L 11 KR 2942/23

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11.
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 15 KR 2800/22
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 2942/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 20.09.2023 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.



Tatbestand

Streitig ist im Rahmen eines Zugunstenverfahrens die Höhe von Krankengeld.

Dem 1977 geborenen und bei der Beklagten krankenversicherten Kläger bewilligte die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg (DRV BW) mit Bewilligungsbescheid vom 22.07.2020 Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Während der Maßnahme bezog der Kläger ab dem 01.09.2020 bis zum 18.07.2021 Übergangsgeld i.H.v. kalendertäglich 47,81 € (Bescheide vom 07.05.2021 und 13.07.2021, Bl. 79 und Bl. 77 Verwaltungsakte). Das vom Kläger erzielte kalendertägliche Regelentgelt betrug 90,18 € (vgl. Bl. 84 Verwaltungsakte), 80% hiervon beliefen sich auf 72,14 €. Da das kalendertägliche Nettoarbeitsentgelt (61,86 €) niedriger war, wurde dieses für die Berechnung des Übergangsgeldes herangezogen (§ 66 Abs. 1 Satz 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch [SGB IX]).

Ab dem 07.06.21 bestand Arbeitsunfähigkeit.

Mit Bewilligungsbescheid vom 12.08.2021 (Bl. 72 Verwaltungsakte) bewilligte die Beklagte dem Kläger Krankengeld ab dem 19.07.2021 i.H.v. täglich 34,64 brutto (netto 31,83 €) unter Zugrundelegung des zuletzt von der DRV gewährten Übergangsgeldes während der Rehabilitationsmaßnahme (80% von 61,86 € = 49,49 €, hiervon 70% = 34,64 €). Hiergegen legte der Kläger am 31.08.2021 Widerspruch ein und begründete diesen damit, das Krankengeld sei auf der Basis des regelmäßigen Arbeitsentgeltes und nicht auf der Basis des Übergangsgeldes zu berechnen.

Mit Schreiben vom 07.02.2022 (Bl. 63 Verwaltungsakte) erläuterte die Beklagte die Berechnung des Krankengeldes und führte aus, nach § 5 Abs. 1 Nr. 6 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) bestehe eine Versicherungspflicht für Teilnehmer an Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Dabei sei dieser Personenkreis den Nicht-Arbeitnehmern zuzurechnen. § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V regle, dass für Versicherte, die nicht Arbeitnehmer seien, als Regelentgelt der kalendertägliche Betrag gelte, welcher vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit für die Beitragsberechnung aus Arbeitseinkommen maßgebend gewesen sei (§ 235 Abs. 1 SGB V). Das seien 80 v.H. des der Übergangsgeldberechnung nach §§ 46, 47 oder 48 SGB IX zugrunde gelegten Arbeitsentgeltes. Das gelte unabhängig davon, ob Krankengeld für die Dauer einer Arbeitsunfähigkeit während der Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben oder im Anschluss an eine planmäßig oder unplanmäßig beendete Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben zu zahlen sei. Die Berechnungsgrundlage für das Übergangsgeld betrage 61,86 €. Als Regelentgelt seien hiervon 80% anzusetzen (49,49 €). Das Brutto-Krankengeld betrage somit 34,64 € (70% des Regelentgeltes von 49,49 €). Diese Verfahrensweise sei vom Bundessozialgericht (BSG) im Urteil vom 05.05.2009 bestätigt worden.

Mit gleichlautender Begründung wies die Beklagte den weiterhin aufrecht erhaltenen Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 19.05.2022 zurück (Bl. 55 Verwaltungsakte). Hiergegen hatte der Kläger am 13.06.2022 Klage zum Sozialgericht Ulm (SG, S 5 KR 1404/22) erhoben und diese am 28.07.2022 wieder zurückgenommen (Bl. 49 Verwaltungsakte).

