L 6 AS 380/20 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 12 AS 3826/19
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 6 AS 380/20 B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Beschwerde des Klägers gegen die Bestellung von Rechtsanwältin Y. als besondere Vertreterin in dem Beschluss vom 09.03.2020 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

 

Der Kläger wendet sich gegen die Bestellung einer besonderen Vertreterin durch das Sozialgericht (SG) O. in einem erstinstanzlichen Klageverfahren.

 

Er bezieht inzwischen Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe – (SGB XII), führt vor dem SG aber noch zahlreiche Verfahren, in denen es im Wesentlichen um die Gewährung verschiedener Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) aber auch um andere Fragen, wie die Feststellung der Unpfändbarkeit, Ansprüche auf Auskunft oder Datenlöschung, geht. Im Februar 2020 waren noch 28 laufende Hauptsache- und Eilverfahren bei dem SG anhängig, die der Kläger dort seit 2015 anhängig gemacht hatte. Die Verfahren waren u. a. gekennzeichnet von sich regelmäßig wiederholenden Befangenheitsanträgen, Anträgen auf Akteneinsicht sowie z. T. kaum lesbaren, inhaltlich oft zusammenhangslosen und unverständlichen Schriftsätzen. In erledigten Sachen wurden bei dem SG (oftmals wiederholt) Anhörungsrügen und beim Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen Beschwerden erhoben. In den Beschwerdeverfahren zeigte sich dasselbe Prozessverhalten des Klägers wie in den erstinstanzlichen Verfahren. In der Zeit von Januar 2015 bis August 2020 wurden allein im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende bei den Senaten des LSG Nordrhein-Westfalen 188 Aktenzeichen für Verfahren des Klägers vergeben.

 

Bereits mit Beschluss vom 27.11.2017 – wie auch in Folgebeschlüssen in anderen Verfahren des Klägers – bestellte das LSG Nordrhein-Westfalen in dem Verfahren L 2 AS 1973/16 B ER Frau Rechtsanwältin Y. nach § 72 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als besondere Vertreterin für den Kläger.

 

