§ 17 Abs. 2 SGB II stellt keine gesetzliche Ermächtigungslage für Träger der Grundsicherung nach dem SGB II dar, um Wohnräume in Frauenhäusern zu durchsuchen.
Das Jobcenter einer Zufluchtskommune kann die Kosten für die Unterbringung und Betreuung von Frauen und Kindern im Frauenhaus auch vom Jobcenter der Herkunftskommune gemäß § 36a SGB II erstattet verlangen, falls das Jobcenter der Zufluchtskommune mit dem örtlichen Frauenhaus nicht gemäß § 17 Abs. 2 SGB II vereinbart hatte, dass Mitarbeiter des Jobcenters Wohnräume des Frauenhauses betreten dürfen. |
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Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten für die Unterbringung und Betreuung in einem Frauenhaus in Höhe von 1.753,20 €.
Beide Beteiligte sind Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
In Abstimmung mit der Klägerin entwickelte die „Ökumenisches Frauenhaus XXX gGmbH“ die nachfolgende Konzeption für ein Frauenhaus in XXX vom 28.01.2020:
„Konzeption Ökumenisches Frauenhaus XXX
Präambel
Der Dienst an Hilfsbedürftigen zählt mit zu den elementaren Aufgaben der christlichen Kirchen. Dazu gehört es, Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt als nach wie vor sehr aktuelles Problem in der Gesellschaft zu erkennen, den betroffenen Frauen und ihren Kindern einen bestmöglichen Schutz zu gewähren, ihnen Hilfe zur Selbsthilfe anzubieten, uni so eine Zukunftsperspektive entwickeln zu können. Diesen Zielen sind das bestehende Frauenhaus und die Fachstelle gegen häusliche Gewalt verpflichtet, die in ökumenischer Trägerschaft von der Evangelischen Kirchengemeinde XXX und der Katholischen Gesamtkirchengemeinde XXX geführt werden.
1. GRUNDSÄTZLICHES
Das Ökumenische Frauenhaus XXX ist ein Frauen- und Kinderschutzhaus, dessen Adresse anonym ist. Postalisch erreichbar ist das Frauenhaus über die Adresse des Diakonischen Werks der Evangelischen Kirche in XXX. Es bietet mit 26 Plätzen Raum für 11 schutzsuchende Frauen und 15 Kinder, unabhängig ihrer Nationalität, Kultur, Religionszugehörigkeit oder ethnischer Herkunft.
Das Frauenhaus arbeitet zusammen mit der Fachstelle gegen häusliche Gewalt XXX, die ihren Sitz in den Räumlichkeiten der Diakonie XXX hat, unter der Trägerschaft der Ökumenisches Frauenhaus und Fachstelle XXX gGmbH.
Gesellschafter dieser gGmbH sind die Katholische Gesamtkirchengemeinde XXX und die Evangelische Kirche in XXX mit seinem Diakonischen Werk. Die Geschäftsführung der Gesellschaft obliegt der Geschäftsführerin des Diakonischen Werks der Evangelischen Kirche in XXX.
2. FINANZIERUNG
Das Ökumenische Frauenhaus finanziert sich über einen Tagessatz, welcher mit Stadt XXX und dem XXX verhandelt wird.
Der Tagessatz setzt sich zusammen aus:
a) Kosten der Unterkunft b) Kosten für die psychosoziale Betreuung
Die Abrechnung erfolgt mit dem Jobcenter, dem Sozialamt der Stadt XXX oder mit dem Landratsamt XXX sowie, bei Selbstzahlerinnen, mit der jeweiligen Klientin.
Der Tagessatz wird altersunabhängig pro Person / Tag gerechnet.
3. LEITGEDANKEN
Die Prinzipien der Arbeit im Ökumenischen Frauenhaus orientieren sich an Werten, die sich aus dem christlichen Menschenbild, den Menschenrechten und dem Grundgesetz ergeben. Dazu gehören die Artikel 1-3 des Grundgesetzes:
à Recht auf Achtung und Schutz der Menschenwürde - Einhaltung der Grundrechte / Vermittlung und parteiliche Arbeit für Frauen und Kinder
à Recht auf Selbstbestimmung - das Frauenhaus als Ort für Neuorientierung
à Recht auf körperliche und seelische Unversehrtheit
4. ZIEL DER FRAUENHAUS-UNTERBRINGUNG
Die vorrangige Aufgabe ist der Schutz von Frauen und deren Kinder vor psychischer und physischer Gewalt. Die Frauenhausarbeit möchte die Frauen und Kinder dazu ermächtigen, nach dem Auszug aus dem Frauenhaus ein unabhängiges, eigenverantwortliches und selbstbestimmtes Leben in Gewaltfreiheit zu führen. Hierbei wird nach dem Prinzip der „Hilfe zur Selbsthilfe" vorgegangen. Um ein unabhängiges, eigenverantwortliches und selbstbestimmtes Leben zu führen dient die psychosoziale Beratung natürlich auch dem Ziel der Eingliederung in Arbeit.
Frauenhäuser sind auch Kinderschutzhäuser. Parteilichkeit, sowohl für die Frauen als auch für die Kinder, ist ein unverzichtbarer Bestandteil unserer Arbeit.
5. AUFGABEN / VORGEHENSWEISEN
5.1 Begleitung der Frauen und Kinder von der Aufnahme bis zum Auszug
1) Aufnahmephase (1. - 3. Tag) a) Aufnahme nach Abklärung der Aufnahmekriterien Risikoscreening 1: Ist die Frau in XXX sicher? b) Angebot eines gewaltfreien Schutzraumes c) Grundsicherung (ärztlich, medikamentös und materiell) d) Antragstellung beim zuständigen Kostenträger 2) Stabilisierungsphase (1. - 3. Woche) a) Schul-/Kindergartenplatzsuche b) Weiterführende Anträge zur Existenzsicherung c) Kündigung laufender Verträge, die nicht mehr benötigt werden d) Unterstützung beim Umzug und bei der Einlagerung der Möbel e) Abklärung bzgl. bisherigem Arbeitsplatz f) Evtl. Unterstützung beim Stellen einer Strafanzeige 3) Orientierungsphase (ab 4. Woche) a) Risikoscreening 2: Kann die Frau in XXX eine Zukunft aufbauen? b) Perspektivenplanung (Hilfe bei Wohnungssuche, Termin bei Arbeitsvermittlung, Sprachkurs etc.) 4) Auszugsphase a) Hilfe bei der Organisation des Auszugs b) Weitere Existenzsicherung (für die Zeit nach dem Aufenthalt im Frauenhaus) c) Klärung der Situation in der Schule / im Kindergarten d) Anbindung an Beratungsstellen e) Evtl. kurzfristige Nachsorge
5.2 Die ambulante Beratung übernimmt die Fachstelle gegen häusliche Gewalt mit Sitz in der Diakonie XXX
6. RAHMENBEDINGUNGEN
Verträge und Hausregeln organisieren das Zusammenleben im Frauenhaus. Die entsprechenden Unterlagen unterschreibt jede Frau bei der Aufnahme. Bei Nichteinhaltung der Regeln folgen unterschiedliche Konsequenzen (Abmahnung/Auszug).
