Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 9. August 2021 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Streitig ist im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens ein Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Der 1974 in A1 geborene Kläger zog 1996 in das Bundesgebiet zu. Nach einer Schulausbildung absolvierte er von 2000 bis 2003 eine Berufsausbildung zum Informatikkaufmann. Anschließend war er arbeitslos mit Bezug von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe, ab 2005 von Arbeitslosengeld II. Dazwischen war er lediglich im November/Dezember 2004 und ab 03.12.2012 versicherungspflichtig beschäftigt. Ab 07.01.2013 war er arbeitsunfähig erkrankt. Das Beschäftigungsverhältnis endete am 21.01.2013 aufgrund einer Kündigung in der Probezeit. Vom 22.01.2013 bis 11.07.2014 bezog der Kläger Krankengeld, anschließend zunächst Sozialhilfe und ab 30.11.2017 wieder Arbeitslosengeld II.
Am 10.04.2014 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Er gab an, er halte sich seit 09.05.2005 für erwerbsgemindert aufgrund eines Behandlungsfehlers bei einer Zahnbehandlung, seit April 2006 bestehender Ohrenschmerzen (Myoarthropathie) und einem Behandlungsfehler wegen der Myoarthropathie. Er sei immer müde und könne keine Arbeiten mehr verrichten. Aufgrund der Behandlungsfehler seien Ohrenschmerzen entstanden, bei deren Auftreten er sich nicht mehr konzentrieren könne, müde und schläfrig sei und keine Arbeit weiterführen könne. Sowohl bei geistiger als auch bei körperlicher Betätigung entstünden sofort Ohrenschmerzen, ebenso würden diese spontan auftreten. Der Kläger reichte Schriftverkehr mit seiner Krankenkasse einschließlich Auszüge aus Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung ein. Die Beklagte zog Befundberichte der behandelnden Ärzte bei und veranlasste eine Begutachtung durch den Facharzt G1. In seinem Gutachten vom 25.07.2014 stellte dieser die Diagnosen einer somatoformen Schmerzstörung, einer Somatisierungsstörung und einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung mit querulatorischen Anteilen. Bei unauffälligem neurologischem Befund bestehe bei dem Kläger eine psychische Fixierung auf einen zahnärztlichen Behandlungsfehler aus dem Jahr 2005. Das Schmerzzentrum im Bereich des linken Kiefergelenks mit Ausstrahlung in das linke Ohr sei inzwischen gänzlich psychisch fixiert. Aufgrund eines deutlichen Krankheitsgewinns seien alle Behandlungsversuche zum Scheitern verurteilt. Der Kläger sei in der Lage, einer beruflichen Tätigkeit, auch als Lagerhelfer, täglich sechs Stunden und länger nachzugehen. Unzumutbar seien ihm Arbeiten in Nachtschichten und unter besonderem Zeitdruck.
Mit Bescheid vom 08.08.2014 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers ab. Mit seinem Widerspruch legte der Kläger ein ärztliches Attest des Arztes K1 vom 08.01.2015 vor. Nach Einholung eines Befundberichts des K1 vom 07.04.2015 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 02.06.2015 den Widerspruch zurück.
Hiergegen erhob der Kläger am 29.06.2015 zum Sozialgericht Stuttgart (SG) Klage (S 24 R 3576/15). Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, er leide an Ohrenschmerzen, die spontan mehrmals am Tag aufträten und Minuten bis Stunden andauerten. Am Ohr selbst sei alles in Ordnung; die Schmerzen seien nach einer fehlerhaft durchgeführten Zahnwurzelbehandlung im Jahr 2005 aufgetreten. In regelmäßiger nervenärztlicher oder sonstiger ärztlicher Behandlung sei er nicht, weil die Ärzte nicht erkennen würden, dass er nicht an einer psychischen oder psychosomatischen Erkrankung, sondern an einer craniomandibulären Dysfunktion bzw. einer Myo-arthropathie leide.
