L 4 KR 128/21

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 42 KR 424/19
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 4 KR 128/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Hat ein Krankenhaus im vorausgegangenen Kalenderjahr die maßgebliche Mindestmenge erreicht, genügt dies grundsätzlich zur Darlegung seiner auf das nächste Kalenderjahr bezogenen Prognose.

2. Zum Umfang der Anhörung durch die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen, wenn ein Krankenhaus im vorausgegangenen Kalenderjahr die maßgebliche Mindestmenge erreicht hat.

3. Hat ein Krankenhaus im vorausgegangenen Kalenderjahr die maßgebliche Mindestmenge erreicht, muss die Widerlegungsentscheidung der Landesverbände der Krankenkassen und der Ersatzkassen das in § 136b Abs. 4 Satz 4 SGB V aF (§ 136b Abs. 5 Satz 4 SGB V nF) angelegte Regel-Ausnahme-Verhältnis berücksichtigen.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 18. Februar 2021 wird zurückgewiesen.

 

Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits.

 

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

 

Die Beteiligten streiten über die Widerlegung einer Mindestmengenprognose für das Jahr 2020 bezüglich der Erbringung von Kniegelenk-Totalendoprothesen (Knie-TEP).

 

Die Klägerin ist Trägerin eines im Landkreis O gelegenen Krankenhauses (im Folgenden: Klägerin), das im Jahr 2020 mit der Fachabteilung Chirurgie (nebst dem gesondert beplanten Teilbereich Orthopädie) in den Krankenhausplan des Landes Brandenburg aufgenommen war. Nach Ziffer 6 der Anlage zu den „Regelungen des Gemeinsamen Bundesausschusses gemäß § 136b Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 SGB V für nach § 108 SGB V zugelassene Krankenhäuser“ (Mindestmengenregelung, Mm-R) in der seit dem 13. Juli 2019 geltenden Fassung waren für den Leistungsbereich Knie-TEP Leistungen nach den Kodes 5-822.9**, 5-822.g**, 5-822.h**, 5-822.j** und 5-822.k** des Operationen- und Prozedurenschlüssels, Version 2019 (OPS) berücksichtigungsfähig; die jährliche Mindestmenge pro Standort eines Krankenhauses betrug 50. Diese Leistungen erbrachte das Krankenhaus an seinem Standort S wie folgt:

 

I. Quartal

II. Quartal

1. Hj

III. Quartal

IV. Quartal

2. Hj

Gesamt

2017

 

 

34

 

 

29

63

2018

 

 

29

14

8

22

51

2019

9

9

18

 

 

 

60

 

Nachdem die Klägerin den beklagten Krankenkassen(-verbänden) die auf Knie-TEP bezogenen Fallzahlen für das Jahr 2017 (63) und die Quartale III/2017 bis II/2018 (58) sowie die geplante Fallzahl für das Jahr 2019 (75) übermittelt hatte, teilten ihr die Beklagten mit, dass sie für den oben genannten Standort keine begründeten erheblichen Zweifel an der mengenmäßigen Erwartung für den Leistungsbereich Knie-TEP hätten (Schreiben vom 18. Februar 2018).

 

Mit Schreiben vom 5. Juli 2019, übermittelt u.a. per E-Mail am 10. Juli 2019, teilte die Klägerin den Beklagten – neben ihrer auf Knie-TEP bezogenen Prognose für das Jahr 2020 (70 Fälle) – mit, dass sich das bisherige Erreichen der jährlichen Mindestmenge (50) in diesem Jahr und auch im Folgejahr weiter fortsetzen werde. Bisher zeige sich für das 1. Halbjahr zwar noch keine Erfüllungsquote von 50 %, dies werde aber im „nächsten Halbjahr aufgeholt“; die „urlaubsbedingten Ausfallzeiten der Operateure [seien] bereits abgegolten und OP-Planungen vorangeschritten“. Daraufhin baten die Beklagten (Schreiben vom 22. Juli 2019) die Klägerin um

– differenzierte Darlegung, aufgrund welcher konkreten Umständen, z.B. aufgrund welcher konkreten OP-Planungen, Änderungen in den Zuweisungszahlen oder anderer besonderer Umstände, sie über den bisherigen Erwartungswert hinaus im 2. Halbjahr 2019 mit überwiegender Wahrscheinlichkeit von einer solchen Steigerung begründet ausgehen könne,

– Erläuterung hierzu im Einzelnen, indem sie nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 Mm-R anhand der Quartalszahlen der letzten zwei Quartale des Jahres 2018 und der ersten zwei Quartale des laufenden Kalenderjahres 2019 den Leistungsverlauf und die klägerseitig prognostizierte Leistungssteigerung unter Konkretisierung ihrer bisher erfolgten Angaben im Hinblick auf ihre berechtigte mengenmäßige Erwartung plausibilisiere,

– Differenzierung der Leistungen entsprechend der Mm-R nach den dort für Knie-TEP mindestmengenrelevanten OPS nach § 4 Abs. 2 S. 1 Mm-R, weil für die plausibilitätsgeführte Prognosebeurteilung in diesem konkreten Sachverhalt auch erkennbar sein müsse, ob die erwarteten Leistungen dem in den Mm-R für diese spezifischen Leistungen hinterlegten Katalog überhaupt unterlägen und wenn ja, wie sich diese Leistungen im Zeitverlauf in der eingriffstypisierten Zuordnung nach dem OPS entwickelt hätten.

Aufgrund des durch die Mm-R vorgegebenen sehr engen Zeitrahmens würden die Darlegungen bis spätestens 25. Juli 2019 erbeten; ein späterer Eingang von Informationen könne aufgrund ihres – der Beklagten – in sehr engem Zeitrahmen mehrstufig ablaufenden Beurteilungs- und Entscheidungsprozesses nicht berücksichtigt werden.

 

In ihrem am selben Tage bei den Beklagten eingegangenen Antwortschreiben vom 25. Juli 2019 wies die Klägerin darauf hin, dass aus den zeitgleich übermittelten Quartalszahlen deutlich werde, dass sich die Erbringung der Knie-TEP nicht gleichmäßig auf das ganze Jahr verteile (da im 2. Halbjahr 2018 nur 22 der insgesamt 51 Knie-TEP des Jahres 2018 erbracht worden seien). Gewisse Schwankungen zwischen den einzelnen Quartalen seien wie auch schon in den Vorjahren ersichtlich. Ein weiterer Faktor für die geringe Anzahl von Knie-TEP im 2. Halbjahr 2018 sei ein erhöhtes Aufkommen von unikondylären Schlittenprothesen (OPS 5-822.0), welche in diesem Zeitraum um jeweils 50 % höher als im 1. Halbjahr 2018 und im 2. Halbjahr 2017 gelegen hätten. Die geringe Anzahl an Knie-TEP im 1. Halbjahr 2019 sei durch die urlaubsbedingten Ausfallzeiten des Hauptoperateurs zu erklären. Bis Ende August 2019 seien schon zwölf weitere Knie-TEP fest als OP eingeplant und zwei davon bereits im Juli erbracht worden. Die somit bis Ende August erbrachten 30 Knie-TEP ergäben einen Erfüllungsgrad von 60 %, was in etwa der linearen Verteilung von 66 % entspreche. In der Sprechstunde der Unfallchirurgie, über die der Hauptteil der Patienten für Knie-TEP rekrutiert werde, sei im 1. Halbjahr ein geringeres Patientenaufkommen, jedoch „seit den letzten Monaten ein erheblicher Anstieg“ (bis zu einer kompletten Ausbuchung bis Ende September) zu verzeichnen gewesen, sodass auch im Folgezeitraum von einer hohen Anzahl von Terminen ausgegangen werde. Auch der Anteil der benötigten Vollprothesen i.S.d. Mm-R zeige eine zunehmende Tendenz gegenüber dem 1. Halbjahr 2019.

 

Mit dem von allen Beklagten unterzeichneten, am Folgetag abgesandten Bescheid vom 21. August 2019 teilten diese der Klägerin mit, dass die abgegebene Prognose für das Kalenderjahr 2020 für den Leistungsbereich Knie-TEP aufgrund begründeter erheblicher Zweifel widerlegt werde. Zur Begründung führten die Beklagten aus:

Die Fallzahlen für die Quartale III/2018 bis II/2019 ließen die Schlussfolgerung zu, dass die Leistungen im 1. Halbjahr 2018 um sieben Fälle höher gelegen hätten und im 2. Halbjahr 2018 zurückgegangen seien, mit einem ausgeprägten Einbruch im Quartal IV/2018. Dieser negative Trend setze sich in den Quartalen I und II/2019 fort, „trendkonträr gerade in den potenziell umsatzstarken Quartalen“. Im 1. Halbjahr 2019 seien die Fallzahlen weiter auf nur 18 Eingriffe zurückgegangen. Daraus werde deutlich, dass es sich nicht nur um „Schwankungen“ innerhalb des Kalenderjahres 2018, sondern um einen nachvollziehbaren progredienten Leistungsrückgang in der relevanten Fallgruppe im Zeitraum 2018/2019 handele. Zudem sei dieser Leistungsrückgang erheblich, weil in den Quartalen I und II/2019 in der Summe nur 18 Fälle erbracht worden seien und dieser weitere Leistungsrückgang zur Prognose für 2020 besonders zeitnah liege und deshalb nach den Mm-R entsprechend aus Ermittlung der Quartalszahlen für die prospektive Beurteilung besonders zu gewichten sei.

Urlaubsbedingte Ausfallzeiten der Operateure fielen „mehr oder weniger regelmäßig in jedem Krankenhaus an, dass die Mindestmenge erbringe“. Sie stellten keinen Ausnahmetatbestand oder ein Kriterium dar, dass bei der mengenmäßigen Erwartung entlastend nach Mm-R zu berücksichtigen sei.

