am 21.12.2017 Widerspruch (ein Schreiben v. 15.12.2017, vom Beklagten unter den Az.-Zusätzen W …. und W …. erfasst). Er habe von Juli bis Dezember 2015 kein Einkommen erzielt.

 

Der Beklagte wies den Widerspruch des Klägers zurück (Widerspruchsbescheid v. 04.06.2018, W ….). Der Kläger habe für jeden einzelnen Gewerbezweig Einnahmen und Ausgaben gesondert ausgewiesen. Eine Verflechtung der einzelnen Gewerbe oder eine gegenseitige Abhängigkeit könne nicht erkannt werden. Damit seien sie getrennt voneinander zu betrachten. Ein Ausgleich des Verlustes aus zwei Gewerben mit dem Gewinn in zwei anderen Geschäftsfeldern sei nicht möglich. "Gemäß § 41a Abs. 6 SGB II" seien die vorläufig zu hoch erbrachten Zahlungen zu erstatten.

 

Dagegen hat der Kläger am 09.07.2018 beim Sozialgericht Dresden (SG) Klage erhoben (Schreiben seines Bevollmächtigten v. selben Tag). Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 25.09.2020 hat der Kläger "nach entsprechendem Hinweis des Vorsitzenden" die Aufhebung der gegenständlichen Bescheide beantragt (vgl. Niederschrift über die mündliche Verhandlung, S. 3). Das SG hat die "Bescheide des Beklagten vom 30.11.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4.6.2018 … aufgehoben" (Urteil v. 25.09.2020). Der Beklagte habe die endgültige Leistungsfestsetzung nach der nicht anwendbaren Neuregelung des § 41a SGB II vorgenommen. Demzufolge sei auch der ergangene Erstattungsbescheid aufzuheben. Eine gerichtliche Entscheidung nach § 328 SGB III sei nicht angezeigt, da dies entgegen dem Gewaltenteilungsprinzip einem Neubescheid gleichkomme.

 

Gegen das - ihm am 29.09.2020 zugestellte - Urteil hat der Beklagte am 27.10.2020 beim erkennenden Gericht Berufung eingelegt. Es gehe lediglich um einen möglichen Austausch der Rechtsgrundlagen und nicht um den Erlass eines Bescheids. Die Jahresfrist für die endgültige Leistungsfestsetzung sei eingehalten worden. Der Kläger könne seinen Antrag vom 02.06.2017 entgegen seines erstinstanzlichen Vorbringens nicht zurücknehmen.

 

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 25.09.2020 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

Der Kläger beantragt,

            die Berufung zurückzuweisen.

 

Er verweist auf die Begründung des angefochtenen Urteils.

 

Dem Senat liegen neben der Gerichtsakte die vom Beklagten vorgelegten Teile der Verwaltungsakte (vgl. dessen Schreiben v. 30.10.2020) vor.

 

 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

 

 

Auf die Berufung des Beklagten ist die vorinstanzliche Entscheidung aufzuheben und die Sache an das SG zurückzuverweisen.

 

Gegenstand des Verfahrens (§ 95 SGG) sind neben der vorinstanzlichen Entscheidung die zwei Bescheide vom 30.11.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.06.2018 (W ….), mit denen der Beklagte nach vorläufiger Bewilligung (Bescheid v. 25.06.2015) abschließend über Leistungen für den Kläger von Juli bis Dezember 2015 entschieden und diese abgelehnt sowie die vom Kläger zu erstattenden Leistungen auf insgesamt 4.176,36 € festgesetzt hat. Beide Entscheidungen („Ablehnungsbescheid“ und „Erstattung von Leistungen bei endgültiger Festsetzung des Leistungsanspruchs“) bilden eine rechtliche Einheit, da sie in einem untrennbaren Regelungszusammenhang stehen und wechselseitig aufeinander bezogen sind (zur rechtlichen Einheit zwischen Bescheiden über abschließende Leistungs- und Erstattungsentscheidungen vgl. z.B. BSG v. 23.10.2018 - B 11 AL 20/17 R - Rn. 13; BSG v. 11.11.2021 - B 14 AS 41/20 R - Rn. 14 f.; BSG v. 13.07.2022 - B 7/14 AS 57/21 R - Rn. 15, 25). Dem entsprechend steht die einheitliche Entscheidung des Beklagten im Vorverfahren (Widerspruchsbescheid v. 04.06.2018, W ….) keiner gerichtlichen (Sach-) Entscheidung entgegen, auch wenn er zuvor das Widerspruchsschreiben des Klägers (Schreiben v. 15.12.2017) unter zwei Aktenzeichen (W …. und W ….) erfasst hat (zum Vorverfahren als Klagevoraussetzung vgl. § 78 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 SGG).