Nach entsprechender Anhörung bestellte das SG mit Beschluss vom 26.02.2020 in dem hier zu Grunde liegenden Klageverfahren Frau Rechtsanwältin Y. ebenfalls als besondere Vertreterin nach § 72 Abs. 1 SGG. Der Kläger sei nach Auffassung der Kammer in diesem Verfahren aufgrund Querulanz partiell prozessunfähig. Grundsätzlich seien die nach bürgerlichem Recht Geschäftsfähigen prozessfähig. Die Prozessfähigkeit fehle mithin demjenigen, der sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befinde, sofern der Zustand nicht seiner Natur nach ein vorübergehender sei (§ 104 Nr. 2 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]). Nach einhelliger Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum gebe es nach § 104 Nr. 2 BGB eine partielle Geschäftsunfähigkeit und damit nach § 72 Abs. 1 SGG auch eine partielle, nur für bestimmte Bereiche zu bejahende Prozessunfähigkeit, wie z. B. bei krankhafter Querulanz. Die Kammer sei der Überzeugung, dass beim Kläger eine solche krankhafte Querulanz vorliege. Für eine über eine gesteigerte rechthaberische – sich (noch) im Rahmen der Gesundheit haltende – Verbohrtheit hinausgehende krankhafte Uneinsichtigkeit und Querulanz des Klägers spreche die Vielzahl der von ihm in den letzten Jahren angestrengten gerichtlichen Verfahren und die Art und Weise der Prozessführung. Hierbei sei insbesondere auf diverse Eilverfahren, Befangenheitsanträge gegen den Kammervorsitzenden, Gehörsrügen sowie Hauptsacheverfahren zu verweisen, die sämtlich offenkundig ohne Erfolg bzw. bereits unzulässig seien. Auch spreche die Art und Weise der Prozessführung (z. B. regelmäßige sich inhaltlich wiederholende Richterablehnungen und Anträge auf Akteneinsicht, kaum lesbare Schriftsätze, die inhaltlich oft zusammenhangslos und unverständlich seien) für eine querulatorische und somit krankhafte Störung des Klägers. Nach Auffassung des Gerichts sei klar, dass der Kläger die Prozesse aus Freude und der damit verbundenen Möglichkeit der Selbstdarstellung und nicht aus ernsthafter Verfolgung der materiellen Belange wie etwa dem Erhalt weiterer Leistungen nach dem SGB II verfolge. Der Zweck des sozialgerichtlichen Verfahrens liege jedoch darin, ernsthaft um Rechtsschutz nachsuchenden Personen diesen Rechtsschutz zukommen zu lassen und diene nicht dazu, einer krankhaft streitsüchtigen Person einen (verbalen) Kampfplatz zur Verfügung zu stellen, auf dem diese unter Ausnutzung nach der Prozessordnung bestehender rechtlicher Möglichkeiten nach ihrem Gutdünken und zeitlich unbegrenzt Richter-/innen nach Art von Marionetten steuere. Im Ergebnis schließe sich die Kammer somit der Einschätzung des LSG Nordrhein- Westfalen in dem Verfahren L 2 AS 1973/16 B ER an und gehe von einer Prozessunfähigkeit des Klägers aus. Aufgrund des o. g. prozessualen Verhaltens des Klägers habe das Gericht zu dieser Einschätzung insbesondere auch ohne Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens kommen können. Ein gesetzlicher Vertreter für den Kläger sei nicht vorhanden. Die Kammer habe Frau Rechtsanwältin Y. als erfahrene und regelmäßig mit dem Sozialrecht befasste Fachanwältin für Sozialrecht als besondere Vertreterin ausgewählt und somit von ihrem Ermessen hinsichtlich der Auswahl der Person als zu bestellende Vertreterin Gebrauch gemacht.

 

Gegen den Beschluss hat der Kläger am 09.03.2020 Beschwerde erhoben.

 

Der Senat hat nach Akteneinsicht durch den Kläger mit Beweisanordnung vom 26.08.2021 Beweis erhoben und ein Sachverständigengutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie L. (Chefarzt der geriatrisch-neurologischen Abteilung N.) zu folgenden Fragen in Auftrag gegeben, welches der Sachverständige ursprünglich aufgrund einer persönlichen Untersuchung des Klägers erstatten sollte:

 

1.         Welche Gesundheitsstörungen liegen bei dem Kläger seit 00.00.0000 vor?

 

2.         Liegt bei dem Kläger aufgrund der unter 1. festgestellten Gesundheitsstörungen ein dauerhafter Verlust der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit in der Weise vor, dass er nicht mehr fähig ist, (generell) im Rechtsverkehr seinen Willen zu bilden oder nach gewonnenen Einsichten zu handeln?

 

3.         Falls Frage 2. mit nein beantwortet wird: Fehlt dem Kläger die unter 2. beschriebene Fähigkeit jedenfalls mit Blick auf das vorliegende jeweilige Verfahren gegenüber dem Beklagten (partielle Prozessunfähigkeit)?

 

Gemeinsam mit den Akten aus diesem und 30 weiteren bei dem Senat anhängigen Verfahren des Klägers sind dem Sachverständigen medizinische Unterlagen zur Verfügung gestellt worden, die zuvor aus der Betreuungsakte des Klägers beim Amtsgericht O. (Az. N01) beigezogen worden waren. Es handelt sich dabei um ein Kurzgutachten des E. vom 03.07.1990, Gutachten der U. vom 25.09.2021, des M. vom 02.06.1993, des I. vom 10.11.1994 und des A. vom 23.02.2008 sowie eine Stellungnahme des G. vom 08.03.2006.

