L 13 R 961/22

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 2 R 2188/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 R 961/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 25. März 2022 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente.

Die 1961 geborene Klägerin hat keine Berufsausbildung absolviert und war als Kommissioniererin, Arbeiterin in der Qualitätskontrolle und zuletzt als Verpackerin versicherungspflichtig beschäftigt. Seit Oktober 2016 war die Klägerin arbeitsunfähig krank bzw. arbeitslos und bezog zuletzt bis 15. September 2019 Arbeitslosengeld. Vom 5. Oktober 2020 bis 31. Dezember 2022 war sie arbeitslos ohne Leistungsbezug (vgl. Versicherungsverlauf vom 3. November 2023 und Mitteilung der Beklagten mit Schriftsatz vom 8. November 2023).

Vom 16. Februar bis 16. März 2017 absolvierte die Klägerin eine stationäre Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation in der F1-Klinik B1 (Diagnosen gemäß Entlassbericht vom 16. März 2017: Chron. Lumboischialgie li. bei Facettengelenksarthrose L3/4 bis L5/S1, BSV L3/4, L4/5, Omalgie re. bei Impingementsyndrom, Gonalgie li. bei Retropatellararthrose, deg. Innen- und Außenmeniskopathie; die Klägerin sei in der Lage, noch mindestens sechs Stunden am Tag auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig zu sein). Vom 14. November bis 29. Dezember 2017 wurde die Klägerin teilstationär im Zentrum für psychiatrische Gesundheit (ZfP) B2 behandelt (Diagnosen gemäß Entlassungsbericht vom 22. Januar 2018:  rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome, chronische Schmerzstörung mit psychischen und somatischen Faktoren, Hypercholesterinämie).
Am 26. September 2019 beantragte die Klägerin die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente.
Die Beklagte zog den Bericht vom 22. Oktober 2019 über die stationäre Behandlung der Klägerin vom 1. Oktober bis 16. Oktober 2019 im D1 Schmerzzentrum M1 (Diagnosen: chronifizierte multilokuläre Schmerzstörung [MPSS III] mit somatischen und psychischen Faktoren mit hochgradiger schmerzbedingte Beeinträchtigung [von Korhoff-Index IV] und folgenden Schmerzlokalisationen: Kreuzschmerzen myofaszieller Genese bei deutlichen muskulären Dysbalancen im Sinne einer verminderten Dehnfähigkeit vor allem der Hüftbeuger und Kniestrecker mit konstitutiver Fehlhaltung und Überbelastung der globalen Rückenmuskulatur bei gleichzeitiger Dekonditionierung und Insuffizienz der tiefenstabilisierenden Rückenmuskulatur, Schmerzen im Kniebereich beidseits bei Chondropathie patellae °III, Schulter-Nackenschmerz bei ausgeprägter muskulärer Überspannung vor allem der deszendierenden Anteile des M. trapezius, Schmerzen im Bereich der radialen Unterarme und der Hand rechtsbetont bei Überspannung der Handbeuger und –strecker) sowie weitere ärztliche Unterlagen bei und ließ die Klägerin von der K1 sozialmedizinisch begutachten. Diese diagnostizierte aufgrund ambulanter Untersuchung am 27. November 2019 ein chronifiziertes regionales Schmerzsyndrom am linken Handgelenk mit leichten funktionellen Einschränkungen bei Zustand nach Distorsionsverletzung 2002 und stattgehabter minimalinvasiver Ganglionentfernung 2/2018 sowie Kapitaltunneloperation 3/2017, chronische Rückenschmerzen mit leichten Funktionseinschränkungen bei vorbekannter Arthrose der kleinen Wirbelgelenke ohne Nervenschädigung, leichte Bewegungseinschränkung im linken Schultergelenk ohne auffällige Muskelminderung und ohne nachweisbarem Impingement im während des Gutachtens durchgeführten Gelenkultraschall, ausgeprägte Pruritus mit kratzbedingten exulzerierenden Narben und postentzündlichen Hautveränderungen der Unterschenkel beidseits ohne Funktionseinschränkung sowie als weitere Diagnosen: leichte funktionelle Einschlafstörungen, arterielle Hypertonie, Nasenbluten bei hypertensiven Blutdruckwerten, aktenanamnestisch rezidivierende depressive Störung mit schwerer Episode 11/2017. Hieraus resultierten lediglich qualitative Einschränkungen des Leistungsvermögens. Ein myofasziales Schmerzsyndrom erscheine nicht wahrscheinlich, der psychische Befund spreche gegen eine höher- oder mittelgradige ausgeprägte Depression. Die Serumspiegel der Psychopharmaka lägen deutlich unterhalb des therapeutischen Bereichs. Die Klägerin könne täglich für mindestens sechs Stunden einer leichten Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachkommen. Zu vermeiden seien erhöhte Anforderungen an die Belastbarkeit und Funktion der linken Schulter und des linken Handgelenks sowie erhöhte Anforderungen an das Umstellungsvermögen. Die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Endkontrolleurin in der Fensterfertigung erscheine nicht mehr Leidensgerecht.
Mit Bescheid vom 19. Dezember 2019 lehnte die Beklagte den Rentenantrag hierauf gestützt ab. Die Klägerin könne nach medizinischer Beurteilung noch mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein.

