Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 06.02.2024 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung eines pauschalen Wohngruppenzuschlages für den Zeitraum von September 2021 bis einschließlich April 2023.
Der Kläger ist bei der Beklagten gesetzlich pflegeversichert und erhält von ihr seit November 2020 Leistungen nach dem Pflegegrad 1 und seit November 2022 nach dem Pflegegrad 2. Er stellte am 15.09.2021 einen Antrag auf Zahlung des Wohngruppenzuschlags in Höhe von 214,00 €. Der Kläger trug vor, er lebe mit mindestens zwei weiteren pflegebedürftigen Personen in einer gemeinsamen Wohnung mit häuslicher pflegerischer Versorgung. Die Wohnung sei durch eine Wohnungs- oder Haustür verschlossen, sie sei vom Freien, von einem Treppenhaus oder einem Vorraum zugänglich. Das Bad, die Küche und der Aufenthaltsraum könnten von allen Bewohnern jederzeit genutzt werden. In der gemeinsamen Wohnung lebten insgesamt 3 Bewohner. Die Wohngruppe habe gemeinschaftlich den Sohn des Klägers,Herrn P., beauftragt, organisatorische und verwaltende Tätigkeiten zu erbringen.
Herr P. bewohnte bis zu deren Tod mit seiner Ehefrau H. eine Doppelhaushälfte. Der Kläger bewohnt mit seiner Ehefrau – Frau S. – die andere Doppelhaushälfte. Beide Doppelhaushälften sind mit einer Durchgangstür verbunden.
Mit Bescheid vom 22.12.2021 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers ab. Er habe keinen Anspruch auf den Wohngruppenzuschlag, weil er nicht mit mindestens zwei weiteren Personen in einer ambulant betreuten Wohngruppe in einer gemeinsamen Wohnung zum Zweck der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung lebe. Das Zusammenleben innerhalb eines Familienverbundes (z.B. Eltern mit Kindern, Pflegschaftsverhältnisse) verfolge nicht den Zweck der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung in einer gemeinsamen Wohnung. Nach der Intention des Gesetzes solle die selbstorganisierte Versorgung innerhalb einer Wohngruppe gefördert werden. Von daher komme in diesen Fällen eine Zahlung des Wohngruppenzuschlages nicht in Betracht. Vielmehr werde innerhalb eines Familienverbundes durch die familiäre Prägung der Verbundenheit der Zweck der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung überlagert. Auch der Begriff der Wohngruppe bzw. Wohngemeinschaft im Allgemeinen, der als „das Zusammenleben mehrerer nicht verwandter Personen“ definiert werde, bestätige den Ausschluss.
Der Kläger erhob gegen diesen Bescheid am 26.12.2021 Widerspruch. Zur Begründung führte er insbesondere an, dass er mit seiner Ehefrau, seiner Schwiegertochter und seinem Sohn in einer Wohngemeinschaft wohne und somit die Wohngruppe aus 3 Pflegebedürftigen bestehe. Das Zusammenleben verfolge sehr wohl den Zweck der gemeinschaftlichen Versorgung. Diese bestehe z. B. in gemeinsamem Kochen und Einnehmen der Mahlzeiten. Dass sie miteinander verwandt seien, spreche nicht gegen das Vorliegen einer Wohngruppe im Sinne des Gesetzes. Auch der Umstand, dass sein Sohn nicht pflegebedürftig sei, stehe dem Anspruch nicht entgegen. Es sei nicht Voraussetzung, dass alle Bewohner pflegebedürftig seien.
