S 28 KA 188/22

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 28 KA 188/22
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Nach der Herbeiführung einer Schwangerschaft durch künstliche Befruchtung ist § 24e SGB V Grundlage für die Verordnung eines Arzneimittels mit dem Wirkstoff Progesteron.

 

I. Der Bescheid der Beklagten vom 30.03.2022 wird aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, den Regressantrag der Beigeladenen zu 2. abzuweisen.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Die Berufung wird zugelassen.


T a t b e s t a n d :

Zwischen den Beteiligten ist die Verordnung des Arzneimittels Prolutex zu Lasten der GKV streitig. Die beklagte Prüfungsstelle hat gegen das klägerische MVZ im Quartal 3/2020 einen Nachforderungsbetrag i.H.v. 201,92 € festgesetzt. Die Klägerin ist Trägerin des MVZ A-Stadt, dessen ärztlicher Leiter K1.ist.

Die 1979 geborene Patientin R. ließ im klägerischen MVZ eine künstliche Befruchtung (In-vitro-Fertilisation), mit Embryotransfer am 08.06.2020 durchführen. Die Kosten hierfür stellte das klägerische MVZ der Patientin privat in Rechnung. Am 03.07.2020 stellte K1.die Frühgravidität bei der Patientin fest. Am selben Tag verordnete er der Patientin zweimal zwei Einheiten Prolutex 25 mg Injektionslösung.

Die Beigeladene zu 2. stellte am 18.11.2021 Prüfantrag wegen der Verordnung von Prolutex (Quartal 3/2020) (§ 27 Prüfungsvereinbarung). Beigefügt waren die zwei Verordnungen von K1.vom 03.07.2020. Der Antrag wurde damit begründet, dass das Arzneimittel nur im Rahmen einer künstlichen Befruchtung eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung sei. Für die Versicherte liege der Beigeladenen zu 2. kein Antrag auf Kostenübernahme für eine künstliche Befruchtung vor. Dementsprechend sei kein Behandlungsplan nach § 27a Abs. 3 SGB V genehmigt worden. Die Versicherte habe zudem das zulässige Höchstalter für die Kostentragung einer künstlichen Befruchtung durch die Krankenkasse zum Verordnungszeitpunkt bereits überschritten. Es bestehe daher keine Leistungspflicht der Beigeladenen zu 2.

Die Beklagte informierte die Klägerin mit Schreiben vom 29.11.2021 und wies auf die Möglichkeit, schriftlich Einspruch einzulegen, hin.

Die klägerische Bevollmächtigte erhob mit Schreiben vom 04.01.2022 Einspruch gegen die beantragte Rückforderung. Bei Prolutex handele es sich als Schwangerschaftshormon sowohl um ein Medikament, welches die Auslösung der Schwangerschaft unterstütze als auch um ein Medikament, welches die eingetretene Schwangerschaft sichere. Die Verabreichung des Medikaments nach Eintritt der Schwangerschaft und bis zur zwölften Schwangerschaftswoche ziele daher nicht mehr auf die Auslösung einer Schwangerschaft im Sinne des § 27a SGB V ab. Dementsprechend richte sich die Leistungspflicht der GKV nach den allgemeinen Regeln der §§ 24c bis f SGB V.

