L 7 BA 1671/22

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Betriebsprüfungen
Abteilung
7.
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 6 BA 2964/18
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 BA 1671/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 3.  März 2022 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, welche ihre Kosten selbst tragen.



Tatbestand


Streitig ist, ob die Klägerin für den Beigeladenen zu 1) Sozialversicherungsbeiträge für die Zeit vom 1. Januar 2012 bis zum 31. Dezember 2015 in Höhe von insgesamt 65.825,99 Euro nachzuentrichten hat.

Der Beigeladene zu 1), der zunächst als Einzelunternehmer tätig gewesen war, gründete mit seiner Ehefrau mit notariellem Gesellschaftsvertrag vom 14. Dezember 1994 und Nachtrag vom 7. Februar 1995 die Klägerin, die in der Folgezeit in das Handelsregister eingetragen wurde. Gegenstand des Unternehmens sind technische Dokumentationen, Desktop-Publishing (DTP), CAD-Konstruktionen und EDV-Dienstleistungen. Der Beigeladene zu 1) war seit Gründung der Klägerin Gesellschafter-Geschäftsführer mit einer Stammeinlage von 24.000,00 DM, daneben war seine Ehefrau Gesellschafterin mit einer Stammeinlage von 26.000,00 DM.

Der Gesellschaftsvertrag (GV) vom 14. Dezember 1994 mit Nachtrag vom 7. Februar 1995 enthielt u.a. folgende Regelungen:

„§ 6 Zustimmungsbedürftige Geschäfte
Zur Vornahme von Geschäften, die über den gewöhnlichen Betrieb des Handelsgeschäfts der   Gesellschaft hinausgehen, ist im Innenverhältnis die Zustimmung der Gesellschafterversammlung erforderlich.
Zu folgenden Geschäften ist im Innenverhältnis eine Mehrheit von 75 v.H. des gesamten stimmberechtigten Kapitals erforderlich:
Erwerb, Veräußerung und Belastung von Grundstücken und grundstücksgleichen Rechten sowie die Vornahme von Neu- und Umbauten von Betriebsgebäuden,
Beteiligung an anderen Unternehmen und Übernahme anderer Unternehmen sowie die Übernahme der Vertretung anderer Unternehmungen,
Eingehung von Wechselverbindlichkeiten über den Betrag von DM 10.000,00 im Einzelfall,
Übernahme von Bürgschaften,
Aufnahme von Krediten über den Betrag von DM 10.000,00,
Errichtung von Zweigniederlassungen,
Einstellung und Entlassung von gewerblichen Arbeitnehmern und Änderung von bestehenden Arbeitsverträgen,
Abschluss von Einzelgeschäften mit einem Gesamtvolumen von über DM 10.000,00.

§ 7 Gesellschafterversammlung, Beschlüsse
Beschlüsse der Gesellschaft werden mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst, wenn das Gesetz oder dieser Vertrag nicht zwingend eine höhere Mehrheit vorschreiben.
Ein Gesellschafterbeschluss mit Dreiviertelmehrheit des ganzen stimmberechtigten Kapitals ist erforderlich für
Kapitalerhöhungen oder Kapitalherabsetzungen,
die Auflösung der Gesellschaft,
Änderungen des Gesellschaftsvertrages.
[...]
Die Stimmberechtigung richtet sich nach der Kapitalbeteiligung. Auf je DM 100,00 eines Geschäftsanteils entfällt eine Stimme. Die Gesellschafterversammlung ist beschlussfähig, wenn mindestens 75% des Stammkapitals vertreten sind. [...]
Auch ein von der Beschlussfassung betroffener Gesellschafter darf mitstimmen, soweit sich aus diesem Vertrag im Einzelfall nichts anderes ergibt. Bei Stimmengleichheit ist der Antrag abgelehnt.“

In dem am 16. Dezember 1994 zwischen der Klägerin und dem Beigeladenen zu 1 geschlossenen Geschäftsführer-Anstellungsvertrag wurden u.a. folgende Regelungen getroffen:

„§ 1 Aufgaben und Tätigkeitsbereich
Der Geschäftsführer ist alleinvertretungsberechtigt. Er hat alle Geschäftsführungsaufgaben, die im Rahmen der Tätigkeit des Unternehmens anfallen, zu erledigen. [...]
Der Geschäftsführer ist von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit.

