L 6 U 10/19

Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Unfallversicherung
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 21 U 76/16
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
L 6 U 10/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens, ob weitere Gesundheitsstörungen als Folgen eines Arbeitsunfalls festzustellen sind und (deshalb) die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) höher zu bemessen ist.

Der 1949 geborene Kläger, bei dem mit Wirkung vom 20. August 2008 an zusätzlich zum Grad der Behinderung von 100 und den Merkzeichen G und B das Merkzeichen aG festgestellt ist (Bescheid des Landesverwaltungsamts Sachsen-Anhalt vom 26. Oktober 2009), erlitt am 24. Januar 1994 einen Arbeitsunfall, bei dem er nach der polizeilichen Verkehrsunfallanzeige vom 25. Januar 1994 beim Überqueren einer Fahrbahn von einem Pkw erfasst und anschließend von einem anderen Pkw zweimal überrollt worden war (73 VA). Hierbei zog sich der Kläger u.a. ein Schädel-Hirn-Trauma, eine Rippenserienfraktur links, eine Scapulafraktur links, ein komplexes Knietrauma rechts sowie multiple Schürfungen – u.a. im Bereich des rechten Außenknöchels/Mittelfußes – zu (D-Arztbericht vom 25. Januar 1994 sowie Berichte des F. Hospitals H. vom 19. Februar 1994 und des S.-Krankenhauses N. vom 21. Februar 1994 über die stationären Behandlungen vom 24. Januar bis 10. Februar 1994 bzw. 10. bis 18. Februar 1994). Von der (Rechtsvorgängerin der) Beklagten bezieht er deswegen seit dem 22. März 1995 Verletztenrente (inzwischen) nach einer MdE um 50 vom Hundert (vH). Dabei sind folgende Gesundheitsstörungen als Unfallfolgen anerkannt: vollständiger Verlust des Geruchssinnes – Einzel-MdE um 10 vH; folgenlos verheilte Rippenserienfraktur links; knöchern fest verheilter Bruch des linken Schulterblattes mit gering eingeschränkter Beweglichkeit im linken Schultergelenk; Zustand nach Kreuzbandplastik rechts mit Instabilität und Bewegungseinschränkung des rechten Kniegelenkes sowie leichter Gonarthrose; knöchern fest verheilter Bruch des rechten Wadenbeines mit Muskelminderung des rechten Ober- und Unterschenkels, Bewegungseinschränkung des rechten oberen Sprunggelenkes, Aufhebung der Beweglichkeit des rechten unteren Sprunggelenkes sowie geringe Zehenheberschwäche – Einzel-MdE um 30 vH; leichtes hirnorganisches Psychosyndrom – Einzel-MdE um 20 vH (Bescheide vom 16. November 1995 und 21. Februar 1996 sowie Ausführungsbescheid vom 11. September 2001 zum Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt [LSG] vom 26. Juli 2001 – L 6 U 92/98).

Grundlagen hierfür waren u.a. das chirurgische Gutachten Dr. W. vom 14. März 1995, in dem dieser u.a. Durchblutungsstörungen im Bereich der Beine verneint hatte, die unfallchirurgischen Gutachten Prof. Dr. W. vom 21. April 1996 und 24. Februar 1998, wonach bei Varizen an der Außenseite des rechten Fußes ein ca. 15 x 10 cm langes dystrophes Hautareal bestehe, sowie das neurologische Gutachten Prof. Dr. K. und Dipl.-Med. T. vom 5. November 1996, in dem eine Anosmie für Olfaktoriusriechstoffe als traumatisch bedingt gewertet worden war, wohingegen die für alle Qualitäten (süß, sauer, salzig und bitter) angegebene Ageusie nicht durch unfallbedingte Verletzungen erklärbar sei. In seinem HNO-fachärztlichen Gutachten vom 30. März 1997 hatte Dr. O. im Rahmen der durchgeführten Geschmacksprüfung ein Erkennen der Qualitäten bitter, sauer und süß durch den Kläger dokumentiert. Ein Geruchsverlust und eine Geschmacksstörung waren unter dem 29. August 1994 erstmals von dem Facharzt für HNO-Heilkunde Dr. S. diagnostiziert worden. In ihren neurologisch-psychiatrischen Gutachten vom 6. Mai bzw. 15. September 1997 hatten die Dres. B. bzw. Gemende als Unfallfolge jeweils ein leichtes hirnorganisches Psychosyndrom diagnostiziert. Im orthopädischen Gutachten vom 6. August 1998 war von den Dres. R. und D. als Unfallfolge eine leichte bis mäßige Lockerung des vorderen Kreuzbandes sowie des medialen Seitenbandapparates mit deutlicher Belastungsminderung des rechten Knies beim Gehen und Stehen, bei einbeiniger Belastung sowie beim Steigen auf Treppen und Leitern mit zusätzlich belastetem Gangbild bei etwaiger Fußheberschwäche festgehalten und mit einer MdE um 30 vH bewertet worden. Eine Bewegungseinschränkung im rechten Kniegelenk sei nicht nachvollziehbar; die Bewegungsminderung des linken Schultergelenkes bedinge eine MdE unter 10 vH.

Am 5. November 2002 beantragte der Kläger bei der Beklagten wegen Verschlimmerung der Unfallfolgen die Neufeststellung der Rente, wobei er der Erforderlichkeit einer nochmaligen neurologisch-psychiatrischen Begutachtung u.a. mit Schreiben vom 16. Januar 2003 ausdrücklich widersprach.

Die Beklagte holte zunächst das von Prof. Dr. O. zusammen mit den Dres. W. und H. erstellte unfallchirurgische Gutachten vom 6. Februar 2003 ein. Die Gutachter schätzten auf Grundlage der ambulanten Untersuchung vom Vortag im Ergebnis ein, dass keine wesentliche Änderung feststellbar sei und die MdE auf unfallchirurgischem Fachgebiet nach wie vor bei 30 vH liege. Es bestehe eine eingeschränkte Beweglichkeit des linken Schultergelenkes ohne relevante Muskelminderung im Seitenvergleich mit röntgenologisch konsolidierter Scapulahalsfraktur, Humeruskopfhochstand und Omarthrose, wobei sich ein Hochstand des Oberarmknochenkopfes sowie eine Schultergelenkarthrose auch im Bereich der rechten Schulter finde. Der Kläger demonstriere ein vorsichtiges und deutlich hinkendes Gangbild unter Zuhilfenahme zweier Unterarmgehstützen sowie einer vom Fuß bis zur Mitte des rechten Oberschenkels reichenden Orthese. Dabei würden die Stützen gleichzeitig nach vorn gesetzt und das Gewicht anschließend ruckartig nach vorn verlagert. Das rechte Kniegelenk weise eine mäßige vordere und hintere Schublade mit stabilen Seitenbändern auf. Die Menisken seien schmerzbedingt nicht sicher beurteilbar. Ein Erguss sei nicht zu finden. An der Außenseite des rechten Oberschenkels befinde sich ein hypästhetisches Hautareal. Im Bereich des stabil bandgeführten linken Kniegelenkes beständen kein Erguss und keine Schwellung. Die Sprunggelenksfunktionen rechts seien deutlich eingeschränkt. Im Innenknöchelbereich zeigten sich Reste eines Ulcus. Die linke Beinachse sei im Wesentlichen gerade, wohingegen rechts eine deutliche Varusstellung bestehe. Die Muskulatur des rechten Beines sei im Vergleich zur linken Seite schwächer ausgeprägt. Die Patella- und Achillessehnenreflexe seien seitengleich lebhaft auslösbar. Röntgenologisch seien im rechten Kniebereich eine hochgradige Arthrose mit knöchernen Randanbauten, subchondraler Sklerosierung und Verschmächtigung des medialen Gelenkspaltes sowie der Zustand nach vorderer Kreuzbandplastik mit einliegender Interferenzschraube ohne Lockerungszeichen zu erkennen. Die Tibiaschaftfraktur sei knöchern durchbaut.