Mit Widerspruchsbescheid vom 23.03.2022 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Das Bundessozialgericht habe in seinem Urteil vom 02.02.2016 ausgeführt, dass Familienverbünde nicht generell von der Gewährung des Wohngruppenzuschlags ausgeschlossen seien. Der maßgebliche Wohnzweck der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung einer ambulant betreuten Wohngruppe in einer gemeinsamen Wohnung könne - neben anderen Wohnzwecken - auch beim Zusammenleben in einem familiären Wohnverbund vorliegen. Diese Zweckrichtung sei im Einzelfall jedoch anhand der inneren und äußeren Umstände im Rahmen einer Gesamtwürdigung festzustellen. Da der Wohngruppenzuschlag nicht die Aufstockung der Leistungen der häuslichen Pflege bezwecke, sondern der Entwicklung und Stärkung neuer Wohn- und Betreuungsformen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung diene, sei Voraussetzung für seine Gewährung, dass die Wohngruppe zusätzliche Strukturen aufweise, die über die pflegerische Versorgung der Bewohner im eigenen häuslichen Wohnbereich hinausgingen. Dies sei hier nicht erkennbar. Der Kläger werde von seinem Sohn gepflegt. Dieser sei auch als Pflegeperson für die Ehefrau des Klägers und dessen eigene Ehefrau, die Schwiegertochter des Klägers, angegeben worden. Aus den vorliegenden Unterlagen gehe nicht hervor, dass und gegebenenfalls welche zusätzlichen Aufgaben er für den Kläger, die Ehefrau des Klägers sowie dessen Schwiegertochter übernehme. Aus dem Betreuungsvertrag gehe lediglich hervor, dass er organisatorische und verwaltende Aufgaben übernehmen solle. Des Weiteren bestehe ein Anspruch nur, wenn eine Person durch die Mitglieder der Wohngruppe gemeinschaftlich beauftragt ist, unabhängig von der individuellen pflegerischen Versorgung allgemeine organisatorische, verwaltende, betreuende oder das Gemeinschaftsleben fördernde Tätigkeiten zu verrichten oder die Wohngruppenmitglieder bei der Haushaltsführung zu unterstützen. Eine gemeinschaftliche Beauftragung existiere jedoch nicht, wenn durch die einzelnen Bewohner jeweils einzelvertraglich eine Person beauftragt werde. Selbst wenn alle Auftraggeber dieselbe Person beauftragten, läge rechtlich betrachtet nicht ein Vertrag mit einem Auftraggeber vor, sondern eine Vielzahl von Verträgen mit einer Vielzahl von Auftraggebern. Hier hätten der Kläger, die Ehefrau des Klägers und dessen Schwiegertochter jeweils einzeln seinen Sohn, Herrn P., in insgesamt drei Betreuungsverträgen vom 15.09.2021 mit organisatorischen und verwaltenden Aufgaben beauftragt, wobei diese Verträge lediglich von den jeweiligen Pflegebedürftigen, nicht jedoch von der beauftragten Person unterschrieben worden seien. Somit liege keine gemeinschaftliche Beauftragung von Herrn P. vor. Schließlich lebe der Kläger mit seiner pflegebedürftigen Ehefrau unter der postalischen Adresse J.-straße in L.. Seine ebenfalls pflegebedürftige Schwiegertochter wohne hingegen unter der Adresse J.-straßeain L.. Aus den Pflegegutachten gehe hervor, dass es sich jeweils um eine Doppelhaushälfte handele, wobei der Kläger und seine Ehefrau in der einen Doppelhaushälfte lebten und seine Schwiegertochter mit ihrem Ehemann in der anderen Doppelhaushälfte. Damit liege keine gemeinsame Wohnung vor, in der mindestens drei und höchstens zwölf Personen in einer ambulant betreuten Wohngruppe lebten. Der Kläger lebe lediglich zusammen mit seiner Ehefrau in dem Haus J.-straße in Ibbenbüren und damit mit nur einer weiteren pflegebedürftigen Person. Das Gesetz sehe jedoch vor, dass mindestens drei und höchstens zwölf Pflegebedürftige in der Wohngruppe zusammenlebten.