Mit Prüfbescheid vom 30.03.2022 gab die Beklagte dem Antrag der Beigeladenen zu 2. statt und setzte einen Nachforderungsbetrag i.H.v. 201,92 € fest. Die Verordnung von Prolutex zulasten der GKV sei unzulässig gewesen. Das verschreibungspflichtige Arzneimittel Prolutex enthalte den Wirkstoff Progesteron. Progesteron sei notwendig, um die Empfänglichkeit des Endometriums für die Implantation eines Embryos zu erhöhen. Nach der Implantation eines Embryos halte Progesteron die Schwangerschaft aufrecht. Das Arzneimittel sei indiziert zur Unterstützung der Lutealphase im Rahmen eines Behandlungsprogramms zur assistierten Reproduktion (ART) bei infertilen erwachsenen Frauen, die Vaginalpräparate nicht anwenden können oder nicht vertragen. Es werde einmal täglich 25 mg injiziert ab dem Tag der Eizellgewinnung, in der Regel bis zur zwölften Woche einer bestätigten Schwangerschaft. Die Prüfungsstelle gehe davon aus, dass das Arzneimittel indikationsgerecht eingesetzt worden sei. Die Krankenkasse zweifele den indikationsgerechten Einsatz auch nicht an. Als assistierte Reproduktion werde die ärztliche Hilfe zur Erfüllung des Kinderwunsches eines Paares durch medizinische Hilfen und Techniken bezeichnet, wenn nicht zu erwarten sei, dass dieser Kinderwunsch auf natürlichem Wege erfüllt werden könne. Zu dieser assistierten Reproduktion gehörten der intratubare Gametentransfer (GIFT), der intratubare Zygotentransfer (ZIFT) und intratubare Embryotransfer (EIFT), die In-vitro-Fertilisation mit Embryotransfer (IVF und ET) und die intrazytoplasmatische Spermatozoeninjektion (ICSI) sowie verwandte Methoden. Gemäß § 27a Abs. 1,3 SGB V umfassten die Leistungen zur Krankenbehandlung auch medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft, wenn diese Maßnahmen nach ärztlicher Feststellung erforderlich seien. Vor Beginn der Behandlung sei der Krankenkasse ein Behandlungsplan zur Genehmigung vorzulegen. Der Krankenkasse sei jedoch vor Beginn der Behandlung kein Plan zur Genehmigung der Kostenübernahme vorgelegt worden. Auch in der ärztlichen Stellungnahme seien keine Angaben zum Behandlungsplan gemacht worden. Nach § 27a Abs. 3 Satz 1 SGB V hätten nur Versicherte Anspruch auf Sachleistungen, die das 25. Lebensjahr vollendet haben; der Anspruch bestehe nicht für weibliche Versicherte, die das 40. Lebensjahr und für männliche Versicherte, die das 50. Lebensjahr vollendet hätten. Die streitgegenständlichen Verordnungen erfolgten zugunsten der Patientin, die im Quartal 3/2020 das 40. Lebensjahr bereits vollendet hatte. Die Anspruchsvoraussetzungen nach § 27a SGB V seien nicht gegeben. Eine Verordnung zulasten der GKV sei damit grundsätzlich ausgeschlossen. Auch die vom Arzt vorgebrachten Argumente änderten an diesen Feststellungen nichts. Die Behandlung sei als Teil einer IVF zu sehen. Im vorliegenden Fall sei eine Kostendifferenz nicht zu berücksichtigen, da es kein konkret gegenzurechnendes Arzneimittel geben könne.

Die Klägerin hat am 20.04.2022 Widerspruch eingelegt; die Beklagte hat im Einvernehmen mit der Klägerin den Widerspruch an das SG München weitergeleitet. Die Klägerin hat darauf verwiesen, dass streitgegenständlich die Verordnung des Arzneimittels Prolutex nach Feststellung und Eintritt der Schwangerschaft sei. Mit Feststellung und Eintritt der Schwangerschaft ziele die Behandlung nicht mehr auf die Herbeiführung einer Schwangerschaft ab, so dass die Sonderregelungen zur künstlichen Befruchtung gem. § 27a SGB V nicht greifen würden. Der Anwendungsbereich der Norm sei nicht mehr eröffnet. Entgegen der Auffassung der Prüfungsstelle komme es nicht darauf an, ob die Behandlungsmaßnahme Bestandteil der In-vitro-Fertilisation sei oder nicht, sondern ob sie der Herbeiführung einer Schwangerschaft diene. Die Verordnung des Arzneimittels Prolutex nach Eintritt der Schwangerschaft stelle eine Behandlungsmaßnahme während der Schwangerschaft dar. Die Versorgung mit Arzneimitteln richte sich nach § 24e SGB V. Das Hormon Progesteron sei entscheidend an der Entwicklung und Erhaltung der Schwangerschaft beteiligt. Ein Kausalzusammenhang zur Schwangerschaft sei somit gegeben. Die Verordnung sei zudem zulassungskonform erfolgt. Die zeitliche Trennung in Zeiten vor und nach Eintritt der Schwangerschaft sei zulässig und von der Richtlinie zur Entnahme und Übertragung von menschlichen Keimzellen oder Keimzellgewebe im Rahmen der assistierten Reproduktion als auch dem EBM vorgegeben. Der Behandlungsfall der künstlichen Befruchtung (Reproduktionsfall) sei mit Eintritt der Schwangerschaft abgeschlossen.