Außerdem holte die Beklagte von Privatdozent (PD) Dr. B. das internistische Zusatzgutachten vom 13. Februar 2003 ein. Dieser legte dar, dass auf internistischem Gebiet keine Unfallfolgen bestünden. Bei der Untersuchung am 5. Februar 2003 hätten sich eine vom rechten Sprunggelenk bis zum Vorfuß ziehende bräunlich-livide Hautverfärbung, eine Corona phlebectatica beiderseits sowie Venektasien über der ventralen Tibia beiderseits gezeigt. Unterschenkelödeme fänden sich an beiden Beinen nicht. Die dopplersonographische Gefäßuntersuchung habe ein unauffälliges tiefes Venensystem und einen intakten Klappenbesatz beider Beine gezeigt, so dass keine Hinweise auf eine Beinvenenthrombose oder ein postthrombotisches Syndrom zu finden seien. Die trophischen Störungen im Bereich des rechten Fußes/Unterschenkels seien am ehesten als Folge einer beim Arbeitsunfall erlittenen Verbrennung anzusehen.

Schließlich schätzten Prof. Dr. B. und die Dres. R. und K. in dem von der Beklagten zusätzlich veranlassten Gutachten vom 5. Mai 2003 die auf HNO-ärztlichem Fachgebiet bestehende MdE weiterhin mit 10 vH ein. Wie bereits im Gutachten vom 5. November 1996 beschrieben, liege beim Kläger nach wie vor eine komplette Anosmie und Ageusie für Olfaktorius- und Trigeminusriechstoffe vor. Aus HNO-ärztlicher Sicht sei keine weitere Nachuntersuchung erforderlich.

Ausgehend hiervon bewerteten Prof. Dr. O. sowie die Dres. W. und H. unter dem 30. Mai 2003 die Gesamt-MdE – einschließlich der auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet anzusetzenden Einzel-MdE um 20 vH – mit 45 vH.

Mit Bescheid vom 24. Juni 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. September 2003 lehnte die Beklagte daraufhin eine Erhöhung der MdE ab, da sich die dem Urteil des LSG vom 26. Juli 2001 zugrundeliegenden Verhältnisse nicht wesentlich geändert hätten. Auf HNO-ärztlichem Gebiet bestehe seit dem Unfall unverändert eine komplette Aufhebung des Geruchs- und Geschmackssinns für Riechstoffe, die den Olfaktorius- und Trigeminusnerv sensibilisierten.

Die hiergegen erhobene Klage wies das Sozialgericht (SG) Halle mit Urteil vom 4. Mai 2007 (S 6 U 155/03) ab, nachdem u.a. der zuvor eingeschaltete Orthopäde Dr. S. unter dem 6. Januar 2006 dargelegt hatte, dass eine Höherbewertung der Unfallfolgen im Bereich des Haltungs- und Bewegungsapparates nicht zu rechtfertigen und auch kein Überlastungsschaden zu begründen sei.

Im nachfolgenden Berufungsverfahren (L 6 U 92/07), dessen Gegenstand auch der Bescheid vom 23. Februar 2009 über den wiederholten Verschlimmerungsantrag des Klägers vom 2. November 2006 war, legte die Beklagte das hierzu von ihr veranlasste unfallchirurgische Gutachten Dr. M. vom 28. November 2008 nach ambulanter Untersuchung durch den Oberarzt H. vor. Weiter holte der Senat in diesem Verfahren von Dipl.-Med. S. das unfallchirurgische Gutachten vom 12. Dezember 2009 ein. Dieser kam zum Ergebnis, als Unfallfolgen lägen ein fortgeschrittener Verschleiß des rechten Kniegelenkes mit daraus resultierender O-Fehlstellung der Beinachse und Bewegungseinschränkung, eine Minderung der Beinmuskulatur sowie eine anteilige Bewegungseinschränkung des linken Schultergelenkes vor. Dagegen stelle die Unfalleinwirkung im Hinblick auf das jetzt im Bereich der linken Schulter bestehende Engpasssyndrom keine wesentliche Teilursache dar. Vielmehr sei davon auszugehen, dass die aktuelle Symptomatik auch ohne den Arbeitsunfall zu annähernd gleicher Zeit und Schwere eingetreten wäre, wie die radiologisch nachgewiesenen gleichartigen Veränderungen am rechten Schultergelenk belegten. Hinsichtlich einer fraglichen Schädigung des rechten Wadenbeinnervs sei zudem zu beachten, dass sich der Kläger wegen einer Fußheberschwäche rechts sowie Taubheitsgefühlen am rechten Fußrücken und Großzeh bereits im August 1992 in Behandlung befunden habe. Zuvor hätten zwei Monate Rückenbeschwerden bestanden. Als Ort der Schädigung sei nach den Berichten vom 4. August und 4. September 1992 der Bereich L5/S1 lokalisiert worden. Aus den auf unfallchirurgischem Gebiet bestehenden Unfallfolgen resultiere eine MdE um 30 vH. Unter Einbeziehung der sich überschneidenden MdE-Werte um 10 vH auf HNO-ärztlichem und 20 vH auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet ergebe sich eine Gesamt-MdE um 50 vH. Im Bereich der Sprunggelenke und Unterschenkel fänden sich bräunliche Hautverfärbungen als Zeichen venöser Umlaufstörungen bei deutlicher Krampfaderbildung. An der Innenseite des rechten Sprunggelenkes bestehe eine reizlose 5 x 3 cm große Narbe nach Verbrennung (Hinweis auf Gutachten PD Dr. B. vom 13. Februar 2003). Röntgenologisch seien den Aufnahmen vom Untersuchungstag ein knöchern verheilter Bruch des linken Schulterblattes ohne Beteiligung der Schultergelenkfläche sowie ein die Altersnorm überschreitender Verschleiß beider Schultergelenke und Schultereckgelenke mit Veränderungen zwischen der Schulterhöhe und dem Oberarmkopf im Sinne eines Engpasssyndroms zu entnehmen. Das rechte Kniegelenk weise einen fortgeschrittenen unfallbedingten Verschleiß mit praktisch aufgehobenem inneren Gelenkspalt auf, was die klinische Beinachsenfehlstellung erkläre. Als Grund der entsprechenden linksseitigen Situation liege auch hier eine altersüberschreitende Abnutzung mit Betroffenheit vor allem der inneren Gelenkflächen vor.

