L 5 KR 808/21 KH

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 1 KR 2/20
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 5 KR 808/21 KH
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 25.08.2021 abgeändert und die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.652,56 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 08.11.2018 zu zahlen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird endgültig auf 3.652,56 Euro festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die teilweise Erstattung einer bereits gezahlten Krankenhausvergütung.

Die Beklagte ist Trägerin eines nach § 108 SGB V zugelassenen Krankenhauses. Dieses behandelte in der Zeit vom 27.04.2016 bis zum 02.05.2016 die bei der Rechtsvorgängerin der Klägerin versicherte U. (im Folgenden: Versicherte) stationär wegen einer Anomalie des Kiefer-Schädelbasis-Verhältnisses (N01).

 

Am 06.07.2016 berechnete die Beklagte ausgehend von der DRG (Diagnosis Related Group) D04Z (Bignathe Osteotomie und komplexe Eingriffe am Kiefer oder Rekonstruktion der Trachea oder plastische Rekonstruktion der Ohrmuschel mit mikrovaskulärem Lappen) einen Betrag von 8.000,57 Euro. Dieser Abrechnung lagen die Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS) 5-769.2 (Andere Operationen bei Gesichtsschädelfrakturen: Maßnahmen zur Okklusionssicherung an Maxilla und Mandibula), 5-776.4 (Osteotomie zur Verlagerung des Untergesichtes: Mit Kontinuitätsdurchtrennung am aufsteigenden Mandibulaast), 5-777.30 (Osteotomie zur Verlagerung des Mittelgesichtes: In der Le-Fort-I-Ebene in einem Stück: Ohne Distraktion) und 5-779.4 (Andere Operationen an Kiefergelenk und Gesichtsschädelknochen: Anwendung einer OP-Simulation im Gesichtsbereich bei skelettverlagernden Operationen) zu Grunde. Die Beklagte bezahlte den Betrag zunächst, beauftragte aber unter dem 17.08.2016 den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) Baden-Württemberg mit einer Prüfung zur Frage der Korrektheit der Prozeduren. Der MDK zeigte seine Beauftragung am selben Tag gegenüber der Beklagten an und bat um Übersendung folgender Unterlagen bis zum 20.09.2016:

 

  • Ausführlicher Krankenhausentlassbericht,
  • Tageskurve(n),
  • Pflegedokumentation(en),
  • Operationsbericht(e), falls operative Eingriffe durchgeführt wurden,
  • Interventionsprotokolle(e), falls Interventionen durchgeführt wurden,
  • Laborbefund(e), Antibiogramm und Mikrobiologie,
  • Anamnese, Befunde bei Aufnahme,
  • körperlicher Untersuchungsbefund bei Aufnahme,
  • Überwachungsbogen, falls eine Überwachung durchgeführt wurde.

 

Mit Schreiben vom 21.09.2016 teilte der MDK der Klägerin mit, dass das Krankenhaus innerhalb der gesetzten vierwöchigen Frist keine Unterlagen übermittelt habe. Der Prüfauftrag habe deshalb nicht bearbeitet werden können und sei seitens des MDK abgeschlossen worden.

 

Am 07.11.2018 hat die Klägerin zunächst vor dem Sozialgericht Stuttgart Klage erhoben, mit der sie die Erstattung von 3.652,56 Euro geltend gemacht hat. Der OPS 5-777.30 habe aus Sicht der Klägerin nicht kodiert werden dürfen. Die Beklagte habe im ordnungsgemäß eingeleiteten Prüfverfahren keine Unterlagen an den MDK übermittelt.

 

Das Sozialgericht Stuttgart hat zunächst die Patientenakte der Versicherten beigezogen. Sodann hat es mit Beschluss vom 20.12.2019 das Verfahren wegen örtlicher Unzuständigkeit an das Sozialgericht Aachen verwiesen.

 

Die Klägerin hat beantragt,

 

die Beklagte zu verurteilen, einen Betrag in Höhe von 3.652,56 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit an sie zu zahlen.