In ihrem dagegen gerichteten Widerspruch brachte die Klägerin vor, bei Frau K1 handele es sich um eine Internistin, der Schwerpunkt der Leiden liege jedoch in anderen Fachgebieten. Überwiegend werde auf orthopädischen Leiden eingegangen, die in den letzten Monaten deutlich verschlechterten psychischen Beeinträchtigungen seien völlig unberücksichtigt geblieben. Aus (teilweise beigefügten) Befundberichten ergebe sich der chronifizierte Verlauf ohne Verbesserung.

Die Beklagte holte eine Stellungnahme von K1 ein, welche am 3. April 2020 mitteilte, die Befundberichte des ZfP B2 von 2018 und des D1-Schmerz-Zentrums seien im Eigenanamnese-Teil ihres Gutachtens betrachtet und im Widerspruchsverfahren nochmals geprüft worden. In der tagesstationären psychiatrischen Behandlung im ZfP B2 sei wegen einer schweren depressiven Episode Ende 2017 eine medikamentöse Therapie eingeleitet und die Versicherte in eine poststationäre Gruppentherapie entlassen worden. Eine im poststationären Zusammenhang einmalig diskutierte stationäre Aufnahme habe die Klägerin abgelehnt. Im Bericht des D1-Schmerz-Zentrums werde bezüglich des Schmerzsyndroms explizit berichtet, dass keinerlei medikamentöse Umstellung habe erfolgen müssen und auch keine erweiterten Schmerztherapien (Lokalanästhesierende Verfahren/Injektionen) eingeleitet worden seien. Als singuläres Schmerzmittel werde analog zu der im Gutachten benannten Therapie Ibuprofen bei Bedarf angegeben. Im Untersuchungsbefund auf Seite 5 des Berichtes werde zudem bezüglich der anamnestisch geschilderten Schulterbeschwerden ein unauffälliger Gelenkstatus mit freier Beweglichkeit und Funktionsuntersuchungen dokumentiert. Auch die Hand- und Ellenbogengelenke würden im Untersuchungsbefund als schmerzfrei und frei beweglich dokumentiert. Im Lendenwirbelsäulenbereich werde als einzige Region in der Untersuchung eine schmerzhafte Veränderung dokumentiert. Im Vergleich zum Gutachten zeige sich damit auch weiterhin kein myofasziales Schmerzsyndrom im eigentlichen Sinne entsprechend der gängigen Diagnostikkriterien. Unter der Behandlung im Schmerzzentrum habe sich nach der Epikrise eine Schmerzlinderung mit Funktionsverbesserung gezeigt. Eine progressive Verschlechterung könne hieraus nicht abgeleitet werden. Der in der Widerspruchsbegründung benannte Befundbericht des behandelnden H1 sei zeitlich nach dem Gutachtenstermin eingegangen. Hier gebe der Facharzt für Psychiatrie zwar eine Verschlechterung des psychischen Gesundheitszustandes an, Arbeitsunfähigkeit bestehe laut ihm jedoch nicht. Es bestehe eine regelmäßige quartalsweise Behandlung, was gegen eine intensivierte Therapie bei einer geäußerten Verschlechterung spreche. Eine relevante Leistungsminderung sei sozialmedizinisch hieraus auch nachträglich nicht ableitbar. Aus der Summe der oben zusammengetragenen Informationen und dem persönlichen Eindruck aus dem über 60-minütigen Anamnesegesprächs habe sich die im Gutachten benannte Einschätzung der psychischen Situation ergeben. Im Gutachten sei laborchemisch die Nicht-Einnahme der fachärztlich verordneten antidepressiven Medikation nachweisbar gewesen. Ein erheblicher Leidensdruck sei aus den genannten medizinisch fachlichen Gründen nicht ableitbar. In der schriftlichen Selbstauskunft seien psychische Beschwerden nicht benannt, im Anamnesegespräch nur auf Nachfrage berichtet worden. Dass die psychische Erkrankung im Diagnosefeld nicht aufgeführt und völlig unberücksichtigt sei, sei unrichtig. Die vom Psychiater berichtete Erkrankung sei in regelmäßiger Therapie im quartalsmäßigen Intervall und in absehbarer Zeit erwartbar besserbar bei Einhaltung der empfohlenen Therapie. Vom Hausarzt S1 sei zwar eine Verschlechterung der Beschwerden beschrieben, es würden jedoch ausschließlich Diagnosen ohne Funktionsrelevanz aufgeführt. Ein spezialisierter Schmerztherapeut werde ambulant nicht regelhaft