L 2 SO 2414/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
2.
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 9 SO 2065/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 SO 2414/16
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 12. Mai 2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung und geltend gemachte Erstattung von im Rahmen der Leistungen zur Grundsicherung bei Erwerbsminderung von der Beklagten gewährten Leistungen der Kosten der Unterkunft, ausgezahlte Grundmiete für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis 30. Juni 2005 in Höhe von 847,62 € bzw. für die Zeit vom 1. Juli 2005 bis 31. Dezember 2011 in Höhe von 11.019,06 €.

Der Kläger bezieht bei der Beklagten bereits seit Januar 2003 Leistungen zur Grundsicherung, da er nach den Feststellungen des Rentenversicherungsträgers - ohne die beitragsrechtlichen Voraussetzungen für einen entsprechenden Rentenanspruch zu erfüllen, - auf Dauer erwerbsunfähig bzw. voll erwerbsgemindert ist.

Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 22. Februar 1996 war dem Kläger von seiner Schwester (E1) an der von ihm bereits seit 1993 bewohnten Wohnung P1 in H1 ein Nießbrauch eingeräumt, der am 8. August 1996 in das Grundbuch eingetragen worden ist.

Der Beklagten waren die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen den Kläger hinsichtlich eines Leistungsbetruges im Zusammenhang mit Einnahmen aus Tätigkeiten als Umzugshelfer sowie wegen Steuerhinterziehung (spätestens) seit Ende April 2009 bekannt. Im November 2011 erhielt die Beklagte erstmals über das Hauptzollamt aufgrund entsprechender Ermittlungen und Durchsuchungen Kenntnis von dem Nießbrauch des Klägers an der von ihm bewohnten Wohnung seiner Schwester.

Die Beklagte hatte dem Kläger zuletzt mit Bescheiden vom 10. Februar 2011 bzw. vom 8. April 2011 für das Kalenderjahr 2011 Leistungen der Grundsicherung in Höhe von monatlich 582,38 € bewilligt. Hierbei hatte die Beklagte den Bedarf des Klägers wie folgt zuletzt im Bescheid vom 8. April 2011 berechnet:

Regelbedarf                                                   364,00 €
abzüglich Stromanteil (aus KdU)                 -28,29 €
Kranken- und Pflegeversicherung                 143,51 €
Grundmiete                                                    147,27 €
anerkannte Nebenkosten                               30,00 €
Heizkosten                                                     33,25 €
Gesamtbedarf                                                683,74 €

Einkommensermittlung
nichtselbstständige Arbeit (Umzugshelfer)   150,00 €
abzüglich Freibetrag Erwerbseinkommen     - 43,44 €
abzüglich Arbeitsmitteln                               -  5,20 €
anrechenbares Gesamteinkommen                101,36 €

Grundsicherungsanspruch                             582,38 €.


Hierbei wurden - wie schon über die Jahre zuvor hinweg und oben bereits dargestellt - auch Aufwendungen für Unterkunft und Heizung berücksichtigt (monatliche Grundmiete 141,27 €, monatliche Heizkosten 33,25 € sowie monatliche Betriebskosten 30,00 €). Der monatliche Gesamtbetrag von 204,52 € wurde von der Beklagten unmittelbar an die Schwester des Klägers ausbezahlt (Bl. 339 bzw. 351 Verwaltungsakte - VA -). Der Kläger hatte nämlich durchweg gegenüber der Beklagten angegeben, er bewohne die genannte Wohnung im Rahmen eines Mietverhältnisses und schulde seiner Schwester daher monatlich die oben genannten Beträge.
Mit Bescheid vom 20. Januar 2012 hat die Beklagte die Gewährung von Leistungen aufgrund des Weiterbewilligungsantrages vom 3. Januar 2012 für die Zeit ab 1. Januar 2012 unter Hinweis auf das Strafverfahren (hinsichtlich möglicherweise deutlich höherer Einnahmen aus der Tätigkeit als Umzugshelfer) und den im Raum stehenden Nießbrauch des Klägers an der von ihm bewohnten Wohnung abgelehnt, da aufgrund dieser Umstände ein erheblicher Zweifel an der Hilfebedürftigkeit des Klägers bestehe. Das Strafverfahren sei noch abzuwarten. Wenn das Ergebnis vorliege, werde über die Aufhebung und Rückforderung von Leistungen entschieden und der Kläger hierzu angehört.

