S 1 U 18/23

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 1 U 18/23
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid

Die Klage wird abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

T a t b e s t a n d :

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger Anspruch auf Anerkennung eines Ereignisses vom 00.00.0000 als Arbeitsunfall und die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung hat.

Der am 00.00.0000 geborene und als Postzusteller beschäftigte Kläger musste nach den Angaben im Durchgangsarztbericht vom 00.00.0000 am 00.00.0000 beim Ausliefern von Briefen aufgrund eines anderen Verkehrsteilnehmers stark bremsen.

Der Durchgangsarzt Dr. T. diagnostizierte am 00.00.0000 eine HWS-Distorsion und teilte ergänzend mit, bei dem Kläger bestünden ausgedehnte degenerative Veränderungen der HWS mit ausgeprägter Spangenbildung der gesamten HWS.

Mit Schreiben vom 00.00.0000 teilte der Kläger zum Unfallhergang mit, er habe am 00.00.0000 mit seinem Lieferwagen scharf bremsen müssen, als ihm ein anderes Fahrzeug auf seiner Straßenseite entgegengekommen sei. Beim Bremsen habe er einen so starken Schlag gespürt, dass sein Hals mit einem Krachen umgebrochen sei. Er habe starke Schmerzen und Schwindelgefühle verspürt und sei eine halbe Stunde betäubt gewesen, bis er habe weiterfahren können. Am nächsten Tag sei er zum Arzt gegangen, sei dann bis zum 00.00.0000 im Urlaub gewesen und habe weiterhin eine Pille gegen Schmerzen genommen. Am 00.00.0000 habe ihn sein Hausarzt zum Traumatologen geschickt. Der habe eine Röntgenaufnahme gemacht und ihn ins Therapiezentrum nach Paderborn geschickt.

In einem späteren Schreiben teilte der Kläger zum Unfallhergang mit, er habe stark abbremsen müssen, ohne mit dem entgegenkommenden Fahrzeug zusammenzustoßen und einen starken Schlag auf den Hals und gegen das linke Knie erhalten.

Der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Q. teilte der Beklagten in einem Bericht vom 00.00.0000 mit, der Kläger habe sich bei ihm am 00.00.0000 vorgestellt und über HWS-Schmerzen geklagt. Die Röntgenaufnahmen der HWS in zwei Ebenen zeigten keine Frakturnachweise, eine regelrechte Artikulation sowie ausgedehnte, degenerative Veränderungen an der HWS mit Osteophytenanbauten. Nach der Beschreibung des Unfallhergangs sei der Unfall nur für die HWS-Distorsion verantwortlich. Der Kläger sei von ihm nie arbeitsunfähig geschrieben worden. Durch die Distorsion könne es zu einer Muskelverspannung sowie Facettenreizung im Bereich der Halswirbelsäule gekommen sein. Es habe sich um eine vorübergehende Verschlimmerung für einen Zeitraum von ca. 3 bis 4 Wochen gehandelt. Bezüglich der Knieproblematik habe er eine MRT vom linken Knie angefertigt, der Befund vom 00.00.0000 habe keine posttraumatische Läsion gezeigt. Aufgrund der Gonarthrose werde der Kläger weiterhin zu Lasten der Krankenkasse behandelt. Der Kläger versuche, alle gesundheitlichen Schäden, die er jetzt habe, auf diese zwei bg-lichen Unfälle im August und Oktober 2021 zurückzuführen. Er verstehe aber trotz der offiziellen Dolmetscherin nicht, dass die Gesundheitsschäden, die er vor dem Unfall gehabt habe, die Erklärung für die noch bestehenden Schmerzen seien.

Anschließend holte die Beklagte eine Stellungnahme ihres beratenden Arztes Dr. R. ein, der in seiner Stellungnahme vom 00.00.0000 zu dem Ergebnis gelangte, am 00.00.0000 seien durch das MRT substanzielle unfallbedingte Schädigungen des rechten Kniegelenkes ausgeschlossen worden. Im MRT vom 00.00.0000 seien ausschließlich degenerative Veränderungen im Bereich der Schulter gesehen worden. Operativ seien ausschließlich degenerative Veränderungen behandelt worden und ein irgendwie gearteter Unfallzusammenhang ausgeschlossen. Da alle Veränderungen degenerativ gewesen seien könne auch ein versichertes Ereignis aus August 2021 nicht ursächlich sein.