konsultiert. In der einmaligen Behandlung durch das D1-Schmerzzentrum habe sich gezeigt, dass Verbesserung durch fachspezifische Betreuung möglich sei. Der in der Widerspruchsbegründung aufgeführte ärztliche Befundbericht von S2 sei aus sozialmedizinischer Sicht schwer einzuordnen. Bereits bei erster Betrachtung falle anhand der stark unterschiedlichen Handschriften auf, dass die ausfüllende und unterzeichnende Person des Befundberichtes nicht dieselbe sei (unterschiedliche Handschrift und unterschiedlicher Stift). Auch falle umgehend ins Auge, dass unter 5. (Aktivitäts- und Teilhabeeinschränkungen) die Angabe „nicht mehr als 3h arbeitsfähig“ nachträglich/von einer dritten Person eingetragen worden sei, da auch hier die Schrift deutlich von den anderen beiden Schriftarten differiere. Man müsse davon ausgehen, dass der Bericht nicht vom Facharzt selbst ausgefüllt und sogar nachträglich ergänzt worden sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 6. Juli 2020 wies die Beklagte den Widerspruch hierauf gestützt zurück. Eine zeitliche Einschränkung des Leistungsvermögens liege nicht vor.
Hiergegen hat die Klägerin am 27. Juli 2020 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Das Gericht hat die behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen befragt.
Der S1 hat unter anderem ausgesagt, der Schwerpunkt der Leiden liege auf rheumatologischem, orthopädischem und psychosomatischem Gebiet. Der Gesundheitszustand habe sich seit 26. März 2019 betreffend die Erkrankungen myofasziales Schmerzsyndrom, Hyperlipidämie, Fibromyalgiesyndrom, chronische multilokuläre Schmerzstörung (MPSS III) mit somatischen und psychischen Faktoren und Chondropathia patellae III° beidseits verschlechtert.
Der H1 hat angegeben, er halte die Klägerin für nicht mehr in der Lage, noch sechs Stunden oder mehr auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einer Tätigkeit nachzukommen. Grundlage des Widerspruchs zur Bewertung von Frau K1 sei das trotz fortgesetzter Behandlung und glaubhafter Befolgung der ärztlichen Empfehlungen eine Verschlechterung auf psychiatrischem Gebiet aufgetreten seien. Die Klägerin habe immer einen hohen und glaubhaften Leidensdruck vermittelt und sei stets an der Verbesserung der Psychopharmakatherapie interessiert gewesen. Auch habe sie leichte Verbesserungen (z.B. bezüglich der Schlafqualität) zurückgemeldet.
Der S2 hat mitgeteilt, er halte die Klägerin für nicht mehr in der Lage, sechs Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig zu sein. Verantwortlich sei ein chronifiziertes Schmerzsyndrom mit Schmerzen im Bereich des gesamten Körpers, gestützt durch die multilokale und interdisziplinäre Schmerzbehandlung und psychologische Mitbetreuung. Körperlich organisch leide die Klägerin unter einer altersentsprechenden abnutzungsbedingten Erkrankung der Wirbelsäule als auch der Kniegelenke. Für ihn lasse sich nicht mehr nachvollziehen, welcher der mitarbeitenden Kollegen das Leistungsvermögen handschriftlich mit weniger als drei Stunden bewertet habe, dies entspreche jedoch auch seiner Einschätzung.
Die Beklagte hat eine sozialmedizinische Stellungnahme der L1 und des N1 vorgelegt. Nach Einschätzung von L1 sei die Auskunft von S2 insoweit interessant, als angegeben worden sei, dass von Seiten des Bewegungsapparates eigentlich altersentsprechende Befunde und Beschwerden bestünden. Insoweit lägen auf orthopädischem Fachgebiet zwar Beschwerden vor, aus den objektiven Befunden lasse sich jedoch keine zeitliche Einschränkung des Leistungsvermögens ableiten. Nach Beurteilung von N1 ergebe die Auskunft des H1 eine niedrige Therapiefrequenz in quartalsweisen Abständen. Die ehemals schwere Depression sei in eine Dysthymie übergegangen, also in einen leichten Verstimmungszustand, der nicht einmal das Ausmaß einer leichten depressiven Episode erreiche. An der bisherigen Bewertung sei festzuhalten.