Auch wenn die Mindestmenge für Knie-TEP im Jahr 2018 mit 51 Fällen knapp erreicht worden sei, lasse sich aus den obigen Ausführungen schlüssig nachvollziehen, dass die Leistungen bereits in jenem Jahr deutlich eingebrochen seien, erkennbar an den Quartalen III und IV. Dieser Abwärtstrend werde durch den weiteren Verlauf in den Quartalen I und II/2019 bestätigt, wo die Leistungen auf diesem Niveau – nur jeweils neun Eingriffe – stagnierten, obwohl es sich „trendmäßig um potenziell umsatzstarke Quartale“ handele.

Besondere Gründe im Sinne der Mm-R seien von der Klägerin nicht vorgetragen und deshalb bei der Beurteilung nicht berücksichtigt worden.

Somit reichten die Angaben der Klägerin zu den bisherigen und prognostizierten Leistungszahlen „für die Annahme einer berechtigten mengenmäßigen Erwartung für 2019 und 2020 nicht aus, weil nicht sicher [sei], ob die geplanten Eingriffe auch in vollem Umfang durchgeführt werden könnten, sei es aus medizinischen oder anderen Gründen“. Im Hinblick auf die noch fehlenden 20 Eingriffe für das Jahr 2019 lasse sich nach den Ausführungen der Klägerin „eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für eine berechtigte mengenmäßige Erwartung […] sozialmedizinisch nicht erkennen“. Weder lasse die Zahl der bisherigen OP-Planungen diesen Schluss zu, noch sei „eine hinreichende Steigerung des Patientenaufkommens schlüssig und mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nachvollziehbar“. Hier hätte die Klägerin „zu den konkreten Planungsdaten und der medizinischen Fallakquise mindestmengenrelevanter Knie-TEP-Behandlungsfälle aus der Sprechstunde der Unfallchirurgie ggf. bis in den maßgeblichen Prognosezeitraum 2020 hinein tiefergehende und differenzierte Darlegungen zur Plausibilisierung machen müssen, aus denen dann nicht nur die potentielle Plausibilität dieser Darlegungen, sondern auch sozialmedizinisch die hinreichende Wahrscheinlichkeit im Sinne der überwiegenden Wahrscheinlichkeit der dargelegten Anknüpfungstatsachen durch die Landesverbände hätte nachvollzogen werden können“. Dabei hätte auch der vergleichend mitheranzuziehende „gegentrendige“ Verlauf in den Quartalen I und II/2019 „im Hinblick auf den Einbruch der Leistungszahlen in diesem Zeitraum und im Hinblick auf die Umkehr der Erwartung für 2020 umfassend“ von der Klägerin erörtert werden müssen. An ihre Ausführungen zur Leistungserwartung in den letzten vier Monaten des Jahres 2019 seien vor dem Hintergrund des progredienten Leistungseinbruchs und der Nichterfüllung der mindestmengenrelevanten Leistungszahlen aus den Quartalen III/2018 bis II/2019 „in der Gesamtschau besonders hohe Anforderungen an die Plausibilisierung und die Schlüssigkeit und die hinreichende Wahrscheinlichkeit der für die mengenmäßige Erwartung maßgeblichen Anknüpfungstatsachen zu stellen“. Ausführungen der Klägerin mit nachvollziehbaren Belegen, die diesen Anforderungen genügten und aus denen „eine kurzfristige Umkehr des im Kalenderjahr 2018/2019 konkretisierten Leistungseinbruchs mit nachfolgend weiter ansteigenden Leistungszahlen im Kalenderjahr 2020 bis hin zu einer mengenmäßigen Erwartung von 70 Eingriffen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nachvollziehbar“ sei, lägen nicht vor.

Es lasse sich zwar nicht gänzlich ausschließen, dass das Krankenhaus die Mindestmengenzahl in 2019 noch erreiche. Andererseits könne „nach den maßgeblichen Grundsätzen der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) für die sozialmedizinische Beurteilung der prospektiven Leistungserwartung und unter Berücksichtigung des Leistungsverlaufs im Vorjahr […] mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht von einer berechtigten mengenmäßigen Erwartung bereits für das Jahr 2019 ausgegangen werden“. Erst recht nicht erkennbar sei, woraus „hier eine für das Leistungsjahr 2020 mit überwiegender Wahrscheinlichkeit positive Prognose entstehen solle“.

Die Einlassungen der Klägerin seien in vollem Umfang berücksichtigt.

Die durch eine Widerlegung der Prognose beeinträchtigten Erwerbsinteressen der Klägerin träten hinter die Belange der Qualitätssicherung zurück, die durch die Prognosewiderlegung gewahrt würden. Aufgrund der Widerlegung der Prognose seien die „leistungsausschließenden Wirkungen für Leistungen zulasten der GKV im Jahr 2020“ für das Krankenhaus verhältnismäßig. Hierbei sei auch zu berücksichtigen, dass ein Wiedereinstieg in den Leistungsbereich für das Krankenhaus unter den Voraussetzungen der Mm-R möglich sei. Auch Belange der Versorgung der Bevölkerung stünden der Widerlegung der Prognose nicht entgegen. Im Land Brandenburg sei die Versorgung von mindestmengenrelevanten Eingriffen im Bereich der Knie-TEP auch im Fall eines kurzfristig zu planenden und durchzuführenden elektiven Eingriffs in jedem Fall gesichert. Möglich sei die Durchführung z.B. in Krankenhäusern an den Standorten Cottbus und Elsterwerda oder in einem der zahlreichen anderen zu diesem Mindestmengenbereich zugelassenen Krankenhäuser im Land Brandenburg.

 

Im Klageverfahren hat die Klägerin vorgebracht, die Beklagten hätten aus ihren Angaben zu den bereits erbrachten und noch geplanten Knie-TEP nicht den zutreffenden Schluss gezogen, dass sich aus den geschilderten Gründen eine weitere positive Entwicklung für das Jahr 2019 ergebe und sich dementsprechend für das Jahr 2020 eine positive Prognose ableiten lasse.

 

Die Beklagten haben vorgebracht: Es liege grundsätzlich im beherrschbaren Verantwortungsbereich der Klägerin, die Urlaubspläne ihrer Operateure so zu koordinieren, dass die Leistungsmenge nicht erheblich abfalle. Zudem sei nicht ersichtlich, warum sich der jährliche Urlaub ausgerechnet im 1. Halbjahr 2019 so gravierend ausgewirkt haben solle, da in den vergangenen Jahren in der 1. Jahreshälfte kein solcher Einbruch zu verzeichnen gewesen wäre.

 

Mit Urteil vom 18. Februar 2021 hat das Sozialgericht den Bescheid der Beklagten vom 21. August 2019 aufgehoben und zur Begründung ausgeführt:

Die gesetzlichen Grundlagen für die Widerlegung der Prognose der Klägerin hätten nicht vorgelegen. Begründete erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der Prognose seien nicht erkennbar. Da die Klägerin im vorausgegangenen Kalenderjahr 2018 die erforderliche Mindestmenge erreicht habe, seien wesentlich höhere Ansprüche an die begründeten erheblichen Zweifel zu stellen. Der graduelle Rückgang der Fallzahlen ab dem Quartal III/2018 gebe tatsächlich Anlass zu Zweifeln. Ob es sich hierbei bereits um begründete erhebliche Zweifel handele, könne dahinstehen. Denn jedenfalls seien die Entwicklungen mit der Stellungnahme der Klägerin vom 25. Juli 2019 hinreichend plausibel erklärt und eine nachvollziehbare Prognose für 2020 getroffen worden. Zur Überzeugung des Gerichts sei der Hinweis auf die gegenläufigen Tendenzen und die ausgebuchte Sprechstunde der Unfallchirurgie bis Ende September sowie die bis dahin erwarteten 30 Eingriffe ausreichend für eine plausible Prognose. Es sei auch nicht ersichtlich, was genau die Klägerin noch zur weiteren Plausibilisierung hätte vortragen sollen. Die Beklagten hätte auch den offensichtlichen Aufwärtstrend von 12 Eingriffen im Quartal III/2019 berücksichtigen müssen, zumal auch im Jahr 2018 die Leistungen nicht gleichmäßig über das Jahr verteilt erbracht worden seien. Auch wenn Urlaubszeiten in jedem Krankenhaus anfielen, sei die urlaubsbedingte Abwesenheit des Haupt­operateurs der Klägerin im 1. Halbjahr 2009 nicht irrelevant. Bei der quartalsweisen Betrachtung der Eingriffe sei es nicht unerheblich, ob der Urlaub im Zeitpunkt der Prognose bereits genommen worden sei oder nicht. Ausgehend von einem gesetzlichen Anspruch von 24 Werktagen stehe ein Operateur ca. einen gesamten Monat lang jährlich nicht zur Verfügung. Wann genau dieser Ausfall stattfinde, sei ein durchaus relevanter Faktor bei der OP-Planung. Wenn – wie hier – fast der gesamte Urlaub zum Halbjahr bereits abgegolten sei, folge daraus, dass der Operateur im 2. Halbjahr insgesamt ca. einen Monat länger Eingriffe durchführen könne. Die Prognose falle dann entsprechend höher aus.

 

Gegen dieses ihnen am 2. März 2021 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten vom 1. April 2021, zu deren Begründung sie vortragen:

Nach der Gesetzesbegründung zu § 136b Abs. 4 S. 3 SGB V und den Regelungen des § 5 Mm-R treffe den Krankenhausträger die Darlegungslast für die Mitteilung berücksichtigungsfähiger Umstände. Grundlage der Entscheidung über die Prognose seien alle bis zum Abschluss des Prognoseverfahrens von den Krankenhausträgern dargelegten Umstände, die eine berechtigte mengenmäßige Erwartung tragen könnten. Nachträgliche Veränderungen berührten die Prognose nicht. Zweifel seien erheblich, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit bestehe, dass die Prognose unrichtig sei, mithin von der Tatsachengrundlage und den mitgeteilten Umständen nicht getragen werde. Schwächen in der Prognosebegründung oder das Fehlen von Nachweisen für die vorgetragenen Einzelfallumstände machten nicht die Prognose formunwirksam, sondern senkten die Anforderungen an die Begründetheit der Zweifel bei der Widerlegungsentscheidung. Mit welchem Grad der Wahrscheinlichkeit die mitgeteilten Umstände die abgegebene Prognose trügen oder nicht, könne nur durch eine vollständige Würdigung aller im Rahmen des Prognoseverfahrens übermittelten Informationen des Krankenhausträgers und unter Berücksichtigung der erkennbaren oder dargelegten Auswirkungen auf die Leistungserbringung entschieden werden. Gerade wenn die Prognose auf gesetzlich nicht näher definierte sonstige Umstände gestützt werde, die lediglich dem Krankenhausträger bekannt und deren Auswirkungen auf die Leistungsmängel weder offensichtlich noch durch allgemeine Erfahrungsgrundsätze erwiesen seien, sei zu diesen vom Krankenhausträger entsprechend auszuführen.

