L 14 AS 1570/20

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
14
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 136 AS 13354/16
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 14 AS 1570/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

   1.  Die Verfügbarkeit von Wohnraum kann sowohl durch einen Abgleich der konkreten Anzahl von angebotenen und nachgefragten Wohnungen als auch durch                          einen Vergleich mit Anteilen von Angebot und Nachfrage nachgewiesen werden.

   2.  Der Verfügbarkeitsnachweis kann nicht durch Berechnungen geführt werden, wonach Leistungsberechtigte im angespanntem Mietmarkt die gleichen statistischen              Chancen auf wenige verfügbare Wohnungen wie ihre Nachfragekonkurrenten haben.

   3.  Die Verfügbarkeit von Wohnraum kann nicht nachgewiesen werden durch einen Vergleich des Anteils der Nachfragekonkurrenz an der Gesamtheit der Bevölkerung             mit dem Anteil angemessener Wohnungen an einer – nach Angemessenheitswerten gebildeten – Teilmenge des Mietmarktes im Vergleichsraum.

 

Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 13. Oktober 2020 geändert.

 

Der Bescheid des Beklagten vom 30. Juni 2016 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 2. August 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. August 2016 wird geändert und der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für den Zeitraum vom 1. Juli 2015 bis 30. Juni 2016 unter Anrechnung bereits geleisteter Zahlungen höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II unter Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von

  • 458,22 Euro monatlich in den Monaten Juli, September, Oktober und Dezember 2015 und
  • 541,82 Euro in den Monaten Januar bis Juni 2016

zu zahlen.

 

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

 

Der Beklagte hat die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Klägers für das gesamte Verfahren zu erstatten.

 

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

 

Im Streit ist die Höhe der Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung im Zeitraum von Juli 2015 bis Juni 2016.

 

Der 1968 geborene alleinstehende, erwerbsfähige Kläger (und Berufungskläger) bezieht seit Jahren Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) vom beklagten Jobcenter (Beklagter und Berufungsbeklagter, im Folgenden nur Beklagter). Er lebt in Berlin in einer 63 m² großen 2-Zimmer-Wohnung, die über eine Ölzentralheizung beheizt wird und für die er im Streitzeitraum monatlich 348,90 Euro Nettokaltmiete zzgl. 123,00 Euro Heizkostenvorauszahlung, 96,36 Euro Betriebskostenvorauszahlung und eine Kabelfernsehgebühr von 15,82 Euro, insgesamt also 584,08 Euro zahlen musste. Laut Mietvertrag umfassen die Vorauszahlungen für die kalten Betriebskosten u.a. auch die Kosten „des Betriebs der Gemeinschaftsantennenanlage und des Betriebs der mit einem Breitbandkabelnetz verbundenen privaten Verteilanlage“. Gemäß § 10 Abs. 1 des Mietvertrages war der Kläger verpflichtet, zum Betrieb von Rundfunk- oder Fernsehgeräten den Kabelfernsehanschluss zu benutzen. Die Gesamtheizfläche der Liegenschaft beträgt 1.340,24 m². Die Warmwasserversorgung erfolgt dezentral über Durchlauferhitzer in Küche und Bad.

 

Der Beklagte hatte den Kläger in der Vergangenheit bereits mehrfach aufgefordert, die Kosten der Unterkunft zu senken. Als angemessen für einen Ein-Personen-Haushalt wurde zunächst ein Betrag von 360,00 Euro bruttowarm genannt (Schreiben vom 22. Dezember 2008), später ein Betrag von 378,00 Euro (Schreiben vom 5. Februar 2010 und vom 1. April 2010). Einen Darlehensantrag auf Übernahme von Mietrückständen in Höhe von 4.913,10 Euro hatte der Beklagte am 22. Mai 2013 abgelehnt. Am 19. Januar 2016 und bis zum Ende des hier streitigen Zeitraums (und auch darüber hinaus) hatte der Kläger bei seinen Vermietern Mietschulden in Höhe von 6.818,68 Euro. Die Gewährung eines Darlehens in Höhe von 6.224,83 Euro zur Tilgung der Mietschulden ist Gegenstand eines weiteren Rechtsstreits zwischen den Beteiligten, der am Sozialgericht Berlin geführt wird (S 38 AS 8369/19). Die Heizkostenabrechnung für das Jahr 2014, erstellt am 11. August 2015, ergab für den Kläger ein Guthaben in Höhe von 571,62 Euro. Ausweislich des Mietkontoauszuges schrieb die Hausverwaltung dieses Guthaben dem Mietkonto des Klägers am 18. August 2015 zum 1. Oktober 2015 gut. Wegen der erfolgten Gutschrift in Höhe von 571,62 Euro forderte der Beklagte mit Bescheid vom 10. Mai 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. August 2016 Leistungen für die Bedarfe für Unterkunft und Heizung für den Monat November 2015 in Höhe von 418,54 Euro vom Kläger zurück. Im Rahmen eines hierüber geführten Klageverfahrens (S 144 AS 13917/16) hob der Beklagte diesen Bescheid in der mündlichen Verhandlung vom 24. November 2023 auf. Die Betriebskostenabrechnung 2014, erstellt am 5. Mai 2015, ergab für den Kläger ein Guthaben in Höhe von 54,86 Euro. Dieser Betrag wurde dem Mietkonto des Klägers am 5. Juni 2015 zum 1. Juli 2015 gutgeschrieben.

Mit Weiterbewilligungsantrag vom 2. Juli 2015 beantragte der Kläger beim Beklagten die Weiterbewilligung von Arbeitslosengeld II für die Zeit ab dem 1. Juli 2015. Im November 2015 nahm er eine abhängige Beschäftigung auf, aus der er für November 2015 ein Netto-Entgelt in Höhe von 775,08 Euro erzielte, was er dem Beklagten am 4. Januar 2016 mitteilte. Für die Folgemonate Dezember 2015 bis Mai 2016 erwarb er Gehaltsansprüche (netto) in Höhe von 1.143,95 Euro, 945,59 Euro, 901,14 Euro943,90 Euro, 808,90 Euro und 872,96 Euro.

 

Mit Bescheid vom 8. Juli 2015 und Änderungsbescheiden vom 8. Januar 2016, 5. Februar 2016, 17. März 2016, 29. März 2016 und 10. Mai 2016 (vorläufige Bewilligung für den Monat April 2016) bewilligte der Beklagte dem Kläger zunächst vorläufig Leistungen für die Zeit vom 1. Juli 2015 bis 30. Juni 2016. Als Grund für die Vorläufigkeit wurde angegeben, dass die Höhe der Bedarfe der Unterkunft nicht feststehe.

 

Der Kläger legte (u.a.) Widerspruch gegen den Bescheid vom 10. Mai 2016 über die Änderung der Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II für April 2016 ein. Er vertrat die Ansicht, dass die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung (KdUH) in Höhe von 584,08 Euro zu berücksichtigen seien, da eine Kostensenkung ihm nicht möglich sei. Zudem sei ein Mehrbedarf wegen dezentraler Warmwasseraufbereitung zu berücksichtigen.

 

Mit Bescheid vom 30. Juni 2016 bewilligte der Beklagte dem Kläger endgültig Leistungen für die Zeit vom 1. Juli 2015 bis 30. Juni 2016 in folgender Höhe:

Monat

Regelbedarf (in Euro)

Bedarfe für die KdUH (in Euro)

Gesamt (in Euro)

Juli 2015 bis Oktober 2015

399

449,50

848,50

November 2015

399

12,46

411,46

Dezember 2015

0

346,35

346,35

Januar 2016

0

9,05

9,05

Februar 2016

0

207,41

207,41

März 2016

0

246,26

246,26

April 2016

0

209.10

209,10

Mai 2016

0

325,33

325,33

Juni 2016

0

270,58

270,58

 

Bedarfe für die KdUH wurden nur in Höhe von 449,50 Euro für Juli bis Oktober 2015 bzw. von 449,00 Euro ab Dezember 2015 monatlich in die Bedarfsberechnung eingestellt. Für den Monat November 2015 wurden Bedarfe für Unterkunft und Heizung nur in Höhe von 12,46 Euro anerkannt (tatsächliche Aufwendungen i.H.v. 584,08 Euro abzgl. Guthaben i.H.v. 571,62 Euro). Eine Einkommensanrechnung wurde nach dem Zuflussprinzip jeweils im Folgemonat vorgenommen und erfolgte erstmals für den Monat Dezember 2015.

 

Der Kläger legte auch gegen den Bescheid vom 30. Juni 2016 Widerspruch ein. Er begehrte erneut Leistungen für KdUH in Höhe von 584,08 Euro und einen Mehrbedarf für Warmwasser. Zudem beanstandete er, dass im Monat November 2015 lediglich KdUH in Höhe von 12,46 Euro berücksichtigt worden seien. Er habe keine Rückzahlungen bzw. Guthaben aus einer Betriebs- und Heizkostenabrechnung erhalten. Der Vermieter habe die entsprechende Gutschrift mit der laufenden Miete verrechnet. Daher scheide eine Anwendung gemäß § 22 Abs. 3 SGB II aus.

 

Mit Änderungsbescheid vom 2. August 2016 bewilligte der Beklagte unter Aufhebung seiner früheren Bescheide dem Kläger Leistungen für die Zeit vom 1. Juli 2015 bis 30. Juni 2016 unter zusätzlicher Berücksichtigung der Warmwasserpauschale (für Juli bis Dezember 2015 in Höhe von monatlich 9,18 Euro und für Januar bis Juni 2016 in Höhe von monatlich 9,29 Euro) als Mehrbedarf. Es ergaben sich daraus folgende monatliche Ansprüche:

 

Monat

Gesamt (in Euro)

Juli 2015 bis Oktober 2015

857,68

November 2015

420,64

Dezember 2015

355,53

Januar 2016

18,34

Februar 2016

216,70

März 2016

255,55

April 2016

218,39

Mai 2016

334,62

Juni 2016

279,87

 

Mit Widerspruchsbescheid vom 30. August 2016 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 10. Mai 2016 im Übrigen (hinsichtlich der tatsächlichen KdUH) als unbegründet zurück. Für den Ein-Personen-Haushalt des Klägers sei gemäß den Ausführungsvorschriften zur Gewährung von Leistungen gemäß § 22 SGB II und §§ 35 und 36 SGB XII (AV-Wohnen) eine Bruttowarmmiete in Höhe von 449,00 Euro angemessen. Die tatsächlichen Kosten der Unterkunft überstiegen diesen Betrag nicht unwesentlich. Mit Schreiben vom 22. Dezember 2008 sei der Kläger aufgefordert worden, die KdUH zu senken. Dieser Aufforderung sei er nicht nachgekommen.

 

Mit einem weiteren Widerspruchsbescheid vom 30. August 2016 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 30. Juni 2016 ebenfalls im Übrigen (hinsichtlich der tatsächlichen KdUH) als unbegründet zurück. Hinsichtlich des Vortrags zur fehlenden tatsächlichen Auszahlung des Guthabens wurde auf Rechtsprechung verwiesen, wonach von einem wertmäßigen Zuwachs auszugehen sei.

 

Am 19. September 2016 erhob der Kläger sowohl eine Klage gegen den Bescheid vom 10. Mai 2016 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 2. August 2016 in der Gestalt des (ersten) Widerspruchsbescheides vom 30. August 2016 als auch eine Klage gegen den Bescheid vom 30. Juni 2016 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 2. August 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. August 2016. Die erstgenannte Klage wurde am Sozialgericht zunächst unter dem Aktenzeichen S 134 AS 13352/16 geführt. Mit Verbindungsbeschluss vom 20. Februar 2017 wurden die Klagen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und unter dem Aktenzeichen S 136 AS 13354/16 fortgeführt.

