1. Eine Erwerbsminderung kann nicht mit einem Sachverständigengutachten begründet werden, in dem der Sachverständige seine erstmals gestellte Diagnose einer Schizophrenie im Erwachsenenalter allein auf „gezielte“ Nachfragen beim Versicherten („Stimmen hören“) stützt.
2. Ohnehin kommt es im Rahmen der Prüfung von Erwerbsminderung nicht entscheidend auf Diagnosen oder die Bezeichnung von Krankheitsbildern an, sondern auf zeitlich überdauernde funktionelle Defizite auf Grundlage objektiv-klinischer, ärztlicher Befunde, die schlüssig und nachvollziehbar sein müssen (Anschluss an Senatsurteil vom 16.05.2024, L 10 R 3332/23, in juris, Rn. 30).
Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 16.01.2024 abgeändert und die Klage in vollem Umfang abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten noch darüber, ob die Klägerin einen Anspruch auf Rente wegen (voller) Erwerbsminderung im Zeitraum vom 01.03.2024 bis 28.02.2026 hat.
Die 1964 geborene Klägerin erlernte von Herbst 1979 bis Mitte 1982 nach eigenen Angaben den Beruf einer Schriftsetzerin und war in diesem Beruf bis Frühjahr 1991 beschäftigt. Nach Mutterschutz und Kindererziehungszeiten arbeitete sie von Anfang Mai 1999 bis Ende Juli 2016 - zeitweise geringfügig ohne Versicherungspflicht sowie mit Unterbrechungen durch Zeiten der Arbeitslosigkeit - als Verkäuferin bzw. Aushilfe in einer Gärtnerei. Im Zeitraum von Anfang August 2016 bis Ende August 2019 absolvierte die Klägerin auf Kosten der Bundesagentur für Arbeit eine Umschulung zur Erzieherin. Seither war sie - mit Unterbrechungen, u.a. durch Zeiten der Arbeitsunfähigkeit - bis Ende August 2023 (vgl. Angabe S. 61 SG-Akte) als Erzieherin in verschiedenen Kindertageseinrichtungen in Teilzeit (Angaben S. 222 VerwA, S. 61 SG-Akte: vier Stunden an vier Tagen die Woche) beschäftigt. Wegen der weiteren Einzelheiten der zurückgelegten rentenversicherungsrechtlichen Zeiten wird auf den Versicherungsverlauf vom 04.03.2024 (S. 24 ff. Senats-Akte) Bezug genommen.
In der Zeit vom 06.04. bis 04.05.2021 nahm die Klägerin an einer stationären Rehabilitationsmaßnahme in der W1-Klinik in B1 teil, aus der sie ausweislich des ärztlichen Entlassungsberichts (S. 255 ff. VerwA) arbeitsfähig und mit einem Leistungsvermögen von sechs Stunden und mehr täglich für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt entlassen wurde (Diagnose: Anpassungsstörung unter Hinweis auf Arbeitsplatzkonflikte). Die Reha-Ärzte dokumentierten eine Diskrepanz zwischen dem klinisch nicht höhergradig auffälligen psychopathologischen Befund und den Angaben der Klägerin im testpsychologischen Fragebogen.
Am 02.06.2022 beantragte die Klägerin die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung und machte geltend, wegen psychischer Probleme („immer mehr Druck, Burn-out“, S. 184 VerwA) seit Anfang 2021 erwerbsgemindert zu sein. Die Beklagte zog ärztliche Unterlagen bei und ließ diese sozialmedizinisch auswerten. Der Beratungsarzt S1 sah eine Anpassungsstörung bei Neurasthenie ganz im Vordergrund stehend und erachtete die Leistungsbeurteilung der Reha-Ärzte (weiterhin) für zutreffend (Stellungnahme vom 14.07.2022, S. 202 f. VerwA). Mit Bescheid vom 18.07.2022 (S. 170 f. VerwA) lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab, da die medizinischen Voraussetzungen einer Erwerbsminderung nicht vorlägen.
Im Widerspruchsverfahren zog die Beklagte weitere Befundunterlagen bei (u.a. Arztbrief des M1 vom 14.10.2022, S. 205 f. VerwA: einmalige Behandlung Ende September 2022, keine Mitteilung eines klinischen Befunds, breite lebensgeschichtliche Darstellung und Wiedergabe der klägerischen Beschwerdeangaben - kein „Stimmen hören“ -, Angabe von Arbeitsplatzkonflikten, Diagnosen: Anpassungsstörungen, psychovegetative Erschöpfung, rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, somatoforme autonome Funktionsstörung von Herz und Kreislaufsystem, Leistungsvermögen: allenfalls vier Stunden arbeitstäglich) und holte das Gutachten der L1 vom 14.12.2022 ein (S. 218 ff. VerwA). Die Klägerin gab im Rahmen der Untersuchung Anfang Dezember 2022 u.a. an (s. ausführlich auch zur Lebensgeschichte S. 220 ff. VerwA), im letzten Jahr Beschwerden „gehabt“ zu haben, „noch weiterhin Atemnot, Herzrasen, seelische Probleme“ (S. 220 VerwA). Bei ihrem behandelnden M1 sei sie bisher zweimal gewesen. Psychopharmaka nehme sie nicht ein, die ihr verschriebenen pflanzlichen Präparate hätten nicht geholfen. Sie interessiere sich sehr für Malerei und Kunst und male auch selbst, was ihr guttue, ebenso Yoga („seit 20 Jahren“) und Nordic Walking. Zu Hause koche sie, erledige den Haushalt (Wäsche, Spülmaschine, Essen zubereiten), montagsabends Yoga und mittwochs - ihr freier Tag (ansonsten berufliche Tätigkeit im Kindergarten