Die Frauen versorgen sich und ihre Kinder selbst im Haus. Sie bewohnen ein eigenes Zimmer und teilen sich die Küche, ein Wohnzimmer sowie teilweise sanitäre Einrichtungen mit jeweils zwei anderen Frauen und deren Kinder auf einer Etage.
7. PERSONELLE AUSSTATTUNG
Im Frauenhaus arbeiten Sozialpädagoginnen, Fachfrauen für Hauswirtschaft und Kinderbetreuung, Verwaltungsfachkräfte, Praktikantinnen im freiwilligen sozialen Jahr und/oder Studentinnen im dualen Studium. Ergänzt wird das Team stundenweise durch die Mitarbeit eines Hausmeisters.
Die qualifizierten Mitarbeiterinnen erarbeiten unterschiedlichste und komplexe Problemlagen. Der hohe Migrantenanteil erfordert ein umfassendes Fachwissen und interkulturelle Kompetenzen. Dies erfordert eine besondere Fähigkeit im Umgang mit Menschen unterschiedlicher ethnischer, religiöser und nationaler Herkunft. Regelmäßige Fortbildungen fördern die Qualität der Arbeit bei den Mitarbeiterinnen.
8. QUALITÄTSHANDBUCH
Das Frauenhaus wird zusätzlich ein Qualitätshandbuch erstellen, um alle Bereiche einzeln zu beleuchten. Damit soll die Qualität der Arbeit im Frauenhaus aufrecht gehalten und ggf. erweitert werden. Ebenso erleichtert ein solches Qualitätshandbuch die Einarbeitung neuer Mitarbeiterinnen und Praktikantinnen und die tägliche Arbeit im Team des Frauenhauses.
9. INTERKULTURELLES TRAINING Durch ein interkulturelles Training im Frauen- und Kinderbereich erfahren die Frauen und Kinder etwas über die Grundlagen der deutschen Kultur, können einen Kulturvergleich Deutschland - Heimatland ziehen, lernen Strategien für den Umgang mit kulturellen Unterschieden und wie in Deutschland gearbeitet und gelebt wird.“
Drei Wochen nach der Fertigstellung der Konzeption schloss die Klägerin am 17.02.2020 mit der Ökumenischen Frauenhaus XXX gGmbH (nachfolgend: „Frauenhaus“) eine öffentlich-rechtliche Vereinbarung mit nachfolgendem Wortlaut:
„Vereinbarung nach § 17 SGB II zwischen der Stadt XXX vertreten durch das Jugend- und Sozialamt und dem Ökumenischen Frauenhaus XXX gGmbH zur Festsetzung der Kosten der Unterkunft gern. §§ 22 SGB II, 35 SGB XII und einer Betreuungspauschale gern. §§ 16 a Ziff. 3 SGB II, 11 SGB XII
Präambel
Die Ökumenische Frauenhaus XXX gGmbH betreibt das Frauenhaus in XXX mit insgesamt 26 Plätzen seit 2006. Das Frauenhaus ist ein ambulantes Hilfeangebot für von Gewalt betroffene Frauen und Kinder, die Unterstützung, Schutz und Zuflucht suchen. Die vorgehaltene Leistung umfasst die Gewährung einer vorläufigen Unterkunft sowie die Bereitstellung eines Beratungs- und Betreuungsangebots, das die Betroffenen in der Ausnahmesituation stützt mit dem Ziel, die Selbsthilfekräfte zur Überwindung ihrer Notlage zu stärken. Dem Angebot liegt eine mit der Stadt XXX abgestimmte Konzeption zu Grunde. Diese umfasst auch eine in enger Abstimmung mit dem Jobcenter erfolgende regelmäßige Dokumentation der erbrachten Betreuungsleistungen. Die Tagessätze werden regelmäßig anhand der vorzulegenden vollständigen betriebswirtschaftlichen Unterlagen nach Prüfung durch die Stadt XXX angepasst. Zur schriftlichen Fixierung dieses seit jeher bestehenden Verfahrens wird nunmehr folgende Vereinbarung formuliert:
§1 Leistungsbestandteile
Leistungsbestandteile sind • Gewährung von Unterkunft • Individuelle Beratung und psychosoziale Betreuung.
Die Beratung und Betreuung ist durch bis zu 4 Vollzeitstellen für sozialpädagogische Fachkräfte oder durch Fachkräfte mit vergleichbarer Qualifikation sicherzustellen. Die Anzahl der Fachkräfte kann bei Bedarf im Rahmen der regelmäßigen Fortschreibungen der Vergütungen im gegenseitigen Einvernehmen angepasst werden.
§2 Vergütungsvereinbarung
(1) Für die beschriebenen Leistungsbestandteile wird ein Tagessatz in Höhe von 53 59 C pro Tag vereinbart. Darin enthalten ist ein Anteil von 7,40 C für Unterkunftskosten.
(2) Die Höhe der vereinbarten Vergütung kann durch Aufforderung der Vertragsparteien zu Verhandlungen in gegenseitigem Einvernehmen angepasst werden.
(3) Nach Überprüfung und Vorschlag der Mitarbeitenden des Frauenhauses entscheidet die Stadt XXX über die Erforderlichkeit psychosozialer Betreuung.
§3 Zahlweise
Die Vergütung ist aufgrund monatlicher Einzelfallabrechnung zeitnah zu leisten.
§4 Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsvereinbarung
(1) Zur Qualitätskontrolle sind dem Kostenträger bei Bedarf bzw. nach spätestens 3 Monaten Sozialberichte vorzulegen, die Angaben zur Situation der Betroffenen, zu Entwicklungen und Perspektiven sowie zur Notwendigkeit der Aufnahme und Betreuung im Frauenhaus enthalten.