Der Kläger hat am 14.04.2022 Klage erhoben, mit der er die Gewährung des pauschalen Wohngruppenzuschlages begehrt. Zur Begründung hat er im Wesentlichen angeführt, das Bad, die Küche und der Aufenthaltsraum könnten von allen Bewohnern jederzeit genutzt werden. Sein Sohn, der Zeuge P., sei der Leiter der Wohngruppe. Das Zusammenleben innerhalb eines Familienverbundes (z.B. Eltern mit Kindern, Pflegschaftsverhältnisse) verfolge auch den Zweck der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung in einer gemeinsamen Wohnung. Intention des Gesetzes sei die Förderung der selbstorganisierten Versorgung innerhalb einer Wohngruppe. Gleichwohl – das gebe auch der ausgefüllte Fragebogen vor – sei mit der Verwaltung und Organisation der Zeuge P. beauftragt worden. Also dürfe nicht auf eine strenge Selbstorganisation der Gruppe (ohne Leiter) abgestellt werden. Der Familienverbund überlagere durch die familiäre Prägung der Verbundenheit nicht den Zweck der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung. Soweit die Beklagte im Widerspruchsbescheid rüge, dass der Zeuge P. die drei Betreuungsverträge nicht unterzeichnet habe, dürfte dies unbeachtlich sein, zumal er die Unterschrift jederzeit nachholen könne. Es dürfe sich also um eine bloße „Förmelei“ handeln. Auch der Vorhalt, dass wegen der Verträge keine gemeinschaftliche Beauftragung des Zeugen P. erfolgt sei, sei verfehlt. In den drei Erklärungen vom 15.09.2021 werde ausdrücklich auf die Wohngruppe J.-straße / N01 verwiesen. Die drei Verträge bildeten eine Einheit; man müsse sie zusammenlesen, zumal der Wortlaut identisch sei. Durch Auslegung lasse sich ermitteln, dass eine gemeinsame Beauftragung des Zeugen P. durch alle drei Pflegebedürftige erfolgen sollte. Familienverbünde seien laut der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Die Wohngruppe müsse laut BSG zusätzliche Strukturen aufweisen, die über die pflegerische Versorgung der Bewohner hinausgingen. Der Zeuge P. führe folgende Tätigkeiten aus:
- Die Koordinierung von Terminen für Ärzte und Therapien.
- Die Abwicklung des gesamten Schriftverkehrs mit Versicherungen und Behörden und alle Bankgeschäfte für alle drei Bewohner.
- Einkäufe für das tägliche Leben.
- Gemeinsame Ausflüge mit Hilfe von Rollator bzw. Rollstuhl.
- Besorgungen bei Apotheken.
- Verwaltende Tätigkeiten in Gestalt der Begleitung des Betreuungsdienstes durch die Fa. T. für Frau H..
- Begleitung der Wassertherapie im Schwefelbad A. durch Hilfe beim Aus- und Ankleiden.
Die Verbindungstüren im Erdgeschoss und im Keller seien nie abgeschlossen und stünden immer offen. Mittags würden die Mahlzeiten gemeinsam eingenommen – und zwar mal in der Küche J.-straße und mal in der Küche J.-straßea. Auch das gemeinsame Kaffeetrinken finde mal hier und mal dort statt – entweder in der Küche oder auf der Terrasse. Es gebe drei Terrassen, die alle nutzen würden. Auch der Garten nebst Pool und Whirlpool werde von allen Mitgliedern der Wohngruppe gemeinsam genutzt. Die Heizung laufe zentral. Auch der Strom laufe über einen Zähler.