Die Klägerin beantragt:

Der Bescheid der Beklagten vom 30.03.2022 wird aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, den Regressantrag der Beigeladenen zu 2. abzuweisen.


Die Beklagte beantragt die Klage abzuweisen.

Die Beklagte weist darauf hin, dass das Arzneimittel indikationsgerecht im Rahmen eines Behandlungsprogramms zur assistierten Reproduktion eingesetzt worden sei. Sie ist der Auffassung, dass das Behandlungsprogramm zur assistierten Reproduktion auch den Zeitraum nach Eintritt der Schwangerschaft umfasst. Dies ergebe sich auch aus den Angaben in der Fachinformation. Eine Trennung des Behandlungsprogramms in Zeiten vor und nach Eintritt der Schwangerschaft erscheine fragwürdig. Das Behandlungsprogramm zur assistierten Reproduktion sei als einheitlicher Vorgang zu verstehen. Die Verordnung des Arzneimittels erfolge vor und nach Eintritt der Schwangerschaft im Rahmen des Behandlungsprogramms. Da vorliegend das Behandlungsprogramm zur assistierten Reproduktion nicht zulasten der GKV zulässig gewesen sei, seien auch die beiden Verordnungen des Arzneimittels zulasten der GKV unzulässig. Folge man aber der Rechtsauffassung der Klägerseite, wären die vorliegenden Verordnungen nicht zulassungskonform erfolgt. Vielmehr läge dann ein zulasten der GKV unzulässiger off-Label-use vor. Das Arzneimittel sei ausschließlich im Rahmen eines Behandlungsprogramms zur assistierten Reproduktion bei infertilen erwachsenen Frauen zugelassen.

Die Beigeladenen stellen keine Anträge.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid vom 30.03.2022 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Beklagte ist verpflichtet, den Regressantrag der Beigeladenen zu 2. abzuweisen.

Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der fristgemäß gem. §§ 87 Abs. 1 Satz 1, 91 SGG eingelegten Klage liegen allesamt vor.

Die Klage ist auch begründet.

Gem. § 106 Abs. 1 SGB V überwachen die Krankenkassen und die Kassenärztlichen Vereinigungen die Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Versorgung durch Beratungen und Prüfungen.

In § 27 der "Prüfungsvereinbarung vom 03.11.2016 über das Verfahren zur Überwachung und Prüfung der Wirtschaftlichkeit durch die Prüfungsstelle und den Beschwerdeausschuss Ärzte Bayern nach § 106 Abs. 1 Satz 2 und § 106b Abs. 1 Satz 1 SGB V" (im Folgenden: PV) (in der Fassung des 2. Nachtrags mit Gültigkeit ab 01.10.2018) ist das Verfahren bei der Geltendmachung von Nachforderungsansprüchen einer Krankenkasse gegen eine Praxis u.a. wegen der Verordnung von Arzneimitteln, die von der Verordnung ausgeschlossen sind, geregelt. Macht eine Krankenkasse bei der Prüfungsstelle Nachforderungsansprüche gegen eine Praxis u.a. wegen der Verordnung von Arzneimitteln, die von der Verordnung ausgeschlossen sind, geltend, leitet die Prüfungsstelle das Nachforderungsbegehren zeitnah nach Prüfung an die Praxis weiter. Erklärt die Praxis ihr Einverständnis hierzu, veranlasst die Prüfungsstelle den Einbehalt des Nachforderungsbetrages durch die KVB, die diesen dann an die Krankenkasse abführt. Der Antrag nach Satz 1 soll zur Verfahrensbeschleunigung innerhalb von zehn Monaten nach Abschluss des Verordnungsquartals gestellt werden, spätestens bis zum Ablauf der Ausschlussfrist von 4 Jahren (§ 27 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 PV).