§ 4 Vertragsdauer
Der Vertrag beginnt am 1. Januar 1995 und wird auf unbestimmte Zeit abgeschlossen.
Der Vertrag kann von jeder Partei mit einer Frist von sechs Monaten zum Ende eines Kalenderjahres gekündigt werden. Die gesetzlichen Bestimmungen über eine Kündigung ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist bleiben unberührt.
[…]
Die Abberufung des Geschäftsführers ist nur aus wichtigem Grund möglich und ihm gegenüber durch die Gesellschafterversammlung zu begründen. Eine Kündigung bedarf einer gesonderten Erklärung. […]
Im Falle der Kündigung des Vertrags durch die Gesellschaft, gleich ob im Wege der ordentlichen oder außerordentlichen Kündigung, sowie im Falle der Kündigung des Vertrags durch den Geschäftsführer aus wichtigem Grund, ist die Gesellschaft verpflichtet, an den Geschäftsführer eine Abfindung zu bezahlen. [...]

§ 5 Bezüge
Der Geschäftsführer erhält eine monatliche Brutto-Vergütung von DM 5.000,00. Darüber hinaus wird dem Geschäftsführer ein Urlaubsgeld und ein Weihnachtsgeld jeweils in Höhe eines Monatsgehalts gewährt, das jeweils am 30.06. bzw. 30.11. eines jeden Jahres zur Auszahlung gelangt.
Über das vereinbarte Jahresgehalt hinaus werden sonstige Gehaltsbezüge nicht vereinbart. Die Vertragsparteien sind sich darüber einig, dass eventuelle Überarbeit oder Mehrarbeit pauschal mit dem in Abs. 1 genannten Gehalt abgegolten ist.
Der Geschäftsführer erhält neben seinen Festbezügen eine erfolgsabhängige Vergütung (Tantieme) in Höhe von 20% des Gewinns laut Steuerbilanz nach Verrechnung mit Verlustvorträgen und vor Abzug der Körperschaft- und Gewerbesteuer. […] Der Anspruch auf Tantieme entfällt, wenn dem Geschäftsführer von der Gesellschaft aus wichtigem Grund gekündigt wird, für das Geschäftsjahr der Kündigung. Scheidet der Geschäftsführer aus sonstigen Gründen während des Geschäftsjahres aus seinem Amt aus, hat er Anspruch auf zeitanteilige Tantieme.
Die Bezüge des Geschäftsführers werden von der Gesellschafterversammlung im Jahresabstand auf Angemessenheit und Vergleichbarkeit mit den Bezügen von Geschäftsführern anderer Unternehmen überprüft.

§ 6 Gehaltsfortzahlung
Ist der Geschäftsführer an der Ausübung seiner Dienste durch Krankheit oder durch andere unverschuldete Umstände verhindert, so behält er den Anspruch auf seine Bezüge gemäß § 5 Abs. 1 für die Dauer von sechs Wochen nach Eintritt des Verhinderungsfalles.
Nach Ablauf von sechs Wochen zahlt die Gesellschaft einen Krankengeldzuschuss für längstens zwölf Monate. Der Krankengeldzuschuss soll die Differenz zwischen Krankengeld und dem monatlichen Nettogehalt ausgleichen. Die Gesellschaft behält sich die Anrechnung von Ersatzansprüchen des Geschäftsführers gegenüber Dritten vor. Die Lohn- und gegebenenfalls Kirchensteuer auf die Differenzzahlung trägt die Gesellschaft.
Besteht kein Anspruch auf Krankengeld, wird als Krankengeld im Sinne dieses Vertrags der Betrag zugrunde gelegt, den der Geschäftsführer durch eine seinem Einkommen gemäße Versicherung bei der zuständigen Ortskrankenkasse erhalten hätte. […]

§ 7 Urlaub
Dem Geschäftsführer steht jährlich ein Erholungsurlaub von 30 Arbeitstagen zu. Kann der Urlaub in einem Kalenderjahr aus betrieblichen Gründen nicht genommen werden, so erhält der Geschäftsführer eine Urlaubsabgeltung in Höhe eines anteiligen Festgehalts für jeden nicht genommenen Urlaubstag.
Pro Jahr der Dauer des Anstellungsvertrages erhält der Geschäftsführer jeweils einen halben Urlaubstag.
Der Geschäftsführer hat den Urlaubszeitpunkt und die Urlaubsdauer unter Berücksichtigung seiner Aufgabenstellung und der Belange und Interessen der Gesellschaft zu wählen.“

In der Zeit vom 19. Dezember 2016 bis zum 29. September 2017 führte die Beklagte bei der Klägerin eine Betriebsprüfung durch. Nach Abschluss der Prüfung und Anhörung der Klägerin führte diese mit Schreiben vom 19. September 2017 u.a. aus, die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) sei jedenfalls Gegenstand der Betriebsprüfung 2008 gewesen, dessen Lohnunterlagen und Verträge seien durch den Betriebsprüfer erbeten und eingesehen worden. Das habe die Aussage veranlasst, der Sozialversicherungsstatus sei unstreitig nicht pflichtig und damit zutreffend behandelt, so dass eine Aufnahme in den Bescheid keine Folgen brächte und deshalb durch den Betriebsprüfdienst auf Ausführungen im Bescheid verzichtet worden sei.

