L 10 R 1060/24

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10.
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 1060/24
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

1. Ein Beiladungsbeschluss des Erstgerichts kann, wenn die Voraussetzungen der Beiladung nicht vorliegen, vom Berufungsgericht von Amts wegen aufgehoben werden; die Aufhebung wirkt ex nunc.
2. Entscheidet der sachlich zuständige Rentenversicherungsträger über die Beitragspflicht, Beitragstragung und Beitragshöhe im Rahmen der KVdR und verfügt einen entsprechenden Beitragseinbehalt aus der laufenden Rente nach § 255 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 SGB V i.V.m. § 60 Abs. 1 Satz 2 SGB XI, kommt regelmäßig eine (notwendige) Beiladung der Pflegekasse nicht in Betracht (Anschluss an BSG 29.11.2006, B 12 RJ 4/05 R, in juris, Rn. 12 m.w.N.).
3. Nichts anderes gilt seit dem 01.01.2009 hinsichtlich der Krankenkassen, denn insoweit sind auch diese - wie die Pflegekassen - in Ansehung der Zuweisungen nach § 255 Abs. 3 Satz 4 i.V.m. § 271 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und §§ 266, 268 SGB V regelmäßig am konkreten Beitragseinzug nicht (mehr) beteiligt; der einzelnen Krankenkasse stehen die Krankenversicherungsbeiträge aus Rentenleistungen nicht individuell zu.

Der Beiladungsbeschluss des Sozialgerichts Ulm vom 26.08.2021 wird für das Berufungsverfahren aufgehoben.

Gründe


I.

Die Beklagte hat die Altersrente des Klägers mit Bescheid vom 14.07.2020 neu berechnet und u.a. für die Zeit vom 01.04.2002 bis 31.07.2020 eine zu erstattende Rentenüberzahlung i.H.v. insgesamt 34.208,27 € festgestellt; sie ist dabei davon ausgegangen (vgl. Widerspruchsbescheid vom 17.03.2021), dass der Kläger für die Zeit vom 01.01.2016 bis 31.07.2020 rückständige Beiträge bzw. Beitragsanteile zur gesetzlichen Krankenversicherung (7.451,11 €) und zur sozialen Pflegeversicherung (2.542,32 €) schuldet und dass ihm im Zeitraum vom 01.04.2002 bis 31.07.2020 zu Unrecht ein Zuschuss für Aufwendungen für die Krankenversicherung (23.925,79 €) sowie im Zeitraum vom 01.04.2002 bis 31.03.2004 für die Pflegeversicherung (289,05 €) gezahlt worden ist. Mit Bescheid vom 01.12.2020 hat die Beklagte (unter „Ersetzung“ eines vorangegangenen weiteren Bescheids) zum einen den Bescheid ihrer Rechtsvorgängerin vom 05.03.1999 über die Bewilligung eines Zuschusses zur Krankenversicherung ab dem 01.04.2002 nach § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) aufgehoben und zum anderen die Erstattung eines Überzahlungsbetrags i.H.v. insgesamt 24.214,84 € für den Zeitraum vom 01.04.2002 bis (vgl. erneut Widerspruchsbescheid vom 17.03.2021) 31.07.2020 nach § 50 Abs. 1 SGB X angeordnet. Ferner hat sie - gestützt auf § 255 Abs. 2 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) - verlautbart, dass für die Zeit vom 01.01.2016 bis 31.07.2020 von der Rente des Klägers Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge bzw. -beitragsanteile abzuführen seien bzw. dass die rückständigen Beiträge (insgesamt 9.993,43 €) in monatlichen Beträgen zu je 836,18 € aus der laufenden Rente einbehalten würden.

Das Sozialgericht Ulm (SG) - das die Bescheide der Beklagten vom 01.12.2020 und 14.07.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.03.2021 mit Urteil vom 25.10.2023 aufgehoben hat und wogegen sich die Berufung der Beklagten richtet - hat die BKK V1 in ihrer Eigenschaft als gesetzliche Krankenkasse des Klägers zum Verfahren beigeladen (Beschluss vom 26.08.2021), wobei es offengelassen hat, ob nach § 75 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) oder nach § 75 Abs. 2 (Alt. 1) SGG.




II.

Der Beiladungsbeschluss des SG ist von Amts wegen nach Anhörung der Beteiligten aufzuheben, weil kein Fall der notwendigen Beiladung i.S.d. § 75 Abs. 2 SGG vorliegt; für eine sog. einfache Beiladung sieht der Senat keinen Anlass.