Mit Schreiben vom 10. Januar 2014 forderte die Beklagte den Kläger auf, über den Stand des Strafverfahrens zu berichten bzw. die entsprechenden Urteile vorzulegen. Dem kam der Kläger im Februar 2014 nach.

Mit Berufungsurteil vom 14. Oktober 2013 war der Kläger vom Landgericht H1 in Abänderung des Urteils des Amtsgerichts H1 vom 14. Mai 2013 wegen der in betrügerischer Absicht erschlichenen Übernahme der oben genannten Aufwendungen durch das Sozialamt der Beklagten zu einer Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen zu jeweils 10,00 € verurteilt worden. Zur Begründung hatte das Landgericht zusammengefasst ausgeführt, der entsprechende Mietvertrag vom 11. November 2000 - möglicherweise unter dem maßgeblichen Einfluss der Schwester - sei nur zum Schein abgeschlossen worden. Die mehrfache Vorlage dieses Mietvertrages auf dem Sozialamt (der Beklagten) und die Behauptung, für die Nutzung der Wohnung die genannten Beträge zu schulden, verwirkliche nach Auffassung des Landgerichts sowohl den objektiven wie auch den subjektiven Tatbestandes des Betruges, da das Sozialamt daraufhin irrtümlich über Jahre hinweg monatlich zu Unrecht 204,52 € auf ein Bankkonto der Schwester des Klägers überwiesen habe. Nach den ausdrücklichen Feststellungen des Landgerichts hat der Kläger für dieses Konto eine Kontovollmacht besessen, eingehende Gelder abgehoben und für sich verbraucht sowie die für die Wohnung aufzubringenden Nebenkosten per Dauerauftrag beglichen. In seinen Urteilsgründen hatte das Landgericht weiter ausgeführt, der Verdacht, der Kläger habe aus seiner Tätigkeit bei verschiedenen Umzugsfirmen weitere, gegenüber dem Sozialamt nicht angegebene Zahlungen in beträchtlicher Höhe erhalten und zudem entgegen seinen Angaben in einer Bedarfsgemeinschaft mit Frau R1 gelebt, was ebenfalls zur Schmälerung seiner Sozialhilfeansprüche geführt hätte, habe sich nicht beweisen lassen.

Mit Schreiben vom 8. Mai 2014 hörte die Beklagte sodann den Kläger dazu an, dass beabsichtigt sei, die zu Unrecht gezahlten Kosten der Unterkunft und Heizung (monatlich 204,52 €) seit Hilfebeginn aufzuheben und zurückzufordern.

Mit Rückforderungsbescheid vom 20. Januar 2015 hob die Beklagte sodann die Bescheide vom 22. Juli 2005, 24. August 2005, 15. Dezember 2005, 16. Januar 2006, 12. Juli 2006, 7. Februar 2007, 21. Juni 2007, 27. August 2007, 24. Oktober 2007, 8. Januar 2008, 24. Juni 2008, 3. November 2008, 18. Dezember 2008, 29. Juli 2009, 10. Dezember 2009, 25. März 2010 und 8. April 2011 teilweise auf und bezifferte die zu erstattenden Leistungen für die Zeit vom 1. Juli 2005 bis zum 31. Dezember 2011 auf 11.019,06 €. Zur Begründung führte die Beklagte aus, nach § 45 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) dürfe ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zurückgenommen werden, soweit dieser auf Angaben beruhe, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht habe oder wenn der Begünstigte die Rechtswidrigkeit des betreffenden Verwaltungsaktes erkannt bzw. aus grober Fahrlässigkeit nicht erkannt habe. Diese Voraussetzungen seien hier erfüllt, denn der Kläger habe zumindest grob fahrlässig, wenn nicht sogar vorsätzlich, verschwiegen, dass er infolge des Nießbrauchs berechtigt gewesen sei, die von ihm bewohnte Wohnung kostenfrei zu nutzen. Aufgrund der Vorlage des Mietvertrages vom 14. November 2000 habe die Beklagte somit die monatliche Grundmiete von 141,27 € zu Unrecht als sozialhilferechtlichen Bedarf akzeptiert. Der Kläger habe damit insgesamt 11.019,06 € (78 Monate x 141,27 €) zuviel erhalten. Von einer Aufhebung bzw. Erstattung der Verbrauchskosten (für 78 Monate insgesamt 4.933,50 €) werde abgesehen. Die Grundmiete habe der Kläger jedoch zu erstatten, denn er habe im Rahmen der Gerichtsverhandlung vor dem Amtsgericht H1 eingeräumt, dass der Mietvertrag mit seiner Schwester nur zum Schein abgeschlossen und tatsächlich zu keinem Zeitpunkt Miete gezahlt worden sei.