 

Der Kläger hat in den Jahren 2022 und 2023 mehrere von dem Sachverständigen angebotene Untersuchungstermine – trotz Zusicherung der Übernahme von Kosten für die Beförderung durch ein Taxiunternehmen und Möglichkeit der Mitnahme einer Begleitperson – nicht wahrgenommen. Der Senat hat über Befangenheitsanträge gegen die Richter und Richterinnen des Senats, den Sachverständigen und mehrere Gehörsrügen entschieden. Trotz Beauftragung eines Prozessbevollmächtigten, der mit Schreiben vom 13.09.2022 eine Vollmacht des Klägers vorgelegt hat, hat der Kläger weiter umfangreiche handschriftliche, kaum leserliche Schriftsätze zu den Akten gereicht. Er hat zudem eine fünfseitige „Fachärztliche Stellungnahme zur Vorlage beim Landessozialgericht NRW“ des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie B. vom 14.03.2023 übersandt.

 

Der Senat hat mit Beschluss vom 11.12.2023 die Beweisanordnung dergestalt geändert, dass der Sachverständige sein Gutachten nach Aktenlage erstatten möge.

 

Das Gutachten wurde von dem Sachverständigen am 08.02.2024 erstattet. Darin führt er nach umfangreicher Analyse des Inhalts und der Gestalt der Schriftsätze in sämtlichen vorliegenden Streitverfahren aus, die Frage der Einsichtsfähigkeit und Steuerungsfähigkeit des Klägers in Angelegenheiten des Rechtsverkehrs sei gut nach Aktenlage zu beurteilen, da umfangreiche Akten von über 3.500 Seiten mit zahlreichen Schriftwechseln des Klägers vorlägen. Zudem fänden sich zum Teil sehr ausführliche psychiatrische Vorgutachten und Stellungnahmen für die Zeit weit vor 2011 und darin wiederum zahlreiche wichtige Informationen über das Verhalten des Klägers im Rechtsverkehr sowohl als Prozessbevollmächtigter als auch in eigener Sache. Da es bei der ärztlichen Beurteilung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit im Rechtsverkehr um eine kommunikativ spezifische Situation gehe, sei mit Hilfe der Gerichtsakten eine solche Beurteilung auch möglich und durchführbar, da die Gerichtsakten klare Einblicke in das planerische Denken und Handeln sowie in die formale und inhaltliche Kommunikation des Klägers gäben. Der im Gespräch mit den vorbegutachtenden oder voruntersuchenden Psychiatern dokumentierte überwiegend unauffällige psychiatrische Befund stelle hierbei auch kein Gegenargument in der Beurteilung der Prozessfähigkeit dar, da sich dieser nicht auf eine situationsspezifische Einsichts- und Steuerungsfähigkeit im Rechtsverkehr beziehe. Aufgabe eines Gutachtens zur Frage der Prozessfähigkeit sei nicht die detaillierte Darstellung der Persönlichkeitsentwicklung mit Klärung der Frage, warum sich eine bestimmte Störung ergeben habe. Vielmehr solle das Gutachten die Gesundheitsstörung erfassen und das Ausmaß der Funktionsstörung im psychischen Bereich im Hinblick auf das Prozessverhalten im Rechtsverkehr darstellen und bewerten.

 

Die Beweisfragen hat der Sachverständige unter Auseinandersetzung mit den gutachterlichen Vorbefunden und dem Akteninhalt im Übrigen im Wesentlichen wie folgt beantwortet:

 