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 22.12.2021 in Gestalt der Widerspruchsentscheidung der Beklagten vom 23.03.2022 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm Leistungen wegen Wohngruppenzuschlag nach § 38 a SGB XI für den Zeitraum von September 2021 bis einschließlich April 2023 zu bewilligen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung hat sie insbesondere auf den Inhalt der Verwaltungsakte verwiesen. Zudem hat sie erwidert, dass das Zusammenleben mehrerer Pflegebedürftiger innerhalb eines Familienverbundes nach Aussage des BSG (Urteil vom 18.02.2014 – B 3 P 5/14 R) nicht generell ein Ausschlusskriterium sei. Der Wohngruppenzuschlag erfordere jedoch auch bei Familienverbünden eine besondere Struktur. Diese sei im Einzelfall anhand der inneren und äußeren Umstände im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu prüfen. Die bloße Aufrechterhaltung der jeweiligen Lebensgestaltung nach Eintritt der Pflegebedürftigkeit sei nicht geeignet, die nach der gesetzlichen Regelung erforderliche Zweckbestimmung einer gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung zu begründen. Im vorliegenden Sachverhalt sei der Wohnzweck nicht die gemeinschaftlich organisierte pflegerische Versorgung, sondern vielmehr das Zusammenleben in einer Familie. Die vorliegenden Informationen über die Art des Zusammenlebens (Wohnen in zwei Doppelhaushälften mit jeweils eigener Anschrift; gemeinsame Nutzung beider Küchen, der Terrassen sowie des Gartens; Verbindungstür zwischen beiden Häusern) zeichneten das Bild eines Familienverbundes, der in zwei Nachbarhäusern zusammenlebe, wobei sich der Zeuge P. bemühe, seine pflegebedürftigen Angehörigen - neben seiner eigenen vollzeitigen Berufstätigkeit - zu versorgen und zu unterstützen. Eine gemeinschaftliche Beauftragung einer sogenannten Präsenzkraft liege hier jedenfalls nicht vor.
Der Zeuge P. nehme seine Aufgaben kraft seiner "Stellung" als Ehemann und Sohn und nicht aufgrund eines ihm von den übrigen Familienmitgliedern erteilten Auftrags wahr. Die Übernahme der Verpflichtungen als Sohn beziehungsweise als Ehemann wurzele nicht in einer gemeinschaftlichen Beauftragung, sondern vielmehr in seiner Rolle innerhalb der Familie.
Mit Urteil vom 06.02.2024 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten sei nicht rechtswidrig. Der Kläger habe keinen Anspruch auf zusätzliche Leistungen der Pflegeversicherung gemäß § 38a Abs. 1 SGB XI. Die beiden Voraussetzungen der Norm lägen nicht vor. So lebe der Kläger schon nicht mit seiner Ehefrau und der Schwiegertochter in einer gemeinsamen Wohnung. Zwar sei der Begriff der gemeinsamen Wohnung weit auszulegen. Jedoch sei die Wohnanlage vorliegend so gestaltet, dass sich jeder einzelne Bewohner „praktisch selbstständig“ versorge. Die Wohnsituation lasse ein gemeinschaftliches Leben in Gemeinschaftsräumen nicht in nennenswertem Maße zu.
Darüber hinaus sei der Zeuge P. auch keine Präsenzkraft im Sinne des § 38a Abs. 1 Nr. 3 SGB XI. Zwar sei dieser nicht schon allein aufgrund des Umstandes, dass er der Sohn des Klägers sei, als Präsenzkraft ausgeschlossen. Eine von den familiären Pflichten abgrenzbare organisatorische, verwaltende oder betreuende Tätigkeit liege aber nicht vor. Im Vordergrund der Tätigkeit des Zeugen P. habe vielmehr die Entlastung der Pflegebedürftigen von diesen Tätigkeiten gestanden.
Der Kläger hat gegen das ihm am 14.02.2024 zugestellte Urteil am 05.03.2024 Berufung eingelegt. Zur Begründung führt er aus, das Sozialgericht habe verkannt, dass die Wohnsituation ein gemeinschaftliches Leben in Gemeinschaftsräumen zulasse. Beide Wohneinheiten seien mit einer Verbindungstür im Erdgeschoss und im Keller miteinander verbunden. Zudem habe das Sozialgericht die inneren und äußeren Umstände der Beauftragung des Zeugen P. als Präsenzkraft nicht umfassend berücksichtigt und gewürdigt. Seine Aufgaben seien hinreichend klar zu erkennen gewesen und von der Erfüllung rein familiärer Belange und individueller pflegerischer Versorgung abgrenzbar.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 06.02.2024 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22.12.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.03.2022 zu verurteilen, ihm Leistungen gemäß § 38a SGB XI für den Zeitraum September 2021 bis einschließlich April 2023 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte beruft sich auf ihr erstinstanzliches Vorbringen. Die Tätigkeiten des Zeugen P. seien nicht in der notwendigen besonderen Art und Weise klar bestimmt und von der Erfüllung rein familiärer Aufgaben abgrenzbar.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen P. und S.. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift vom 05.09.2024 verwiesen.
Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 02.10.2024 und die Beklagte mit Schriftsatz vom 27.09.2024 einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
A. Der Senat kann durch Urteil ohne mündliche Verhandlung gemäß § 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 SGG entscheiden, nachdem sich die Beteiligten hiermit übereinstimmend einverstanden erklärt haben.
B. Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist nicht begründet.
Das Sozialgericht hat die zulässig erhobene Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 SGG) des Klägers auf Gewährung von Leistungen nach § 38a SGB XI zurecht abgewiesen.
In zeitlicher Hinsicht reicht das Begehren des Klägers von dem Monat der Antragstellung, also von September 2021 bis einschließlich April 2023. Durch den Tod der Schwiegertochter des Klägers im April 2023 waren auch nach dem Vortrag des Klägers ab diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen für Leistungen nach § 38a Abs. 1 SGB XI nicht mehr erfüllt.
Der Bescheid der Beklagten vom 22.12.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.03.2022 ist nicht rechtswidrig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Die Voraussetzungen für die Gewährung eines Wohngruppenzuschlages gemäß § 38a Abs. 1 SGB XI liegen nicht vor. Pflegebedürftige haben gemäß § 38a Abs. 1 SGB XI Anspruch auf einen pauschalen Zuschlag in Höhe von 214 Euro monatlich, wenn sie (1) mit mindestens zwei und höchstens elf weiteren Personen in einer ambulant betreuten Wohngruppe in einer gemeinsamen Wohnung zum Zweck der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung leben und davon mindestens zwei weitere Personen pflegebedürftig im Sinne der §§ 14, 15 sind, (2) sie Leistungen nach den §§ 36, 37, 38, 45a oder § 45b beziehen, (3) eine Person durch die Mitglieder der Wohngruppe gemeinschaftlich beauftragt ist, unabhängig von der individuellen pflegerischen Versorgung allgemeine organisatorische, verwaltende, betreuende oder das Gemeinschaftsleben fördernde Tätigkeiten zu verrichten oder die Wohngruppenmitglieder bei der Haushaltsführung zu unterstützen und (4) keine Versorgungsform einschließlich teilstationärer Pflege vorliegt, in der ein Anbieter der Wohngruppe oder ein Dritter den Pflegebedürftigen Leistungen anbietet oder gewährleistet, die dem im jeweiligen Rahmenvertrag nach § 75 Abs. 1 für vollstationäre Pflege vereinbarten Leistungsumfang weitgehend entsprechen.
Ob – wie das Sozialgericht ausführt – schon die Anforderungen an die wohnliche Situation vorliegend nicht erfüllt sind, kann letztlich dahinstehen. Denn zur Überzeugung des Senats fehlt es schon an einer Person im Sinne des § 38a Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB XI, die durch die Mitglieder der Wohngruppe gemeinschaftlich beauftragt ist, unabhängig von der individuellen pflegerischen Versorgung allgemeine organisatorische, verwaltende, betreuende oder das Gemeinschaftsleben fördernde Tätigkeiten zu verrichten oder die Wohngruppenmitglieder bei der Haushaltsführung zu unterstützen.
Die Mitglieder der Wohngruppe müssen gem. Abs. 1 Nr. 3 gemeinschaftlich eine Person beauftragen, die unabhängig von der individuellen pflegerischen Versorgung allgemeine organisatorische, verwaltende, betreuende oder das Gemeinschaftsleben fördernde Tätigkeiten verrichtet oder die Wohngruppenmitglieder bei der Haushaltsführung unterstützt. Was den Umfang dieser Tätigkeiten angeht, spricht die Begründung des Gesetzes zur Neuausrichtung der Pflegeversicherung (Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz – PNG) von „Präsenzkraft“ (BT-Drucks. 17/9369, S. 41), was die Begründung des Pflegestärkungsgesetzes I (PSG I) (BT-Drucks. 18/2379, S. 6) aufgreift. Inhaltlich ist das mögliche Tätigkeitsfeld weit gefasst: Es kann organisatorische, verwaltende, betreuende, das Gemeinschaftsleben fördernde oder hauswirtschaftliche Tätigkeiten umfassen. Anders als in der Vorgängerfassung sind pflegerische Tätigkeiten nicht mehr genannt, sondern die genannten Tätigkeiten sollen explizit unabhängig von der individuellen pflegerischen Versorgung allgemein erbracht werden und der Wohngruppe zugutekommen (s. BT-Drucks. 19/4453, S. 100 zur Präzisierung des Abs. 1 Nr. 3 durch das PpSG; Roth in: Hauck/Noftz SGB XI, 2. Ergänzungslieferung 2024, § 38a SGB XI, Rn. 13).