 

Zur Begründung seiner Klagen hat der Kläger vorgetragen, ihm sei es konkret nicht möglich, eine abstrakt als angemessen eingestufte Wohnung auf dem Wohnungsmarkt anzumieten. Der Wohnungsmarkt in Berlin sei insbesondere für kleinere Wohnungen für Alleinstehende zu nachgefragt. Zu berücksichtigen sei auch, dass er hinsichtlich der Betriebskosten und Heizkosten immer ein entsprechendes Guthaben erwirtschaften könne, so dass die KdUH als angemessen anzusehen seien. Es bestehe die absurde Situation, dass die vom Vermieter erhaltenen Zahlungen auf die Brutto-Sollmiete monatlich zuerst zu 100 % mit den Abschlagszahlungen für Betriebs- und Heizkosten verrechnet würden und erst nachrangig mit der Nettokaltmiete. Dies führe zu einem erheblichen Mietrückstand bei der Nettokaltmiete und zugleich zu Guthaben bei den Nebenkostenabrechnungen für Betriebs- und Heizkosten. Der Beklagte begehre aber die Guthaben aus den Betriebs- und Heizkostenabrechnungen zu 100 % anstatt nur im Verhältnis der von ihm abstrakt als angemessen berücksichtigten Brutto-Sollmiete. Trotz des sich regelmäßig ergebenden Guthabens bei den Nebenkosten nehme der Vermieter keine Senkung der Kosten vor. Durch die erwirtschafteten Guthaben sei die Überschreitung des Grenzwertes höchstens minimal, weshalb ein geforderter Umzug aus dem Milieu als unwirtschaftlich zu betrachten sei. Durch die weiterhin bestehenden Mietschulden sei die Wohnungssuche erschwert bzw. unmöglich, da die zu den Bewerbungsunterlagen für eine Mietwohnung notwendige Mietschuldenfreiheitsbescheinigung nicht vorgelegt werden könne.

 

Mit Gerichtsbescheid vom 13. Oktober 2020 hat das Sozialgericht „die Klage“ abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Wegen Ablaufs des Bewilligungszeitraums sei die abschließende Entscheidung des Beklagten über den Anspruch des Klägers maßgeblich. Auf den Änderungsbescheid vom 10. Mai 2016 komme es deshalb nicht mehr an. Der Streitgegenstand sei auf die Höhe der KdUH begrenzt. Die KdUH des Klägers seien im streitigen Zeitraum unangemessen hoch gewesen. Die abstrakt angemessene Bruttokaltmiete für eine Person betrage nach dem Konzept des Beklagten, das für schlüssig gehalten werde, 364,50 Euro. Die tatsächlichen (kalten) Kosten des Klägers in Höhe von 461,08 Euro überstiegen diesen Wert. Bei Zugrundelegung der Werte des „Bundesweiten Heizspiegels“ für das Jahr 2015 ergebe sich für den Kläger ein Grenzwert für angemessene Heizkosten in Höhe von 64,42 Euro pro Monat. Der Beklagte habe zugunsten des Klägers den Warmwasserabzug nicht vorgenommen. Die tatsächlichen Heizkosten des Klägers hätten im streitigen Zeitraum mit 123,00 Euro über dem Grenzwert gelegen. Der Kläger habe nicht hinreichend vorgetragen, dass ihm im streitigen Zeitraum die Anmietung einer Wohnung mit angemessenen KdUH nicht möglich gewesen wäre. Da er – auch nach einem entsprechenden gerichtlichen Hinweis – eine Wohnungssuche lediglich pauschal behauptet habe, ohne jedoch konkrete Bemühungen darzulegen, reiche auch sein Vortrag nicht aus, dass seine Wohnungssuche durch einen Schufa-Eintrag und durch Mietschulden, aufgrund derer er keine Mietschuldenfreiheitserklärung seines bisherigen Vermieters erhalte, erschwert sei. Die Senkung seiner KdUH sei dem Kläger auch subjektiv möglich gewesen. Das Schreiben des Beklagten vom 1. April 2010 sei als Kostensenkungsaufforderung ausreichend. Der Beklagte habe auch zu Recht im November 2015 ein Guthaben aus der Heizkostenabrechnung für das Jahr 2014 in Höhe von 571,62 Euro angerechnet (§ 22 Abs. 3 SGB II). Es komme nicht darauf an, ob dieser Betrag dem Kläger tatsächlich zugeflossen sei. Der Vermieter habe das Guthaben mit der fälligen Miete im November 2015 verrechnet. Dies stelle eine Aufrechnung dar, die dazu führe, dass der Mietzinsanspruch des Vermieters für November 2015 in Höhe des Guthabens erloschen sei.

 

Gegen diesen, seinem Prozessbevollmächtigten am 15. Oktober 2020 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am Montag, den 16. November 2020 Berufung eingelegt. Er vertritt die Ansicht, der Beklagte verfüge nicht über ein schlüssiges Konzept zur Ermittlung angemessener Unterkunftskosten. Er beruft sich ferner auf das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 1. Dezember 2021 – L 32 AS 579/16 –.

 

Der Kläger beantragt,

 

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 13. Oktober 2020 aufzuheben und den Bescheid des Beklagten vom 30. Juni 2016 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 2. August 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. August 2016 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, ihm für den Zeitraum vom 1. Juli 2015 bis 30. Juni 2016 höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu zahlen.

 

Der Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Er verweist zur Begründung auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Gerichtsbescheid und vertritt die Ansicht, dass im Land Berlin seit Juli 2015 die Richtwerte für angemessene Bruttokaltmieten entsprechend den Vorgaben der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 19. Oktober 2010 – B 14 AS 2/10 R – auf der Grundlage eines schlüssigen Konzepts in der Gestalt der AV-Wohnenermittelt würden. Er verweist auf das Rundschreiben Nr. 3/2023 vom 4. September 2023, mit dem die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales ihre Ansichten zur abstrakten Verfügbarkeit von Wohnraum öffentlich gemacht habe, und die Arbeitshilfe zur Bestimmung der angemessenen Aufwendungen der Unterkunft im Rahmen kommunaler Satzungen des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung und trägt zum Nachweis, dass im streitgegenständlichen Zeitraum angemessener Wohnraum verfügbar gewesen sei, zuletzt vor, zwar trage nach der neueren Rechtsprechung des BSG der kommunale Träger die Beweislast hinsichtlich der Verfügbarkeit von Wohnraum, jedoch bleibe es diesem vorbehalten, auf welche Art und Weise die Ermittlung methodisch erfolge. Er könne daher z.B. auf die Daten zurückgreifen, die das Land Berlin im Rahmen der Erstellung eines qualifizierten Mietspiegels erhoben habe. Die Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung (SenASGIVA) habe die Mietspiegeldaten für den Zeitraum Juli 2015 bis Dezember 2016 ausgewertet, und zwar dergestalt, dass in einem ersten Schritt die Nachfragekonkurrenz anhand der Haushaltseinkünfte ermittelt worden sei und in einem zweiten Schritt anhand der Datengrundlage des Mietspiegels die angemieteten Wohnungen ausgewertet worden seien. Die Datensätze seien nach Haushaltsgrößen differenziert, Wohnungen, die für Ein-Personen-Haushalte berücksichtigt worden seien, seien also nicht nochmal bei den Zwei-Personen-Haushalten berücksichtigt worden. Die Datengrundlage unterscheide in Nettokaltmiete, Betriebskosten, Heizkosten und sonstige Zuschläge für Modernisierung, Gartennutzung etc. Um die Bruttokaltmiete zu betrachten, sei daher die Gesamtmiete ermittelt worden und seien die angegebenen Heizkosten abgezogen worden, so dass allein die monatliche Bruttokaltmiete ausgewertet worden sei. Die betrachteten Wohnungen (für Ein-Personen-Haushalte) seien zwischen „15 und 50 m²“ (so Schriftsatz vom 17. Mai 2024) bzw. zwischen „17,6 und 50 m²“ (so Schriftsatz vom 14. Juni 2024) groß und damit nach § 7 Abs. 1 oder Abs. 2 Wohnungsaufsichtsgesetz Berlin mit einer Person nicht überbelegt gewesen. Wohnungen mit Substandards seien nicht betrachtet worden. Das vom Bundessozialgericht vorgegebene Kriterium, dass angemessene Wohnungen „auch tatsächlich in nennenswerter Zahl auf dem Markt allgemein zugänglich angeboten“ werden, sei auslegungsbedürftig. Allein die Tatsache, dass berlin-, aber auch bundesweit zu wenig Wohnungen anmietbar seien, dürfe aus sozialleistungsrechtlicher Sicht nicht dazu führen, dass unbegrenzt Mieten als angemessen zu bewerten seien, denn dann wäre selbst zu den Werten der Wohngeldtabelle (auch mit einem Sicherungszuschlag von 10 Prozent) dieses Kriterium nicht mehr erfüllbar. Die Angemessenheit im allgemeinen Verständnis bewerte vor allem das richtige Verhältnis und keine konkrete Zahl, vielmehr sei unter den gegebenen Umständen ein verhältnismäßiger Preis zu ermitteln. Sinn und Zweck sei, dass von den tatsächlich angebotenen und allgemein zugänglichen Wohnungen ein hinreichender Anteil innerhalb der Angemessenheit liege. Nur so könne eine den Mietpreis erhöhende Wirkung vermieden werden. Daher werde in Berlin der Empfehlung des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung in seiner Arbeitshilfe zur Bestimmung der angemessenen Aufwendungen der Unterkunft im Rahmen kommunaler Satzungen gefolgt und auf deren Empfehlung der Anteil an geringverdienenden Haushalten ermittelt. Auf dieser Basis müsse für eine hinreichende Anzahl der gleiche Anteil neu angemieteter Wohnungen innerhalb der Richtwerte gelegen haben. Die Auswertung der für den Berliner Mietspiegel 2017 erhobenen Daten habe ergeben, dass 612.800 Wohnungen eindeutig den Wohnungen (ohne Substandard) bis unter 60 m² hätten zugeordnet werden können. Von diesen seien 531.316 Wohnungen den Ein- und Zwei-Personen-Bedarfsgemeinschaften zugeordnet worden, die restlichen rund 81.500 Wohnungen den Drei-Personen-Bedarfsgemeinschaften, da sie nach Größe und Bruttokaltmiete angemessen gewesen seien. Von diesen (den Ein- und Zwei-Personen-Haushalten zuzuordnenden) Wohnungen bis unter 60 m² seien rund 43.800 Wohnungen im Jahr 2016 (Januar bis September) neu bezogen worden, davon rund 27.400 Wohnungen innerhalb der Richtwerte, mithin 62,5 Prozent. 85.300 Wohnungen bis unter 60 m² seien im gesamten Jahr 2015 neu bezogen worden, davon hätten rund 58.300 Wohnungen innerhalb der Richtwerte der damaligen AV-Wohnen gelegen, mithin 58,3 Prozent.

 

Die Berichterstatterin hat einen Erörterungstermin mit den Beteiligten durchgeführt, der Senat hat mit den Beteiligten mündlich verhandelt und den Rechtsstreit vertagt, um dem Beklagten erneut Gelegenheit zur Nachbesserung seines Konzepts zu geben, nachdem der mit der Terminswahrnehmung beauftragte Vertreter des Beklagten und die ihn begleitende Juristin der Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung nicht auf alle Fragen des Senats Auskunft geben konnten und auf die für die „Zahlen“ zuständige Mitarbeiterin der Senatsverwaltung verwiesen haben. Im Anschluss haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und der Gerichtsakte des verbundenen Verfahrens sowie den der Verwaltungsakte des Beklagten.