Das SG erhob Beweis durch Einholung eines Gutachtens bei dem Facharzt H1. In seinem Gutachten vom 17.01.2016 gelangte dieser zu der Einschätzung, es zeige sich beim Kläger eine gewisse Fixierung auf die Schmerzen als solche wie auch auf den nach Ansicht des Klägers aufgetretenen Behandlungsfehler und die damit zusammenhängenden Rechtsfragen. Die Kriterien für das Vorliegen einer Persönlichkeitsstörung seien jedoch nicht erfüllt, auch nicht im Sinne einer schizoiden oder narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Anhaltspunkte für eine Depression, Angsterkrankung, posttraumatische Belastungsstörung oder eine wahnhafte Störung bestünden nicht. Mit gewissem Vorbehalt seien die Kriterien für das Vorliegen einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung erfüllt. Dafür sei die vorherrschende Beschwerde ein andauernder, schwerer und quälender Schmerz, der durch einen physiologischen Prozess nicht erklärbar sei, was natürlich voraussetze, dass keine körperliche Erkrankung vorliege. Zumindest seien bisher ein Gutteil der Behandler und Untersucher inklusive verschiedener Schmerztherapeuten hiervon ausgegangen. Bei Vermeidung einer Überforderung durch Akkordarbeit, Nachtarbeit und Arbeiten unter besonderem Zeitdruck sei der Kläger noch in der Lage, Tätigkeiten von täglich sechs Stunden und mehr zu verrichten. Ausgeschlossen seien nur Tätigkeiten mit einer das normale Maß deutlich übersteigenden geistigen Verantwortung oder mit einer das normale Maß deutlich übersteigenden geistigen Beanspruchung. Zu den Einwendungen des Klägers gegen das Gutachten nahm H1 unter dem 07.04.2016 ergänzend Stellung und stellte klar, dass es aus neurologisch-psychiatrischer Sicht bei seiner Leistungseinschätzung verbleibe.
Mit Gerichtsbescheid vom 20.05.2016 wies das SG die Klage S 24 R 3567/15 ab. Hierbei schloss es sich der Leistungseinschätzung des H1 und des G1 an. Die hiergegen eingelegte Berufung des Klägers wies das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg mit Urteil vom 09.11.2016 zurück (L 2 R 2395/16). Den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil lehnte das Bundessozialgericht (BSG) mit Beschluss vom 28.02.2017 ab (B 13 R 37/16 BH), die Anhörungsrügen hiergegen verwarf es mit Beschlüssen vom 10.04.2017 (B 13 R 13/17 C und B 13 R 22/17 C).
Am 24.05.2017 stellte der Kläger unter Vorlage eines Attests seines Hausarztes vom 18.12.2016 hinsichtlich des Bescheids vom 08.08.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.06.2015 einen Überprüfungsantrag (Bl. 372 Bd. II Vw.Akte) gemäß § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Die entscheidungserheblichen Atteste bzw. Arztbriefe, welche seinen Gesundheitszustand widergeben würden, befänden sich in der Verwaltungsakte der Beklagten, seien aber von den bisherigen Gutachtern völlig unberücksichtigt geblieben bzw. ignoriert worden.
Mit Bescheid vom 12.07.2017 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Die vom Kläger in Bezug genommenen ärztlichen Unterlagen seien weder neu noch geeignet, eine für ihn günstigere Entscheidung herbeizuführen, da sie bereits im früheren Verwaltungs-, Widerspruchs- bzw. Klage- und Berufungsverfahren hinreichend Berücksichtigung gefunden hätten. Seinen hiergegen gerichteten Widerspruch begründete der Kläger dahingehend, dass die bisher durchgeführte Sachverhaltsermittlung sich mit der vorliegenden chronischen Schmerzerkrankung bzw. deren Ursachen nicht auseinandersetze. Hier sei ein Experte für craniomandibuläre Dysfunktion bzw. Myo-arthropathie einzuschalten. Eine psychische Erkrankung liege bei ihm nicht vor. Er stehe aktuell nur in Behandlung seines Hausarztes. Die von seinem Zahnarzt empfohlene Behandlung könne aus Kostengründen nicht erfolgen. Er legte weitere medizinische Unterlagen vor. Die Beklagte holte den Befundbericht des Herrn W1 vom 05.03.2018 (Bl. m 88), der weitere medizinische Unterlagen anfügte, ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 18.04.2018 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Weder dem Vorbringen des Klägers, dem Befundbericht des Hausarztes noch den vorgelegten weiteren medizinischen Unterlagen seien weitere Einschränkungen des festgestellten Leistungsvermögens zu entnehmen.
Hiergegen hat der Kläger am 17.05.2018 erneut Klage zum SG erhoben. Zur Begründung hat er vorgebracht, die Beklagte habe sein Hauptleiden, die Ohrenschmerzen mit gravierenden Schlafstörungen, sowie die Wechselwirkung bzw. Beeinflussung der vorhandenen weiteren Krankheiten untereinander ignoriert. Angesichts des vorgelegten Befundberichts seines Hausarztes hätte die Beklagte wissen müssen, dass er nicht unter Beschwerden auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet leide und stattdessen seine Hauptdiagnosen und -beschwerden berücksichtigen müssen.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten mit dem Hinweis, dass im Überprüfungsverfahren auch aktuelle Befunde gesichtet worden seien. Eine suffiziente nervenärztliche und schmerztherapeutische Behandlung erfolge nicht. Im Übrigen seien die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen letztmals am 31.08.2016 erfüllt.
Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung des zahnmedizinischen Gutachtens bei L1 vom 24.06.2020. Dieser hat eine schmerzhafte chronifizierte CMD und einen anhaltenden idiopathischen Gesichtsschmerz diagnostiziert. Die schmerzhafte, wahrscheinlich chronifizierte Myoarthropathie könne aber die mittlerweile 15-jährige Leidensgeschichte des Klägers nicht alleine schlüssig erklären. Die jetzige Schmerzproblematik im linken Kiefergelenk sei erst 2019 aufgetreten, aber bei Unterkieferbewegungen nach links könne eindeutig der seit Jahren bestehende Schmerz im Ohr wiederholbar ausgelöst werden. Die mehrfach diagnostizierte somatoforme Schmerzstörung sei aufgrund der vorliegenden somatischen Befunde und Diagnosen definitionsgemäß nicht mehr haltbar. Auch die mit orofaszialen chronischen Schmerzen einhergehenden Schlafstörungen seien mittlerweile wissenschaftlich gut belegt und würden in der einschlägigen Literatur evidenzbasiert ausführlich dargestellt. Die anfangs sicher vorhandene biologische Komponente (Verletzung des Nervs) sei nicht mehr nachzuweisen. Eine Simulation oder Aggravation sei aus seiner Sicht nicht nachweisbar, Verdeutlichungstendenzen seien hingegen klar feststellbar. Aufgrund der Chronifizierung und der erheblichen psychosozialen Defizite sowie des vermuteten sekundären Krankheitsgewinns sei eine Leistungsfähigkeit z.B. für eine mittelschwere Arbeit sehr schwer vorstellbar. Der Kläger gebe stärkste vorstellbare Schmerzen an, die nicht verändert werden könnten und die seine Konzentration stark beeinträchtigten. Eine Gefährdung für sich und seine Umwelt sei nicht auszuschließen. Hier liege eine Schmerzerkrankung bei vermuteter Gewebeschädigung mit erheblicher psychischer Komorbidität vor. Insgesamt sei davon auszugehen, dass die Situation in den Jahren 2014 bis 2016 ähnlich zu beurteilen gewesen sei, wie zum Zeitpunkt der Begutachtung. Letztlich sei die Antwort auf die Frage der beruflichen Leistungsfähigkeit für die Zeit zwischen Rentenantragstellung im April 2014 und August 2016 jedoch stark spekulativ. Zu den Einwendungen des Klägers gegen das Gutachten hat L1 unter dem 11.09.2020 ergänzend dahingehend Stellung genommen, dass es bei der im Gutachten dargestellten Einschätzung verbleibe.
Weiter hat das SG eine ergänzende Stellungnahme des H1 eingeholt, der unter dem 30.03.2021 ausgeführt hat, dass die weiter erhobenen Befunde auf seinem Fachgebiet den von ihm am 17.01.2016 getroffenen Feststellungen entsprechen würden. Daher gehe er weiterhin unter den bereits geschildeten Vorbehalten vom Vorliegen einer somatoformen Schmerzstörung und qualitativen Leistungseinschränkungen aus. Insgesamt verbleibe er bei der getroffenen Leistungseinschätzung.
Mit Urteil vom 09.08.2021 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Beklagte habe die Rücknahme des Bescheids vom 08.08.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.06.2015 zu Recht abgelehnt. Die Voraussetzungen des § 44 SGB X lägen nicht vor. Unter Berücksichtigung der im aktuellen und im früheren Verfahren eingeholten Befundunterlagen könne sich die Kammer nicht mit der erforderlichen Sicherheit davon überzeugen, dass bei dem Kläger die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung bereits beim letztmaligen Vorliegen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen am 31.08.2016 vorgelegen hätten. Nach Auswertung des Gutachtens des L1 sehe die Kammer den Schwerpunkt der gesundheitlichen Leiden des Klägers auf zahnmedizinischem Fachgebiet. L1 sei aber zu der Einschätzung gelangt, dass die Frage nach der Leistungsfähigkeit des Klägers im hier relevanten Zeitkorridor zwischen der ersten Antragstellung am 10.04.2014 und dem letztmaligen Vorliegen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen am 31.08.2016 stark spekulativ sei. Entgegen der Auffassung des Klägers komme es nicht entscheidend darauf an, an welchen Erkrankungen (Diagnosen) er leide. Ausschlaggebend sei vielmehr, welche Einschränkungen körperlicher und psychischer Art von einer Erkrankung (Diagnose) ausgingen, die auch von Relevanz für die Ausübung einer versicherungspflichtigen Tätigkeit seien. Entscheidend seien somit die Krankheitssymptome, die sich auf das Leistungsvermögen auswirkten. Unter Berücksichtigung aller medizinischen Unterlagen könne die Kammer sich nicht davon überzeugen, dass das von L1 beschriebene neuropathische Schmerzgeschehen beim Kläger bereits in der Zeit vor dem 31.08.2016 einen Leidensdruck hervorgerufen habe, der die vollschichtige Verrichtung einer Tätigkeit ausgeschlossen hätte. Ein solcher Leidensdruck sei auch weder durch