Mit Schriftsatz vom 01.08.2022 stellte der Kläger einen Antrag gemäß § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) auf Überprüfung des Bescheides vom 12.08.2021. Mit Bescheid vom 16.08.2022 teilte die Beklagte mit, die Berechnung des Krankengeldes sei erneut überprüft worden. Das Krankengeld für die Arbeitsunfähigkeit ab 07.06.2021 sei nach den geltenden gesetzlichen Bestimmungen richtig berechnet worden. Der Bescheid vom 11.08.2021 bleibe weiterhin gültig. Hiergegen legten die Bevollmächtigten des Klägers mit Schriftsatz vom 22.08.2022 Widerspruch ein und führten zur Begründung aus, bei der Berechnung des Krankengeldes sei gemäß § 47 SGB V vom regelmäßig erzielten Arbeitsentgelt auszugehen und nicht vom Übergangsgeld. Diesen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 05.12.2022 unter Wiederholung der bisherigen Begründung zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 19.12.2022 erneut Klage zum SG erhoben und unter Verweis auf ein Urteil des SG Berlin vom 15.09.2017 (S 51 KR 997/14) vorgetragen, die Krankengeldberechnung der Beklagten sei unzutreffend, da bei der Berechnung des Krankengeldes nach § 235 Abs. 1 Satz 1 SGB V das Regelentgelt im Sinne der §§ 46, 47 SGB IX maßgeblich sei und nicht hingegen die Berechnungsgrundlage, nach der sich das Übergangsgeld unter Berücksichtigung der §§ 46, 47, 48 SGB IX tatsächlich berechne. § 49 SGB IX gewährleiste eine Kontinuität der Bemessungsgrundlage u.a. für Leistungsempfänger, die Übergangsgeld bezogen hätten, wenn sich darin eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben anschließe. In diesen Fällen werde bei der Berechnung der diese Leistung ergänzende Leistung zum Lebensunterhalt von dem bisher zugrunde gelegten Arbeitsentgelt ausgegangen, so das BSG. Des Weiteren gelte gemäß § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V als Regelentgelt der kalendertägliche Betrag, der zuletzt vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit für die Bemessung aus Arbeitseinkommen maßgebend gewesen sei. Demnach sei als Grundlage für die Berechnung das regelmäßig erzielte Arbeitseinkommen und nicht das zuvor gezahlte Übergangsgeld heranzuziehen.