Entgegen der Darstellung des Sozialgerichts seien die Zweifel nicht lediglich mit dem Rückgang der Leistungsmängel vom Quartal III/2018 zu den Folgequartalen begründet worden. Vielmehr sei auch zu berücksichtigen gewesen, dass im unmittelbaren Vergleich das 1. Halbjahr des Vorjahres das leistungsfähigere Halbjahr dargestellt habe, im 1. Halbjahr 2019 jedoch der bislang größte Leistungseinbruch zu verzeichnen gewesen sei. Wegen der kontinuierlich rückläufigen Leistungsfälle sei es in Kumulation mit den übrigen Umständen als hinreichend wahrscheinlich anzusehen gewesen, dass ohne weitere leistungssteigernde Maßnahmen eine Trendumkehr verbunden mit einer notwendigen deutlichen Leistungssteigerung nicht „automatisch“ eintreten würde. Auch wenn eine gleichförmige Leistungserbringung weder festgestellt werden könne noch erforderlich oder auch nur wahrscheinlich sei, seien bei der Klägerin weniger „Schwankungen“ als vielmehr kontinuierliche „Rückgänge“ zu beobachten gewesen.

Es reiche auch nicht aus, dass der Krankenhausträger einen Leistungsrückgang lediglich plausibel erkläre.

Der Jahresurlaub des Hauptoperateurs sei keine personelle Veränderung i.S.v. § 4 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 Mm-R. Dieser Vortrag könne allenfalls als „weiterer Umstand“ im Sinne dieser Vorschrift berücksichtigt werden. Schließlich hänge die Erfüllung der Mindestmenge nicht ausschließlich von Personalfragen ab. Nicht jeder Krankenhausträger, der das erforderliche Personal vorhalte, erfülle automatisch die gesetzlichen Mindestmengen. Es wären daher konkrete Darlegungen und Nachweise der Klägerin notwendig gewesen, die eine Verknüpfung von Leistungsunterschreitungen und urlaubsbedingter Abwesenheit im konkreten Einzelfall plausibel nachwiesen. Obwohl dem Hauptoperateur ein jährlich ungefähr gleich hoher Urlaubsanspruch zustehen dürfte, habe es signifikante Leistungsverschiebungen von einem Halbjahr in das andere oder auch nur vergleichbar erhebliche Leistungsrückgänge in der Leistungshistorie der Klägerin nicht gegeben. Atypische Umstände oder Angaben zur Verteilung der Leistungen auf die Operateure, ob ggf. ein ungewöhnlich langer Urlaub gewährt worden oder der Urlaub überraschend in eine Zeit gefallen sei, in der üblicherweise besonders viele Leistungen erbracht würden, habe die Klägerin nicht mitgeteilt.

Der Begriff „Aufwärtstrend“ werde vom Sozialgericht sehr locker verwendet und nicht in ein Verhältnis zu den sonstigen Grundlagen des Prognoseverfahrens gesetzt. Im Übrigen sei im Prognoseverfahren der voraussichtlichen Leistungsentwicklung eines einzigen Quartals nicht die gleiche Aussagekraft beizumessen wie dem bisherigen, bereits abgeschlossenen Leistungsverlauf. Wenn die Prognose auf erst künftig eintretende Umstände gestützt werde, unterliege die Darlegung höheren Anforderungen als der bloßen Nennung der Leistungszahlen. Für solche Umstände müsste der Krankenhausträger nach der Mm-R aussagekräftige Belege einreichen. Mangels konkretisierten Vortrags könne nicht nachvollzogen werden, was aus Sicht der Klägerin bei der Sprechstunde der Unfallchirurgie ein „erheblicher Anstieg“ sei, zumal deren Leistungsspektrum für gewöhnlich und auch nach ihrer aktuellen Website nicht auf Knie-TEP beschränkt sei. Da nach den Angaben der Klägerin in ihrer Stellungnahme vom 25. Juli 2019 im 1. Halbjahr – mithin von Januar bis Juni – 2019 ein geringeres Patientenaufkommen zu verzeichnen gewesen sei, könne sich ihre gleichzeitige Aussage über einen erheblichen Anstieg des Patientenaufkommens „seit den letzten Monaten“ nur auf Beobachtungen aus dem Monat Juli stützen. Bei der Betrachtung eines so kurzen Zeitraumes könne jedoch keine zuverlässige Schlussfolgerung für die Zukunft gezogen werden. Das Sozialgericht hätte zudem berücksichtigen müssen, dass die Steigerung des Patientenaufkommens nicht auf eine Maßnahme der Klägerin zurückzuführen sei, sondern sich eher zufällig eingestellt habe.

Soweit die Klägerin den Rückgang der Fallzahlen auch auf den verstärkten Einsatz von – nicht mindestmengenrelevanten – unikondylären Schlittenprothesen stütze, könne ein „Wegfall“ dieses Anlasses nicht erkannt werden. Die Klägerin habe weder erläutert, warum zukünftig nicht mehr damit gerechnet werden müsse, dass eine hohe Anzahl dieser Schlittenprothesen zu erbringen sei noch habe sie anderweitig vorgetragen, dass sie mit geeigneten Maßnahmen (ggf. Änderungen in der Personalplanung, Neueinstellungen, etc.) verhindere, dass nachteilige Auswirkungen auf den streitgegenständlichen Leistungsbereich einträten.

Auch wenn der in § 136b Abs. 4 S. 4 SGB V (alte Fassung – aF) normierte gesetzliche Regelfall vorliege, bleibe eine abweichende Bewertung durch die Krankenkassen(-verbände) – im Folgenden: Krankenkassen – anhand der besonderen Umstände des Einzelfalles möglich. Eine lediglich mathematische Hochrechnung der weiteren Leistungsmängel zur Darlegung der Prognose sei mit der Mm-R nicht vereinbar.

 

Die Beklagten beantragen,

 

das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 18. Februar 2021 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

Die Klägerin beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und führt ergänzend aus: Ihre Prognose habe sich bestätigt, da sie im Jahr 2019 insgesamt 60 Behandlungsfälle erbracht habe. Der GBA führe in den „tragenden Gründen“ zu § 4 Abs. 1 Mm-R aus, dass eine berechtigte mengenmäßige Erwartung stets dann vorliege, wenn das Krankenhaus im vorangegangenen Kalenderjahr die festgelegte Mindestmengenzahl erreicht habe.

 

Für das Jahr 2020 bestehen (nach Angaben der Klägerin) noch 47 (nach Angaben der Beklagten: 35) offene Fälle im Zusammenhang mit einer Knie-TEP mit einem Forderungswert von insgesamt 393.469,08 €. Bezüglich der Mindestmengen für die Jahre 2021 und 2022 besteht zwischen den Beteiligten kein Streit (mehr).

 

Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen sowie wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten, die dem Senat vorgelegen hat, verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

 

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Im Ergebnis zu Recht hat das Sozialgericht den Bescheid der Beklagten vom 21. August 2019 aufgehoben.

 

A. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist neben dem angefochtenen Urteil des Sozialgerichts der o.g. Bescheid der Beklagten und ein Anspruch der Klägerin auf dessen Aufhebung. Dieses Ziel verfolgt die Klägerin zutreffend mit der (reinen) Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG, weil Widerlegungen i.S.v. § 136b SGB V als Verwaltungsakte i.S.v. § 31 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zu qualifizieren sind und es keiner zusätzlichen Verpflichtungsklage bedarf (BSG, Urteil vom 25. März 2021 – B 1 KR 16/20 R –, juris, Rn. 15 ff.).

 

Der o.g. Bescheid hat sich nicht "durch Zeitablauf" oder "auf andere Weise" erledigt (§ 39 Abs. 2 SGB X; die Anfechtungsklage ist nach wie vor zulässig. Denn auf die o.g. zahlreichen noch offenen Knie-TEP-Leistungen im Jahr 2020 betreffenden Vergütungsstreitigkeiten hat der Bescheid unmittelbare Auswirkungen (vgl. BSG, Urteil vom 25. März 2021 – B 1 KR 16/20 R –, juris, Rn. 24).

 

B. Der o.g. Bescheid ist formell und materiell rechtswidrig; er war daher aufzuheben.

 

I. Die Rechtsgrundlagen für diesen Bescheid finden sich in § 136b SGB V und in den Mm-R (jeweils in der im August 2019 geltenden aF).