 

Entscheidungsgründe

 

Die Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung ergehen, da die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).

 

Die Berufung des Klägers ist zulässig und statthaft (§§ 143, 144 Abs. 1, 151 SGG). Der Berufungsstreitwert von 750 Euro ist überschritten, da der Kläger für den Zeitraum von Juli 2015 bis Juni 2016 die Bewilligung von Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen von monatlich 584,08 Euro begehrt.

 

Die Berufung ist auch im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Der Kläger hat für den Zeitraum Juli 2015 bis Juni 2016 Anspruch auf Gewährung von höheren Leistungen für die Kosten für Unterkunft und Heizung, allerdings nicht in Höhe seiner tatsächlichen Aufwendungen.

 

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist neben der erstinstanzlichen Entscheidung der Bescheid des Beklagten vom 30. Juni 2016 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 2. August 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. August 2016Die abschließende Entscheidung durch Bescheid vom 30. Juni 2016 ersetzte und erledigte mit ihrem Erlass i.S. des § 39 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) die vorläufigen Entscheidungen des Beklagten über die Leistungsansprüche des Klägers im hier streitgegenständlichen Zeitraum, so insbesondere auch den im verbundenen Verfahren angefochtenen (vorläufigen) Bescheid vom 10. Mai 2016 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 2. August 2016 in der Gestalt des weiteren Widerspruchsbescheides vom 30. August 2016, ohne dass es einer Aufhebung oder Änderung der vorläufigen Entscheidungen bedurft hätte (st. Rspr.; statt vieler BSG, Urteil vom 5. Juli 2017 – B 14 AS 36/16 R –, Rn. 15, Rechtsprechung hier und im Folgenden jeweils aus juris).

Der Kläger verfolgt sein Begehren zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und Abs. 4 SGG). Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht im vollen Umfang abgewiesen. Die Entscheidung des Beklagten über die endgültige Festsetzung ist rechtswidrig und verletzt den Kläger insoweit i.S.v. § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG in seinen Rechten.

 

Die Klage beschränkt sich zulässig auf die Höhe der Leistungen für die KdUH, da es sich insoweit um einen selbstständigen Streitgegenstand handelt (stRspr, statt vieler BSG, Urteil vom 4. Juni 2014 – B 14 AS 42/13 R –, Rn. 10, und vom 29. August 2019 – B 14 AS 43/18 R –, Rn. 10). Der Beklagte gewährte dem Kläger für den streitigen Zeitraum Leistungen für die KdUH unter Berücksichtigung von (abgesenkten) Aufwendungen für die KdUH in Höhe von 449,00 Euro bruttowarm monatlich. Dieser Betrag beruht indes nicht auf einem schlüssigen Konzept. Der Senat sieht sich außerstande, selbst einen abstrakten Angemessenheitswert für die Bruttokaltmiete zu bestimmen. Die dem Kläger zustehenden Leistungen sind daher durch Rückgriff auf die Beträge aus § 12 Wohngeldgesetz (WoGG) zu bestimmen.

 

Rechtsgrundlage eines Anspruchs des Klägers gegen den Beklagten auf höhere Leistungen für die KdUH für den streitigen Zeitraum ist §§ 19 Abs. 1, 7 Abs. 1 und 2, 22 Abs. 1 SGB II in der im streitigen Zeitraum geltenden Fassung. Denn in Rechtsstreitigkeiten über schon abgeschlossene Bewilligungszeiträume ist das damals geltende Recht anzuwenden (Geltungszeitraumprinzip; BSG, Urteil vom 19. Oktober 2016 – B 14 AS 53/15 R –, Rn. 14 f., und vom 30. Januar 2019 – B 14 AS 24/18 R –, Rn. 13).

 

Der Kläger erfüllte im streitigen Zeitraum die Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung nach dem SGB II, welche auch die Bedarfe für die KdUH umfasst. Er war leistungsberechtigte Person im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Er wurde im Jahr 1968 geboren und liegt somit innerhalb der Altersgrenzen nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II. Sein gewöhnlicher Aufenthalt lag in der Bundesrepublik Deutschland (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II) und er war erwerbsfähig (§§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 8 SGB II). Ausschlusstatbestände lagen nicht vor. Er war hilfebedürftig i.S.d. §§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 9 SGB II, da er kein bedarfsdeckendes Einkommen erzielte und nicht über anrechenbares Vermögen verfügte.

 

Der Kläger kann die Berücksichtigung seiner KdUH allerdings nur bis zur Grenze des Angemessenen beanspruchen. Gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden die Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Hierbei erfolgt eine getrennte Prüfung der Bedarfe für die Unterkunft und die Heizung (vgl. BSG, Urteil vom 2. Juli 2009 – B 14 AS 36/08 R –, Rn. 18, und vom 30. Januar 2019 – B 14 AS 24/18 R –, Rn. 14). Von der Regelung erfasst werden nicht nur laufende, sondern auch einmalige Kosten für Unterkunft und Heizung. Bei dem gesetzlichen Tatbestandsmerkmal „Angemessenheit“ handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, gegen dessen Verwendung auch zur Sicherstellung des existenzsichernden Bedarfs für Heizkosten keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen (BSG, Urteil vom 19. Mai 2021 – B 14 AS 57/19 R –, Rn. 17). Als unbestimmter Rechtsbegriff unterliegt der Begriff der Angemessenheit der uneingeschränkten gerichtlichen Kontrolle (BSG, Urteil vom 3. September 2020 – B 14 AS 37/19 R –, Rn. 16).

 

Die Aufwendungen des Klägers für die Bruttokaltmiete (1.) und auch für die Heizkosten (2.) waren im streitigen Zeitraum nach den Maßstäben des SGB II nicht angemessen.

 

  1. Die tatsächlichen Aufwendungen des Klägers für die Unterkunft (Bruttokaltmiete; nachfolgend KdU) beliefen sich im streitigen Zeitraum auf insgesamt 584,08 Euro, die sich aus der Nettokaltmiete (348,90 Euro), den Vorauszahlungen für die Betriebskosten (96,36 Euro) und den Aufwendungen für die Bereitstellung und Nutzung des Kabelanschlusses (15,82 Euro) zusammensetzten.

 

  1. Die Aufwendungen für die Bereitstellung und Nutzung des Kabelanschlusses in Höhe von 15,82 Euro monatlich gehören zu den Kosten der Unterkunft.

 

Zu den tatsächlichen Aufwendungen i.S. des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II gehören zwar auch die Nebenkosten, jedoch grundsätzlich nur, soweit es sich um die ihrer Art nach in § 2 der Verordnung über die Aufstellung von Betriebskosten (Betriebskostenverordnung – BetrKV) aufgeführten Betriebskosten handelt. § 556 Abs. 1 BGB i.V.m. § 2 BetrKV (in der Fassung vom 3. Mai 2012) legen abschließend fest, welche Nebenkosten aus dem Mietobjekt vom Vermieter auf den Mieter umgelegt werden dürfen. Nach § 2 Nr. 15 Buchst. b BetrKV in der genannten Fassung handelt es sich bei den durch den Kabelanschluss und die Kabelnutzung entstehenden Kosten sowie die laufenden monatlichen Grundgebühren für Breitbandanschlüsse um Betriebskosten i.S.d. § 1 BetrKV. Sie sind damit als KdU nach dem SGB II zu bewerten (vgl. BSG, Urteil vom 19. Februar 2009 – B 4 AS 48/08 R –, Rn. 16 f.).

 

Tatsächliche Aufwendungen für umlagefähige Betriebskosten sind allerdings grundsätzlich nur dann erstattungsfähig, wenn die Verpflichtung zur Zahlung durch den Mietvertrag begründet worden ist. Übernimmt der Hilfebedürftige die Kosten hingegen „freiwillig“, etwa um einen bestimmten „besseren“ Standard zu erhalten, handelt es sich nicht um KdU i.S.d. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Nur die Aufwendungen, die mit der Unterkunft rechtlich und tatsächlich verknüpft sind, sind auch als Leistungen nach § 22 SGB II zu erbringen (BSG, Urteil vom 19. Februar 2009 – B 4 AS 48/08 R –, Rn. 19). Dies setzt die Verpflichtung zur Zahlung durch den Mietvertrag voraus. Die Kosten für den Kabelanschluss bzw. die Nutzung desselben sind ansonsten grundsätzlich als Bedürfnisse des täglichen Lebens von der Regelleistung gedeckt (Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 8. Februar 2019 – L 21 AS 1881/18 –, Rn. 26).

 

Der Kläger war durch die Regelung in § 10 Abs. 1 Satz 1 im Mietvertrag dazu verpflichtet, zum Betrieb von Rundfunk- oder Fernsehgeräten den Kabelfernsehanschluss (Breitbandnetz) zu nutzen. Damit waren seine Aufwendungen für die Kabelfernsehgebühr in Höhe von 15,82 Euro Aufwendungen, die mit der Unterkunft rechtlich und tatsächlich verknüpft sind, und damit ebenfalls KdU.

 

  1. Die Prüfung der Angemessenheit der Unterkunftskosten wird in zwei größere Prüfungspunkte unterteilt (BSG, Urteil vom 30. Januar 2019 – B 14 AS 24/18 R –, Rn. 19). In einem ersten Schritt werden die abstrakt angemessenen Aufwendungen für die Unterkunft ermittelt (aa.). Im zweiten Schritt wird die konkrete bzw. subjektive Angemessenheit geprüft (bb.).

 

aa.      Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG hat die Ermittlung der abstrakt angemessenen Aufwendungen unter Anwendung der Produkttheorie in einem mehrstufigen Verfahren zu erfolgen: (1) Bestimmung der (abstrakt) angemessenen Wohnungsgröße für die leistungsberechtigte(n) Person(en), (2) Bestimmung des angemessenen Wohnungsstandards, (3) Ermittlung der aufzuwendenden Nettokaltmiete für eine nach Größe und Wohnungsstandard angemessene Wohnung in dem maßgeblichen örtlichen Vergleichsraum nach einem schlüssigen Konzept, (4) Einbeziehung der angemessenen kalten Betriebskosten (BSG, Urteil vom 30. Januar 2019 – B 14 AS 24/18 R –, Rn. 20 ff.).

 

Das schlüssige Konzept soll die Gewähr dafür bieten, dass die aktuellen Verhältnisse des Mietwohnungsmarkts im Vergleichsraum dem Angemessenheitswert zugrunde liegen und dieser realitätsgerecht ermittelt wird (BSG, Urteil vom 30. Januar 2019 – B 14 AS 24/18 R –, Rn. 24). Schlüssig ist ein Konzept, wenn es neben rechtlichen zudem bestimmte methodische Voraussetzungen erfüllt und nachvollziehbar ist. Nach der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung ist zudem zu prüfen, ob angemessener Wohnraum tatsächlich zur Verfügung steht und in hinreichender Zahl auf dem Markt allgemein zugänglich angeboten wird (BSG, Urteil vom 3. September 2020 – B 14 AS 37/19 R –, Rn. 27 f.).

 

Aufgabe des Gerichtes ist es, im Rahmen eines Klageverfahrens die Rechtmäßigkeit des vom Beklagten ermittelten abstrakten Angemessenheitswertes zu überprüfen. Beim Vorliegen rechtlicher Beanstandungen ist dem Beklagten die Gelegenheit zu geben, durch Stellungnahmen, gegebenenfalls nach eigenen weiteren Ermittlungen, Kritikpunkte zu beseitigen. Hingegen ist das Gericht zur Herstellung der Spruchreife der Sache nicht befugt, seinerseits ein schlüssiges Konzept zu erstellen (vgl. BSG, Urteil vom 3. September 2020 – B 14 AS 37/19 R –, Rn. 23).