Mit Bescheid vom 24. November 2017 stellte die Beklagte fest, dass der Beigeladene zu 1) seine Tätigkeit als Gesellschafter-Geschäftsführer bei der Klägerin seit dem 16. Dezember 1994 im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausübe. Es bestehe grundsätzlich Versicherungspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung, Versicherungspflicht in der Rentenversicherung sowie Versicherungspflicht nach dem Recht der Arbeitsförderung. Weiter setzte sie eine Nachforderung für die Zeit vom 1. Januar 2012 bis 31. Dezember 2015 in Höhe von insgesamt 65.825,99 Euro fest. Hiergegen erhob die Klägerin am 20. Dezember 2017 Widerspruch. Zur Begründung des Widerspruchs trug die Klägerin vor, die Einzugsstelle habe es abgelehnt, den Beigeladenen zu 1) als Pflichtmitglied aufzunehmen, weshalb sie darauf vertrauen durfte, dass keine Beiträge erhoben würden. Mit Schreiben vom 15. Mai 2018 wurde dies dahingehend präzisiert, es sei mündlich mitgeteilt worden, dass bei den gegebenen Verhältnissen eine abhängige Beschäftigung nicht gegeben sei. Der Beigeladene zu 1) habe eine klare Entscheidung der Einzugsstelle mitgeteilt bekommen. Nachdem der Beigeladene zu 1) von seinem Krankenkassenwahlrecht Gebrauch gemacht und im Falle der Versicherungspflicht die M1 BKK als Einzugsstelle gewählt hatte, änderte die Beklagte mit Bescheid vom 20. Februar 2018 den angefochtenen Bescheid dahingehend ab, dass der Nachforderungsbetrag auf nunmehr 65.446,43 Euro festgesetzt wurde. Mit Widerspruchsbescheid vom 30. August 2018 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 1. Oktober 2018 Klage zum Sozialgericht Ulm (SG) erhoben. Mit Beschluss vom 19. Februar 2020 hat das SG die Beigeladenen Ziff. 1 und 2 sowie die B1-BKK zum Verfahren beigeladen. Mit Beschluss vom 7. Oktober 2021 hat das SG den Beschluss vom 19. Februar 2020 bezüglich der Beiladung der B1-BKK aufgehoben und die M1 BKK (jetzt m2 BKK, im Folgenden: Beigeladene zu 3) zum Verfahren beigeladen. In der mündlichen Verhandlung am 3. März 2022 hat der Beigeladene zu 1) vorgetragen, im Jahr 2004 oder 2008 habe ihm der damalige Betriebsprüfer anlässlich einer Betriebsprüfung nach Durchsicht seines Geschäftsführervertrages gesagt, es sei alles in Ordnung, es sei richtig, ihn als selbständig einzustufen.

Mit Urteil vom 3. März 2022 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, im streitigen Zeitraum sei der Beigeladene zu 1) als Geschäftsführer der Klägerin sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Allein aufgrund seiner Beteiligung am Stammkapital der Klägerin von lediglich 48 v.H. und der Möglichkeit, dass die Klägerin Beschlüsse mit einfacher Mehrheit fassen könne, habe dem Beigeladenen zu 1) weder die erforderliche Rechtsmacht zugestanden, Beschlüsse der Gesellschaft zu fassen, noch das Zustandekommen von Beschlüssen zu verhindern. Die Klägerin könne sich auch nicht auf Vertrauensschutz berufen. Es sei weder vorgetragen noch ersichtlich, dass die Einzugsstelle die Aufnahme des Beigeladenen zu 1) in die gesetzliche Krankenversicherung und/oder die gesetzliche Rentenversicherung mittels Bescheid abgelehnt habe. Erfolge eine Anmeldung eines Geschäftsführers einer GmbH, sei zudem ein Statusfeststellungsverfahren durchzuführen, mit dem die verbindliche Feststellung der Versicherungspflicht in den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung erfolge. Ein solches Statusfeststellungsverfahren sei nicht durchgeführt worden. Die Klägerin könne sich auch nicht auf Vertrauensschutz aufgrund der vorangegangenen und beanstandungslos gebliebenen Betriebsprüfungen bzw. aufgrund der bisherigen Rechtsprechung der Sozialgerichte berufen. Schließlich sei nicht ersichtlich, dass anlässlich der Betriebsprüfung im Jahr 2008 ein mündlicher Verwaltungsakt erlassen worden sei, welcher der streitgegenständlichen Entscheidung entgegenstehe. Selbst wenn der Prüfer mündlich geäußert habe, dass alles in Ordnung sei, der Beigeladene zu 1) Kopf und Seele des Unternehmens sei und es schon richtig sei, diesen als selbständig einzustufen, stelle dies mangels Regelung keinen mündlichen Verwaltungsakt dar. Hierin könne allenfalls eine unverbindliche Auskunft über das Ergebnis der Betriebsprüfung gesehen werden.

