L 11 R 124/19

Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 8 R 584/17
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
L 11 R 124/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Ein Steigerungssatz von 2% des Durchschnittsverdienstes nach § 35 Abs 1 der Renten-VO vom 23. November 1979 (Gbl der DDR I Nr 38 S 401) kann nach dem SGB VI nicht berücksichtigt werden.
2. Ein Rentenanspruch unter besonderer Berücksichtigung von ausgeübten bergmännischen Tätigkeiten nach § 23 Abs 1 Art 2 RÜG unterfälllt der Stichtagsregelung vom 1. Januar 1992 bis zum 31. Dezember 1996 (§ 1 Abs 1 Nr 3 RÜG). Diese Regelung unterliegt keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
3. Ein Leistungszuschlag nach § 85 SGB VI iVm §§ 61, 254a SGB VI setzt nachgewiesene Tätigkeiten unter Tage voraus. Auch diese Regelung ist verfassungsgemäß (vgl BVerfG, Beschluss vom 9. Oktober 2006, 1 BvR 1453/06, juris).
4. Ein höherer Rentenanspruch nach Art. 19 EinigVtr wegen einer Einstempelung "bergmännisch § 39 i" im Sozialversicherungsausweis ist ebenfalls ausgeschlossen, da diese nicht als Verwaltungsakt anzusehen ist. Die Einstempelung "bergmännisch § 39 i" lässt in der Auslegung keine verbindliche Rentenentscheidung oder einen bestimmten Rentensteigerungsfaktor erkennen. Sie ist daher nicht auf eine unmittelbare Rechtssetzung gerichtet, sodass ihr die Verwaltungsaktqualität fehlt (vgl § 31 Satz 1 SGB X). Aus gleichen Gründen scheidet auch eine Zusicherung nach § 34 Abs 1 SGB X aus.
5. Selbst wenn der Einstempelung "bergmännisch § 39 i" Verwaltungsaktqualität zukommen würde, lässt sich keine höhere Rente rechtfertigen. Insoweit fehlt es an einer dafür notwendigen konkreten Versorgungszusage zu einer höheren Rente bzw zu einem Steigerungsbetrag von 2%.

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der am ... 1951 geborene Kläger begehrt von der Beklagten die Neuberechnung seiner Rentenleistung nach dem Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) unter Berücksichtigung eines Steigerungsbetrages von 2 % für die in der ehemaligen DDR zurückgelegten bergmännnischen Tätigkeiten.

Nach dem vorgelegten Sozialversicherungsausweis arbeitete der Kläger ab 30. Oktober 1972 als Betriebsschlosser im Kesselhaus im VEB B. E. und übte dabei bergmännische Übertagetätigkeiten im Sinne des Rechts der ehemaligen DDR in der Braunkohleveredelung aus. Im Sozialversicherungsausweis des Klägers findet sich auf S. 64 eine Einstempelung „bergmännisch § 39 i“ sowie eine handschriftliche Eintragung „14 Jahre 4 Monate“ und „1972 – 31.12.1989 Instandhaltungsmechaniker im Kesselhaus“. Die Eintragung enthält Unterschriften des Leiters Arbeitsrecht und Klassifikation und vom VEB B. E. Rat für Sozialversicherung.

Am 6. März 2015 beantragte der Kläger, die Zeiten der knappschaftlichen Tätigkeit, die mit der Bezeichnung im Sozialversicherungsausweisbuch der DDR „bergmännisch i“ ausgewiesen wurden, mit dem Steigerungsfaktor 2 % statt dem Faktor 1,333 zu bewerten. Zur Begründung führte er aus, dass er insgesamt 17,6 Monate bergmännische Tätigkeiten in dem Veredelungsbetrieb VEB E. Betriebsteil M. ausgeübt habe. Am 12. Juni 2015 konkretisierte der Kläger seinen Antrag und begehrte festzustellen, dass er ab dem 30. Oktober 1972 knappschaftlich im Beitragsgebiet versichert gewesen sei und für die Zeit vom 30. Oktober 1972 bis zum 31. Dezember 1994 statt des Rentenartfaktors 1,333 einen Steigerungswert von 2 % erhalte. Mit Bescheid vom 8. Oktober 2015 erkannte die Beklagte für knappschaftliche Zeiten den erhöhten Rentenartfaktor an, lehnte jedoch den Steigerungsfaktor von 2 % ab. Die Übergangsvorschrift für Ansprüche nach den Bestimmungen des Beitrittsgebiets gemäß Art. 2 des Rentenüberleitungsgesetzes (RÜG) sei seit dem 31. Dezember 1996 ausgelaufen. Mit weiterem Bescheid vom 10. November 2015 bewilligte die Beklagte dem Kläger Altersrente für besonders langjährig Versicherte ab dem 1. Januar 2016 und legte dabei für knappschaftliche Zeiten einen Rentenartfaktor von 1,333 zugrunde.