Das Gericht hat sodann von Amts wegen das Gutachten des R1 vom 27. Dezember 2021 (aufgrund ambulanter Untersuchung der Klägerin am 27. August 2021) eingeholt. Er hat als Gesundheitsstörungen eine leichtgradige, anhaltende somatoforme Schmerzstörung, Dysthymia und einen leichten Nervenwurzelschaden C7 rechts diagnostiziert. Durch die leichte, anhaltende somatoforme Schmerzstörung sei es in Verbindung mit den degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule zu einer Beeinträchtigung der freien Beweglichkeit des Skelettsystems und zu einer Reduktion der Kraftentfaltung der Muskulatur gekommen. Die Dysthymia habe zu einer leichten Beeinträchtigung der Stimmungslage geführt. Die Klägerin könne aus neurologisch-psychiatrisch-schmerzmedizinsicher Anschauung leichte körperliche Arbeiten im Wechsel zwischen Stehen, Gehen und Sitzen ohne Akkord- oder Fließbandarbeiten verrichten. Auch ständiges Sitzen und überwiegendes Gehen und Stehen seien zuzumuten. Heben und Tragen von Gewichten über 10 kg sei nicht mehr leidensgerecht. Zwangshaltungen der Wirbelsäule seien zu vermeiden. Das Arbeiten auf Gerüsten sei nicht mehr möglich. Expositionen von Kälte, Wärme, Staub, Gasen, Dämpfen oder Nässe seien zu vermeiden, Tätigkeiten im Freien unter ungünstigen Witterungsbedingungen seien nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Arbeiten an Büromaschinen oder Computertastaturen könnten noch verrichtet werden. Nachtschicht sei auszuschließen, durchschnittliche Beanspruchung des Gehörs und des Sehvermögens seien möglich. Publikumsverkehr sei ebenfalls leidensgerecht. Eine besondere geistige Beanspruchung mit hoher Verantwortung könne auferlegt werden.
Exemplarisch könne die Klägerin an einer Pforte oder in einer betrieblichen Poststelle arbeiten. Die noch leidensgerechten Tätigkeiten könne sie noch sechs Stunden und mehr am Tag ausüben. Die Gehfähigkeit sei nicht eingeschränkt. Weitere Begutachtungen seien erforderlich.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 25. März 2022 abgewiesen. Der Bescheid vom 19. Dezember 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. Juli 2020 sei rechtmäßig. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung, weil der erforderliche Leistungsfall nicht eingetreten sei. Das Leistungsvermögen der Klägerin liege nicht unter sechs Stunden arbeitstäglich. Das SG sei mit der schlüssigen Einschätzung von L1 überzeugt, dass die orthopädischen Leiden für das zeitliche Leistungsvermögen der Klägerin keine Rolle spielten könnten, weil eine altersentsprechende Funktionalität ohne höhergradige neurologische Defizite vorliege. Insoweit sei das SG überzeugt, dass bei der Klägerin die für das berufliche Leistungsvermögen relevanten Funktionseinschränkungen auf psychiatrischem Gebiet zu finden seien. Dabei sei anzumerken, dass es bei der Rentenbegutachtung weniger auf die Diagnose und deren Ursachen ankomme als auf die konkreten Funktionsbeeinträchtigungen (Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 16. Oktober 2014 – L 13 R 556/09 –, Rn. 111, juris).
Nach dem Gutachten von R1 liege nachvollziehbar eine leichtgradige, anhaltende somatoforme Schmerzstörung und eine Dysthymia vor. Antrieb, Konzentration, Auffassungsgabe und Auffassungsdauer seien nicht beeinträchtigt gewesen. Auch das Kurz- und Langzeitgedächtnis seien ohne Einschränkung gewesen. Hinsichtlich der Stimmungslage habe die Klägerin lediglich streckenweise subdepressiv gewirkt. Beim Besprechen angenehmer Themen sei es rasch zu einer Stimmungsaufhellung gekommen. Die affektive Modulationsfähigkeit sei nicht eingeschränkt gewesen. Auch das im Tagesablauf wiedergegebene Aktivitätsniveau zeige keine Anhaltspunkte für erheblichen sozialen Rückzug auf. Es bestehe regelmäßiger Kontakt zu Familie und Enkelkindern. Spaziergänge und Besuche des Schrebergartens fänden ebenso statt wie Urlaube und Familienfeiern. Insoweit sei ohne weiteres nachzuvollziehen, dass die körperlichen und seelischen Leiden jedenfalls durch eine Beschränkung auf leichte Wechseltätigkeiten im Gebäudeinneren ohne Zwangshaltungen für Rumpf und Extremitäten und ohne besondere psychische Belastung im Umfang von sechs Stunden am Tag kompensierbar seien. Auch im Reha-Entlassbericht vom 16. März 2017 und im als Urkundenbeweis verwerteten Verwaltungsgutachten der Frau K1 würden keine höhergradig auffälligen psychischen Befunde erhoben, die übrigen (insbes. internistischen und dermatologischen) Gesundheitsstörungen seien für das zeitliche Leistungsvermögen nachvollziehbar irrelevant. Die abweichenden Beurteilungen der Behandler überzeugten vor diesem Hintergrund nicht, zumal es sich um Beurteilungen aus therapeutisch-wohlwollender Perspektive handele, welche soweit ersichtlich überwiegend subjektive Angaben der Klägerin zur Grundlage hätten und eine ausreichende Objektivierung vermissen ließen. Im Übrigen hätten sich die Medikamente Escitalopram und Quetiapin bei der Begutachtung durch R1 nach wie vor nicht im therapeutischen Bereich befunden, so dass sich die Beschwerden durch erhöhte Compliance oder Dosisanpassung kurzfristig weiter bessern ließen.
Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer besonders schweren spezifischen Leistungseinschränkung mit der Folge, dass die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit notwendig wäre, lägen nicht vor. Auch seien keine Umstände ersichtlich, die auf eine sozialmedizinisch relevante Einschränkung der Wegefähigkeit hindeuteten.
Eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß §§ 43, 240 SGB VI komme bei Geburt nach dem 01.01.1961 nicht in Betracht (vgl. § 240 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI). Nachdem die medizinischen Voraussetzungen für die begehrte Rentenart nicht vorlägen, könne dahinstehen, ob die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt wären.