 

Die Beklagte hat beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

§ 7 Abs. 2 PrüfvV stelle keine Ausschlussfrist dar.

 

Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens bei dem Arzt für Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie und plastische Operationen S., der sein Gutachten nach Aktenlage unter Auswertung der Patientenakten der Versicherten am 07.12.2020 erstattet hat. Danach sei die Kodierung mit dem OPS 5-777.30 unter Berücksichtigung des vorliegenden OP-Berichtes und des vorläufigen Entlassbriefes sachgerecht. Aus den Hauptdiagnosen und Prozeduren resultiere die DRG D04Z.

 

Auch in Kenntnis des Gutachtens ist die Klägerin bei ihrer Rechtsauffassung verblieben. Vorliegend sei ausschließlich die korrekte Anwendung der PrüfvV relevant. Die Beklagte habe ihre Mitwirkungspflichten nach den Vorgaben des § 7 PrüfvV nicht erfüllt, indem sie keine Unterlagen übermittelt habe. Nach der Rechtsprechung des BSG handele es sich bei der Regelung des § 7 Abs. 2 PrüfvV um eine materiell-rechtliche Präklusionsvorschrift. Die Beklagte sei daher mit allen vom MDK angeforderten und nicht fristgerecht vorgelegten Unterlagen als Beweismittel im hiesigen Verfahren ausgeschlossen. Der Sachverständige hätte diese somit auch nicht berücksichtigen dürfen. Ohne diese Unterlagen könne der streitige OPS nicht nachgewiesen werden.

 

Nach Zustimmung der Beteiligten hat das Sozialgericht die Klage am 25.08.2021 durch Urteil, das ohne mündliche Verhandlung ergangen ist, abgewiesen. Es sei bereits fraglich, ob die PrüfvV 2014 auf die vorliegend beauftragte sachlich-rechnerische Prüfung überhaupt Anwendung finde. Dies unterstellt könne die Klägerin ihren Erstattungsanspruch jedenfalls nicht allein darauf stützen, dass die Beklagte die angeforderten Unterlagen nicht vorgelegt habe. Die Nichtvorlage der Unterlagen führe nicht zu einem Erlöschen des Vergütungsanspruchs, sondern begründe lediglich eine materielle Präklusion dieser Unterlagen einschließlich sie ersetzender Zeugenaussagen. Die Präklusionswirkung entbinde die Klägerin aber nicht, spätestens im Klageverfahren darzulegen, aus welchen konkreten Gründen sie die in Rechnung gestellte Vergütung zu einem Teil ablehne und welche Zweifel an der ordnungsgemäßen Abrechnung aufgrund der fehlenden Unterlagen nicht hätten ausgeräumt werden können. Nur dann gebe es für das Gericht eine Grundlage für eine Entscheidung unter Zugrundelegung der Beweislast.

 

Gegen das der Klägerin am 10.09.2021 zugestellte Urteil hat diese am 11.10.2021 (Montag) Berufung eingelegt. Das Sozialgericht sei zu weiteren Ermittlungen verpflichtet gewesen, ob der Anspruch der Beklagten nach der Rechtsprechung des BSG durch ggf. vorhandene und nicht präkludierte Unterlagen nachgewiesen werden könne. Das Sozialgericht habe den in den Patientenakten befindlichen OP-Bericht nicht berücksichtigen dürfen. Das Sachverständigengutachten, das sich ausdrücklich auf den OP-Bericht stütze, sei daher ebenfalls nicht verwertbar. Der streitige OPS könne daher nicht belegt werden. Die Klägerin sei überdies frei, nur den einen OPS zu streichen. Eine Begründung, warum keine weiteren Prozeduren oder Diagnosen gestrichen worden seien, sei nicht erforderlich. Es stehe ihr frei, den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch einzugrenzen.