von 09.00 bis 13.00 Uhr, Hin- und Rückfahrt mit dem Auto, ca. 25 Minuten) - mähe sie den Rasen bzw. „mache den Garten“. Wenn im Garten nichts zu tun sei, setze sie sich an ihre Staffelei. Entgegen den klägerischen Beschwerdeangaben (u.a. Angabe von Konzentrations- und Gedächtnisschwierigkeiten bei Durchschlafstörungen mit nächtlichem Herzklopfen [s. dazu zunächst Arztbrief des G1 vom 03.02.2022, S. 200 f. VerwA: Verdacht auf Belastungshypertonie, Therapieempfehlung: Gabe von Beta Mimetikum vor Belastung; sodann Arztbrief des U1 vom 23.05.2022, S. 195 f. VerwA: keine strukturelle Herzerkrankung, gutes Blutdruckverhalten, kein Hinweis für eine Belastungskoronarinsuffizienz], Angabe eines Zwangsgrübelns sowie diverser Ängste, Beschreibung einer mittelschweren depressiven Symptomatik im Beck’schen Depressionsinventar [BDI]; freilich: keine Angabe von „Stimmen hören“) beschrieb L1 - unter Hinweis auf die Diskrepanz - keinen höhergradig auffälligen psychopathologischen Befund (s. S. 224 f. VerwA: bewusstseinsklar, allseits orientiert, Kontaktverhalten kooperativ, Auffassung erhalten, nur zu Beginn der Exploration sehr angespannt, auf die gestellten Fragen gut fokussiert, kein wesentlicher Vigilanzabfall während der Untersuchung, formales Denken geordnet, kein Anhalt für inhaltliche Denkstörungen, namentlich keine Wahn-, Zwang-, Ich-Störungen, keine Halluzinationen, im Grundaffekt lediglich herabgestimmt, reduziert schwingungsfähig, freilich bei gegenwärtig normaler Antriebslage, im sog. DemTect-Test altersgemäße kognitive Leistung; ferner: äußerlich gepflegt, pünktlich erschienen, körperlich-neurologisch kein pathologischer Befund); sie diagnostizierte eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leicht- bis (allenfalls, wobei sie dabei von den Angaben der Klägerin im BDI-Test ausging, s. S. 227 VerwA) mittelgradige Episode, den Verdacht auf (V.a.) eine undifferenzierte Somatisierungsstörung mit Herzbeschwerden und subjektiv Atembeschwerden sowie eine Hypercholesterinämie. Die Klägerin könne leichte bis mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in wechselnder Körperhaltung noch mehr als sechs Stunden täglich verrichten, wobei eine besondere Verantwortung für Personen und Maschinen, Nachtschichtarbeiten und Arbeiten mit erhöhten Anforderungen an die Stresstoleranz (z.B. erheblicher Zeitdruck) sowie an die Konfliktfähigkeit und an das Anpassungs- und Umstellungsvermögen zu vermeiden seien. Gestützt auf dieses Gutachten wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 17.02.2023 (S. 64 ff. VerwA) zurück.
Hiergegen hat die Klägerin am 20.03.2023 Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen angeführt, dass das Ausmaß ihrer „erheblichen Erschöpfungsdepressionen“ nicht hinreichend berücksichtigt worden sei; ein „Stimmen hören“ erwähnte sie (weiterhin) nicht.
Das SG hat M1 sowie die B2 schriftlich als sachverständige Zeugen gehört. Die Hausärztin hat in ihrer Auskunft (S. 44 SG-Akte) im Wesentlichen auf den o.a. Arztbrief des M1 verwiesen, eine wesentliche Änderung im Gesundheitszustand der Klägerin seit Rentenantragstellung ausdrücklich verneint und namentlich einen Karteikartenauszug für die Zeit vom 07.06.2022 bis 15.06.2023 vorgelegt (S. 48 f. SG-Akte). M1 hat in seiner Auskunft vom 08.06.2023 (S. 28 f. SG-Akte) vier Behandlungstermine genannt (28.09. und 09.11.2022 sowie 04.01. und 27.04.2023) und inhaltlich seinen Arztbrief vom 14.10.2022 wiedergegeben; außerdem hat er auf einen Krankenblattauszug (S. 30 SG-Akte) verwiesen.
Die Beklagte hat durch den Facharzt N1 Stellung genommen (sozialmedizinische Stellungnahme vom 11.07.2023, S. 52 SG-Akte). Der Beratungsarzt hat darauf hingewiesen, dass sich aus den Äußerungen der behandelnden Ärzte weiterhin eine zeitliche Leistungslimitierung nicht ableiten lasse. Die Einschätzung des M1, der die Klägerin ohnehin nur quartalsweise behandle, sei nicht nachvollziehbar - weil schon nicht befundgestützt -, weder in diagnostischer, noch in sozialmedizinischer Hinsicht.
Das SG hat sodann von Amts wegen bei dem Facharzt E1 das Sachverständigengutachten vom 11.09.2023 (S. 59 ff. SG-Akte) eingeholt. Die Klägerin hat im Rahmen der Untersuchung Anfang August 2023 angegeben, von „keinen schweren körperlichen Erkrankungen zu wissen“ und bis auf ein Schilddrüsenpräparat keine Medikamente einzunehmen. Ferner hat sie u.a. angegeben, vor 25 Jahren „erstmals Stimmen im Kopf gehabt“ zu haben. Damals habe sie gehört, „Schnall dich an!" und sie habe „immer wieder Stimmen gehabt“; „jetzt“ träten diese Stimmen vermehrt auf (S. 63 SG-Akte; freilich zuvor: „Diese Gespräche und Dialoge träten seit ca. 2020 auf“, S. 62 SG-Akte). „Ihr mache Sorgen, dass ihr niemand glaube, wenn sie ihre Beschwerden berichte“ (S. 63 SG-Akte).