„1. Bei W. liegt eine komplexe Persönlichkeitsstörung vor. Die Persönlichkeitsstörung weist narzisstische Züge anteilig auf. […] Die gutachterlich von I. beschriebenen hyperthymen Wesenszüge, die während seiner persönlichen Untersuchung aufgefallen und dokumentiert worden sind, finden sich aus meiner Sicht im vorliegenden Schriftverkehr in Form einer hypomanischen Störung wieder. Es findet sich ein gesteigerter Antrieb ersichtlich beispielsweise in der farbwechselnden Buchstabenschreibweise sowie der stakkato artigen Abfassung von handschriftlichen Schreiben innerhalb von zwei Tagen. Darüber hinaus finden sich wahnhafte Züge als inhaltliche Denkstörungen mit Realitätsverlust, mit Beeinträchtigungserleben im Sinne der institutionell betriebenen Benachteiligung und des betrügerischen Umgangs mit seiner Person beispielsweise durch Richter X.. Daraus resultiert ein wahnhaftes Querulieren allerdings nur in der direkten amtlichen respektive gerichtlichen Kommunikation und nicht in der allgemeinen Lebenslage. Daher fällt im persönlichen Auftreten von W. während der Untersuchung durch diverse Psychiater auch kein allgemeiner Querulatenwahn auf. Allerdings zeigt sich seit Jahren stets wiederkehrend eine wahnhafte Denkstörung mit resultierender krankhafter Fehlbeurteilung, die unkorrigierbar und im Rechtsverkehr absolut gültig und selbstbestimmend ist. W. ist in Angelegenheiten des Rechtsverkehrs unkorrigierbar von sich und seiner Welt überzeugt. […] In von W. aktiv gestalteten Lebenssituationen der „falschen Berufsausübung" sowie der Begutachtung im eigenen Auftrag bei B. kann W. seine pathologischen Wesenszüge verdecken und sich unauffällig präsentieren. Dies passt gut zu einer Persönlichkeitsstörung mit deutlichen narzisstischen Anteilen mit einer schon zuvor durch Gutachter attestierten hohen Intelligenz, die in diesen Situationen von W. auch klug eingesetzt wird. Bezüglich der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit und der daraus resultierenden Willens- und Urteilsbildung unterliegt Herr Bernhardt jedoch eindeutig einer als wahnhaft zu charakterisierenden Störung des formalen und inhaltlichen Denkens sowie der Antriebssteuerung und des planerischen Denkens und Handels in Bezug auf die spezifische Lebenssituation im Rechtsverkehr.

Zusammengefasst liegt bei W. eine komplexe Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen, manischen und situationsspezifisch bezogenen wahnhaften Zügen vor, die seit vielen Jahren keine realitätsbasierte Steuerungsfähigkeit im Rechtsverkehr mehr zulassen.

 

2. Das wahnhaft dominierte Störungsbild mit kontinuierlichen Konsequenzen für das Denken, Urteilen und Handeln im Rechtsverkehr liegt seit vielen Jahren dauerhaft und in den Gerichtsakten nachgewiesenermaßen rückblickend bis in die Jahre 1990 und früher vor. Inhaltliche Ziele der ursprünglichen Rechtsverfolgung werden aus den Augen verloren. Die Ziele des aktiven Handelns im Rechtsverkehr von W. beziehen sich auf eine Vielzahl von öffentlichen Körperschaften respektive staatlichen Strukturen mit Verlust des Realitätsbezugs und Selbstgefälligkeit mit Überhöhungscharakter im Sinne der krankhaften, wahnhaften, narzisstischen Rollenüberhöhung. Aus diesen Gründen ist W. dauerhaft nicht in der Lage generell im Rechtsverkehr mit Einsicht und Steuerung seinen Willen zu bilden und nach dieser Einsicht zu handeln. Explizit liegt daher eine generelle Störung im Rechtsverkehr für die Zeit von 2011 bis heute vor.“

 

Der Kläger tritt dem Gutachten in mehreren ausführlichen, in den Einzelheiten jedoch nicht sicher entzifferbaren Schriftsätzen entgegen und beantragt seine persönliche Anhörung und eine (persönliche) Befragung des Sachverständigen.

 

Wegen der weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Akten(-teile), die Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.

 

 

II.

 

Die Beschwerde ist zulässig aber unbegründet.