Am 13. November 2015 ging bei der Beklagten der Widerspruch gegen den Bescheid vom 8. Oktober 2015 ein. Mit Schreiben vom 18. November 2015 wies die Beklagte darauf hin, dass zwischenzeitlich der Bescheid zur Altersrente für besonders langjährige Versicherte vom 10. November 2015 ergangen sei, der die Steigerung von 2 % unberücksichtigt gelassen habe. Es werde angeregt, den Widerspruch nicht gegen den Feststellungsbescheid vom 8. Oktober 2015, sondern gegen den Rentenbescheid vom 10. November 2015 zu richten. Mit einem am 14. Dezember 2015 eingegangenen Schreiben vom 9. Dezember 2015 teilte der Kläger mit, dass der Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid vom 8. Oktober 2015 auch als Widerspruch gegen den Altersrentenbescheid vom 10. November 2015 zu werten sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 18. August 2017 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 8. Oktober 2015 in Verbindung mit dem Bescheid vom 10. November 2015 zurück und führte zur Begründung aus: Die Berechnung der Rentenleistung sei nach den im geltenden Rentenrecht des SGB VI getroffenen Regelungen erfolgt. Soweit der Kläger einen besonderen Steigerungssatz um 2 % verlange, sei auf Folgendes hinzuweisen: Die Rentenverordnung (Renten-VO) der ehemaligen DDR vom 23. November 1979 habe in § 35 Abs. 1 zur Errechnung der monatlichen Bergmanns-Altersrente für jedes Jahr der bergbaulichen Versicherung einen Steigerungsbetrag von 2 % des Durchschnittsverdienstes (§ 5 Abs.1 Buchst. a Renten-VO) vorgesehen. Das im gesamten Bundesgebiet geltende Rentenrecht sei seit dem 1. Januar 1992 im SGB VI geregelt. Nach dem SGB VI bestehe keine Regelung, die es gestatte, den begehrten Steigerungssatz von 2 % bei der Rentenberechnung anzuwenden. Vom 1. Januar 1992 an hätten die Regelungen über den erhöhten Steigerungsbetrag nur noch für einen Übergangszeitraum bis zum 31. Dezember 1996 für die sogenannten „rentennahen Jahrgänge“ Bedeutung gehabt. Hiervon seien aber nur diejenigen Personen betroffen, die

„a) am 18.05.1990 ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Beitrittsgebiet hatten,

b) deren Rente in der Zeit vom 01.01.1992 bis 31.12.1996 begonnen hat und

c) welche die Anspruchsvoraussetzungen des Übergangsrechts erfüllten.“

Durch diese Übergangsregelung (Art. 2 RÜG) seien die nach ehemaligem DDR-Recht erworbenen Ansprüche der Sozialversicherung und der freiwilligen Zusatzrentenversicherung weiterhin garantiert. Im vorliegenden Fall habe bis zum 31. Dezember 1996 kein Anspruch auf eine Rentenleistung nach dem Recht der ehemaligen DDR bestanden. Vielmehr ergäben sich die Voraussetzungen auf eine Rentenleistung ausschließlich nach dem allein geltenden SGB VI ab dem Rentenbeginn vom 1. Januar 2016. Bei der Berechnung sei die nach § 64 SGB VI vorgegebene Rentenformel heranzuziehen. Danach ergebe sich der Monatsbetrag der Rente, wenn die durch Berücksichtigung des Zugangsfaktors (§ 77 SGB VI) festgestellten persönlichen Entgeltpunkte (§§ 66, 254d SGB VI) mit dem maßgeblichen Rentenartfaktor (§§ 67, 82 SGB VI) und dem aktuellen Rentenwert (§§ 68, 255 a SGB VI) vervielfältigt würden. Eine besondere Bewertung der bergbaulichen Versichertenzeiten werde nach dem Recht des SGB VI über den in § 82 SGB VI geregelten Rentenartfaktor vorgenommen. Soweit im weiteren die Anerkennung der zurückgelegten bergmännischen Tätigkeiten („bergmännisch i“) begehrt werde, sei auf Folgendes hinzuweisen: Bergmännische Tätigkeiten seien nach Art. 2 § 23 Abs. 1 RÜG Zeiten einer versicherungspflichtigen Beschäftigung, in denen Versicherte

