L 1 KR 275/22

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1.
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 20 KR 105/21
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 275/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Im Streit steht die Höhe der von der Klägerin an die Beklagten zu entrichteten Beiträge zur freiwilligen gesetzlichen Kranken- und zur sozialen Pflegeversicherung für den Zeitraum vom 01. Februar 2019 bis zum 31. Dezember 2019.

Die Klägerin war bis zum 31. Januar 2019 als Beschäftigte pflichtversichert bei der Beklagten zu 1 (nachfolgend nur noch: „die Beklagte“). Anfang Dezember 1918 informierte die Klägerin diese über die geplante Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit. Die Beklagte übersandte daraufhin ein Antragsformular „Angaben für die freiwillige Versicherung als Selbständige“ vom 05. Dezember 2018. Das Schreiben enthielt auf seiner Seite 6 u. a. den Hinweis, dass für die Beitragsberechnung auch das Einkommen des Ehepartners herangezogen werde.

Mit Bescheid vom 28. Dezember 2018 setzte die Beklagte die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung vorläufig auf insgesamt 186,90 € fest auf der Grundlage der Angaben der Klägerin zu ihren geschätzten künftigen Einnahmen von monatlich 1.000,00 €. Da das geschätzte Einkommen unterhalb der Mindestbemessungsgrenze liege, seien die Beiträge aus diesem (Schätz-)Einkommen zzgl. der Differenz zum gesetzlich (fingierten) Mindesteinkommen bestimmt worden. Ein entsprechender Bescheid zur vorläufigen Beitragsfestsetzung für die Zeit ab 01. Juni 2019 erging am 14. November 2019, ein weiterer vom 03. Januar 2020 über insgesamt 191,10 € monatlich für die Zeit ab 01. Januar 2020.

Nachdem die Klägerin Angaben zu laufenden Einnahmen übermittelt hatte, setze die Beklagte mit Bescheid vom 30. Januar 2020 die Beiträge für die Zeit ab 01. Februar 2020 auf vorläufig 416,02 € monatlich fest. Erstmals berücksichtigte sie dabei das Einkommen des Ehemannes der Klägerin, der nicht gesetzlich krankenversichert ist. Ein entsprechender Bescheid zur vorläufigen Beitragspflicht erging unter dem 23. Dezember 2020 für die Zeit ab Dezember 2020 (ab Januar 2021 monatlich insgesamt 441,43 €).

Am 06. Januar 2021 reichte die Klägerin den Einkommenssteuerbescheid des Finanzamtes Oranienburg für sich und ihren Ehemann für das Jahr 2019 vom 20. August 2020 ein.

Die Beklagte setzte daraufhin mit Bescheid vom 10. Februar 2021 die Beiträge für die Zeit vom 01. Februar 2019 bis 31. Dezember 2019 endgültig auf 402,71 € monatlich fest, ferner die Beiträge für den Monat Januar 2020 auf vorläufig 188,44 €, für die Zeit vom 01. September 2020 bis zum 31. Dezember 2020 auf monatlich 416,02 €, für die Zeit vom 01. Januar 2021 bis zum 28. Februar 2021 auf monatlich 441,43 € sowie für die Zeit ab 01. März 2021 vorläufig auf 441,43 € monatlich.

Das halbe Familieneinkommen (Einkommen des Ehemanns abzgl. Absetzungsbetrages für Kinder) übersteige die halbe Beitragsbemessungsgrenze und sei deshalb für die Beitragsberechnung maßgeblich.

Hiergegen erhob die Klägerin am 11. Februar 2021 Widerspruch: Vor ihrem Sprung in die Selbständigkeit habe die Frage private oder freiwillige gesetzliche Krankenversicherung zur Auswahl gestanden. In der Filiale der Beklagten in Berlin-Tegel habe ihr eine Mitarbeiterin mitgeteilt, dass sie den Mindestbeitrag zahlen werde, soweit sie die selbständige Tätigkeit 20 Stunden in der Woche ausüben werde. Sofern sie nicht nur geringfügig selbständig tätig sei, werde das Gehalt des Ehemannes nicht mit herangezogen. Wenn sie gewusst hätte, dass das Gehalt des Mannes zu Grunde gelegt werde, hätte sie sich für die private Krankenversicherung entschieden.