 

Mit Blick auf die Zulässigkeit der form- und fristgerecht eingelegten Beschwerde ist es insbesondere ohne Bedeutung, ob der Kläger prozessfähig ist (vgl. dazu etwa Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 20.04.2016, B 8 SO 57/14 B, juris Rn. 6).

 

Nach § 72 Abs. 1 SGG kann der Vorsitzende für einen nicht prozessfähigen Beteiligten ohne gesetzlichen Vertreter bis zum Eintritt eines Vormundes, Betreuers oder Pflegers für das Verfahren einen besonderen Vertreter bestellen, dem alle Rechte, außer dem Empfang von Zahlungen, zustehen.

 

Prozessunfähig ist eine Person, die sich nicht durch Verträge verpflichten kann (§ 71 Abs. 1 SGG), also u. a. eine solche, die nicht geschäftsfähig im Sinne des § 104 BGB ist, weil sie sich gemäß § 104 Nr. 2 BGB in einem nicht nur vorübergehenden, die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet und deshalb nicht in der Lage ist, ihre Entscheidungen von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen (BSG, Beschluss vom 06.10.2022, B 8 SO 2/22 B, juris Rn. 13 m. w. N.). Dabei können bestimmte Krankheitsbilder auch zu einer sog. partiellen Prozessunfähigkeit führen, bei der die freie Willensbildung nur bezüglich bestimmter Prozessbereiche eingeschränkt ist (vgl. hierzu näher etwa BSG, Beschluss vom 06.10.2022, B 8 SO 2/22 B, juris Rn. 12 m. w. N.). Soweit eine solche partielle Prozessunfähigkeit anzunehmen ist, erstreckt sie sich auf den gesamten Prozess (BSG, Beschluss vom 08.04.2014, B 8 SO 48/13 B, juris Rn. 7). Eine partielle Prozessunfähigkeit kann vom Gericht nur ausnahmsweise bei eindeutigen Symptomen, die auch einem medizinisch nicht vorgebildeten Laien eindeutige Schlüsse gestatten, ohne Einschaltung eines Sachverständigen festgestellt werden (vgl. B. Schmidt in Meyer-Ladewig u. a., SGG 14. Auflage 2023, § 71 Rn. 6 m. w. N.). Ein solcher Fall lag hier – entgegen der Auffassung des SG und des 2. Senats des LSG Nordrhein-Westfalen – nicht vor. Denn zum einen spricht einiges dafür, dass sich der Kläger in außerprozessualen Lebensbereichen im Wesentlichen unauffällig verhält, zum anderen Bedarf es aus Sicht des Senats regelhaft einer fachlichen Expertise, wenn es – wie hier – um die diffizile Abgrenzung einer bloß akzentuiert schwierigen von einer pathologisch querulatorischen Klägerpersönlichkeit geht.

Ausgehend von den sehr ausführlichen Feststellungen des Sachverständigen L. in dem Gutachten vom 08.02.2024 und in Übereinstimmung mit diesen ist der Senat davon überzeugt, dass der Kläger partiell prozessunfähig ist.

 

Der Sachverständige gelangt in seinem Gutachten diagnostisch zusammengefasst zu dem Ergebnis, dass bei dem Kläger eine komplexe Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen, manischen und situationsspezifisch bezogenen wahnhaften Zügen vorliege, die seit vielen Jahren keine realitätsbasierte Steuerungsfähigkeit im Rechtsverkehr mehr zulasse (vgl. zur Relevanz der Diagnosestellung bei der Feststellung der Prozessfähigkeit BSG, Beschluss vom 06.10.2022, B 8 SO 2/22 B, juris Rn. 14 m. w. N.). Zwar konnte L. den Kläger nicht persönlich untersuchen. Er hat jedoch nachvollziehbar und überzeugend ausgeführt, dass und warum ausreichende Informationen dafür vorliegen, eine hinreichend sichere Beurteilung des Krankheitsbildes auch nach Aktenlage vornehmen zu können.