„1. Untertagetätigkeiten und

2. Tätigkeiten, die in unmittelbarem Zusammenhang mit Aufschluss, Gewinnung, Aufbereitung und Verarbeitung der in Bergbaubetrieben gewonnenen Rohstoffe stehen und in der Anordnung Nr. 1 über den Katalog der bergmännischen Tätigkeiten vom 29. Mai 1972, geändert durch die Ergänzungen vom 12. Juni 1975, genannt sind, ausgeübt haben (sog. Tätigkeiten bergmännisch i).“

Die Vorschrift entspreche vom Regelungsinhalt her den Vorgängervorschriften des § 41 Abs. 1 der Ersten Durchführungsbestimmung zur Rentenverordnung vom 23. November 1979 (GBl S.413) sowie des § 21 Abs. 1 der Ersten Durchführungsbestimmung vom 15. März 1968 zur „Verordnung über die Gewährung und Berechnung von Renten der Sozialversicherung“ (GBl. II Nr. 29 S. 149). Es müsse daher geprüft werden, inwiefern Versicherte Beschäftigungszeiten zurückgelegt haben, die die Ermittlung von zusätzlichen Entgeltpunkten für ständige Arbeiten unter Tage (Leistungszuschlag gem. § 85 SGB VI) begründen. Ständige Arbeiten unter Tage im Beitrittsgebiet seien die vor dem 1. Januar 1992 überwiegend unter Tage ausgeübten Tätigkeiten (§§ 61, 254a SGB VI). Während der zurückgelegten Tätigkeiten seien beim Kläger ständige Arbeiten unter Tage nachweislich nicht verrichtet worden.

Hiergegen hat der Kläger am 15. September 2017 Klage beim Sozialgericht Halle (SG) erhoben und ergänzend ausgeführt: Die Nichtanerkennung des Steigerungsfaktors von 2 % für die festgestellten bergmännischen Zeiten führe zu einer zu geringen Altersrente. Er vertrete die Auffassung, dass die Stichtagsregelung im RÜG verfassungswidrig sei. Ein Rechtsanspruch ergebe sich daraus, dass die Einstempelungen im Sozialversicherungsausweis der DDR als Verwaltungsakt einer Rentenbehörde der DDR oder eines Organs zu werten seien. Diese seien bis zum 2. Oktober 1990 nicht zurückgenommen worden. In Art. 19 S. 1 des Einigungsvertrages (EV) werde wörtlich ausgeführt „vor dem Wirksamwerden des Beitritts ergangene Verwaltungsakte der Deutschen Demokratischen Republik bleiben wirksam“. Sollte die Beklagte die Verwaltungsaktqualität des Stempels „bergmännisch i“ bestreiten, werde auf das Urteil des BSG vom 29. Juli 1997, 4 RA 60/96 R verwiesen. In diesem Urteil habe das BSG unter Hinweis auf den Art. 19 des EV zugunsten des damaligen Antragstellers entschieden. Ähnlich wie im vorliegenden Fall sei auch dem Kläger eine Zusage erteilt worden, im Rentenfall einen Anspruch auf die Bergmannsrente zu haben. Dieser Anspruch sei noch nicht untergegangen. Auf Seite 64 des Sozialversicherungsausweises finde sich neben der Stempelung “bergmännisch § 39i“ der handschriftliche Vermerk 14 Jahre 4 Monate 1972 - 31.12.1989 sowie zwei Unterschriften.

Die Beklagte hat dagegen ausgeführt: Die Rechtsfrage sei höchstrichterlich bereits entschieden.