 

Die Klägerin beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 25.08.2021 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an sie 3.652,56 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Die Klägerin könne sich insbesondere nicht auf eine Präklusionswirkung berufen. Nach der Rechtsprechung des BSG seien präkludierte Unterlagen nur insoweit als Beweismittel ausgeschlossen, als es um die Begründung eines Vergütungsanspruches gehe. Vorliegend gehe es jedoch nicht um einen Vergütungs-, sondern um einen Erstattungsanspruch. Sofern eine materielle Präklusion zugunsten der Krankenkasse und deren Erstattungsansprüche gewollt gewesen wäre, so hätte es einer entsprechenden Regelung in § 8 PrüfvV 2014 bedurft. Zudem habe das Sozialgericht zu Recht festgestellt, dass die Klägerin keine Begründung vorgelegt habe, weshalb der streitige OPS nicht habe kodiert werden dürfen.

 

Auf Nachfrage des Senats hat die Klägerin erklärt, ihr hätten zum Zeitpunkt des Abschlusses des Prüfverfahrens im vorliegend streitigen Behandlungsfall lediglich die Daten nach § 301 SGB V zur Verfügung gestanden, wie sie sich aus dem übersandten Auszug ergäben.

 

Der Senat hat sodann eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen L. eingeholt und um erneute Beantwortung der erstinstanzlichen Beweisfragen allein auf Grundlage des Datensatzes nach § 301 SGB V, wie er dem Gericht zur Verfügung gestellt worden sei, gebeten. Der Sachverständige hat daraufhin mitgeteilt, dass allein auf dieser Grundlage eine Beantwortung der Beweisfragen nicht möglich sei.

 

Die Beklagte hat sich durch die Ausführungen des Sachverständigen in ihrer Ansicht bestärkt gesehen. Der Klägerin hätten keine Informationen vorgelegen, aus denen sich die fehlerhafte Kodierung des streitigen OPS hätte ergeben können.

 

Auf Anforderung des Senats, den geltend gemachten Erstattungsbetrag zu begründen, hat die Klägerin mitgeteilt, dass sich bei Streichung des streitigen OPS die DRG D28Z (Monognathe Osteotomie und komplexe Eingriffe an Kopf und Hals oder andere Eingriffe an Kopf und Hals bei bösartiger Neubildung oder Rekonstruktion mit Gesichtsepithesen) ergebe. Daraus resultiere eine Differenz zur Originalrechnung in der geltend gemachten Höhe. Die Beklagte hat diese Berechnung bestätigt.

 

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Der Inhalt dieser Akten ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

 

 

 

Entscheidungsgründe

 

 

Die Berufung der Klägerin führt zu einer Änderung des erstinstanzlichen Urteils und zu einer antragsgemäßen Verurteilung der Beklagten.

 

A. Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht i.S.d. § 151 SGG eingelegte Berufung der Klägerin ist auch begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht die zulässig im Gleichordnungsverhältnis erhobene echte Leistungsklage i.S.d. § 54 Abs. 5 SGG vollumfänglich abgewiesen. Der Klägerin steht hinsichtlich der bereits gezahlten Vergütung für die Krankenhausbehandlung der Versicherten ein Erstattungsanspruch in der geltend gemachten Höhe (dazu unter I.) zu, darüber hinaus besteht auch ein Anspruch auf Prozesszinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit (dazu unter II.).

 

I. Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Zahlungsanspruch der Klägerin ist der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch. Dieser setzt voraus, dass der Berechtigte im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisses Leistungen ohne rechtlichen Grund erbracht hat. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die Klägerin zahlte die streitigen 3.652,56 Euro ohne Rechtsgrund. Die Beklagte hatte in dieser Höhe keinen Anspruch auf Krankenhausvergütung für die Behandlung der Versicherten. Es ist nicht nachgewiesen, dass der streitige OPS 5-777.30 hätte kodiert werden dürfen (dazu unter 1.), so dass sich nicht die DRG D04Z, sondern lediglich die DRG D28Z ergeben hätte und der streitige Differenzbetrag resultiert (dazu unter 2.).