Zusammenfassend habe der Kläger somit hinsichtlich der Grundmiete die rechtswidrige Sozialhilfegewährung durch die Beklagte vorsätzlich, wenigstens aber grob fahrlässig herbeigeführt und somit Leistungen, die ihm nicht zugestanden hätten, erhalten. Das öffentliche Interesse an der Rückforderung überwiege gegenüber dem Privatinteresse des Klägers, die betreffenden Gelder behalten zu dürfen. Es könne der Allgemeinheit nicht zugemutet werden, öffentliche Fürsorgemittel in einer Höhe aufzuwenden, auf die kein Anspruch bestehe. Somit bewege sich diese Entscheidung im Rahmen einer pflichtgemäßen Ermessensausübung. Die Beklagte wies im Weiteren noch darauf hin, dass der Kläger bereits zum Zeitpunkt der Leistungseinstellung (20. Januar 2012) sowie mit einem weiteren Schreiben vom 8. Mai 2014 darüber informiert worden sei, dass nach Abschluss der Ermittlung bzw. der Gerichtsverhandlung geprüft werden sollte, ab welchem Zeitpunkt und in welcher Höhe Leistungen zurückgefordert werden sollten. Das Strafurteil des Amtsgerichts sowie das zitierte Berufungsurteil des Landgerichts seien auf dem Sozialamt jedoch erst am 6. Februar 2014 eingegangen, sodass die eingehende Prüfung bzw. Feststellung der Rückforderung erst ab diesem Zeitpunkt möglich gewesen sei.

Mit einem weiteren Rückforderungsbescheid vom 30. Januar 2015 hob die Beklagte auch den Bewilligungsbescheid vom 21. Dezember 2004 bezüglich der ersten Jahreshälfte 2005 (1. Januar 2005 bis 30. Juni 2005) auf und machte die Erstattung von 847,62 € geltend (sechs Monate zu jeweils 141,27 €). Hier führte die Beklagte noch aus, vorliegend seien die Voraussetzungen aus § 45 Abs. 3 Satz 2 SGB X erfüllt, wonach eine zeitlich unbefristete Rückforderung möglich sei. Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 Nr. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) würden nicht vorliegen. Die Gewährung der Grundmiete im Rahmen der Grundsicherung beruhe auf dem Scheinmietvertrag vom 14. November 2000. Darüber hinaus müsse davon ausgegangen werden, dass der Kläger bösgläubig gehandelt habe.