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 11. März 2019 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Der Kläger habe gegen die Beklagte keinen Anspruch auf eine Neuberechnung und Abänderung seiner Rentenleistung nach dem SGB VI mit einem Steigerungsbetrag von 2 % des Durchschnittsverdienstes nach § 35 Abs. 1 der Renten-VO vom 23. November 1979 (GBl. der DDR I. Nr. 38 Seite 401). Die Berücksichtigung eines nach dem Rentenrecht der ehemaligen DDR gewährten besonderen Steigerungsbetrages in einer Rentenleistung nach dem SGB VI komme grundsätzlich nicht in Betracht. Die Ersetzung von in der ehemaligen DDR erworbenen Ansprüchen und Anwartschaften durch eine einheitliche, ausschließlich aus der gesetzlichen Rentenversicherung nach dem SGB VI stammende Rentenleistung durch den gesamtdeutschen Gesetzgeber sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Der Kläger habe gegen die Beklagte keinen Anspruch auf die besondere Berücksichtigung seiner ausgeübten bergmännnischen Tätigkeiten nach § 23 Abs. 1 Art. 2 RÜG, da die Regelung des Art. 2 RÜG nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 nur dann anwendbar sei, wenn eine Rente zwischen dem 1. Januar 1992 und dem 31. Dezember 1996 tatsächlich begonnen habe (Stichtagsregelung). Dies sei beim Kläger nicht der Fall. Auch die Stichtagsregelung sei verfassungsgemäß. Der gesamtdeutsche Gesetzgeber sei nicht verpflichtet, Rentenleistungen nach dem Recht der ehemaligen DDR auf unbegrenzte Zeit aufrechtzuerhalten oder zu gewähren. Der Steigerungsbetrag von 2 % beruhe nicht auf eigenen Beitragsleistungen des Klägers. Die bessere Rentenleistung für Bergleute in der DDR habe ausschließlich auf den höheren Beitragszahlungen der bergbaulichen Betriebe zur Sozialversicherung beruht. Dieser Rechtsansicht folge auch das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (LSG) im Urteil vom 12. Dezember 2013, L 1 R 320/12, juris. Die Kammer schließe sich dieser Auffassung an.

Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf eine Zusicherung aufgrund der Eintragung im Sozialversicherungsausweis. Ein eigenständiger Rentenanspruch aufgrund einer Zusicherung der Sozialversicherung der ehemaligen DDR würde voraussetzen, dass dem Kläger im Wege einer Einzelfallentscheidung durch die Sozialversicherung der DDR ein bestimmter Rentenanspruch zugesichert worden sei. Aus der Einstempelung „bergmännisch § 39 i“ und der handschriftlichen Ergänzung „14 Jahre 4 Monate“ lasse sich kein Anspruch im Einzelfall herleiten. Damit habe nach dem Recht der DDR lediglich eine Zuordnung nach § 41 i der 1. DB zur Renten-VO „von Tätigkeiten, die in unmittelbarem Zusammenhang mit Aufschluss, Gewinnung, Aufbereitung und Verarbeitung der in den Bergbaubetrieben gewonnenen Rohstoff bestehen, wenn die Beschäftigten hierbei gesundheitsgefährdenden Einwirkungen ausgesetzt sind“ erfolgen sollen. Es fehle damit an einer Individualzusage über eine konkrete Rentenberechnung. Die Beklagte habe die vom Kläger nach dem Recht der ehemaligen DDR tatsächlich ab 30. Oktober 1972 zurückgelegten Zeiten der bergmännnischen Tätigkeiten zu Recht nur als Zeiträume der knappschaftlichen Versicherung im Beitragsbeitrittsgebiet gemäß § 248 Abs. 4 S. 1 SGB VI anerkannt und mit dem Rentenfaktor von 1,333 (§ 82 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI) jeweils richtig bei der Rentenberechnung berücksichtigt.