Bedenken hinsichtlich der formalen Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheids bestehen nicht. Dass die Beigeladene zu 2. nicht innerhalb von zehn Monaten nach Abschluss des Verordnungsquartals den Nachforderungsanspruch geltend gemacht hat, ist unerheblich, da diese Frist nur der Verfahrensbeschleunigung dienen soll und keine subjektiven Rechte zugunsten des Vertragsarztes begründet. Die zweijährige Ausschlussfrist (§ 106 Abs. 3 Satz 3 SGB V) wurde eingehalten.

Der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten ist jedoch in materiellrechtlicher Hinsicht zu beanstanden. Das Arzneimittel Prolutex war vorliegend nicht von der Verordnung ausgeschlossen.

Prolutex enthält den Wirkstoff Progesteron. Progesteron ist ein natürlich vorkommendes weibliches Sexualhormon. Das Arzneimittel wirkt auf die Gebärmutterschleimhaut und hilft, schwanger zu werden und schwanger zu bleiben.
Prolutex wird im Rahmen eines Behandlungsprogramms zur assistierten Reproduktion bei Frauen angewendet, die zusätzliches Progesteron benötigen und
Vaginalpräparate nicht anwenden können oder nicht vertragen. Die empfohlene Dosierung beträgt lt. Gebrauchsinformation eine Injektion von 25 mg täglich. Die Behandlung wird in der Regel bis zum Ende von Woche 12 einer bestätigten Schwangerschaft (d. h. über 10 Behandlungswochen) fortgesetzt.

Das Arzneimittel wurde bei der Patientin R. indikationsgerecht eingesetzt. Es wurde nach Durchführung einer künstlichen Befruchtung im Rahmen der Weiterbehandlung durch das klägerische Kinderwunschzentrum verordnet. Darauf, dass der Behandlungsplan bezüglich der Maßnahmen der vorhergehenden künstlichen Befruchtung nicht von der Beigeladenen zu 2. genehmigt und die Kosten der künstlichen Befruchtung nicht hälftig von der Beigeladenen zu 2. getragen wurden, kommt es nicht an. Es bestehen seitens der Kammer keine Zweifel, dass das Arzneimittel im Rahmen eines Behandlungsprogramms zur assistierten Reproduktion bei der Patientin R. verordnet wurde.

Zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Verordnungen lag eine bestätigte Schwangerschaft der Patientin vor.

Zur Überzeugung der Kammer kann bei Vorliegen einer Schwangerschaft ein Verordnungsausschluss nicht, wie dies die Beklagte getan hat, auf die fehlenden Voraussetzungen gem. § 27a SGB V gestützt werden. Der Anwendungsbereich des § 27a SGB V würde in diesem Fall - auch zu Lasten der Versicherten - überschritten werden.

Gem. § 27a Abs. 1 SGB V umfassen die Leistungen der Krankenbehandlung auch medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft, wenn

1. diese Maßnahmen nach ärztlicher Feststellung erforderlich sind,
2. nach ärztlicher Feststellung hinreichende Aussicht besteht, daß durch die Maßnahmen eine Schwangerschaft herbeigeführt wird; eine hinreichende Aussicht besteht nicht mehr, wenn die Maßnahme drei Mal ohne Erfolg durchgeführt worden ist,
3. die Personen, die diese Maßnahmen in Anspruch nehmen wollen, miteinander verheiratet sind,
4. ausschließlich Ei- und Samenzellen der Ehegatten verwendet werden und
5. sich die Ehegatten vor Durchführung der Maßnahmen von einem Arzt, der die Behandlung nicht selbst durchführt, über eine solche Behandlung unter Berücksichtigung ihrer medizinischen und psychosozialen Gesichtspunkte haben unterrichten lassen und der Arzt sie an einen der Ärzte oder eine der Einrichtungen überwiesen hat, denen eine Genehmigung nach § 121a erteilt worden ist. Gem. § 27a Abs. 3 Satz 1 SGB V besteht Anspruch auf Sachleistungen nach Absatz 1 nur für Versicherte, die das 25. Lebensjahr vollendet haben; der Anspruch besteht nicht für weibliche Versicherte, die das 40. und für männliche Versicherte, die das 50. Lebensjahr vollendet haben. Vor Beginn der Behandlung ist der Krankenkasse ein Behandlungsplan zur Genehmigung vorzulegen (§ 27a Abs. 3 Satz 2 SGB V). Die Krankenkasse übernimmt 50 vom Hundert der mit dem Behandlungsplan genehmigten Kosten der Maßnahmen, die bei ihrem Versicherten durchgeführt werden (§ 27a Abs. 3 Satz 3 SGB V).