Die Beklagte wies den Widerspruch für beide Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 22. Juni 2021 zurück. Zur Begründung führte sie u.a. aus, die Beiträge für freiwillig Versicherte seien nach § 240 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) einheitlich durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen geregelt. Dabei sei sicher zu stellen, dass die Beitragsbelastung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Mitglieds berücksichtige. Deshalb gälten als beitragspflichtige Einnahmen freiwilliger Mitglieder alle Einnahmen und Geldmittel, die zum Lebensunterhalt verbraucht würden oder verbraucht werden könnten, ohne Rücksicht auf ihre steuerliche Behandlung, § 3 der Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler, mindestens jedoch im Jahr 2019 einen Betrag in Höhe von monatlich 1.038,33 € bzw. 1.061,67 € im Jahr 2020 und 1.096,67 € im Jahr 2021, § 240 Abs. 4 S. 1 SGB V. Für Mitglieder, deren Ehegatte nicht einer gesetzlichen Krankenkasse angehöre, setzten sich die beitragspflichtigen Einnahmen aus den eigenen Einnahmen und den Einnahmen des Ehegatten zusammen. Auf die Einnahmen des Ehegatten seien die Grundsätze zur Bestimmung der beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder zur zeitlichen Zuordnung und Nachweisführung sinngemäß anzuwenden. Von den Einnahmen des Ehegatten sei für jedes gemeinsame unterhaltsberechtigte Kind, für das eine Familienversicherung nur wegen der Regelung des § 10 Abs. 3 SGB V nicht bestehe, monatlich ein Betrag in Höhe von ein Drittel der monatlichen Bezugsgröße abzusetzen. Für die Beitragsbemessung würden nacheinander die eigenen Einnahmen des Mitglieds und die Einnahmen des Ehegatten bis zur Hälfte der sich aus der nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Summe der Einnahmen berücksichtigt, höchstens bis zu einem Betrag in Höhe der halben Beitragsbemessungsgrenze, § 240 Abs. 5 SGB V und § 2 Abs. 4 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler. Das Bundessozialgericht (BSG) habe geurteilt, dass eine derartige Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder den vom Gesetzgeber gesetzten Rahmen entspreche. Es sei nicht gerechtfertigt, Mitglieder ohne eigene Einnahmen, deren Ehegatte nicht der Solidargemeinschaft der gesetzlichen Krankenversicherung angehöre und damit nicht zu einer Beitragsleistung herangezogen werde, unabhängig von den Einkommensverhältnissen des Ehegatten zu versichern. Letzterer stelle mit seinen Einnahmen den Lebensbedarf der gesamten Familie sicher, also auch den des gesetzlich Versicherten. Das Bruttoeinkommen des nichtversicherten Ehegatten könne auch dann mit herangezogen werden, wenn der Versicherte eigene Einkünfte habe, wenn das Einkommen des nichtversicherten Ehegatten das Familieneinkommen und damit zugleich die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Versicherten erhöhe. Dies verstoße nicht gegen höherrangiges Recht und auch nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz (Bezugnahme u.a. auf BSG, Urteil vom 28. September 2011 – B 12 KR 9/10 R). Entsprechendes gelte auch für die Beitragsbemessung in der sozialen Pflegeversicherung nach § 57 Abs. 4 S. 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch i. V. m. § 1 Abs. 2 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler.

Die Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruch seien auch bei einer unterstellten fehlerhaften Beratung nicht erfüllt. Ein solcher Anspruch sei nicht auf einen Schadensersatz in Geld ausgerichtet, sondern auf die Vornahme einer Handlung zur Herstellung einer von Gesetz vorgesehenen sozialrechtlichen Position, die bestehen würde, wenn der Leistungsträger seine Auskunfts-, Beratungs- und Betreuungspflichten ordnungsgemäß erfüllt hätte. Eine andere als die gesetzlich vorgesehene Beitragseinstufung sei nicht möglich. Die Geltendmachung eines Schadens sei auf dem Zivilrechtsweg zu verfolgen.

Hiergegen hat die Klägerin am 15. Juli 2021 Klage vor dem Sozialgericht Neuruppin (SG) erhoben. Zu deren Begründung hat sie vorgebracht, es fehle bereits an einer Rechtsgrundlage für die Aufhebung der vorhergehenden Festsetzungsverfügungen, die nicht vorläufig ergangen seien. Es fehle den Bescheiden auch an einer Begründung. Zu ihren Gunsten seien die Grundsätze des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches anzuwenden. Die Art und Weise der Verletzung der Aufklärungspflichten durch die Beklagte erfülle den Tatbestand des Betruges mit Täuschung, Vermögensverfügung und entstandenem Vermögensschaden.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 28. Juni 2022 abgewiesen. Das interessengerecht auszulegende Begehren der Klägerin sei darauf gerichtet, die mit dem Bescheid der Beklagten vom 10. Februar 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Juni 2021 verfügte Beitragsfestsetzungen dahin zu ändern, dass die Beiträge zur freiwilligen gesetzlichen Kranken- und zur sozialen Pflegeversicherung im Zeitraum vom 01. Februar 2019 bis zum 31. Dezember 2019 ohne Berücksichtigung der Einnahmen des Ehegatten festzusetzen seien. Die insoweit zulässigen Klagen seien zulässig, jedoch unbegründet aus den von der Beklagten im Widerspruchsbescheid dargestellten Gründen. Die Beklagte hätte insbesondere zu Recht darauf verwiesen, dass die Beitragsfestsetzung zunächst lediglich vorläufig erfolgt sei. Zu Recht habe die Beklagte auch einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch verneint und die Klägerin auf die Geltendmachung einer Amtshaftungsklage verwiesen.