 

Nach § 136b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB V beschließt der GBA einen Katalog planbarer Leistungen, bei denen die Qualität des Behandlungsergebnisses von der Menge der erbrachten Leistungen abhängig ist, sowie Mindestmengen je Arzt oder Standort eines Krankenhauses oder je Arzt und Standort eines Krankenhauses für die jeweiligen Leistungen und Ausnahmetatbestände. Er soll bei den Mindestmengenfestlegungen nach § 136 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB V Ausnahmetatbestände und Übergangsregelungen vorsehen, um unbillige Härten insbesondere bei nachgewiesener, hoher Qualität unterhalb der festgelegten Mindestmenge zu vermeiden (§ 136b Abs. 3 Satz 1 SGB V). Ergänzend hierzu regelt § 136b Abs. 4 SGB V:

 

1Wenn die nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 erforderliche Mindestmenge bei planbaren Leistungen voraussichtlich nicht erreicht wird, dürfen entsprechende Leistungen nicht bewirkt werden. 2Einem Krankenhaus, das die Leistungen dennoch bewirkt, steht kein Vergütungsanspruch zu. 3Für die Zulässigkeit der Leistungserbringung muss der Krankenhausträger gegenüber den Landesverbänden der Krankenkassen und der Ersatzkassen jährlich darlegen, dass die erforderliche Mindestmenge im jeweils nächsten Kalenderjahr auf Grund berechtigter mengenmäßiger Erwartungen voraussichtlich erreicht wird (Prognose). 4Eine berechtigte mengenmäßige Erwartung liegt in der Regel vor, wenn das Krankenhaus im vorausgegangenen Kalenderjahr die maßgebliche Mindestmenge je Arzt oder Standort eines Krankenhauses oder je Arzt und Standort eines Krankenhauses erreicht hat. 5Der Gemeinsame Bundesausschuss regelt im Beschluss nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 das Nähere zur Darlegung der Prognose. 6Die Landesverbände der Krankenkassen und der Ersatzkassen können bei begründeten erheblichen Zweifeln an der Richtigkeit die vom Krankenhausträger getroffene Prognose widerlegen. 7Gegen die Entscheidung nach Satz 6 ist der Rechtsweg vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gegeben. 8Ein Vorverfahren findet nicht statt.

 

Seine o.g. gesetzlichen Aufträge hat der GBA im Rahmen der Mm-R u.a. mit folgenden Bestimmungen umgesetzt

 

§ 2 Anwendungsbereich

(1) […] 2 Die Mindestmengen sind in der nach Leistungsbereichen gegliederten Anlage zu diesen Regelungen bestimmt und gelten grundsätzlich je Standort eines Krankenhauses gemäß Vereinbarung über die Definition von Standorten der Krankenhäuser und ihrer Ambulanzen gemäß § 2a Absatz 1 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes (KHG) vom 29. August 2017 für den jeweils zugeordneten Katalog planbarer Leistungen.

(2) Ausnahmetatbestände und Übergangsregelungen sind in den §§ 6, 7 und 8 festgelegt. […]

 

§ 3 Ermittlung der erbrachten Leistungsmenge

(1) […]

(2) 1 Für die Berechnung der Leistungsmenge nach Absatz 1 sind diejenigen erbrachten Leistungen zu berücksichtigen, die in der Anlage zu diesen Regelungen nach

a) Diagnosen oder

b) Prozeduren oder

c) anderen ausgewählten Merkmalen aus der Datensatzbeschreibung gemäß § 301 SGB V oder

d) einer Kombination aus denselben in dem Katalog planbarer Leistungen des jeweiligen Leistungsbereichs bestimmt sind.

2 Dies gilt grundsätzlich einheitlich für alle Patientinnen und Patienten und ist insbesondere unabhängig von dem für die erbrachte Leistung zuständigen Kostenträger, dem Versicherungsträger, den bestehenden Versicherungsverhältnissen der Patientinnen und Patienten sowie unabhängig von bestehenden Verträgen zwischen dem Träger des Krankenhauses und der die Leistung erbringenden Ärztin oder dem die Leistung erbringenden Arzt.

(3) […]

 

§ 4 Berechtigung zur Leistungserbringung

(1) 1 Für die Zulässigkeit der Leistungserbringung gemäß § 136b Absatz 4 Satz 3 SGB V muss der Krankenhausträger gegenüber den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen jährlich darlegen, dass die in der Anlage festgelegte Mindestmenge im jeweils nächsten Kalenderjahr auf Grund berechtigter mengenmäßiger Erwartungen voraussichtlich erreicht wird (Prognose). 2 Eine berechtigte mengenmäßige Erwartung liegt gemäß § 136b Absatz 4 Satz 4 SGB V in der Regel vor, wenn das Krankenhaus im vorausgegangenen Kalenderjahr die maßgebliche Mindestmenge je Arzt oder Standort eines Krankenhauses oder je Arzt und Standort eines Krankenhauses erreicht hat.

(2) 1 Der gegenüber den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen jährlich darzulegenden Prognose sind die im Katalog planbarer Leistungen jeweils spezifisch bestimmten Leistungen zu Grunde zu legen. 2 Die voraussichtliche Leistungsentwicklung nach Absatz 1 ist vom Krankenhausträger unter Berücksichtigung

1. der Leistungsmenge gemäß § 3 Absatz 1 des vorausgegangenen Kalenderjahres,

2. der Leistungsmenge gemäß § 3 Absatz 1 in den letzten zwei Quartalen des vorausgegangenen Kalenderjahres und den ersten zwei Quartalen des laufenden

Kalenderjahres,

3. personeller Veränderungen und

4. struktureller Veränderungen zu begründen.

3 Der Krankenhausträger kann weitere Umstände zur Begründung der berechtigten mengenmäßigen Erwartung heranziehen.

(3) Personelle, strukturelle und gegebenenfalls weitere Veränderungen, die das Erreichen der Mindestmengenzahl in den in Absatz 2 in Nummer 1 und 2 genannten Zeiträumen verhindert haben, können kein weiteres Mal in Folge als alleiniger Umstand zur Begründung der Prognose herangezogen werden.

(4) […]

 

§ 5 Form und Frist der Darlegung der Prognose und Mitteilungspflichten

(1) Die Prognose des Krankenhausträgers ist den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen bis spätestens zum 15. Juli des laufenden Kalenderjahres schriftlich oder in elektronischer Form unter Verwendung einer fortgeschrittenen elektronischen Signatur zu übermitteln.

(2) […]

(3) 1 Vom Krankenhausträger sind folgende Angaben standortbezogen zu übermitteln:

a) Name, Adresse und Standortnummer des Krankenhausstandorts gemäß dem Verzeichnis nach § 293 Absatz 6 SGB V,

b) die Leistung aus dem Katalog planbarer Leistungen, für die die Prognose erfolgt,

c) die jeweiligen Leistungsmengen nach § 4 Absatz 2 Nummer 1 sowie Nummer 2,

d) aussagekräftige Belege, sofern zur Prognose die Kriterien nach § 4 Absatz 2 Satz 2 Nummer 3 und 4 sowie Umstände nach § 4 Absatz 2 Satz 3 herangezogen werden. […]

(4) […]

(6) 1 Sofern die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen begründete erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der vom Krankenhausträger übermittelten Prognose haben, können sie die Prognose widerlegen. 2 Die Widerlegung der Prognose ist dem Krankenhausträger bis spätestens zum 31. August eines laufenden Kalenderjahres schriftlich oder in elektronischer Form unter Verwendung einer fortgeschrittenen elektronischen Signatur mitzuteilen.

(7) […]

 

§ 6 Ausnahmetatbestände […]

 

§ 7 Erstmalige oder erneute Erbringung einer Leistung […]

 

§ 8 Übergangsregelungen […]

 

 

Diesen Anforderungen wird der Bescheid der Beklagten vom 21. August 2019 nicht gerecht. Abgesehen von einer unzureichenden Anhörung der Klägerin (hierzu II.) ist er zwar formell rechtmäßig (hierzu III.), aber wegen Begründungsmängeln im Rahmen der Widerlegung (hierzu IV.) materiell rechtswidrig.

 

II. Die Beklagten haben die Klägerin vor Erlass des o.g. Bescheids nicht in ausreichendem Umfang angehört.

 

1. Nach § 24 Abs. 1 SGB X ist einem Beteiligten, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in seine Rechte eingreift, grundsätzlich Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Diese Vorschrift dient der Wahrung des rechtlichen Gehörs und soll das Vertrauensverhältnis zwischen dem Bürger und der Sozialverwaltung stärken. Sie soll den Adressaten vor Überraschungsentscheidungen schützen und sicherstellen, dass die Beteiligten alle für sie günstigen Umstände vorbringen können. Hierzu ist es notwendig, dass die Behörde die entscheidungserheblichen Tatsachen dem Betroffenen in einer Weise unterbreitet, dass er sie als solche erkennen und sich zu ihnen, ggf. nach ergänzenden Anfragen bei der Behörde, sachgerecht äußern kann. Widerlegungsentscheidungen nach § 136b Abs. 4 Satz 6 SGB V i.V.m. § 5 Abs. 6 Mm-R sind Verwaltungsakte, die in Rechte der Krankenhausträger eingreifen und deren bisherige, durch die Prognose und die dadurch vermittelte Leistungsberechtigung bereits konkretisierte Rechtsstellung zu deren Nachteil verändern.

 

Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus § 136b Abs. 4 SGB V oder den Mm-R. Diese Vorschriften enthalten keine ausdrückliche Regelung zur Anhörung. Auch aus dem Gesamtzusammenhang des Regelungskonzepts lässt sich keine Regelung dahingehend ableiten, dass eine Anhörung vor der Widerlegung einer Mindestmengenprognose entbehrlich sei. Insbesondere lässt sich eine solche Regelung – ungeachtet der Frage, ob der GBA durch § 136b Abs. 4 Satz 5 SGB V hierzu ermächtigt wäre – nicht bereits den in § 5 Mm-R geregelten Fristen für die Übermittlung der Prognose und deren Bestätigung oder Widerlegung entnehmen. Das Erfordernis einer ausdrücklichen Ausnahmeregelung folgt bereits aus der überragenden Bedeutung der Anhörung für ein rechtsstaatliches und faires Verfahren und daraus, dass Ausnahmetatbestände deswegen eng auszulegen sind. Außerdem ermöglicht bereits der ausdrücklich geregelte Ausnahmetatbestand in § 24 Abs. 2 Nr. 2 SGB X einen angemessenen Ausgleich zwischen dem Interesse an der fristgerechten Entscheidung und dem Interesse an einer vorherigen Anhörung (BSG, Urteil vom 25. März 2021 – B 1 KR 16/20 R –, juris, Rn. 26 ff., m.w.N.).