Der Kläger hat gegen den ihm am 25. März 2019 zugestellten Gerichtsbescheid am 18. April 2019 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat der Kläger ausgeführt: Er habe einen Rechtsanspruch darauf, dass die Berechnung der rentenrechtlichen Zeiten vom 29. Oktober 1972 bis zum 31. Dezember 1990 mit dem Steigerungssatz von 2 % zu erfolgen habe. Der Anspruch ergebe sich aus Art. 19 S. 1 des EV. Der Eintrag „bergmännisch i“ habe auch den Rechtscharakter eines Verwaltungsaktes. Die Einstempelung habe dabei nicht nur der Zuordnung in den Bereich des „bergmännisch i“ gedient, sondern habe auch seine Rentenansprüche begründen sollen. Dieser Verwaltungsakt sei bis zum heutigen Tage nicht aufgehoben worden und wirke daher weiterhin fort. Auf das RÜG komme es überhaupt nicht an.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Halle vom 11. März 2019 sowie die Bescheide der Beklagten vom 8. Oktober 2015 und 10. November 2015, beide in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. August 2017 abzuändern und die Zeiten vom 29. Oktober 1972 bis 31. Dezember 1990 mit einem Steigerungsfaktor von 2,0 % zu berücksichtigen und auf dieser Grundlage eine Neuberechnung der Altersrente vorzunehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie vertritt die Auffassung, dass der im Urteil des BSG vom 29. Juli 1997, 4 RA 60/96 zugrundeliegende Sachverhalt mit dem vorliegenden Verfahren unvergleichbar sei. Im Fall des BSG habe es konkrete Versorgungszusagen auf Leistung aus dem Zusatzversorgungssystem gegeben. Diese Fallkonstellation weiche daher von dem vorliegenden Sachverhalt entscheidend ab.

Der Kläger hat hierzu ausgeführt: Die Eintragung im Sozialversicherungsausweisbuch habe ein Recht begründet, welches er im Rentenverfahren nunmehr geltend machen könne. Der EV und auch das RÜG könnten diesen Anspruch auch nicht zum Erlöschen bringen. Insoweit werde nochmals auf das Urteil des BSG vom 29. Juli 1997, 4 RA 60/96 R verwiesen.

Der Senat hat die Beteiligten auf den Beschuss des Bundesverfassungsgerichtes vom 9. Oktober 2006, 1 BvR 1453/06 und das Urteil des Sächsischen LSG vom 19. Januar 2006, L 6 KN 89/04 hingewiesen.

Der Kläger hat dazu ausgeführt, dass ihm die Entscheidungen bekannt seien. Er stütze sein Begehren im Wesentlichen auf Art. 19 des EV. Beide Entscheidungen hätten sich damit nicht auseinandergesetzt. Insbesondere sei nicht geprüft worden, inwieweit die Einstempelung einen Verwaltungsakt darstelle. Er mache „verbriefte Rechte“ aus dem Sozialversicherungsausweis geltend. Die Zulassung der Revision werde beantragt.

Am 8. November 2021 haben der Kläger und am 9. November 2021 die Beklagte sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten ergänzend verwiesen. Diese sind Gegenstand der Beratung und der Entscheidungsfindung des Senats gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und gemäß §§ 153, 151 SGG auch form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und beschweren den Kläger nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG.

Der Gerichtsbescheid des SG vom 11. März 2019 ist rechtmäßig und in der Begründung überzeugend. Deshalb verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des SG in seinem Gerichtsbescheid und macht sich diese gemäß § 153 Abs. 2 SGG zu eigen. Ein Anspruch des Klägers auf den Steigerungsfaktor von 2 % kann aus dem RÜG nicht begründet werden. Der Kläger gehörte keinem rentennahen Jahrgang mit Rentenbeginn bis 31. Dezember 1996 an. Ein Leistungszuschlag nach § 85 SGB VI i.V.m. mit §§ 61, 254a SGB VI ist ebenfalls ausgeschlossen, da der Kläger während der zurückgelegten Tätigkeiten keine ständigen Arbeiten unter Tage im Sinne des SGB VI verrichtet hat. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig. Diese Gesetzeslage ist auch mit Blick auf Art. 14 und Art. 3 Grundgesetz verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 9. Oktober 2006, 1 BvR 1453/16, juris m.w.N.).

Der Kläger hat auch keinen Anspruch gemäß Art. 19 Satz 1 EV wegen der Einstempelung „bergmännisch § 39 i“ im Sozialversicherungsausweis. Nach Art. 19 Satz 1 EV bleiben vor dem Beitritt ergangene Verwaltungsakte der ehemaligen DDR wirksam. Dem EV kommt insoweit die Bedeutung eines Bundesgesetzes zu.