 

Die statthafte (§ 143 SGG), da nicht der Zulassung bedürftige (§ 144 Abs. 1 Satz 1 SGG), Berufung ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt (§ 151 Abs. 1 SGG).

 

Die Aufhebung der vorinstanzlichen Entscheidung und Zurückverweisung an das SG beruht auf § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG, da das SG die gegenständlichen Bescheide aus unzutreffenden Gründen aufgehoben hat, ohne sich mit den aufklärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Tat- und Rechtsfragen auseinanderzusetzen.

 

Mit dem gegenständlichen (einheitlichen) Bescheid hat der Beklagte nach dessen Auslegung (zur - sogar revisibelen - maßgeblichen Auslegung von auch öffentlich-rechtlichen Willenserklärungen, insbesondere Verwaltungsakten, nach dem objektiven Erklärungswert bzw. Empfängerhorizont vgl. z.B. BSG v. 01.03.1979 - 6 RKa 3/78 - juris Rn. 23 f. sowie aus jüngerer Zeit z.B. BSG v. 14.12.2023 - B 11 AL 2/23 R - Rn. 14) über den Anspruch des Klägers für Juli bis Dezember 2015 abschließend im Wege der sog. Nullfestsetzung entschieden, mithin den Leistungsantrag des Klägers vom 04.06.2015 abgelehnt, sowie die Erstattung der ihm vorläufig bewilligten (Bescheid v. 25.06.2015) und erbrachten Leistungen auf 696,06 € monatlich (insgesamt 4.176,36 €) festgesetzt. Darüber streiten die Beteiligten zu Recht nicht.

 

Die isolierte Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 SGG) gegen eine abschließende Entscheidung ohne Geltendmachung dessen, was als Leistung tatsächlich beansprucht wird, ist zwar grundsätzlich unzulässig (vgl. z.B. BSG v. 12.09.2018 - B 4 AS 39/17 R - Rn. 10 f. und die Parallelentscheidungen hierzu BSG v. 12.09.2018 - B 14 AS 4/18 R und B 14 AS 7/18 R - jeweils Rn. 9 f.; BSG v. 26.02.2020 - B 14 AS 133/19 B - Rn. 6; s. weiterhin aus jüngerer Zeit und einschränkend auf "im Grundsatz" z.B. BSG v. 13.12.2023 - B 7 AS
24/22 R - Rn. 13)
. Vielmehr wäre unter Berücksichtigung des klägerischen Vorbringens im Verwaltungs- und Vorverfahren die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4, § 56 SGG; vgl. hierzu weiterhin z.B. BSG v. 11.11.2021 - B 14 AS 41/20 R - Rn. 11, BSG v. 06.06.2023 - B 11 AL 38/21 R - Rn. 16) statthaft. Danach begehrte er noch höhere Leistungen als ihm vorläufig bewilligt, da anders als bei der vorläufigen Bewilligung von Leistungen kein Einkommen aus selbständiger Tätigkeit zu berücksichtigen sei. Zum Zeitpunkt der Klageerhebung beschränkte der Kläger sein Begehren (§ 123 SGG) auf die Aufhebung des gegenständlichen Bescheids, da die vorläufig bewilligten Leistungen nach Ablauf einer Jahresfrist als abschließend festgesetzt gelten würden (vgl. Schreiben seines Bevollmächtigten v. 09.07.2018, S. 2). Dieses Ziel kann der Kläger abweichend vom eingangs genannten Grundsatz mit einer isolierten bzw. reinen Anfechtungsklage erreichen (zur statthaften Anfechtungsklage bei Eintritt der Fiktionswirkung ohne Begehren auf höhere Leistungen als vorläufig bewilligt vgl. z.B. BSG v. 27.09.2023 - B 7 AS 17/22 R - Rn. 12 f.). Daher hat der Kläger trotz des in der Begründung unzutreffenden richterlichen Hinweises im Termin zur mündlichen Verhandlung am 25.09.2020 (hierzu sogleich) im Ergebnis einen sachdienlichen Antrag gestellt.