Ferner zog der Senat das vom LSG im Verfahren L 7 SB 10/06 von Dr. S. eingeholte neurologisch-psychiatrische Gutachten vom 4. August 2009 bei. Die Sachver- ständige gab als Beschwerdeschilderung des Klägers u.a. wieder, er trage die Orthese am rechten Kniegelenk aufgrund der Kreuzbandplastik. Veränderungen seien seit Jahren nicht eingetreten, jedoch springe das Knie nach vorn; es lasse sich nicht strecken. Das rechte Bein sei nur noch bedingt und das linke Knie nicht mehr belastbar. Ohne Orthese könne er nicht laufen und stürze. Die linke Schulter schmerze unfallbedingt, wobei die Kraft im linken Arm vorhanden sei. Anamnestisch habe der Kläger bei der Exploration am 31. März 2009 u.a. über Schul- und Verhaltensprobleme bereits in der fünften Klasse berichtet, wobei es auch zu tätlichen Übergriffen gekommen sei. Seine Eltern hätten mit ihm vor erheblichen Erziehungsproblemen gestanden. Er sei sehr ungeduldig gewesen, habe alles heute und sofort haben wollen und sei immer der Meinung gewesen, alles besser zu können. Er habe sich über alle erhaben gefühlt. Aufgrund seiner Verhaltensauffälligkeiten sei er vom 16. bis zum 19. Lebensjahr in einem Jugendwerkhof gewesen und habe dort die Lehre zum Gesenkschmied beendet. Zu seinen Hobbys befragt habe der Kläger angegeben, Windmühlen zu lieben und sich um seinen Garten zu kümmern, den er gern umbaue. Er beschäftige sich auch gern mit seinem Hund. Manchmal sitze er zwei bis drei Tage am Schreibtisch und studiere die Akten der laufenden Gerichtsverfahren. Er habe keinen anderen Lebensinhalt mehr. Aus Vorbefunden zitierte Dr. S. u.a. Auszüge aus den Feststellungen Dr. K. nach neurologischer Begutachtung am 7. Oktober 2005. Danach liege beim Kläger u.a. eine hochgradige psychogene Gangstörung vor, die nicht durch unfallbedingte organische Schäden am peripheren oder zentralen Nervensystem bedingt sei. Als eigene Untersuchungsbefunde stellte Dr. S. auf Grundlage der durchgeführten Testverfahren eine durchschnittliche intellektuelle Befähigung des Klägers ohne Konzentrations- und Aufmerksamkeitsdefizite fest. Neurologisch falle eine Atrophie des rechten Ober- und Unterschenkels auf. Ein Wärme- und Kälteempfinden im Unterschenkelbereich habe er ebenso wie ein Vibrationsempfinden im Kniegelenkbereich beiderseits verneint. An beiden Oberschenkelaußenseiten lägen Hypästhesien vor. Ein Standversuch und ein Gehen ohne zwei Unterarmstützen seien nicht möglich gewesen. Der Kläger stütze sich auf beide Gehhilfen und ziehe jeweils das rechte bzw. linke Bein abwechselnd nach. Dieses Gangbild stimme nicht mit den erhobenen neurologischen Befunden überein. Während nämlich im Liegen ein Anbeugen beider Knie möglich sei und auch eine diskrete Fußhebung beiderseits beobachtet werden könne, sei dies beim Laufen nicht der Fall. Im Ergebnis diagnostizierte Dr. S. eine schwere kombinierte Persönlichkeitsstörung bei hirnorganischem Psychosyndrom mit konversionsneurotischen Symptomen wie Selbstwertstörungen, Minderwertigkeitsgefühlen und Versagensängsten, verminderter Frustrationstoleranz und erhöhter Kränkbarkeit mit teils überhöhtem Selbstvertrauen und querulatorischem Ansinnen, wobei der Kläger im Rahmen dieser Störungen bereits mit 16 Jahren auffällig geworden sei. Der Unfall von 1994 habe seine vorbestehende Persönlichkeitsstruktur akzentuiert. Der Kläger projiziere eigene Wünsche und Bedürfnisse in Form von körperlichen Beschwerden und verstärke somit die leichtgradigen neurologischen Behinderungen (Femoralisparese rechts sowie Peronaeusparese beiderseits). Dieses Verhalten sei im Laufe der gerichtlichen Verfahren der bewussten Steuerung entglitten. Psychiatrischen Diagnosen gegenüber sei er uneinsichtig.

Außerdem zog der Senat das vom SG im Verfahren S 3 RJ 558/98 eingeholte neurologisch-psychiatrische Gutachten Dr. K. vom 22. September 2000 bei. Dieser war auf Grundlage der am 18. und 25. August 2000 durchgeführten (testpsychologischen) Untersuchungen zum Ergebnis gelangt, die psychische Leistungseinschränkung des Klägers beruhe nicht auf intellektueller Leistungsschwäche, sondern auf mangelnder Belastbarkeit, emotionaler Instabilität, mangelnder Stresstoleranz sowie einer massiven Persönlichkeitsakzentuierung mit paranoiden, schizophrenen und selbstunsicheren Aspekten. Bereits vor dem Arbeitsunfall habe beim Kläger eine Persönlichkeitsstörung mit psychosozialer Fehlentwicklung bestanden, die schließlich zur Einweisung in einen Jugendwerkhof geführt habe. Nachfolgend sei ihm jedoch eine berufliche und soziale Integration ohne gravierende psychosoziale Probleme gelungen. Nach dem Unfall sei es beim Kläger zu einer Wesensänderung gekommen, die die Affektkontrolle, die Kritik-, Umstellungs-, Anpassungs- und soziale Kontaktfähigkeit sowie die Frustrationstoleranz betreffe. Ursächlich hierfür seien die prätraumatische Persönlichkeitsstruktur sowie die hirnorganische Schädigung durch den Unfall, die im Zusammenwirken zu dessen psychoreaktiver Fehlverarbeitung geführt hätten, welche wiederum durch die ausgeprägte emotionale Instabilität des Klägers begünstigt worden sei. Da ihm seine psychische Hilflosigkeit zeitweise bewusst sei und er sich dafür schäme, habe sich der Kläger sozial weitgehend zurückgezogen. Insgesamt handele es sich um ein multifaktorielles und chronifiziertes psychisches Krankheitsbild, das in der vorliegenden Ausprägung seit September 1998 bestehe und als Dauerzustand anzusehen sei.