Gegen diese am 29. Juni 2022 zugestellte Entscheidung richtet sich die Berufung der Klägerin vom 29. Juli 2022.

Zu deren Begründung wiederholt sie ihr bisheriges Vorbringen. Es fehle eine Rechtsvorschrift, aufgrund der ursprüngliche Beitragsbescheid für die Vergangenheit habe aufgehoben werden können. Eine nur vorläufige Beitragsfestsetzung ergebe sich aus dem Bescheid nicht. Das Einkommen des Ehemannes sei nicht zu berücksichtigen, weil ein Beratungsverschulden vorliege, dass über einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch hinaus beachtlich sei. Ihr sei ein Schaden entstanden, weil die Beiträge entgegen der ursprünglichen Auskunft nicht ca. 191,00 € monatlich betrügen, sondern rückwirkend 441,00 € pro Monat. Die Beratung durch die Beklagte müsse nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz richtig, unmissverständlich und umfassend sein. Da die Klägerin um Beratung ersucht habe, wäre die Beklagte verpflichtet gewesen, richtige Antworten zu geben. Der ihr entstandene Nachteil könne ausgeglichen werden, indem die Einnahmen des Ehemannes im streitgegenständlichen Zeitraum unberücksichtigt blieben. Jedenfalls könnten die Beklagten keine Nachzahlung verlangen und keinesfalls Zinsen. Der ursprüngliche Festsetzungsbescheid vom 28. Dezember 2018 setze die Beiträge nicht (nur) vorläufig fest.

 

Die Klägerin beantragt der Sache nach,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Neuruppin vom 28. Juni 2022 sowie den Bescheid der Beklagten vom 10. Februar 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Juni 2021 aufzuheben und die Beklagten zu verurteilen, die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge der Klägerin für den Zeitraum Februar 2019 bis Dezember 2019 ohne Berücksichtigung des Einkommens des Ehemanns zu berechnen.

Die Beklagten beantragen,

           die Berufung zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Es konnte im schriftlichen Verfahren und durch den Berichterstatter alleine entschieden werden, §§ 155 Abs. 3, 4, § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Alle Beteiligten haben sich schriftsätzlich mit einer solchen Vorgehensweise einverstanden erklärt. Gründe, von dieser Ermächtigung keinen Gebrauch zu machen, sind nicht ersichtlich.

Der Berufung bleibt Erfolg versagt. Der streitgegenständliche Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Das Sozialgericht hat die Klage deshalb zutreffend abgewiesen. Zur Begründung wird zur Vermeidung bloßer Wiederholungen auf die Ausführungen im angegriffenen Gerichtsbescheid verwiesen, § 153 Abs. 4 SGG sowie auf die oben ausführlich dargestellte Begründung der Beklagten im Widerspruchsbescheid (§ 136 Abs. 3 SGG).

Ergänzend ist nur noch auszuführen:

Bereits das erste Schreiben der Beklagten zur etwaigen freiwilligen Krankenversicherung enthält den Hinweis auf die Relevanz der Einnahmen eines Ehegatten, soweit dieser nicht gesetzlich krankenversichert ist. Aus diesem Grund scheidet ein zurechenbares Vertrauen der Klägerin in die Richtigkeit der zunächst vorläufig nur nach ihren eigenen Einnahmen erfolgte Bescheide zur vorläufigen Beitragspflicht aus. Zu Recht sind die Einnahmen des Ehegatten mit herangezogen worden (vgl. hierzu näher LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. August 2023 – L 1 KR 205/23 BER).

Wie mittlerweile zwischen den Beteiligten auch unstreitig ist, enthielten die vorläufigen Beitragsbescheide jeweils einen Hinweis auf die vorläufige Gültigkeit. Sie erledigten sich damit mit Erlass des endgültigen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis in der Sache.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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