 

Auf Basis dieser im Einzelnen benannten Daten- und Faktengrundlage hat der Sachverständige nachvollziehbar den Schluss gezogen, dass das wahnhaft dominierte Störungsbild mit kontinuierlichen Konsequenzen für das Denken, Urteilen und Handeln im Rechtsverkehr seit vielen Jahren dauerhaft und in den Gerichtsakten nachgewiesenermaßen rückblickend bis in die Jahre 1990 und früher vorliege und damit verfestigt sei. Inhaltliche Ziele der ursprünglichen Rechtsverfolgung würden aus den Augen verloren. Die Ziele des aktiven Handelns im Rechtsverkehr des Klägers bezögen sich auf eine Vielzahl von öffentlichen Körperschaften respektive staatlichen Strukturen mit Verlust des Realitätsbezugs und Selbstgefälligkeit mit Überhöhungscharakter im Sinne einer krankhaften, wahnhaften, narzisstischen Rollenüberhöhung. Aus diesen Gründen sei der Kläger dauerhaft nicht in der Lage, generell im Rechtsverkehr mit Einsicht und Steuerung seinen Willen zu bilden und nach dieser Einsicht zu handeln. Explizit liege daher eine generelle Störung im Rechtsverkehr für die Zeit vor 2011 bis heute vor.

 

Zu dieser Überzeugung ist der Sachverständige aufgrund des sehr ausführlichen Studiums der Akten gelangt. Er hat dabei exemplarisch in jeder der ihm vorgelegten Streitakten die vielfach kaum lesbaren Schriftsätze inhaltlich und anhand des Schriftbildes analysiert und ist nachvollziehbar zu den o. g. Ergebnissen gekommen, wobei er sich an wissenschaftlich anerkannten Maßstäben (u. a. nach Cording und Wetterling) für die Begutachtung im Bereich der Geschäfts- und Testierfähigkeit orientiert und danach vorgegebene Kriterien im Einzelnen abgearbeitet hat.

 

Mit Blick auf die zeitliche Dimension und die inhaltliche Einordnung des Zustandsbildes, hat er sich ausführlich mit den in den Akten befindlichen psychiatrischen Vorgutachten der Drs. E., U., M., I., G. und A. aus den Jahren 1990-2008 auseinandergesetzt. Bezüglich der auf Veranlassung des Klägers erstellten gutachterlichen Stellungnahme von G. hat er nachvollziehbar sowie unter ausführlicher und differenzierter Prüfung der Ausführungen des G. dargelegt, dass diese zwar ein wesentlicher Baustein zu der Frage einer gesetzlichen Betreuungsnotwendigkeit, aber nicht zur Frage einer Prozessunfähigkeit sei. Zudem hat er überzeugend darauf hingewiesen, dass der untersuchende Psychiater im Gegensatz etwa zu I. weder kritische noch realitätsprüfende Fragen in die Anamnese von W. eingebracht habe. Somit überrasche das unauffällige Ergebnis und die abweichende Beurteilung der Prozessfähigkeit durch G. nicht.

 

Sofern sich in den Akten weitere medizinische Dokumente (so etwa die Stellungnahme des M. vom 02.06.1993, das Gutachten der U. vom 25.09.1991und das Kurzgutachten des E. vom 03.07.1990) finden, die dem Kläger (noch) eine gewisse Zugänglichkeit für Sachinformationen und -argumente sowie auf dieser Grundlage Prozessfähigkeit bescheinigten, lässt sich dies nach dem aktuellen gutachterlichen Feststellungen nicht (mehr) bestätigen. Dies ist auch nachvollziehbar, weil die vorbenannten Unterlagen inzwischen über 30 Jahre alt sind, was eine Verfestigung des Krankheitsbildes plausibel macht.