E1 hat auf Grundlage der klägerischen Angaben (so ausdrücklich, s. S. 65, 68 SG-Akte, „zumindest subjektiv erlebte Beeinträchtigungen“) einen auffälligen psychischen Befund dokumentiert (s. im Einzelnen S. 64 f. SG-Akte, namentlich: Konzentrationsfähigkeit reduziert; indes: sichere Störungen von Merkfähigkeit und Gedächtnis nicht explorierbar; Wahrnehmung durch akustische Halluzinationen - dialogische und kommentierende Stimmen in Zimmerlautstärke und in identifizierbarer Personalität - beeinträchtigt; nicht wahnhafte Befürchtungen wegen Verfolgung; indes: sichere Störungen des Icherlebens nicht explorierbar, Phänomene der Gedankenausbreitung und -eingebung „eher als Vermutung, Befürchtung oder magisches Denken vorgetragen“) und bei ihr eine Schizophrenie diagnostiziert, die bisher wegen - so der Sachverständige - nicht ausreichender Befunderhebung bzw. Dokumentation in den Akten nicht festgestellt worden sei. Er könne den Akten nicht entnehmen, „ob nach diesen Symptomen gefragt oder ob ein semistrukturiertes Interview nach dem AMDP-System durchgeführt“ worden sei. Man könne „diese Symptome“ nicht beobachten und man sehe sie dem Patienten auch nicht an. Man müsse vielmehr danach fragen und die Fragen entsprechend dokumentieren (Angabe der Klägerin, S. 62 SG-Akte: „Es habe sie bisher aber auch noch niemand gefragt, auch nicht bei Gutachten oder Arztbesuchen.“, S. 63 SG-Akte: „Das Auftreten der Gedanken und Dialoge im Kopf habe sie ihm [M1] nicht gesagt, er habe auch nie gefragt.“). Warum man in der Reha-Klinik - das Gutachten der L1 hat E1 in seinem Gutachten nicht erwähnt - keine solchen Fragen gestellt habe, könne er nicht beurteilen. Die Symptomatik bestehe bei der Klägerin „seit Jahren“, sie sei „bereits früher nachweisbar“ gewesen, dann aber wieder verschwunden; auch der Bruder der Klägerin sei schizophren, was für eine genetische Ursache spreche. Die Klägerin habe ihre Arbeitstätigkeit wegen Erschöpfung abgebrochen (freilich Angabe der Klägerin: Arbeitgeberkündigung ohne weitere Ausführung, S. 61 SG-Akte) und ihr Tagesablauf sei aktuell nicht geregelt, sie erledige ihren Haushalt mit Unterbrechungen und habe sich von sozialen und privaten Aktivitäten zurückgezogen. Das berufliche Leistungsvermögen sei mithin auf unter drei Stunden täglich einzuschätzen, nach einer adäquaten Therapie voraussichtlich auf drei bis unter sechs Stunden täglich. „Die Einschränkungen“ bestünden seit der hiesigen Begutachtung.
Die Beklagte ist dem Sachverständigengutachten mit der beratungsärztlichen Stellungnahme des N1 vom 09.10.2023 (S. 75 SG-Akte) entgegengetreten. Dieser hat eingewandt, dass das Gutachten im Wesentlichen aus „Bausteinen“ und dem Antwortverhalten der Klägerin bestehe, ohne dass E1 die Authentizität der klägerischen Angaben überprüft habe. Auffallend sei auch, dass der Sachverständige die vorangegangenen sozialmedizinischen Leistungsbeurteilungen nicht in Frage stelle, sondern einen Zustand beschreibe, der zuvor gerade nicht bestanden habe, sondern angeblich erst zum Zeitpunkt seiner Begutachtung.
Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG die Beklagte mit Gerichtsbescheid vom 16.01.2024 unter „Aufhebung“ des Bescheids vom 18.07.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.02.2023 verurteilt, der Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 01.03.2024 bis 28.02.2026 unter Zugrundelegung eines „Leistungsfalls“ am 09.08.2023 (Tag der Untersuchung der Klägerin durch E1) zu gewähren; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen und angeordnet, dass die Beklagte die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zur Hälfte zu erstatten hat. Zur Begründung hat es gemeint, die Klägerin sei voll erwerbsgemindert und nur noch in der Lage, leichte Tätigkeiten in einem Umfang von unter drei Stunden täglich auszuüben. Dabei hat es sich auf das Sachverständigengutachten des E1 gestützt, das schlüssig und nachvollziehbar sei. Die Stellungnahmen des sozialmedizinischen Dienstes seien demgegenüber nicht überzeugend, der Sachverständige habe die Klägerin vielmehr „sorgfältig und professionell“ untersucht und akustische Halluzinationen, einzelne Wahneinfälle, Beziehungsideen, paranoide Befürchtungen, einen flach-deprimierten Affekt sowie „zumindest subjektiv erlebte Beeinträchtigungen“ befundet. Das Gericht habe keinerlei Zweifel daran, dass E1 „unzutreffende“ (gemeint wohl: zutreffende) Befunde erhoben habe, sodass weitere Ausführungen hierzu nicht erforderlich seien. Der „Leistungsfall“ der Erwerbsminderung sei durch die Untersuchung am 09.08.2023 bzw. den dort erstmalig erhobenen Befund nachgewiesen, woraus sich der Rentenbeginn am 01.03.2024 ergebe (Hinweis auf §§ 99 Abs. 1, 101 Abs. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch [SGB VI]). Die Befristung der Rente beruhe auf § 102 Abs. 2 SGB VI, nachdem laut E1 bei adäquater Pharmakotherapie eine Besserung zu erwarten sei.