Mit Gerichtsbescheid vom 20.09.2023 hat das SG die Klage abgewiesen mit der Begründung, die Beklagte habe das Krankengeld zutreffend berechnet. Die Höhe und die Berechnung des Krankengeldes ergäben sich aus § 47 SGB V. Nach § 47 Abs. 1 Satz 1 SGB V betrage das Krankengeld 70 vom Hundert des erzielten regelmäßigen Arbeitsentgelts und Arbeitseinkommens, soweit es der Beitragsberechnung unterliege (Regelentgelt). Für Versicherte, die nicht Arbeitnehmer seien, gelte gemäß § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V als Regelentgelt der kalendertägliche Betrag, der zuletzt vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit für die Beitragsbemessung aus Arbeitseinkommen maßgebend gewesen sei. Hier sei darauf hinzuweisen, dass mit Art. 4 Nr. 2 des Verwaltungsvereinfachungsgesetzes vom 21.03.2005 nach den Worten „für die Beitragsbemessung“ eingefügt worden sei „aus Arbeitseinkommen“. Der Kläger gehöre hier zum Kreis der Versicherten, die im Sinne von § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V nicht Arbeitnehmer seien. Denn er sei als Teilnehmer an Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 5 Abs. 1 Nr. 6 SGB V pflichtversichert gewesen. Diese Personen seien gerade nicht als Arbeitnehmer versichert. Nach § 235 Abs. 1 Satz 1 SGB V gelte für die nach § 5 Abs. 1 Nr. 6 SGB V versicherungspflichtigen Teilnehmer an Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben als beitragspflichtige Einnahmen 80 vom Hundert des Regelentgelts, das der Berechnung des Übergangsgeldes zugrunde liege. Die Beklagte habe das Krankengeld unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG und der herrschenden Meinung in der Literatur (Verweis auf Schifferdecker in BeckOGK 2023 § 47 Rn. 101; Hauck/­Noftz/Gerlach 2020 § 47 Rn. 165; Peters/Schmidt § 47 Rn. 129) zutreffend berechnet. Der Auffassung des SG Berlin (S 51 KR 997/14) könne nicht gefolgt werden, da dieser Auslegung der Wortlaut und Sinn und Zweck des § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V entgegenstehe. Denn nach dem Urteil des BSG vom 05.05.2009, B 1 KR 16/08 R, gelte auch nach dem 30.03.2005 gem. § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V als Regelentgelt für die Höhe des Krankengeldes der kalendertägliche Betrag, der zuletzt vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit für die Beitragsbemessung maßgebend gewesen sei. Gemeint seien bei § 47 Abs. 4 SGB V alle Personen, die nicht in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis stünden, z.B. hauptberuflich selbstständig Tätige oder Rehabilitanden nach § 5 Abs. 1 Nr. 6, sofern sie Anspruch auf Übergangsgeld hätten, Künstler und Publizisten u.a. Im Gegensatz zu Abs. 2 stelle Abs. 4 nicht auf den Bemessungszeitraum ab, sondern auf den Zeitpunkt, an dem die Arbeitsunfähigkeit eintrete. Die Worte „aus Arbeitseinkommen“ seien mit Wirkung ab 30.03.2005 durch das Verwaltungsvereinfachungsgesetz eingefügt worden. Hintergrund hierfür seien die BSG-Urteile vom 30.03.2004 (B 1 KR 31/02 R und B 1 KR 32/02 R) gewesen. Danach sei für die Berechnung des Krankengeldes für Selbstständige ausschließlich das (beitragspflichtige) Arbeitseinkommen heranzuziehen. Dies gelte auch für die Selbstständigen, die Beiträge in Höhe der Mindesteinnahmen nach § 240 Abs. 2 SGB V zahlten. Das bedeute, dass, sofern das tatsächliche Einkommen geringer gewesen sei, dieses herangezogen werde und nicht etwa das ggf. höhere Mindesteinkommen, das der Beitragsberechnung zugrunde liege. Das BSG führe weiter aus, dass die Einfügung der Worte „aus Arbeitseinkommen“ insoweit auf die Personengruppe der Bezieher von Übergangsgeld nicht passe, da diese gerade vor der Arbeitsunfähigkeit in aller Regel kein Arbeitseinkommen erzielt hätten, das für die Beitragsbemessung maßgebend gewesen sei. Allerdings habe der Gesetzgeber nicht bewirken wollen, dass andere als selbständig Versicherte, die nicht Arbeitnehmer seien, aber bisher krankengeldberechtigt gewesen seien, durch eine Änderung der Berechnungsvorschriften vom Krankengeldbezug künftig ausgeschlossen würden. Daher verbleibe es bei der bisherigen Berechnung des Krankengeldes für Übergangsgeldberechtigte, wonach nach § 235 Abs. 1 Satz 1 SGB V die beitragspflichtigen Einnahmen auf 80 vom Hundert des Regelentgeltes begrenze, das der Berechnung des Übergangsgeldes zugrunde liege. Weiter führe das BSG unter Rn. 13 ausdrücklich aus, dass § 49 SGB IX bei Übergangsgeldbeziehern wegen Teilnahme an Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V verdränge. Zwar gewährleiste § 49 SGB IX eine Kontinuität der Bemessungsgrundlage u.a. für Leistungsempfänger, die Übergangsgeld bezogen hätten, wenn sich daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben anschließe. In diesen Fällen werde bei der Berechnung der diese Leistung ergänzenden Leistung zum Lebensunterhalt von dem bisher zugrunde gelegten Arbeitsentgelt ausgegangen. Es gelte die für den Rehabilitationsträger jeweils maßgebende Beitragsbemessungsgrenze. Im vorliegenden Fall sei jedoch diese Regelung nicht betroffen (genauso wie in dem vom BSG entschiedenen Fall), da beim Kläger während einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben sich ein Krankengeldbezug wegen Arbeitsunfähigkeit anschließe und gerade nicht eine Leistung zur medizinischen Reha oder eine weitere Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben. Das BSG betone insoweit weiter, es widerspräche auch Sinn und Zweck des Krankengeldes, durch eine Kontinuität der Bemessungsgrundlage zu bewirken, dass Leistungsempfänger gegebenenfalls zwar Übergangsgeld i.H.v. 68% des maßgebenden Betrages bezögen, aber bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit höheres Krankengeld nach einem Satz von 70% des maßgebenden Betrages erhielten. Daher sei, wie in der bis zum 30.03.2005 geltenden Fassung, bei der Berechnung des Krankengeldes bei den Teilnehmern an Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben auf den zuletzt vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit für die Beitragsbemessung maßgeblichen kalendertäglichen Geldbetrag abzustellen.