Gegen den Rückforderungsbescheid vom 20. Januar 2015 hat der Kläger am 28. Januar 2015 und gegen den weiteren Bescheid vom 30. Januar 2015 am 4. Februar 2015 jeweils Widerspruch erhoben und zur Begründung geltend gemacht, selbst wenn das Vorbringen der Beklagten als richtig unterstellt werde, könnten die angefochtenen Bescheide nicht auf § 45 SGB X, sondern nur auf § 48 SGB X beruhen. Wenig nachvollziehbar seien auch die Ausführungen zum angeblichen Zeitpunkt, zu dem die Prüfung bzw. die Feststellung der Rückforderung möglich gewesen sei. Hiermit versuche die Beklagte allem Anschein nach, die maßgeblichen Rücknahme- bzw. Aufhebungsfristen zu umgehen (§ 45 Abs. 4 SGBX bzw. § 48 Abs. 4 SGB X). Selbst wenn man davon ausgehe, dass die Jahresfrist frühestens mit der Anhörung in Lauf gesetzt werde, sei hier aufgrund des derart langen Zeitraums zwischen der Kenntnis des Sozialamts und der Rückforderung offensichtlich Verwirkung eingetreten. Jedenfalls erhebe er für den Zeitraum vom 1. Juli 2005 bis 31. Dezember 2011 die Einrede der Verjährung.

Mit Widerspruchsbescheid vom 7. Juli 2015 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 20. Januar 2015 zurück und wies ergänzend noch darauf hin, dass eine Verwirkung der geltend gemachten Rückforderung nicht eingetreten sein könnte, da erst nach Vorlage der Strafurteile eine Gesamtbeurteilung und nochmalige Überprüfung der Angelegenheit möglich gewesen sei. Im Übrigen seien die entsprechenden Bescheide von Anfang an rechtswidrig gewesen, sodass § 45 SGB X, nicht aber § 48 SGB X angewendet werden müsse.
Mit weiterem Widerspruchsbescheid vom 8. Juli 2015 wies die Beklagte auch den Widerspruch gegen den Bescheid vom 30. Januar 2015 aus den gleichen Gründen zurück.

Sowohl gegen den Bescheid vom 20. Januar 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Juli 2015 (Aktenzeichen S 9 SO 2065/15) als auch gegen den Bescheid vom 30. Januar 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Juli 2015 (S 9 SO 2066/15) hat der Kläger jeweils Klage vor dem Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben. Eine weitere Klagebegründung erfolgte nicht.

Die Beklagte war dem entgegengetreten und hat auf ihre bisherigen Ausführungen verwiesen. Ergänzend hatte sie noch im Hinblick auf einen gerichtlichen Hinweis, dass die Rücknahme des Bewilligungsbescheides vom 21. Dezember 2004 nach Ablauf der maßgeblichen Zehnjahresfrist ausgeschlossen sein dürfte, darauf verwiesen, dass die Zehnjahresfrist bei Restitutionsgründen nicht zur Anwendung komme.