Schließlich betraute der Senat Dr. S. mit der nach Aktenlage erfolgten Erstellung des Gutachtens vom 28. Dezember 2010 nebst ergänzender Stellungnahme vom 8. Februar 2011. Die Sachverständige schätzte ein, der Arbeitsunfall habe die beim Kläger bestehende schwere kombinierte Persönlichkeitsstörung mit konversionsneurotischen Symptomen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit im Sinne eines seit 1994 in jeder Hinsicht zu Tage getretenen distanzgeminderten und teils querulatorischen Verhaltens akzentuiert. Der Kläger habe den Unfall als schwere Kränkung erlebt, die mit Hilflosigkeit und der Gefahr drohender Abhängigkeit einhergegangen sei. Die zuvor kompensierte Persönlichkeitsstörung sei der bewussten Steuerung entglitten und habe seit 1994 eine Eigendynamik mit sozialen Rückzugstendenzen sowie eingeschränkter Fähigkeit, den Alltag und die Freizeit zu gestalten, entwickelt. Zum 20. August 2008, als der Kläger stationär in der Klinik für Neurologie der Berufsgenossenschaftlichen Kliniken B. H. behandelt worden sei, lasse sich das unfallbedingte Psychosyndrom mit sekundärer Somatisierungsstörung mit einer MdE um maximal 30 vH bewerten. Beim Kläger liege kein seelisches Wiedererleben des Traumas, sondern ein ausuferndes soziales Entschädigungsbegehren zur Existenzsicherung vor. Die Gesamt-MdE belaufe sich auf maximal 60 vH.

Aus dem von Dr. S. übersandten Bericht vom 26. August 2008 ging u.a. hervor, dass die am 20. August 2008 zur Diagnostik und Therapie eines neuropathisch anmutenden Schmerzsyndroms eingeleitete Behandlung des Klägers wegen Ablehnung durch diesen nicht über den 26. August 2008 hinaus durchgeführt werden konnte. Er habe wechselnde sowie widersprüchlich Angaben zur Schmerzcharakteristik gemacht und sei distanzgemindert, verbal aggressiv sowie affektlabil aufgetreten.

Mit Urteil vom 23. März 2011 wies der Senat die Berufung als unbegründet zurück.

Mit Schreiben vom 23. Dezember 2012 stellte der Kläger bei der Beklagten erneut einen Verschlimmerungsantrag und trug hierzu unter dem 16. Januar 2013 vor, er sei vor längerer Zeit aufgrund der Unfallfolgen gestürzt und habe sich bei einem Orthopäden und einem Neurologen vorgestellt.

Der Neurologe S. ging in seinem Befund vom 10. Januar 2013 von einer radikulären Ursache bei C7/8 links aus. Im Zwischenbericht vom 4. April 2013 gab der Chirurg Dipl.-Med. D. an, ihm sei kein neuer Unfall bekannt; neue Behandlungsmaßnahmen habe er ebenfalls nicht veranlasst. Der Orthopäde Dr. H. berichtete unter dem 30. April 2013, der Kläger habe sich bei ihm wegen Schmerzen im Bereich des linken Armes und Ellenbogens vorgestellt. Diese Beschwerden rührten unter Berücksichtigung des am 14. Februar 2013 gefertigten MRT der HWS von einem Bandscheibenvorfall C7/Th1.

Mit Bescheid vom 6. August 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. September 2013 lehnte die Beklagte mangels wesentlicher Änderung der Unfallfolgen die Zahlung einer höheren Verletztenrente ab. Das hiergegen vor dem SG Halle geführte Klageverfahren blieb ohne Erfolg (Urteil vom 24. April 2017 – S 21 U 124/13). Im nachfolgenden Berufungsverfahren (L 6 U 56/17) beauftragte der Senat Dr. K. mit der Erstellung des unfallchirurgischen Gutachtens vom 16. Januar 2019. Dieser stellte seitengleich uneingeschränkt bewegliche Ellenbogen- und Handgelenke sowie eine freie Unterarmdrehung fest. Die Funktion der Hüft- und Kniegelenke sei wegen massiver Schmerzäußerung und Zappelbewegungen nicht sinnvoll prüfbar. Relevante Umfangminderungen der Beine bestünden nicht. Im Bereich beider Unterschenkel bestünden bräunliche Hautstörungen. Röntgenologisch seien den Aufnahmen vom 27. November 2018 ein knöchern verheilter Bruch des linken Schulterblattes ohne wesentliche Achsenfehlstellung sowie Verschmälerung des Gelenkspalts des Schultereckgelenks mit Acromionsporn zu entnehmen. Die Aufnahmen des rechten Kniegelenkes vom 12. Juli 2016 zeigten eine Varusstellung mit vollständigem Aufbrauch des inneren Gelenkspalts, verknöcherten Ansätzen des inneren Seitenbandes sowie deutliche knöcherne Ausziehungen am oberen und unteren Kniescheibenpol, im Bereich der vorderen und hinteren Femurkondylen sowie des vorderen und hinteren Schienbeinkopfes. Die Kniegelenksarthrose links, die Arthrose des linken Daumensattelgelenks, das subacromiale Impingement des linken Schultergelenkes, die HWS-Erkrankung mit Bandscheibenschäden C3/4 bis C7/Th1 sowie die LWS-Erkrankung mit Bandscheibenschäden bei L2/3, L3/4 und L5/S1 und Spondylosis deformans bei L2/3 und L4/5 bestünden unfallunabhängig. Die vom Kläger angegebenen Beschwerden im linken Arm und rechten Bein seien nahezu vollständig nicht auf organische Ursachen zurückzuführen, wobei eine erhebliche Diskrepanz zwischen dem gesicherten Erstschadensbild und den geklagten Beschwerden bestehe. Die verschleißbedingten Veränderungen des linken Kniegelenkes könnten weder eine Instabilität noch die Notwendigkeit des Tragens einer Orthese erklären. In Bezug auf die verschleißbedingten Veränderungen der LWS und des linken Armes sei nach gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen auch kein Überlastungs- bzw. Fehlbelastungsschaden durch eine Gehstützenbenutzung plausibel. Dies gelte umso mehr, als der Kläger seit 2003 einen Rollstuhl nutze. Im Ergebnis sei eine relevante Verschlimmerung der Unfallfolgen ebenso wenig zu erkennen wie weitere unfallbedingte Gesundheitsstörungen auszumachen seien. Unfallbedingt lägen eine leichte Bewegungsminderung des linken Schultergelenkes bei einem Zustand nach knöchern fest und weitgehend achsgerecht ausgeheilter Schulterblattfraktur und folgenlos ausgeheilter Rippenserienfraktur, eine erstgradige vordere Instabilität und Bewegungseinschränkung des rechten Kniegelenkes mit Gonarthrose bei einem Zustand nach Implantation einer vorderen Kreuzbandersatzplastik und knöchern fest und orthograd ausgeheiltem Bruch des rechten Wadenbeines sowie eine aufgehobene Beweglichkeit des rechten oberen Sprunggelenkes und eine Zehenheberschwäche vor. Hieraus resultiere eine Einzel-MdE um 30 vH. Als weitere unfallbedingte Diagnosen bestünden ein vollständiger Verlust des Geruchssinns, der mit einer Einzel-MdE um 10 vH zu bemessen sei, und ein leichtes hirnorganisches Psychosyndrom mit Somatisierungsstörung, das eine Einzel-MdE um 20 vH bedinge. Daraus resultiere eine Gesamt-MdE um 50 vH.