das damalige Therapieverhalten noch durch das in den Sachverständigengutachten dokumentierte Alltagsverhalten hinreichend belegt. Die Leistungseinschätzung des L1 sei stark spekulativ und damit nicht eindeutig. Bei der Untersuchung durch H1 habe sich ein neurologisch und körperlich völlig regelrechter Befund gezeigt, auch der dort geschilderte Tagesablauf dokumentiere eine hinreichende psychische und physische Belastbarkeit. Der Kläger sei auch im vorangegangenen Verfahren zum Verfassen umfangreicher Schriftsätze in der Lage gewesen, was für eine erhaltene Konzentration und Auffassung sowie ein weitgehend uneingeschränktes Durchhaltevermögen spreche. Auch in der mündlichen Verhandlung habe sich der Kläger konzentriert und ausgeglichen gezeigt. Gegen einen relevanten Leidensdruck spreche auch, dass der Kläger eine bereits 2015 von J1 angebotene multimodale Schmerztherapie ebenso wie eine sonstige fachärztliche Therapie nicht durchgeführt habe und auch weiterhin nicht durchführe. Nach den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung finde weiterhin keinerlei Schmerzmedikation statt. Zwar habe L1 ausgeführt, dass die Erlangung einer völligen Schmerzfreiheit beim Kläger unwahrscheinlich sei. Jedoch habe er auch ausgeführt, dass der Kläger eine multimodale interdisziplinäre Behandlung sowie eine unterstützende psychiatrische/psychologische Behandlung bei erheblicher psychischer Komorbidität in einem kompetenten schmerztherapeutischen Netzwerk benötige. Es liege nunmehr am Kläger, diesen ärztlicherseits wiederholt angeratenen interdisziplinären Therapieansatz ernstlich in Betracht zu ziehen, um das von L1 beschriebene neuropathische Schmerzgeschehen nachhaltig zu lindern.
Hiergegen richtet sich die am 07.10.2021 beim SG eingelegte Berufung des Klägers, die zunächst ohne Begründung geblieben ist. Im Nachgang zum Senatsbeschluss vom 02.06.2022 über die Ablehnung des Antrags auf Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) für das Berufungsverfahren mangels hinreichender Erfolgsaussicht hat zunächst der Klägerbevollmächtigte die Berufung begründet. Hiernach hat der Kläger dem Bevollmächtigen das Mandat entzogen, dessen Vortrag zum Vorliegen einer die Erwerbsminderung begründenden psychiatrischen Erkrankung ausdrücklich widersprochen, den von diesem gestellten Beweisantrag bzw. dessen Beweisanregung zurückgenommen und die Berufung persönlich dahingehend begründet, dass das SG und das LSG sowohl im ersten Rentenverfahren als auch im vorliegenden Klageverfahren die Amtsermittlungspflicht verletzt hätten. Seine im Gutachten vom 17.01.2016 festgehaltenen Angaben gegenüber dem Sachverständigen H1 habe das SG inhaltlich entstellt und unvollständig gewürdigt. Ebenso habe es vorliegende medizinische Unterlagen übergangen. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 07.04.2016 habe H1 klargestellt, dass er zu den Einschränkungen, die sich durch Erkrankungen auf anderen Fachgebieten ergeben, keine Stellung nehmen könne. Vor diesem Hintergrund hätte das SG, wie auch von ihm bereits mit Schreiben vom 21.04.2016 beantragt, von Amts wegen entsprechende Fachgutachten einschließlich eines Gutachtens auf schmerztherapeutischem Fachgebiet einholen müssen, anstatt ihn auf die Möglichkeit der Antragstellung gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu verweisen. Er verweise auf sein Fragerecht nach § 397 Zivilprozessordnung (ZPO) und beantrage, die Sachverständigen H1 und L1 zu einem Termin zu laden, um diese zu ihren Gutachten und ergänzenden Stellungnahmen mündlich zu befragen. Auch seien seine weiteren Erkrankungen nicht berücksichtigt worden, obwohl es hier zu einer Wechselwirkung seiner Hauptbeschwerden mit den Gesundheitsstörungen auf anderen Fachgebieten komme und daher auch unter dem Aspekt der Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen Erwerbsminderung vorliege. Neben der craniomandibulären Dysfunktion bestehe sein zweites Hauptleiden in gravierenden Schlafstörungen und einer Müdigkeit, weiter leide er unter Bandscheibenvorfällen an der LWS und HWS, zahlreichen Lebensmittelunverträglichkeiten, einer Lärmempfindlichkeit und einer Degeneration des Diskus beidseits mit Kiefergelenksbeschwerden. Soweit das SG sich nunmehr rückwirkend nicht vom Vorliegen einer Erwerbsminderung zum Zeitpunkt spätestens im August 2016 überzeugen könne, befinde er sich aufgrund der unterlassenen Amtsermittlung im früheren Verfahren in Beweisnot, was nicht zu seinem Nachteil gereichen dürfe. Überdies habe er entgegen den Ausführungen des SG bereits seit 2013 eine multimodale Therapie gemacht, leider erfolglos.