 

Rechtsgrundlage für die gegenständliche Entscheidung ist § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II (i.d.F. der Bekanntmachung v. 13.05.2011, BGBl. I S. 850) i.V.m. § 328 Abs. 2 f. SGB III (i.d.F. des Gesetzes v. 20.12.2012, BGBl. I S. 2854). Insbesondere findet die am 01.08.2016 in Kraft getretene Regelung zur abschließenden Entscheidung über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (§ 41a SGB II, hier i.d.F. des Gesetzes v. 26.07.2016, BGBl. I S. 1824) auf wie hier zuvor beendete Bewilligungszeiträume keine Anwendung (vgl. grundlegend BSG v. 12.09.2018 - B 4 AS 39/17 R - Leitsatz 1, Rn. 23 ff.), soweit sich nicht anderes aus der Übergangsvorschrift (vgl. Kapitel 11, Überschrift, SGB II) des § 80 Abs. 2 Nr. 1 SGB II (i.d.F. des vorgenannten Gesetzes <a.F.>; aufgehoben durch Gesetz v. 16.12.2022, BGBl. I S. 2328; mit einem anderen Regelungsgehalt erneut eingefügt durch Gesetz v. 22.12.2024, BGBl. I Nr. 408) ergibt (vgl. z.B. BSG v. 18.05.2022 - B 7/14 AS 1/21 R - Rn. 12 ff.; ausf. hierzu sogleich). Die Festsetzung der zu erstattenden Leistungen beruht auf § 328 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 SGB III.

 

Soweit hiervon abweichend im gegenständlichen Bescheid als Ermächtigungsgrundlage für dessen Erlass teils § 41a SGB II benannt wird (vgl. den Bescheid v. 30.11.2017 mit der Überschrift: Erstattung von Leistungen bei endgültiger Festsetzung des Leistungsanspruches: "wurden Ihnen … vorläufig bewilligt [§ 41a SGB II]", "müssen Sie erstatten [§ 41a Abs. 6 SGB II]"; Widerspruchsbescheid v. 04.06.2018, W 270/18, S. 2 f.: "Gemäß § 41a SGB II … Leistungsanspruch endgültig ermittelt.", "nach § 41a Abs. 6 SGB II … zurückzufordern" bzw. "zu erstatten"), ist er entgegen der vorinstanzlichen Auffassung allein aus diesem Grund nicht aufzuheben. Denn die Angabe einer unzutreffenden Ermächtigungsgrundlage ist unschädlich, wenn sie lediglich ein Element der Begründung des Verwaltungsakts (§ 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V.m. § 31 Satz 1, § 35 Abs. 1 Satz 1 f. SGB X; zu den Anforderungen an eine Begründung vgl. allgemein z.B. BSG v. 06.07.2022 - B 5 R 21/21 R - Rn. 16; zur Mitteilung der angewandten Rechtsnormen als rechtliche Gründe i.S.d. § 35 Abs. 1 Satz 2 SGB X vgl. z.B. Luthe in: jurisPK-SGB X, 3. Aufl., § 35 Rn. 15) ist, da bloße Begründungsmängel bei (rechts-) gebundenen Verwaltungsakten deren Aufhebung grundsätzlich nicht rechtfertigen (§ 42 Satz 1 SGB X, vgl. hierzu z.B. BSG v. 06.07.2022, a.a.O., Rn. 34 f.), soweit der Verwaltungsakt dadurch nicht in seinem Regelungsumfang oder seinem Wesensgehalt verändert oder die Rechtsverteidigung des Betroffenen in unzulässiger Weise beeinträchtigt oder erschwert wird (zur Erstattungspflicht von Vorschusszahlungen vgl. z.B. BSG v. 18.12.2012 - B 2 U 15/11 R - Rn. 38; zum Austausch der §§ 45, 48 SGB X, soweit kein Ermessen auszuüben ist, vgl. z.B. BSG v. 10.09.2013 - B 4 AS 89/12 R - Rn. 29, BSG v. 15.06.2016 - B 4 AS 41/15 R - Rn. 15; ausf. zur Abgrenzung zwischen dem Auswechseln der Rechtsgrundlage und / oder dem Nachschieben von [Rechts-] Gründen einerseits sowie einer Umdeutung nach § 43 SGB X andererseits vgl. z.B. BSG v. 07.04.2016 - B 5 R 26/15 R - Rn. 33).