Unter dem 8. April 2016 beantragte der Kläger u.a. eine Überprüfung der von der Beklagten getroffenen Feststellungen. Insbesondere sei ein vollständiger Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns vor Jahren bereits von Dr. S. bestätigt worden. Dies habe auch Einfluss auf die Höhe der MdE. Dasselbe hatte der Kläger mit Schreiben vom 2. Juli 2007 bereits im Verfahren L 6 U 92/07 geäußert.

Mit Bescheid vom 11. April 2016 lehnte die Beklagte eine Abänderung ihrer Entscheidungen ab und wies den dagegen erhobenen Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 1. Juni 2016 zurück.

Die hiergegen noch im selben Monat erhobene Klage hat das SG mit Urteil vom 10. Dezember 2018 abgewiesen, da keine Anhaltspunkte für eine Rechtswidrigkeit der getroffenen Feststellungen ersichtlich seien.

Den unter dem 24. November 2017 im Berufungsverfahrens L 6 U 56/17 gestellten Antrag des Klägers auf Überprüfung des Bescheides vom 11. September 2001 und Feststellung bestimmter Beschwerden als weitere Folgen des Arbeitsunfalls (insbesondere Schmerzen im Genick, der linken Schulter, im linken Schlüsselbein, im linken Daumengelenk, im oberen Brustraum sowie in den Hüften und Beinen sowie Brandwunden im Fußbereich) lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 7. März 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juni 2019 ab.

In der mündlichen Verhandlung am 20. Februar 2020 nahm der Kläger seine Berufung im Verfahren L 6 U 56/17 zurück. Die Klage auf Fortsetzung dieses Verfahrens blieb ebenso ohne Erfolg wie die dagegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde (Urteil des Senats vom 14. Mai 2020 – L 6 U 33/20 WA – sowie Beschluss des Bundessozialgerichts [BSG] vom 13. August 2020 – B 2 U 118/20 B).

Gegen das ihm am 25. Januar 2019 zugestellte Urteil vom 10. Dezember 2018 hat der Kläger noch im selben Monat beim LSG Berufung eingelegt und im Wesentlichen auf Ausführungen in abgeschlossenen Gerichtsverfahren verwiesen.

Der Kläger beantragt seinem Vorbringen nach sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 10. Dezember 2018 sowie den Bescheid der Beklagten vom 11. April 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Juni 2016 und den Bescheid vom 7. März 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juni 2019 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, unter Abänderung der Bescheide vom 16. November 1995, 21. Februar 1996 und 11. September 2001 auch einen Totalverlust des Geschmackssinns, eine eingeschränkte Belastbarkeit des linken Beines, Beschwerden im Bereich der linken Schulter, des linken Schlüsselbeines und des Genicks, Schmerzen im Bereich des oberen Brustraumes, der Oberschenkel und der Hüften, Brandwunden im Bereich des rechten Innenfußes sowie Schmerzen im linken Daumengelenk als Folgen des Arbeitsunfalls vom 24. Januar 1994 festzustellen und ihm Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit mit mehr als 50 vH zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des SG im Ergebnis für zutreffend.

Mit Schreiben vom 11. Februar 2024 hat der Kläger neben der Übersendung bereits bekannter Unterlagen den Entlassungsbericht des S. N. vom 9. Mai 2022 über die dort am 26. April 2022 erfolgte Implantation einer Hüftgelenkstotalendoprothese links vorgelegt und außerdem mitgeteilt, dass er infolge Versagens der Kniegelenke Weihnachten 2023 gestürzt sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der vorliegend und im Verfahren L 6 U 56/17 beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung des Senats.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte, form- und fristgerecht eingelegte (§ 151 Abs. 1 SGG) und auch ansonsten zulässige Berufung hat keinen Erfolg.

Der Bescheid der Beklagten vom 11. April 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Juni 2016 sowie der Bescheid vom 7. März 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juni 2019, der nach § 96 Abs. 1 SGG Verfahrensgegenstand geworden ist, beschweren den Kläger nicht im Sinne der §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Die Beklagte hat hierin eine Abänderung ihrer Bescheide vom 16. November 1995, 21. Februar 1996 und 11. September 2001 zu Recht abgelehnt hat. Hierauf hat der Kläger nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – deshalb keinen Anspruch, weil die seitens der Beklagten getroffenen Entscheidungen im Ergebnis weder auf einem fehlerhaften Sachverhalt noch einem falschen Rechtsverständnis beruhen. Weder sind die vom Kläger geltend gemachten Beschwerden als weitere Unfallfolgen feststellbar (nachfolgend unter 1.) noch rechtfertigen die anerkannten Unfallfolgen eine Bemessung mit einer Gesamt-MdE um mehr als 50 vH (hierzu unter 2.).

1. Nachgewiesene Gesundheitsstörungen sind einem Arbeitsunfall (als zusätzliche Schäden/Folgen) grundsätzlich dann zuzurechnen, wenn zwischen dem Unfallereignis und ihnen – entweder direkt oder vermittelt durch einen beim Arbeitsunfall eingetretenen Gesundheitserstschaden – ein Ursachenzusammenhang im Sinne von § 8 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung – besteht. Maßgeblich ist dabei eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, bei der mehr für als gegen eine Verursachung spricht und ernste Zweifel ausscheiden, so dass darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann. Die bloße Möglichkeit einer Verursachung genügt dagegen nicht. Grundlage der Würdigung des Ursachenzusammenhanges sind dabei nur die Tatsachen, die nach dem Maßstab des Vollbeweises festgestellt werden können. Insoweit ist eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit erforderlich, die selbst vernünftige Zweifel nicht zulässt (vgl. BSG, Urteil vom 17. Februar 2009 – B 2 U 18/07 R – juris; Urteil vom 9. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R – juris; Urteil vom 12. April 2005 – B 2 U 27/04 R – juris).