 

Wie eine den o.g. verfassungsrechtlichen Anforderungen genügende Anhörung zu erfolgen hat, entzieht sich einer allgemeinen Beschreibung in Gestalt eines festen Programms abschließend zu bestimmender Einzelschritte, sondern hängt von der konkreten (unter)gesetzlichen Verfahrensgestaltung, dem Vorbringen der Betroffenen sowie den von der Behörde beabsichtigten Entscheidungsgründen ab. Diese muss sich aber jedenfalls der besonderen Bedeutung der Anhörung (hier: für die Krankenhausträger) bewusst sein und zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit zumindest versucht haben, dem durch eine entsprechende Verfahrensgestaltung angemessen Rechnung zu tragen.

 

Bei der Klärung der Leistungsberechtigung nach § 136b Abs. 4 SGB V kommt dem tatsächlichen Vorbringen der Krankenhausträger eine erhebliche Bedeutung zu, da typischerweise nur sie Kenntnis der Umstände haben, die ein Unterschreiten der auf ein Quartal heruntergebrochenen Mindestmengen sowie personelle oder strukturelle Veränderungen bedingen bzw. ihnen entgegenwirken können. Insofern verlangt es das Recht auf ein faires Verfahren, dass den Krankenhausträgern vor der Widerlegung ihrer Prognose Gelegenheit gegeben wird, erkennbar unvollständige oder implausible Angaben zu konkretisieren oder zu ergänzen. Dies gilt in besonderer Weise, wenn – wie hier – die Widerlegung der Prognose mit einer Unvollständigkeit und Implausibilität der Angaben begründet wird. Die Krankenkassen(-verbände) müssen zumindest die ihnen möglichen und zumutbaren Anstrengungen unternehmen, den jeweils betroffenen Krankenhausträgern – ggf. unter Setzung einer kurzen Frist – eine Ergänzung des von ihnen für unvollständig gehaltenen Vorbringens zu ermöglichen. Denn ein Vorverfahren, in dessen Rahmen das Vorbringen noch ergänzt werden könnte, findet gemäß § 136b Abs. 4 Satz 8 SGB V nicht statt (vgl. BSG a.a.O., Rn. 28 f., m.w.N.).

 

2. Dem genügt die Anhörung der Klägerin durch die Beklagten nicht.

 

a. Zwar haben die Beklagten als Reaktion auf das Schreiben der Klägerin vom 5. Juli 2019 diese u.a. um eine differenzierte Darlegung gebeten, aufgrund welcher konkreten Umständen, z.B. aufgrund welcher konkreten OP-Planungen, Änderungen in den Zuweisungszahlen oder anderer besonderer Umstände, sie über den bisherigen Erwartungswert hinaus im 2. Halbjahr 2019 von einer Steigerung ausgehe (Schreiben vom 22. Juli 2019). Hierzu sollte die Klägerin im Einzelnen u.a. die prognostizierte Leistungssteigerung unter Konkretisierung ihrer bisher erfolgten Angaben plausibilisieren. Damit haben die Beklagten zunächst in hinreichender Form zum Ausdruck gebracht, welche weiteren Daten sie für die Prüfung der klägerischen Prognose für erforderlich hält. Dass sie der Klägerin hierfür eine – aus Sicht des Senats außerordentlich kurze – (Ausschluss-)Frist von drei Tagen gesetzt hat, ist in diesem Zusammenhang irrelevant, da die Klägerin dies nicht gerügt und insbesondere nicht vorgetragen hat, was sie zusätzlich vorgetragen hätte, wäre ihr eine längere Frist eingeräumt worden.

 

b. Die Beklagten hätten allerdings die Antwort der Klägerin im Schreiben vom 25. Juli 2019 zum Anlass nehmen müssen, dieser Gelegenheit zu weiteren konkretisierenden Angaben zu geben.

 

aa. Mit ihrem Schreiben vom 25. Juli 2019 begründete die Klägerin ihre Erwartung, die Mindestmenge von 50 zu erreichen, erstmals u.a. mit der verstärkten Auslastung in ihrer unfallchirurgischen Sprechstunde, auch mit Verweis auf deren hohe Bedeutung für die Zuweisungen.

 

bb. Den Beklagten ist einerseits zuzugeben, dass die Klägerin diesem Vorbringen entgegen § 5 Abs. 3 Satz 1 lit. d Mm-R keine aussagekräftigen Belege beifügte, obwohl sie sich mit dem Verweis auf die geänderte Auslastung ihrer Sprechstunde auf eine strukturelle Veränderung i.S.v. § 4 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 Mm-R bezog. Als Beleg denkbar wären etwa konkrete Angaben zur Anzahl der für die Sprechstunde vergebenen Termine für den Zeitraum Januar bis September 2019 oder die (ggf. pseudonymisierte) Nennung von Patientinnen und Patienten, bei denen – auf der Grundlage bereits bekannter Diagnosen – die Erforderlichkeit einer mindestmengenrelevanten Leistung naheliegt.

 

cc. Andererseits durfte die Klägerin davon ausgehen, dass ihre Begründungspflicht reduziert ist, weil sie im Jahr 2018 die Mindestmenge erreichte und somit nach § 136b Abs. 4 Satz 4 SGB V den Regelfall für die berechtigte mengenmäßige Erwartung erfüllte.

 

(1) Entscheidet sich der Gesetzgeber bei der Bewältigung vielschichtiger Lebenssachverhalte – wie hier der Prognose und Widerlegung von Mindestmengen – gesetzestechnisch für ein Regel-Ausnahme-Verhältnis, verfolgt er damit typischerweise das – legitime – Ziel der Komplexitätsreduktion (vgl. Lindner, VerwArch 2007, 213 ff.). Er bringt damit einerseits zum Ausdruck, dass Ausnahmen atypischen Sachverhalten vorbehalten bleiben, und bestimmt andererseits zugleich das Pflichtenprogramm der Beteiligten: liegt ein Regelfall vor, sind hierdurch Begünstigte zunächst von weiterem Vorbringen befreit, während die Berufung auf einen Ausnahmefall erhöhten Begründungsaufwand nach sich zieht. Ohne diese modifizierten Begründungsanforderungen würde das gesetzgeberische Ziel, die Handhabung vielschichtiger Lebenssachverhalte durch die Installation eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses zu vereinfachen, verfehlt.

 

(2) Auf dieser Grundlage sind Krankenhausträger bei (unstreitigem) Vorliegen eines Regelfalls nicht gehalten, im Rahmen ihrer Prognose zu weiteren mindenstmengenrelevanten Umständen vorzutragen; der ergänzende Hinweis, dass keine Veränderungen personeller oder struktureller Art zu erwarten seien, genügt in diesem Fall. Denn allein die Tatsache, in den letzten vier Quartalen vor Abgabe der Prognose die Mindestmenge nicht erreicht zu haben, kann den Regelfall nach § 136b Abs. 4 Satz 4 SGB V nicht entkräften (Knispel, GesR 2020, 558 ff.; näher unter IV. 1. und 2.).

 

Soweit § 4 Abs. 2, § 5 Abs. 3 Mm-R dahin zu verstehen sein sollte, dass die dort genannten Angaben unabhängig vom Vorliegen eines Regelfalls gefordert werden, wären sie mit höherrangigem Recht nicht vereinbar. Der GBA ist nicht befugt, das im Gesetz angelegte Regel-Ausnahme-Verhältnis zu nivellieren, indem er die Darlegungsobliegenheiten der Krankenhausträger unterschiedslos, d.h. losgelöst vom Vorliegen eines Regelfalls, formuliert.

 

Vielmehr müssen die Krankenkassen(-verbände) darlegen, warum sie trotz Vorliegens eines Regelfalls von einem atypischen Sachverhalt ausgehen. Enthält die Antwort der Krankenhausträger dann implausible oder ergänzungsbedürftige Angaben, muss ihnen – um den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Gewährung rechtlichen Gehörs Genüge zu leisten – Gelegenheit zu weiterem Vorbringen gegeben werden (vgl. auch Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 26. Januar 2023 – L 10 KR 125/22 B ER –, juris, Rn. 24).

 

(3) Hieran gemessen durfte sich die Klägerin in ihrer Antwort vom 25. Juli 2019 darauf beschränken, die weiteren Umstände, die aus ihrer Sicht die berechtigte mengenmäßige Erwartung i.S.v. § 136b Abs. 4 Satz 4 SGB V begründen, lediglich grob zu umreißen. Denn die Beklagten haben in ihrem vorausgehenden (Anhörungs-)Schreiben vom 22. Juli 2019 das – offenkundige – Vorliegen des Regelfalls nicht erwähnt, sondern ohne weitere Erläuterung um plausibilisierende Angaben zur berechtigten mengenmäßigen Erwartung der Klägerin gebeten. Hierdurch war für diese nicht erkennbar,

ob (und ggf. aufgrund welcher Umstände) die Beklagten trotz – offenkundigen – Vorliegens eines Regelfalls von einem weitere Begründungen erfordernden atypischen Sachverhalt ausgingen.

 

dd. Musste die Klägerin indes konkretisierende Angaben und Belege für ihren Verweis auf die zunehmende Auslastung der unfallchirurgischen Sprechstunde in ihrer Antwort vom 25. Juli 2019 nicht für erforderlich halten, hätten die Beklagten ihr vor Erlass der – u.a. auf unzureichende diesbezügliche Angaben gestützte – Widerlegungsentscheidung vom 21. August 2019 erneut Gelegenheit zu ergänzendem Vorbringen geben müssen. Ohne eine solche erneute Anhörung konnten die Beklagten ihrer Obliegenheit, die ihnen möglichen und zumutbaren Anstrengungen zu unternehmen, um der Klägerin eine Ergänzung des von ihnen für unvollständig gehaltenen Vorbringens zu ermöglichen, nicht genügen.