Auf der Grundlage dieser Stellungnahme erteilte die Beklagte am 00.00.0000 einen Bescheid, mit dem sie Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall mit der Begründung ablehnte, ein Arbeitsunfall sei nicht nachgewiesen. Der Arbeitgeber habe keinen Arbeitsunfall bestätigt, Zeugen seien nicht vorhanden. Selbst wenn das Vorliegen eines Arbeitsunfalls angenommen werde, hätten nach den vorliegenden ärztlichen Unterlagen keine Unfallfolgen festgestellt werden können.

Der Kläger legte gegen diesen Bescheid Widerspruch ein und benannte Herrn Z. J. O. als Zeugen des Unfalls vom 00.00.0000.

Der benannte Zeuge Herr O. teilte der Beklagten mit Schreiben vom 00.00.0000 mit, ein Postfahrzeug mit dem Kennzeichen N01 sei am 00.00.0000 in Richtung P.-straße und Höhe C.-straße gefahren. Ein Fahrzeug sei von links aus dieser Straße gekommen, dass die Präferenz nicht respektiert habe, dringend anhalten zu müssen, um eine Kollision mit der Klasse des Fahrzeugs zu vermeiden, das er gesehen habe. Es liege fremdes Verschulden vor. Die verantwortliche Person des Unternehmens müsse das Fahrzeug in schlechtem Zustand haben, um die Arbeitstätigkeit ohne Sicherheit auszuführen. Unfallverletzungen habe er an diesem Tage aus der Ferne nicht sehen könne. Verletzte Körperteile seien ein Schlag mit stärkeren Schmerzen im Nacken, linken Knie und rechter Arm mit Schmerzen gewesen.

Das Postfahrzeug habe dringend bremsen müssen, um eine Kollision mit dem von links kommenden Fahrzeug zu vermeiden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 00.00.0000 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen.

Hiergegen hat der Kläger am 00.00.0000 Klage erhoben. Zur Begründung hat er im Wesentlichen vorgetragen, er arbeite als Postzusteller und habe am 00.00.0000 aufgrund eines anderen Verkehrsteilnehmers stark bremsen müssen. Dadurch habe er sich am linken Knie, der Halswirbelsäule und der Schulter verletzt. Seitdem habe er starke Schmerzen.

Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 00.00.0000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 00.00.0000 zu verurteilen, das Ereignis vom 00.00.0000 als Arbeitsunfall anzuerkennen und ihm ab dem 00.00.0000 Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist bei ihrer Auffassung geblieben, die angefochtene Verwaltungsentscheidung entspreche der Sach- und Rechtslage und sei nicht zu beanstanden.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Einholung eines Gutachtens von dem Orthopäden Dr. S.. Auf Inhalt und Ergebnis des Gutachtens wird verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Das Gericht konnte vorliegend nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, da der Sachverhalt geklärt war und die Streitsache auch keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufwies.

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Der Kläger ist durch den angefochtenen Bescheid vom 00.00.0000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 00.00.0000 nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 2 SGG, denn dieser Bescheid ist nicht rechtswidrig.

Die Beklagte hat die Anerkennung des Ereignisses vom 00.00.0000 als Arbeitsunfall zu Recht abgelehnt. Schon deshalb besteht kein Anspruch auf die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung.