 

Lässt sich in rechtlich zulässiger Weise kein abstrakter Angemessenheitswert bestimmen können angemessene Aufwendungen für Unterkunft durch einen Rückgriff auf die Werte nach dem WoGG plus Zuschlag von 10 Prozent bestimmt werden. Dadurch soll den Gegebenheiten des örtlichen Wohnungsmarkts zumindest ansatzweise gemäß gesetzgeberischer Entscheidungen durch eine „Angemessenheitsobergrenze" Rechnung getragen werden, die die Finanzierung extrem hoher und per se unangemessener Mieten verhindert (BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009 – B 4 AS 50/09 R –, Rn. 27; BSG, Urteil vom 30. Januar 2019 – B 14 AS 24/18 R –, Rn. 30; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 10. August 2022 – L 18 AS 225/20 –, Rn. 20).

 

  1. Der Beklagte hat der streitgegenständlichen Entscheidung die Angemessenheitsgrenze der AV-Wohnen in der Fassung vom 16. Juni 2015 (Amtsblatt für Berlin 2015, S. 1339, in der geänderten Fassung vom 24. November 2015, Amtsblatt für Berlin 2015, S. 2558; nachfolgend: AV-Wohnen 2015), zugrunde gelegt; danach ist für einen Ein-Personen-Haushalt eine Bruttokaltmiete in Höhe von höchstens 364,50 Euro monatlich abstrakt angemessen. Der Senat teilt die Auffassung des Sozialgerichts, wonach den AV-Wohnen 2015 (bei denen es sich um bloße Verwaltungsvorschriften handelt, die keine unmittelbare Rechtswirkung für die Betroffenen entfalten) ein schlüssiges Konzept zur Bestimmung der abstrakt angemessenen Nettokaltmiete zugrunde liegt. Gemäß § 153 Abs. 2 SGG kann das Landessozialgericht in dem Urteil über die Berufung von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist. Auf dieser Grundlage wird vorliegend die Berufung zurückgewiesen aus den Gründen der erstinstanzlichen Entscheidung zur (zutreffend erfolgten) Bestimmung der abstrakt angemessenen Wohnungsgröße (für einen Ein-Personen-Haushalt maximal 50 m²), zur (zutreffend erfolgten) Bestimmung des angemessenen Wohnungsstandards (Wohnungen, die nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen entsprechen und keinen gehobenen Wohnstandard aufweisen, ohne Wohnungen ohne Bad und ohne Innen-WC), zur (zutreffend erfolgten) Bestimmung des räumlichen Vergleichsmaßstabs (gesamtes Stadtgebiet von Berlin), zur (zutreffend erfolgten) Bestimmung der Nettokalt-Referenzmiete für einen Ein-Personen-Haushalt (5,71 Euro/m²) sowie zur (zutreffend erfolgten) Bestimmung der Angemessenheit der kalten Betriebskosten (1,58 Euro/m²). Das Gericht schließt sich den Entscheidungsgründen im erstinstanzlichen Urteil insoweit nach eigener Prüfung an und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf diese Bezug.

 

  1. Die Summe aus Kaltmiete und Betriebskosten kann aber nur dann einen zutreffend gebildeten abstrakten Angemessenheitswert darstellen, wenn in Betracht kommender Wohnraum zu diesem Preis auch tatsächlich in nennenswerter Zahl auf dem Markt allgemein zugänglich angeboten wird. Der abstrakte Angemessenheitswert muss nicht nur geeignet sein, abstrakt angemessene Unterkunftskosten für die aktuell bewohnte Unterkunft zu definieren. Er stellt im Grundsatz auch die Höhe der Aufwendungen dar, zu der bei einem zur Kostensenkung erforderlichen Umzug (vgl. § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II) innerhalb des örtlichen Vergleichsraums unabhängig von den Umständen des Einzelfalls neuer – kostenangemessener – Wohnraum angemietet werden können muss (BSG, Urteil vom 3. September 2020 – B 14 AS 40/19 R –, Rn. 23).

 

Wegen der im Verhältnis von § 22 Abs. 1 Satz 1 zu § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II angelegten Risikozuweisung obliegt es nicht den Leistungsberechtigten, zur generellen Anmietbarkeit von Wohnraum im örtlichen Vergleichsraum vorzutragen (BSG, Urteil vom 3. September 2020 – B 14 AS 37/19 R –, Rn. 29). Trotz der vom Beklagten nachgereichten Daten und Erläuterungen fehlt aber noch immer der Nachweis, dass im Streitzeitraum Wohnungen zu einer Bruttokaltmiete von höchstens 364,50 Euro monatlich tatsächlich in hinreichender Zahl oder zu einem hinreichenden Anteil auf dem Berliner Wohnungsmarkt zur Verfügung standen.

 

Im Unterschied zu seiner früheren Begründung stützt der Beklagte seine Begründung zur Verfügbarkeit nicht mehr auf die im sog. „Marktmonitor“ des Verbandes der Berlin-Brandenburger Wohnungsunternehmen e.V. (nachfolgend: BBU) angegebene Leerstandsquote. Diese Begründung hatte nicht überzeugt (zu den Gründen ausführlich etwa Sozialgericht [SG] Berlin, Urteil vom 6. Juli 2021 – S 179 AS 1083/19 –, Rn. 45 f.; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 10. August 2022 – L 18 AS 225/20 –, Rn. 31; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 7. April 2022 – L 10 AS 2286/18, Rn. 56, siehe auch Urteil des erkennenden Senats vom 1. September 2022 – L 14 AS 494/19 –, Rn. 74). Als Konsequenz aus der in der Rechtsprechung geäußerten Kritik an seiner Argumentation hat die Senatsverwaltung von der Herleitung der verfügbaren Anzahl an anmietbaren Wohnungen anhand der Leerstandsquote des BBU Abstand genommen und hat nunmehr die dem Mietspiegel zugrunde liegenden Daten neu ausgewertet.

 

Bei der Beurteilung des nun vom Beklagten vorgelegten Verfügbarkeitsnachweises hat der Senat berücksichtigt, dass den Entscheidungen des BSG eine konkrete Definition der Verfügbarkeit ebenso fehlt wie Denkansätze zur praktisch möglichen Nachweisführung der Verfügbarkeit von Wohnraum in größeren Gemeinden wie Berlin. Der erkennende Senat hat zudem berücksichtigt, dass die Anforderungen an einen Verfügbarkeitsnachweis nicht überspannt werden dürfen und im Massengeschäft der Jobcenter praktikabel nutzbar sein müssen und dass den Gerichten versagt ist, Verfügbarkeitsnachweise nur wegen ihrer hohen mathematisch-statistischen Komplexität zurückzuweisen. Gleichwohl konnte der Senat vorliegend nicht zu der Überzeugung gelangen, dass mit dem nunmehr vorgelegten Nachweis die hinreichende Verfügbarkeit von Wohnraum belegt ist.

 

(aa)     Die hinreichende Verfügbarkeit von Wohnraum hat der Beklagte mit Unterstützung der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales in einem dreistufigen Verfahren nachzuweisen versucht. Dabei hat er sich auf die Methodik gemäß dem „Rundschreiben Soz Nr. 3/2023 über die aktuellen Richtwerte für die Höhe der angemessenen Aufwendungen für die Unterkunft (Bruttokaltmiete)“ der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales vom 4. September 2023 (nachfolgend: „Rundschreiben“) gestützt, das im Internet veröffentlicht ist. Der Beklagte hat zudem angegeben, sich bei seiner Vorgehensweise an der vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung herausgegebenen „Arbeitshilfe zur Bestimmung der angemessenen Aufwendungen der Unterkunft im Rahmen kommunaler Satzungen“ (abrufbar im Internet; im Folgenden: Arbeitshilfe) orientiert zu haben. Dort heißt es (Seite 47):

 

„6.8. Ermittlung der Verfügbarkeit von Wohnungen

Die Angemessenheitsgrenzen für die KdU müssen so festgelegt sein, dass für die Bedarfsgemeinschaften auch tatsächlich genügend Wohnungen zur Verfügung stehen. (…)  Anhand der Erhebung und Auswertung von Wohnungsangeboten bzw. Angebotsmieten kann überprüft werden, wie viele Wohnungen in einem bestimmten Zeitraum innerhalb eines Vergleichsraums zu welchen Preisen zur Verfügung standen. Daraus lässt sich auch Anzahl bzw. Anteil der Wohnungen ableiten, die für die Bedarfsgemeinschaften zur Verfügung standen, sich also innerhalb der Angemessenheitsgrenzen bewegten. (…) Als Orientierungsgröße kann der jeweilige Anteil der Nachfrager nach preiswertem Wohnraum herangezogen werden. Wenn also z.B. in einer Kommune in einer Wohnungsgrößenklasse 35 Prozent der Haushalte zur Gruppe der Nachfrager nach preiswertem Wohnraum gehören, sollten die Angemessenheitsgrenzen so festgelegt werden, dass - unter Berücksichtigung der absoluten Größe der Nachfragegruppe - auch beim konkreten Wohnungsangebot ausreichend viele Wohnungen innerhalb dieser Grenze liegen.“

 

Ausgehend von diesen Grundlagen hat der Beklagte in einem ersten Schritt die Nachfragekonkurrenz bestimmt. Hierzu hat er – getrennt nach Haushaltsgrößen – den Anteil von geringverdienenden Haushalten im Land Berlin ermittelt. Zu den geringverdienenden Haushalten zählt er gemäß dem Wohnraumbedarfsbericht diejenigen Haushalte, deren Haushaltsnettoeinkommen kleiner als 80 Prozent des mittleren Haushaltsnettoeinkommens ist; dies trifft auf die Leistungsbezieher nach dem SGB II, nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch und nach dem Asylbewerberleistungsgesetz sowie auf Wohngeld-, Berufsausbildungsbeihilfe- und BAföG-Empfänger zu und auch auf Haushalte, die aufgrund ihres geringen – aber noch oberhalb der Grenzen für den Sozialleistungsbezug liegenden – Einkommens einzubeziehen sind. Für das Jahr 2019 ist die Senatsverwaltung auf Basis der Zahlen für das Jahr 2018 zu dem Ergebnis gelangt, dass der Anteil der geringverdienenden Haushalte mit einer Person bei 40 Prozent, mit zwei Personen bei 23 Prozent und mit drei und mehr Personen bei 21 Prozent lag (vgl. Ziffer IV des Rundschreibens). Konkret für das vorliegende Verfahren hat der Beklagte nach dieser Methode die Nachfragekonkurrenz im Jahr 2015 für Ein- bis Drei (und mehr)-Personen-Haushalte mit 41, 29 und 26 Prozent und im Jahr 2016 mit 43, 28 und 23 Prozent bestimmt. Es kann vorliegend dahinstehen, ob die Bestimmung der Nachfragekonkurrenz anhand des Anteils geringverdienender Haushalte auf der Grundlage der Daten des Mikrozensus 2018 zu großzügig erfolgt ist, da nach den Berechnungen der Senatsverwaltung danach 80 Prozent des mittleren Einkommens von Ein-Personen-Haushalten in Berlin bei 1.317,33 Euro/Monat lagen und damit deutlich über der durchschnittlichen Leistungsbezugshöhe einer Ein-Personen-Bedarfsgemeinschaft nach dem SGB II. Jedenfalls ist die Vergleichsgruppe nicht zu klein bemessen.