 

Eine erneute Anhörung wäre den Beklagten im vorliegenden Fall auch möglich und zumutbar gewesen. Insbesondere können sich die Beklagten nicht auf einen vermeintlich „sehr engen Zeitrahmen“ (vgl. deren Schreiben vom 22. Juli 2019) berufen. Es ist nicht erkennbar, warum die Beklagten in den 28 Kalendertagen zwischen dem Eingang des Antwortschreibens der Klägerin vom 25. Juli 2019 noch am selben Tag und ihrer Widerlegungsentscheidung vom 21. August 2019 an einer erneuten Anhörung – verbunden ggf. mit einer kurz gesetzten Frist – gehindert gewesen sein sollten. Selbst wenn man den Beklagten im Interesse einer möglichst einheitlichen Entscheidung aller beteiligten Krankenkassen(-verbände) eine nicht zu knapp bemessene Frist zur Prüfung und Erörterung des konkreten Sachverhalts zubilligt, kann aus Sicht des Senats nicht unberücksichtigt bleiben, dass einerseits die Klägerin ihre Prognose (spätestens per E-Mail) am 10. Juli 2019, somit fünf Tage vor Ablauf der in § 5 Abs. 1 Mm-R genannten Frist (15. Juli) abgab, und andererseits die Beklagten noch zehn weitere Tage – gemäß § 5 Abs. 6 Satz 2 Mm-R bis zum 31. August 2019 – Zeit für ihre abschließende Entscheidung gehabt hätte. Schließlich erscheint es im Hinblick auf die Grundsätze des fairen Verfahrens und der Waffengleichheit (vgl. Siefert, in: Schütze, SGB X, 9. A., § 24 Rn. 3; J. Neumann, in: Hauck/​Noftz SGB X, 3. Ergänzungslieferung 2024, § 9 Rn. 19; jeweils m.w.N.) und angesichts moderner Kommunikationsformen wie Telefon- und Videokonferenzen kaum begründbar, warum die Beklagten im Rahmen ihrer Anhörung (Schreiben vom 22. Juli 2019) der Klägerin für ihre Antwort eine (Ausschluss-)Frist von nur drei Tagen setzten, sich für ihre eigene Prüfung der klägerischen Prognose jedoch 12 Tage (vom 10. bis 22. Juli) und für die Widerlegungsentscheidung 28 Tage (vom 25. Juli bis 21. August) Zeit zugestanden.

 

3. Die Beklagten haben die unzureichende Anhörung nicht nachgeholt.

 

Nach § 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 SGB X ist eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die den Verwaltungsakt nicht nach § 40 SGB X nichtig macht, unbeachtlich, wenn u.a. die erforderliche Anhörung eines Beteiligten bis zur letzten Tatsacheninstanz eines sozial- oder verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt wird. Die Nachholung während des Gerichtsverfahrens setzt voraus, dass die Behörde dem Betroffenen in einem mehr oder minder förmlichen Verwaltungsverfahren Gelegenheit zur Stellungnahme zu den entscheidungserheblichen Tatsachen gibt sowie im Anschluss daran erkennen lässt, ob sie nach erneuter Prüfung dieser Tatsachen am bisher erlassenen Verwaltungsakt festhält. Dieses formalisierte Verfahren erfordert regelmäßig ein gesondertes Anhörungsschreiben, eine angemessene Äußerungsfrist, die Kenntnisnahme des Vorbringens durch die Behörde und deren abschließende Stellungnahme zu dem Ergebnis der Überprüfung (BSG, Urteil vom 25. März 2021 – B 1 KR 16/20 R –, juris, Rn. 31, m.w.N.).

 

Daran fehlt es vorliegend. Dass die Beklagten sich mit dem nachträglichen Vorbringen der Klägerin während des Klageverfahrens auch inhaltlich auseinandergesetzt haben, genügt den genannten Anforderungen an die Nachholung der Anhörung nicht (BSG a.a.O.).

 

4. Die Beklagten durften auch nicht nach § 24 Abs. 2 SGB X von der Anhörung absehen. Dass durch eine nochmalige Nachfrage bei der Klägerin an der Einhaltung der durch § 5 Abs. 6 Satz 2 Mm-R vorgegebenen Frist (hier: 31. August 2019) in Frage gestellt gewesen wären (vgl. § 24 Abs. 2 Nr. 2 SGB X), ist nicht ersichtlich, wie der Senat bereits unter II. b. dd. dargelegt hat. Anhaltspunkte für einen der anderen in § 24 Abs. 2 SGB X genannten Tatbestände sind weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich. Außerdem fehlt es an den für ein Absehen von der Anhörung erforderlichen Ermessenserwägungen (vgl. BSG, Urteil vom 25. März 2021 – B 1 KR 16/20 R –, juris, Rn. 28).

 

III. Der Bescheid vom 21. August 2019 erging im Übrigen formell rechtmäßig.

 

a. Die in § 5 Abs. 2 Satz 2 Mm-R genannten Vorgaben an Form (u.a.: schriftlich – wie hier) und Frist (bis zum 31. August eines Kalenderjahres) sind gewahrt.

 

b. Der Bescheid ist nicht in verfassungswidriger Weise zustande gekommen.

 

In der gemeinsamen Entscheidung von auf Bundesebene organisierten Krankenkassen – etwa der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See als Trägerin der Krankenversicherung (§ 4 Abs. 2, § 147 SGB V) oder der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau als Trägerin der Krankenversicherung der Landwirte (§ 4 Abs. 2 SGB V, § 17 Abs. 1 Satz 1 KVLG), die gemäß § 212 Abs. 3 SGB V bzw. § 36 KVLG für ihren jeweiligen Bereich die Aufgaben der Landesverbände der Krankenkassen wahrnehmen – und Landesverbänden der Krankenkassen (§ 207 ff. SGB V) im Rahmen von § 136b Abs. 4 SGB V liegt kein Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Verbot einer Mischverwaltung aus Bund und Ländern. Denn § 136b Abs. 4 Satz 6 SGB V ist verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass die Krankenkassen(-verbände) jeweils für sich in getrennten Verwaltungsakten über die Widerlegung der Prognose des Krankenhausträgers entscheiden. Dadurch bleibt die Eigenverantwortlichkeit gewahrt; die Entscheidungen sind den Krankenkassen(-verbänden) rechtlich jeweils als ihre eigenen zuzuordnen. Da die Krankenkassen(-verbände) als einzelne Behörden im vorliegenden Fall in dem angefochtenen Bescheid zusammengefasste gleichlautende Entscheidungen (Verwaltungsakte) getroffen haben, kann der Senat offenlassen, welche rechtlichen Konsequenzen es hätte, wenn sich die Krankenkassen(-verbände) im Vorfeld der Entscheidungen nicht auf eine gemeinsame Linie einigen könnten und etwa divergierende Entscheidungen träfen (BSG, Urteil vom 25. März 2021 – B 1 KR 16/20 R –, juris, Rn. 14, m.w.N.).

 

IV. In materieller Hinsicht ist der Bescheid vom 21. August 2019 rechtswidrig. Unter Berücksichtigung der besonderen Prüfungsmaßstäbe bei der Anwendung von § 136b Abs. 4 SGB V (hierzu 1.) trägt die Begründung der Beklagten die von ihnen angenommene Widerlegung der klägerischen Prognose nicht (hierzu 2.) Offen bleiben kann, ob die Beklagten ihr Ermessen pflichtgemäß ausgeübt haben (hierzu 3.).

 

1. Aufgrund seiner besonderen regulatorischen Ausgestaltung – durch einen Leistungserbringer zu erstellende Prognose über seine Leistungsberechtigung; zeitnahe Überprüfung der Prognose; gesetzlich angeordneter Regelfall – gelten für die Beteiligten sowie die Tatsachengerichte bei der Prognose einer Mindestmenge und ihrer Widerlegung besondere Anforderungen.

 

a. Ausgangspunkt der Prüfung seitens der Krankenkassen(-verbände) sowie ggf. der Gerichte ist die Prognose des Krankenhausträgers gemäß § 136b Abs. 4 Satz 3 SGB V, d.h. seine Darlegung, dass die erforderliche Mindestmenge im jeweils nächsten Kalenderjahr auf Grund berechtigter mengenmäßiger Erwartungen voraussichtlich erreicht werde. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers (BT-Drs. 18/5372, 86 f.) „liegt die Prognosekompetenz grundsätzlich beim Krankenhausträger, da er über die Gesamtheit der Informationen verfügt, die notwendig ist, um die zukünftige Leistungsentwicklung beurteilen zu können. Maßgeblich für die Entscheidung ist die prospektive Leistungsentwicklung; damit soll der Anreiz einer Indikationsausweitung im laufenden Jahr zur Erfüllung der festgelegten Mindestmenge von vornherein ausgeschlossen werden.“ Die von ihm zur Begründung seiner Prognose vorgebrachten Tatsachen hat der Krankenhausträger gemäß § 5 Abs. 3 Satz 1 lit. d Mm-R zu belegen. Sein Vorbringen darf er (unter Beifügung entsprechender Belege) bis zur Entscheidung der Krankenkassen(-verbände) – auch ohne ausdrückliche Aufforderung durch diese – ergänzen, aber auch ändern (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 16. Juni 2020 – L 16 KR 64/20 –, juris, Rn. 31; wohl ebenso: LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. August 2019 – L 1 KR 196/19 B ER –, juris, Rn. 27; einschränkend Knispel, GesR 2020, 558, 561).

 

b. Für die Widerlegung der Prognose fordert § 136b Abs. 4 Satz 6 SGB V begründete erhebliche Zweifel an deren Richtigkeit. Notwendig, aber auch hinreichend sind tatsächliche Anhaltspunkte, die begründeten Anlass zu solchen Zweifeln geben (vgl. BT-Drucks 18/5372, 87).

 

aa. Bei der Überprüfung von Prognosen durch Sozialleistungsbehörden und die Tatsachengerichte gilt ein eigener Prüfungsmaßstab.