Die Einstempelung „bergmännisch § 39 i“ im Sozialversicherungsausweis des Klägers ist kein Verwaltungsakt nach § 31 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) (im Folgenden: 1.). Auch ist darin keine Zusicherung im Sinne des § 34 SGB X zu erkennen (im Folgenden: 2.). Selbst wenn die Einstempelung als Verwaltungsakt gewertet werden würde, ergibt die Auslegung des genauen Wortlautes der Einstempelung keinen Anspruch des Klägers auf den begehrten Steigerungsfaktor von 2 % (im Folgenden: 3.).             

1. Der Einstempelung „bergmännisch § 39 i“ fehlt bereits die Qualität eines Verwaltungsaktes.

Ein Verwaltungsakt gemäß § 31 Satz 1 SGB X setzt eine behördliche Entscheidung auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts mit unmittelbarer Rechtswirkung nach außen voraus. Die behördliche Maßnahme muss dabei zur Regelung eines Einzelfalles erfolgen. Dabei liegt eine Regelung erst vor, wenn die Behörde eine potentiell verbindliche Rechtsfolge gesetzt hat, d.h. durch die Maßnahme ohne weiteren Umsetzungsakt Rechte begründet, geändert, aufgehoben oder verbindlich festgestellt hat. Eine Regelung setzt voraus, dass die Behörde auch den Willen hat, verbindlich festzulegen, was für den Einzelnen rechtens sein soll (vgl. Engelmann in Schütze, SGB X, 9. Auflage 2020, § 31 Rdn. 40).

Die Abgrenzung zwischen einem verbindlichen Verwaltungsakt und einem unbeachtlichen bloßen Hinweis ist dabei durch eine Auslegung vorzunehmen (vgl. BSG, Urteil vom 8. Dezember 1993, 10 RKg 19/92, juris). Die Auslegung der Einstempelung „bergmännisch § 39 i“ hat dabei nach den für Willenserklärungen maßgeblichen Grundsätzen zu erfolgen (vgl. BSG a.a.O. m.w.N.). Dabei ist § 133 Bürgerliches Gesetzbuch heranzuziehen (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 13. Auflage 2020, Anhang § 54 Rdn. 3a). Hierbei ist das gesamte Verhalten des Erklärenden zu berücksichtigen; neben dem Erklärungswortlaut kommt es auch auf die Begleitumstände, insbesondere den Zweck der Erklärung an. Das danach maßgebende Gesamtverhalten des Erklärenden ist vom Standpunkt dessen zu bewerten, für den die Erklärung bestimmt ist. Maßgebend ist somit nicht der innere, sondern der erklärte Wille, wie ihn bei objektiver Würdigung der Empfänger verstehen konnte (BSG a.a.O.). Maßgebend ist also nicht, was die Verwaltung mit ihrer Erklärung gewollt hat, sondern wie der Empfänger sie verstehen durfte. Andererseits kann der Empfänger sich nicht darauf berufen, er habe die Erklärung in einem bestimmten Sinne verstanden, wenn diese objektiv - unter Berücksichtigung aller Umstände - nicht so verstanden werden konnte (BSG a.a.O.).

Danach hat die Einstempelung „bergmännisch § 39 i“ bereits keinen verbindlichen Regelungscharakter. Der Wortlaut der Einstempelung lässt keinen unmittelbaren Bezug für eine verbindliche Rentenentscheidung oder einen bestimmten Rentensteigerungsfaktor erkennen, sondern wäre von weiteren Entscheidungen (sog. Zwischenakten) der jeweiligen Behörde abhängig gewesen, die erst im Falle eines konkreten Rentenantrages für den Kläger in der Zukunft noch zu treffen gewesen wären. Aus der bloßen Einstempelung „bergmännisch § 39 i“ ergibt sich daher keine unmittelbare Rechtssetzung für einen Einzelfall. Dies zeigt sich exemplarisch daran, dass für den Fall, dass der Gesetzgeber der ehemaligen DDR den Steigerungsfaktor von 2 % erhöht oder abgesenkt hätte, die Einstempelung bedeutungslos gewesen wäre. In einem solchen Fall hätte es gerade an einer verbindlichen Einzelfallentscheidung gefehlt, um dieser fiktiven Rechtsänderung mit einem subjektiven Recht entgegentreten zu können. Es kann daher nicht, wie der Kläger meint, von einem „verbrieften Recht“ auf einen höheren Rentensteigerungsfaktor gesprochen werden.