 

In einem zweiten Schritt hat der Beklagte die Mieten der in den letzten vier Jahren vor dem streitgegenständlichen Zeitraum neu vermieteten Wohnungen – wiederum getrennt nach Haushaltsgrößen – ausgewertet. Gemäß dem Rundschreiben erfolgte dies unter der Prämisse, dass im gleichen Anteil zur Nachfragekonkurrenz Wohnungen innerhalb der Richtwerte anmietbar sein müssen, um zu gewährleisten, dass eine hinreichende Anzahl an Wohnungen zu den kalkulierten Richtwerten auch tatsächlich anmietbar sind. Die Auswertung erfolgte auf Basis der nach Artikel 238 § 2 Absatz 2 Nummer 1 Buchstaben a, d und e des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) erhobenen Daten aus den Jahren 2010 bis 2018, die Angaben zur Wohnfläche, zur Höhe der Miete, der Neben- und Heizkosten, sowie zum Mietbeginn und zur letzten Mietänderung enthalten. Diese zur Erstellung des Mietspiegels erhobenen Daten lassen dabei den Wohnraum unberücksichtigt, bei dem die Miethöhe durch Gesetz oder im Zusammenhang mit einer Förderzusage festgelegt worden ist oder nicht innerhalb der letzten vier Jahre geändert oder neu vereinbart worden ist. Im vorliegenden Verfahren hat der Beklagte die zur Erstellung des Mietspiegels 2017 erhobenen Grundlagendaten („Grundlagendaten für den empirischen Mietspiegel und Aktualisierung des Wohnlagenverzeichnisses zum Berliner Mietspiegel 2017") ausgewertet. Die Datengrundlage unterscheidet in Nettokaltmiete, Betriebskosten, Heizkosten und sonstige Zuschläge für Modernisierung, Gartennutzung etc.. Um die Bruttokaltmiete zu betrachten wurde die Gesamtmiete ermittelt und wurden die angegebenen Heizkosten abgezogen, so dass allein die monatliche Bruttokaltmiete ausgewertet wurde. Wohnungen mit Substandards blieben unberücksichtigt, betrachtet wurden nur Wohnungen mit Sammelheizung, Bad und Innentoilette. Die Auswertung im zweiten Berechnungsschritt begegnet keinen Bedenken, sie ist schlüssig und nachvollziehbar.

 

In einem dritten Schritt hat der Beklagte alle Wohnungen unter Berücksichtigung der Mindestwohnfläche je Person und der als angemessen festgestellten Wohnfläche einer Bedarfsgemeinschaftsgröße zugeordnet. Dabei hat er ermittelt, wie viele Wohnungen insgesamt den jeweiligen Bedarfsgemeinschaftsgrößen zugeordnet werden konnten, und hat er die monatliche Bruttokaltmiete (nicht die Quadratmetermiete) den maßgeblichen Richtwerten im Erhebungszeitraum gegenübergestellt. Soweit die Bruttokaltmiete für eine Bedarfsgemeinschaftsgröße unangemessen hoch war, aber die Wohnung die Mindestwohnfläche der nächsten Bedarfsgemeinschaftsgröße erfüllte, wurde die Wohnung der nächsten Bedarfsgemeinschaftsgröße zugeordnet. Die Mindestwohnfläche wurde von § 7 Abs. 1 oder Abs. 2 Wohnungsaufsichtsgesetz Berlin abgeleitet. Danach ist eine Mindestwohnfläche von 9 m² pro Person einzuhalten. In der Auswertung wurden daher für Ein-Personen-Haushalte Datensätze von Wohnungen zwischen 17,6 bis 50 m² Wohnfläche berücksichtigt, für Zwei-Personen-Haushalte Wohnungen mit einer Wohnfläche zwischen 24,4 und 60 m² und für Drei-Personen-Haushalte Wohnungen mit einer Wohnfläche zwischen 50 und 75 m². Der Beklagte hat – nach einer geringfügigen Korrektur (dazu sogleich) – schlüssig dargelegt, dass im hier streitgegenständlichen Zeitraum von Juli 2015 bis Juni 2016 insgesamt 612.800 Wohnungen eindeutig den Wohnungen bis unter 60 m² Wohnfläche zugeordnet werden konnten. Von diesen sind nach dem dritten Berechnungsschritt des Beklagten 531.316 Wohnungen den Ein- und Zwei-Personen-Bedarfsgemeinschaften zuzuordnen, die restlichen rund 81.500 Wohnungen den Drei-Personen-Bedarfsgemeinschaften. Der Beklagte hat das Vorgehen im dritten Berechnungsschritt nachvollziehbar damit begründet, dass die steigenden Mietpreise im gesamten Mietmarkt eine Tendenz zur Anmietung kleinerer Wohnflächen zur Folge hätten und dass Leistungsbezieher nach dem SGB II nicht durch ein starres Festhalten an standardisierten Wohnungsgrößen (z.B. eine Person = 50 m²) begünstigt werden sollten.

 

Auf Nachfrage des Senats zu der Diskrepanz zwischen der sich aus den Grundlagendaten des Berliner Mietspiegels ergebenden Anzahl der Wohnungen bis zu 60 m² (demnach von 629.100 Wohnungen) und der zunächst in die Auswertung eingeflossenen Anzahl der Wohnungen bis zu 60 m² (462.090 Wohnungen) hat der Beklagte sein Zahlenwerk überprüft, die verwendete Hochrechnung nach der Methode der disproportionalen Stichprobe erläutert und eine ergänzende Berechnung vorgenommen. Dieses verwendete Verfahren habe sicherstellen sollen, dass bei der Erhebung auch für gering belegte Mietspiegelfelder eine ausreichende Befragungsmenge zur Verfügung stehe. Nach der korrigierten Berechnung der Datensätze konnten die Datensätze von 1.353.769 Wohnungen mehrheitlich (über 98%) eindeutig einem Mietspiegelfeld zugeordnet werden. Wohnungen mit Substandard blieben unbeachtet. Nach dieser Berechnung durch den Beklagten erfolgte eine Zuordnung von 251.744 Wohnungen zu den Ein-Personen-Haushalten. 279.571 Wohnungen konnten den Zwei-Personen-Haushalten zugeordnet werden. Von den insoweit den Ein-Personen-Haushalten zugeordneten Wohnungen lagen 48.751 Wohnungen über den Grenzwerten (weil zu klein für die Zuordnung zu einer darüber liegenden Haushaltsgröße oder auch für diese zu teuer) und 202.994 Wohnungen innerhalb des Grenzwertes. Aus dieser Gruppe wurden im zweiten Halbjahr 2015 16.793 Wohnungen neu vermietetet, wovon 10.765 Wohnungen zu den Richtwerten der AV-Wohnen angemietet wurden; dies entspricht einem Anteil von 64 Prozent. Im Jahr 2016 wurden 17.944 der den Ein-Personen-Haushalten zugeordneten Wohnungen neu vermietet, hiervon konnten 10.747 Wohnungen zu den Richtwerten angemietet werden, was einem Anteil von 60 Prozent entspricht.

 

Die Auswertung des Beklagten stellt sich tabellarisch wie folgt dar:

Bild entfernt.

 

(bb)     Damit ist nach Überzeugung des Senats die hinreichende Verfügbarkeit von Wohnraum im Streitzeitraum jedoch nicht nachgewiesen. Zwar kann die Verfügbarkeit sowohl durch einen Abgleich der konkreten Anzahl von angebotenen und nachgefragten Wohnungen als auch durch den Vergleich mit Anteilen von Angebot und Nachfrage nachgewiesen werden. Beides gelingt dem Beklagten vorliegend aber nicht:

 

  1. Nach der Rechtsprechung des BSG hat sich das Gericht davon zu überzeugen, dass für den festgelegten abstrakten Angemessenheitswert „Wohnraum in hinreichender Anzahl“ tatsächlich verfügbar ist (BSG, Urteil vom 3. September 2020 – B 14 AS 37/19 R –, Rn. 24). Das BSG lässt bewusst offen, was unter einer „hinreichenden Anzahl“ zu verstehen ist, und überlässt die Bestimmung den Tatsacheninstanzen im Einzelfall. Diese haben somit das „Maß der Verfügbarkeit“ (so SG Berlin, Urteil vom 6. Juli 2021 – S 179 AS 1083/19 –, Rn. 56) zu bestimmen. Die Vorgaben des BSG sind insoweit bislang unklar (Luthe in: Hauck/Noftz, SGB II, 4. Ergänzungslieferung 2024, § 22, Rn. 130) und auch in der Literatur fehlen derzeit konkrete Vorschläge für die tatrichterliche Arbeit (vgl. Berlit in Münder/Geiger/Lenze, SGB II, 8. Auflage 2023, § 22, Rn. 125: „Problematisch ist die Quantifizierung hinreichender Verfügbarkeit.“); teilweise wird der Begriff der Verfügbarkeit ohne vertiefende Bestimmung lediglich wiederholt (vgl. Becker, Die Bedarfe für Unterkunft und Heizung nach dem SGB II, SGb 2021, 1, 5; kritisch hierzu SG Berlin, Urteil vom 6. Juli 2021 – S 179 AS 1083/19 –, Rn. 57). Die vom Beklagten in Bezug genommene Arbeitshilfe benennt zum Nachweis der Verfügbarkeit die „Anzahl bzw. den Anteil der Wohnungen“.

 

(ii) Unproblematisch hinreichend verfügbar ist Wohnraum, wenn die Anzahl der angebotenen Wohnungen der Anzahl der nachfragenden Haushalte entspricht. Bei einem angespanntem Mietmarkt darf die Anzahl der angebotenen Wohnungen jedenfalls nicht übermäßig hinter der Anzahl der nachfragenden Haushalte zurückbleiben. Um diese Bedingung nachweisen bzw. prüfen zu können, wäre jedoch Voraussetzung, dass die konkrete Anzahl der nachfragenden Haushalte benannt werden kann.

 

Durch die Ermittlung einer konkreten Anzahl von anmietbaren Wohnungen konnte der Beklagte den Nachweis der Verfügbarkeit von Wohnraum nicht führen. Er hat zwar durch die von ihm während des Berufungsverfahrens nachgereichten Daten und Erläuterungen erstmals schlüssig und anhand statistisch-mathematischer Berechnungen nachvollziehbar dargelegt, wie viele Wohnungen in den Jahren 2015 und 2016 in Berlin tatsächlich innerhalb des abstrakten Angemessenheitswerts von 364,50 Euro bruttokalt neu angemietet werden konnten. Der Ermittlung der konkreten Anzahl der verfügbaren Wohnungen anhand des vom Beklagten verwendeten Modells stehen keine rechtlichen Bedenken entgegen. Danach waren 10.765 Wohnungen im zweiten Halbjahr 2015 und 10.747 Wohnungen im gesamten Kalenderjahr 2016 zu den Werten der AV-Wohnen 2015 tatsächlich für den Kläger potentiell verfügbar, denn in diesem Umfang erfolgten Neuanmietungen zu Bruttokaltmieten bis zur Höhe des dort festgesetzten Angemessenheitswerts.

 

Aus diesen konkreten Zahlen zu den in Berlin im Streitzeitraum bis zum Angemessenheitswert neu vermieteten Wohnungen lässt sich aber nicht ableiten, ob diese Anzahl zugleich eine „hinreichende“ Zahl i.S.d. der Vorgaben des Bundessozialgerichts darstellt. Denn es ist nicht Gegenstand des Berechnungskonzeptes des Beklagten und ist für den Senat auch aus den nachgereichten Unterlagen zur „Nachbesserung“ des Konzepts nicht ermittelbar, wie groß die konkrete Anzahl der zugleich um diese Wohnungen konkurrierenden Wohnungssuchenden in Berlin im Streitzeitraum war. Wie groß die Anzahl konkret verfügbarer Wohnungen sein muss, hängt aber von der Anzahl der Bedarfsgemeinschaften ab: je größer diese Gruppe ist, desto mehr sollten es sein (so formuliert in der vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung herausgegebenen „Arbeitshilfe“). Selbst wenn die Anzahl der geringverdienenden Haushalte bestimmbar ist (wie z.B. durch Rückgriff auf die Daten aus dem Mikrozensus 2018: 429,578 Ein-Personen-Haushalte mit einem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen unter 1.300 Euro), ist dennoch jedenfalls ohne weitere Angaben zur Anzahl der tatsächlich Wohnungssuchenden kein Rückschluss darauf möglich, ob 10.765 oder 10.747 anmietbare Wohnungen eine hinreichend große Anzahl darstellen, um von einer Verfügbarkeit von Wohnraum zu den Angemessenheitswerten des Beklagten ausgehen zu können.