Gegen den ihrem Prozessbevollmächtigten am 30. März 2022 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 1. April 2022 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Sie hat auf die Angaben der behandelnden Ärzte Bezug genommen. Die im Verwaltungsverfahren beauftragte Sachverständige K1 sei Internistin, was angesichts der hauptsächlich vorhandenen Beschwerden auf psychiatrischem Fachgebiet überraschend sei. Sie habe sich hauptsächlich auf die Diagnosen auf orthopädischem Fachgebiet konzentriert und die psychischen Beeinträchtigungen, die sich in den letzten Monaten noch verschlechtert hätten, unberücksichtigt gelassen. Die Einschätzung des im erstinstanzlichen Verfahren beauftragten R1, dass nur eine leichtgradige, anhaltende somatoforme Schmerzstörung und eine Dysthymia vorliege, auf die sich das SG vor allem gestützt habe, stehe in Widerspruch zu den Ausführungen der behandelnden Ärzte.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 25. März 2022 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 19. Dezember 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. Juli 2020 zu verurteilen, ihr eine unbefristete oder befristete Rente wegen voller Erwerbsminderungsrente, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderungsrente ab dem 1. September 2019 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
           
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat an ihrer Rechtsauffassung festgehalten. Die geltend gemachte Gesundheitsverschlechterung sei nicht belegt. Es seien keine neuen medizinischen Unterlagen vorgelegt worden.

Auf Antrag und eigenes Kostenrisiko der Klägerin gemäß § 109 SGG hat der Senat das Gutachten des V1 vom 13. März 2023 eingeholt. Dieser hat die Klägerin am 31. Januar 2023 ambulant untersucht und eine rezidivierende depressive Störung, derzeit mittelgradige Ausprägung, eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren und Fibromyalgie diagnostiziert sowie als fachfremde Diagnosen: Degenerative Veränderungen am rechten Schultergelenk, an der Wirbelsäule und am linken Handgelenk, rezidivierendes Exanthem an den Unterschenkeln beidseits mitgeteilt. Die Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit gestalte sich schwierig, da der strukturierte Fragebogen simulierter Symptome hochgradig auffällig gewesen sei und auf eine Betonung oder eine Aggravation hinweisen könne. Allerdings habe sich bei der sonstigen Begutachtung und auch bei der körperlichen Untersuchung keinerlei Hinweis für eine Betonung gefunden. Ohne den strukturierten Fragebogen simulierter Symptome würde die Probandin weitestgehend glaubhaft wirken. Es wären hochgradige Funktionsbeeinträchtigung zu konstatieren mit einer Leistungseinschränkung auf unter 3 Stunden täglich auch für leichte körperliche Tätigkeiten. Die Kombination der oben genannten Diagnose und die Beschreibung des Tagesablaufs mit ganz erheblichen Einschränkungen würde zunächst kein Zweifel an der Beeinträchtigung aufkommen lassen. Bei dem auffälligen strukturierten Fragebogen simulierter Symptome ergebe sich aber ein gewisser Zweifel an den Angaben. Eine sichere Beurteilung sei im Rahmen einer einmaligen gutachterlichen Untersuchung nicht möglich. Er schlage deshalb eine stationäre Aufnahme in einer auf chronische Schmerzerkrankungen spezialisierten psychosomatischen Klinik vor, wo dann eine fundiertere Beurteilung der Leistungsfähigkeit erfolgen könne. Der Klägerin sei es zuzumuten, 4 x täglich eine Wegstrecke von über 500 m zu Fuß zurückzulegen. Sie könne 500 Meter in 15 Minuten zurücklegen und zweimal täglich öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten benutzen. Sie besitze einen Führerschein, habe allerdings seit 3 Jahren kein Fahrzeug mehr geführt, was mit den Nebenwirkungen der antidepressiven Medikation begründet worden sei. Insofern sei sie derzeit nicht in der Lage, ein Kfz zu benutzen.

Die Beklagte hat daraufhin an ihrer Rechtsauffassung festgehalten und die sozialmedizinische Stellungnahme des N1 vom 3. Mai 2023 vorgelegt. Darin hat N1 ausgeführt, bei mangelnder Glaubwürdigkeit der Klägerin sei nicht hinreichend belegt, dass eine Minderung der Leistungsfähigkeit vorliege. Die von V1 empfohlene stationäre psychosomatische Rehabilitation zur Leistungsbeurteilung sei vor dem Hintergrund des nicht authentischen Antwortverhaltens nicht sinnvoll.

Die Klägerin hat hierzu erwidert, es gäbe keinen Anlass, an ihrer Glaubwürdigkeit zu zweifeln. V1 sei aufgrund ausführlicher Untersuchung der Klägerin zu der Einschätzung gelangt, dass ihr Leistungsvermögen auf einen rentenberechtigenden Grad herabgesunken sei, was auch übereinstimme mit den Einschätzungen der behandelnden Ärzte.