Gegen den am 27.09.2023 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 19.10.2023 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingereicht unter Wiederholung der bisherigen Begründung und wiederum unter Verweis auf das Urteil des SG Berlin (a.a.O.).

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 20.09.2023 sowie den Bescheid der Beklagten vom 16.08.2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.12.2022 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger unter Abänderung des Bescheides vom 12.08.2021 höheres Krankengeld in Höhe von 52,04 € brutto zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

            die Berufung zurückzuweisen.


Sie hat auf das Urteil des SG verwiesen.

Auf Hinweis der Berichterstatterin, die Dynamisierung des Krankengeldes sei unterblieben, hat die Beklagte dies nachgeholt und die Nachzahlung i.H.v. 688,88 € auf das Konto des Klägers überwiesen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten sowie des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung hat keinen Erfolg.


Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 SGG), ist zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet, da dem Kläger kein höheres Krankengeld zusteht.

Gegenstand des Verfahrens ist hier der Bescheid der Beklagten vom 16.08.2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.12.2022, mit dem sie abgelehnt hat, dem Kläger unter Zugrundelegung des Regelentgelts, das der Berechnung des Übergangsgeldes zugrunde lag, höheres Krankengeld zu gewähren und den Bewilligungsbescheid vom 12.08.2021 entsprechend abzuändern. Hiergegen richtet sich der Kläger zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage.

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind.

Die Beklagte hat vorliegend im Bescheid vom 12.08.2021 - von der später nachgeholten Dynamisierung abgesehen - das Recht richtig angewandt.

Versicherte haben gemäß § 44 Abs. 1 SGB V Anspruch auf Krankengeld, wenn Krankheit sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse stationär in einem Krankenhaus, einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung (§ 23 Abs. 4, §§ 24, 40 Abs. 2 und 41 SGB V) behandelt werden. Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Krankengeld liegen bei dem Kläger dem Grunde nach vor und sind zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.

Gem. § 47 Abs. 1 Satz 1 SGB V (in der bis zum 31.12.2022 gültigen Fassung vom 28.11.2018) beträgt das Krankengeld 70 vom Hundert des erzielten regelmäßigen Arbeitsentgelts und Arbeitseinkommens, soweit es der Beitragsberechnung unterliegt (Regelentgelt). Für Versicherte, die nicht Arbeitnehmer sind, gilt als Regelentgelt der kalendertägliche Betrag, der zuletzt vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit für die Beitragsbemessung aus Arbeitseinkommen maßgebend war, § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V.