Gegen das am 11. Mai 2022 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 8. Juni 2022 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Sie trägt vor, nach der Gründung der GmbH im Jahr 1994 habe der Beigeladene zu 1) beabsichtigt, Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung zu werden. Ihm sei jedoch mitgeteilt worden, dass mit Blick auf seine Beteiligung, die Geschäftsführerstellung, dem Vorliegen einer Familien-GmbH und die damals gegebene Kopf-und-Seele-Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) eine Mitgliedschaft mangels abhängiger Beschäftigung nicht in Frage komme. Er habe dann entsprechend private Kranken- und Altersvorsorge getroffen.

Zudem sei zu berücksichtigen, dass es im Zeitpunkt der Gründung der GmbH im Jahr 1994 noch kein Statusfeststellungsverfahren gegeben habe. Die Vorschrift des § 7a Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) sei erst mit dem Gesetz zur Förderung der Selbständigkeit vom 20. Dezember 1999 geschaffen worden. Das in § 7a Abs. 1 Satz 2 SGB IV normierte obligatorische Anfrageverfahren bei der Meldung einer Beschäftigung von Angehörigen sei erst im Jahr 2005 eingeführt worden.

Auch sei die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) bereits jedenfalls im Jahr 2008 Gegenstand einer vorausgegangenen Betriebsprüfung gewesen. Seine Tätigkeit sei Teil der Stichprobenprüfung gewesen. Die der Tätigkeit zugrunde liegenden Verträge seien vom Betriebsprüfer angefordert und eingesehen sowie die Richtigkeit der Behandlung der Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) als nichtsozialversicherungspflichtige Selbständigkeit bestätigt worden. Die Aussage des Prüfers nach Prüfung des Gesellschafts- und des Geschäftsführervertrages, die Handhabe als sozialversicherungsfreie Selbständigkeit sei zutreffend, stelle einen mündlichen Verwaltungsakt dar, mit welchem festgestellt worden sei, dass der Beigeladene zu 1) nicht der Versicherungspflicht als abhängig Beschäftigter unterliege, und der zumindest Vertrauensschutz begründe.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 3. März 2022 sowie den Bescheid der Beklagten vom 24. November 2017 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 20. Februar 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. August 2018 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Die Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt.

Die Klägerin hat mitgeteilt, dem Beigeladenen zu 1) sei auf Anfrage zur Möglichkeit einer weiteren gesetzlichen Versicherung lediglich mündlich mitgeteilt worden, dass bei den gegebenen Verhältnissen eine abhängige Beschäftigung nicht gegeben sei, der Beigeladene zu 1) daher als Unternehmer, mithin als selbständig anzusehen sei. Insoweit sei kein Antrag gestellt oder eine Anmeldung vorgenommen worden.

Die Beklagte hat unter Vorlage des Protokolls der Schlussbesprechung am 30. Januar 2008, des Bescheids vom 11. Februar 2008 (Prüfzeitraum 13. Mai 2004 bis 31. Dezember 2007), der Prüfmitteilung vom 13. Dezember 2012 (Prüfzeitraum 1. Januar 2008 bis 31. Dezember 2008) und dem Protokoll der Schlussbesprechung am 29. Januar 2013 sowie des Bescheids vom 29. Januar 2013 (Prüfzeitraum 1. Dezember 2008 bis 31. Dezember 2011) mitgeteilt, zu den vorangegangenen Betriebsprüfungen lägen darüber hinaus keine Unterlagen mehr vor, da die Aufbewahrungsfristen abgelaufen seien.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist auch im Übrigen zulässig. Sie bedurfte insbesondere nicht der Zulassung nach § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG (vgl. dazu Bienert, NZS 2017, 727 ff.), da über eine Beitragsnachforderung von 65.446,43 Euro gestritten wird, sodass der Beschwerdewert von 750,00 Euro (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) überschritten ist.

Gegenstand des Verfahrens ist das Urteil des SG vom 3. März 2022 sowie der Bescheid der Beklagten vom 24. November 2017 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 20. Februar 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. August 2018, mit dem die Beklagte für den Beigeladenen zu 1) für die Zeit vom 1. Januar 2012 bis zum 31. Dezember 2015 Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung, Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung sowie die Insolvenzgeldumlage nach § 358 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) in Höhe von insgesamt 65.446,43 Euro festgesetzt hat. Hiergegen wendet sich die Klägerin statthaft mit der Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG).