Die Vorschrift des § 27a Abs. 1 SGB V bezieht sich auf "medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft". Damit sind alle Maßnahmen der künstlichen Befruchtung gemeint, die zur Herbeiführung einer Schwangerschaft notwendig sind. Da die Leistungen den natürlichen Zeugungsakt ersetzen sollen, erstrecken sie sich auf alle medizinisch-technischen Verrichtungen, die den Zeugungsakt (teilweise) substituieren (Knispel in: Rolfs/Giesen/Meßling/Udsching, BeckOK Sozialrecht, Stand 01.09.2024, § 27a Rn. 24). Mit dem Bezug auf den natürlichen Zeugungsakt ist auch eine zeitliche Begrenzung der Maßnahmen auf einen Zyklus der Frau vorgegeben (Fahlbusch in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., Stand: 15.06.2020, § 27a Rn. 58).

Die Behandlung der Versicherten R. mit dem Arzneimittel Prolutex aufgrund der Verordnungen vom 03.07.2020 diente nicht der Herbeiführung der Schwangerschaft, sondern dem Erhalt der durch die künstliche Befruchtung bereits herbeigeführten Schwangerschaft.

Die Kammer verkennt nicht, dass ohne die Gabe von Progesteron im Anschluss an die künstliche Befruchtung der Erfolg der Schwangerschaft in Frage gestellt werden würde und deshalb die Maßnahmen der künstlichen Befruchtung und die Progesteronbehandlung nach Bestätigung der Schwangerschaft aus medizinischer Sicht in einem engen Zusammenhang stehen.

Der Wortlaut des § 27a Abs. 1 SGB V ist jedoch eindeutig und umfasst nur medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft. Medizinische Maßnahmen nach Herbeiführung einer Schwangerschaft durch künstliche Befruchtung werden damit von der Vorschrift des § 27a SGB V ausdrücklich nicht erfasst.

Folgerichtig wird auch in den Richtlinien über künstliche Befruchtung des GBA unter Nr. 12 "Umfang der Maßnahmen" die Behandlung mit Progesteron nach Herbeiführung der Schwangerschaft nicht erwähnt.

Nach alledem kann ein Verordnungsausschluss nicht mit Hinweis auf den nicht erfüllten Tatbestand des 27a Abs. 1, 3 SGB V begründet werden.
 
Vielmehr ist Rechtsgrundlage der streitgegenständlichen Verordnungen § 24e Satz 1 SGB V. Danach hat die Versicherte während der Schwangerschaft und im Zusammenhang mit der Entbindung Anspruch auf Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil-, Hilfsmitteln und digitalen Gesundheitsanwendungen. Hierunter fallen Verordnungen, die wegen sog. Schwangerschaftsbeschwerden erforderlich werden und die noch keinen eigenständigen Krankheitswert haben (Pitz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., Stand: 18.07.2024, § 24e Rn. 4). Auch bei der streitgegenständlichen Hormonbehandlung geht es in Abgrenzung zu § 27 SGB V um die Behandlung eines Zustandes, der keinen eigentlichen Krankheitswert hat.

Somit bestand bezüglich der zwei Verordnungen von Prolutex gem. § 24e Satz 1 SGB V eine Leistungspflicht im System der gesetzlichen Krankenversicherung. Das Arzneimittel Prolutex war damit nicht von der Verordnung ausgeschlossen.

Die Klage ist deshalb begründet.

Die Kostenentscheidung basiert auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Berufung war wegen grundsätzlicher Bedeutung gem. § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen.

 

Rechtskraft
Aus
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