 

Eine dieser Ausnahmen für den Austausch der Rechtsgrundlagen liegt hier nicht vor, da sich dadurch weder die Verfügungssätze des gegenständlichen Bescheids (Ablehnung von Leistungen mangels Hilfebedürftigkeit und Festsetzung des zu erstattenden Betrags) noch dessen Wesensgehalt wesentlich ändern würde oder die Rechtsverteidigung des Klägers ansatzweise beeinträchtigt wäre. Darüber hinaus hat § 41a SGB II das Regelungskonzept des § 328 SGB III teils modifizierend übernommen (vgl. ausf. hierzu z.B. BSG v. 12.09.2018 - B 4 AS 39/17 R - insb. Rn. 22, 26, 29 f.; BSG v. 18.05.2022 - B 7/14 AS
1/21 R - Rn. 17 ff.)
und sollte er vor allem der "Rechtsvereinfachung" dienen (vgl. allein den Titel des maßgeblichen Gesetzes v. 26.07.2016, BGBl. I S. 1824; zum kritischen Resümee siehe indes nur Schütze in: Festschrift Schlegel, 2024, S. 1073 ff.), gelten nach § 80
Abs. 2 Nr. 1 SGB II a.F. selbst für vor dem 01.08.2016 beendete Bewilligungszeiträume bestimmte Regelungen des § 41a SGB II (hierzu sogleich) und bestanden zum Zeitpunkt des Erlasses des gegenständlichen Bescheids noch erhebliche Unsicherheiten in der konkreten Rechtsanwendung nach der Einführung des § 41a SGB II (vgl. nur Karl, jurisPR-SozR 3/2019 Anm. 1 unter A.), zumal hierzu noch keine höchstrichterlichen Entscheidungen vorlagen (vgl. erstmals grundlegend hierzu BSG v. 12.09.2018 - B 4 AS 39/17 R, B 14 AS 4/18 R und B 14 AS 7/18 R). Dem steht auch nicht die erstinstanzlich zitierte Entscheidung (BSG v. 25.06.2015 - B 14 AS 30/14 R) entgegen, da sie das sog. "Nachschieben" einer entscheidenden Voraussetzung für die Rücknahme eines Verwaltungsakts, die sein Wesen ändern und die Rechtsverteidigung des Betroffenen beinträchtigen würde, betrifft (zu diesen Einschränkungen bei einer Umdeutung einer abschließenden Entscheidung in eine Aufhebungsentscheidung und umgekehrt vgl. z.B. BSG v. 27.09.2023 - B 7 AS 17/22 R - Rn. 22).