Mit Beschluss vom 31. Juli 2015 hat das SG die beiden Klageverfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Mit Gerichtsbescheid vom 12. Mai 2016 hat das SG den Bescheid vom 30. Januar 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Juli 2015 (betreffend die Rücknahme des Bescheides vom 21. Dezember 2004 mit einem Erstattungsbetrag in Höhe von 847,62 €) aufgehoben und im Übrigen die Klage abgewiesen.
Das SG hat hierbei die Auffassung vertreten, dass die Klage gegen den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 30. Januar 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Juli 2015 (Rückforderungsbetrag 847,62 €) begründet, im Übrigen jedoch die Klagen unbegründet seien.
Aufgrund der Feststellungen, die im Strafverfahren getroffen worden seien, stehe für das SG fest, dass die Leistungsbewilligungen nach dem SGB XII im Hinblick auf die Berücksichtigung der Grundmiete (§§ 42 Nr. 4, 5 und 35 SGB XII) den Kläger in rechtswidriger Weise begünstigt hätten, denn eine rechtsverbindliche Verpflichtung des Klägers zur Mietzahlung habe nicht bestanden.
Damit beruhten die angefochtenen Bescheide in formeller Hinsicht zutreffend auf § 45 Abs.1 SGB X. Insoweit irre der Kläger, wenn er auf § 48 SGB X verweise, da diese Vorschrift nur Fälle betreffe, in denen eine Leistungsbewilligung ursprünglich rechtmäßig gewesen  und erst später (durch eine nachträgliche Änderung der Verhältnisse) rechtswidrig geworden sei. In Fällen wie hier, bei anfänglicher Rechtswidrigkeit, komme jedoch § 45 SGB X zur Anwendung. Die gebotene Anhörung nach § 24 Abs. 1 SGB X sei auch vor Erteilung der angefochtenen Bescheide ordnungsgemäß mit Anhörungsschreiben vom 8. Mai 2014 durchgeführt worden.
Des Weiteren genüge auch die Begründung der angefochtenen Bescheide bzw. Widerspruchsbescheide den gesetzlichen Anforderungen nach § 35 Abs. 1 SGB X. Die Ausführungen zum Rücknahmeermessen würden zwar etwas allgemein und formelhaft erscheinen, seien aber nach Auffassung des SG (noch) ausreichend. Im Übrigen wäre ein etwaiger Begründungsmangel insoweit nach § 42 Satz 1 SGB X ohnehin nicht geeignet, den Anfechtungsklagen zum Erfolg zu verhelfen, denn es sei offensichtlich, dass ein solcher Begründungsmangel die angefochtenen Entscheidungen in der Sache nicht beeinflusst haben könne.
Nach Auffassung des SG habe die Beklagte des Weiteren auch die für die Rücknahme der jeweiligen Leistungsbewilligungen maßgebliche Entscheidungsfrist eingehalten. In diesem Zusammenhang sei auf § 45 Abs. 4 Satz 2 SGBX zu verweisen. Danach müsse die Behörde die Rücknahme der entsprechenden Bewilligungsbescheide innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen verfügen, welche die Rücknahme rechtfertigten. Die einjährige Rücknahmefrist beginne wegen der bei § 45 Abs. 1 SGB X grundsätzlich gebotenen Ermessensbetätigung jedoch erst mit der Anhörung des Begünstigten. Erst dann könne die Verwaltungsbehörde dessen Belange bei ihrer Entscheidung berücksichtigen. So liege es hier, denn die Rücknahme der entsprechenden Leistungsbewilligungen unterliege, wie im Weiteren noch dargestellt werde, dem Ermessen der Beklagten. Vor diesem Hintergrund habe die einjährige Rücknahmefrist erst mit der Anhörung des Klägers (8. Mai 2014) begonnen und nach Ablauf eines Jahres am 8. Mai 2015 geendet. Die Rücknahmebescheide vom 20. Januar 2015 und 30. Januar 2015 würden daher die einjährige Rücknahmefrist wahren.
Entgegen der Auffassung des Klägers könne vorliegend auch nicht von einer Verwirkung des Rücknahmerechts ausgegangen werden. Es sei nicht ersichtlich, dass die Beklagte die Anhörung des Klägers in der Absicht verzögert hätte, den Lauf der einjährigen Rücknahmefrist in treuwidriger Weise hinauszuschieben. Hierbei sei besonders zu berücksichtigen, dass das Berufungsurteil im Strafverfahren erst im Oktober 2013 ergangen sei und der Kläger diese Entscheidung der Beklagten erst im Februar 2014 übersandt habe. Vor diesem Hintergrund begründe der Umstand, dass die Anhörung zur Rücknahme der rechtswidrigen Leistungsbewilligungen erst im Monat Mai 2014 erfolgt sei, kein schutzwürdiges Vertrauen des Klägers, dass er die in betrügerischer Weise erschlichenen Leistungen endgültig behalten könnte.