 

Sachgerechte Prognosen beruhen auf erhobenen Daten und Fakten aus der Vergangenheit, auf deren Basis unter Berücksichtigung zu erwartender Veränderungen eine Vorausschau für eine künftige, ungewisse Entwicklung getroffen wird. Prognosen sind begriffsnotwendig zukunftsbezogen. Für eine Prognose sind alle für die Beurteilung der künftigen Entwicklung erkennbaren Umstände zu berücksichtigen, die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind und Einfluss auf die zu beurteilenden Umstände haben, wobei regelmäßig die unmittelbar zurückliegenden Jahre eine größere Bedeutung haben als die weiter zurückliegende Vergangenheit. Maßgebend sind die Verhältnisse zur Zeit der Prognoseentscheidung. Spätere Entwicklungen können die Richtigkeit einer Prognose weder bestätigen noch widerlegen. Eine Prognose ist unrichtig, wenn sie auf unzutreffenden Tatsachen, auf unzureichender Tatsachenwürdigung oder auf sonstigen unrichtigen oder unsachlichen Erwägungen beruhen. Prognoseentscheidungen sind voll überprüfbar. Ein nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungs- oder Ermessensspielraum besteht nicht (vgl. BSG, Urteil vom 20. September 2023 – B 8 SO 22/22 R –, Rn. 25; Urteil vom 18. Oktober 2022 – B 12 KR 2/21 R –, Rn. 16; Urteil vom 27. März 2020 – B 10 EG 7/18 R –, Rn. 28; Urteil vom 28. März 2019 – B 10 LW 1/17 R –, Rn. 20; Urteil vom 3. August 2016 – B 6 KA 20/15 R – Rn. 24; Urteil vom 2. April 2014 – B 3 KS 4/13 R –, Rn. 24 ff.; jeweils juris und m.w.N.; Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14.A., § 128 Rn. 9f).

 

bb. Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit der Mindestmengenprognose können sich auf vielfältige Weise ergeben. Denkbar sind Zweifel an den der Prognose zugrunde liegenden Tatsachen (z.B. an Fallzahlen oder an den personelle oder strukturelle Veränderungen begründenden Umständen). Zweifel können auch berechtigt sein, wenn es an hinreichenden Belegen fehlt oder aus sonstigen Gründen an der Plausibilität ins Feld geführter Tatsachen bzw. gezogener Schlussfolgerungen mangelt (vgl. Knispel, GesR 2020, 558 (560)).

 

cc. Nach dem Wortlaut von § 136b Abs. 4 Satz 6 SGB V genügen für eine Widerlegung der Prognose des Krankenhausträgers nicht beliebige Zweifel an deren Richtigkeit, gefordert werden „begründete erhebliche Zweifel“. Hierbei kommt dem Attribut „begründete“ keine eigenständige Bedeutung, weil generell nur begründete – nicht hingegen unbegründete oder unzureichend begründete – Zweifel rechtlich von Relevanz sein können. Mit dem Attribut „erhebliche“ bringt der Gesetzgeber hingegen zum Ausdruck, dass Zweifel, die nur leicht, von geringer oder von untergeordneter Art sind, zur Widerlegung nicht geeignet sind. Korrespondierend mit der unsicheren Tatsachengrundlage, auf der Prognosen naturgemäß beruhen (s.o.), genügt es für eine Widerlegung, wenn die rechtlich relevanten Zweifel die sonstigen Umstände überwiegen. Lässt sich ein solches Überwiegen nicht feststellen, geht indes die Einschätzung des Krankenhausträgers vor (Knispel a.a.O.).

 

dd. Liegt ein Regelfall i.S.v. § 136b Abs. 4 Satz 4 SGB V vor, ist typischerweise allein hierdurch die Prognose des Krankenhausträgers begründet (insoweit von einer gesetzlichen Vermutung ausgehend: LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 16. Juni 2020 – L 16 KR 64/20 –, juris, Rn. 32; Knsipel, GesR 2020, 558 (559); Hauck, in: jurisPK-SGB V, G-BA, § 4 Mm-R Rn. 27.1). Werden von den Krankenkassen(-verbänden) Zweifel geltend gemacht, obwohl ein Regelfall nach § 136b Abs. 4 Satz 4 SGB V vorliegt, müssen sie nach dem o.G. einen atypischen Sachverhalt wahrscheinlich machen (ähnlich LSG Niedersachsen-Bremen, a.a.O.; vgl. auch SG Braunschweig, Urteil vom 21. Januar 2020 – S 54 KR 399/19 –, juris, Rn. 32: „an die Begründung der erheblichen Zweifel an der Prognose [sind] höhere Ansprüche zu stellen“; wohl a.A. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. August 2019 – L 1 KR 196/19 B ER –, juris, Rn. 25).

 

Etwas Anderes gilt indes für die Leistungsmenge in den letzten zwei Quartalen des vorausgegangenen Kalenderjahres und den ersten zwei Quartalen des laufenden Kalenderjahres. Hierfür hat der Krankenhausträger zwar Daten zu übermitteln und diese bei der Begründung der voraussichtlichen Leistungsentwicklung zu berücksichtigen (§ 5 Abs. 3 Satz 1 lit. c i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 Mm-R). Weder nach § 136b SGB V noch nach den Mm-R kann aus diesen Daten jedoch – wie bereits dargelegt – ein Regelfall abgeleitet werden. Der GBA hielt sich mit der Einbeziehung dieser Daten auch innerhalb seiner Ermächtigung. Soweit dies in Frage gestellt wird, weil die Einbeziehung der ersten beiden Quartale des laufenden Jahres entgegen dem Regelungszweck Ursache für einen Anreiz zur Indikationsausweitung im laufenden Jahr sein könne (so Hauck, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, G-BA, § 4 Mm-R (Stand: 22.08.2023), Rn. 27), teilt der Senat diese Auffassung nicht. Denn zum einen erhöht die Berücksichtigung unmittelbar zurückliegender Tatsachen typischerweise die Richtigkeit einer Prognose (s.o.). Zum anderen besteht in durch Mindestmengen regulierten Leistungsbereichen zu jeder Zeit ein Anreiz zur Indikationsausweitung, mag er auch zu unterschiedlichen Zeitpunkten im Laufe eines Kalenderjahres unterschiedlich hoch sein.

 

ee. Die Pflicht zur Amtsermittlung nach § 20 SGB X bzw. § 103 SGG ist im Zusammenhang mit der Prüfung von Mindestmengenprognosen für die Krankenkassen(-verbände) und für die Tatsachengerichte eingeschränkt (LSG Berlin-Brandenburg a.a.O., Rn. 27; Knispel, GesR 2020, 558, 561; Ulmer, jurisPR-SozR 9/2020 Anm. 2; a.A. Becker, KrV 2019, 223, 224; wohl ebenso LSG Niedersachsen-Bremen a.a.O., Rn. 31). Dies findet seinen Grund – zum einen – in der (auch die Einreichung von Belegen umfassenden) o.g. Darlegungslast der Krankenhausträger und korreliert mit anderen Konstellationen, in denen die Rechtsprechung wegen gesetzlich angeordneter Darlegungsobliegenheiten (BSG, Urteil vom 18. Dezember 2018 – B 1 KR 11/18 R –, juris, Rn. 34 f., zu Potential-Entscheidungen des GBA nach § 137e Abs. 7 SGB V) oder bei aus der Sphäre eines Beteiligten stammenden, nur diesem zugänglichen Informationen (BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008 – B 1 KN 3/08 KR R –, juris, Rn. 25) eine Begrenzung der Amtsermittlungspflicht angenommen hat. Diese rechtfertigt sich – zum anderen – aus dem durch § 5 Abs. 1, Abs. 6 Satz 2 Mm-R vorgegebenen Zeitrahmen von regelmäßig sechs Wochen zwischen der Mitteilung der Prognose durch die Krankenhausträger und der Entscheidung der Krankenkassen(-verbände) über die Prognose. In dieser Zeitspanne sind (ggf. umfangreiche) Sachverhaltsermittlungen von Amts wegen in der Regel nicht durchführbar. Sie würden vielmehr das gesetzgeberische Ziel, das Verfahren einschließlich gerichtlichen Eilrechtsschutzes wenn möglich vor Beginn des maßgeblichen Kalenderjahres abzuschließen (BT-Drs. 18/5372, 87), gefährden (vgl. Ulmer, jurisPR-SozR 9/2020 Anm. 2).

 

ff. Sind – wie im vorliegenden Fall – unterschiedliche Aspekte zu würdigen, die teils für die Prognose, teils gegen sie sprechen, müssen die Krankenkassen(-verbände) alle ihnen bekannten Umstände zutreffend erfassen, in ihrer Bedeutung für den konkreten Fall gewichten und schließlich nachvollziehbar, d.h. den Gesetzen der Logik entsprechend und widerspruchsfrei, einer Gesamtabwägung unterziehen (vgl. die ständige Rechtsprechung des BSG, zuletzt etwa Urteil vom 12. Dezember 2023 – B 12 R 10/21 R –, juris, Rn. 17, m.w.N., zur ähnlich gelagerten Problematik im Rahmen der Statusabgrenzung zwischen Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit).

 

2. Hieran gemessen haben die Beklagten die Prognose der Klägerin nicht nachvollziehbar widerlegt.

 

a. Der Senat unterstellt zugunsten der Beklagten, dass grundsätzlich alle klägerseitig vorgebrachten Umstände, die für die Bestätigung der Prognose sprechen könnten, Berücksichtigung gefunden haben.