Die Berufung der Klägerin ist jedoch nicht begründet. Der Beigeladene zu 1) war in seiner Tätigkeit als Gesellschafter-Geschäftsführer der Klägerin in der Zeit vom 1. Januar 2012 bis zum 31. Dezember 2015 bei der Klägerin abhängig und sozialversicherungspflichtig beschäftigt (1.). Die Beklagte hat im Rahmen vorausgegangener Betriebsprüfungen auch keine Entscheidung dahingehend getroffen, dass der Beigeladene zu 1) in seiner Tätigkeit als Geschäftsführer der Klägerin selbständig tätig ist (2.). Der Geltendmachung der Beiträge stehen auch nicht Vertrauensschutzgesichtspunkte entgegen (3.).

Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist formell rechtmäßig. Die Beklagte ist nach § 28p Abs. 1 SGB IV in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. November 2009 (BGBl. I S. 3710) für die Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen zuständig. Danach prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen alle vier Jahre (Satz 1). Die Prüfung umfasst auch die Lohnunterlagen der Beschäftigten, für die Beiträge nicht gezahlt wurden (Satz 4). Gemäß § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV erlassen die Träger der Rentenversicherung im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern (§ 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV; vgl. zur Zuständigkeit für den Erlass von Nachforderungsbescheiden auch LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 29. Juli 2010 - L 11 R 2595/10 ER-B - juris). Die Beklagte war auch zuständig für die Erhebung der Insolvenzgeldumlage (UI) nach § 358 Abs. 1 SGB III.

Der Bescheid der Beklagten ist auch im Übrigen formell rechtmäßig. Insbesondere hat die Beklagte die Klägerin vor Erlass des belastenden Bescheids ordnungsgemäß angehört (§ 24 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch <SGB X>).

1. Der Beigeladene zu 1) war im streitigen Zeitraum bei der Klägerin abhängig beschäftigt und unterlag damit der Beitragspflicht in der gesetzlichen Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung.

Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, unterliegen der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung gemäß § 1 Satz 1 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung gemäß § 24 Abs. 1 und § 25 Abs. 1 SGB III, der Krankenversicherung (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch <SGB V>) und der sozialen Pflegeversicherung (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch <SGB XI>). Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist dabei jeweils § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV sind Anhaltspunkte für eine Beschäftigung eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.

Beschäftigung ist gemäß § 7 Abs. 1 SGB IV (i.d.F. der Bekanntmachung vom 12. November 2009, BGBl I 3710) die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (Satz 1). Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (Satz 2). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) setzt eine abhängige Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer von dem Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann – vornehmlich bei Diensten höherer Art – eingeschränkt und zur „funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess“ verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand beschäftigt oder selbständig tätig ist, richtet sich danach, welche Umstände das Gesamtbild der Arbeitsleistung prägen und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Die hierzu für die Statusbeurteilung vom BSG entwickelten Abgrenzungsmaßstäbe (vgl. BSG, Urteil vom 4. Juni 2019 - B 12 R 11/18 R - BSGE 128, 191 <Honorararzt>) gelten grundsätzlich auch für die Geschäftsführer einer GmbH (stRspr.; vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 1. Februar 2022 - B 12 R 19/19 R - juris Rdnr. 12; BSG, Urteil vom 29. Juni 2021 - B 12 R 8/19 R - juris Rdnr. 12; BSG, Urteil vom 23. Februar 2021 - B 12 R 18/18 R - juris Rdnr. 14; BSG, Urteil vom 7. Juli 2020 - B 12 R 17/18 R - SozR 4-2400 § 7 Nr. 49 Rdnr. 16; BSG, Urteil vom 12. Mai 2020 - B 12 KR 30/19 R - BSGE 130, 123 = SozR 4-2400 § 7 Nr. 47, Rdnr. 15).