Was den Umfang der Tätigkeit angeht, ergibt sich aus dem Wortlaut kein Hinweis. Die Begründung spricht nach wie vor von Präsenzkraft (BT-Drucks. 17/9369, S. 41; BT-Drucks. 18/2379, S. 6). Der Umfang der Tätigkeit muss nicht für alle Wohngruppen gleich, sondern kann ihren Bedürfnissen angepasst sein. Diese Bedürfnisse werden maßgeblich beeinflusst von der Größe der Wohngruppe, dem Hilfebedarf der einzelnen Mitglieder, für den der Pflegegrad ein Indikator ist, der Unterstützung durch Angehörige usw. Außerdem haben kleinere Gruppen einen geringeren finanziellen Spielraum. Trotzdem muss die gemeinschaftlich beauftragte Person regelmäßig, in angesichts ihrer Aufgaben ausreichender Dauer in der Wohngruppe präsent sein. Das können bei kleinen Wohngruppen zwei Stunden täglich sein; die Stunden können sich auch über die Woche verteilen, allerdings sollte die Person nach Nr. 3 dann jedenfalls an drei Tagen in der Wohngruppe anwesend sein. Bei großen Wohngruppen mit zwölf Mitgliedern sollte die Person in der Regel mindestens halbtägig anwesend sein. Jedoch hat das BSG mit Urteil vom 10.09.2020 (B 3 P 2/19 R) auch festgehalten, dass die Festlegung der konkreten Aufgaben im Sinne der Alternativen des § 38a zwingende Voraussetzung sei. Dies sei nötig, um sicherzustellen, dass sich die zu erledigenden Aufgaben der beauftragten Person deutlich von der individuell benötigten pflegerischen Versorgung unterscheiden. Auch dürfe keine solche personelle/vertragliche Symbiose der zusätzlichen Versorgung mit pflegerischen Leistungen bestehen, die die Abgrenzung zur stationären Vollversorgung nicht mehr gewährleisten würde (BSG, Urteil vom 10.09.2020 – B 3 P 2/19 R, juris Rn. 28). Ein Anspruch auf Wohngruppenzuschlag nach § 38a scheidet demnach aus, wenn es an der Festlegung der konkreten, von der Präsenzkraft zu übernehmenden Aufgaben fehlt (LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 27.06.2022 – L 6 P 19/16, BeckRS 2022, 15264 Rn. 27 ff.; Roth in: Hauck/Noftz SGB XI, 2. Ergänzungslieferung 2024, § 38a SGB XI, Rn. 16).