(2) Im Rahmen der regelmäßigen Fortschreibungen des Tagessatzes sind von der Ökumenischen Frauenhaus XXX gGmbH alle die Höhe des Tagessatzes begründenden bzw. erforderlichen betriebswirtschaftlichen Unterlagen einschließlich der Personalkostenblätter vorzulegen.
§5 Laufzeit und Kündigung
(1) Die Vereinbarung tritt zum 01.01.2020 in Kraft. Sie gilt zunächst bis zum 31.12.2020 und verlängert sich jeweils um ein Jahr, wenn sie nicht 3 Monate vor Ablauf (Posteingang) gekündigt wird.
(2) Eine außerordentliche Kündigung mit einer Frist von sechs Wochen zum Quartalsende ist möglich, wenn eine Partei die ihr obliegenden Pflichten nicht erfüllt.
§6 Salvatorische Klausel/ Schriftform
(1) Sollte eine Bestimmung dieses Vertrages unwirksam sein oder werden, wird dadurch die Gültigkeit der übrigen Bestimmungen nicht berührt. Die Parteien verpflichten sich, die unwirksame Bestimmung durch eine andere zu ersetzen, die in ihren wirtschaftlichen Auswirkungen der zu ersetzenden Bestimmung möglichst nahekommt. Entsprechendes gilt für die Ausfüllung von Vertragslücken.
(2) Änderungen und Ergänzungen bedürfen der Schriftform, soweit nicht das Gesetz eine strengere Form vorsieht; dies gilt auch für die Abbedingung des Schrifterfordernisses.
(3) Von diesem Vertrag erhält jeder Vertragspartner eine von beiden Beteiligten rechtsgültig unterzeichnete Ausfertigung.“
Am 12.05.2021 kamen das Frauenhaus und die Klägerin wie folgt überein:
„nach § 2 Abs. 2 der von uns am 17.02.2020 geschlossenen Vereinbarung nach § 17 SGB II können wir in gegenseitigem Einvernehmen die Höhe der vereinbarten Vergütung anpassen. Nach einem gemeinsamen Termin am 09.03.2021 und verschiedentlicher schriftlicher Abstimmungen sind wir zu der Übereinkunft gekommen, den Tagessatz rückwirkend zum 01.01.2021 auf 58,44 € pro Tag zu erhöhen. Darin enthalten ist ein Anteil von 8,17 € für Unterkunft und Heizung.“
Bis einschließlich September 2021 gewährte der Beklagte als örtlich zuständiges Jobcenter Leistungen nach dem SGB II für Regelbedarf, Unterkunft und Heizung an die 1992 geborene Frau AAAAA XXXXX und deren 2017 bzw. 2019 geborene Kinder BBBBB und BBBBB XXXXX sowie Frau XXXXXs Partner. Aus Furcht vor seinerseits ausgeübter körperlicher Gewalt flohen Frau XXXXX und ihre Kinder am 20.09.2021 aus ihrem Herkunftslandkreis und suchten bis 29.09.2021 Zuflucht im Frauenhaus in XXX, da ihnen solange noch keine alternative Unterbringung zur Verfügung stand.
Am selben Tag beantragte Frau XXXXX die Übernahme der Kosten für Unterbringung und Betreuung im Frauenhaus in XXX bei der Klägerin. Diese stellte mit Bewilligungsbescheid vom 05.10.2021 gegenüber Frau XXXXX und ihren beiden Kindern fest, der dortige Aufenthalt im Frauenhaus sei erforderlich. Ihre Lebenssituation verlange derzeitig das Erbringen psychosozialer Betreuungsleistungen, damit langfristig eine Eingliederung in das Erwerbleben erreicht werden könne. Wegen der Kosten werde die Klägerin mit dem Frauenhaus abrechnen.
Auf den gesondert gestellten Antrag bewilligte die Klägerin Frau XXXXX und ihren Kindern mit Bescheid vom 29.10.2021 auch Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach § 7 ff. SGB II für den Bewilligungszeitraum 20.09.2021 bis 29.09.2021 unter leistungserhöhender Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende und des höheren Regelbedarfssatzes für alleinstehende Volljährige.
Wegen der Kosten der Unterbringung und Betreuung von Frau XXXXX und ihren Kindern im eigenen Zuständigkeitsbereich meldete die Klägerin bereits am 05.10.2021 bei dem Beklagten einen Erstattungsanspruch nach § 36a SGB II an. Hierauf erwiderte der Beklagte am 12.10.2021, er lehne eine Erstattung der Kosten ab. Die Anspruchsvoraussetzungen seien nicht erfüllt. Es seien keine erstattungsfähigen Kosten der Klägerin entstanden. Die Klägerin sei ihrerseits gegenüber dem Frauenhaus nicht zur Zahlung verpflichtet. Die der vermeintlichen Zahlungspflicht zugrundeliegende vertragliche Vereinbarung genüge nicht den inhaltlichen Mindestanforderungen für Vereinbarungen zwischen Frauenhäusern und Jobcentern aus § 17 Abs. 2 SGB II. Die Klägerin verwies den Beklagten am 09.11.2021 auf die Rechtsprechung des Landessozialgerichts Baden-Württemberg im Verfahren L 2 AS 3911/18 vom 04.11.2020 und forderte ihn am 10.05.2022 ein weiteres Mal zur Zahlung der Gesamtkosten in Höhe von 1.753,20 € auf. Diese verweigerte der Beklagte am 19.05.2022 nochmal.