Ist ein GmbH-Geschäftsführer zugleich als Gesellschafter am Kapital der Gesellschaft beteiligt, sind der Umfang der Kapitalbeteiligung und das Ausmaß des sich daraus für ihn ergebenden Einflusses auf die Gesellschaft das wesentliche Merkmal bei der Abgrenzung von abhängiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit (vgl. zu den ähnlichen Kriterien des unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriffs Europäischer Gerichtshof <EuGH>, Urteil vom 11. November 2010 - C-232/09 - Slg. 2010, I-11405 Danosa - juris; EuGH, Urteil vom 9. Juli 2015 - C-229/14 - NJW 2015, 2481 Balkaya; EuGH, Urteil vom 10. September 2015 - C-47/14 - ABl EU 2015, Nr. C 363, 8 - juris Rdnr. 42, 47 (Holterman Ferho); Bundesgerichtshof <BGH>, Urteil vom 26. März 2019 - II ZR 244/17 - BGHZ 221, 325 Rdnr. 25 ff, 32). Ein Gesellschafter-Geschäftsführer ist nicht per se kraft seiner Kapitalbeteiligung selbständig tätig, sondern muss, um nicht als abhängig Beschäftigter angesehen zu werden, über seine Gesellschafterstellung hinaus die Rechtsmacht besitzen, durch Einflussnahme auf die Gesellschafterversammlung die Geschicke der Gesellschaft bestimmen zu können. Eine solche Rechtsmacht ist bei Gesellschaftern gegeben, die zumindest 50 v.H. der Anteile am Stammkapital halten. Ein Minderheitsgeschäftsführer wie der Beigeladene zu 1) ist grundsätzlich abhängig beschäftigt. Er ist ausnahmsweise nur dann als Selbständiger anzusehen, wenn ihm nach dem Gesellschaftsvertrag eine umfassende („echte“ oder „qualifizierte“), die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität eingeräumt ist. Selbständig tätige Gesellschafter-Geschäftsführer müssen in der Lage sein, einen maßgeblichen Einfluss auf alle Gesellschafterbeschlüsse auszuüben und dadurch die Ausrichtung der Geschäftstätigkeit des Unternehmens umfassend mitbestimmen zu können. Ohne diese Mitbestimmungsmöglichkeit sind Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer nicht im „eigenen“ Unternehmen tätig, sondern in weisungsgebundener (§ 37 GmbHG), funktionsgerecht dienender Weise in die GmbH als ihre Arbeitgeberin eingegliedert. Deshalb ist eine „unechte“, nur auf bestimmte Gegenstände begrenzte Sperrminorität nicht geeignet, die erforderliche Rechtsmacht zu vermitteln (stRspr; vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 1. Februar 2022 - B 12 R 19/19 R - juris Rdnr. 13 m.w.N.).

Über solche, einem Selbständigen im eigenen Unternehmen vergleichbare Einfluss- und Mitbestimmungsmöglichkeiten verfügte der Beigeladene zu 1) in der klagenden Gesellschaft im streitigen Zeitraum nicht. Er war mit einer Kapitalbeteiligung von nur 48 v.H. kein Mehrheitsgesellschafter und verfügte nach dem Gesellschaftsvertrag in seiner Fassung vom 14. Dezember 1994 und des Nachtrags vom 7. Februar 1995 über keine umfassende, die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität. Eine solche ergab sich insbesondere nicht aus § 6 oder § 7 Nr. 2 des Gesellschaftsvertrags, in denen nur für bestimmte Geschäfte ein Gesellschafterbeschluss mit einer Mehrheit von 75 v.H. des stimmberechtigten Kapitals erforderlich war. Der Beigeladene zu 1) war somit bei der Klägerin abhängig beschäftigt, wie auch das SG zutreffend ausgeführt hat. Insoweit wird auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung gem. § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen.

2. Die Beklagte hat im Rahmen vorausgegangener Betriebsprüfungen auch keinen Verwaltungsakt erlassen, in welchem über die Sozialversicherungspflicht der Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) entschieden worden wäre.

Soweit die Klägerin hierzu vorgetragen hat, bei der im Jahr 2008 durchgeführten Betriebsprüfung seien auch die der Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) zugrunde liegenden Verträge durch den Betriebsprüfer eingesehen worden, dieser habe mündlich geäußert, der Sozialversicherungsstatus sei unstreitig nicht pflichtig und damit zutreffend behandelt, so dass eine Aufnahme in den Bescheid keine Folgen brächte und deshalb durch den Betriebsprüfdient auf Ausführungen im (Prüf-)Bescheid verzichtet worden sei, kann dem nicht der Erlass eines mündlichen Verwaltungsaktes entnommen werden, mit dem über die Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 1) entschieden worden wäre.

Zwar kann ein Verwaltungsakt grundsätzlich auch mündlich erlassen werden (§ 33 Abs. 2 Satz 1 SGB X). Selbst wenn der Prüfer aber geäußert haben sollte, die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) sei nicht sozialversicherungspflichtig, handelt es sich hierbei nicht um einen Verwaltungsakt. Nach § 31 Satz 1 SGB X ist Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Eine Regelung liegt vor, wenn die Behörde eine potentiell verbindliche Rechtsfolge gesetzt hat, d.h. durch die Maßnahme ohne weiteren Umsetzungsakt Rechte begründet, geändert, aufgehoben oder verbindlich festgestellt hat (Engelmann in Schütze, SGB X, 9. Aufl. 2020, § 31 Rdnr. 40 m.w.N.). Eine Regelung setzt voraus, dass die Behörde auch den Willen hat, verbindlich festzulegen, was für den Einzelfall rechtens sein soll. Deshalb handelt es sich bei der Äußerung einer Rechtsansicht durch einen Behördenmitarbeiter nicht um eine Regelung (BSG, Urteil vom 29. Januar 2003 - B 11 AL 47/02 R, juris Rdnr. 22). Der Prüfer hat in der mündlichen Besprechung der Prüfergebnisse mit dem Beigeladenen zu 1) keine Regelung getroffen. Selbst wenn als wahr unterstellt wird, dass Gegenstand der Betriebsprüfung auch die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) war und diesem gegenüber mündlich geäußert worden ist, es liege insoweit eine selbständige Tätigkeit vor, kommt dem keine Regelungswirkung zu. Denn nach dem Vortrag der Klägerin war auch Inhalt des Gesprächs, dass die Aufnahme in den Bescheid keine Folgen brächte, so dass auf Ausführungen im Bescheid verzichtet worden sei. Danach war Inhalt der Besprechung, dass alle relevanten Regelungen anlässlich der Betriebsprüfung im Prüfbescheid aufzunehmen seien. Auch nach dem Empfängerhorizont war die Aussage des Prüfdienstes deshalb so auszulegen, dass insoweit nichts zu regeln sei. Mangels Regelung ist deshalb auch kein mündlicher Verwaltungsakt erlassen worden.