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 27.06.2024 – B 3 P 2/23 R) können auch Familienverbünde ambulant betreute Wohngruppen in diesem Sinne sein (vgl. auch BSG, Urteil vom 18.02.2016 – B 3 P 5/14 R, BSGE 120, 271 = SozR 4-3300 § 38a Nr 1, Rn. 15 ff, 30). Allerdings sind bei familiär miteinander verbundenen Wohngruppenmitgliedern an die erforderliche Objektivierung des inneren Zwecks der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung nach außen hin besondere Anforderungen zu stellen, zumal der Gründung einer familiären Wohngruppe - anders als im Fall des Abschlusses von Verträgen mit einem Anbieter der Wohngruppe oder Dritten - typischerweise kein nach außen erkennbarer Akt zugrunde liegt. Regelmäßig erfolgt diese Objektivierung durch die gemeinschaftliche Beauftragung einer Person und Festlegung ihrer konkreten Tätigkeiten zur Erfüllung des Wohnzwecks der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung. So kann mit Blick auf die gewollte zu fördernde individuelle Vielfalt der möglichen Wohngruppen (vgl. BSG, Urteil vom 10.09.2020 – B 3 P 2/19 R) die gemeinschaftlich beauftragte Person auch ein dem Haushalt angehöriger Familienangehöriger sein. Die festgelegten Tätigkeiten und vereinbarten Aufgaben einer solchen gemeinschaftlich beauftragten Person müssen indes erst recht in besonderer Weise klar bestimmt sein und sich als zusätzliche Tätigkeiten zweifelsfrei von der Erfüllung rein familiärer Aufgaben und solchen der individuellen pflegerischen Versorgung abgrenzen, weil der zweckgebundene Wohngruppenzuschlag als zusätzliche Leistung der Pflegeversicherung nicht eine schlichte Aufstockung von individuellen Pflegeleistungen bewirken soll. Auch wenn keine strengen, überhöhten Anforderungen an den Wohngruppenzuschlag zugunsten pflegebedürftiger Menschen zu stellen sind, insbesondere auch keine besonderen Anforderungen an die Form oder das Zustandekommen der gemeinschaftlichen Beauftragung, ist dieses Aufstockungsverbot zu beachten, um eine Inanspruchnahme zusätzlicher Geldleistungen der Pflegeversicherung ohne zusätzliche Leistungen gegenüber den Pflegebedürftigen zu verhindern; mit Blick hierauf ist die gemeinschaftliche Beauftragung einer Person nach wie vor eine zentrale Voraussetzung für den Wohngruppenzuschlag.
Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ist für den Senat vorliegend eine ausreichende Objektivierung des inneren Zwecks der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung nach außen hin nicht ersichtlich.
Dabei kann dahinstehen, dass die Mitglieder der Wohngemeinschaft keine gemeinschaftliche schriftliche Vereinbarung mit dem Zeugen P. über die konkreten Tätigkeiten als Präsenzkraft geschlossen haben. Da der Zeuge P. nicht nur mit den Mitgliedern der Wohngemeinschaft verwandtschaftlich verbunden, sondern auch Teil der Wohngemeinschaft war, dürfen an die Beauftragung keine zu hohen formalen, der Lebenswirklichkeit nicht entsprechenden Anforderungen gestellt werden. Allerdings fehlt es zur Überzeugung des Senats an einer hinreichenden Abgrenzung zwischen typischerweise familiären Aufgaben und den Aufgaben, die von einer Präsenzkraft im Sinne des § 38a Abs. 1 SGB XI durchzuführen sind.
Im Rahmen der Zeugenvernehmung hat der Zeuge P. ausgeführt, er habe unter anderem Arzttermine vereinbart, Bankgeschäfte für die Mitglieder der Wohngemeinschaft erledigt, Termine neu koordiniert, „den Pflegegrad oder den GdB beantragt“. Zwar verkennt der Senat nicht, dass die Summe dieser Tätigkeiten – wenn sie für drei Personen erledigt werden – mitunter zu einer deutlichen Mehrbelastung führen kann. Allerdings ergibt sich aus der Aufzählung der Tätigkeiten gerade auch, dass es für den Zeugen P. kein klar abgrenzbares Tätigkeitsprofil gab und er vielmehr die unmittelbar anfallenden Tätigkeiten erledigt hat, wobei er auch keine konkreten zeitlichen Vorgaben hatte. Zwar hat er