Der Kläger gehörte vorliegend zum Kreis der Versicherten, die gem. § 47 Abs. 4 Satz 2 SG V nicht Arbeitnehmer sind, da er als Teilnehmer an Leistungen der DRV zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 5 Abs. 1 Nr. 6 SGB V pflichtversichert war. Im Urteil vom 05.05.2009 (B 1 KR 16/08 R, juris) entschied das BSG in einem vergleichbaren Fall, in dem der Kläger - wie hier - vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit ebenfalls Übergangsgeld von der Rentenversicherung bezogen hatte, dies entspreche nicht nur dem Wortlaut der Regelung, sondern ihrer Entstehungsgeschichte, Systematik sowie Sinn und Zweck. Nach der Gesetzesbegründung entspreche § 47 SGB V - mit redaktionellen Änderungen - dem bisher geltenden Recht. Auch schon bezogen auf die Vorgängervorschrift des § 182 Abs. 6 Satz 1 RVO sei anerkannt gewesen, dass als „Versicherte, die nicht Arbeitnehmer sind“ u.a. auch Personen gölten, die wegen berufsfördernder Maßnahmen zur Rehabilitation Reha-Leistungen beziehen und nach § 165 Abs. 1 Nr. 4 RVO als Bezieher von Übergangsgeld wegen berufsfördernder Maßnahmen zur Reha versichert seien. § 47b SGB V regele lediglich zwei Ausnahmen zur Grundbestimmung des § 47 SGB V, nämlich bezogen auf Bezieher von Arbeitslosengeld oder Unterhaltsgeld (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V) und bezogen auf Arbeiter, Angestellte und gegen Arbeitsentgelt beschäftigte Auszubildende (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V). Eine Ausnahme dahingehend, dass arbeitsunfähige Bezieher von Übergangsgeld Anspruch auf Krankengeld in Höhe des Übergangsgelds bzw. auf Krankengeld mit einem geringfügigen Übergangsgeld-Abschlag hätten, fehle demgegenüber. Im Übrigen könne das Regelentgelt nicht an ein der Beitragsbemessung unterliegendes Arbeitsentgelt (§ 14 SGB IV) anknüpfen, wenn es sich bei den Versicherten nicht um Arbeitnehmer handele. Dabei werde § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V vorliegend auch nicht durch § 49 SGB IX verdrängt. Diese Regelung gewährleiste eine Kontinuität der Bemessungsgrundlage u.a. für Leistungsempfänger, die Übergangsgeld bezogen hätten, wenn sich daran eine Leistung zur medizinischen Reha oder zur Teilhabe am Arbeitsleben anschließe. Sie sei jedoch nicht betroffen, wenn sich an den Bezug des Übergangsgelds wegen einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben ein Krankengeldbezug wegen Arbeitsunfähigkeit anschließe, nicht aber eine Leistung zur medizinischen Reha oder zur Teilhabe am Arbeitsleben. Das BSG führt weiterhin aus, dass der Wortlaut des § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V für andere Versicherte als Selbstständige nicht zu passen scheine, allerdings könnten dann streng genommen die nach § 5 Abs. 1 Nr. 6 SGB V Versicherten mit Krankengeldbezug in aller Regel überhaupt kein Krankengeld mehr beanspruchen, da sie vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit zumeist kein Arbeitseinkommen i.S.d. § 15 SGB IV erzielt hätten, das für die Beitragsbemessung maßgebend sei. Dies widerspräche dann jedoch der ausdrücklichen Einbeziehung der nach § 5 Abs. 1 Nr. 6 SGB V versicherten Bezieher von Übergangsgeld in den Kreis der Versicherten mit Krankengeldberechtigung durch § 44 Abs. 1 Satz 2 SGB V. Schließlich weist das BSG in seiner Entscheidung darauf hin, dass die Beklagte zutreffend 80 v.H. des Bemessungsbetrags, den die Rentenversicherung zuvor beim Übergangsgeld zugrunde gelegt habe, als Regelentgelt berücksichtigt habe. Nur bei versicherten Selbstständigen sei derjenige kalendertägliche Betrag maßgeblich, der zuletzt vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit für die Beitragsbemessung aus Arbeitseinkommen maßgebend gewesen sei. Mit der Ergänzung „aus Arbeitseinkommen“, die der Gesetzgeber bei § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V vorgenommen habe, habe die gesetzliche Regelung lediglich der Rechtsprechung des BSG zur Regelentgeltberechnung bei Selbstständigen angepasst werden sollen. Es sollten jedoch nicht andere selbstständige Versicherte, die zwar nicht Arbeitnehmer seien, aber dennoch krankengeldberechtigt waren, künftig vom Krankengeldbezug ausgeschlossen werden.

Dieser überzeugenden Entscheidung des BSG schließt sich der Senat an (so auch SG Neuruppin 06.01.2022, S 20 KR 37/20, Rn. 19, juris; SG Oldenburg 05.04.2018, S 63 KR 163/16, juris;
BeckOGK/Schifferdecker, 15.11.2023, SGB V § 47 Rn. 101). Es besteht somit kein Zweifel, dass für die Berechnung des Krankengeldes nicht etwa das ursprüngliche Arbeitseinkommen des Klägers herangezogen wird. Dies wird auch vom SG Berlin im Urteil vom 15.09.2017 (S 51 KR 997/14, juris) nicht behauptet.