 

Schließlich kann der gegenständliche Bescheid kann auch nicht mit der erstinstanzlich nur von den Beteiligten erörterten Begründung aufgehoben werden, dass er erst ein Jahr nach dem Ende des streitigen Bewilligungszeitraums ergangen ist und die vorläufig bewilligten Leistungen als endgültig festgesetzt gelten (§ 41a Abs. 5 Satz 1, § 80 Abs. 2 Nr. 1
SGB II a.F.)
, da diese Frist hier erst am 01.08.2016 begann (§ 80 Abs. 2 Nr. 1 SGB II a.F.) und der Kläger vor der am 31.07.2017 endenden (Jahres-) Frist (zur Berechnung vgl. § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V.m. § 26 SGB X und §§ 187 bis 193 BGB; siehe z.B. BSG v. 27.09.2023 - B 7 AS 17/22 R - Rn. 16) am 02.06.2017 (Schreiben v. 01.06.2017) eine abschließende Entscheidung beantragt hat. Damit hat er nicht nur die vom Beklagten angeforderten Unterlagen (vgl. Schreiben v. 15.12.2015, 29.06.2016 und 10.02.2017) vorgelegt (zur Übersendung von Unterlagen, einschließlich der Anlage EKS, mit der angekreuzten Option "abschließende Angaben", und der Angabe "ja jetzt [könne] endlich die abschließende Bearbeitung vorgenommen werden", als mangelnden Antrag i.S.d. § 41a Abs. 5 Satz 1 SGB II vgl. z.B. BSG v. 27.09.2023 - B 7 AS 17/22 R - Rn. 4, 18 ff.), sondern darüberhinausgehend "um schnellstmögliche Neuberechnung für meinen Anspruch auf Leistungen Rückwirkend für 07/15 - 12/15)" ersucht, da der Beklagte ihm "für den Zeitraum 07/15 - 12/15 nicht die vollen Leistungen bewilligt" habe, womit er höhere Leistungen als vorläufig bewilligt begehrte (vgl. bereits oben; s. auch BSG, a.a.O., Rn. 22 a.E. als Abgrenzungskriterium). Diese Ausführungen sind nach dem erkennbaren wirklichen Willen des Klägers (zur Auslegung entsprechender Erklärungen vgl. ebenso BSG, a.a.O., insb. Rn. 18 f.) als klarer und sachdienlicher Antrag auf Erlass einer abschließenden Entscheidung für den gegenständlichen Zeitraum auszulegen, da nur dies dem vorgebrachten Begehren entspricht. Nichts Anderes gilt im Übrigen unter Berücksichtigung des vergleichbaren Vorbringens des Klägers beim Beklagten für den Bewilligungszeitraum davor, nachdem der Beklagte sechs Monate nach Eingang der von ihm eingereichten Unterlagen darüber noch nicht entschieden hatte (vgl. z.B. die Schreiben v. 12.10.2017: "Antrag auf Nachberechnung" bzw. "Antrag der Nachberechnung"), worauf indes nur beiläufig ergänzend hingewiesen wird.

 