2. Aus den unter Ziff. 1 genannten Gründen scheidet auch ein Anspruch auf eine Zusicherung gemäß § 34 Abs. 1 SGB X aus. Eine Zusage, einen bestimmten Verwaltungsakt zu erlassen, lag gerade nicht vor.

3. Auch wenn der Senat zugunsten des Klägers der Einstempelung „bergmännisch § 39 i“ entgegen den obigen Ausführungen, die Qualität eines Verwaltungsaktes (§ 31 Abs. 1 SGB X) oder einer Zusicherung (§ 34 SGB X) zuerkennen würde, ergebe sich kein anderes Ergebnis. Die Einstempelung hat zumindest keinen Erklärungswert in dem vom Kläger behaupteten Umfang und führt nicht dazu, dass ein Rentenfaktor von 2% anzuwenden ist.

Nach dem objektiven Empfängerhorizont ist der Erklärungsinhalt der Einstempelung „bergmännisch § 39 i“ inhaltlich darauf beschränkt, dass dem Kläger für den angegebenen Zeitraum vom Sozialversicherungsträger der DDR bestätigt wurde, einem Untertagetätigen gleichgesetzt zu werden. Diese Teilregelung war einer konkreten Versorgungszusage auf eine bestimmte Rentenhöhe und einen bestimmten Steigerungsfaktor keineswegs gleichzusetzen. Die Einstempelung hätte nach objektivem Empfängerhorizont dann lediglich dazu gedient, späteren Auseinandersetzungen, ob der Versicherte der Kategorie „bergmännisch i“ zugeordnet werden konnte, entgegenzuwirken und dies zwischen dem Versicherten und der Sozialversicherung der ehemaligen DDR endgültig zu klären. Für diesen begrenzten Erklärungsinhalt spricht auch die Verwendung des „§ 39“, der einen ausdrücklichen Bezug zu einer konkreten DDR-Vorschrift herstellte und damit gerade keine konkrete Rentenberechnung vornahm oder einen bestimmten Rentenfaktor zusagte. Ein Vertrauenstatbestand des Klägers auf eine bestimmte Rentenhöhe oder einen konkreten Steigerungsfaktor konnte sich daher auf der Grundlage der bloßen Einstempelung nach dem objektiven Empfängerhorizont nicht entwickeln.

Dies entspricht im Übrigen auch der Auslegung des Sächsischen Landessozialgericht im Urteil vom 19. Januar 2006 a.a.O. Rdn. 58, juris). Allenfalls in dem sehr begrenzten Umfang könnte die Einstempelung als Verwaltungsakt daher überhaupt Rechtswirkungen im Sinne von Art. 19 EV entfalten.

Auch der Verweis des Klägers auf das Urteil des BSG vom 29. Juli 1997, 4 RA 60/96, juris führt zu keiner anderen Bewertung. In dem vom BSG zu entscheidenden Fall hatte der damalige Kläger einen Versicherungsschein der Deutschen Versicherungsanstalt im Jahr 1968 erhalten. Dort wurde ihm bei Vollendung des 65. Lebensjahres bzw. bei Eintritt einer vorzeitigen Erwerbsunfähigkeit eine monatliche Rente in Höhe von 60 v.H. des im letzten Jahr vor Eintritt des Versorgungsfalles bezogenen durchschnittlichen monatlichen Bruttogehaltes, höchstens 800,00 Mark, zugesichert. Eine konkrete Versorgungszusage in bestimmter Höhe wie in dem vom BSG entschiedenen Fall ist mit der bloßen Einstempelung „bergmännisch § 39 i“ unvergleichbar, wie dies bereits die Beklagte zutreffend ausgeführt hat. Die Einstempelung „bergmännisch § 39 i“ kann selbst bei Annahme eines Verwaltungsaktes über den Art. 19 des EV daher nicht dazu führen, zu einer höheren Rente und einem Steigerungsfaktor von 2 % zu gelangen. Diesen Rückschluss lässt der Erklärungsinhalt der Einstempelung nicht zu.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor. Die Rechtslage ist durch die zitierten Entscheidungen des BVerfG und des BSG endgültig geklärt. Außerdem hat der Senat das Urteil des BSG vom 29. Juli 1997, 4 RA 60/96 beachtet.

 

Rechtskraft
Aus
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