Deshalb hat die Klägerin am 11.07.2022 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben und zur Klagebegründung ausgeführt, warum die Ausführungen in der Vereinbarung vom 17.02.2020 hinreichend bestimmt seien in Bezug auf den Inhalt, den Umfang, die Qualität, die Vergütung, die Qualitätsprüfung sowie die Wirtschaftlichkeitsprüfung der Leistungserbringung im Frauenhaus in XXX. Insofern hat die Klägerin betont, dass durch die Bezugnahme in der Präambel der Vereinbarung vom 17.02.2020 auch der Inhalt der Konzeption des Frauenhauses vom 28.01.2020 Gegenstand der vertraglichen Vereinbarung vom 17.02.2020 geworden sei. Zur Qualitätsprüfung genüge es, dass ihr das Frauenhaus nach dem Vereinbarungswortlaut anlässlich der für jeden Einzelfall durchzuführenden Prüfung der Erforderlichkeit regelmäßig personenbezogene Sozialberichte vorlegen müsse. Und zur Wirtschaftlichkeitsprüfung sei ausreichend, dass nach dem Vereinbarungswortlaut anlässlich der jährlichen Neuvereinbarungen der Tagessatzhöhe betriebswirtschaftliche Unterlagen einschließlich der Personalkostenblätter vorzulegen seien. Denn sowohl bei der Einzelfallprüfung der Erforderlichkeit der Leistungserbringung durch das Frauenhaus als auch hinsichtlich der Frage der Fortschreibung der Tagessätze für die Leistungserbringung liege die Rechtsmacht bei der Klägerin. Diese habe es auch ohne weitere Vertragsvereinbarungen in der Hand, Zweifeln an der Qualität und Wirtschaftlichkeit der Arbeit des Frauenhauses effektiv nachzugehen und dessen kooperative Mitwirkung durchzusetzen.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zur Zahlung von 1.753,20 € zu verurteilen.
Der Beklagte beantragt die Klageabweisung. Er meint, die Bezugnahme auf die Konzeption des Frauenhauses im Wege ihrer einmaligen Nennung in der Präambel der Vereinbarung vom 17.02.2020 genüge nicht, damit sämtliche Selbstvorgaben zum Inhalt, zum Umfang und zur Qualität der Leistungserbringung an Frauen und Kinder durch das Frauenhaus auch zum Gegenstand der Vertragsvereinbarung im Sinne des § 17 Abs. 2 SGB II werden. Deshalb seien Umfang, Inhalt, und Qualität der Leistungserbringung des Frauenhauses nicht hinreichend bestimmt geregelt. Zudem fehlten im Vereinbarungstext hinreichende Kontroll- und Prüfinstrumente, um die Wirtschaftlichkeit und Qualität der Leistungserbringung durch die Klägerin sicherstellen zu können. So sei alleine die Durchsicht betriebswirtschaftlicher Unterlagen unzureichend, um eine Kontrolle der Wirtschaftlichkeit durchzuführen. Überdies könne die tatsächliche Leistungserbringung im Einzelfall nicht überprüft werden allein anhand der vorgelegten Sozialberichte. Indes sei nicht einmal die Entschließung zur Leistungsgewährung der Klägerin vorbehalten, sondern faktisch auf das Frauenhaus übertragen und der Turnus der Wirtschaftlichkeitsprüfung in der Vereinbarung ungeregelt.
Wegen des weiteren Sachverhalts und Vorbringens wird Bezug genommen auf die Prozessakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge.
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Entscheidungsgründe: |
Entscheidungsgründe
1. Die zulässige Leistungsklage ist begründet.
Das Gericht muss den Beklagten verurteilen, der Klägerin 1.753,20 € zu zahlen. Dieser Kostenerstattungsanspruch besteht wegen des Aufenthalts von AAAAA XXXXX und ihren zwei Kindern im Ökumenischen Frauenhaus XXX vom 20.09.2021 bis 29.09.2021 gemäß § 36 a SGB II.
Nach dieser Vorschrift ist der kommunale Träger am bisherigen gewöhnlichen Aufenthaltsort verpflichtet, dem durch die Aufnahme im Frauenhaus zuständigen kommunalen Träger des Frauenhauses die Kosten für die Zeit des Aufenthaltes im Frauenhaus zu erstatten, wenn eine Person in einem Frauenhaus Zuflucht sucht.
Anspruchsberechtigt ist insoweit der kommunale Träger gemäß § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II, in dessen Gebiet sich das Frauenhaus befindet, und der in rechtmäßiger Anwendung der Vorschriften des SGB II Leistungen an die Zuflucht suchenden Personen erbracht hat (BSG Urteil vom 23.05.2012 - B 14 AS 156/11 R; Aubel in jurisPK SGB II Stand 26.09.2016 § 36a Rn. 8), erstattungspflichtig derjenige am Ort des bisherigen gewöhnlichen Aufenthaltsortes (s. auch zur Aktiv- und Passivlegitimation BSG a.a.O.). Die Kostenerstattungspflicht umfasst neben den Kosten der Unterkunft grundsätzlich auch die Leistungen der psychosozialen Betreuung nach § 16 a Nr. 3 SGB II (vgl. BSG Urteil vom 23.05.2012 - B 14 AS 190 / 11 R; juris Rn. 24,25 mwN).
Diese Voraussetzungen des § 36a SGB II sind im vorliegenden Rechtsstreit erfüllt.
a) Die Klägerin ist aktiv anspruchslegitimiert. Denn sie ist durch die Aufnahme von AAAAA XXXXX und deren minderjährige Kinder im Frauenhaus in XXX am 20.09.2021 zuständiger kommunaler Träger geworden und geblieben, bis die drei am 29.09.2021 in ein anderes Frauenhaus umziehen konnten.
b) Der Beklagte ist auch der richtige Anspruchsgegner. Er kann als Herkunftslandkreis iSd § 36a SGB II grundsätzlich zur Erstattung der Kosten verpflichtet sein. Denn nach § 36 Abs. 1 SGB II ist grundsätzlich derjenige Träger des gewöhnlichen Aufenthalts (§ 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I) für die Leistungserbringung zuständig. Hier war der letzte gewöhnliche Aufenthalt vor dem Einzug ins Frauenhaus von Frau XXXXX und ihren Kindern im Kreis Ludwigsburg bzw. im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beklagten.
c) Auch der (ungeschriebenen) Leistungsvoraussetzung einer rechtmäßigen Leistungserbringung an das Frauenhaus ist im vorliegenden Fall Genüge getan. Die Klägerin hat für die Zeit des Aufenthaltes in XXX zurecht Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II sowie Leistungen der psychosozialen Betreuung an Frau XXXXX und die mit ihr lebenden Kinder nach § 16a SGB II erbracht.
Nach der zuletzt genannten Vorschrift werden von den kommunalen Trägern zur Verwirklichung einer ganzheitlichen und umfassenden Betreuung und Unterstützung bei der Eingliederung in Arbeit u.a. Betreuungsleistungen für minderjährige Kinder (Nr. 1) und eine psychosoziale Betreuung (Nr. 3) erbracht. Voraussetzung der Erbringung von Ermessensleistungen auf dieser Grundlage ist neben der – vorliegend unstreitig gegebenen – Leistungsberechtigung der Frau XXXXX und ihrer zwei minderjährigen Kinder nach § 7 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 SGB II die Erforderlichkeit der Leistung für die Eingliederung in das Erwerbsleben.