 

b. Die Beklagten haben den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt, soweit sie beanstanden, seitens der Klägerin seien zur unfallchirurgischen Sprechstunde „tiefergehende und differenzierte Darlegungen zur Plausibilisierung“ erforderlich gewesen. Wie bereits erläutert, war die Klägerin im Rahmen ihres Schreibens vom 25. Juli 2019 wegen des vorliegenden Regelfalls nicht gehalten, den erstmals vorgetragenen Umstand „verstärkte Auslastung der unfallchirurgischen Sprechstunde“ mit detaillierten Angaben zu versehen. Vielmehr hätten die Beklagten – trotz eingeschränkter Amtsermittlungspflicht – die Klägerin zu ergänzendem Vortrag zu konkreten, aus Krankenkassensicht maßgeblichen Daten einmalig auffordern müssen, bevor sie auf diese fehlenden Angaben ihre Widerlegungsentscheidung stützen. Dass dem nicht der durch die Mm-R vorgegebene Zeitrahmen entgegensteht, hat der Senat bereits erläutert. Wären der weitere klägerseitige Vortrag aus Sicht der Beklagten immer noch unzureichend gewesen, hätten sie ihre Widerlegungsentscheidung darauf stützen dürfen.

 

c. Die Beklagten haben auch maßgebliche Umstände unzutreffend gewichtet.

 

aa. Die Beklagten haben zum einen die Bedeutung, die der Verwirklichung des Regelfalls nach § 136b Abs. 4 Satz 4 SGB V zukommt, verkannt. Es ist dem Bescheid vom 21. August 2019 schon nicht zu entnehmen, dass sie das Vorliegen des Regelfalls erkannt haben. Mangels entsprechender Ausführungen lässt sich der Bescheid aus der insoweit maßgeblichen Sicht eines objektiven Empfängers (BSG, Urteil vom 8. Oktober 2019 – B 1 A 1/19 R –, juris, Rn. 15, m.w.N.) nur dahin auslegen, dass das Vorliegen des Regelfalls nach Auffassung der Beklagten keinerlei Auswirkungen auf die Darlegungsobliegenheiten der Klägerin einerseits und die Begründungsobliegenheit für eine Widerlegung andererseits haben soll. Aufgrund dieser unzutreffenden Rechtsauffassung haben die Beklagten im o.g. Bescheid nicht erläutert, aufgrund welcher besonderen Umstände hier ein zur Entkräftung des Regelfalls erforderlicher atypischer Fall gegeben sein soll.

 

bb. Die Beklagten haben zum anderen den Fallzahlen der Quartale I und II/2019 zu hohe Bedeutung beigemessen, indem sie angenommen haben, dass der während dieser Quartale erfolgte „weitere Leistungsrückgang zur Prognose für 2020 besonders zeitnah liege und deshalb nach den Mm-R entsprechend aus der Ermittlung der Quartalszahlen für die prospektive Beurteilung besonders zu gewichten sei.“ Es trifft zwar zu, dass die Fallzahlen aus den ersten beiden Quartalen des jeweils laufenden Kalenderjahres im Hinblick auf die bis zum 15. Juli abzugebenden Prognose die zeitnächsten sind. Aus diesem Grund durfte sie der GBA – wie bereits dargelegt – als berücksichtigungsfähiges Kriterium bestimmen. Weder den Mm-R noch sonstigen rechtlichen Vorgaben lässt sich indes entnehmen (s.o.), dass diesen Zahlen ein besonderes Gewicht im Verhältnis zu anderen Umständen zukomme. Dies gilt umso mehr, wenn – wie hier – wegen eines Regelfalls nur atypische Umstände zur Widerlegung der Prognose geeignet sind.

 

d. Darüber hinaus haben die Beklagten mindestmengenrelevante Umstände unzutreffend bewertet. Die Einbeziehung dieser Umstände in die Gesamtbewertung hat zur Folge, dass diese aus Sicht des Senats als nicht nachvollziehbar zu beurteilen ist.

 

Soweit die Beklagten meinen, im Hinblick auf die Angaben der Klägerin zu den bisherigen und prognostizierten Leistungszahlen sei „nicht sicher […], ob die geplanten Eingriffe auch in vollem Umfang durchgeführt werden könnten“, verkennen sie in grundsätzlicher Weise den Charakter jeder Prognose. Es ist dem Wesen der Prognose immanent, dass der künftige Eintritt der prognostizierten Umstände unsicher ist; wäre der Eintritt sicher, läge keine Prognose mehr vor.

 

e. Angesichts dessen kann dahinstehen, ob auch die Ausfallzeiten der Operateure hätten berücksichtigt werden müssen. Offen lässt der Senat, ob urlaubsbedingte Abwesenheiten von mindestmengenrelevantem Krankenhauspersonal nicht als Teil der organisatorischen Verantwortung der Krankenhausträger generell unbeachtlich ist. Aus seiner Sicht lässt sich jedenfalls nicht von der Hand weisen, dass immer dann, wenn ein (Haupt-)Operateur seinen gesamten Jahresurlaub von (tarifvertraglich in der Regel) sechs Wochen – dies entspricht ungefähr der Dauer eines halben Quartals – in der ersten Hälfte eines Kalenderjahres genommen hat, allein dies eine höhere Fallzahl in der zweiten Jahreshälfte erwarten lässt. Voraussetzung hierfür sind allerdings genaue Angaben zur Anzahl der (Haupt- und „Neben“-)Operateure, zur Häufigkeit ihrer Heranziehung gerade zu Knie-TEP sowie zum Umfang ihrer vertraglich geschuldeten regelmäßigen Arbeitszeiten. Erst diese Angaben ermöglichen den Krankenkassen(-verbänden), die Prognose der Krankenhausträger, soweit sie mit personellen Ressourcen begründet werden, nachzuvollziehen. Entsprechende Angabe hat die Klägerin hier nicht gemacht, obwohl die Beklagten in ihrem Schreiben vom 22. Juli 2019 um die Mitteilung konkreter Umstände gebeten haben.

 

3. Der Senat kann offen lassen, ob der Bescheid vom 21. August 2019 auch wegen fehlender Ermessensausübung rechtswidrig ist.

 

a. Auch wenn die Krankenkassen(-verbände) begründete erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der vom Krankenhausträger getroffenen Prognose haben, räumte ihnen § 136b Abs. 4 Satz 6 SGB V (in der bis zum 19. Juli 2021 geltenden aF) hinsichtlich der Widerlegung Ermessen ein. Die in § 136b Abs. 4 Satz 6 SGB V (aF) verwendete Formulierung („…können….widerlegen“) ist nicht als Kompetenz-Kann zu verstehen, sondern verpflichtete die Krankenkassen(-verbände) zur Ausübung von Ermessen (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. August 2019 – L 1 KR 196/19 B ER –, juris, Rn. 26; Legde/Murawski, in: Hänlein/Schuler SGB V, 6.A., § 136b Rn. 10; Daum, in: Bergmann/Pauge/Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, 4. A., § 136b Rn. 9). Hierfür spricht insbesondere die m.W.z. 20. Juli 2021 erfolgte Änderung dieser Vorschrift durch Art. 1 Nr. 41 lit. c) bb) des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz – GVWG – vom 11. Juli 2021, BGBl. I, 2754), wonach u.a. das Wort „können“ durch das Wort „müssen“ ersetzt wurde. Der Gesetzgeber (BT-Drs. 19/26822, 92) wollte damit „ausdrücklich“ festlegen, dass die Krankenkassen(-verbände) „von den Krankenhausträgern übermittelte Prognosen für Krankenhausstandorte in ihrer Zuständigkeit widerlegen müssen, sofern begründete erhebliche Zweifel an deren Richtigkeit bestehen.“ Er hielt dies für erforderlich, weil der Eindruck bestanden habe, dass „Krankenkassen teilweise im Hinblick auf etwaige aufwändige Rechtsstreitigkeiten von dem Erlass des belastenden Verwaltungsaktes zur Widerlegung der Prognose Abstand genommen haben.“

 

b. Bei einem Streit über die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts, dessen Erlass im Ermessen der Behörde steht, hat das Gericht im Streitfall nach § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG zu prüfen, ob die Behörde die gesetzlichen Grenzen ihres Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat, und ob dadurch der Kläger in seinen Rechten verletzt worden ist (BSG, Urteil vom 7. Mai 2013 – B 1 KR 12/12 R –, juris, Rn. 12 m.w.N.). Ermessensfehlerhaft ist es, wenn die Behörde ihrer Pflicht zur Ermessensbetätigung überhaupt nicht nachgekommen ist (Ermessensnichtgebrauch) oder wenn ihr bei Ausübung des Ermessens Rechtsfehler unterlaufen sind (Ermessensfehlgebrauch). Dies ist anhand der in den angefochtenen Bescheiden angegebenen Ermessensgründe (§ 35 Abs. 1 Satz 3 SGB X) zu beurteilen (BSG, Urteil vom 30. März 2017 – B 2 U 10/15 R –, juris, Rn. 17, m.w.N.).

 

c. Für einen Ermessensnichtgebrauch könnte sprechen, dass den Ausführungen der Beklagten im Bescheid vom 21. August 2019 nicht zu entnehmen ist, dass sie sich eines Ermessenspielraums bewusst waren. Der Begriff „Ermessen“ wird nicht verwendet (zu diesem Erfordernis: BSG, Urteil vom 22. August 2000 – B 2 U 33/99 R –, Rn. 17 ff.). Für die Ausübung von Ermessen könnte sprechen, dass – nach anderer Rspr. des BSG (Urteil vom 8. Februar 2023 – B 5 R 2/22 R –, Rn. 27) – der Begriff „Ermessen“ nicht erwähnt werden muss und die Ausführungen der Beklagten zu den Erwerbsinteressen der Klägerin und der Versorgung der Bevölkerung als Ermessenserwägungen verstanden werden könnten.

 

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1 und 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreites.

 

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) zu-gelassen. Der Senat misst der Frage nach den Prüfungsmaßstäben für die Mindestmengenprognosen der Krankenhausträger und deren Widerlegung durch die Krankenkassen(-verbände) sowie nach den Auswirkungen eines Regelfalls i.S.v. § 136b Abs. 4 Satz 4 SGB V aF bzw. (wortgleich) § 136b Abs. 5 Satz 4 SGB V nF grundsätzliche Bedeutung auch für die seit dem 20. Juli 2021 geltende Fassung von § 136b SGB V bei.

 

Rechtskraft
Aus
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