Nach § 75 Abs. 1 Satz 1 SGG kann das Gericht von Amts wegen oder auf Antrag andere, deren berechtigte Interessen durch die Entscheidung berührt werden, beiladen (einfache Beiladung). Sind an dem streitigen Rechtsverhältnis Dritte derart beteiligt, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann, so sind sie beizuladen, § 75 Abs. 2 Alt. 1 SGG (notwendige Beiladung). Liegen die Voraussetzungen einer notwendigen Beiladung nicht vor bzw. besteht - wie vorliegend - auch kein Anlass für eine einfache Beiladung, ist eine gleichwohl erfolgte Beiladung nach allgemeiner Auffassung auch noch im Rechtsmittelzug von Amts wegen aufzuheben (Bundessozialgericht [BSG] 28.10.1994, 9 RV 17/94, in juris, Rn. 2; 11.12.1990, 1 RR 2/88, in juris, Rn. 3; 07.09.1989, 8 RKn 5/88, in juris, Rn. 3 ff.; 23.01.1980, 12 RK 53/79, in juris, Rn. 2 ff.; Senatsbeschluss vom 11.10.2018, L 10 BA 2747/18, in juris, Rn. 3 ff.; Hessisches Landessozialgericht [LSG] 24.08.2015, L 1 KR 171/15 B, in juris, Rn. 18; Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 75 Rn. 16b f., alle m.w.N.); die Aufhebung wirkt ex nunc (Gall in jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 75 Rn. 184 m.w.N., Stand 15.06.2022; Schmidt a.a.O.).

So liegt der Fall hier.

Hinsichtlich des Streitgegenstands der Aufhebung der Zuschussbewilligung (Bescheid vom 05.03.1999) und der damit korrespondierenden Erstattungsanordnung der Beklagten für die Zeit ab dem 01.04.2002 - also letztlich der Frage, ob der Kläger der Beklagten wegen Überzahlung des von ihr geleisteten Zuschusses einen Rückforderungsbetrag schuldet - sind Interessen der beigeladenen Krankenkasse nicht berührt, geschweige denn ist die BKK V1 als Krankenkasse an diesem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt, dass die Entscheidung auch ihr gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Ohnehin ist zwischen den Beteiligten überhaupt nicht streitig - und kann auch nicht ernsthaft bestritten werden -, dass der Kläger seit dem 01.04.2002 kraft Gesetzes (vgl. § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 SGB V in der Fassung vom 23.03.2002 im Anschluss an Bundesverfassungsgericht [BVerfG] 15.03.2000, 1 BvL 16/96 u.a., BGBl. I S. 130) pflichtversichert in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) - und damit auch pflichtversichert in der sozialen Pflegeversicherung (§ 20 Abs. 1 Nr. 11 Elftes Buch Sozialgesetzbuch [SGB XI] - ist; dies ist gerade auch Anlass des vorliegenden Rechtsstreits.
Was den weiteren Streitgegenstand des Rechtsstreits betrifft ([konkludente] Feststellung der Beitragspflicht der Altersrente des Klägers zur gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung, der Beitragshöhe und der rückständigen Beitragstragung für den Zeitraum vom 01.01.2016 bis 31.07.2020 - vgl. dazu nur BSG 31.03.2017, B 12 R 6/14 R, Rn. 24, 29, 31 f.; 18.07.2007, B 12 R 21/06 R, Rn. 13; 29.11.2006, B 12 RJ 4/05 R, Rn. 11 f., alle in juris und m.w.N. - sowie Verfügung des Einbehalts der rückständigen Beiträge von der laufenden Rente auf der Grundlage von § 255 Abs. 2 Satz 1 SGB V [i.V.m. § 60 Abs. 1 Satz 2 SGB XI], wobei der Kläger den von der Beklagten ausgewiesenen Gesamtbetrag der rückständigen Beiträge i.H.v. 9.993,43 € am 07.05.2021 an diese - wenn auch unter dem Vorbehalt der Rechtmäßigkeit der Beitragsschuld - gezahlt hat, S. 82 SG-Akte und Bestätigung der Beklagten S. 89 SG-Akte), liegt auch insoweit ein Fall der notwendigen Beiladung nicht vor.

Die Entscheidung über die Beitragspflicht zur gesetzlichen Krankenversicherung und zur sozialen Pflegeversicherung bei Rentnern respektive über die Beitragstragung und -höhe aus der Rente obliegt - jedenfalls dann, wenn wie vorliegend keine entsprechende Entscheidung der Kranken-/ Pflegekasse ergangen ist - allein der Deutschen Rentenversicherung als sachlich zuständigem Träger (arg. ex § 255 Abs. 1 SGB V i.V.m. § 60 Abs. 1 Satz 2 SGB XI; s. die o.a. BSG-Nachweise); Nämliches gilt für den Einbehalt rückständiger Beiträge aus der laufenden Rente nach § 255 Abs. 2 Satz 1 SGB V i.V.m. § 60 Abs. 1 Satz 2 SGB XI (vgl. nur BSG 29.11.2006, B 12 RJ 4/05 R, a.a.O. Rn. 12).