Die Erforderlichkeit einer Eingliederungsleistung nach § 16a SGB II beurteilt sich nach den Zielvorgaben der §§ 1, 3 SGB II. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 SGB II können Leistungen zur Eingliederung in Arbeit erbracht werden, soweit sie zur Vermeidung oder Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich sind. Verlangt wird eine Prognose über die möglichen Konsequenzen und Erfolge der Eingliederungsleistung, wobei eine Leistungsgewährung nicht nur dann in Betracht kommt, wenn die Leistungsgewährung die einzige Möglichkeit zur Eingliederung des Leistungsberechtigten ist (BSG, Urteil vom 23.05.2012 - B 14 AS 190/11 R - mwN).
Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Die Lebenssituation der Frau XXXXX war vor dem Verlassen ihres gewöhnlichen Aufenthaltsortes im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beklagten am 20.09.2021 durch die körperliche Gewalt des vormaligen Partners geprägt, vor dem sie nirgendwo anders Zuflucht nehmen konnte als im Frauenhaus. Zur Stabilisierung ihres Zustands und der Bewältigung der mit der Flucht aus der eigenen Unterkunft zusammenhängenden Anforderungen war es geboten, sie und ihre minderjährigen Kinder unterzubringen und ganzheitlich zu betreuen, damit langfristig eine Reduzierung ihrer Hilfebedürftigkeit erreicht werden kann.
d) Eine Kostenerstattungspflicht scheidet vorliegend auch nicht deshalbaus, weil keine wirksame Pflicht zur Leistungsvergütung aufgrund der zwischen der Klägerin und dem Ökumenischen Frauenhaus in XXX geschlossenen Vereinbarung vom 17.02.2020 ist (auch in der zur Anpassung der Vergütungssätze abgeänderten Fassung vom 12.05.2021) bestand. Umgekehrt verstößt die Vereinbarung der Klägerin mit dem Frauenhaus nicht gegen die gesetzlichen Anforderungen hieran aus § 17 Abs. 2 SGB II.
Nach dieser Vorschrift sind die Träger der Leistungen nach dem SGB II nur zur Vergütung für die Leistung verpflichtet, wenn mit dem Dritten oder seinem Verband eine Vereinbarung besteht insbesondere über - Inhalt, Umfang und Qualität der Leistungen (Nr. 1), - die Vergütung, die sich aus Pauschalen und Beträgen für einzelne Leistungsbereiche zusammensetzen kann (Nr. 2) und - die Prüfung der Wirtschaftlichkeit und Qualität der Leistungen (Nr. 3).
Bei der inhaltlichen Überprüfung des Mindestregelungsgehalts nach § 17 Abs. 2 SGB II ist zu beachten, dass an eine solche Vereinbarung keine zu hohen Anforderungen gestellt werden dürfen, denn nach § 17 Abs. 1 SGB II sollen keine neuen Einrichtungen geschaffen werden, soweit geeignete Einrichtungen vorhanden sind (Satz 1), die Träger der freien Wohlfahrtspflege sollen angemessen unterstützt werden (Satz 2) und dieser Zielsetzung würden zu strenge Anforderungen an den Inhalt der (teilweise bereits bestehenden) Vereinbarungen zuwiderlaufen (LSG Baden-Württemberg Urteil vom 08.05.2015 - L 12 AS 1955/14 -).
Gemessen an diesem Beurteilungsmaßstab begegnen die vorliegenden Vereinbarungen vom 17.02.2021 keinen rechtlichen Bedenken des angerufenen Gerichts.
1.1) Das Gericht kann der Argumentation des Beklagten nicht folgen, wonach die Vereinbarung der Klägerin mit dem Ökumenischen Frauenhaus XXX vom 17.02.2020 schon deshalb rechtwidrig wäre, weil durch diese eine Ermessenausübung durch die Klägerin ausgeschlossen würde, was rechtswidrig wäre (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24.05.2017, L 7 AS 2262/14).
Anders als in dem vom LSG Stuttgart am 24.05.2021 entschiedenen Fall bestimmt § 2 Abs. 3 der im Verfahren S 12 AS 1843/22 streitbefangenen Vereinbarung ausdrücklich, dass nur die Klägerin über die Erforderlichkeit psychosozialer Betreuung im Frauenhaus entscheidet.
2.2.) Die Vergütung der Unterbringung und Betreuung ist auch hinreichend umfänglich geregelt in § 2 Abs. 1 der Vereinbarung und am 12.05.2021 ordnungsgemäß fortgeschrieben worden.
3.3.) Inhalt, Umfang und Qualität der Leistungen sind durch die Klägerin und das Frauenhaus ebenfalls hinreichend geregelt worden.
Diesbezügliche Bestimmungen konnten zum Vereinbarungsinhalt gemacht werden im Wege der Bezugnahme auf die mit der Klägerin vorab gemeinschaftlich entwickelten Konzeption des Frauenhauses vom 28.01.2020 in der Präambel der Vereinbarung vom 17.02.2020. Der Beklagte moniert insoweit zu Unrecht, die detaillierten Ausführungen in der Konzeption vom 28.01.2020 wären nicht unmittelbar aufgenommen worden in die einzelnen nachfolgenden Bestimmungen. Eine wörtliche Wiederholung einzelner konzeptioneller Bestimmungen in einzelnen Paragraphen des Vereinbarungstextes war nicht nötig. Die stattdessen gewählte Vorgehensweise war zumindest ebenso geeignet. Die drei Wochen zuvor gemeinschaftlich entwickelte Konzeption des Frauenhauses konnten die Vereinbarungsparteien rechtswirksam zur Geschäftsgrundlage (iSd § 313 Bürgerliches Gesetzbuch) der Vereinbarung nach § 17 SGB II erklären. Eben dies ist durch den unmissverständlichen Wortlaut der Präambel der Vereinbarung vom 17.02.2020 vollumfänglich geschehen. Diese vollumfängliche Bezugnahme war rechtsmethodisch einwandfrei, in jeder Hinsicht rechtmäßig und wohl zweckmäßiger als die Wiederholung einzelner Passagen, die anfällig gewesen wäre für Fehler und Missverständnisse.