Zuletzt hat die Beklagte einen aktuellen Versicherungsverlauf vorgelegt und mitgeteilt, die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen seien letztmals im Oktober 2021 erfüllt.

Die Klägerin hat hierzu ergänzend ausgeführt, nach Einschätzung des V1 in seinem Gutachten vom 13. März 2023 sei aufgrund der bei der Klägerin vorhandenen Einschränkungen ab Oktober 2019 sicher von einer anhaltenden Einschränkung der beruflichen Leistungsfähigkeit auszugehen, was sich mit den Ausführungen der langjährig behandelnden Ärzte decke.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

Wegen des weiteren Vorbringens und der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Prozessakten beider Instanzen Bezug genommen.



Entscheidungsgründe

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 SGG zulässige Berufung der Klägerin, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG entscheidet, ist unbegründet.

Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG vom 25. März 2022 ist nicht zu beanstanden. Das SG hat zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung abgelehnt.

Rechtsgrundlage für die hier begehrte Rente wegen Erwerbsminderung ist § 43 Sechstes Sozialgesetzbuch (SGB VI).
Nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie
teilweise erwerbsgemindert sind,
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI).
Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI, wenn sie
voll erwerbsgemindert sind,
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI).
Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 2 Satz 3 SGB VI auch
Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können und
Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt.
Nicht erwerbsgemindert ist gemäß § 43 Abs. 3 SGB VI, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann, wobei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist.
Das Vorliegen einer rentenberechtigenden Leistungsminderung und auch der weiteren Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung muss im Vollbeweis objektiv nachgewiesen sein. Dies erfordert, dass die Tatsachen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen müssen (vgl. auch Bayerisches Landessozialgericht, Urteile vom 15. Januar 2009 – L 14 R 111/07 und vom 8. Juli 2010 – L 14 R 112/09). Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsache – hier der vollen oder teilweisen Erwerbsminderung begründenden Einschränkungen des beruflichen Leistungsvermögens – als erbracht angesehen werden kann. Eine bloße gewisse Wahrscheinlichkeit genügt nicht. Kann das Gericht das Vorliegen der den Anspruch begründenden Tatsachen trotz Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden Erkenntnismöglichkeiten nicht feststellen, geht dieser Umstand zu Lasten desjenigen, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleiten will, hier also zu Lasten der Klägerin.

Gemessen hieran ist die Klägerin nicht erwerbsgemindert.
Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheids unter Zugrundelegung der vorgenannten Anspruchsvoraussetzungen zutreffend dargelegt, dass die medizinischen Voraussetzungen einer Erwerbsminderungsrente nicht vorliegen, weil das Leistungsvermögen der Klägerin nicht auf unter sechs Stunden arbeitstäglich gesunken ist.
Das SG hat sich nachvollziehbar der Einschätzung der L1 angeschlossen, dass sich auf orthopädischem Fachgebiet angesichts der altersentsprechenden Funktionalität ohne höhergradige neurologische Defizite keine zeitliche Leistungseinschränkung ergibt.
Bezüglich der Gesundheitsstörungen auf psychiatrischem Fachgebiet hat sich das SG zutreffend auf das Gutachten des R1 gestützt und hierbei Bezug genommen auf den von dem Sachverständigen erhobenen psychischen Befund sowie das von der Klägerin im Tagesablauf angegebene Aktivitätsniveau (ohne Anhaltspunkte für erheblichen sozialen Rückzug). Diese Einschätzung hat das SG auch durch den Reha-Entlassbericht vom 16. März 2017 sowie das als Urkundenbeweis verwertete Verwaltungsgutachten der Frau K1 bestätigt gesehen, weil darin ebenfalls keine höhergradig auffälligen psychischen Befunde erhoben wurden. Die übrigen, insbes. internistischen und dermatologischen Gesundheitsstörungen hat das SG für das zeitliche Leistungsvermögen nachvollziehbar als irrelevant angesehen.
Den abweichenden Beurteilungen der Behandler hat sich das SG nicht angeschlossen und zur Begründung hierzu angeführt, dass diese überwiegend subjektive Angaben der Klägerin zur Grundlage hätten. Vor dem Hintergrund, dass sich die Medikamente Escitalopram und Quetiapin bei der Begutachtung durch R1 nach wie vor nicht im therapeutischen Bereich befunden haben, hat das SG die Einschätzung geäußert, dass sich die Beschwerden durch erhöhte Compliance oder Dosisanpassung kurzfristig weiter bessern ließen.
Schließlich hat das SG keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer besonders schweren spezifischen Leistungseinschränkung mit der Folge, dass die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit (vgl. BSG, Urteil v. 10.12.2003 – B 5 RJ 64/02 R) notwendig wäre, gesehen und auch keine Hinweise darauf, dass eine sozialmedizinisch relevante Einschränkung der Wegefähigkeit vorliegt.
Der Senat schließt sich dem nach eigener Überprüfung an und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung gemäß § 153 Abs. 2 SGG zurück.