Damit gilt § 41a Abs. 5 Satz 1 SGB II nicht, da § 41a Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 SGB II nach dem Sinn und Zweck des § 80 Abs. 2 Nr. 1 SGB II a.F. sowie aus rechtsstaatlichen und systematischen Gründen auch auf vor dem 01.08.2016 beendete Bewilligungszeiträume anwendbar ist (vgl. nur LSG für das Land Nordrhein-Westfalen v. 21.11.2023 - L 2 AS 279/23 NZB - juris, Rn. 17 f.; Kallert in: BeckOGK, SGB II § 80 Rn. 13, Stand: 01.03.2019; Kemper in: Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5. Aufl., § 80 Rn. 10 a.E.; Harich in: BeckOK-SozR, SGB II § 80 Rn. 3, Stand: 01.12.2022). Dem Wortlaut des § 80 Abs. 2 Nr. 1 SGB II a.F. lässt sich nur zweifelsfrei entnehmen, dass für alle vorläufig beschiedene Leistungsansprüche für vor dem 01.08.2016 beendete Bewilligungszeiträume die Jahresfrist des § 41a Abs. 5 Satz 1 SGB II mit dem 01.08.2016 beginnt (vgl. z.B. BSG v. 12.09.2018 - B 4 AS 39/17 R - Rn. 24). Dass für diese Sachverhalte "nur" Satz 1 des § 41a Abs. 5 SGB II gelten soll, lässt sich dem Wortlaut indes nicht entnehmen, zumal nach den Materialien auch für vorgenannte Sachverhalte § 41a SGB II als Ganzes gelten sollte, sofern noch keine abschließenden Entscheidungen getroffen waren (vgl. z.B. BSG, a.a.O., Rn. 23). § 41a Abs. 5 Satz 1 SGB II wiederum ist dahingehend auszulegen, dass nicht nur fehlende abschließende Entscheidungen nach § 41a Abs. 3 SGB II erfasst werden, sondern auch unterbliebene endgültige Festsetzungen gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 328 SGB III, um - aus systematischen Erwägungen sowie nach Sinn und Zweck des § 80 Abs. 2 Nr. 1 SGB II a.F. (vgl. hierzu z.B. BT-Drucks. 18/8041, S. 62: "Den Jobcentern bleibt so ausreichend Zeit, die bisherigen vorläufigen Entscheidungen zu prüfen") - den Anwendungsbereich dieser Übergangsregelung zu erhalten (vgl. z.B. BSG v. 18.05.2022 - B 7/14 AS 1/21 R - Rn. 14). Aus gleichen Gründen ist vom Verweis des § 80 Abs. 2 Nr. 1 SGB II jedenfalls die - hier allein entscheidungserhebliche - Ausnahme von § 41a Abs. 5 Satz 1 SGB II in § 41a Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 SGB II erfasst (vgl. insb. Kemper, a.a.O., § 80 Rn. 10 a.E.; Harich, a.a.O., § 80 Rn. 3), zumal die Annahme der Geltung nur des Grundsatzes der zeitlich modifizierten (Fiktions-) Regelung (§ 41a Abs. 5 Satz 1 SGB II) ohne die Ausnahmen hiervon (§ 41a Abs. 5 Satz 2 SGB II) widersprüchlich erscheint. Jedenfalls aber wäre eine derartige Auffassung mit rechtsstaatlichen Gründen nicht vereinbar (zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an Übergangsbestimmungen vgl. z.B. BSG, a.a.O., Rn. 25), da es sonst die leistungsberechtigte Person - wie hier der Kläger - nicht mehr (allein) in der Hand hätte, vor Ablauf der maßgeblichen Jahresfrist eine abschließende Entscheidung zu seinen Gunsten durch einen Antrag zu erwirken (vgl. hierzu insb. Kallert, a.a.O., § 80 Rn. 13). Soweit der Senat hierzu unlängst eine andere Auffassung vertreten haben sollte (vgl. Urteil v. 16.05.2024 - L 7 AS 938/21 - juris), war dies mangels Antrags auf abschließende Entscheidung nicht tragend (a.a.O., Rn. 26) und wird daran klarstellend nicht festgehalten, zumal sich die als Begründung herangezogene Entscheidung des BSG (vgl. a.a.O., Rn. 21 ff. unter Bezug auf BSG v. 12.09.2018 - B 4 AS 39/17 R - Rn. 27) hierzu nicht verhält, da sich dessen Ausführungen auf die (Nicht-) Anwendung des § 41a Abs. 3 SGB II beziehen (vgl. BSG, a.a.O., Rn. 21 ff.). Schließlich kann ein Antrag i.S.d. § 41a Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 SGB II entgegen des erstinstanzlichen Vorbringens nicht zurückgenommen werden kann, da er materiell-rechtliche Auswirkungen entfaltet, und könnte der Kläger auch im Wege des sog. sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs (vgl. hierzu letztens z.B. BSG v. 10.04.2024 - B 7 AS 1/23 R - Rn. 32) nicht bessergestellt werden, da sein Antrag zur Durchsetzung seines Begehens auf abschließend höhere Leistungen selbst bei umfassender und zutreffender Beratung (§ 14 SGB I) notwendig und sachdienlich gewesen wäre (vgl. hierzu allg. ebenso z.B. LSG für das Land Nordrhein-Westfalen v. 21.11.2023 - L 2 AS 279/23 NZB - juris,
Rn. 19)
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Materiell-rechtlich sind insbesondere Fragen zum (sog. horizontalen) Verlustausgleich innerhalb derselben Einkommensart bei der Berechnung des Einkommens aus selbständiger Arbeit, Gewerbebetrieb oder Land- und Forstwirtschaft (§ 3 Alg II-V in der hier maßgeblichen, von Juli 2011 bis Juli 2016 geltenden, Fassung der Verordnung v. 21.06.2011, BGBl. I S. 1175) entscheidungserheblich (vgl. hierzu z.B. BSG v. 17.02.2016 - B 4 AS 17/15 R - Rn. 21 ff.; BSG v. 19.03.2020 - B 4 AS 1/20 R - Rn. 25). Hierzu verhält sich die vorinstanzliche Entscheidung nicht. Nach dem derzeitigen Stand können sie vom Senat ohne weitere Erforschung des Sachverhalts (§ 103 SGG) auch nicht ansatzweise beantwortet werden, da es hierzu der Feststellung weiterer Tatsachen insbesondere zur Art und konkreten Ausübung des vom Kläger angemeldeten Gewerbes sowie dem Zusammenhang der angegeben Ausgaben und Einnahmen bedarf, zumal der Beklagte nach seinem Vermerk vom 22.09.2016 ("Gewerke in diesem Zeiträumen waren Kurierfahrten, Umzug- und Transport, Massage und Onlinehandel") unter Umständen über Erkenntnisse verfügt(e), die weder aktenkundig sind noch mit den von ihm vorgelegten Akten ohne Weiteres nachvollzogen werden können. Im gerichtlichen Verfahren haben die Beteiligten hierzu bislang nichts vorgebracht.