Gegen den ihr am 23.01.2024 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 22.02.2024 Berufung eingelegt, mit der sie sich gegen ihre Verurteilung wendet. Sie hat ihre Einwände gegen das Gutachten des E1 wiederholt und vertieft. Die gutachtliche Einschätzung - auch und gerade hinsichtlich der erstmaligen Diagnose einer Schizophrenie im Erwachsenenalter - beruhe ausschließlich auf den subjektiven Angaben der Klägerin, ohne dass der Sachverständige diese auf Plausibilität und Konsistenz überprüft habe, er habe nicht einmal einen vollständigen durchschnittlichen Tagesablauf erfragt und auch keine Beschwerdevalidierung durchgeführt. Dazu habe bereits deshalb Anlass bestanden, weil die Klägerin erneut Konzentrationsstörungen behauptet habe, die der Sachverständige gerade nicht habe nachweisen können. Ohnehin lasse sich dem Gutachten schon nicht hinreichend entnehmen, was Befundtatsachen und was Beschwerdeangaben der Klägerin seien. Demgegenüber überzeuge das Gutachten der L1 weiterhin, eine Erwerbsminderung liege nicht vor.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 16.01.2024 abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend und hat die Einschätzung des E1 verteidigt.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und gemäß den §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung der Beklagten ist zulässig und auch begründet.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Gerichtsbescheid des SG vom 16.01.2024, soweit die Beklagte unter „Aufhebung“ (in Ansehung der vom SG ausgesprochenen, in den Entscheidungsgründen freilich nicht weiter ausgeführten Klageabweisung im Übrigen richtig: Abänderung) ihres Bescheids vom 18.07.2022 in der Gestalt (§ 95 SGG) des Widerspruchsbescheids vom 17.02.2023 zur Gewährung einer Rente wegen (medizinisch) voller Erwerbsminderung vom 01.03.2024 befristet bis zum 28.02.2026 verurteilt worden ist. Nicht Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens ist der Gerichtsbescheid des SG mithin insoweit, als es die Klage im Übrigen - die Entscheidungsgründe schweigen dazu, nach Lage der Dinge dürfte davon jedenfalls eine Rentengewährung (bereits) ab dem Monat der Rentenantragstellung im Juni 2022 umfasst sein - abgewiesen hat. Denn Berufungsführerin ist ausschließlich die Beklagte, die durch die Klageabweisung im Übrigen nicht beschwert ist und diese auch nicht angegriffen hat; insoweit ist das Urteil mithin rechtskräftig geworden und bindet die Beteiligten (§ 141 Abs. 1 Nr. 1 SGG).
Das SG hat die Beklagte zu Unrecht unter Abänderung des angefochtenen Bescheids vom 18.07.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.02.2023 verurteilt, der Klägerin - ausgehend von einem „Leistungsfall“ (richtig wäre: Versicherungsfall; vgl. zur terminologischen Unterscheidung grundlegend Bundessozialgericht [BSG] 29.11.1990, 5/4a RJ 41/87, in juris, Rn. 22 ff.; 05.03.1965, 11/1 RA 239/61, in juris, Rn. 15) am 09.08.2023 (Tag der Begutachtung der Klägerin durch den gerichtlichen Sachverständigen) - Rente wegen (medizinisch) voller Erwerbsminderung vom 01.03.2024 (vgl. § 115 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 101 Abs. 1 SGG; der Hinweis des SG in diesem Zusammenhang auf § 99 Abs. 1 SGB VI erschließt sich nicht, weil diese Norm nicht den Fall einer - ausgehend von der Rechtsauffassung des SG - „verfrühten“ Antragstellung betrifft, vgl. Senatsurteil vom 18.04.2024, L 10 R 1319/23, in juris, Rn. 30) befristet (vgl. § 102 Abs. 2 Satz 1, 2 und 5 Halbsatz 1 SGB VI) bis zum 28.02.2026 zu gewähren. Denn der Bescheid vom 18.07.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.02.2023 ist, soweit er zur Überprüfung des Senats steht (s.o.), rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin ist trotz der bei ihr bestehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen im Sinne der maßgeblichen gesetzlichen Regelungen nicht erwerbsgemindert, weshalb ihr eine Rente wegen Erwerbsminderung im ausgeurteilten Zeitraum nicht zusteht.
Rechtsgrundlage für die von der Klägerin mit ihrer Klage begehrten Rente wegen Erwerbsminderung ist § 43 SGB VI. Danach haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser (Abs. 1 Satz 1 der Regelung) bzw. voller (Abs. 2 Satz 1 der Regelung) Erwerbsminderung, wenn sie - u.a. - teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind. Nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI sind teilweise erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI sind voll erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung besteht über die Regelung des § 43 Abs. 2 SGB VI hinaus nach der Rechtsprechung des BSG bei regelmäßig bejahter Verschlossenheit des Arbeitsmarkts auch dann, wenn eine zeitliche Leistungseinschränkung von drei bis unter sechs Stunden vorliegt (Großer Senat 10.12.1976, GS 2/75 u.a., in juris; zur Fortgeltung auch unter dem seit 01.01.2001 geltenden Recht s. nur BSG 11.12.2019, B 13 R 7/18 R, in juris, Rn. 23 f. m.w.N.). Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Unter Zugrundelegung dessen ist die Klägerin zur Überzeugung des Senats nicht erwerbsgemindert, sondern vielmehr noch in der Lage, unter Beachtung qualitativer Einschränkungen zumindest leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr täglich zu verrichten. Entgegen dem SG ist ein Versicherungsfall der Erwerbsminderung weder am 09.08.2023 noch zu einem späteren Zeitpunkt bis zur Entscheidung des Senats eingetreten, mithin auch kein entsprechender Leistungsfall (s. dazu noch sogleich).