Durch das im Berufungsverfahren eingeholte Gutachten des V1 ist eine Erwerbsminderung der Klägerin weiterhin nicht mit der erforderlichen, an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit nachgewiesen.
Zwar gibt V1 im psychischen Befund an, die Stimmung der Klägerin sei durchgehend schlecht, sie könne sich lediglich über ihre Enkel noch freuen. In der Untersuchung sei die emotionale Schwingungsfähigkeit deutlich eingeschränkt gewesen, die Klägerin wirke psychomotorisch durchgehend sehr unruhig, angespannt und suche immer wieder sehr hektisch in den Unterlagen, die Handtasche sei zu Hause vergessen worden, Konzentration und Gedächtnis seien schlecht. Die Enkel hätten sich über ihre Vergesslichkeit beklagt. In der Untersuchung ergaben sich jedoch keine Hinweise für gröbere kognitive oder mnestische Defizite. Die Auffassung erschien teilweise etwas gestört, Fragen würden falsch verstanden und müssten wiederholt oder erklärt werden. Es ergaben sich keine Hinweise auf Zwänge und kein eindeutige Wahn- oder Ich-Störung. Im Tagesablauf gab die Klägerin u.a. an, sie wache meist um 8:00 Uhr auf, stehe dann aber noch nicht auf, sondern grüble im Bett. Um 9:00 Uhr stehe sie auf. Zunächst wasche sie sich. Morgens trinke sie einen Kaffee und esse oft nur wenig oder nichts. Vormittags werde der Haushalt erledigt. Allerdings müsse sie sich immer setzen oder legen. Sie könne vielleicht 1/2 Stunde saugen. Dann müsse sie pausieren. Die Essenszeiten würden von den Schichten des Ehemanns abhängen. Wenn der Ehemann Frühschicht habe, werde um 15:00 Uhr Mittag gegessen. Die Probandin koche das Essen, allerdings in größeren Portionen, sodass sie nur alle 2 Tage kochen müsse. Nach dem Essen lege sie sich ins Wohnzimmer und schaue mit dem Ehemann ca. 2 Stunden fern. Nachmittags würden Termine für Krankengymnastik anstehen. Vom Ehemann werde sie zu den Untersuchungen oder zur Krankengymnastik gebracht. Ansonsten werde sie von der Tochter oder Schwiegertochter gefahren. Öffentliche Verkehrsmittel benutze sie nicht. Seit ca. 3 Jahren sei sie selbst nicht mehr Auto gefahren, was auf die Medikamente zurückgeführt werde. Sie habe einen Führerschein. Zwischen 18 und 19.00 Uhr gebe es Abendessen. Abends schaue der Ehemann polnisches Fernsehen. Die Klägerin sei bei ihm, gehe abends nicht aus. Um 21.00 Uhr gehe sie ins Schlafzimmer und schaue dort nochmals fern. Wenn sie müde sei, schalte sie den Fernseher aus. Am Wochenende gehe sie mit dem Mann gelegentlich spazieren, aber nicht jedes Wochenende. Teilweise müsse der Ehemann auch alleine gehen, wenn sie sich schlecht fühle. Sie sei 1-2 Stunden mit ihm unterwegs. Manchmal gehe sie dann auch essen. Gelegentlich besuche sie ihre Mutter in S3. Dazu werde sie von Familienangehörigen mit dem Auto gefahren. Manchmal werde sie von ihren Geschwistern aus S3 besucht. Im Juli oder August 2022 sei sie für 3 Wochen an der Ostsee im Urlaub gewesen, mit ihrem Mann.
Aus dem geschilderten Tagesablauf ergeben sich – auch wenn V1 hier ganz erhebliche Einschränkungen sieht - keine so deutlichen krankheitsbedingten Einschränkungen im Alltag, dass daraus ohne Weiteres auf ein zeitlich eingeschränktes Leistungsvermögen geschlossen werden könnte. Denn die Klägerin erledigt Hausarbeiten, kocht, hat Kontakte zu den Enkeln, der Tochter, der Mutter und den Geschwistern, macht Spaziergänge und geht gelegentlich essen sowie ist 2022 in den Urlaub an die Ostsee gefahren. Dies spricht für ein einigermaßen erhaltenes Interessenspektrum und Funktionsniveau im Alltag.
Der psychische Befund enthält zwar teilweise Auffälligkeiten. Nach Einschätzung des V1 haben sich auch keine Hinweise für eine Aggravation oder Simulation ergeben. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass teilweise die Angaben der Klägerin (Konzentration und Gedächtnis seien schlecht, die Enkel hätten sich über ihre Vergesslichkeit beklagt) nicht mit der Wahrnehmung im Rahmen der Untersuchung übereinstimmen (in der Untersuchung keine Hinweise für gröbere kognitive oder mnestische Defizite) und auch die im psychischen Befund geschilderte, teilweise etwas gestörte Aufmerksamkeit (Fragen werden falsch verstanden und müssen wiederholt oder erklärt werden) nicht uneingeschränkt einer objektiven Überprüfung zugänglich, sondern auch motivations- bzw. mitarbeitsabhängig ist. Auch soweit V1 im Zusammenhang mit der Ausprägung der Beschwerden hervorgehoben hat, dass es der Klägerin nur noch maximal ½ Stunde möglich sei, die Enkel zu beaufsichtigen, ist darauf hinzuweisen, dass nach den Angaben an anderer Stelle im Gutachten (S. 14) die Tochter der Klägerin nicht zumuten möchte, die Enkel länger als ½ Stunde zu beaufsichtigen, dies aber keine eindeutigen Rückschlüsse auf die Fähigkeiten der Klägerin zulässt. Die von der Klägerin geschilderten Schmerzen sind ebenfalls einer objektiven Beurteilung schwer zugänglich.
Besonders fällt jedoch ins Gewicht, - worauf V1 selbst hingewiesen hat - dass der strukturierte Fragebogen simulierter Symptome hochgradig auffällig war, was auf eine Betonung oder eine Aggravation hinweisen könne, und V1 somit eine sichere Beurteilung der Leistungsfähigkeit nicht vornehmen konnte. Aufgrund der hier aufkommenden Zweifel daran, ob die von der Klägerin geschilderten Beschwerden tatsächlich im angegeben bzw. einem rentenberechtigenden Ausmaß vorliegen, kann der Nachweis einer zeitlichen Leistungseinschränkung nicht mit der erforderlichen, an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit geführt werden, was zu Lasten der beweisbelasteten Klägerin geht.
Darüber hinaus sind nach Mitteilung der Beklagten die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für einen Rentenanspruch letztmals im Oktober 2021 erfüllt. Aus den von V1 im Rahmen der Untersuchung im Januar 2023 erhobenen aktuellen Befunden und dem von der Klägerin gewonnenen Eindruck können allerdings nur eingeschränkt Rückschlüsse auf den Gesundheitszustand im Oktober 2021 bzw. vor Oktober 2021 gewonnen werden. Soweit V1 bereits seit Oktober 2019 von einer anhaltenden Einschränkung der beruflichen Leistungsfähigkeit ausgegangen ist, kann dem schon deshalb nicht gefolgt werden, weil diese Einschätzung im Widerspruch zu den Feststellungen in den Gutachten der K1 und des R1 steht, welche nach Oktober 2019 von einem Leistungsvermögen von mehr als sechs Stunden arbeitstäglich ausgegangen sind. Darüber hinaus hat V1 auch in diesem Zusammenhang betont, dass sich gewisse Einschränkungen bei der Glaubwürdigkeit der Klägerin ergeben.
Da letztlich zu keinem Zeitpunkt der Nachweis eines zeitlich eingeschränkten Leistungsvermögens geführt werden kann, kommt es auf die Frage, wann die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen letztmals erfüllt sind, nicht entscheidend an.