 

1.) Der Vergütungsanspruch des klagenden Krankenhauses ist – soweit er aus dem streitigen OPS resultiert – nicht nachgewiesen und daher ausgeschlossen. Zu Unrecht hat das Sozialgericht seine Entscheidung auf das eingeholte Gutachten des L., der seinerseits seinen Ausführungen den vorläufigen Entlassbrief vom 08.06.2016 und den OP-Bericht vom 27.04.2016 zu Grunde gelegt hatte, gestützt. Das Gutachten ist nicht verwertbar, weil es sich maßgeblich auf Unterlagen stützt, die auf Grund materieller Präklusion zur Begründung des Vergütungsanspruchs nicht hätten berücksichtigt werden dürfen. Denn die Beklagte hatte die vom MDK fristgerecht im Rahmen des eingeleiteten Prüfverfahrens angeforderten Unterlagen nicht innerhalb der Frist des § 7 Abs. 2 S. 3 PrüfvV 2014 vorgelegt.

 

a) Die PrüfvV 2014 war auf den vorliegenden Behandlungsfall aus dem Jahr 2016 zeitlich und sachlich anwendbar. In zeitlicher Hinsicht ergibt sich dies aus § 12 Abs. 1 PrüfvV 2014, der erst mit dem Inkrafttreten der PrüfvV 2016 zum 01.01.2017 in seiner Geltung abgelöst wurde. Die vom SG aufgeworfenen Zweifel an der Anwendbarkeit auf sachlich-rechnerische Prüfungen im Jahr 2016 teilt der Senat nicht. Das BSG hat zwischenzeitlich klargestellt, dass die PrüfvV 2014 – anders als im Jahr 2015 – im Jahr 2016 auch für sachlich-rechnerische Prüfungen von Behandlungsfällen galt (BSG, Urteil vom 10.11.2021 – B 1 KR 36/20 R Rn. 11 ff.).

 

b) Da vorliegend ausweislich der Anzeige des MDK vom 17.08.2016 eine Prüfung im schriftlichen Verfahren vorgesehen war, fand die materielle Präklusionsregelung des § 7 Abs. 2 Satz 2 bis 4 PrüfvV (vgl. hierzu nur BSG, Urteil vom 18.05.2021 – B 1 KR 24/20 R Rn. 11 ff.) Anwendung. Danach dürfen vom MDK konkret bezeichnete Unterlagen, die im Rahmen eines ordnungsgemäßen Prüfverfahrens angefordert wurden, die das Krankenhaus aber nicht innerhalb der Frist von vier Wochen vorgelegt hat, auch in einem späteren Gerichtsverfahren nicht mehr zur Begründung des Vergütungsanspruchs berücksichtigt werden. Eine solche materielle Präklusion ist im hier zu beurteilenden Behandlungsfall eingetreten.

 

Vorliegend hatte der MDK auf die Rechnung vom 06.07.2016 am 17.08.2016 und damit innerhalb der Sechs-Wochen-Frist des § 275 Abs. 1c SGB V (in der ab dem 01.01.2016 geltenden Fassung) seine Beauftragung gegenüber dem beklagten Krankenhaus angezeigt. Dabei forderte er in hinreichend konkreter Weise die folgenden Unterlagen bis zum 20.09.2016 an:

 

  • Ausführlicher Krankenhausentlassbericht,
  • Tageskurve(n),
  • Pflegedokumentation(en),
  • Operationsbericht(e), falls operative Eingriffe durchgeführt wurden,
  • Interventionsprotokolle(e), falls Interventionen durchgeführt wurden,
  • Laborbefund(e), Antibiogramm und Mikrobiologie,
  • Anamnese, Befunde bei Aufnahme,
  • körperlicher Untersuchungsbefund bei Aufnahme,
  • Überwachungsbogen, falls eine Überwachung durchgeführt wurde.

