§§ 17, 22 SGG, § 22 VwGO, § 4 DRiG
Sozialgerichtliches Verfahren - ehrenamtlicher Richter - Wegfall einer Voraussetzung für die Berufung während der laufenden Amtszeit – Wahl in den Landtag - Grundsatz der Gewaltenteilung - Inkompatibilität
Abgeordnete und Regierungsmitglieder sind im Sozialgerichtsgesetz anders als in § 22 Nr. 1 der Verwaltungsgerichtsverordnung (VwGO) und § 19 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht ausdrücklich von der Wahrnehmung des Amtes eines ehrenamtlichen Richters ausgeschlossen. Sie können gleichwohl nicht ehrenamtliche Richter am Sozialgericht sein, weil dies dem Grundsatz der Gewaltenteilung widerspräche.
Die ehrenamtliche Richterin H, In den T, S, wird von ihrem Amt als ehrenamtliche Richterin beim Thüringer Landessozialgericht mit Wirkung zum 15. November 2024 entbunden.
Gründe
Die ehrenamtliche Richterin H ist nach dem Geschäftsverteilungsplan des Landessozialgerichts den Senaten, die für Angelegenheiten der Sozialversicherung, der Grundsicherung für Arbeitsuchende einschließlich der Streitigkeiten aufgrund des § 6 a des Bundeskindergeldgesetzes und der Arbeitsförderung zuständig sind, als ehrenamtliche Richterin aus dem Kreis der Arbeitgeber zugewiesen.
Ihre Amtsperiode würde bis zum 28. Februar 2026 andauern. H wurde am 1. September 2024 in den Thüringer Landtag gewählt und hat das Mandat angenommen. Daher ist die ehrenamtliche Richterin nach §§ 35, 22 Abs. 1 Satz 3 und § 17 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) von ihrem Amt zu entbinden. Im vorliegenden Fall liegt ein Ausschließungsgrund entsprechend § 17 SGG vor. Zwar sind Abgeordnete und Regierungsmitglieder im Sozialgerichtsgesetz anders als in § 22 Nr. 1 der Verwaltungsgerichtsverordnung (VwGO) und § 19 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht ausdrücklich von der Wahrnehmung des Amtes eines ehrenamtlichen Richters ausgeschlossen. Sie können nach allgemeiner Ansicht gleichwohl nicht ehrenamtliche Richter am Sozialgericht sein, weil dies dem Grundsatz der Gewaltenteilung widerspräche (Adams in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 17 SGG, Rn. 39, Stand: 7. August 2024). Der in § 22 VwGO enthaltene Grundgedanke ist hinsichtlich eines/r Landtagsabgeordneten auf das sozialgerichtliche Verfahren ohne weiteres übertragbar. § 22 VwGO enthält eine Regelung zur Durchsetzung des Gewaltenteilungsprinzips. Eine Ausprägung des Gewaltenteilungsprinzips ist die personelle Gewaltenteilung, die sogenannte Inkompatibilität. Die personelle Gewaltenteilung ist zwar im Grundgesetz nicht lückenlos durchgehalten. Die rechtsprechende Gewalt unterliegt jedoch einer stärkeren Abschirmung gegenüber den anderen Gewalten. Art. 20 Abs. 2 GG, die Verankerung des Grundsatzes der Gewaltenteilung im Grundgesetz, verlangt, dass die Rechtsprechung durch "besondere", von den Organen der Gesetzgebung und der vollziehenden Gewalt verschiedene Organe des Staates ausgeübt wird. Die Notwendigkeit, die Rechtsprechung durch "besondere" Organe des Staates auszuüben, verbietet eine personelle Verflechtung zwischen der Gerichtsbarkeit und den anderen Staatsgewalten. Es gilt der Grundsatz der personellen Trennung zwischen den Gewalten. Die richterliche Neutralität darf nicht durch eine mit diesem Grundsatz unvereinbare persönliche Verbindung zwischen Ämtern der Rechtspflege und der Verwaltung oder der Gesetzgebung in Frage gestellt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. März 2018 – 2 BvR 780/16 –, BVerfGE 148, 69-147, nach Juris Rn. 52). Auf einfachgesetzlicher Ebene ist der Grundsatz der personellen Trennung zwischen den Gewalten für Berufsrichter durch die umfassende Inkompatibilitätsvorschrift des § 4 Abs. 1 des Deutschen Richtergesetzes (DRiG) verwirklicht. Danach darf ein Richter nicht zugleich Aufgaben der rechtsprechenden Gewalt und solche der gesetzgebenden oder der vollziehenden Gewalt wahrnehmen. Grund hierfür ist die besondere Stellung der rechtsprechenden Gewalt, die berufen ist, die beiden anderen Staatsgewalten zu kontrollieren. Da die ehrenamtlichen Richter in der Sozialgerichtsbarkeit teilhaben an der Ausübung der Rechtsprechung, ist die entsprechende Anwendung des § 4 Abs. 1 DRiG hinsichtlich der Mitglieder der gesetzgebenden Körperschaften auf sie geboten.
Unerheblich ist in diesem Zusammenhang die Regelung des § 22 Abs. 1 Satz 3 SGG, wonach ein ehrenamtlicher Richter für den Fall des Wegfalls einer Voraussetzung für seine Berufung im Laufe seiner Amtszeit nicht von seinem Amt zu entbinden ist, es sei denn, eine paritätische Besetzung nach § 12 Abs. 2 bis 4 SGG kann anderenfalls nicht gewährleistet werden. Die Interessenlage, die den Gesetzgeber veranlasst hat, hier von einer Entbindung abzusehen, kann auf die vorliegende Fallgestaltung nicht übertragen werden, weil das Verbot der personellen Verflechtung zwischen den Organen der rechtsprechenden und der vollziehenden Gewalt ein Verbot der gleichzeitigen Aufgabenwahrnehmung beinhaltet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. März 2018 – 2 BvR 780/16 –, BVerfGE 148, 69-147, nach Juris Rn. 92). Zulässig ist nur eine zeitliche Aufeinanderfolge der Tätigkeiten, was hier nicht vorliegt.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§§ 35 Abs. 2, 22 Abs. 2 Satz 3 SGG).