4.4) Schließlich ist das erkennende Gericht auch nicht der Rechtsauffassung, die Vereinbarung vom 17.02.2020 wäre hinsichtlich der Prüfung von Qualität (in § 4 Abs. 1) und der Wirtschaftlichkeit (in § 4 Abs. 2) zu unbestimmt geblieben. Die dortigen Regelungen genügen den sich aus § 17 Abs. 2 SGB II ergebenden Anforderungen.
Eine hinreichende Qualitätskontrolle ist mithilfe der Vorlage von Sozialberichten möglich, die bei Bedarf bzw. spätestens nach drei Monaten vorzulegen sind und Angaben zur Situation aller Frauenhausbewohner, zu Entwicklungen und Perspektiven sowie zur Notwendigkeit der Aufnahme und Betreuung im Frauenhaus enthalten. Ebenso ist eine hinreichende Wirtschaftlichkeitskontrolle möglich mithilfe betriebswirtschaftlicher Unterlagen einschließlich der Personalkostenblätter, die im Rahmen der regelmäßigen Fortschreibungen des Tagessatzes vorzulegen sind, um dessen Höhe zu begründen.
Der Beklagte verkennt insofern, dass es aufgrund des ungleichen Machtgewichts zwischen der Klägerin einerseits und der Trägerin des Frauenhauses andererseits keine weitergehenden Sicherungsmechanismen zugunsten der Klägerin bedurfte.
Als Frauenhaus ist der Vereinbarungspartner nach §§ 36a, 17 Abs. 2 SGB II nämlich wirtschaftlich faktisch einseitig abhängig vom Wohlwollen des Trägers der Grundsicherung nach dem SGB II. Die Bewohnerinnen eines Frauenhauses und deren Kinder sind nämlich regelmäßig dem Rechtskreis der Jobcenter zuzuordnen. Nur ausnahmsweise sind sie selbst in der Lage, die Kosten ihrer Unterbringung und Betreuung dort selbst zu tragen. Und nur in Einzelfällen sind sie (entweder so alt bzw.) bereits erwerbsunfähig, sodass der Träger nach dem SGB XII die Kosten der Leistungen eines Frauenhauses anstelle des örtlichen Jobcenters trägt. Die wirtschaftliche Existenzgrundlage von Frauenhäusern beruht deshalb darauf, dass das örtlich zuständiges Jobcenter die Leistungen der Frauenhäuser und deren Mitwirkung bei der Prüfung ihrer Qualität und Wirtschaftlichkeit als so gut beurteilt, dass es sich entschließt:
- im jeweiligen Einzelfall aufgrund der Lektüre des Sozialberichts die Eignung einer erstmaligen oder weiteren Unterbringung einer bestimmten Person im Frauenhaus XXX als zweckförderlich anzusehen und deswegen die Erforderlichkeit der Leistungserbringung dem Grunde nach zu bejahen und diese zu bezahlen, und
- aufgrund der (vom Frauenhaus zur Begründung einer von ihm gewünschten Erhöhung der Tagessätze) eingesehen betriebswirtschaftlichen Unterlagen die Erforderlichkeit der darin genannten Ausgaben bejaht und deswegen der Fortschreibung der Vergütungspauschalen zustimmt, und
- eine Vereinbarung mit einem Frauenhaus nach §§ 17, 36a SGB II nach deren Zeitablauf zu verlängern, weil es das Zutrauen in die hinreichende Zuverlässigkeit der Leistungserbringung seitens des Frauenhauses behalten hat.
Kurzum: im Rahmen eines derartigen Machtgefälles wie es zwischen einem Frauenhaus und einem Jobcenter besteht, bedarf das Jobcenter keiner aufwendigen Sicherungsmechanismen, um die Mitwirkung des Frauenhauses bei der Prüfung von Qualität und Wirtschaftlichkeit sicherzustellen. Denn das Jobcenter kann einfach den Geldhahn ganz oder teilweise, vorläufig oder endgültig zudrehen, was beiden Vereinbarungspartner jederzeit bewusst ist in Kenntnis der gegebenen rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.
In Anbetracht dessen muss eine Vereinbarung nach §§ 17 Abs. 2, 36a SGB II auch keine Vorkehrungen dafür treffen, wie das Jobcenter überprüft, ob das Frauenhaus seine Leistungen tatsächlich gar nicht (oder in Ansehung der für jeden Unterbringungsfall mindestens dreimonatlich vorzulegenden Sozialberichte in ungenügender Qualität) erbringt. Denn anlässlich etwaiger Zweifel an der (Qualität der) Leistungserbringung, hätte das Frauenhaus selbst ein unmittelbares Eigeninteresse daran, diesbezügliche Zweifel des Jobcenters schnellstmöglich und restlos zu beseitigen, damit das Jobcenter als sein Hauptgeldgeber die Kostenübernahme für Unterbringung und/oder Betreuung unter Hinweis auf die hypothetisch nicht vereinbarungsgemäße bzw. nicht konzeptionsgemäße Leistungserbringung einstellt. Denn gegebenenfalls müsste das insofern beweisbelastete Frauenhaus seine Zahlungsforderungen gegen das Jobcenter unter Nachweis einer ordnungsgemäßen Leistungserbringung gegen das Jobcenter erst vor dem Sozialgericht durchsetzen, wobei derartige Rechtsstreitigkeiten so zeitaufwendig, kostenintensiv und risikobehaftet wären, dass die Fragen nach einer Insolvenz bzw. Schließung des Frauenhauses alsbald im Raum stünden.
5.5.) Das erkennende Gericht übersieht bei alldem nicht, dass der 7. Senat des LSG NRW mit Urteil vom 16.02.2017 im Verfahren L 7 AS 1299/15 inhaltliche Anforderungen an Vereinbarungen nach § 17 Abs. 2 SGB II aufgestellt hat, welchen die im Verfahren S 12 AS 1843/22 streitbefangene Vereinbarung offenkundig nicht erfüllt. Dies ist aber unschädlich. Die vom 7. Senat des LSG NRW richterrechtlich ersonnenen vermeintlich obligatorischen Inhaltsanforderungen an Vereinbarungen zwischen Jobcentern und Frauenhäusern sind ausnahmslos entweder verfassungswidrig oder überflüssig.