Der Kläger beantragt teilweise sachdienlich gefasst,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 9. August 2021 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 12. Juli 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. April 2018 zu verurteilen, den Bescheid vom 8. August 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. Juni 2015 zurückzunehmen und ihm bezogen auf seinen Antrag vom 10. April 2014 Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie bezieht sich zur Vermeidung von Wiederholungen auf ihren Vortrag im Klageverfahren und auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils des SG, welches ihres Erachtens die Klage nach umfassender Sachverhaltsermittlung mit zutreffender Begründung abgewiesen habe.
Die Beteiligten sind zunächst mit Schreiben vom 08.06.2022 und nach Vorlage der Berufungsbegründung sowie weiterer Stellungnahmen der Beteiligten erneut mit Schreiben vom 15.03.2023 auf die Absicht des Gerichts, über die Berufung durch Beschluss nach § 153 Abs. 4 SGG zu entscheiden, hingewiesen worden. Sie haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten, welche der Kläger wahrgenommen hat.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen, der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten sowie der beigezogenen Akte des früheren Klageverfahren S 24 R 3576/15 Bezug genommen.
II.
Der Senat entscheidet über die nach §§ 143, 144 SGG zulässige Berufung nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Hierzu wurden die Beteiligten zunächst mit Schreiben vom 18.06.2022 und nach zwischenzeitlich erfolgter Berufungsbegründung durch den Kläger, Erwiderung durch die Beklagte und weiterer Stellungnahme des Klägers erneut mit Schreiben vom 15.03.2023 angehört. Dass der Kläger auf die erneute Anhörung nochmals Stellung genommen hat, erfordert keine erneute Anhörung und steht der Entscheidung durch Beschluss nicht entgegen. Eine wesentliche Änderung der Prozesssituation ist hierdurch nicht eingetreten, denn wesentlicher neuer Vortrag ist damit nicht erfolgt. Ein Einverständnis der Beteiligten ist nicht erforderlich.
Das Urteil des SG vom 09.08.2021 ist nicht zu beanstanden. Der Bescheid vom 12.07.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.04.2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rücknahme des Bescheids vom 08.08.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.06.2015 und Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung bezogen auf seinen Rentenantrag vom 10.04.2014.
Zu Recht hat es die Beklagte abgelehnt, gemäß § 44 SGB X den Bescheid vom 08.08.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.06.2015 zurückzunehmen und dem Kläger auf seinen Antrag vom 10.04.2014 Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung bezogen auf seinen Rentenantrag vom 10.04.2014. Die Beklagte hat bei Erlass ihrer ablehnenden Entscheidung vom 08.08.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.06.2015 weder das Recht unrichtig angewandt noch ist sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen.
Voraussetzung für die Rücknahme eines Verwaltungsakts, nachdem er unanfechtbar geworden ist, ist gemäß § 44 SGB X, dass sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind.
Diese Rücknahmevoraussetzungen liegen nicht vor. Der Bescheid vom 08.08.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.06.2015, mit dem die Beklagte den Antrag des Klägers vom 10.04.2014 auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung abgelehnt hat, ist bestandskräftig und damit unanfechtbar geworden. Die diese Entscheidung bestätigenden gerichtlichen Entscheidungen sind rechtskräftig geworden.
Bei Erlass des Bescheides vom 08.08.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.06.2015 wurde weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem Sachverhalt ausgegangen, der sich als unrichtig erweist. Vielmehr hat die Beklagte zu Recht den Rentenantrag des Klägers abgelehnt, weil die in § 43 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) genannten Voraussetzungen für die von ihm begehrte Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung nicht vorlagen.