Dass zunächst ein Versicherungsfall der Erwerbsminderung (auch) nicht in einem Zeitraum davor - als Grundlage für den vom SG am 01.03.2024 angenommenen Leistungsfall - eingetreten ist, stützt der Senat auf die völlig übereinstimmenden und in jeder Hinsicht überzeugenden Beurteilungen der Ärzte der W1-Klinik in deren Reha-Entlassungsbericht (urkundsbeweislich verwertbar), des Beratungsarztes S1 (sozialmedizinische Stellungnahme vom 14.07.2022, im Wege des Urkundsbeweises verwertbar) - der die Beurteilung der Reha-Ärzte nach Auswertung der aktenkundigen Befundunterlagen bestätigt und als weiterhin zutreffend beschrieben hat -, der Gutachterin L1 (deren Gutachten der Senat ebenfalls urkundsbeweislich verwertet) sowie des Beratungsarztes N1 (sozialmedizinische Stellungnahme vom 11.07.2023, als qualifiziertes Beteiligtenvorbringen verwertbar). Alle diese Ärzte haben die bei der Klägerin ganz im Vordergrund stehenden Anomalien von seelischer Seite (Reha-Ärzte: bezeichnet als Anpassungsstörung, S1: Anpassungsstörung bei Neurasthenie, L1: leicht- bis allenfalls mittelgradige depressive Episode bei V.a. undifferenzierte Somatisierungsstörung) befundgestützt als nicht derart schwerwiegend eingestuft, dass sie einer zumindest leichten Tätigkeit der Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in einem zeitlichen Umfang von wenigstens sechs Stunden täglich (ohne besondere Verantwortung für Personen und Maschinen, ohne Nachtschichtarbeiten, ohne erhöhte Anforderungen an die Stresstoleranz - z.B. kein erheblicher Zeitdruck -) und an die Konfliktfähigkeit sowie das Anpassungs- und Umstellungsvermögen, so die schlüssig und nachvollziehbar von L1 herausgearbeiteten rein qualitativen Einschränkungen) entgegenstünden. Die unterschiedlichen diagnostischen Bezeichnungen (s.o.) der bei der Klägerin objektivierbaren psychischen Auffälligkeiten sind ohne weitergehende Bedeutung, denn im Rahmen der Prüfung von Erwerbsminderung kommt es nicht entscheidend auf die Art und Anzahl der gestellten Diagnosen und auch nicht auf eine bestimmte Diagnosestellung oder Bezeichnung von Befunden an, sondern allein auf die Beeinflussung des individuellen quantitativen sowie qualitativen Leistungsvermögens durch dauerhafte Gesundheitsstörungen (BSG 28.02.2017, B 13 R 37/16 BH, in juris, Rn. 15), also auf die durch die Gesundheitsstörungen verursachten funktionellen Beeinträchtigungen. Dem entsprechend sind auch die Ursachen der Gesundheitsstörung nicht maßgeblich (BSG a.a.O.). Derartige höhergradige Funktionsdefizite von seelischer Seite mit Auswirkung auf das zeitliche Leistungsvermögen vermochten bereits die Ärzte der W1-Klinik klinisch nicht zu bestätigen, ebenso wenig wie die Gutachterin L1. Sie hat im Rahmen ihrer Untersuchung der Klägerin vielmehr ebenfalls einen nicht wesentlich gestörten psychischen Befund erhoben; insoweit wird auf die obige Darstellung im Tatbestand verwiesen. Soweit sie eine „bis mittelgradige“ depressive Episode angenommen hat, hat sie dies allein und ausdrücklich aus den Beschwerdeangaben der Klägerin im BDI-Test abgeleitet, die indes mit dem klinischen Befund - so die Gutachterin ebenfalls ausdrücklich - gerade nicht in Übereinstimmung zu bringen gewesen sind. Aus dem oben wiedergegebenen klinischen Befund lassen sich richtigerweise gerade keine wesentlichen psychischen Auffälligkeiten ableiten. Bereits die Ärzte der W1-Klinik wiesen im Übrigen auf eine Diskrepanz zwischen den klägerischen Beschwerdeangaben und dem objektivierbaren klinisch-psychischen Befund hin. Auch insoweit kann freilich eine weitere Erörterung schon deshalb unterbleiben, weil L1 auch unter der Annahme einer leicht- bis mittelgradigen depressiven Episode gut nachvollziehbar eine zeitliche Leistungslimitierung klar verneint hat.
Auf der Grundlage dessen ist die Leistungseinschätzung des M1, die er nach nur einmaliger Behandlung der Klägerin in seinem Arztbrief vom 14.10.2022 postulierte (in seiner späteren Auskunft gegenüber dem SG hat er dies bloß wiederholt), widerlegt; ohnehin ist sie von vornherein ins Leere gegangen, nachdem der Arztbrief - ebenso wie die spätere Auskunft - schon keinen klinischen Befund enthält, sondern bloß Beschwerdeangaben der Klägerin und deren Schilderung lebensgeschichtlicher Belastungen, worauf N1 zutreffend hingewiesen hat. Ohnehin streiten der Umstand, dass M1 die Klägerin nur sporadisch behandelt hat und dass sie nicht einmal eine adäquate psychopharmakologische Behandlung in Anspruch genommen hat (so die Klägerin selbst gegenüber L1 und später gegenüber dem Sachverständigen) gegen einen höhergradigen Leidensdruck von psychiatrischer Seite; auch darauf hat N1 hingewiesen. Aus der Auskunft (gegenüber dem SG) der Hausärztin ergibt sich schon deshalb nichts Abweichendes, weil B2 psychiatrischerseits pauschal auf M1 verwiesen hat.