Die Rechtsprechung des LSG NRW vom 16.02.2017 im Verfahren L 7 AS 1299/15 hält selbst einfachsten verfassungsrechtlichen Erwägungen nicht ansatzweise stand. Offenkundig existiert die landessozialgerichtlich postulierte Pflicht des Jobcenters nicht, sich gegenüber dem Frauenhaus in seinem örtlichen Zuständigkeitsbereich im Wege der Vereinbarung nach § 17 Abs. 2 SGB II ein Zutrittsrecht für Jobcentermitarbeiter zum Zwecke der Qualitätsprüfung zu verschaffen. Gerade Frauen, die vor häuslicher Gewalt in einer fremden Umgebung Zuflucht nehmen, sind besonders schutzbedürftig in Bezug auf Ihr Grundrecht auf die Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 des Grundgesetzes. Selbstverständlich dürfte ein Jobcentermitarbeiter daher ohne einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss nicht die Wohnräume eines Frauenhauses betreten. Erst recht darf ein Landessozialgericht Jobcentern nicht auferlegen, derartig eklatant verfassungswidrige Zutrittsrechte in öffentlich-rechtliche Vereinbarungen aufnehmen zu müssen. Derartige Vereinbarungen zulasten der Unverletzlichkeit der Wohnräume der Frauen und Kinder in Frauenhäusern wären evident verfassungswidrig. Im Einzelnen:
aa) Der Grundrechtsbegriff der „Wohnung“ ist weit auszulegen, denn er schützt diejenige räumliche Sphäre, in der sich das Privatleben entfaltet (BVerfG, Urteil vom 27. Februar 2008 – 1 BvR 370/07 –, BVerfGE 120, 274-350, Rn. 4), wobei jeder Grundrechtsträger des Art. 13 Abs. 1 GG ist, der Bewohner eines Wohnraums ist, und zwar unabhängig davon, auf welchen Rechtsverhältnissen die Nutzung des Wohnraums beruht (Burghart in: Leibholz/Rinck, Grundgesetz Kommentar, 92. Lieferung, 5/2024, Art. 13 GG, Rn. 14). Die Wohnräumlichkeiten eines Frauenhauses sind also von Art. 13 GG geschützt. Art. 13 Abs. 1 GG enthält das an Träger der öffentlichen Gewalt gerichtete grundsätzliche Verbot, gegen den Willen des Wohnungsinhabers in die Wohnung einzudringen (BVerfG, Urteil vom 3. März 2004 – 1 BvR 2378/98 –, BVerfGE 109, 279-391). Art. 13 Abs. 1 GG verbürgt dem Einzelnen mit Blick auf die Menschenwürde sowie im Interesse der Entfaltung der Persönlichkeit einen elementaren Lebensraum, in den nur unter den Voraussetzungen des Art. 13 Abs. 2 und 3 GG eingegriffen werden darf (BVerfG, Beschluss vom 12. März 2019 – 2 BvR 675/14 –, BVerfGE 151, 67-97). Art. 13 GG gewährt einen absoluten Schutz des Verhaltens in den Wohnräumen, soweit es sich als individuelle Entfaltung im Kernbereich privater Lebensgestaltung darstellt. Für diese benötigt jeder Mensch ein räumliches Substrat, in dem er für sich sein und sich nach selbstgesetzten Maßstäben frei entfalten, also die Wohnung bei Bedarf als „letztes Refugium“ zur Wahrung seiner Menschenwürde nutzen kann (BVerfG, Beschluss vom 1. Dezember 2020 – 2 BvR 916/11 –, BVerfGE 156, 63-182).
bb) Wenn (nicht nur Büroräume, sondern gerade auch) die Wohnräume in Frauenhäusern untergebrachter Frauen und Kinder vom Personal des Jobcenters zu Inspektionszwecken betreten werden sollen, stellte dieser Grundrechtseingriff verfassungsrechtlich eine „Durchsuchung“ im Sinne von Art. 13 Abs. 2 GG dar (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Oktober 1971 – 1 BvR 280/66 –, BVerfGE 32, 54-77). Nach dieser Verfassungsvorschrift dürfen Wohnungsdurchsuchungen aber nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzuge auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden.
cc) § 17 Abs. 2 SGB II stellt keine gesetzliche Ermächtigungslage für Träger der Grundsicherung nach dem SGB II dar, um Wohnräume in Frauenhäusern zu durchsuchen.
Eine derart extensive Auslegung der Norm wäre nicht verfassungskonform. Sie verletzte Art. 20 GG. Sie verstieße nämlich gegen das Demokratieprinzip, gegen den Parlamentsvorbehalt, das Bestimmtheitsgebot und die Wesentlichkeitstheorie des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. September 2018 – 2 BvF 1/15 –, BVerfGE 150, 1-163).
Der Gesetzgeber hat wegen der fraglichen Grundrechtseingriffe und deren Reichweite in § 17 Abs. 2 SGB II nämlich nicht die wesentlichen Wertentscheidungen selbst getroffen. Die Norm lässt vielmehr vollkommen offen, ob, wann und wie Jobcenter in die Unverletzlichkeit der Wohnräume von Frauen und Kindern in einem Frauenhaus im Wege ihrer Durchsuchung eingreifen dürfen, um die Leistungserbringung des Frauenhauses zu kontrollieren. Wegen des Demokratieprinzips, des Parlamentsvorbehalts, des Bestimmtheitsgebots und der Wesentlichkeitstheorie des Bundesverfassungsgerichts hätte der Gesetzgeber in § 17 Abs. 2 SGB II aber konkret festschreiben müssen, dass Jobcenter bei Gefahr im Verzug anordnen dürfen, dass ihre Mitarbeiter die Wohnräume in Frauenhäusern durchsuchen dürfen, um dort die Qualität und Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung durch das Frauenhaus zu prüfen. Zudem hätte der Gesetzgeber auch die Form der Wohnungsdurchsuchung in § 17 Abs. 2 SGB II selbst detailliert regeln müssen. Dergleichen gibt der Wortlaut der Norm von § 17 Abs. 2 SGB II aber nicht ansatzweise her. Ein diesbezüglicher Ermächtigungswille des Gesetzgebers ist nicht ersichtlich. Der Gesetzgeber bezweckte bei dem Erlass von § 17 Abs. 2 SGB II gerade nicht die Regelung der unverzüglichen Abwehr irgendwelcher konkreter Gefahren. Vielmehr hatte er die langfristige Organisation der Verwaltungszusammenarbeit von Jobcentern und Trägern der freien Wohlfahrtspflege im Wege öffentlich-rechtlicher Verträge im Auge.
dd) Da es im Ergebnis weder § 17 Abs. 2 SGB II noch ein sonstiges Parlamentsgesetz Mitarbeitern des Jobcenters gestatten, Frauenhäuser für Qualitätsprüfungen zu betreten, bedürfte es hierfür also (selbst im hypothetischen Ausnahmefall einer „Gefahr im Verzug“ immer) auch eines richterlichen Durchsuchungsbeschlusses, um die Wohn- und Gemeinschaftsräume eines Frauenhauses als Jobcenter betreten zu dürfen. Allein aufgrund einer im Wege der Vereinbarung nach § 17 Abs. 2 SGB II vorab generell erteilten Einwilligung des Frauenhauses dürften hingegen unter keinen Umständen die Wohnräume der Frauenhäuser vom Jobcenter betreten werden, bis ein Richter eine derartige Durchsuchung unter Berücksichtigung der Grundrechte der Frauen anordnet.