Bei dem Kläger waren zuletzt im August 2016 die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung erfüllt, wie sich den vom Kläger unwidersprochenen Angaben des von der Beklagten erstellten Versicherungsverlaufs in der Verwaltungsakte und den eigenen Angaben des Klägers zum Bezug von Sozialhilfe und ab 2017 von Arbeitslosengeld II ergibt. Dass bei dem Kläger im Zeitraum ab Rentenantragstellung im April 2014 bis spätestens im August 2016 die medizinischen Voraussetzungen für den geltend gemachten Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung vorgelegen hätten, lässt sich nicht zur Überzeugung des Senats feststellen. Das SG hat im angefochtenen Urteil vom 09.08.2021 unter Bezugnahme auch auf die Ausführungen des SG im Gerichtsbescheid vom 20.05.2016 sowie des LSG Baden-Württemberg im Urteil vom 09.11.2016 unter zutreffender Darstellung der rechtlichen Grundlagen ausgeführt, dass sich auch unter Berücksichtigung der vom Kläger angegebenen Schmerzen, seiner Schlafstörungen und Müdigkeit sowie unter Berücksichtigung aller vorliegenden Erkrankungen insgesamt eine spätestens im August 2016 eingetretene quantitative Leistungseinschränkung jedenfalls für körperlich und geistig leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes bei Beachtung qualitativer Einschränkungen nicht begründen lässt. Dieser Einschätzung schließt sich der Senat nach eigener Prüfung vollumfänglich an und weist die Berufung zur Vermeidung von Wiederholungen aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück, § 153 Abs. 2 SGG. Auch eine ununterbrochene Arbeitsunfähigkeit des Klägers bezogen auf körperlich und geistig leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes lässt sich aus diesen Gründen nicht belegen. Anlass für weitere Ermittlungen von Amts wegen besteht nicht.
Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen des Klägers ist lediglich nochmals darauf hinzuweisen, dass ungeachtet dessen, in welchem Fachgebiet die Ursache der beklagten Beschwerden maßgeblich verortet wird, weder aus den anamnestischen Angaben des Klägers selbst noch aus den erhobenen Befunden im maßgebenden Zeitraum bis 31.08.2016 so wesentliche Einschränkungen ersichtlich sind, dass diese ein Herabsinken des zeitlichen Leistungsvermögens des Klägers auf unter sechs Stunden begründen könnten. Wie das BSG bereits im oben genannten Beschluss vom 28.02.2017 ausgeführt hat, kommt es im Rahmen eines Rentenverfahrens nicht nur auf eine andere Diagnosestellung oder Bezeichnung von Befunden an, sondern ist im Rahmen des § 43 SGB VI die Beeinflussung des Leistungsvermögens durch dauerhafte Gesundheitsstörungen zu prüfen. Eine solche Beeinflussung in einem rentenrelevanten Ausmaß lässt sich unter Berücksichtigung insbesondere des Gutachtens von H1 vom 17.01.2016 samt seiner ergänzenden Stellungnahmen vom 07.04.2016 und vom 30.03.2021 und auch des Gutachtens von L1 vom 24.06.2020 samt seiner ergänzenden Stellungnahme vom 11.09.2020 nicht feststellen. H1 hat anhand der erhobenen Anamnese und Befunde nachvollziehbar und widerspruchsfrei dargestellt, dass auch unter Berücksichtigung des geschilderten Schmerzerlebens und der geschilderten Schlafstörungen und Müdigkeit eine zeitliche Leistungseinschränkung des Klägers nicht festzustellen ist und er unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes bei Beachtung der festgestellten qualitativen Einschränkungen sechs Stunden und mehr arbeitstäglich eine berufliche Tätigkeit ausüben kann. Zwar hat L1 hiervon abweichend eine auch zeitliche Leistungseinschränkung angenommen. Allerdings hat er klargestellt, dass die rückwirkende Bewertung des Leistungsvermögens durch ihn angesichts des Umstandes, dass er den Kläger erst 2020 und damit nahezu vier Jahre nach Ende des maßgeblichen Zeitraums untersucht hat, nur spekulativ in dem Sinne erfolgen könne, dass er sich auf die aktenkundlichen Berichte und medizinische Erfahrungswerte stützen müsse. Zur Begründung der von ihm angenommenen Einschränkung hat er darauf verwiesen, dass der Kläger stärkste vorstellbare Schmerzen angebe, die nicht verändert werden könnten und die seine Konzentration stark beeinträchtigten. Dies ist aber weder aus seinem Gutachten noch den vorliegenden medizinischen Unterlagen nachvollziehbar. Entsprechende Befunde lassen sich dem Gutachten des L1 nicht entnehmen. Zwar gibt er an, dass der Kläger im Fragebogen „Graduierung chronischer Schmerzen“ in den Rubriken „stärkster Schmerz in den letzten 30 Tagen“ und „Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit“ jeweils den Höchstwert angegeben hat und dass er insoweit eine Simulation oder Aggravation für nicht nachweisbar erachtet, Verdeutlichungstendenzen hielt er aber für klar feststellbar und weitere Befunde über die Selbstauskunftsbogen des Klägers hinaus hat er hierzu nicht erhoben. Auch im streitigen Zeitraum konnten solche Befunde nicht objektiviert werden. Die vom Kläger beklagten starken Konzentrationsstörungen aufgrund stärkster Schmerzen konnten bei der Untersuchung durch H1 gerade nicht festgestellt werden. So beschreibt H1 im psychischen Befund die Auffassung, Konzentration und das Durchhaltevermögen ohne Einschränkungen. Auch mnestische Störungen ließen sich nicht nachweisen, weder im Hinblick auf die Merkfähigkeit oder das Kurzzeitgedächtnis und Langzeitgedächtnis. Damit kann der Senat sich ebenso wie das SG der Leistungseinschätzung des L1 nicht anschließen.