Ausgehend hiervon sind die vom Kläger geltend gemachten Beschwerden nicht als weitere Unfallfolgen feststellbar.

Zunächst ist ein unfallbedingter Totalverlust des Geschmackssinns für alle Reizstoffe nicht hinreichend wahrscheinlich zu machen.

Eine völlige Aufhebung des Geruchssinns ist von der Beklagten bereits im Bescheid vom 16. November 1995 als Unfallfolge festgestellt worden. Aus deren Sicht unterliegt es – entsprechend den Ausführungen von Prof. Dr. B. und den Dres. R. sowie K. – auch keinem Zweifel, dass beim Kläger unfallbedingt eine Aufhebung des Geruchs- und Geschmackssinns für Riechstoffe vorliegt, die den Olfaktorius- und Trigeminusnerv sensibilisieren. Denn dies ergibt sich jedenfalls aus den diesbezüglichen ausdrücklichen Darlegungen im Widerspruchsbescheid vom 9. September 2003. Hierauf hatte der Senat bereits im Urteil vom 23. März 2011 – L 6 U 92/07 – hingewiesen.

Dass beim Kläger ein Komplettverlust des Geschmackssinns besteht, ist hingegen schon nicht voll bewiesen. Entgegen dem Vortrag des Klägers ist auch von Dr. S. kein vollständiger Geschmacksverlust festgestellt worden. Vielmehr dokumentierte dieser in seinem auf Grundlage der am 15. August 1994 erfolgten Untersuchung erstellten Bericht vom 29. August 1994 ausdrücklich nur eine Geschmacksstörung. Dies entspricht den Feststellungen Dr. O.s, der in seinem Gutachten vom 30. März 1997 ein Erkennen der Qualitäten bitter, sauer und süß festhielt (Geschmacksausfall also nur für salzige Stoffe). Damit ist nicht nur die zuvor vom Kläger gegenüber Prof. Dr. K. und Dipl.-Med. T. für alle Qualitäten demonstrierte Ageusie widerlegt. Vielmehr haben diese unter dem 5. November 1996 darüber hinaus dargelegt, dass ein Totalverlust des Geschmackssinnes durch unfallbedingte Verletzungen nach den dokumentierten Erstschäden nicht erklärt werden kann. Dem schließt sich der Senat als überzeugend an. Die Feststellung eines Totalausfalls des Geschmackssinns als Unfallfolge scheidet demnach aus.

Ein Zustand nach Kreuzbandplastik rechts mit Instabilität und Bewegungseinschränkung des rechten Kniegelenkes sowie leichter Gonarthrose, Muskelminderung des rechten Ober- und Unterschenkels, Bewegungseinschränkung des rechten oberen Sprunggelenkes, Aufhebung der Beweglichkeit des rechten unteren Sprunggelenkes sowie geringer Zehenheberschwäche steht bereits seit Jahrzehnten als Unfallfolge fest. Entsprechendes gilt hinsichtlich des Zustandes nach Schulterblattbruch links mit Bewegungseinschränkung der linken Schulter. Das subacromiale Impingement des linken Schultergelenkes haben Dipl.-Med. S. und Dr. K. übereinstimmend als unfallunabhängig gewertet; abweichende Beurteilungen existieren nicht. Die sonstigen vom Kläger im Bereich des rechten Beines und linken Armes geäußerten Beschwerden sind nach den überzeugenden Darlegungen Dr. K.s nahezu vollständig nicht auf organische Ursachen zurückzuführen, wobei eine erhebliche Diskrepanz zum gesicherten Erstschadensbild besteht. Abgesehen davon hatte Dr. H. die Beschwerden im Bereich des linken Armes und Ellenbogens bereits unter dem 30. April 2013 auf den im MRT vom 14. Februar 2013 ausgemachten unfallunabhängigen Bandscheibenvorfall C7/Th1 zurückgeführt.

Was eine eingeschränkte Belastbarkeit des linken Beines anbelangt, ist hierfür zunächst die verschleißbedingte Kniegelenksarthrose verantwortlich, aus der nach der Befunderhebung und Auswertung Dr. K.s weder eine Instabilität folgt noch das Tragen einer Orthese plausibel zu machen ist.

Soweit die Dres. R. und Danner seinerzeit die Möglichkeit einer Über- bzw. Fehlbelastung durch die rechtsseitigen Unfallfolgen bzw. die Gehstützenbenutzung zur Diskussion gestellt hatten, ist ein – insoweit allein in Frage kommender – mittelbarer Unfallzusammenhang nicht hinreichend wahrscheinlich. Ernste Zweifel hieran werden beim Senat schon dadurch hervorgerufen, dass weder Prof. Dr. O. und die Dres. W., H. noch Dipl.-Med. S. diese Überlegung aufgegriffen, sondern eine Betroffenheit des linken Beines übereinstimmend ebenso wenig als Unfallfolge diagnostiziert haben wie Hüftbeschwerden. Dr. S., der den Kläger zwecks Erstellung des Gutachtens vom 20. März 1997 am 13. März 1997 untersucht hatte, war dem Überlastungsargument ausdrücklich entgegengetreten und ist hierin von Dr. K. ausführlich bestätigt worden. Hinzu kommt, dass eine unfallunabhängige Erklärung der vom Kläger als Folge einer Überlastung gesehenen Einschränkung seiner Gehfähigkeit naheliegt. Denn durch Dr. K., dessen Befunde von Dr. S. im Gutachten vom 4. August 2009 wiedergegeben worden sind, wird die Gangstörung ausdrücklich als nicht auf unfallbedingte organische Schäden beruhende psychogene Symptomatik eingeordnet. Dieser Beurteilung ist in der Sache auch Dr. S. gefolgt, die gleichfalls keine im Wesentlichen mit dem Unfallereignis im Zusammenhang stehenden organischen Schäden am peripheren oder zentralen Nervensystem erkennen konnte. Ihre Einschätzung, der Kläger projiziere eigene Wünsche und Bedürfnisse in Form von körperlichen Beschwerden, lässt sich nur in diese Richtung, nicht aber im Sinne einer durch die Unfallfolgen im Bereich des rechten Beines mittelbar verursachten Fehlbelastungsschädigung verstehen.

Anhaltspunkte für unfallbedingte Schäden, die nach folgenlos ausgeheilter Rippenserienfraktur trotzdem Schmerzen im gesamten oberen Brustraum erklären könnten, sind zuletzt auch von Dr. K. nicht benannt worden. Unfallfolgen auf internistischem Fachgebiet hatte PD Dr. B. überdies bereits im Gutachten vom 13. Februar 2003 ausgeschlossen.