Schließlich ergibt sich für den Zeitraum bis 09.08.2023 auch nichts Abweichendes aus dem Gutachten des E1, nachdem dieser das Gutachten der L1 nicht einmal auch nur erwähnt - geschweige denn, sich damit auseinandergesetzt - und ausdrücklich gemeint hat, dass „die Einschränkungen“, die er seiner Einschätzung eines aufgehobenen Leistungsvermögens zugrunde gelegt hat (dazu sogleich), erst zum Zeitpunkt seiner Begutachtung anzunehmen seien; er hat damit - auch darauf hat N1 zutreffend aufmerksam gemacht (sozialmedizinische Stellungnahme vom 09.10.2023, als qualifiziertes Beteiligtenvorbringen verwertbar) - die Leistungsbeurteilung namentlich der L1 für die Zeit vor dem Begutachtungstermin am 09.08.2023 gerade nicht in Frage gestellt; sie ist ohnehin entsprechend der obigen Ausführungen nicht in Frage zu stellen.
Soweit E1 indes gemeint hat, bei der Klägerin bestehe ausgehend vom Begutachtungstag am 09.08.2023 ein psychischer Zustand in Gestalt einer (erstmals von ihm diagnostizierten) Schizophrenie, der der Ausübung einer beruflichen Tätigkeit entgegenstehe, folgt dem der Senat nicht.
Aus dem Gutachten lässt sich schon nicht nachvollziehbar entnehmen, welche zeitlich überdauernden funktionellen Einschränkungen von seelischer Seite, die über die von L1 genannten rein qualitativen (s.o.) hinausgehen, bei der Klägerin überhaupt vorliegen sollen. Das Gutachten besteht im Wesentlichen - auch darauf hat N1 zu Recht hingewiesen - aus bloßen Beschwerdebehauptungen der Klägerin, die der Gutachter selbst überhaupt nicht verifiziert hat. So hat E1 selbst namentlich die von der Klägerin erneut (wie schon bei L1) behaupteten Konzentrationsstörungen gerade nicht zu bestätigen vermocht („sichere Störungen von Merkfähigkeit und Gedächtnis nicht explorierbar“); bereits L1 hat darauf hingewiesen, dass die kognitive Leistungsfähigkeit der Klägerin entgegen ihrer subjektiven Angaben vollkommen altersgemäß gewesen ist. Auch die von der Klägerin bei E1 (erneut) beklagte schnelle Erschöpfbarkeit ist nicht geeignet, eine zeitliche Leistungslimitierung zu begründen. Unabhängig davon, dass bereits die Ärzte der W1-Klinik, der Beratungsarzt S1 und auch L1 Derartiges im Rahmen ihrer Leistungsbeurteilungen berücksichtigt haben - freilich nur insoweit, wie mit dem klinischen Befund in Übereinstimmung zu bringen -, enthält das Gutachten des E1 rein nichts, was eine übermäßige Erschöpfbarkeit der Klägerin, auf die der Sachverständige seine Leistungseinschätzung maßgeblich gestützt hat, in der Untersuchungssituation klinisch belegt; auch insoweit hat E1 vielmehr lediglich die Angaben der Klägerin unkritisch übernommen, was sich insbesondere daran zeigt, dass er - anders als L1 - nicht einmal einen durchschnittlichen Tagesablauf der Klägerin erfragt, sondern sich mit detailarmen und pauschalen Angaben der Klägerin (Tagesablauf „aktuell nicht geregelt“, Haushaltserledigungen „mit Unterbrechungen“, „von sozialen und privaten Aktivitäten zurückgezogen“) begnügt hat; auch darauf hat N1 zu Recht hingewiesen. Ohnehin sind die von der Klägerin gegengegenüber E1 breit geschilderten - wozu die Klägerin ersichtlich ohne weiteres in der Lage gewesen ist - lebensgeschichtlichen Ereignisse und psychosozialen Belastungen mit Arbeitsplatzkonflikten in der Vergangenheit nicht geeignet, eine aktuelle Erwerbsminderung zu begründen, zumal die Klägerin Entsprechendes auch bereits bei der Gutachterin L1 schilderte.
Schließlich lässt sich dem Gutachten auch nicht einmal ansatzweise plausibel entnehmen, aus welchen Gründen die von der Klägerin erstmals bei E1 angegebene, „zumindest subjektiv erlebte“ - so der Sachverständige ausdrücklich -, „Beeinträchtigung“ durch Wahrnehmung akustischer Halluzinationen und „nicht wahnhafter“ (so wiederum der Sachverständige) Befürchtungen ohne sichere Störungen des Icherlebens sowie „eher als Vermutung, Befürchtung oder magisches Denken vorgetragen“ (so ebenfalls E1) auf der Grundlage objektivierter funktioneller Defizite einer leichten beruflichen Tätigkeit im Umfang von sechs Stunden und mehr täglich unter Beachtung der o.a. qualitativen Einschränkungen entgegenstehen soll. Dazu hat sich der Sachverständige vielmehr ausgeschwiegen. Einer entsprechenden Begründung hätte es allein deshalb bedurft, weil die Klägerin selbst - freilich wiederum pauschal - angegeben hat, seit ca. 25 Jahren bzw. seit 2020 (auch diesen Widerspruch hat E1 nicht kritisch hinterfragt, geschweige denn validiert) „Stimmen zu hören“ und zu diesen Zeiten jahrelang in der Lage gewesen ist, ihrer beruflichen Tätigkeit nachzugehen; ohnehin sind die kognitiven Fähigkeiten der Klägerin - wie dargelegt - bei L1 vollkommen unbeeinträchtigt gewesen, ebenso wie während der Reha-Maßnahme in der W1-Klinik. Hinzukommt, dass die Einlassungen der Klägerin, kein Arzt zuvor habe sie nach „Stimmen hören“ befragt, weder nachvollziehbar, noch glaubhaft sind. Sowohl in der mehrwöchigen Reha-Maßnahme, als auch im Rahmen der Untersuchung durch L1, die namentlich irgendwelche Halluzinationen klar ausgeschlossen hat (dazu verhält sich das Gutachten des E1 schon nicht, eben weil er das Gutachten der L1 ignoriert hat, s.o.), wurde die Klägerin breit zu ihren Beschwerden befragt und gab ebenso bereitwillig Auskunft über ihre Leiden und ihre Lebensgeschichte. Dass sie das angebliche „Stimmen hören“ dabei nur deshalb verschwieg, weil sie nicht explizit danach gefragt worden sei, erachtet der Senat nachgerade als abwegig. Auch insoweit sind die Angaben der Klägerin überdies widersprüchlich, nachdem sie einerseits gegenüber E1 gemeint hat, man habe sie (schlicht) nicht danach gefragt, andererseits dann aber behauptet hat, darüber kein Wort verloren zu haben aus Angst, man würde ihr keinen Glauben schenken. Auch insoweit erschließt sich nicht, warum die Klägerin namentlich bei ihrem behandelnden Arzt M1 wiederum in der Lage gewesen ist (s. Arztbrief vom 14.10.2022), breit ihre Beschwerden und lebensgeschichtlichen Belastungen - beruflich wie privat - zu schildern, aber nicht bereit gewesen sein soll, ein jahrelanges bzw. vor 25 Jahren (angeblich) erstmals aufgetretenes „Stimmen hören“ anzugeben. Auch damit hat sich freilich E1 nicht weiter befasst, geschweige denn die Angaben der Klägerin auch nur kritisch hinterfragt.