Soweit der Kläger angesichts des Umstandes, dass die Sachverständigen H1 und L1 nicht auf alle aktenkundigen medizinischen Berichte ausdrücklich eingegangen sind, diese nochmals hierzu befragen möchte, sieht der Senat hierfür keinen Anlass. Dass die vom Kläger genannten bzw. nochmals vorgelegten medizinischen Unterlagen, insbesondere der Entlassungsbericht des Schlaflabors C1 vom 15.02.2016, den Sachverständigen vorlagen, lässt sich den Akten eindeutig entnehmen. So lässt sich dem Gutachten des H1 entnehmen, dass der Kläger ihm bereits bei der Untersuchung berichtet hatte, dass er sich im Dezember 2015 dort im Schlaflabor befunden habe. Im Nachgang hierzu hat der Kläger den Entlassungsbericht vom 15.02.2016 beim SG eingereicht und das SG hat diesen zusammen mit der gesamten weiteren SG- und Verwaltungsakte an H1 zu dessen ergänzender Stellungnahme übermittelt. Als Inhalt der Verwaltungsakte bzw. der SG-Akte des vorangegangenen Klageverfahrens, die zum erneuten Klageverfahren beigezogen wurde, wurden diese Unterlagen auch dem Sachverständigen L1 zugeleitet. Dies ergibt sich eindeutig aus der Klageakte. Daher ist auch keine (erneute) Übermittlung dieser Unterlagen an die Sachverständigen erforderlich und keine Befragung der Sachverständigen dazu, ob ihnen diese Unterlagen bei Erstattung der jeweiligen Gutachten bzw. ergänzenden Stellungnahmen zur Verfügung standen.
Soweit der Kläger geltend macht, seine anderweitigen Erkrankungen bzw. die Wechselwirkungen seiner Erkrankungen seien nicht berücksichtigt worden, führt dies ebenfalls zu keiner anderen Einschätzung und besteht insoweit kein Anlass für weitere Ermittlungen. Bereits in der angefochtenen Entscheidung des SG sowie in den Entscheidungen vom 20.05.2016 und 09.11.2016 haben das SG und das LSG Baden-Württemberg dargelegt, dass und warum auf anderen Fachgebieten keine so erheblichen Erkrankungen des Klägers vorlagen, dass sie in der Lage gewesen wären, eine Erwerbsminderung des Klägers zu begründen. Dem schließt sich der Senat nach eigener Prüfung ebenfalls an. Weder für sich betrachtet noch in der Zusammenschau aller Erkrankungen lässt sich der Eintritt einer Erwerbsminderung bis spätestens August 2016 begründen. Sich auf das berufliche Leistungsvermögen relevant auswirkende Beeinträchtigungen durch die vom Kläger beklagte Lärmempfindlichkeit und verschiedene Nahrungsmittelunverträglichkeiten lassen sich den vorliegenden medizinischen Unterlagen nicht entnehmen. In Bezug auf die orthopädischen Erkrankungen bestehen Bewegungs- und Belastungseinschränkungen, denen durch qualitative Einschränkungen ausreichend begegnet werden kann. So hat der Facharzt W2 in seiner fachärztlichen Bescheinigung vom 30.06.2015 orthopädische Störungen diagnostiziert, hieraus aber selbst nur qualitative Einschränkungen abgeleitet. Bei der Untersuchung durch H1 haben sich insoweit auch keine relevanten neurologischen Defizite gezeigt. Selbst wenn der Lärmempfindlichkeit, den Nahrungsmittelunverträglichkeiten und den orthopädischen Erkrankungen ein Verursachungsanteil an der vom Kläger beklagten Symptomatik in Form von Schmerzen, Schlafstörungen und Müdigkeit zukommt, oder aber die Schlafstörungen und Müdigkeit neben der CMD und Kiefergelenksveränderungen eigenständig zu bewertende Erkrankungen darstellen, ist hier jedoch keine weitere diagnostische Abklärung und Abgrenzung erforderlich und auch weder eine schwere spezifische Leistungsbeeinträchtigung noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen gegeben. Nach der Rechtsprechung des BSG liegt eine volle Erwerbsminderung ausnahmsweise selbst bei einer mindestens sechsstündigen Erwerbsfähigkeit vor, wenn der Arbeitsmarkt wegen besonderer spezifischer Leistungseinschränkungen als verschlossen anzusehen ist. Dem liegt zugrunde, dass eine Verweisung auf die verbliebene Erwerbsfähigkeit nur dann möglich ist, wenn nicht nur die theoretische Möglichkeit besteht, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erhalten (vgl. BSG, Urteil