3. Die Klägerin kann sich auch nicht auf Vertrauensschutz dahingehend berufen, dass der Beigeladene zu 1) im streitigen Zeitraum eine selbständige Tätigkeit ausgeübt habe.

a) Die Klägerin kann keinen Vertrauensschutz nach Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) aufgrund einer Änderung der Rechtsprechung beanspruchen. Ein Vertrauensschutz in den Fortbestand von höchstrichterlicher Rechtsprechung besteht grundsätzlich nicht. Höchstrichterliche Rechtsprechung schafft kein Gesetzesrecht und erzeugt keine damit vergleichbare Rechtsbindung. Schutzwürdiges Vertrauen in eine bestimmte Rechtslage aufgrund höchstrichterlicher Entscheidungen kann in der Regel nur bei Hinzutreten weiterer Umstände, insbesondere bei einer gefestigten und langjährigen Rechtsprechung, entstehen (Scheer in jurisPK-SGB IV, 4. Aufl. 2021 <Stand 10. Januar 2023>, § 28p Rdnr. 295). Es liegt schon keine verfassungsrechtlich relevante „Abkehr“ von früheren Rechtsprechungsmaßstäben zur Versicherungspflicht von GmbH-Geschäftsführern in Familiengesellschaften vor. Insbesondere bestand keine gefestigte und langjährige Rechtsprechung, dass ein Gesellschafter einer Familien-GmbH als selbständig anzusehen sei, wenn er aufgrund seiner Stellung in der Familie die Geschäfte der Gesellschaft wie ein Alleingesellschafter nach eigenem Gutdünken führte und die Ordnung des Betriebes prägte, er quasi „Kopf und Seele“ des Betriebes war (vgl. ausführlich BSG, Urteil vom 19. September 2019 - B 12 R 25/18 R - juris Rdnr. 21 ff.). Insoweit wird auf die ausführliche Begründung des angefochtenen Urteils gem. § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen.

b) Ein Vertrauensschutz folgt auch nicht daraus, dass vorangegangene Betriebsprüfungen hinsichtlich des Beigeladenen zu 1) beanstandungsfrei waren. Eine materielle Bindungswirkung kann sich nur insoweit ergeben, als Versicherungs- und/oder Beitragspflicht im Rahmen der Prüfung personenbezogen für bestimmte Zeiträume durch Verwaltungsakt festgestellt worden sind. Einer pauschal gehaltenen sog. Prüfmitteilung, nach der die durchgeführte Betriebsprüfung „ohne Beanstandung geblieben ist“, kommt nach dem objektiven Empfängerhorizont kein Regelungsgehalt zu; sie ist daher kein Verwaltungsakt, der Anknüpfungspunkt für Bestands- oder Vertrauensschutz hinsichtlich der Statusfrage des Beigeladenen zu 1) auch für die Zukunft sein könnte (BSG, a.a.O., juris Rdnr. 32).

Im Protokoll der Schlussbesprechung am 30. Januar 2008 über die Betriebsprüfung nach § 28p SGB IV wurde lediglich beanstandet, dass für zwei Mitarbeiter die Beitragsnachweise für die Monate Februar bis April 2007 nicht eingereicht worden waren und für drei weitere Mitarbeiter die Meldung korrigiert werden müsse. Weiter wurde ausgeführt: „Die Sachverhalte wurden mit dem Geschäftsführer Herrn K1 als Vertreter des Arbeitgebers eingehend besprochen.“ Einen Hinweis darauf, dass auch dessen sozialversicherungsrechtlicher Status Gegenstand der Prüfung oder des Gesprächs war, lässt sich daraus nicht entnehmen. Auch der Bescheid vom 11. Februar 2008 betrifft lediglich die im Protokoll festgehaltenen Sachverhalte und enthält den ausdrücklichen Hinweis, dass eine stichprobenweise Prüfung durchgeführt wurde.