Versicherungsfälle der gesetzlichen Unfallversicherung sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch-SGB VII-). Unfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Als Folge eines Arbeitsunfalls sind Gesundheitsstörungen (nur dann) zu berücksichtigen, wenn das Unfallereignis und das Vorliegen der konkreten Beeinträchtigung bzw. Gesundheitsstörung jeweils bewiesen und die Beeinträchtigung mit Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis zurückzuführen ist. Es ist mithin ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall (Unfallkausalität), zwischen dem Unfallereignis und einem Gesundheitserstschaden oder dem Tod des Versicherten (haftungsbegründende Kausalität) und ggf. länger anhaltende Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) erforderlich. Hinsichtlich des Beweismaßstabes gilt, dass die Tatsachen, die die Tatbestandsmerkmale „versicherte Tätigkeit“, „Verrichtung zur Zeit des Unfalls“, „Unfallereignis“ sowie „Gesundheitsschaden“ erfüllen sollen, im Grad des Vollbeweises, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, für das Gericht feststehen müssen. Demgegenüber genügt für den Nachweis der kausalen Zusammenhänge zwischen diesen Voraussetzungen der Grad der „hinreichenden“ Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die Glaubhaftmachung und erst recht nicht die bloße Möglichkeit. „Hinreichend wahrscheinlich“ bedeutet, dass mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht. Ist ein Arbeitsunfall nicht nachgewiesen oder lässt sich der ursächliche Zusammenhang zwischen diesem und den geltend gemachten Gesundheitsstörungen nicht wahrscheinlich machen, geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Versicherten. Beweisrechtlich ist außerdem zu beachten, dass der Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den Unfallfolgen als anspruchsbegründende Voraussetzungen positiv festgestellt werden muss. Es gibt keine Beweisregel des Inhalts, dass bei fehlender Alternativursache das angeschuldigte Ereignis die Ursache ist, oder dass die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit festgestellt versicherte Ursache im naturwissenschaftlichen Sinn automatisch auch eine wesentliche Ursache ist, weil dies bei komplexen Krankheitsgeschehen zu einer Beweislastumkehr führen würde (vgl. zum Vorstehenden Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 09.12.2015 - L 17 U 1031/11 - m.w.N.).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat der Kläger keinen Anspruch auf die begehrte Feststellung, dass Verletzungen am linken Knie, der Halswirbelsäule und der Schulter Folge eines Arbeitsunfalls sind, da die Gesundheitsstörungen des Klägers im Bereich der HWS, des linken Knies und der Schulter nicht durch das Ereignis vom 00.00.0000 rechtlich wesentlich verursacht worden sind.

Dies steht nach dem Gesamtergebnis der im Verwaltungs- und im Klageverfahren durchgeführten Ermittlungen zur Überzeugung des Gerichts fest. Das Gericht gründet seine Überzeugung im Wesentlichen auf das Gutachten des Orthopäden Dr. S.. Danach liegen bei dem Kläger keine Gesundheitsschäden vor, die durch das Ereignis vom 00.00.0000 hervorgerufen oder verschlimmert worden sind.

Selbst wenn man die Angaben des Klägers zum Hergang des Ereignisses vom 00.00.0000 als zutreffend unterstellt, lag bei ihm eine Beschleunigungsverletzung durch einen aktiven Bremsvorgang vor. Nach den Feststellungen von Dr. S. betrugen die bei dem Bremsvorgang ausgelösten negativen Beschleunigungskräfte unter 4,5 G, was nach aktuellem wissenschaftlichen Erkenntnisstand nicht geeignet ist, irgendwelche substanziellen Verletzungen im Bereich der HWS ursächlich hervorzurufen. Auch durch die radiologische Untersuchung am 00.00.0000 und die MRT der Halswirbelsäule ist belegt, dass substanzielle Verletzungen der HWS nicht stattgefunden haben. Beschrieben werden ausschließlich moderate bis schwere degenerative (d.h. anlagebedingte, nicht traumatische) Rückbildungen der HWS, die schon zum Zeitpunkt des Ereignisses vom 00.00.0000 vorgelegen haben und sich über die zurückliegenden Jahre langsam progredient entwickelt haben.

Beschwerden im Bereich des rechten Schultergelenkes und des rechten Kniegelenkes hat der Kläger bei der ersten Untersuchung durch den Durchgangsarzt nicht geschildert, sondern erst mit einer deutlichen zeitlichen Latenz zum Ereignis vom 00.00.0000, sodass von einem gesicherten Erstschaden insoweit nicht ausgegangen werden kann. Unabhängig davon erfolgte sowohl die Behandlung des linken Kniegelenkes als auch des rechten Schultergelenkes ausschließlich auf dem Boden unfallunabhängiger degenerativer Rückbildungen (medialbetonte Gonarthrose und Retropatellararthrose/Innenmeniskusdegeneration links und degenerative Rotatorendopahtie rechte Schulter). Diese Einschätzung von Dr. S. entspricht der Auffassung des im Verwaltungsverfahren gehörten Arztes Dr. R., der ebenfalls die Auffassung vertreten hat, sämtliche Veränderungen seien degenerativ, ein Unfallzusammenhang sei ausgeschlossen.

Das Gericht hat keine Bedenken, die Feststellungen des Sachverständigen Dr. S. der Entscheidung zugrunde zu legen. Der Sachverständige hat die erhobenen Befunde sehr eingehend und sorgfältig ausgewertet und widerspruchsfreie und nachvollziehbare Überlegungen zur Zusammenhangsfrage angestellt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Rechtskraft
Aus
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