 

Die gutachterlichen Feststellungen und Folgerungen des L. werden im Übrigen durch die bisherige Prozessführung im Klage- und Beschwerdeverfahren bestätigt, die durch unsachliche Anschuldigungen gegen den Beklagten und die Gerichte sowie durch eine Vielzahl von kaum lesbaren Schriftsätzen und unzulässigen Anträgen geprägt ist. Wie schon vom Sachverständigen festgestellt, finden sich auch in den weiteren Schriftsätzen des Klägers Hinweise und Beispiele von inhaltlichen Denkstörungen, die sich hartnäckig wiederkehrend durch die Texte hindurchziehen.

 

Von einer (persönlichen) Anhörung des Klägers (vgl. dazu etwa BSG, Urteil vom 05.05.1993, 9/9a RVg 5/92, juris Rn. 15; Zeihe, SGG, Stand: November 2006, § 72 Rn. 2b; Hennig, SGG, Stand: März 2019, § 72 Rn. 7 – beide m. w. N.) hat der Senat aufgrund des ihm hierzu eingeräumten Ermessens abgesehen. Der Senat ist der Überzeugung, dass durch eine persönliche Anhörung des Klägers im Beschwerdeverfahren, in dem nicht über den eigentlichen Streitgegenstand zu entscheiden ist, sondern allein über die Frage der Beiordnung einer besonderen Vertreterin, kein weiterer Erkenntnisgewinn zu erzielen ist. Der Senat verfügt – anders als der Sachverständige – nicht über die erforderliche Fachkenntnis im Hinblick auf die Beurteilung des Vorliegens einer partiellen Prozessfähigkeit bzw. die Entscheidung der oben dargestellten Abgrenzungsfrage. Dass der Kläger sich im persönlichen Kontakt durchaus unauffällig präsentieren und seine pathologischen Wesenszüge verdecken kann, ist gerade Teil der vorliegenden Problematik, was der Sachverständige unter Auswertung der Ausführungen des G. und in Abgrenzung zu diesen überzeugend herausgearbeitet hat.

 

Auch eine persönliche Anhörung des Sachverständigen L. hält der Senat nicht für veranlasst. Einer solchen Anhörung bedarf es nur, wenn dies nach Lage der Dinge sachdienlich ist (vgl. BSG, Beschluss vom 31.05.1996, 2 BU 16/96, juris Rn. 5 m. w. N.; Keller in Meyer-Ladewig u. a., SGG, 14. Auflage 2023, § 118 Rn. 12 f.). Dies ist nicht der Fall. Denn wie ausgeführt konnte sich der Senat bereits aufgrund der vorliegenden Informationen eine volle Überzeugung zur Entscheidung des Falles bilden. Aus den Ausführungen des Klägers – soweit sie überhaupt lesbar sind – ergeben sich außerdem weder konkrete Fragen noch wird ein Fragenkomplex konkret umschrieben, mit dem das Gericht den Sachverständigen konfrontieren könnte.

 

Die Tatsache, dass sich für den Kläger am 13.09.2022 ein Prozessbevollmächtigter unter Vorlage einer vom Kläger unterschriebenen Vollmacht gemeldet hat ist hier unbeachtlich, da er (auch) zu diesem Zeitpunkt schon prozessunfähig war (vgl. B. Schmidt in Meyer-Ladewig u. a., SGG 14. Auflage 2023, § 72 Rn. 2a).

 

Vor diesem Hintergrund erscheint es – jedenfalls nach den durchgeführten Ermittlungen des Senats - sachgerecht, wenn das SG von seiner ihm in § 72 Abs. 1 SGG verliehenen Befugnis zur Bestellung einer besonderen Vertreterin Gebrauch gemacht hat. Dabei hat es zugleich eine Vertreterin bestellt, die nach gerichtlicher Kenntnis in sozialgerichtlichen Sachen als Fachanwältin für Sozialrecht erhebliche Erfahrung aufweist. Es entspricht daher den erkennbaren Interessen des Klägers, dass die Bestellung der Vertreterin in der geschehenen Weise vorgenommen wurde.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 


Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).

 

 

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