Letztlich hat E1 dies alles mit der - erstmaligen und allein auf den Angaben der Klägerin beruhenden (was er freimütig eingeräumt hat: „Man kann diese Symptome nicht beobachten und man sieht sie dem Patienten auch nicht an. Man muss vielmehr danach fragen und die Fragen entsprechend dokumentieren“) - Diagnose einer Schizophrenie zu überspielen versucht. Wie indes bereits dargelegt, kommt es für die Frage einer Erwerbsminderung aber nicht entscheidend auf eine bestimmte Diagnose oder gar die Ursache einer Gesundheitsstörung an, sondern auf objektivierte funktionelle Defizite mit Auswirkung auf das zeitliche Leistungsvermögen auf der Grundlage objektiv-klinischer Befunde. Indes lassen sich derartige höhergradige und insbesondere objektivierte Funktionsbeeinträchtigungen aus dem Gutachten des E1 gerade nicht nachvollziehbar ableiten, so zu Recht zusammengefasst auch N1.
Darüber kann nicht hinwegtäuschen - ebenfalls in Übereinstimmung mit N1 -, dass der von E1 als auffällig beschriebene klinische Befund ersichtlich um die Diagnose einer Schizophrenie „herumgebaut“ ist. So finden sich im (ohnehin nur knappen) Befundteil des Gutachtens mit den zuvor anamnestisch erfragten Angaben der Klägerin auffällig übereinstimmende Beschreibungen; im Übrigen lässt sich nicht entnehmen, was überhaupt und inwiefern auf einer klinischen Beurteilung beruht und was wiederum allein auf subjektiven Angaben der Klägerin. Ohnehin hat E1 überhaupt keine für die Diagnose einer Schizophrenie im Erwachsenenalter - ein Erkrankungsbeginn nach dem 40. Lebensjahr ist selten (s. Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V. [DGPPN], S3-Leitlinie Schizophrenie, AWMF-Register Nr. 038-009, S. 20, Stand 15.03.2019) - erforderliche (differential-)diagnostische Untersuchung (s. dazu nur und im Einzelnen die genannte S3-Leitlinie, a.a.O. S. 25 ff.; Weig/Fischer in Deutsche Rentenversicherung Bund, Sozialmedizinische Begutachtung, 7. Aufl. 2011, S. 553 ff. m.w.N.) durchgeführt, namentlich schon keine nachvollziehbaren körperlichen respektive grobneurologischen Untersuchungsparameter dokumentiert (s. auch dazu Weig/Fischer a.a.O.), sondern sich vielmehr im Anschluss an die Einlassung der Klägerin („weiß nichts von schweren körperlichen Erkrankungen“) auf den lapidaren Passus beschränkt, dass sich somatisch kein pathologischer Befund ergibt. Ohnehin erachtet es der Senat nachgerade als abwegig, dass sämtliche Ärzte, die die Klägerin seit 2021 behandelt bzw. untersucht haben, eine manifeste und florierende Schizophrenie nicht erkannt haben sollen, nur - so E1 ausdrücklich - weil sie der Klägerin keine entsprechenden Fragen (sic!) gestellt haben. Die dokumentierten ärztlichen Befunde seit 2021 stehen vielmehr der Annahme einer höhergradigen seelischen Störung klar entgegen, was auch E1 letztlich erkannt hat, nachdem er diesen Umstand unter gänzlicher Außerachtlassung des Gutachtens der L1 versucht hat zu kaschieren, indem er behauptet hat, das „Stimmen hören“ sei zeitweise „verschwunden“ und „die Einschränkungen“ seiner Leistungseinschätzung bzw. deren angeblichen Nachweis auf den Tag seiner Begutachtung „gelegt“ hat.
Entgegen dem SG ist das Gutachten des E1 mithin weder „sorgfältig“, noch „professionell“ erstellt - wie aufgezeigt, hat der Sachverständige das Vorgutachten schlicht ignoriert, ebenso wie die genannte S3-Leitlinie und die Begutachtungsliteratur -, noch überzeugend. Es ist vielmehr nicht einmal ansatzweise geeignet, namentlich die gutachtliche Beurteilung der L1 in Frage zu stellen; die Kritik des N1 ist in jeder Hinsicht berechtigt und durchgreifend, der Senat macht sich diese zu eigen. Es besteht mithin auch für die Zeit ab dem 09.08.2023 keinerlei Veranlassung, von der überzeugenden Leistungsbeurteilung der Gutachterin L1 abzuweichen.