Zur Berechnung des Krankengeldes ist § 235 Abs. 1 Satz 1 SGB V (in der bis zum 31.12.2023 gültigen Fassung vom 06.05.2019) heranzuziehen. Hiernach gelten für die nach § 5 Abs. 1 Nr. 6 SGB V versicherungspflichtigen Teilnehmer an Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben als beitragspflichtige Einnahmen 80 Prozent des Regelentgelts, das der Berechnung des Übergangsgeldes zugrunde liegt. Übergangsgeld berechnet sich nach den nach den Bestimmungen der §§ 66, 67 oder 68 Neuntes Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX). Der Berechnung des Übergangsgelds werden 80 Prozent des erzielten regelmäßigen Arbeitsentgelts und Arbeitseinkommens, soweit es der Beitragsberechnung unterliegt (Regelentgelt), zugrunde gelegt, höchstens jedoch das in entsprechender Anwendung des § 67 berechnete Nettoarbeitsentgelt (§ 66 Abs. 1 Satz 1 SGB IX in der Fassung vom 12.12.2019). Beim Kläger betrug das Regelentgelt ausweislich des Übergangsgeldbescheides der Rentenversicherung vom 13.07.2021 (Bl. 77 ff. Verwaltungsakte) 90,18 €, doch wurde das Übergangsgeld wegen der in § 66 Abs. 1 Satz 1 enthaltenen Begrenzung („höchstens das… berechnete Nettoarbeitsentgelt“) auf Basis dieses Nettoarbeitsentgelts berechnet, das 61,86 € betrug (vgl. Bl. 84 Verwaltungsakte).

Das SG Berlin – und ihm folgend der Kläger - vertritt an dieser Stelle die Auffassung, es sei nicht die tatsächliche Berechnungsgrundlage des Übergangsgeldes ausschlaggebend, sondern 80% des Regelentgelts gem. § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB IX. Dies würde für den vorliegenden Fall bedeuten, dass (vor der Dynamisierung) nicht 80% von 61,86 € zur Berechnung des Krankengeldes heranzuziehen wären, sondern 80% von 90,18 €. Dies ergäbe (wiederum vor der Dynamisierung) einen Krankengeldanspruch von 0,7 x 0,8 x 90,18 € statt der bewilligten 0,7 x 0,8 x 61,86 €.
Dem ist indes nicht zu folgen. Das BSG hat im genannten Urteil vom 05.05.2009 (BSG a.a.O.) ausdrücklich nicht das Regelentgelt für die Berechnung herangezogen, sondern auf den Wert aus § 48 SGB IX a.F. (heute § 68 SGB IX) - und damit auf 65% eines fiktiven Arbeitsentgelts - zurückgegriffen, der zuvor als Berechnungsgrundlage des Übergangsgeldes gedient hatte („Berechnungsgrundlage in Sonderfällen, vgl. Überschrift zu § 48 SGB IX a.F.). Aus den Gründen des genannten BSG-Urteils vom 05.05.2009 lässt sich ablesen, dass das BSG zwischen den Begriffen Begriff „Regelentgelt“ und „Berechnungsgrundlage“ nicht unterscheidet, sondern auf den “Bemessungsbetrag“ abstellt, den die Rentenversicherung unmittelbar vor Krankengeldbeginn zugrunde gelegt hat (vgl. BSG a.a.O. Rn. 115). Vor dem Hintergrund, dass hierdurch der Entgeltersatzfunktion des Krankengeldes Genüge getan wird, schließt sich der Senat dieser Rechtsprechung des BSG an (so auch SG Oldenburg 05.04.2018, S 63 KR 163/16, juris). Dass das BSG in beitragsrechtlicher Hinsicht zu einem anderen Ergebnis kommt und hier ausschließlich auf das Regelentgelt abstellt und nicht auf die sonstigen Berechnungsgrundlagen (vgl. BSG 31.01.1980, 8a RK 10/79, juris; BSG 21.01.2009, B 12 AL 2/07 R, juris; hierzu ausführlich LSG Schleswig-Holstein 06.08.2020, L 1 R 69/17, juris), ist auf den vorliegenden Fall, der Leistungen betrifft, nicht übertragbar.

Nachdem die Beklagte nunmehr die Dynamisierung des Krankengeldes zutreffend nachgeholt hat, ist die Berechnung auch im Übrigen nicht zu beanstanden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Da es - soweit ersichtlich - seit 2009 keine höchstrichterliche Entscheidung zu der dargestellten rechtlichen Problematik gibt und das BSG in der genannten Entscheidung seine rechtliche Auffassung insoweit nicht näher begründet hat, wird wegen grundsätzlicher Bedeutung die Revision zugelassen.


 

Rechtskraft
Aus
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