Dem Protokoll der Schlussbesprechung am 29. Januar 2013 über die Betriebsprüfung nach § 28p SGB IV lässt sich entnehmen, dass lediglich für bestimmte Mitarbeiter der Beitragszuschlag zur Pflegeversicherung sowie das Umlageverfahren beanstandet wurden. Es enthält nur den Vermerk, dass die Schlussbesprechung mit dem Beigeladenen zu 1) durchgeführt und beiderseitiges Einvernehmen erzielt wurde. Weder das Protokoll noch der Bescheid vom 29. Januar 2013 enthalten einen Anhaltspunkt dafür, dass die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) für die Klägerin Gegenstand der Prüfung oder auch nur des Abschlussgesprächs waren. Eine Entscheidung über die Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 1) lässt sich damit den vorausgegangenen Prüfbescheiden nicht entnehmen.

Die Beklagte war auch nicht verpflichtet, in den Bescheiden vom 11. Februar 2008 und vom 29. Januar 2012 über die Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 1) zu entscheiden, die Klägerin kann deshalb auch keinen Vertrauensschutz aus den unterlassenen Hinweisen auf den sozialversicherungsrechtlichen Status des Beigeladenen zu 1) in den Prüfbescheiden geltend machen. Soweit das BSG im Urteil vom 19. September 2019 ausgeführt hat, die Betriebsprüfung erstrecke sich zwingend auch auf u.a. geschäftsführende GmbH-Gesellschafter, sofern ihr sozialversicherungsrechtlicher Status nicht bereits durch Verwaltungsakt festgestellt sei, betrifft dies allein Prüfbescheide, die nach dem 1. Januar 2017 ergangen sind. Denn die Rechtsprechung des BSG gründet auf der zum 1. Januar 2017 in Kraft getretenen Regelung des § 7 Abs. 4 Satz 2 BVV, wonach der Arbeitgeber durch den Prüfbescheid oder das Abschlussgespräch zur Prüfung Hinweise zu den festgestellten Sachverhalten erhalten soll, um in den weiteren Verfahren fehlerhafte Angaben zu vermeiden, und umfasst deshalb nicht davorliegende Zeiträume.

c) Es liegen auch keine sonstigen Gründe vor, die einen Vertrauensschutz der Klägerin dahingehend begründen könnten, der Beigeladene zu 1) übe eine selbständige Tätigkeit aus. Soweit zunächst vorgetragen worden war, die Einzugsstelle habe es abgelehnt, den Beigeladenen zu 1) als Pflichtmitglied aufzunehmen, ist dieser Vortrag im Berufungsverfahren nicht mehr aufrechterhalten worden. Es liegen auch sonst keine Anhaltspunkte dafür vor, dass für den Beigeladenen zu 1) ein Antrag auf Pflichtmitgliedschaft in der gesetzlichen Kranken- oder Rentenversicherung gestellt worden ist.

d) Der Anspruch auf die Beitragsnachforderung ist auch nicht verwirkt.

Das Rechtsinstitut der Verwirkung ist als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 Bürgerliches Gesetzbuch) auch für das Sozialversicherungsrecht und insbesondere für die Nachforderung von Beiträgen zur Sozialversicherung anerkannt. Eine Verwirkung setzt ein Verwirkungsverhalten des Rentenversicherungsträgers voraus. Die Verwirkung des Rechts auf Beitragsnachforderungen ist gegeben, wenn die Ausübung des Rechts auf Nachberechnung von Beiträgen durch die Behörde während eines längeren Zeitraumes unterlassen wurde und weitere besondere Umstände im Einzelfall bezogen auf das betreffende Rechtsgebiet hinzutreten, die ein verspätetes Geltendmachen gegenüber dem Arbeitgeber als unbillig erscheinen lassen (vgl. Scheer in jurisPK-SGB IV, 4. Aufl. Stand 14. März 2023, § 28p Rdnr. 283f.). Solche besonderen Umstände stellen weder der Umstand dar, dass bei vorherigen Betriebsprüfungen keine Beanstandungen erfolgt sind (BSG, Urteil vom 18. November 2015 - B 12 R 7/14 R - juris), noch dass in kleineren Betrieben keine vollständige Überprüfung der versicherungsrechtlichen Verhältnisse aller Versicherten erfolgt ist (BSG, a.a.O., juris Rdnr. 20). Eine Verwirkung für die im Prüfzeitraum fälligen Beiträge liegt danach unter keinem Gesichtspunkt vor.

4. Die Beklagte hat die Beiträge auch in zutreffender Höhe festgesetzt. Insoweit wird auf die Anlage zum Bescheid vom 20. Februar 2018 Bezug genommen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Kosten der Beigeladenen sind nicht zu erstatten, da sie keine Anträge gestellt haben.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1, 2 SGG) liegen nicht vor.





 

Rechtskraft
Aus
Saved