Sonstige (internistische) Gesundheitsstörungen, die Auswirkung auf das berufliche Leistungsvermögen der Klägerin haben könnten, liegen nicht vor. Unabhängig davon, dass die Klägerin Derartiges selbst nicht reklamiert und bei E1 ausdrücklich angegeben hat, nichts über schwerere körperliche Erkrankungen zu „wissen“, hat sich insbesondere in kardiologischer und pulmologischer Hinsicht ausweislich der entsprechenden, im Tatbestand aufgeführten internistischen Facharztberichte kein wesentlich auffälliger Befund ergeben, was sich wiederum mit den somatisch-gutachtlichen Ausführungen im Gutachten der L1 deckt.
Unter Zugrundelegung all dessen bestehen für den Senat keine ernstlichen Zweifel, dass die Klägerin - entgegen dem SG - jedenfalls noch leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter Beachtung der oben festgestellten qualitativen Einschränkungen mindestens sechs Stunden täglich verrichten kann (und zwar seit Rentenantragstellung durchgehend), sodass sie weder voll, noch teilweise erwerbsgemindert ist (§ 43 Abs. 3 Halbsatz 1 SGB VI). Ohnehin steht rechtskräftig fest, dass der Klägerin für die Zeit vor dem vom SG fälschlich angenommenen Versicherungsfall am 09.08.2023 bzw. dem ausgeurteilten Leistungszeitraum ab 01.03.2024 kein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung zusteht (s.o.).
Die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit ist vorliegend nicht erforderlich (vgl. BSG 14.09.1995, 5 RJ 50/94, in juris, auch zum Nachfolgenden). Denn nach der Rechtsprechung des BSG steht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine so große Anzahl von Tätigkeitsarten zur Verfügung, dass das Vorhandensein einer geeigneten Verweisungstätigkeit offensichtlich ist. Nur ausnahmsweise ist für eine auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbare Versicherte wie die Klägerin mit zumindest sechsstündigem Leistungsvermögen für leichte Arbeiten die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit erforderlich, wenn die Erwerbsfähigkeit durch mehrere schwerwiegende gesundheitliche Einschränkungen oder eine besonders einschneidende Behinderung gemindert ist. In der Rechtsprechung des BSG sind bestimmte Fälle anerkannt (z.B. Einarmigkeit, vgl. BSG a.a.O., m.w.N.), zu denen der vorliegende Fall aber nicht gehört. Vielmehr braucht eine Verweisungstätigkeit erst benannt zu werden, wenn die gesundheitliche Fähigkeit zur Verrichtung selbst leichter Tätigkeiten in vielfältiger, außergewöhnlicher Weise eingeschränkt ist. Dies ist jedenfalls dann nicht der Fall, wenn ein Versicherter noch vollschichtig körperlich leichte Arbeiten ohne Heben und Tragen von Gegenständen über 5 kg, ohne überwiegendes Stehen und Gehen oder ständiges Sitzen, nicht in Nässe, Kälte oder Zugluft, ohne häufiges Bücken, ohne Zwangshaltungen und nicht unter besonderen Unfallgefahren zu verrichten vermag (BSG a.a.O.; BSG 27.04.1982, 1 RJ 132/80, in juris). Denn ein Teil dieser Einschränkungen stimmt bereits mit den Tätigkeitsmerkmalen einer körperlich leichten Arbeit überein (BSG a.a.O.). Diese zur früheren Rechtslage entwickelten Grundsätze sind auch für Ansprüche auf Renten wegen Erwerbsminderung nach dem ab dem 01.01.2001 geltenden Recht weiter anzuwenden (vgl. zuletzt BSG 11.12.2019, B 13 R 7/18 R, a.a.O.). Nicht anders liegt der Fall der Klägerin. Auch bei ihr wird den qualitativen Einschränkungen (s.o.) im Wesentlichen bereits dadurch Rechnung getragen, dass ihr nur noch leichte Arbeiten zugemutet werden.
Es liegt bei der Klägerin insbesondere auch keine schwere spezifische Leistungsbehinderung in Gestalt einer Einschränkung ihrer Wegefähigkeit (vgl. dazu nur BSG 12.12.2011, B 13 R 79/11 R, in juris, Rn. 20 m.w.N.) vor. Entsprechend ihrer Angaben gegenüber L1 fährt die Klägerin ohnehin Pkw und dass sich daran etwas geändert hat, ist weder konkret dargetan, noch sonst ersichtlich; unabhängig davon hat nicht einmal E1 eine Einschränkung der Wegefähigkeit auch nur behauptet, sondern klar verneint (S. 69 SG-Akte).
Der entscheidungserhebliche medizinische Sachverhalt ist hinreichend geklärt. Namentlich der Reha-Entlassungsbericht der Ärzte der W1-Klinik, das Gutachten der L1 sowie die beratungsärztlichen Stellungnahmen des sozialmedizinischen Dienstes der Beklagten haben dem Senat die erforderlichen Grundlagen für seine Überzeugungsbildung vermittelt. Dass und warum der Leistungseinschätzung des E1 nicht gefolgt werden kann, ist oben dargelegt worden und ins Blaue hinein muss ohnehin nicht ermittelt werden (dazu statt vieler nur BSG 24.02.2021, B 13 R 79/20 B, in juris, Rn. 14 m.w.N., auch zur Rspr. des Bundesverfassungsgerichts).
Nach alledem kann die angefochtene Entscheidung des SG, soweit die Beklagte verurteilt worden ist, keinen Bestand haben, weshalb der Gerichtsbescheid des SG insoweit im Rahmen des Berufungsantrags der Beklagten abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.