Nach alldem steht es also wegen Art. 13 Abs. 1 und 2 GG nicht in der Rechtsmacht von Jobcentern und Frauenhäusern, über die Köpfe der Bewohner:innen des Frauenhauses hinweg, zu vereinbaren, dass deren Wohnräume von Jobcentermitarbeitern betreten werden dürfen. Ein derartiger hypothetischer Vereinbarungsinhalt zulasten Dritter wäre demnach völlig ungeeignet, eine Qualitätsprüfung iSd § 17 Abs. 2 Nr. 3 SGB II in verfassungskonformer Weise zu ermöglichen. Eine ungeeignete Regelung zur Einräumung eines wegen der Grundrechte Dritter ohnehin nicht einräumbaren Zutrittsrechts darf und muss das Jobcenter mit dem Frauenhaus in seinem Zuständigkeitsbereich aber nicht vereinbaren.
Entgegen der verfassungswidrigen Rechtsprechung des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen trifft kein Jobcenter einer Zufluchtskommune die Obliegenheit, mit dem örtlichen Frauenhaus ein behördliches Zutrittsrecht für die Wohnräume in jene Vereinbarung nach § 17 Abs. 2 SGB II i.V.m. § 36a SGB II aufzunehmen, welche die Übernahme der Unterbringungs- und Betreuungskosten durch Jobcenter für Frauenhäuser regelt. Umgekehrt gilt: Das Jobcenter einer Zufluchtskommune kann die Kosten für die Unterbringung und Betreuung von Frauen und Kindern im Frauenhaus auch vom Jobcenter der Herkunftskommune gemäß § 36a SGB II erstattet verlangen, falls das Jobcenter der Zufluchtskommune mit dem örtlichen Frauenhaus nicht gemäß § 17 Abs. 2 SGB II vereinbart hatte, dass Mitarbeiter des Jobcenters Wohnräume des Frauenhauses betreten dürfen.
Überflüssig sind auch die weiteren, vom LSG NRW als vermeintlich obligatorisch ersonnenen Inhalte der Vereinbarung nach § 17 Abs. 2 SGB II i.V.m. § 36a SGB II: es erschließt sich nicht, warum das Jobcenter in jeder Vereinbarung mit einem Frauenhaus verbindlich vereinbaren müssen sollte, „welches Buchführungssystem verwendet wird“ und „welche Konsequenzen sich aus unwirtschaftlichem Verhalten ergeben“ (a. A. Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16. Februar 2017 – L 7 AS 1299/15 –, Rn. 34, juris).
Es ist kein hinreichender Grund ersichtlich, warum ein Jobcenter mit einem Frauenhaus im Voraus abstimmen müsste, welches der zahlreichen am freien Markt erhältlichen Buchhaltungsprogramme ein Frauenhaus benutzt, um Einnahmen und Ausgaben strukturiert zu erfassen. Es reicht, wenn das Frauenhaus eigenverantwortlich ein Buchführungssystem auswählt und die hiermit generierten betriebswirtschaftlichen Auswertungen dem Jobcenter zur Wirtschaftlichkeitsprüfung vorlegt.
Auch die möglichen Konsequenzen aus einem unwirtschaftlichen Verhalten des Frauenhauses müssen nicht eigens in der Vereinbarung nach §§ 17, 36a SGB II genannt werden. Sie liegen wegen des rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmens auf der Hand. Als Konsequenz steht es dem Jobcenter erkennbar frei, von den vereinbarungsgemäßen Gestaltungsmöglichkeiten gegenüber dem Frauenhaus Gebrauch zu machen, falls dieses zu wenig (Compliance bei der Prüfung der Qualität und) Wirtschaftlichkeit an den Tag legen sollte. Ggfs. könnte das Jobcenter nach behördlichem Ermessen in einem ersten bzw. zweiten Schritt die Fortschreibung der Tagessätze für die Leistungserbringung vorläufig und/oder endgültig ablehnen oder in einem dritten bzw. vierten Schritt die Vereinbarung nach § 17 Abs. 2 SGB II mit dem Frauenhaus ohne Anschlussvereinbarung auslaufen lassen und/oder sie vorab fristgemäß kündigen.
Insgesamt entspricht die im vorliegenden Rechtsstreit S 12 AS 1843/22 von der Klägerin am 17.02.2020 getroffene Vereinbarung den Anforderungen von § 17 Abs. 2 SGB II. Die Klägerin macht daher im Ergebnis die Erstattungsforderung gegenüber dem Beklagten dem Grunde nach zurecht geltend.
Die von ihr berechnete Höhe der Erstattungssumme ist vom Beklagten nicht beanstandet worden. Sie begegnet auch keinen Bedenken des Gerichts. Vielmehr ist sie gemäß der Gleichung [3 x 10 x (8,17 € + 50,27 €]) = 1.753,20 € rechnerisch richtig, da die Summe aus täglich 8,17 € (für die Unterbringung) und 50,27 € (für die psychosoziale Betreuung) einen Personentagessatz von 58,44 € ergibt, der hier insgesamt 30 Mal zu zahlen ist, weil sich drei Personen (nämlich: AAAAA, BBBBB und CCCCC XXXXX) jeweils für die Dauer von zehn Tagen (vom 20.09.2021 bis 29.09.2021) im Frauenhaus aufhalten und die Klägerin hierfür als Zufluchtskommune in Vorleistung für den Beklagten als Herkunftslandkreis gehen musste.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 und Abs. 3 SGG iVm § 154 Abs. 1 VwGO.
3. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 197a SGG iVm § 52 Abs. 1, 3 GKG.
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