In tatsächlicher bzw. materieller Hinsicht folge aus den Feststellungen, die das Landgericht H1 in seinem Strafurteil vom 14. Oktober 2013 getroffen habe, dass die monatliche Berücksichtigung der Miete (141,27 €) bei der Sozialhilfe des Klägers in der Zeit von Januar 2005 bis einschließlich Dezember 2011 zu Unrecht erfolgt sei. Eine vertragliche Verpflichtung des Klägers, diese Miete zu zahlen, habe nämlich nicht bestanden. Zudem habe der Kläger anlässlich der Erörterung des Sachverhalts am 8. Dezember 2015 beim SG ausdrücklich zugestanden, dass er über das Konto, auf das die Miete vom Sozialamt überwiesen worden sei, habe verfügen können und auch tatsächlich verfügt habe. Auf den entsprechenden Vorhalt des Vorsitzenden der Kammer des SG habe der Kläger ausdrücklich erklärt: Dies ist richtig! Vor diesem Hintergrund stehe fest, dass die angebliche Miete letztlich nicht dazu verwendet worden sei, die Unterkunft des Klägers zu finanzieren, sondern dass dieser Betrag über einen Umweg „in die Tasche des Klägers“ geflossen sei.
Wegen des betrügerischen Verhaltens des Klägers sei im Hinblick auf das aus § 45 Abs. 1 SGB X abgeleitete Rücknahmeermessen von einem intendierten Ermessen auszugehen. Dies bedeute, dass ein schutzwürdiges Vertrauen, dass einer Rücknahme der Leistungsbewilligungen entgegenstehen könnte (siehe § 45 Abs. 2 SGB X), schlechterdings nicht denkbar sei. Somit sei die Beklagte zwingend gehalten gewesen, die entsprechenden Leistungsbewilligungen ohne weitere Ermessenserwägungen zurückzunehmen. Etwas anderes ergäbe sich nur dann, wenn eine atypische Sachverhaltskonstellation gegeben wäre, die einzelfallbezogene Ermessenserwägungen erfordert hätte. Ein atypischer Fall, der es zugunsten des Klägers im Ermessenswege hätte gebieten können, von einer Rücknahme der Leistungsbewilligungen abzusehen, werde vorliegend nicht dadurch begründet, dass die Miete nicht unmittelbar an ihn selbst, sondern auf ein Bankkonto seiner Schwester ausgezahlt worden sei. Denn der Kläger habe - wie er vor Gericht ausdrücklich bestätigt habe - über das entsprechende Bankkonto seiner Schwester verfügen können und die entsprechenden Beträge letztlich für sich selbst verwendet. Damit beinhalte das Tun des Klägers schlussendlich nicht einen Fremd-, sondern einen eigennützigen Betrug, sodass die Beklagte letztlich gehalten gewesen sei, die Leistungsbewilligungen gegenüber dem Kläger ohne besonderes Ermessen zurückzunehmen.
Entgegen der Auffassung des Klägers sei die Rückforderung der entsprechenden Beträge auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Verwirkung ausgeschlossen. Solche, die Verwirkung auslösenden besonderen Umstände lägen vor, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf habe vertrauen dürfen, dieser werde das Recht nicht mehr geltend machen, wenn der Verpflichtete dann auch tatsächlich darauf vertraut habe, dass das Recht nicht mehr ausgeübt werden würde und wenn er sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet habe, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde. Diese Voraussetzungen seien hier durch den dargestellten Zeitablauf (landgerichtliches Strafurteil im Oktober 2013, Vorlage desselben auf dem Sozialamt der Beklagten im Februar 2014, Anhörung zur beabsichtigten Rücknahme der Leistungsbewilligungen im Monat Mai 2014) nicht ersichtlich.
Allerdings sei die Anfechtungsklage bezogen auf den Bescheid vom 30. Januar 2005 im Hinblick auf die Rücknahme des Bewilligungsbescheides vom 21. Dezember 2004 betreffend die erste Jahreshälfte 2005 mit einem Erstattungsbetrag in Höhe von 847,62 € begründet. Denn § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X lasse die Rücknahme eines in betrügerischer Weise erlangten Bewilligungsbescheides nur innerhalb einer Frist von zehn Jahren nach seiner Bekanntgabe zu. Hierbei unterstelle das SG mangels anderweitiger Anhaltspunkte, dass der Bewilligungsbescheid vom 21. Dezember 2004 noch im Kalenderjahr 2004 zugegangen sei, sodass die entsprechende zehnjährige Rücknahmefrist am 31. Dezember 2014 abgelaufen sei. Der zugehörige Rücknahmebescheid datiere jedoch erst auf den 30. Januar 2015.
In diesem Zusammenhang treffe es zwar grundsätzlich zu, dass eine zeitlich unbefristete Rücknahme (auch nach Ablauf der Zehnjahresfrist) nach § 45 Abs. 3 Satz 2 SGB X grundsätzlich möglich sei, wenn Restitutionsgründe nach § 580 ZPO vorliegen würden. solche seien vorliegend jedoch nicht gegeben.