Ausgehend von dieser expliziten Zuständigkeit der Rentenversicherung und der Nichtbeteiligung der Pflegekassen am konkreten Beitragseinzug sowie einem nicht vorhandenen wirtschaftlichen Interesse hat das BSG für den Bereich der Pflegekassen ausdrücklich entschieden, dass es einer Beiladung der Pflegekassen in Fällen wie dem vorliegenden (Entscheidung der Rentenversicherung über Beitragspflicht, Beitragstragung und Beitragshöhe aus der Rente und entsprechender Beitragseinbehalt) nicht bedarf (BSG a.a.O. m.w.N.). Dabei hat es insbesondere hervorgehoben, dass die in Rede stehenden Pflegeversicherungsbeiträge aus Rentenleistungen nicht der einzelnen Pflegekasse zustehen, sondern an den vom Bundesamt für Soziale Sicherung (vormals: Bundesversicherungsamt) verwalteten Ausgleichsfonds der Pflegeversicherung (§ 60 Abs. 4 i.V.m. § 65 Abs. 1 Nr. 1 SGB XI) weiterzuleiten sind.

In der Entscheidung vom 18.07.2007 (B 12 R 21/06 R, in juris, Rn. 13) hat das BSG auf der Grundlage des seinerzeit von ihm zugrunde gelegten Krankenversicherungsrechts zwar entschieden, dass eine notwendige Beiladung der Krankenkasse bei Streit über die von der Rentenversicherung - als zuständigem Träger (s.o.) - verfügte Tragung eines zusätzlichen Krankenversicherungsbeitrags aus der Rente zu erfolgen hat, weil jedenfalls seit dem 01.01.1995 insoweit ein eigener Anspruch der Krankenkasse bestehe. Zugleich hat das BSG indes ausdrücklich auf seine Entscheidungen vom 29.11.2006 (B 12 RJ 4/05 R, a.a.O., s.o.) und vom 23.05.1989 (12 RK 66/87, in juris, Rn. 24: keine Beiladung der Krankenkasse, weil keine materiell-rechtliche Beteiligung am Einbehalten, Abführen und Nachholen eines unterbliebenen Einbehalts von Krankenversicherungsbeiträgen aus der Rente) verwiesen und deutlich gemacht, dass in der KVdR unter Geltung insbesondere der §§ 266 bis 268 SGB V anderes gelte.

So liegt der Fall aber hier. Wie bereits oben dargelegt, ist die Beklagte vorliegend sachlich allein zuständig für den nachträglichen Einbehalt einer unterbliebenen Abführung von Krankenversicherungsbeiträgen der KVdR aus der laufenden Rente (§ 255 Abs. 2 Satz 1 SGB V), ebenso wie für die (feststellende) Entscheidung einer entsprechenden Beitragspflicht und -tragung einschließlich der Beitragshöhe. Rückständige Beiträge sind dabei nach Einbehalt nach Maßgabe des § 255 Abs. 3 SGB V (eingeführt durch Art. 1 Nr. 173 lit. b GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz vom 26.03.2007, BGBl. I S. 378, mit Wirkung ab dem 01.01.2009) vom Rentenversicherungsträger an die Deutsche Rentenversicherung Bund zu zahlen, die diese wiederum an den Gesundheitsfonds (§ 271 SGB V) weiterleitet (§ 255 Abs. 3 Satz 4 SGB V). Aus diesem (ebenfalls zum 01.01.2009 eingeführten) Fonds, bei dem es sich - ebenso wie beim Ausgleichsfonds der Pflegeversicherung (s.o.) - um ein vom Bundesamt für Soziale Sicherung verwaltetes Sondervermögen hinsichtlich (u.a.) der Beiträge aus Rentenzahlungen gemäß § 255 SGB V handelt (§ 271 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB V), werden den Krankenkassen dann zur Deckung ihrer Ausgaben gemäß § 266 und § 268 SGB V Zuweisungen zur Verfügung gestellt (Peters in jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 255 Rn. 21, Stand 10.11.2021; Gerlach in Hauck/Noftz, SGB V, § 255 Rn. 55, Stand Juni 2015).

Damit stellt sich freilich beiordnungsrechtlich die Sachlage auch im Bereich der Krankenversicherung nach § 255 SGB V insoweit nicht (mehr) anders dar, als im Bereich der Pflegeversicherung (s.o.) mit der Konsequenz, dass für eine notwendige Beiladung der Krankenkasse in der vorliegend in Rede stehenden Konstellation weder eine Grundlage, noch ein Bedürfnis besteht (wie hier auch Bayerisches LSG 13.02.2013, L 19 R 463/12 B PKH, in juris, Rn. 30).

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).


 

Rechtskraft
Aus
Saved