 

Die Beklagte übersandte diese Unterlagen jedoch nicht fristgerecht, sondern legte die Patientenakten erstmalig am 16.08.2019 im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens vor. Enthalten hierin waren insbesondere der vorläufige Entlassbrief vom 08.06.2016 und der Operationsbericht vom 27.04.2016. Die somit im Einzelnen bezeichneten Unterlagen unterliegen daher im vorliegenden Verfahren der materiellen Präklusion. Insbesondere war auch der vorläufige Entlassbrief als Krankenhausentlassbericht im Sinne der Anforderung des MDK anzusehen. Denn der vorläufige Entlassbrief stellt ein wesensgleiches Minus zum (endgültigen) Entlassbericht dar. Würde man den vorläufigen Brief von der Präklusionswirkung ausnehmen, so würde eine nicht gewollte Umgehungsmöglichkeit geschaffen (vgl. zum Verbot der Einführung des Inhalts präkludierter Unterlagen durch Umgehung nur BSG, Urteil vom 18.05.2021 – B 1 KR 24/20 R Rn. 39).

 

Folge der somit eingetretenen Präklusion ist, dass auch im gerichtlichen Verfahren die präkludierten Unterlagen nicht berücksichtigt werden dürfen. Das vom Sozialgericht eingeholte Gutachten des L. war daher nicht verwertbar, weil es sich inhaltlich auf den Entlassbrief sowie auf den Operationsbericht stützt, deren Verwendung auf Grund der ausdrücklichen Anforderung und der verspäteten Vorlage ausgeschlossen war. Insgesamt ließ sich der hier streitige Vergütungsanspruch daher nicht belegen. Herr L. hat in seiner ergänzenden Stellungnahme insbesondere ausgeführt, dass eine Beantwortung der Frage, ob die Kodierung des OPS 5-777.30 zutreffend gewesen sei, nur auf der Grundlage der Daten nach § 301 SGB V nicht möglich gewesen wäre. Dass die zutreffende Kodierung des streitigen OPS durch andere, nicht präkludierte Beweismittel hätte belegt werden können, ist nicht ersichtlich und haben die Beteiligten auch nicht vorgetragen. Dabei war gerade auch zu berücksichtigen, dass der Inhalt der präkludierten Unterlagen auch nicht unter Umgehung der Präklusionsregelung etwa durch ersetzende Zeugenaussagen in das Verfahren eingeführt werden darf (BSG a.a.O.).

 

c) Soweit die Beklagte vorträgt, die materielle Präklusionsregelung sei vorliegend nicht eingetreten, weil sie nur zur Begründung eines Vergütungsanspruchs, nicht aber eines Erstattungsanspruchs herangezogen werden könne, greift diese Argumentation nicht durch. Abgesehen von dem Umstand, dass auch das BSG in seinem Urteil vom 18.05.2021 – B 1 KR 24/20 R, in dem es die Rechtsprechung zur materiellen Präklusion ausführlich entwickelt hat, über das Bestehen eines Erstattungsanspruchs zu entscheiden hatte, würde die Regelung des § 7 Abs. 2 S. 2 bis 4 PrüfvV weitgehend leerlaufen, weil auf Grund der kurzen Zahlungsfristen für Krankenhausbehandlungen praktisch immer ein Erstattungsanspruch zu prüfen ist.

 