 

Der erkennende Senat hält die Vorgabe des Bundessozialgerichts, wonach vom Leistungsträger nachzuweisen ist, dass eine hinreichende „Anzahl“ von Wohnungen tatsächlich zu den von ihm bestimmten Angemessenheitswerten anmietbar ist oder war, für schlechterdings nicht umsetzbar, jedenfalls nicht in größeren Vergleichsräumen mit einer hohen Einwohnerzahl. Auch den Statistikern in der hierfür zuständigen Senatsverwaltung in Berlin ist dies trotz aller Bemühungen, die der erkennende Senat durchaus sieht und anerkennt, nicht gelungen.

 

  1. Die Verfügbarkeit von Wohnraum ließe sich außerdem auch aus einem Vergleich des Anteils der angebotenen Wohnungen, die zu einem als angemessen angesehenen Mietpreis anmietbar waren, am Gesamtmarkt mit dem Anteil der Haushalte der Nachfragekonkurrenz bestimmen. Nach den Ausführungen in der Arbeitshilfe wäre Verfügbarkeit dann zu bejahen, wenn der Anteil der Nachfragekonkurrenz an der Gesamtheit der Bevölkerung im Vergleichsraum dem Anteil der verfügbaren Wohnungen am Gesamtmietmarkt im Vergleichsraum im Wesentlichen entspräche. Das heißt für die vorliegende Fallgestaltung, dass der Anteil der geringverdienenden Ein-Personen-Haushalte in Berlin dem Anteil der zu Angemessenheitswerten für Ein-Personen-Haushalte anmietbaren Wohnungen in Berlin im Wesentlichen entsprechen muss. Vorliegend kann dahinstehen, ob und in welchem Umfang Abweichungen zu tolerieren sind.

 

Dem Beklagten ist dahingehend zuzustimmen, dass es nach diesem Verständnis zu einer Bevorteilung der Leistungsbezieher nach dem SGB II gegenüber geringverdienenden Nichtleistungsberechtigten kommen kann. Nach Ansicht des erkennenden Senats ist die Rechtsprechung des BSG jedoch dahin zu verstehen, dass auch bei einem angespannten Mietmarkt nicht lediglich die Chancengleichheit der Leistungsbezieher nach dem SGB II in der Konkurrenz um angebotene Wohnungen gesichert werden muss, sondern dass vom Leistungsträger nachzuweisen ist, dass zu den von ihm bestimmten Angemessenheitswerten (bei größtmöglich zumutbarer Anstrengung des Leistungsberechtigten) eine realistische Chance auf Anmietung einer danach als angemessen geltenden Wohnung besteht. Anderenfalls könnte sich der Verfügbarkeitsnachweis auch bei einer verschwindend geringen Anzahl von angebotenen Wohnungen in dem Beleg erschöpfen, dass der Leistungsberechtigte die gleiche statistische Chance auf eine der wenigen angemessenen Wohnungen habe wie die Nachfragekonkurrenz. Dies allein könnte eine Verweisung auf die Angemessenheitswerte jedoch nicht rechtfertigen.

 

Nachvollziehbar stützt sich der Beklagte auf eine Anteilsberechnung. Jedoch lässt die vorgenommene Berechnung nach Überzeugung des Senats ebenso keinen sicheren Rückschluss auf eine Verfügbarkeit von Wohnraum zu den Angemessenheitswerten des Beklagten zu. Denn der Beklagte hat einen aus einer Gesamtheit ermittelten Anteil mit dem auf eine Teilmenge bezogenen Anteil verglichen. Der Beklagte vergleicht zwei Anteilswerte, die sich nicht auf deckungsgleiche Gesamtmengen beziehen.

 

Der Beklagte hat nämlich in einem ersten Schritt die Nachfragekonkurrenz als Anteil von allen Ein-Personen-Haushalten im Land Berlin bestimmt. Den prozentualen Anteil der geringverdienenden Ein-Personen-Haushalte an der Gesamtheit der Ein- Personen-Haushalte in Berlin hat der Beklagte für das Jahr 2015 mit 41 Prozent und für das Jahr 2016 mit 43 Prozent angegeben. Mit dem zweiten Berechnungsschritt hat der Beklagte zutreffend und nachvollziehbar getrennt nach Haushaltsgrößen aus der Gesamtheit des Mietmarktes die Gesamtheit der 2015 und 2016 neu vermieteten Wohnungen unter Ausschluss der Wohnungen mit Substandards herausgegriffen, um das insgesamt im Markt befindliche Angebot zu definieren. Jedoch hat der Beklagte sodann nicht den Anteil der zu den Richtwerten der AV-Wohnen anmietbaren Wohnungen an dieser Gesamtheit bestimmt, sondern in einem dritten Berechnungsschritt eine Teilmenge der anmietbaren Wohnungen gebildet. Denn von den potentiell für einen Ein-Personen-Haushalt anmietbaren Wohnungen hat er nur diejenigen betrachtet, die für die Ein-Personen-Bedarfsgemeinschaft finanziell angemessen sind oder die zu klein sind, um sie einem Mehrpersonen-Haushalt zuzuordnen, oder auch für diesen finanziell unangemessen sind. Die für einen Ein-Personen-Haushalt unangemessen teuren, für einen größeren Haushalt nach der Mindestwohnungsgröße aber flächenmäßig hinreichenden und finanziell angemessenen Wohnungen hat der Beklagte sodann der Bezugsgruppe der größeren Wohnungen zugeordnet. Für Ein- und Zwei-Personen-Haushalte verminderte sich damit die Anzahl der in Betracht zu nehmenden Wohnungen um insgesamt 81.500 Wohnungen, da diese den Drei-Personen-Bedarfsgemeinschaften zugeordnet wurden. Diese Anzahl (81.500 Wohnungen) entspricht einem Anteil von etwa 13 Prozent an der Gesamtheit der berücksichtigten 612.800 Wohnungen. Damit bezieht der Beklagte bei der Ermittlung des Verfügbarkeitsanteils den Anteil der zu den Werten der AV-Wohnen 2015 anmietbaren Wohnung nicht auf 100 Prozent, sondern nur auf 87 Prozent der Wohnungen für Ein- und Zwei-Personen-Haushalte. Nur aus dieser Teilmenge hat der Beklagte den Anteil der nach den Richtwerten anmietbaren Wohnungen für Ein-Personen-Haushalte ermittelt und auf 64 Prozent im zweiten Halbjahr 2015 bzw. 60 Prozent im Jahr 2016 bestimmt. Nachfolgend hat der Beklagte diese Anteile mit dem Anteil der Nachfragekonkurrenz (Geringverdiener an der Gesamtbevölkerung, 43 Prozent) verglichen und sieht eine hinreichend anteilige Verfügbarkeit als belegt. Der Abgleich des aus der Gesamtheit ermittelten Anteils der Nachfragekonkurrenz mit dem aus der Teilmenge ermittelten Anteil der zu den Richtwerten verfügbaren Wohnungen lässt jedoch nicht den Schluss zu, dass insgesamt ein ausreichend großer Anteil an Wohnungen zur Anmietung verfügbar war.

Nach Auffassung des erkennenden Senats lässt sich daher aus den vom Beklagten ermittelten prozentualen Werten eine Verfügbarkeit nicht hinreichend sicher ableiten. Insofern ist dem Senat keine Einordnung möglich, ob 60 bzw. 64 Prozent der Teilmenge ausreichend sind, um sicherzustellen, dass ein SGB II-Leistungsempfänger in diesen Jahren eine Wohnung zu einer Bruttokaltmiete von 364,50 Euro auch tatsächlich finden konnte.

 

Der erkennende Senat will nicht ausschließen, dass diese Interpretation des Verfügbarkeitskonzepts nicht den mathematisch-statistischen Intentionen des Beklagten entspricht. Der Verfügbarkeitsnachweis ist jedoch dann nicht geführt, wenn es dem Beklagten auch auf wiederholte Nachfrage und mündlicher Verhandlung nicht gelingt, sein Konzept nachvollziehbar zu erklären. Es genügt nicht, dass eine einzelne Person der zuständigen Senatsverwaltung das Zahlenwerk verstehen mag.

 

  1. Da sich der Senat außerstande sieht, in rechtlich zulässiger Weise einen abstrakten Angemessenheitswert zu bestimmen, bleibt nach der Rechtsprechung des BSG nur der Rückgriff auf die Beträge aus § 12 WoGG (vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009 – B 4 AS 50/09 R –, Rn. 27; BSG, Urteil vom 30. Januar 2019 - B 14 AS 24/18 R -, Rn. 30). Einen Vergleich mit den Mieten im sozialen Wohnungsbau hält der Senat angesichts dieser Rechtsprechung nicht für erforderlich; der vom Kläger in Bezug genommenen anders lautenden (und vereinzelt gebliebenen) Rechtsprechung des 32. Senats des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg (Urteil vom 30. März 2023 – L 32 AS 1888/17 –, Rn. 98, und Urteil vom 1. Dezember 2021 – L 32 AS 579/16 –, Rn. 89 ff.) schließt sich der Senat nicht an (ebenso u.a. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16. März 2022 – L 1 AS 456/21 WA –, Rn. 77).

 

Die Tabellenwerte gemäß § 12 WoGG zuzüglich des Sicherheitszuschlags fungieren als „Angemessenheitsobergrenze", die die Finanzierung extrem hoher und per se unangemessener Mieten verhindert (so BSG, Urteil vom 30. Januar 2019 – B 14 AS 24/18 –, Rn. 30, und vom 17. Dezember 2009 – B 4 AS 50/09 R –, Rn. 27). Der Sicherheitszuschlag ist im Interesse des Schutzes des elementaren Bedürfnisses der Leistungsberechtigten auf Sicherung des Wohnraums erforderlich. Beim Fehlen eines schlüssigen Konzepts kann nämlich nicht mit Sicherheit beurteilt werden, wie hoch die tatsächlich angemessene Referenzmiete war (so bereits BSG, Urteile vom 7. November 2006 – B 7b AS 18/06 R –, Rn. 23, vom 25. April 2018 – B 14 AS 14/17 R –, Rn. 20, und vom 3. September 2020 – B 14 AS 34/19 R –, Rn. 38)