vom 30.11.1983 - 5a RKn 28/82 - und zuletzt BSG, Urteil vom 11.12.2019 - B 13 R 7/18 R -, jeweils Juris). Die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit ist bei Versicherten mit zumindest sechsstündigem Leistungsvermögen für leichte Arbeiten erforderlich, wenn die Erwerbsfähigkeit durch mehrere schwerwiegende gesundheitliche Einschränkungen oder eine besonders einschneidende Behinderung gemindert ist. Eine Verweisungstätigkeit braucht erst dann benannt zu werden, wenn die gesundheitliche Fähigkeit zur Verrichtung selbst leichter Tätigkeiten in vielfältiger, außergewöhnlicher Weise eingeschränkt ist. Ausgehend hiervon liegt bei dem Kläger unter Berücksichtigung der von ihm zu beachtenden qualitativen Einschränkungen für Tätigkeiten in Schichtarbeit und unter vermehrten psychischen Belastungen weder eine besondere spezifische Leistungsbeeinträchtigung noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat der Senat keine Zweifel, dass der Kläger im relevanten Zeitraum bis 31.08.2016 typische Verrichtungen, die nur mit körperlich und geistig leichten Belastungen einhergehen (z. B. Sortier- und Montiertätigkeiten, Boten- und Bürodienste), ausführen konnte. Ebenso war er in der Lage, einen Arbeitsplatz aufzusuchen.
Auch ist entgegen der Ausführungen des Klägers keine mündliche Verhandlung anzuberaumen und sind H1 und L1 nicht mündlich zu befragen. Zwar entspricht es ständiger Rechtsprechung des BSG (vgl. BSG, Beschluss vom 27.09.2018 - B 8 V 14/18 B -, juris Rn. 12 m. w. N.), dass unabhängig von der nach § 411 Abs. 3 ZPO im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts liegenden Möglichkeit, das Erscheinen des Sachverständigen zum Termin von Amts wegen anzuordnen, jedem Beteiligten gemäß § 116 Satz 2, § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. §§ 397, 402, 411 Abs. 4 ZPO das Recht zusteht, dem Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die er zur Aufklärung der Sache für dienlich erachtet. Allerdings gilt dies grundsätzlich nur für Gutachten, die im selben Rechtszug erstattet wurden (vgl. BSG, Beschluss vom 05.07.2018 - B 9 SB 26/18 B -, juris Rn. 8 m. w. N.). Dies trifft vorliegend weder auf L1 noch auf H1 zu, die jeweils in erster Instanz (ergänzend) gehört wurden, nicht aber im vorliegenden Berufungsverfahren. Überdies hat der Kläger bereits im Klageverfahren Stellungnahmen zu den Gutachten des H1 und L1 abgegeben und das SG hierauf die ergänzenden Stellungnahmen des L1 und des H1 eingeholt. Der Kläger hat danach weder gegenüber dem SG noch mit seiner Berufung erläuterungsbedürftige Punkte oder Fragen mitgeteilt, die durch eine erneute ergänzende Befragung der Sachverständigen H1 und L1 einen über die Wiederholung der bisherigen vom SG eingeholten schriftlichen Äußerungen in deren Gutachten und ergänzenden Stellungnahmen hinausreichenden Mehrwert hätten. Dass der Kläger sowohl der Diagnosestellung als auch den Feststellungen und der Leistungseinschätzung des H1 und teilweise auch des L1 weiterhin nicht folgen möchte, begründet keinen Anlass für deren erneute schriftliche oder mündliche Befragung. Das Fragerecht begründet keinen Anspruch auf stets neue Anhörungen des Sachverständigen, wenn der Beteiligte und der Sachverständige in ihrer Beurteilung nicht übereinstimmen (BSG, Beschlüsse vom 04.05.2020 - B 9 SB 84/19 B -, juris Rn. 9, und vom 05.07.2018 - B 13 R 198/13 B -, juris Rn. 9).
Der Kläger hat somit keinen Anspruch auf Rücknahme des Bescheids vom 08.08.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.06.2015 und Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung. Damit bleibt die Berufung des Klägers insgesamt ohne Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 160 Abs.2 Nr. 1 und Nr. 2 SGG gegeben ist.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 20 R 2584/18
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 3242/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Rechtskraft
Aus
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