d) Entgegen den Ausführungen des Sozialgerichts war die Klägerin schließlich auch nicht gehalten, die Ablehnung des streitigen OPS spätestens im Klagverfahren näher und konkret zu begründen. Entscheidend ist vielmehr allein, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen der abgerechneten Fallpauschale nicht nachgewiesen sind. Für deren Vorliegen trägt die Beklagte die objektive Beweislast (so ausdrücklich BSG a.a.O.). Denn zwar gilt, dass die Unerweislichkeit einer Tatsache im Zweifel zu Lasten des Beteiligten geht, der aus ihr eine günstige Rechtsfolge herleitet. Dies wäre vorliegend grundsätzlich die Klägerin, die zur Begründung ihres Erstattungsanspruchs den fehlenden Rechtsgrund für die erfolgte Zahlung belegen müsste. Bei der Verteilung der Beweislast ist aber darüber hinaus auch die Zurechenbarkeit der Ungewissheit bzw. die Unaufklärbarkeit zur Verantwortungssphäre der einen oder anderen Seite zu berücksichtigen (vgl. BSG, Urteil vom 14.10.2014 – B 1 KR 27/13 R Rn. 18; vgl. insbesondere auch Urteil vom 18.05.2021 – B 1 KR 32/20 R Rn. 35 sowie B 1 KR 24/20 R Rn. 39). Unter Zugrundelegung der letztgenannten Grundsätze musste vorliegend die Nichterweislichkeit der Voraussetzungen zur Kodierung des streitigen OPS zu Lasten der Beklagten gehen. Denn als Trägerin des die Operation durchführenden Krankenhauses lag es allein in ihrer Sphäre, die durchgeführten Prozeduren zu dokumentieren und bei Bedarf ordnungsgemäß zu belegen. Das Krankenhaus verfügt umfassend über alle erforderlichen Informationen, um die Rechtmäßigkeit seiner Vergütungsforderung gegenüber der Krankenkasse zu beurteilen, während die Krankenkasse nur eingeschränkte Informationen hierüber erhält. Vorliegend standen der Krankenkasse allein die Daten nach § 301 SGB V zur Verfügung, aus denen sich die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Abrechenbarkeit des streitigen OPS nach den Ausführungen des Sachverständigen L. nicht ablesen ließen. Dies war allein durch den Operationsbericht sowie den Entlassbrief möglich. Diese Beweismittel sind ausschließlich der Sphäre der Beklagten zuzurechnen. Schon aus diesem Grund durfte sich die Beklagte darauf beschränken, pauschal das Vorliegen der Voraussetzung zur Kodierung des OPS 5-777.30 zu bezweifeln. Ein substantiierterer Vortrag war ihr schon wegen fehlender Fallkenntnis nicht möglich.

 

2.) War mithin der streitige OPS 5-777.30 nicht zu kodieren, so ergab sich nach dem übereinstimmenden Vortrag der Beteiligten die DRG D28Z an Stelle der DRG D04Z. Daraus resultiert der hier eingeklagte Erstattungsbetrag i.H.v. 3.652,56 Euro als Differenz zwischen der gezahlten und der zu zahlenden Vergütung.

 

II. Zinsen sind vorliegend – wie beantragt – i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen. Für die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen zu den Krankenhäusern gelten die Zinsvorschriften des BGB entsprechend nur, soweit nicht in Verträgen etwas Anderes geregelt ist (BSG, Urteil vom 09.04.2019 – B 1 KR 5/19 R Rn. 39 m.w.N.). Vorliegend ist angesichts der Vereinbarungen zwischen den Beteiligten in § 19 des Vertrages nach § 112 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 SGB V Baden-Württemberg (in der ab dem 01.01.2006 geltenden Fassung), der nach dessen § 2 auf den vorliegenden Behandlungsfall Anwendung findet, im Rahmen einer ergänzenden Vertragsauslegung davon auszugehen, dass jeglicher Verzugszinsanspruch zwischen den Beteiligten auf einen Zins in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz beschränkt ist, weil der Erstattungsanspruch lediglich die Kehrseite des Vergütungsanspruchs darstellt und damit beide Ansprüche in gleicher Höhe zu verzinsen sind (vgl. zu einem entsprechenden Vorgehen bei einem nordrhein-westfälischen Behandlungsfall LSG NRW, Urteil vom 26.02.2009 – L 16 KR 119/08 Rn. 25; bestätigt durch BSG, Urteil vom 08.09.2009 – B 1 KR 8/09 R Rn. 16 ff.).

 

Der Zinsanspruch der vorliegend beantragten Prozesszinsen begann entsprechend § 187 Abs. 1 BGB mit dem Tag nach Rechtshängigkeit (BSG, Urteil vom 09.04.2019 – B 1 KR 5/19 R Rn. 39 m.w.N.), also mit dem 08.11.2018.

 

B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.

 

C. Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe i.S.d. § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

 

D. Die Streitwertfestsetzung für das Berufungsverfahren beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. §§ 63 Abs. 2 S. 1, 52 Abs. 1 und 3, 47 Abs. 1 und 2 GKG.

 

 

Rechtskraft
Aus
Saved