Die Erhöhung des Wohngeldes im Jahre 2016 kann ein Absehen vom Sicherheitszuschlag nicht begründen. Der Sicherheitszuschlag ist auch für die Jahre 2015 und 2016 erforderlich, da auch die angehobenen Werte nach dem Wohngeldgesetz nicht den Anspruch erheben, die realen Verhältnisse auf dem Markt zutreffend abzubilden. Der Sinn und Zweck des Wohngeldgesetzes liegt nicht darin, die Mieten für Wohnraum bei Vorliegen der einkommensrechtlichen Voraussetzungen voll oder zu einem erheblichen Teil zu übernehmen. Vielmehr handelt es sich beim Wohngeld um einen Zuschuss zu den Aufwendungen für Wohnraum, weshalb die Leistung nach dem Wohngeldgesetz folgerichtig als (Miet- oder Lasten-)Zuschuss (vgl. § 1 Abs. 1 bzw. Abs. 2 WoGG) bezeichnet wird. Dessen Höhe ist abhängig von der zu berücksichtigenden Miete (bzw. den zu berücksichtigenden Lasten), den Haushaltsmitgliedern und dem Einkommen. Übersteigt die nach § 11 WoGG zu berücksichtigende Miete den in § 12 WoGG festgesetzten Betrag, bleibt der übersteigende Teil bei der Wohngeldberechnung außer Betracht. Die im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II angemessene Miete muss hingegen gewährleisten, dass zu dem als angemessen erachteten Wert Wohnraum vorhanden ist. Beide Regelungen verfolgen damit verschiedene Ziele; auf die Werte aus § 12 WoGG beziehungsweise der Tabelle hierzu ist daher nur (hilfsweise) als Grundlage zur Bemessung der angemessenen Miete abzustellen und der sich daraus ergebende Betrag ist dem anders gelagerten Sinn und Zweck von § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II durch den „Sicherheitszuschlag“ anzupassen. Aufgrund der unterschiedlichen Zweckbestimmung hat es für die Bestimmung der Angemessenheitsgrenze nach dem Recht der Grundsicherung der Arbeit damit keine wesentliche Bedeutung, dass die Werte nach dem Wohngeldgesetz im Jahre 2016 merklich angehoben wurden (LSG Hessen Beschluss vom 11. März 2020 – L 6 AS 605/19 B ER –, Rn. 49, und LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16. März 2022 – L 1 AS 456/21 WA –, Rn. 76). Es kann offenbleiben, ob mit dem Gesetz zur Stärkung des Wohngeldes – Wohngeldstärkungsgesetz vom 30. November 2019 (BGBl. I, 1877) ab dem Jahre 2020 weiterhin ein Sicherheitszuschlag zu gewähren ist, da der Gesetzgeber hiermit eine Dynamisierung alle 2 Jahre eingeführt hat (für die Weitergewährung des Sicherheitszuschlages etwa Luthe in: Hauck/Noftz SGB II, 4. EL 2024, § 22, Rn. 97).

 

Die danach abstrakt angemessene Bruttokaltmiete belief sich im streitigen Leistungszeitraum nach dem WoGG für das Jahr 2015 für einen Ein-Personen-Haushalt auf 358,00 Euro (Höchstbetrag nach § 12 Abs. 1 WoGG in der im Jahr 2015 geltenden Fassung) monatlich zuzüglich eines Sicherheitszuschlages von 10 Prozent auf 393,80 Euro und für das Jahr 2016 auf 434,00 Euro (Höchstbetrag nach § 12 Abs. 1 WoGG in der ab 1. Januar 2016 geltenden Fassung) monatlich zuzüglich eines Sicherheitszuschlages von 10 Prozent auf 477,40 Euro. Hierbei berücksichtigt der Senat jeweils die Mietenstufe IV, in welche die Stadt Berlin im streitigen Zeitraum gehörte (vgl. Anlage zu § 1 Abs. 3 Wohngeldverordnung in der Fassung vom 15. Dezember 2008 [BGBl. I 2008, 2487] bzw. in der Fassung vom 2. Oktober 2015 [BGBl. I 2015, 1610]).

  1. Die sich aus der Anlage zu § 12 WoGG zzgl. eines Sicherheitszuschlages ergebenden Werte stellen zugleich für den Kläger die konkreten Angemessenheitswerte dar. Es liegen in der Person des Klägers keine Umstände vor, die einen größeren Platzbedarf oder preissteigernde Ausstattungsmerkmale erfordern würden.

 

  1. Stellen sich die tatsächlich anfallenden Aufwendungen damit auch unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände des Klägers im Einzelfall als unangemessen hoch dar, ist in einem abschließenden Schritt zu prüfen, ob daraus eine Pflicht zur Senkung der Kosten folgt (BSG, Urteil vom 12. Juni 2013 – B 14 AS 60/12 R –, Rn. 28, juris). Dies ergibt sich aus § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II i.d.F. vom 13. Mai 2011, wonach die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung, soweit sie den der Besonderheit des Einzelfalls angemessenen Umfang übersteigen, als Bedarf des alleinstehenden Hilfebedürftigen so lange zu berücksichtigen sind, wie es ihm nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Aus dieser Vorschrift folgt neben der Obliegenheit zur Kostensenkung durch den Leistungsberechtigten zugleich die Notwendigkeit zur Durchführung eines Kostensenkungsverfahrens durch das Jobcenter, das die leistungsberechtigte Person in die Lage versetzt, ihrer Kostensenkungsobliegenheit nachzukommen. Die mit einer Kostensenkungsaufforderung verbundene Aufklärungs- und Warnfunktion soll der leistungsberechtigten Person Klarheit über die aus Sicht des Jobcenters angemessenen Aufwendungen und die maßgebliche Rechtslage verschaffen und sie damit in die Lage versetzen, ihr Verhalten in Bezug auf die für angemessen erachteten Bedarfe einzustellen (BSG, Urteil vom 19. Mai 2021 – B 14 AS 57/19 R –, Rn. 21 f.).

Da der Beklagte den Kläger bereits mit Schreiben vom 22. Dezember 2008, 5. Februar 2010 und 1. April 2010 aufgefordert hatte, die Kosten der Unterkunft zu senken, war ein erneutes Kostensenkungsverfahren nicht mehr erforderlich. Soweit der Kläger vorträgt, dass es ihm wegen seiner Mietschulden und der daraus resultierenden fehlenden Mietschuldenfreiheitserklärung subjektiv nicht möglich gewesen sei, eine günstigere Unterkunft anzumieten, hat er nicht ausreichend dargelegt, dass er überhaupt eine andere Wohnung gesucht hat. Der Senat weist insoweit gemäß § 153 Abs. 2 SGG die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.

 

  1. Auch Leistungen für die Heizung werden gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II nur in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen übernommen, soweit diese angemessen sind (vgl. grundlegend hierzu: BSG, Urteil vom 2. Juli 2009 – B 14 AS 36/08 R –, Rn. 15). Der Kläger hatte im Streitzeitraum monatliche Heizkostenvorauszahlungen in Höhe von 123,00 Euro zu zahlen. Dieser Betrag ist nicht angemessen i.S.d. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II.

 

  1. Bei dem gesetzlichen Tatbestandsmerkmal „Angemessenheit“ handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, gegen dessen Verwendung auch zur Sicherstellung des existenzsichernden Bedarfs für Heizkosten keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen (BSG, Urteil vom 19. Mai 2021 – B 14 AS 57/19 R –, Rn. 17). Die Prüfung der Angemessenheit der Heizkosten ist an den Wohnverhältnissen der Leistungsberechtigten im jeweiligen Einzelfall auszurichten. Es ist ein konkret-individueller Maßstab anzulegen. Die tatsächlichen Heizkosten sind als angemessen anzusehen, sofern nicht besondere Umstände Anlass zu einer abweichenden Bewertung geben. Anhaltspunkte dafür, dass die Heizkosten unangemessen hoch sind, können daraus gewonnen werden, dass Richtwerte, die sich aus der Anwendung repräsentativer kommunaler oder – soweit diese für das Gebiet des jeweiligen Trägers fehlen – bundesweiter Heizspiegel ergeben, signifikant überschritten werden. Dabei kommen die Werte des (von der co2online gGmbH in Kooperation mit dem Deutschen Mieterbund und gefördert durch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit erstellten) „Bundesweiten Heizspiegels“ in Betracht (so BSG, Urteil vom 2. Juli 2009 – B 14 AS 36/08 R –, Rn. 15), der beginnend mit dem Jahr 2005 Vergleichswerte für öl-, erdgas- und fernwärmebeheizte Wohnungen gestaffelt nach der Größe der Wohnanlage bereithält und der hinsichtlich des Heizenergieverbrauchs zwischen „optimal“, „durchschnittlich“, „erhöht“ und „extrem hoch“ differenziert (vgl. http://www.heizspiegel.de). Der Grenzwert für noch angemessene Heizkosten ergibt sich aus dem Produkt aus dem Wert, der auf „extrem hohe“ Heizkosten bezogen auf den jeweiligen Energieträger und die Größe der Wohnanlage hindeutet (rechte Spalte), und dem Wert, der sich für den Haushalt des Hilfebedürftigen als abstrakt angemessene Wohnfläche nach den Ausführungsbestimmungen der Länder zu § 10 Abs. 1 des Gesetzes über die soziale Wohnraumförderung (Wohnraumförderungsgesetz – WoFG) bzw. § 5 Abs. 2 Wohnungsbindungsgesetz a.F. (WoBindG) ergibt. Insofern wird der Wert für extrem hohe Heizkosten nur bezogen auf die angemessene Quadratmeterzahl zu Grunde gelegt, was bereits ein Korrektiv hinsichtlich der Höhe der Heizkosten darstellt, zugleich aber auch die Vergleichbarkeit der Heizkosten mit denen einer typischerweise angemessenen Wohnung ermöglicht. Der Grundsicherungsempfänger kann also im Regelfall die tatsächlichen Heizkosten nur bis zur Obergrenze aus dem Produkt des Wertes für extrem hohe Heizkosten mit der angemessenen Wohnfläche (in Quadratmetern) geltend machen (BSG, Urteil vom 2. Juli 2009 – B 14 AS 36/08 R –, Rn. 22).

 

Maßgebend ist vorliegend der bundesweite Heizspiegel 2015. Dieser Heizspiegel war bei Erlass der letzten Verwaltungsentscheidung (Widerspruchsbescheid vom 30. August 2016) bereits veröffentlicht (Veröffentlichung im Oktober 2015). Der Bundesweite Heizspiegel 2016 wurde erst im November 2016 veröffentlicht und findet deshalb für den vorliegenden Fall keine Anwendung. Der Grenzwert für Beheizung mit Heizöl in einem Gebäude mit einer Fläche über 1.000 m² beträgt hiernach bei einer für einen Ein-Personen-Haushalt in Berlin abstrakt angemessenen Wohnfläche von 50 m² (hierzu: BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 – B 14 AS 2/10 R –, Rn. 17) für das Kalenderjahr 900,00 Euro (50 m² x Grenzwert „zu hoch“ von 18,000 Euro/m²) bzw. für den Monat 75,00 Euro.

 

Da die Wohnung des Klägers dezentral über Durchlauferhitzer in Küche und Bad mit Warmwasser versorgt wird, hat schon das Sozialgericht zutreffend dargelegt, dass die Aufwendungen für die Warmwasseraufbereitung von dem so ermittelten Wert in Abzug zu bringen sind. Die Vergleichswerte in den Tabellen des Bundesweiten Heizspiegels beziehen sich auf die Gesamtfläche eines zentral beheizten Gebäudes (Gesamtheit aller Wohnflächen), so dass die Aufwendungen für die Warmwasseraufbereitung von dem sich aus dem Bundesweiten Heizspiegel ergebenden Wert für die Raumwärme und die Warmwasseraufbereitung in Abzug zu bringen sind, um eine Vergleichbarkeit – der tatsächlich geschuldeten – reinen Heizkosten mit den abstrakt angemessenen Heizkosten zu gewährleisten. Der erkennende Senat stützt sich zur Ermittlung der aus den Vergleichswerten herauszurechnenden Warmwasserkosten auf die in § 9 Abs. 2 Satz 4 der Verordnung über die verbrauchsabhängige Abrechnung der Heiz- und Warmwasserkosten (Verordnung über Heizkostenabrechnung – HeizkostenV) ausgewiesene Möglichkeit der Ermittlung eines Pauschalwerts der Kosten der zentralen Warmwasserbereitung (so schon Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 7. April 2022 – L 10 AS 2286/18 –, Rn. 63). Für Heizöl beträgt der Wert gemäß § 9 Abs. 2 Satz 6 Nr. 1 HeizkostenV 32 kWh/m². Diese Beträge sind aus den Vergleichswerten des Bundesweiten Heizkostenspiegels herauszurechnen.