Schmerzen im linken Daumen beruhen nach den unwidersprochenen Darlegungen Dr. K.s auf der im dortigen Sattelgelenk unfallunabhängig bestehenden Arthrose, was nach den ebenso überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen entsprechend für die im Nackenbereich angegebenen Beschwerden gilt, für die vor allem die unabhängig vom Arbeitsunfall entstandenen Bandscheibenschäden ab C3/4 abwärts verantwortlich sind.

Schließlich ist auch hinsichtlich der vom Kläger im rechten Fußbereich bezeichneten „Brandwunden“ kein Ursachenzusammenhang mit dem Arbeitsunfall hinreichend wahrscheinlich. Zwar hatte PD Dr. B. im Gutachten vom 13. Februar 2003 als Ursache der von ihm beschriebenen trophischen Störungen im Bereich des rechten Fußes eine beim Arbeitsunfall erlittenen Verbrennung vermutet und ist dies seitens Dipl.-Med. S.s im Gutachten vom 12. Dezember 2009 aufgegriffen worden. Anhaltspunkte für unfallbedingte Verbrennungen existieren indessen weder nach dem abgelaufenen Unfallgeschehen noch den dokumentierten Erstbefunden. Nach diesen bestanden im Bereich des rechten Knöchels/Fußes allein Schürfwunden, die nachfolgend abgeheilt sind. Abgesehen davon sind von Dipl.-Med. S. mit venösen Umlaufstörungen selbst unfallunabhängige Erklärungen der aufgeführten Hautveränderungen benannt worden, was auch zu den Beschreibungen Prof. Dr. W. in den Gutachten vom 21. April 1996 und 24. Februar 1998 passt. Umgekehrt sind unfallbedingte Durchblutungsstörungen im Beinbereich von keinem jemals gutachtlich in die Verfahren eingebundenen Arzt angenommen worden, zumal Dr. W. Durchblutungsstörungen der Beine im Gutachten vom 14. März 1995 ausdrücklich ausgeschlossen hatte.

Sind die geltend gemachten Gesundheitsstörungen damit nicht als weitere Unfallfolgen feststellbar, fehlt die Grundlage für eine deswegen vorzunehmende Neu- bzw. Höherbewertung der MdE.

2. Die Bemessung der anerkannten Folgen des Arbeitsunfalls vom 24. Januar 1994 mit einer Gesamt-MdE um 50 vH ist zutreffend. Hierbei folgt der Senat den im Ergebnis übereinstimmenden Empfehlungen von Prof. Dr. O. sowie der Dres. W. und H., Dipl.-Med. S. und Dr. K..

Für eine Bewegungseinschränkung der Schulter vorwärts/seitwärts bis 90° wird nach den Erfahrungswerten eine MdE um 20 vH vorgeschlagen. Eine über diesen Grad hinaus mögliche Beweglichkeit wird mit einer MdE unter bzw. um maximal 10 vH bewertet (siehe z.B. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 560). Nach den von Dr. K. am 27. November 2018 erhobenen Befunden bestand beim Kläger ohne Minderung der Schultergürtel- und Schulterkappenmuskulatur links im Vergleich zu rechts eine Beweglichkeit bis 150 bzw. 170°. Damit ist eine bessere Situation belegt, als sie für den 28. August 2009 seitens Dipl.-Med. S.s dokumentiert worden ist (Beweglichkeit bis 110 bzw. 120° ohne Muskelminderung). Bei ihrer Untersuchung am 5. Februar 2003 hatten Prof. Dr. O. sowie die Dres. W. und H. eine Beweglichkeit der linken Schulter bis 160° bzw. 90° vorgefunden. Schließlich hatten die Dres. R. und Danner am 22. Juni 1998 eine Bewegungsfähigkeit der linken Schulter bis 110 bzw. 130° festgestellt. Demnach haben sich die tatsächlichen Verhältnisse im Hinblick auf die im Bereich der linken Schulter bestehende Unfallfolge über mehr als 20 Jahre hinweg nicht relevant geändert und ist die insoweit abgegebene gutachtliche Einschätzung der MdE um unter 10 vH nachvollziehbar. Dies gilt umso mehr, als durchgehend ein knöchern konsolidierter Zustand der Scapulahalsfraktur ohne Gelenkbeteiligung beschrieben ist.

Auch die von allen Gutachtern und Sachverständigen übereinstimmend mit einer MdE um 30 vH bewertete unfallbedingte Schädigung des rechten Beines ist nicht zu beanstanden, wobei dem Senat eine näherungsweise Orientierung an einer Bewegungseinschränkung von 0/10/90°, einer muskulär nicht kompensierten Lockerung des Kniebandapparates mit Gangunsicherheit bzw. einer Arthrose in Abhängigkeit von der damit verbundenen Funktionseinschränkung, die jeweils eine MdE um 20 vH bedingen, nach wie vor angemessen erscheint (siehe z.B. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 653 und 685 f.). Für den 27. November 2018 hielt Dr. K. eine erstgradige vordere Instabilität und Bewegungseinschränkung des rechten Kniegelenkes mit Gonarthrose bei Zustand nach Implantation einer vorderen Kreuzbandersatzplastik und knöchern fest sowie orthograd ausgeheiltem Bruch des rechten Wadenbeines und eine aufgehobene Beweglichkeit des rechten oberen Sprunggelenkes ohne relevante Umfangminderungen der Beine fest. Dies entspricht im Wesentlichen den von Dipl.-Med. S. erhobenen Befunden, der neun Jahre zuvor eine Einschränkung der Streck- und Beugefähigkeit des linken Kniegelenks auf 0/10/95°, einen stabilen Kapsel-Bandapparat mit mäßiger Lockerung des vorderen Kreuzbandes sowie eine geringe Minderung der rechten Ober- und Unterschenkelmuskulatur (1-1,5 cm) angetroffen hatte. Röntgenologisch ist neben der nach wie vor knöchern durchbauten Wadenbeinfraktur ein fortgeschrittener Verschleiß des rechten Kniegelenks mit praktisch aufgehobenem inneren Gelenkspalt belegt. Keine erheblich abweichende Situation des rechten Beines hatten zuvor schon Prof. Dr. O. sowie die Dres. W. und H. wiedergegeben (z.B. mäßige vordere und hintere Schublade mit stabilen Seitenbändern, deutliche Varusstellung der rechten Beinachse). Zwar war die Muskelurminderung des rechten Beines im Vergleich zur linken Seite mit max. 4 cm im Oberschenkel- und max. 3 cm im Unterschenkelbereich (was nahezu den von den Dres. R. und D. am 22. Juni 1998 gemessenen Werten entspricht) seinerzeit noch deutlicher ausgeprägt. Dafür war das rechte Knie jedoch noch bis 120° beweglich. Demnach ist es nachvollziehbar, wenn Dr. K., Dipl.-Med. S., Prof. Dr. O. sowie die Dres. W., H., R. und D. die im Bereich des rechten Beines bestehenden unfallbedingten Funktionsstörungen in der Sache als deutliche Belastungsminderung beim Gehen, Stehen sowie bei einbeiniger Belastung zusammenfassen und hierfür eine MdE um 30 vH empfehlen. Enthalten ist hierin insbesondere auch die als Unfallfolge anerkannte Funktionsstörung des oberen und unteren rechten Sprunggelenks einschließlich Zehenheberschwäche, wenngleich insoweit nicht erst die Dres. R. und D. beachtliche Zweifel angemeldet hatten und auch Dipl.-Med. S. sowie Dr. S. hierfür auf ihren Fachgebieten jeweils kein morphologisches Korrelat sahen.