Weitere Sachverhaltsaufklärung, insbesondere die von V1 empfohlene Beurteilung im Rahmen einer stationären Behandlung in einer auf chronische Schmerzerkrankungen spezialisierten psychosomatischen Klinik hält der Senat nicht für erforderlich.
Denn die Durchführung einer stationären Behandlung mit dem Ziel, neue Erkenntnisse zur Leistungsfähigkeit der Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu erlangen, hält der Senat während des laufenden Berufungsverfahrens nicht für angezeigt, weil das Ergebnis einer solchen Leistungsbeurteilung maßgeblich von der Motivation der Klägerin abhängig und somit einer objektiven Beurteilung nur schwer zugänglich ist. Außerdem könnten allenfalls Eindrücke vom aktuellen Gesundheitszustand der Klägerin gewonnen werden, aber es wäre keine zuverlässige Beurteilung des Gesundheitszustands in der Vergangenheit möglich.
Da durch das Gutachten des V1 auch keine wesentlich neuen Aspekte bezüglich der Gesundheitsstörungen der Klägerin aufgezeigt worden sind, war auch ansonsten keine weitere Sachverhaltsaufklärung erforderlich.

Da das SG somit zu Recht die Klage abgewiesen hat, weist der Senat die Berufung zurück.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Im Rahmen des dem Senat nach § 193 SGG eingeräumten Ermessens war für den Senat maßgeblich, dass die Klägerin mit der Rechtsverfolgung ohne Erfolg geblieben ist und die Beklagte keinen Anlass zur Klageerhebung gegeben hat. Der Senat hält es auch im Falle einer Zurückweisung des Rechtsmittels für erforderlich, nicht nur über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu entscheiden, sondern auch über die Kosten der vorausgehenden Instanz (so Lüdtke/Berchtold, a.a.O., § 193 Rdnr. 8; erkennender Senat, Urteil vom 19. November 2013, L 13 R 1662/12, veröffentlicht in Juris; a.A. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 13. Auflage, § 193 SGG Rdnr. 2a; Hintz/Lowe, Kommentar zum SGG, § 193 SGG Rdnr. 11; Jansen, Kommentar zum SGG, 4. Auflage, § 193 SGG Rdnr. 4).

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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