 

Für die Zeit von Juli 2015 bis Dezember 2015 ergibt sich so ein Grenzwert für angemessene Heizkosten in Höhe von monatlich 64,42 Euro, den auch das Sozialgericht zutreffend zugrunde gelegt hat. Denn der Vergleichswert nach dem Bundesweiten Heizspiegel 2015 beträgt für ein mit Heizöl beheiztes Gebäude mit über 1.000 m² 227 kWh/m², wovon 32 kWh/m² herauszurechnen sind. Überträgt man diese Herausrechnung auf den Vergleichswert des Heizspiegels 2015 für die unangemessenen Kosten, welcher für ein mit Heizöl beheiztes Gebäude bei einer beheizten Fläche von über 1.000 m² 18,00 Euro beträgt, ergibt sich ein jährlicher Grenzwert von 15,46 Euro/m² (195 kWh/m² : 227 kWh/m² x 18,00 Euro/m²), somit ein monatlicher Grenzwert von 1,288 Euro/m², der mit der höchsten angemessenen Wohnungsgröße für einen Ein-Personen-Haushalt in Berlin (50 m²) zu multiplizieren ist (zur Berechnung vgl. auch Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 7. April 2022 – L 10 AS 2286/18 –, Rn. 64 f.; zur Berechnung des angemessenen Bedarfs für die zentrale Warmwassererzeugung BSG, Urteil vom 28. Februar 2024 – B 4 AS 18/22 R –, Terminbericht Nr. 5/24, das Urteil liegt noch nicht im Volltext vor).

 

Dass der so ermittelte Abzug für die dezentrale Warmwassererzeugung (10,58 Euro) von dem in § 21 Abs. 7 SGB II (i.d.F. vom 13. Mai 2011) geregelten und hier nicht streitigen Mehrbedarf (2,3 Prozent von 399 Euro bzw. ab Januar 2016 von 404 Euro, also 9,18 Euro bzw. 9,29 Euro)abweicht, ist darin begründet, dass § 21 Abs. 7 SGB II Pauschalen vorsieht und nicht nach Energieträgern differenziert. Dies begegnet keinen Bedenken.

 

  1. Die Heizkostenvorauszahlungen in Höhe von 123,00 Euro monatlich sind auch nicht etwa deshalb als „angemessen“ anzusehen, weil die Heizkostenabrechnung für das Jahr 2014 ein Guthaben des Klägers in Höhe von 571,62 Euro ergeben hat, das seinem Mieterkonto am 18. August 2015 zum 1. Oktober 2015 gutgeschrieben wurde.

 

Gemäß § 22 Abs. 3 SGB II (in der Fassung vom 13. Mai 2011) mindern Rückzahlungen und Guthaben, die dem Bedarf für Unterkunft und Heizung zuzuordnen sind, die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach dem Monat der Rückzahlung oder der Gutschrift; Rückzahlungen, die sich auf die Kosten für Haushaltsenergie beziehen, bleiben außer Betracht.

 

Bei der Erstattung von Betriebs- und Heizkostenvorauszahlungen im Rahmen von Wohnraummietverhältnissen handelt es sich um Einkommen i.S.d. § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II (stRspr, statt vieler BSG, Urteil vom 24. Juni 2020 – B 4 AS 7/20 R –, Rn. 29). Damit ist das in der am 18. August 2015 erstellten Heizkostenabrechnung ausgewiesene Guthaben grundsätzlich als Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II anzurechnen. § 22 Abs. 3 SGB II stellt eine die allgemeinen Vorschriften über die Einkommensanrechnung (§§ 11 ff. SGB II) verdrängende Sonderregelung dar (BSG, Urteil vom 24. Juni 2020 – B 4 AS 8/20 R –, Rn. 29). Die Vorschrift regelt auch die Frage, nach welchem Modus und demnach in welcher Höhe sich die den Kosten für Unterkunft und Heizung zuzuordnenden Rückzahlungen und Guthaben mindernd auf die Leistungen für Unterkunft und Heizung auswirken (BSG, Urteil vom 12. Dezember 2013 – B 14 AS 83/12 R –, Rn. 12). Hintergrund der Spezialregelung des § 22 Abs. 3 SGB II ist, dass Einkommen im Sinne der §§ 11 ff. SGB II primär auf die Regelleistungen angerechnet wird, das heißt auf den Teil der Grundsicherungsleistung, der aus Bundesmitteln finanziert wird (vgl. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II). Dadurch, dass Betriebskostengutschriften bzw. Betriebskostenrückzahlungen nach dieser Norm den Unterkunftsbedarf mindern, ändern sie die finanziellen Aufwendungen der Kommune nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II. Um bei einer zeitnahen Vorlage der Betriebskostenabrechnung Verwaltungsaufwand zu vermeiden, werden Betriebskostengutschriften nach der Spezialregelung des § 22 Abs. 3 SGB II nicht im Zufluss- bzw. Gutschriftenmonat angerechnet, sondern erst ab dem Folgemonat.

 

Ein Nebenkostenguthaben, das einem Leistungsempfänger nicht ausgezahlt wird, sondern mit aufgelaufenen oder künftigen Forderungen des Vermieters von diesem aufgerechnet wird, bewirkt bei dem Mieter einen „wertmäßigen Zuwachs“, weil es wegen der damit ggf. verbundenen Schuldbefreiung oder Verringerung anderweitiger Verbindlichkeiten aus der Vergangenheit einen bestimmten, in Geld ausdrückbaren wirtschaftlichen Wert besitzt (BSG, Urteil vom 16. Mai 2012 – B 4 AS 132/11 R –, Rn. 21).Der Beklagte ist hier zutreffend von einem „wertmäßigen Zuwachs“ im Monat Oktober 2015 ausgegangen, weil der Kläger infolge der Gutschrift zum 1. Oktober 2015 in diesem Monat einer geringeren Mietzinsverbindlichkeit ausgesetzt war. Hingegen ist nicht von einem Zufluss schon mit dem Gutschreiben auf dem Mieterkonto im August 2015 auszugehen, da sich die Gutschrift in diesem Monat noch nicht wertmäßig bei dem Kläger realisierte. Die „Verrechnung“ des Guthabens mit der laufenden Mietzahlung für Oktober 2015 führte nicht zu einer Minderung des Bedarfs für Kosten der Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 SGB II, sondern dieser wurde (teilweise) durch erzieltes Einkommen gedeckt (vgl. Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12. Juli 2021 – L 2 AS 1655/20 –, Rn. 24). Zu Recht hat daher der Beklagte die Leistungen für die KdUH unter Anrechnung des Guthabens im November 2015 gemindert (a.A. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27. Januar 2020 – L 31 AS 1871/19 –, Rn. 22 ff.: maßgeblich ist die Haben-Buchung des Rückzahlungsbetrages im Mietkonto; vgl. hierzu auch Sozialgericht Berlin, Urteil vom 17. Januar 2024 – S 174 AS 4184/23 –, Rn. 40).

 

Unerheblich für die Anrechnung gemäß § 22 Abs. 3 SGB II i.d.F. vom 13. Mai 2011 ist, wer die Zahlungen getätigt hat (BSG, Urteil vom 22. März 2012 – B 4 AS 139/11 R –, Rn. 19), also ob der Einkommenszufluss auf der Abrechnung vorangegangener Abschlagszahlungen des Leistungsberechtigten aus eigenen Mitteln oder aus Leistungen des Trägers oder eines Dritten (etwa eines Mitbewohners) beruht.Für den hier streitgegenständlichen Zeitraum vor dem Inkrafttreten der Neufassung der Norm am 1. August 2016, mit der § 22 Abs. 3 SGB II im zweiten Halbsatz erweitert wurde, ist es auch ohne Bedeutung, dass der Kläger die (möglicherweise überhöhten) Heizkostenvorauszahlungen im Streitzeitraum wegen einer insoweit nur abgesenkten Leistungsbewilligung (auch) aus dem Regelbedarf bestritten hat und die Heizkosten im Ergebnis (möglicherweise durch sparsames Verhalten) vermindert hat. Denn nach § 22 Abs. 3 SGB II i.d.F. vom 26. Juli 2016 (gültig ab 1. August 2016) verbleibt zwar (neben dem Anteil, der auf Haushaltsenergie entfällt) der Anteil an den Rückzahlungen beim Leistungsberechtigten, der auf Zahlungen entfällt, die der Träger als nicht angemessen nicht übernommen hatte (zur Begründung BT-Drucks. 18/8041, S. 40). Für die Zeit vor Inkrafttreten der Regelung gilt dies allerdings nicht, da es sich bei § 22 Abs. 3 SGB II i.d.F. vom 26. Juli 2016 um eine echte Rechtsänderung handelt (BSG, Urteil vom 14. Juni 2018 – B 14 AS 22/17 R –, Rn. 26; hierzu auch Anm. Schifferdecker, NZS 2018, 876).

 

  1. Die Ausführungen zu einem „wertmäßigen“ Zuwachs durch das Guthaben aus der Heizkostenabrechnung gelten entsprechend auch für das Guthaben aus der Betriebskostenabrechnung für das Jahr 2014 in Höhe von 54,86 Euro, das dem Mieterkonto des Klägers am 5. Juni 2015 zum 1. Juli 2015 gutgeschrieben wurde. Der Beklagte hat diesen Betrag in dem angefochtenen Bescheid zwar nicht als Einkommen berücksichtigt. Es liegt insoweit aber tatsächlich ein „wertmäßiger Zuwachs“ im Monat Juli 2015 vor, weil der Kläger infolge der Gutschrift zum 1. Juli 2015 in diesem Monat einer geringeren Mietzinsverbindlichkeit ausgesetzt war. Dieser ist nach der Spezialregelung des § 22 Abs. 3 SGB II im Folgemonat anzurechnen.

 

Im Ergebnis hat der Kläger Anspruch auf Leistungen für die KdUH in Höhe von 458,22 Euro monatlich in den Monaten Juli, September, Oktober und Dezember 2015 (angemessene Bruttokaltmiete in Höhe von 393,80 Euro und angemessene Heizkosten in Höhe von 64,42 Euro), in Höhe von (nur) 403,36 Euro im Monat August 2015 (angemessene Bruttokaltmiete in Höhe von 393,80 Euro und angemessene Heizkosten in Höhe von 64,42 Euro abzüglich Gutschrift in Höhe von 54,86 Euro) und in Höhe von 541,82 Euro in den Monaten Januar bis Juni 2016 (angemessene Bruttokaltmiete in Höhe von 477,40 Euro und angemessene Heizkosten in Höhe von 64,42 Euro). Die im Juli 2015 erfolgte Gutschrift des Betriebskostenguthabens in Höhe von 54,86 Euro ist zu Gunsten des Klägers vom Beklagten nicht angerechnet worden, sie ist aber vom Gericht zu berücksichtigen, so dass sich für August 2015 kein (Nach-)Zahlungsanspruch des Klägers ergibt. Wegen der im Oktober 2015 erfolgten Gutschrift des Heizkostenguthabens in Höhe von 571,62 Euro, die vom Beklagten zutreffend für November 2015 berücksichtigt wurde, ergibt sich für November 2015 überhaupt kein Anspruch auf Leistungen für die KdUH und somit erst recht nicht auf höhere Leistungen.

 

  1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.

 

Der Senat hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache die Revision zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).

 

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