Wie schon im Urteil vom 26. Juli 2001 (L 6 U 92/98) ausgeführt, liegt beim Kläger auf psychiatrischem Gebiet als Unfallfolge ein leichtes hirnorganisches Psychosyndrom bzw. eine sekundäre Somatisierungsstörung vor. Dies ist von Dr. S. nochmals bestätigt worden. Insoweit hatte bereits Dr. G. im Gutachten vom 15. September 1997 eine MdE um 20 vH empfohlen, was den einschlägigen Erfahrungswerten entspricht. Denn nach diesen wird für eine Hirnschädigung mit leichter Leistungsbeeinträchtigung eine MdE um 10 bis 20 vH veranschlagt. Ein leichtes hirnorganisches Psychosyndrom mit Wesensänderung kann eine MdE um 20 bis 40 vH rechtfertigen (siehe z.B. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 186). Entsprechend seiner Darlegungen im Urteil vom 23. März 2011 (L 6 U 92/07) vermag der Senat insbesondere nicht der von Dr. S. ab dem 20. August 2008 vorgeschlagenen MdE um 30 vH zu folgen. Aus dem von der Sachverständigen zur Begründung herangezogenen Bericht vom 26. August 2008 lassen sich nämlich keine relevanten Hinweise auf eine gerade ab diesem Zeitpunkt eingetretene wesentliche Änderung in Richtung einer zuvor nicht vorhandenen neuen Entwicklung entnehmen. Hieran hält der Senat fest. Dass dem Kläger die Einsicht in die Pathogenese der bei ihm bestehenden psychischen Erkrankung fehlt und er sich distanzgemindert sowie affektlabil verhält, ist keine neue Tatsache, sondern wurde bereits durch Dr. K. im Gutachten vom 22. September 2000 dargelegt. Nach ihm ist es beim Kläger unfallbedingt zu einer Dekompensation seiner bereits vor dem Arbeitsunfall bestehenden Persönlichkeitsstörung im Sinne einer die Affektkontrolle, Kritik-, Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit sowie die Frustrationstoleranz betreffenden Akzentuierung mit weitgehender sozialer Rückzugstendenz gekommen. Das hierdurch gekennzeichnete Krankheitsbild hat sich seit 1994 entwickelt und besteht laut Dr. K. in der von ihm im August 2000 vorgefundenen Ausprägung als chronischer Dauerzustand seit September 1998. Dass es sich entscheidend von demjenigen unfallbedingten Psychosyndrom unterscheidet, welches Dr. S. im Rahmen ihrer am 31. März 2009 gutachtlich erhobenen Exploration vorfand, ist nicht ersichtlich. Denn ebenso wie zuvor schon Dr. K. hob Dr. S. unabhängig und unbeeinflusst von diesem nur nochmals die seit 1994 zu verzeichnende Persönlichkeitsakzentuierung mit distanzgeminderter, querulatorischer und von sozialem Rückzug geprägter Eigendynamik hervor. Zwar mag sich diese mittlerweile weiterentwickelt haben. Wesentlicher Hintergrund hierfür ist nach den Ausführungen Dr. S.s vom 28. Dezember 2010 jedoch nicht der Unfall, sondern ein ausuferndes Entschädigungsbegehren, welches Dr. K. in der Sache als in der unfallunabhängigen Persönlichkeitsstruktur des Klägers angelegte Fehlverarbeitung aufgrund ausgeprägter emotionaler Instabilität erklärte. Entsprechendes gilt hinsichtlich der von Dr. K. als psychogen eingeordneten Gangstörung. Weder Dr. K. noch Dr. S. haben das vom Kläger demonstrierte Gangbild (zumindest anteilig) der unfallbedingten Somatisierungsstörung zugerechnet, sondern diese übereinstimmend (nur) auf die Affektkontrolle, Kritik-, Anpassungs- und soziale Kontaktfähigkeit sowie die Frustrationstoleranz bezogen. Damit fehlt ein ausreichender Ansatz für eine davon abweichende Annahme, zumal Dr. K. – ebenso wie Dipl.-Med. S. bei seiner Untersuchung Ende August 2009 – im Verhältnis zur Situation im März 1997 keine durch die Verwendung der vom Kläger benutzten Hilfsmittel zu erwartende Muskelatrophie vorgefunden hat. Die durch die unfallbedingte Persönlichkeitsakzentuierung hervorgerufene psychische Symptomatik ist folglich mit einer MdE um 20 vH zu bemessen.

Auf HNO-ärztlichem Fachgebiet haben Prof. Dr. B. sowie die Dres. R. und K. eine MdE um 10 vH vorgeschlagen, was dem zuvor von Prof. Dr. K. und Dipl.-Med. T. angesetzten Wert entspricht. Diese gleichlautende Empfehlung bewegt sich in der Bandbreite der Erfahrungswerte, nach denen für eine Schädigung des Riech- bzw. Schmeckvermögens mit psychovegetativen Folgeerscheinungen eine MdE bis 10 vH, den Verlust der Geruchs- und Geschmacksempfindung eine MdE um 10 vH bzw. den völligen Verlust des gesamten Riech- und Schmecksinns eine MdE um 15 bis 20 vH angegeben wird (siehe z.B. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 211).

Unter Berücksichtigung des danach bestehenden Gesamtbildes der unfallbedingten Funktionseinschränkungen ist die Gesamt-MdE im Ergebnis um 50 vH zu bemessen, wie dies zuletzt nochmals von Dr. K. vorgeschlagen worden ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor, da die Entscheidung auf gesicherter Rechtslage und tatsächlicher Einzelfallbewertung beruht, ohne dass der Senat von einem der in dieser Norm bezeichneten Gerichte abweicht.

Rechtskraft
Aus
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