 

Damit liegen nach dem Vorstehenden die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG vor. Zwar hat das SG durch die Aufhebung der gegenständlichen Bescheide in der Sache entschieden, indes zugleich zu den entscheidungserheblichen Fragen weder Stellung genommen noch Feststellungen getroffen, da eine "Entscheidung … nach § 328 SGB III nicht angezeigt" sei. Unter diesen Umständen ist die (entsprechende) Anwendung des § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG gerechtfertigt (vgl. hierzu z.B. Sächs. LSG v. 18.03.2021 - L 3 AL 1/20 - juris insb. Rn. 23 ff.; dagegen z.B. Adolf in: jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 159 Rn. 15 und Sommer in: BeckOGK, SGG, § 159 Rn. 8 f., Stand: 01.08.2024).

 

Für die Senatsentscheidung (vgl. § 159 Abs. 1 SGG: "kann") sprechen im Wesentlichen folgende Erwägungen (zum Erfordernis der Darlegung vgl. z.B. Adolf, a.a.O., § 159 Rn. 22, 26, 27): Die Beteiligten verlieren dadurch keine Tatsacheninstanz, zumal nach dem Vorstehenden am bisherigen Klagebegehren (§ 123 SGG) Zweifel bestehen und der Rechtsstreit nicht ansatzweise entscheidungsreif ist. Zugleich wird durch die ausnahmsweise Aufhebung der vorinstanzlichen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an das SG der trotz sinkender Eingangszahlen immer noch mit einem hohen Verfahrensbestand belastete Senat (zur Situation in der Sächsischen Sozialgerichtsbarkeit vgl. zuletzt ausführlich Jahrespressebericht der Sächsischen Sozialgerichtsbarkeit 2022, herausgegeben v. Sächs. LSG, Stand April 2023, abrufbar unter www.justiz.sachsen.de/lsg > Presse- und Medieninformation > Jahresberichte) entlastet.

 

Die Zurückverweisung an eine andere Kammer des SG sieht das Gesetz nicht vor (vgl. z.B. Adolf, a.a.O., § 159 Rn. 26; Keller in: Meyer-Ladewig u.a., SGG, 14. Aufl., § 159 Rn. 5e).

 

Das SG wird auch über die Kosten des Berufungsverfahrens zu entscheiden haben (vgl. z.B. Keller, a.a.O., § 159 Rn. 5f).

 

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 f. SGG) sind nicht gegeben.

 

Rechtskraft
Aus
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