angegeben, auch während der Arbeitszeit Telefonate für die Wohngemeinschaft geführt zu haben oder auch gelegentlich den Arbeitsplatz verlassen zu haben, um Aufgaben für die Wohngemeinschaft auszuführen. Eine Abgrenzung des Tätigkeitsfeldes des Zeugen von typischerweise familiären Aufgaben ist in einer Gesamtschau nicht erkennbar. Die seitens der Rechtsprechung geforderte und sich aus der Gesetzesbegründung ergebende notwendige Objektivierung und Abgrenzbarkeit der Tätigkeiten nach außen hin soll sicherstellen, dass für Außenstehende – also insbesondere für die Beklagte, die für die Gewährung des Zuschlags zuständig ist – erkennbar ist, welche konkreten Tätigkeiten mit welchem konkreten Aufwand die Präsenzkraft für die Wohngemeinschaft erfüllt. Andernfalls wird die Beauftragung der Präsenzkraft dem Gesetzeszweck, nämlich der Förderung des gemeinschaftlichen Zusammenlebens in der Wohngemeinschaft nicht gerecht. Erledigt die beauftragte Person wie hier vor allem die gerade anfallenden Aufgaben für die einzelnen Mitglieder der Wohngemeinschaft und tut sie das je nach zeitlicher Dringlichkeit oder Verfügbarkeit, so nutzt die Wohngemeinschaft zwar die Hilfe dieser Person. Es kann aber nicht ausreichend objektiviert werden, dass diese Person mit einem klar abgrenzbaren Aufgabenkreis gemeinschaftlich von den Mitgliedern der Wohngemeinschaft beauftragt worden ist. Eine von der höchstrichterlichen Rechtsprechung geforderte Festlegung konkreter Aufgaben (vgl. BSG, Urteil vom 27.06.2024 – B 3 P 2/23 R) der beauftragten Personen – unabhängig von einem nicht bestehenden Schriftformerfordernis – fehlte vorliegend. Ohne klar bestimmte und zweifelsfrei abgrenzbare zusätzliche Aufgaben und Tätigkeiten eines haushaltsangehörigen Familienmitglieds, das zugleich Pflegeperson pflegebedürftiger Familienmitglieder ist, haben diese keinen Leistungsanspruch auf den zusätzlichen Wohngruppenzuschlag (vgl. BSG, Urteil vom 27.06.2024 – B 3 P 1/23 R, BeckRS 2024, 22055 Rn. 14). Vielmehr erfüllte der Zeuge auch nach seinem eigenen Bekunden die jeweils anfallenden Aufgaben, aber nicht konkret zugewiesene Tätigkeiten.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den Bekundungen der Zeugin S., die ausgeführt hat, dass es keine verbindliche Auflistung der Aufgaben des Zeugen P. für die Wohngemeinschaft gegeben hat. Sie hat weiter ausgeführt, dass sich die Übernahme von Aufgaben durch den Zeugen P. mit der Zeit entwickelt habe.
Sinn und Zweck des Wohngruppenzuschlages ist nicht zuletzt auch, dass jene Aufwendungen zweckgebunden abgegolten werden, die der Wohngruppe durch die gemeinschaftliche Beauftragung der Präsenzkraft entstehen. Damit wird dem besonderen Aufwand Rechnung getragen, der Folge der neu organisierten pflegerischen Versorgung als Wohnform ist. Die Leistung wird pauschal zur eigenverantwortlichen Verwendung für die Organisation sowie Sicherstellung der Pflege in der Wohngemeinschaft gewährt (BSG, Urteil vom 18.02.2016 – B 3 P 5/14 R, juris, Rn. 22). Ein solcher besondere Aufwand ist aber schon nicht objektiv feststellbar, wenn die beauftragte Person lediglich die Aufgaben, die konkret anfallen, erledigt, ohne dass ein nach außen erkennbarer Aufgabenkreis oder auch nur ein Mindestmaß an regelmäßigen Aufgaben vorhanden ist. Der Wohngruppenzuschlag soll eben nicht die Leistung der gesetzlichen Pflegeversicherung aufstocken, sondern einen konkreten anfallenden Aufwand abgelten. Zur Überzeugung des Senats ist ein solcher messbarer Aufwand der Wohngemeinschaft aber schon gar nicht erkennbar. Dies ergibt sich nicht zuletzt aus dem Umstand, dass eine externe, von der Wohngemeinschaft angestellte Präsenzkraft einen im Vergleich zu dem Zeugen P. eindeutig festgelegten Aufgabenkreis hätte.
C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
D. Gründe für die Zulassung der Revision i.S.d. § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.