Der Kläger hat gegen den seinem damaligen Bevollmächtigten mit Empfangsbekenntnis am 25. Mai 2016 zugestellten Gerichtsbescheid am 24. Juni 2016 beim SG Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Eine weitere schriftliche Begründung erfolgte nicht.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 12. Mai 2016 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20. Januar 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Juli 2015 aufzuheben.



Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte und die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Der Senat konnte in der mündlichen Verhandlung vom 22. Februar 2017 auch in Abwesenheit des Klägers über den Rechtsstreit entscheiden, da der Kläger ordnungsgemäß mit Postzustellungsurkunde vom 22. Dezember 2016 zum Termin geladen und in der Ladung darauf hingewiesen worden war, dass auch im Falle seines Ausbleibens Beweis erhoben, verhandelt und entschieden werden kann.

Die nach den §§ 143, 144 Abs. 1, Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte, unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 und Abs. 3 SGG) eingelegte Berufung ist zulässig.

II.

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn der Kläger ist durch die Aufhebungs- und Rückforderungsentscheidung der Beklagten hinsichtlich der in dem noch streitigen Zeitraum 1. Juli 2005 bis 30. Dezember 2011 erbrachten Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB XII nicht in seinen Rechten verletzt.

Gegenstand des Verfahrens ist nur noch der Bescheid vom 20. Januar 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Juli 2015 betreffend den Zeitraum 1. Juli 2005 bis 30. Dezember 2011. Hinsichtlich des Bescheides vom 30. Januar 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Juli 2015 (betreffend den Zeitraum 1. Januar 2005 bis 30. Juni 2005 wurde der Klage stattgegeben und die Bescheide durch das SG aufgehoben. Nachdem die Beklagte hiergegen nicht in Berufung gegangen ist, ist das Urteil des SG insoweit rechtskräftig.

Zunächst ist festzustellen, dass die Beklagte zutreffend, wie im Detail im Tatbestand dargestellt zuletzt mit Bescheid vom 8. April 2011, den Bedarf des Klägers unter Berücksichtigung einerseits des Regelbedarfs, der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung, der Kosten der Grundmiete einschließlich der Neben- und Heizkosten sowie andererseits der Einnahmen aus einer nicht selbständigen Tätigkeit als Umzugshelfer berechnet hat.
Zutreffend hat im Weiteren das SG auf der Grundlage der hier maßgeblichen gesetzlichen Regelungen, insbesondere § 45 SGB X und in nicht zu beanstandender Weise gestützt auch auf das Strafurteil des Landgerichts H1 die Klage abgewiesen, da auch aus Sicht des Senates es in keiner Weise zu beanstanden ist, dass die Beklagte für die streitige Zeit 1. Juli 2005 bis 31. Dezember 2011 die Gewährung der Grundmiete für die vom Kläger tatsächlich kostenfrei bewohnte, im Wege des Nießbrauchs genutzte Wohnung seiner Schwester die Bewilligungsbescheide aufgehoben und die Leistungen in Höhe von 11.019,06 € zurückgefordert hat. Es wird insoweit auf die zutreffenden Ausführungen des SG in den Entscheidungsgründen gemäß´§ 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung hier abgesehen.

Insbesondere war die Beklagte hier auch im Hinblick auf die schwierigen, komplexen und aufwändigen Ermittlungen zur Frage von Einkommen aus weiteren Tätigkeiten (als Umzugshelfer bzw. möglicherweise Geschäftsführer) berechtigt gewesen, das Ergebnis des Strafverfahrens insgesamt abzuwarten.

Aus diesen Gründen ist die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.


 

Rechtskraft
Aus
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